IV. Sarhan al-Buheri

Der High-Life-Laden. Eine Fülle von Formen und Farben, die aufreizend wirkt, aufreizend für den Magen, aufreizend auch für die Gefühle. Eine ungeheure Woge strahlender Lichter, in der Töpfe mit Hors d'oeuvres schwimmen, Büchsen mit scharfen und süßen Delikatessen, in Scheiben geschnittenes geräuchertes und frisches Fleisch, Milch und Milchprodukte, gerippte, glatte, flache, viereckige, gemusterte Flaschen voller Alkoholika der verschiedensten Art. Deswegen halten meine Füße automatisch vor jedem griechischen Laden in der Stadt inne. Der Herbstwind umfächelte mich mit seinen würzigen, sinnlich erregenden Düften. Ich schaute auf die Fellachin unter den Kunden vor dem Ladentisch. Gesegnet sei die Erde, die deine braunhäutigen Wangen und deine runden Brüste hervorgebracht hat! Ich wurde zufällig auf das Mädchen aufmerksam, als ich die Preise der verschiedenen Flaschen miteinander verglich. Ich blickte sie, während ich draußen auf dem Trottoir stand, lange an, über ein Fäßchen mit Olivenöl hinweg, durch eine Lücke zwischen einer Flasche Haig und einer Flasche Dewarts hindurch, an einem Stück Basturma[61] vorbei. Mein Blick blieb an ihrem braunhäutigen Profil hängen, das sie dem Kaufmann mit dem Schnauzbart zugewandt hatte. Eine Tasche aus geflochtenem Stroh, voller Einkäufe, hing an ihrem Arm. Aus ihrem Umhang schaute der Hals einer Flasche Johnny Walker hervor.

Ich stellte mich ihr in den Weg, als sie aus dem Laden kam, und unsere Blicke begegneten sich, der ihre fragend, streng, der meine lachend, bewundernd. Sie ging ihres Weges weiter, und ich folgte ihr mit keinem anderen Ziel, als dieser Schönheit mit dem bäurischen Gepräge, das ich so mag, meine Reverenz zu erweisen. An der Corniche umwehten uns herbstliche Windböen, die noch warm waren von den verblassenden Strahlen der untergehenden Sonne. Sie ging mit schnellem, soldatischem Schritt vor mir her und bog dann hinter dem Miramar-Gebäude ein, drehte sich aber vorher, schon am Eingang des Gebäudes, noch einmal zu mir um. Mich traf ein uninteressierter Blick aus braunen Augen.

Mir kam die Erinnerung an die Tage der Baumwollernte in unserem Dorf.

Ich hatte sie schon fast vergessen, da sah ich sie am Ende der Woche zum zweiten Mal. Vor der Auslage des Zeitungsstands von Machmud Abul-Abbas erblickte ich sie, als sie gerade Zeitungen kaufte. Bevor sie weiterging, holte ich sie ein und sagte zu ihr: »Einen ganz schönen guten Morgen!«

Machmud Abul-Abbas grüßte an ihrer Statt zurück. Aber sie schaute mich an, und ich erwiderte ihren Blick so, als wolle ich sie für immer an mich fesseln. Schnell ging sie weiter, doch sie hatte mich im Innersten erregt.

Ich rief Machmud zu: »Herzlichen Glückwunsch!«

Er lachte naiv. Ich fragte ihn: »Woher kommt sie?«

»Sie arbeitet in der Pension Miramar«, antwortete er gleichgültig.

Ich gab ihm eine Summe zurück, die ich mir vor einiger Zeit von ihm geborgt hatte, als ich mich aufgrund der Forderungen, die meine Familie an mich stellte, in einer finanziellen Klemme befunden hatte. Dann ging ich weiter, um den Springbrunnen herum, denn ich erwartete den Ingenieur Ali Bakir. Die Fellachin ist hübsch, ganz außerordentlich hübsch. Sie bringt mich jetzt schon um den Verstand. Ich bin ganz berauscht vor Erregung, berauscht von den zärtlichen Strahlen der Sonne, berauscht auch von den Gesichtern der vielen Menschen, die gleich mir und in meiner Nähe auf jemanden warten.

Und mir kommt die Erinnerung an die Tage der Baumwollernte in unserem Dorf.


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Ali Bakir kam gegen zehn Uhr morgens. Wir gingen zusammen in meine Wohnung in der Lido-Straße in Mazarita. Safejja hatte sich schon umgezogen. Wir machten uns dann gemeinsam auf den Weg ins Kino Metro. Um ein Uhr mittags kamen wir aus der Vorstellung. Die beiden gingen vorauf in die Wohnung, während ich noch im High-Life eine Flasche Zypernwein kaufte.

Wieder sah ich die Fellachin. Sie stand im Laden und kaufte ein. Das schien mir so schön wie eine zärtliche Liebkosung im Traum oder das Lächeln des Glücks. Irgendwie spürte sie, daß ich hinter ihr stand. Fragend wandte sie sich um und schaute in mein glückliches Gesicht. Als sie sich wieder nach vorn gedreht hatte, sah ich in einem Spiegel inmitten von Weinflaschen ein Lächeln ihre Lippen umspielen. Wie in einem Tagtraum erblickte ich mich selbst als Bewohner der Pension, dort Liebe und Wärme genießend. Sie hatte sich in mein Herz geschlichen und es in solche Erregung versetzt, wie das bisher nur ein Mal in meinem Leben geschehen war, in der Zeit meines Studiums an der Handelsfakultät. Dieses Lächeln war klar wie die Sonne an einem strahlenden Tag. Eine Fellachin, fern ihrem Dorf, fremd in der Pension, fremd wie ein Hund, der sich verirrt hat und getreu seinen Herrn sucht.

Als wir gleichzeitig den Laden verließen, sagte ich zu ihr: »Wäre jetzt nicht heller Tag, so würde ich Ihnen anbieten, Sie nach Hause zu begleiten.«

Sie zog spöttisch die Augenbrauen zusammen und entgegnete, ohne wirklich ärgerlich zu werden: »Sehr freundlich von Ihnen!«

Ich träumte glückliche Träume, die von den Düften des Rif und jungfräulicher Liebe erfüllt waren.


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Ali Bakir hockte auf einem Sitzkissen in dem Zimmer, das wir mit Polstern rings an den Wänden ausgestattet hatten, während Safejja in der Küche das Essen vorbereitete. Ich warf mich auf das Polster neben ihn, stellte die Flasche vor mich hin und stieß hervor: »Die Hölle — das ist die endgültige wissenschaftliche Definition für die jüngste Entwicklung der Preise!«

Er packte mich am Unterarm und fragte: »Hast du jetzt die dringendsten Einkäufe für deine Geschwister zum neuen Schuljahr hinter dir?«

»Ja, ich habe sie erledigt, aber ich bin nicht gerade friedfertig gestimmt!« Ich hatte ihm irgendwann einmal erzählt, daß ich zugunsten meiner Mutter und meiner Geschwister auf die Einkünfte aus meinem Erbteil verzichtet hatte, das aus vier Feddan Acker bestand. Doch was war das schon?

»Du stehst am Beginn deines Lebens und hast eine glänzende Zukunft vor dir«, versuchte er mich zu ermutigen.

»Sprich mir lieber von der Gegenwart«, gab ich verärgert zurück, »und sag mir, was das Leben ohne ein eigenes Haus, ein Auto und eine schöne Frau für einen Sinn hat!«

Ali Bakir lachte zustimmend. Safejja, die meine Worte gehört hatte, als sie mit dem Tablett hereinkam, warf mir einen wütenden Blick zu und äußerte ihren Ärger gegenüber dem Ingenieur: »In Wirklichkeit fehlt ihm gar nichts, aber er ist eben ein undankbarer Kerl!«

»Bis jetzt habe ich es nur bis zu dieser Frau gebracht«, schränkte ich ein.

Safejja klagte: »Wir leben nun schon seit mehr als einem Jahr zusammen. Ich war fest entschlossen, ihm Sparsamkeit beizubringen, aber statt dessen hat er mich in seine Verschwendungssucht hineingerissen!«

Wir aßen, tranken und legten uns danach schlafen.

Kurz vor Sonnenuntergang verließen wir zu dritt die Wohnung. Safejja ging ins Genevoise, Ali Bakir und ich begaben uns zum Cafe de la Paix. Während wir unseren Kaffee tranken, fragte er mich: »Ist sie denn immer noch darauf aus, dich zu heiraten?«

»Sie ist eben verrückt… Was kann man von einer Verrückten schon anderes erwarten?«

»Ich fürchte…«

»Sie trägt ihren Kopf höher als ich meinen. Außerdem langweilt sie mich entsetzlich.«

Durch die Scheiben sahen wir auf einen wundervollen Abend. Ich fühlte Ali Bakirs Blick auf mir ruhen, tat aber so, als merkte ich das nicht, denn ich ahnte eine Gefahr auf mich zukommen.

»Laß uns im Ernst miteinander reden!« forderte er mich auf.

Ich schaute ihn an. Wir saßen einander gegenüber. Es gab jetzt keine Ausflüchte, kein Entweichen. »Ja, laß uns das tun!« pflichtete ich ihm bei.

»Okay, wir haben den Plan in allen Details geprüft.« Mir krampfte sich das Herz zusammen. Ergeben, aber voller Besorgnis und innerer Unruhe sah ich ihn an.

»Ich bin der zuständige Ingenieur, und du bist der Verantwortliche für die Rechnungen der Abteilung. Auf den LKW-Fahrer können wir bauen, ebenso auf den Wachposten. Wir werden also die Mannschaft auf den Koran vereidigen!«

Unwillkürlich mußte ich lachen. Er schaute mich fragend an. Dann wurde ihm klar, daß er unabsichtlich einen Witz gemacht hatte, und stimmte in mein Lachen ein. Er runzelte die Stirn und bekräftigte: »So soll's geschehen! Es ist einfach Geld, das niemandem gehört. Stell dir vor, was ein LKW voll Garn auf dem schwarzen Markt einbringt! Das ist eine ganz sichere Sache, und wir können sie viermal im Monat steigen lassen!«

Ich überlegte und kam ins Träumen.

»Mit legalen Unternehmungen zu Geld kommen zu wollen, ist reine Utopie, glaub mir! Gehaltserhöhungen und Zulagen und was weiter? Was kostet heute ein Ei, was ein Anzug? Und du redest gar von einem eigenen Haus, einem Auto und einer schönen Frau! Okay! Opfere dich nur auf! Du bist zum Mitglied in der ASU-Grundeinheit[62] gewählt worden, und? Was hat es dir eingebracht? Du bist auch Mitglied im Verwaltungsrat, und? Was hat es dir genützt? Du hast dich aus freien Stücken darum bemüht, den Arbeitern bei ihren Problemen zu helfen, und? Haben sie dir vielleicht die Wege zum Paradies geebnet zum Dank? Die Preise steigen, die Gehälter bleiben gleich, und unser Leben verrinnt. Okay! Was machen wir falsch? Wie konnte das alles geschehen? Sind wir vielleicht Versuchskaninchen? Mein Lieber, leg mich in die Gebetsrichtung, und sarg mich ein!«

Mir kam meine eigene Stimme wie die eines Fremden vor, als ich ihn fragte: »Und, wann fangen wir an?«

»Erst in zwei oder drei Monaten. Wir müssen alles sehr gründlich planen. Dann werden wir aber später auch ein Leben haben wie der unvergeßliche Harun al-Raschid!«

Obwohl mein innerer Widerstand längst zusammengebrochen war, machte ich mir große Sorgen. Er schaute mich prüfend an und fragte: »Na, was ist los?«

Ich mußte lachen, lachen, bis mir die Tränen kamen. Er starrte mich die ganze Zeit mit kühl fragendem, festem Blick an. Ich neigte mich über den Tisch zu ihm hinüber und flüsterte: »Okay, lieber Kollege!« Er drückte mir die Hand und ging. Ich blieb mit reichlich widersprüchlichen Empfindungen allein zurück.

Mir fiel etwas ein, was noch nicht allzu lange zurücklag. Machmud Abul-Abbas hatte mir gesagt: »Ustas, ich werde Sie bald einmal bitten, daß Sie mir mit Ihren Erfahrungen behilflich sind!« Auf meine Frage, worum es gehe, informierte er mich: »Ich werde — inschaallah[63] — das Restaurant von Panioti kaufen, wenn der beschließt, ins Ausland zu gehen.«

Ich war ehrlich verblüfft, schaute auf seine Auslagen voller Bücher, Zeitschriften und Zeitungen. Hatte ihm das wirklich so viel eingebracht, daß er das Restaurant Panioti kaufen konnte?

»Was wollen Sie denn von mir wissen?« fragte ich ihn. »Schließlich verstehe ich von Speisen nur so viel, daß sie zum Essen da sind!«

»Ich werde Sie bitten, daß Sie mir bei der Abrechnung helfen!«

Ich sagte ihm meine Hilfe zu. Dann kam mir der Gedanke, meine Feddan Acker zu verkaufen und sein Teilhaber zu werden. »Vielleicht brauchen Sie ja einen, der mitmacht?« fragte ich ihn.

»Nein!« entgegnete er mit sichtlichem Widerwillen. »Ich halte nichts von Teilhaberschaft! Ich möchte schließlich nicht, daß das Restaurant so groß wird, daß der Staat darauf aufmerksam wird!«


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Ich ging zum Hauptgebäude der ASU zu einem Vortrag über den schwarzen Markt, dem eine öffentliche Diskussion folgte. Als die Versammlung zu Ende war und ich mich schon auf dem Weg zum Ausgang befand, hörte ich, wie jemand nach mir rief. Ich blieb im dichten Gedränge stehen, blickte mich um und sah Rafat Amin auf mich zukommen. Seit unserer gemeinsamen Studienzeit an der Universität waren wir uns nicht mehr begegnet. Wir schüttelten uns herzlich die Hände und gingen mit der Menschenmenge hinaus. Er erzählte mir, er habe an der Versammlung teilgenommen, weil er — wie ich auch -Mitglied einer Grundeinheit sei, nämlich der der Vereinigten Grubengesellschaft. Wir spazierten zur Corniche, denn es war ein herrlicher Abend. Als wir endlich allein oder doch fast allein waren, konnten wir uns vor Lachen kaum noch halten. Wir lachten ohne äußeren Anlaß, lediglich aufgrund unserer gemeinsamen Erinnerungen, die wir nie vergessen werden, gemeinsamer sozialer Erfahrungen, die wir Seite an Seite gemacht hatten. Gemeinsam hatten wir Beifall zu Reden geklatscht, gemeinsam Begeisterungsrufe ausgestoßen. Das war zu jener Zeit, als wir beide Mitglied im Wafd-Komitee der Studenten an der Fakultät waren. Weißt du noch… ? Natürlich, wer könnte das vergessen? Damals waren wir Feinde des Staates. Ja! Aber heute sind wir der Staat. Auf diese Weise sprangen wir in unserem Gespräch zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her.

Schließlich meinte ich: »Ich kann nicht glauben, daß du, ausgerechnet du, dich heute so ganz von deinem Wafd-Denken gelöst haben solltest!«

Wieder lachte er auf und entgegnete: »Du dagegen warst nie ein richtiger Wafdist! Du hast später bloß eine Parteizugehörigkeit gegen die andere eingetauscht, und wer damit den Anfang macht, wie du, ist besonders charakterlos!« Dann stieß er mich mit dem Ellenbogen an und wollte wissen: »Bist du denn nun wenigstens heute ein aufrichtiger Sozialist?«

»Aber natürlich!«

»Und warum bitte?«

»Es gibt Faktoren bei der Revolution, mit denen sich selbst ein Blinder einverstanden erklären muß!«

»Und ein Sehender?«

»Ich meine, was ich sage!« entgegnete ich ernsthaft.

»So bist du also ein sozialistischer Revolutionär?«

»Ohne jeden Zweifel!«

»Na, dann herzlichen Glückwunsch! Und jetzt sag mir lieber, wo wir die heutige Nacht verbringen wollen!«

Ich lud ihn ins Genevoise ein, und wir blieben bis Mitternacht dort. Ich wollte auf Safejja warten, aber sie ließ mir ausrichten, sie sei von einem libyschen Kunden gebeten worden, mit ihm zu kommen.


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Ich kam aus dem Strand-Kino, als ich die niedliche Fellachin wiedersah. Sie kam mit einer alten Griechin aus der Safejja-Zaghlul-Straße, hübsch, braunhäutig, voll jugendlicher Frische, kurz, bezaubernd anzusehen. Auf dem Bürgersteig drängten sich die Menschen. Ein belebender Wind wehte den Duft des Meeres herüber. Die Himmelskuppel war von einer dicken Aureole aus gekrempelter Baumwolle umrankt, die alles in ein schläfriges Weiß tauchte, sanft wie ein Herz voller Wohlgefallen. Die beiden Frauen bahnten sich ihren Weg durch die Menge, und ich trat einen Schritt zurück, um ihnen mehr Platz zu verschaffen. Dabei grüßte ich kurz mit den Augen. Sie lächelte verhalten zurück. So begegnete sie mir also mit einem verhaltenen Lächeln! Ich konnte mir sagen, daß das Wild ins Netz gegangen war, und das machte mich so glücklich, war so schön wie der angenehm knackige Geschmack von zarten jungen Bohnen, die eben aus frisch begrünter Erde geerntet wurden.


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Als ich meinen Nachmittagskaffee trank, schaute ich sie verstohlen an. Ihre Augen waren vom tiefen Schlaf noch rot und verquollen, ihre dicken Lippen standen offen. Sie war wie üblich so abstoßend häßlich und ungepflegt, wie sie nur sein konnte, und sie hatte keinerlei Ahnung, was ich mit ihr vorhatte.

»Safejja«, sagte ich mit falschem Bedauern. Sie schaute mich fragend an, und ich fuhr fort: »Es sind absurde Umstände eingetreten, aber wir müssen mit ihnen gemeinsam fertig werden!«

In ihre Augen trat ein vorsichtiger Blick. Sie nickte mit dem Kopf zum Zeichen dafür, daß ich erklären sollte, worum es gehe.

»Wir müssen unsere Lebensweise ändern, ich meine die Tatsache, daß wir eine Wohnung miteinander teilen.«

Sie zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen und wirkte kampfbereit.

Ich fuhr fort: »Es ist wirklich katastrophal, ganz katastrophal im Hinblick auf die kritische Wohnungslage. Aber ein Kollege in der Gesellschaft hat mir einen Wink gegeben. Ich habe dir einmal von der Kontrolle der Verwaltungsbehörden erzählt. Meine Zukunft interessiert dich zweifellos genauso, wie sie mich interessiert!«

»Aber wir leben jetzt ungefähr eineinhalb Jahre zusammen!« protestierte sie ärgerlich.

»Es waren die glücklichsten Jahre meines Lebens, und von mir aus hätten sie ewig dauern können, ohne daß jemand davon erfahren hätte.« Ich schaute auf den Boden der Tasse, als wollte ich aus dem Kaffeesatz die Zukunft vorhersagen, und erklärte dann: »Aber ich habe Pech gehabt. Ich werde wieder in eine unordentliche Junggesellenbude zurückkehren oder vielleicht gezwungen sein, in ein billiges Hotel oder eine Pension zu ziehen, in der man ständig gestört wird.«

Sie stieß heftig die Luft aus und schimpfte: »Es gäbe eine Lösung, natürlich gäbe es eine, aber du bist so ein jämmerlicher Mistkerl!«

»Ich bin ein ehrlicher und offener Mann. Ich liebe dich wirklich und werde dich immer lieben, aber ich habe dir vom ersten Tag an gesagt, daß ich für die Ehe nicht geschaffen bin!«

»Weil du keinerlei Anstand und Gefühl besitzt!«

»Wenn du das findest, ist es auch sinnlos, daß wir wieder einmal eine dieser Debatten austragen, die ohnehin zu nichts führen!«

»Du willst mich also verlassen?« fragte sie und schaute mich so prüfend an, als wollte sie mir auf den Grund der Seele sehen.

»Safejja«, schnitt ich ihr das Wort ab, »wenn ich wirklich die Absicht hätte, dich zu verlassen, dann hätte ich das in aller Offenheit gesagt und wäre gegangen.«

Sie war verärgert, und man sah es ihr an. Ihre Verdrossenheit machte sie noch häßlicher. Ich wünschte mir nur, daß sie mich so haßte und verabscheute, daß jeder von uns seiner Wege gehen konnte.

Ich sagte mir, daß beim Jüngsten Gericht unsere Waagschalen einander mit Sicherheit aufwiegen würden. Wir hatten unser Leben tatsächlich miteinander geteilt. Sie hatte mir allerdings hin und wieder Geschenke überreicht, die ich — aufgrund meiner besonderen Situation — nicht hatte erwidern können. Es gibt andere, die nutzen ihre Geliebte schamlos aus. Ich dagegen bin es nur überhaupt nicht gewohnt, für Frauen Geld auszugeben.

Jedenfalls bin ich darauf eingestellt, daß es zum Schluß noch zu einer heftigen Auseinandersetzung kommen wird. So etwas habe ich schon mehr als einmal erlebt. Ich hatte mich damals an der Fakultät verliebt, aber ich war leider zu spät gekommen. Und dann war die Chance verpaßt. Es war eine wirkliche Chance gewesen. Sie war hübsch, ein Mädchen mit Zukunftsaussichten, war die Tochter eines Arztes, dem die Gelder der Kranken nur so zuströmten. Aber was nutzt schon das Wörtchen »wenn«?

Und nun schlug mir das Herz wieder schneller. Ja, ich hatte mich in die Fellachin verliebt. Aber es war ein rein körperliches Verlangen, ähnlich dem, das mich damals zu Safejja ins Genevoise getrieben hatte.


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»Ich brauche ein Zimmer für länger!«

Mich trifft ein zufriedener Blick aus neugierigen blauen Augen, dann lehnt sie sich in dem Kanapee unter dem Jungfrauenbild zurück. In ihren Bewegungen liegt eine Anmut, die ihr wohl aus besseren Zeiten geblieben ist. Ihr goldblond gefärbtes Haar zeigt, daß sie sich an diese Zeiten klammern will. Mit unverblümtem Geschäftssinn feilscht sie mit mir um den Preis und betont, daß die Zimmer im Sommer teurer seien.

»Aber sind Sie denn jetzt erst nach Alexandria gekommen?«

Das ist keine Frage, die ganz nebenbei gestellt wird, sondern leitet ein längeres Verhör ein. Um mich mit ihr auf guten Fuß zu stellen, gehe ich darauf ein und lege ein Geständnis über meine Arbeit, mein Alter, meinen Heimatort, meine soziale Position ab. Währenddessen kommt die Fellachin von einem Gang zurück. Sie sieht mich und schaut zu Boden. Mit einem Blick hat sie die Situation erkannt. Im Hinausgehen stolpert sie vor Verlegenheit. Aber natürlich bemerkt Madame ihre Verlegenheit ebensowenig, wie daß sie vor Scham rot geworden ist. Als sie mich ins Zimmer führt, das letzte freie Zimmer mit Blick zur Straße, sind wir zwei Freunde, die sich schon sehr lange kennen.


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Befriedigt inspiziere ich das Zimmer und setze mich dann guter Dinge in den großen Sessel. Während ich dort sitze, erfahre ich auch den Namen der Fellachin, ohne nach ihm gefragt zu haben, denn sie wird gerade gerufen. Bald darauf kommt sie mit Bettüchern und Decken in mein Zimmer, um mein Bett zurechtzumachen. Ich beobachte sie glücklich und betrachte voller Neugier und Verlangen ihr Haar, ihre Gesichtszüge, ihre Figur. Beim heiligen Abul-Abbas, das Mädchen ist wirklich hübsch, mehr noch, bezaubernd. Und sie besitzt Charakter! Sie will mich heimlich ansehen, aber ich nehme mich vor ihr in acht.

»Ich bin so glücklich, Zuchra«, lächle ich ihr zu. Sie arbeitet weiter, als habe sie mich gar nicht gehört.

»Gott schenke dir ein langes Leben! Ich fühle mich wieder ins Rif zurückversetzt, aus dem ich hierher gekommen bin.« Da sie lächelt, fahre ich fort: »Gestatte, Zuchra, mein Name ist Sarhan al-Buheri!«

Nun kann sie sich nicht mehr beherrschen: »Buheri?« fragt sie.

»Aus Firqasa in al-Buhera.«

Sie unterdrückt ein Lachen: »Und ich bin aus al-Zijadijja!«

»Mein Gott, wie schön!« rufe ich enthusiastisch, als sei die gemeinsame Herkunft aus ein und demselben Gouvernorat ein Wunder, geeignet, mir mein Glück und meine Liebe zu garantieren.

Sie ist fertig und will das Zimmer verlassen, aber ich bitte sie: »Bleib noch ein bißchen, ich möchte dir noch sehr viel sagen!«

Sie wehrt jedoch mit einer unschuldig-koketten Kopfbewegung ab und geht. Ich bin glücklich darüber, daß sie meiner Bitte nicht entsprochen hat, denn ich halte das für eine »Sonderleistung«, die einem gewöhnlichen »Kunden« nicht zuteil geworden wäre. Ja, sie ist eine reife Frucht, die ich nur zu pflücken brauche. Aber ihr Leib ist noch unschuldig, wie mir scheint, und ich weiß nicht, wie ich ihn vorbereiten soll. Ich liebe sie und will sie besitzen. Wenn wir doch in einer gemeinsamen Wohnung lebten, fern von dieser Pension, in der ständig irgendein Störenfried auftaucht!


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Am Frühstückstisch lerne ich zwei seltsame alte Männer kennen. Der Altere von beiden ist ein lebender Leichnam, eine Mumie, aber doch von einer gewissen Fröhlichkeit. Es heißt, er sei früher Journalist gewesen. Der andere ist Tolba Marzuq. Sein Name war mir nicht unbekannt, auch wenn ich mich nicht gleich an ihn erinnerte. Er war unter denen, deren Besitz seinerzeit sequestriert wurde. Was ihn wohl in diese Pension geführt hat? Er vor allem macht mich neugierig, denn alles Ausgefallene ist aufregend, ob nun ein Verbrecher, ein Wahnsinniger, einer, der verurteilt oder einer, dessen Vermögen sequestriert wurde. Außerdem gehört er zu der Klasse, die wir irgendwie beerben müssen. Jetzt schaut er intensiv in sein Teeglas, vermeidet es, mich anzusehen, sei es aus Vorsicht, sei es aus Stolz. Meine Gefühle ihm gegenüber sind widersprüchlich, schwanken zwischen Mitleid und Schadenfreude. Etwas kristallisiert sich jedoch sehr deutlich heraus: Eine seltsame Furcht vor dem Gedanken an die Sequestrierung von Vermögen. Als ob ich glaubte, daß, wer einmal tötet, sich an das Töten gewöhnt und es immer wieder tut.

Amir Wagdi, der Journalist, will mir etwas Nettes sagen. »Es freut mich, daß Sie ein Ökonom sind. Ökonomen und Ingenieure sind heute die wichtigste Stütze des Staates!«

Ich denke an Ali Bakir und bin nicht sehr glücklich über dieses Kompliment.

»Zu unserer Zeit«, fährt der alte Mann fort, »stützte er sich vor allem auf die Redekunst der Rhetoriker.«

Ich lache spöttisch und meine, damit zu zeigen, daß ich derselben Ansicht bin wie er, aber er scheint eher verärgert. Dann wird mir klar, daß er nicht kritisieren, sondern eine historische Tatsache darlegen wollte. Er fährt fort, seine Generation verteidigend: »Mein lieber Sohn, unser Ziel war es damals, das Volk aus seinem Schlaf aufzuwecken, und Völker erwachen durch Worte, nicht durch Ingenieure oder Ökonomen.«

Schnell stecke ich zurück und sage entschuldigend: »Wenn Ihre Generation nicht ihre Pflicht erfüllt hätte, so könnte die unsere gar nicht existieren!«

Tolba Marzuq schweigt beharrlich.


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Mein Herz gewinnt seine Unschuld und Jugendlichkeit zurück. Es wird so frisch wie dieser helle Morgen, wie dieses reine Meeresblau, diese gesegnete Wärme. Lebensfreude durchpulst mich, wenn ich Atem hole, rinnt mir durch die Adern, erfüllt mich mit innerer Fröhlichkeit und mit Verlangen. Ich verbringe einen angenehmen Arbeitstag in der Gesellschaft und nehme dann das Abendessen mit Safejja in der alten Wohnung ein. Sie schaut mich durchdringend an. Ich tarne mich mit der Maske des Unglücklichen und beklage mich bei ihr darüber, wie scheußlich, kalt und ungemütlich die Pension ist. Ein unerträgliches Leben, meine Liebe. Und deswegen habe ich einen Makler beauftragt, mir eine Wohnung zu suchen.

Ich höre die altbekannte Litanei. Elender Feigling, Mistkerl. Nach dem Essen, als wir uns wie üblich hinlegen wollen, frage ich mich, wann ich mich endlich von dieser Fron befreien werde.

Ich beobachte Zuchra, die Amir Wagdi den Kaffee ins Zimmer bringt. Die große Uhr schlägt fünf Uhr nachmittags, und ich bestelle eine Tasse Tee. Sie bringt sie mir und stimmt mich glücklich wie eine blühende Narzisse oder ein liebliches Lied mit ihrem schwarzen Haar, ihrer frischen braunen Haut und ihren braunen Augen. Als ich nach dem Tee greife, berühre ich ihre Hand und sage leise: »Deinetwegen habe ich mich in das Gefängnis dieses Zimmers begeben!«

Sie zieht die Augenbrauen zusammen, um ihre Gefühle zu verbergen, wendet sich dann ab und will hinausgehen. Bevor sie meinen Blicken entschwindet, sage ich: »Ich liebe dich, vergiß das nie!«

Aber erst am nächsten Nachmittag antwortet sie mir. Ich will soviel wie möglich von ihr wissen. So frage ich sie, was sie eigentlich aus al-Zijadijja hierhergeführt habe.

»Ich muß ja schließlich meinen Lebensunterhalt verdienen«, entgegnet sie in dem mir so vertrauten Tonfall der Rif-Bewohner. Dann erzählt sie von ihrer Familie, berichtet, warum sie von zu Hause geflohen sei und wie sie bei Madame Zuflucht gesucht habe, indem sie ihr ins Gedächtnis rief, wer ihr Vater war.

Mitleidig wende ich ein: »Aber sie gehört zu den Khawaga, und die Pension ist, das weißt du selbst am besten, wie ein Suk, auf dem Waren angeboten und erfeilscht werden.«

»Ich kenne mich auf dem Suk ebensogut aus wie auf dem Feld!« betont sie voller Stolz und Selbstvertrauen. Sie hat ihre Erfahrungen im Leben gemacht und ist nicht so leicht aus der Bahn zu werfen. Aber kann ich ihr die Geschichte überhaupt so glauben? Mädchen, die vom Dorf in die Stadt fliehen, tun das doch nur, weil sie…

»Das alles ist sicher nur geschehen, damit wir uns hier begegnen!« sage ich und schaue sie verliebt an.

Sie mißt mich mit einem fragenden Blick, voller Zweifel und doch voll unverhohlener Zuneigung.

»Ich liebe dich«, bekräftige ich, »das kann ich dir nicht oft genug sagen, Zuchra!«

»Hören Sie endlich damit auf!«

»Ich werde nicht eher damit aufhören, als bis du mir das gleiche sagst und dich vertrauensvoll in meine Arme schmiegst!«

»Daran denken Sie also!«

»Ich finde an nichts mehr Freude, bevor mir das nicht vergönnt ist!«

Als sie hinausgeht, ist ihr Gesicht klar, ohne jede Spur von Verdruß oder gar Zorn. Ich gratuliere mir, daß ich erreicht habe, was ich wollte. Außerdem wird mir klar, daß mich meine alte Sehnsucht zu heiraten wieder befallen hat. Es ist wirklich eine alte Sehnsucht, die wieder aufgebrochen ist, heftig, wie eine Quelle, deren lebhaft sprudelndes Wasser sich gegen alle Widerstände seinen Weg sucht. Ich wünschte von ganzem Herzen, Zuchra, wenn nicht… Ja, wenn nicht! Diese gottverdammt blöden, tödlichen Binsenwahrheiten!


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Zwei weitere junge Männer sind hinzugekommen: Husni Allam und Mansur Bahi. Ich trachte danach, sie kennenzulernen, denn ich habe eine Art Jäger- und Sammlerinstinkt, wenn es darum geht, neue Bekannte und Freunde zu erwerben, der mich jedes neue Gesicht voller Erwartung anschauen läßt. Zudem stammt Husni Allam aus einer alten, angesehenen Familie in Tanta. Er ist stolzer Besitzer von hundert Feddan Acker, hat ein hübsches Gesicht, einen kräftigen Körperbau, ist also das, was ein jeder von uns sich wünschte zu sein. Ich verabscheue seine Klasse, aber ich bin von jedem entzückt, der zu ihr gehört und den mir besondere Umstände über den Weg führen. Jeder kann sich ausmalen, wie ein junger Mann wie er leben kann, obwohl die Zeiten andere geworden sind. Und wenn er so großzügig ist, wie es sich für seinesgleichen nun einmal gehört, dann werden wir wohl zahllose herrliche Nächte miteinander verbringen!

Mansur Bahi ist von ganz anderer Art: Rundfunksprecher beim Sender Alexandria und Bruder eines hohen Offiziers aus dem Sicherheitsdienst. Auch das ist schön und vorteilhaft. Aber er wirkt ungewöhnlich introvertiert. Er macht den Eindruck einer edlen Statue, von einem Bildhauer gefertigt, und hat so unschuldige Gesichtszüge, wie man sie eigentlich nur bei einem Kind findet. Wo ist der Schlüssel zu seiner Seele, wo der Zugang zu dem schmalen, verwinkelten Gäßchen, das zu seinem Herzen führt? Wie viele kommen vom Dorf in die Stadt auf der Suche nach Arbeit, und wie zahlreich sind die Schwierigkeiten, die man nur mit der Hilfe eines hohen Offiziers aus dem Sicherheitsdienst überwinden kann!


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Plötzlich greife ich nach ihrem Arm. Ich warte, bis sie das Glas Tee auf den Tisch gestellt hat, greife plötzlich nach ihrem Arm. Sie verliert das Gleichgewicht und fällt mir, der ich im großen Sessel sitze, auf den Schoß. Ich umarme und küsse sie auf die Wange — die sie mir zugewandt hält — und gebe ihr einen raschen, nervösen, gierigen Kuß auf den Mund. Sie stemmt sich mit beiden Händen kräftig gegen meinen Arm, reißt sich dann von mir los, steht auf und tritt ärgerlich einige Schritte zurück. Gespannt und vorsichtig blicke ich zu ihr auf und lächle ihr dann besänftigend zu. Sie wirkt sehr gelassen. Dann entspannt sich ihr Gesicht, wird klar wie das Meer an einem ruhigen Herbstmorgen. Ich bedeute ihr, sie solle doch wieder zu mir kommen, aber sie tut es nicht, geht jedoch auch nicht aus dem Zimmer. Wie in einem Fieberwahn springe ich auf sie zu und reiße sie in wahnwitzigem Verlangen an mich, ohne daß sie nennenswerten Widerstand leistet. Dann begegnen sich unsere Lippen in einem langen, hungrigen Kuß.

Ich spüre den Duft ihres Haars und flüstere ihr zu: »Komm doch heute nacht zu mir!«

»Was wollen Sie denn von mir?« Sie sieht mich aufmerksam prüfend an.

»Dich will ich, Zuchra, dich!« Ich beobachte, wie sie ernst und nachdenklich wird, und frage: »Wirst du kommen?«

Bitter fragt sie zurück: »Was wollen Sie denn wirklich von mir?«

Langsam erwache ich aus meiner Erregung und antworte vorsichtig: »Wir reden miteinander und lieben uns!«

»Aber das tun wir doch jetzt schon!«

»In einer Eile und Angst, die keinerlei Freude aufkommen lassen!«

»Mir gefällt nicht, was Sie von mir denken!«

»Du verstehst mich falsch!«

Sie schüttelt den Kopf, als wolle sie mir sagen, daß sie mich durchaus richtig verstanden hat. Dann geht sie hinaus und lächelt trotz allem.

Kummer überkommt mich. Seufzend sage ich mir: Wenn sie doch aus einer guten Familie stammte, wenn sie gebildet wäre oder Geld hätte! Ich muß mir mit einer Flut von Schimpfworten Luft machen.


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Es ist die Nacht mit Umm Kulthum.

Ich hätte sie von meiner Stimmung her am liebsten im Haus von Ali Bakir verbracht, denn dort hätten wir uns in einer angenehmen, ruhigen Atmosphäre zusammengefunden, um zu lauschen. Auch Raf at Amin hatte mich eingeladen, zu ihm zu kommen. Aber nach einigem Nachdenken entschließe ich mich, die Nacht in der Pension zu verbringen, um die anderen Gäste besser kennenzulernen. Ich erblicke eine große Platte mit gebratenem Fleisch und trinke schnell, um Mut für den Überfall zu fassen, der unausweichlich wird. Es herrscht eine geradezu märchenhafte Atmosphäre. Ich trage die Mär von der »Familie al-Buheri« und allerlei über meine Position als Prokurist vor, nicht nur aus gespieltem Stolz, sondern auch in Erwartung der Reichtümer, die fließen werden, wenn Ali Bakir sein Abenteuer glücklich hinter sich gebracht hat. Gespräche über Politik brechen über uns herein wie das unabänderliche Schicksal. Haben Sie schon gehört…? Was sagen Sie zu…? Wollen Sie meine Meinung wissen, in aller Offenheit? Instinktiv begreife ich, daß ich die Revolution zu repräsentieren habe, möglicherweise gemeinsam mit Mansur. Es regnet Lobpreisungen, und wir prosten uns gegenseitig zu. Ich beobachte Zuchra und sage mir, daß eigentlich sie zuallererst die Revolution zu repräsentieren hätte, denn mir fällt ein, wie sie sie einmal in meiner Gegenwart gerühmt hat und wie mich die Ehrlichkeit und die unschuldige Begeisterung in ihren Worten faszinierten. Mansur Bahis Zweifel an meiner Aufrichtigkeit sind unverkennbar. Mein Lieber, begreif doch: Ich bin von Natur aus ein Feind der Feinde der Revolution. Ich gehöre zu denen, denen sie Segnungen verheißt, versteh doch!


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»Es sind ebensoviele Türen zugeschlagen worden wie neue geöffnet wurden!«

»Denk einmal an die Volksmassen, dann urteile von neuem!«

»Einverstanden, aber was meinst du zu den Habgierigen, die aus allem ihren Nutzen gezogen haben?«

»Ich meine, daß sie in Wirklichkeit Feinde der Revolution sind und daß man nicht von ihnen auf die Revolution schließen darf!«


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Madame Mariana habe ich liebgewonnen. Nicht nur, weil sie unsere Lieder mag, sondern auch weil sie geistreich und witzig ist, weil sie — wie ein Tonband — ihre Lebenserinnerungen, gewürzt mit Ursehnsucht nach Griechenland, vor uns abspielt. Ihre Erinnerungen machten mir manches in meinem eigenen Leben klarer, ihre Geschichten über ihre alte Liebe etwa oder ihre Vorliebe für ein üppiges, angenehmes Leben. Sie stammt eigentlich aus einer Emigrantenfamilie. Und Emigranten sehen ihr Vaterland überall da, wo ihnen ein angenehmes Leben in Wohlstand sicher ist.

Amir Wagdi ist im Grunde ein Denkmal, das Mansur Bahi entdeckt hat, ein Denkmal aus einer höchst faszinierenden Periode unserer Geschichte, von der wir kaum etwas wissen.

Als Tolba Marzuq die Errungenschaften der Revolution preist, preise ich im stillen seine äußerst amüsante Heuchelei. Ich begnüge mich mit der Einsicht, daß der Mensch trotz all seiner Erfindungsgabe und seiner Siege bis über beide Ohren in Dummheit steckt. Vielleicht wäre es recht nützlich, wenn wir Leute, die miteinander verfeindet sind, immer wieder einmal zusammennähmen, damit sie gemeinsam eine lange Nacht verbringen und miteinander trinken, fröhlich sind und hübschen Liedern lauschen.


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»So glaubst du also nicht an Paradies und Hölle?«

»Das Paradies ist der Ort, wo der Mensch Sicherheit und Würde genießen kann, die Hölle ist dort, wo er beides nicht findet!«


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Wenn Mansur über meine Witze lacht, wirkt er wie ein goldiges Kind, und dann verspüre ich die Hoffnung, daß ich den Weg zu seinem Herzen doch noch entdecken werde und daß uns am Ende dieser Nacht eine innige Freundschaft verbindet. Husni Allam dagegen! Es lebe Husm Allam! Er hat zu diesem Abend mit zwei Flaschen Dewarts beigetragen. Er thront in seinem Sessel wie ein Gemeindevorsteher, füllt die Gläser und verteilt sie und lacht immer wieder schallend. Als er kurz nach Mitternacht plötzlich verschwindet, ist das für unsere Runde ein schwerer Verlust.

Ich kann mich an Umm Kulthum und ihren Liedern gar nicht wie sonst erfreuen, singe auch keine Liedverse mit wie an anderen Abenden. Mein Rausch und meine Freude entzünden sich vielmehr nur an Zuchra, ob sie gerade kommt oder geht oder neben dem Wandschirm sitzt und lächelnd über unsere Ausgelassenheit staunt. Mit unseren Blicken umarmen wir uns verstohlen, tauschen schwermütige Küsse miteinander.


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Diesen Mann habe ich doch schon gesehen! Er geht von der Saad-Zaghlul-Straße her auf das Trianon zu, ich komme vom Platz her. Dann plötzlich erkenne ich ihn, es ist Tolba Marzuq. Ich sehe ihn jetzt zum ersten Mal in Straßenkleidung, in seinen dicken Mantel gehüllt, mit einer Kufijja um den Hals und einem dunkelroten Tarbusch[64] auf dem Kopf. Ich schüttle ihm ehrerbietig die Hand und lade ihn zu einer Tasse Kaffee ein. Er gibt meinem Drängen nach, und wir setzen uns an einen Tisch hinter die geschlossene große Scheibe, die auf das Meer geht. Der Wind spielt mit den Blättern der Palmen, die rund um das Denkmal von Saad Zaghlul stehen, und die Sonne läßt die Ränder der zarten Wölkchen am Himmel diamanten schimmern. Wir unterhalten uns über Alltägliches, Belangloses, Langweiliges, aber ich bin die ganze Zeit darauf bedacht, ihm meine Verehrung und Sympathie zu zeigen, ihm zu schmeicheln. Etwas in mir sagt mir, daß er nicht ganz mit leeren Händen dastehen kann. Natürlich, es muß ja Wege geben, etwas zu retten. Vielleicht möchte er sogar den Rest seines Besitzes nutzbringend anlegen, aber Angst hemmt ihn.

So komme ich auf die Lebenshaltungskosten zu sprechen: »Es ist geradezu absurd, wenn ein junger Mann wie ich heute nur von seinem Gehalt leben soll!«

»Was muß er also tun?«

Ich sage leise, als ob ich ihm mein Geheimnis anvertrauen wolle: »Ein kommerzielles Projekt, das ist das, woran ich denke.«

»Und woher haben Sie das Geld dafür?«

Ich tarne mich mit einem unschuldigen Lächeln: »Ich verkaufe einige Fe d-dan Acker und suche mir dann einen Teilhaber.«

»Aber können Sie denn Ihren Beruf und ein kommerzielles Projekt gleichzeitig betreiben?«

»Das Projekt muß ein Geheimnis bleiben!« lache ich.

Er wünscht mir Erfolg und öffnet dann die Zeitung, um einen Blick in sie zu werfen, als habe er das Thema ganz vergessen. Vielleicht ist er wirklich ehrlich, aber wahrscheinlich ist es eher Taktik. Mich befällt jedenfalls das Gefühl, daß ich von ihm nichts zu erwarten habe.

Er weist auf eine rote Überschrift, in der es um Ostdeutschland geht, und sagt: »Sie haben sicher davon gehört, wie elend die Situation dort ist, besonders im Vergleich zu Westdeutschland.«

So redet er also über Außenpolitik und meint Innenpolitik! Ich stimme ihm zu, und er fährt fort: »Rußland kann einem Land, das zu seinem Machtbereich gehört, nichts bieten, Amerika dagegen…«

»Aber Rußland hat uns mehrfach wertvolle Unterstützung geleistet!«

Schnell entgegnet er: »Das ist etwas anderes, wir gehören ja schließlich auch nicht zu seinem unmittelbaren Machtbereich!«

Er wird so vorsichtig, daß ich meinen Einwurf bereue. »Tatsache ist, daß sie beide, Rußland und Amerika, sich gleich sind, wenn es um den Wunsch nach der Vormachtstellung in der Welt geht, deswegen ist der Standpunkt der Neutralität, den wir einnehmen, klug, sehr klug!« fährt er fort.

Ich bedauere, daß er mir entschlüpft ist und daß sich sobald keine Gelegenheit mehr bieten wird, das verlorene Terrain zurückzugewinnen.

»Wenn die Julirevolution nicht gewesen wäre«, sage ich, »dann wäre das Land von einer blutigen Revolution erschüttert worden, bei der kein Stein auf dem anderen geblieben wäre, das steht jedenfalls fest!«

Er nickt mit seinem Tarbusch. »Gott ist groß und hat uns in Seiner Weisheit errettet!«


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Wo hast du denn gesteckt? Wir hatten schon seit drei Tagen nicht mehr die Ehre miteinander! Wie kommt es, daß du dich zuletzt doch noch an mich erinnert hast? Warum kehrst du überhaupt zu alten, längst abgelegten Dingen zurück? Habe ich nicht gesagt, daß du ein elender Feigling und ein Mistkerl bist! Ach, laß mich doch in Ruhe mit deinen albernen Entschuldigungen! Und erzähl mir nicht von deiner so überaus wichtigen Tätigkeit in der Gesellschaft. Wenn ein Minister eine Freundin hätte, würde er sie jedenfalls nicht so vernachlässigen, wie du das mit mir tust!

Ich lächle, gieße Wein in zwei Gläser und habe sie innerlich so satt, daß ich mich vor ihr ekle. Jetzt spielt sie sich auch noch als Tyrannin auf. Nun muß ich sie wirklich loswerden! Für immer loswerden!

Aber die Sorgen dieser Welt, alle Kümmernisse dieser Welt lösen sich aus meiner Brust, wenn Zuchra in mein Zimmer kommt und mir den Tee bringt. Wir umarmen uns lange. Ich küsse ihre Lippen, ihre Wangen, ihre Stirn, ihren Hals. Konzentriert und genießerisch spüre ich, wie sie ihre Lippen auf meine preßt.

Dann tritt sie zwei Schrittchen zurück, seufzt und flüstert klagend: »Manchmal glaube ich, alle wissen…«

Im Rausch der Liebe suche ich sie unbekümmert zu trösten: »Das soll dir doch egal sein!«

»Dir ist alles egal, aber…«

»Eins vor allem ist mir nicht egal, Zuchra…« Ich beuge mich etwas zu ihr hinunter, um ihr mit den Augen zu verdeutlichen, was ich meine, und bitte sie dann in echtem Verlangen: »Laß uns doch zusammenleben, irgendwo, weit weg von hier!«

»Und wo?« fragt sie zweifelnd.

»In einer Wohnung nur für uns beide!«

Sie schweigt und will mehr hören. Da ich ihr aber diesen Wunsch nicht erfülle, umwölken sich ihre Augen in Enttäuschung. Sie fragt weiter: »Wovon sprichst du eigentlich?«

»Du liebst mich genauso, wie ich dich liebe!«

»Ich liebe dich, ja, aber du, du liebst mich nicht«, antwortet sie mit gedämpfter Stimme.

»Aber Zuchra!«

»Du schaust auf mich herab, genau wie alle anderen!«

»Ich liebe dich, Zuchra«, sage ich und meine es aufrichtig, »ich liebe dich von ganzem Herzen, Gott ist mein Zeuge!«

Voller Kummer überlegt sie ein Weilchen und fragt mich dann: »Hältst du mich eigentlich genauso für einen Menschen wie dich selbst?«

»Kann es denn daran überhaupt einen Zweifel geben?«

Sie schüttelt verneinend den Kopf.

Ich begreife natürlich, was in ihr vorgeht, und betone: »Es gibt so viele Schwierigkeiten…«

Sie schüttelt wieder den Kopf, zieht aber diesmal zornig die Augenbrauen zusammen und stößt hervor: »Für mich gab es auch Schwierigkeiten, als ich auf dem Dorf lebte, aber ich habe mich von ihnen nicht kleinkriegen lassen!«

Ich habe nicht gewußt, daß sie so stolz auf sich ist. Ich spüre, wie die Liebe mich in den Abgrund zieht. Ich stehe mit beiden Füßen unmittelbar an seinem Rand und beuge mich mit all meinem Gewicht nach hinten, um mich in letzter Minute zu retten. Ich nehme ihre Hand zwischen meine Hände, küsse sie innen und außen und flüstere ihr ins Ohr: »Ich liebe dich, Zuchra!«


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Jedesmal, wenn ich in das schöne, kräftige Gesicht von Husni Allam schaute, träumte ich von herrlichen Nächten. Aber eines Tages hörte ich von dem Projekt, dessentwegen er nach Alexandria gekommen ist, um es zu prüfen und in die Tat umzusetzen. Jetzt habe ich meine Meinung über ihn geändert. Tolba Marzuq kann ich aus meiner Kalkulation streichen, er ist eine Illusion, fern aller Realität. Husni Allam dagegen ist ein Mann voller Tatendrang. Ich muß mir unbedingt einen Platz in diesem Projekt sichern. Das bedeutet nicht nur Arbeit und Erfolg, sondern rettet mich auch im letzten Augenblick vor den teuflischen Plänen Ali Bakirs. Wirklich bedauerlich ist nur, daß Husni Allam nicht zu fassen ist, wie Quecksilber. Zwar redet er hin und wieder von dem Projekt, aber im Grunde streift er die ganze Zeit nur planlos in der Gegend umher, rast wie ein Irrer mit seinem Auto durch die Stadt, und auf dem Platz neben ihm sitzt immer irgendeine Frau.

Einmal meinte ich zu ihm: »Ein Realist vergeudet seine Lebenszeit nicht bei Vergnügungen!«

»Und womit vergeudet er sie dann?« fragte er und lachte.

Ich antwortete umsichtig, auf meinen Vorteil bedacht: »Er prüft die Dinge, denkt nach und handelt dann entsprechend.«

»Ist ja ganz schön, was Sie da sagen, aber mir gelingt das Prüfen und Nachdenken immer nur, während ich mich vergnüge!« Dann, laut lachend: »Wir leben schließlich in der Zeit unmittelbar vor dem Weltuntergang!«

Ich ließ ihn allein und seufzte: »Mein Gott, ich möchte gern nützlich sein und auch selbst meinen Nutzen haben. Wie schafft man das bloß!«


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Wir schleudern uns gegenseitig Schimpfworte an den Kopf, so verletzend wie Steine oder Abfälle. Wütend schreie ich: »Jedesmal zanken wir uns! Das ist wie das Jüngste Gericht!«

Wir schleudern uns gegenseitig Schimpfworte an den Kopf. Machmud Abul-Abbas, der mich zu seiner dritten Lektion in Rechnen und Buchführung in ihre Wohnung begleitet hat, ist verblüfft. Entschlossen, endgültig zu gehen, stehe ich auf, und der Mann geht mit mir. An der Haustür bitte ich ihn, umzukehren und ihr zu erklären, daß ich beschlossen habe, auf Nimmerwiederkehr zu verschwinden.

Ich mache mich auf den Weg ins Miramar. Erst als Zuchra mir die Tür öffnet, begreife ich, daß ich verfolgt werde. Da nämlich packt mich eine Hand am Nacken, und ich höre Safejjas Stimme kreischen: »Du willst mich verlassen? Hältst du mich vielleicht für ein Kind oder ein Spielzeug?«

Mit Mühe reiße ich mich von ihr los, aber sie ist schon in die Wohnung gestürmt. Keuchend flüstere ich ihr zu: »Geh doch endlich! Die Leute hier schlafen!«

Doch sie schreit rücksichtslos: »Du läßt mir etwas ausrichten und haust ab! Ich habe dafür gesorgt, daß du etwas zu essen, zu trinken und anzuziehen hast, und nun willst du einfach davonlaufen, du Mistkerl!«

Ich schlage sie, und sie schlägt zurück. Wir ringen erbittert miteinander. Zuchra versucht vergeblich, uns auseinanderzureißen. Sie fordert sie auf: »Bitte, dies ist ein anständiges Haus!« Da das nichts nützt, ruft sie: »Verschwinden Sie, oder ich hole die Polizei!«

Safejja tritt einen Schritt zurück, wendet sich zu Zuchra und ruft hochmütig: »Du, ein Dienstmädchen…« Bevor sie ihren Satz beenden kann, verschließt ihr Zuchras Hand den Mund. Sie stürzt sich auf Zuchra, aber das Mädchen schlägt so kräftig auf sie ein, daß sie fast zu Boden fällt. Nun ist die Pension erwacht. Türen öffnen sich. Schritte kommen näher. Da steht plötzlich Husni Allam als erster vor uns, packt Safejja an der Hand und führt sie hinaus.

Blind vor Wut gehe ich auf mein Zimmer. Madame folgt mir und fragt verärgert, was geschehen sei. Ich drücke ihr mein Bedauern aus, aber sie will wissen: »Wer war sie?«

Um die Situation zu retten, lüge ich: »Sie war meine Verlobte, und ich habe gerade die Verlobung gelöst.«

Sie schüttelt den Kopf und unterstützt mich: »Ihr Verhalten hat gezeigt, daß Sie recht getan haben, aber…« Sie schweigt einen Augenblick und fährt dann fort: »Aber ich bitte Sie, Ihre Rechnung mit ihr nicht in diesen Räumen zu begleichen!«

»Ich lebe schließlich von meinem guten Ruf!« betont sie, schon auf dem Weg, die Pension zu verlassen.

Als Zuchra zur üblichen Zeit in mein Zimmer kommt, sieht man ihrem Gesicht das Vorgefallene immer noch an. Ich danke ihr und entschuldige mich bei ihr für das, was ihr geschehen ist. Wir werfen uns gegenseitig traurige Blicke zu, bis ich nicht umhinkomme, ihr zu sagen: »Ich habe sie deinetwegen verlassen!«

Sie fragt schroff: »Und wer ist sie?«

»Eine Prostituierte. Ich kannte sie von früher her. Madame mußte ich anlügen und ihr erklären, sie sei meine Verlobte gewesen.« Voller Dankbarkeit und Bedauern küsse ich sie auf die Wange.


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Draußen dröhnt der Sturm wie unaufhörliches Donnern. Abenddämmerung hängt im Zimmer, obwohl es noch nicht einmal Nachmittag ist. Ich stelle mir die Wolken vor, die sich am Himmel zu Bergen türmen, und ich denke an die sich aufbäumenden Wogen des Meeres. Als Zuchra kommt — wir haben uns seit gestern nicht mehr gesehen zündet sie das Licht an. Ich habe die ganze Zeit schmerzlich auf sie gewartet und überfalle sie nun mit der leidenschaftlichen Bitte: »Laß uns doch gehen, Zuchra!«

Sie stellt die Tasse auf den Tisch und schaut mich in bitterem Vorwurf an.

»Wir werden für immer zusammenleben, für immer!« versichere ich ihr.

»Und dann wird es keine Schwierigkeiten geben?« spottet sie.

»Die Schwierigkeiten, unter denen ich zu leiden hätte, kämen nur durch eine Ehe!« entgegne ich ihr offen, wenn auch voller Bedauern.

»Ich kann meine Liebe zu dir nur bereuen!« murmelt sie in verhaltenem Zorn.

»Sag das nicht, Zuchra«, bitte ich sie leidenschaftlich und voller Überzeugung, »du mußt mich verstehen. Ich liebe dich, und ohne die Liebe zu dir wäre mein Leben sinnlos und öde. Aber eine Heirat würde mir zahllose Schwierigkeiten familiärer und beruflicher Art bringen. Sie würde meine Zukunft gefährden, mehr noch, unser beider gemeinsames Leben in Frage stellen. Was soll ich denn nur tun?«

»Ich wußte gar nicht, daß ich so viele Katastrophen bewirken könnte!« erwidert sie, nun deutlich verärgert.

»Nicht du, sondern die Dummheit, die harten sozialen Schranken, die stinkenden Realitäten! Was soll ich denn tun?«

Ihre Augen werden schmal vor Zorn: »Ja, wirklich, was kannst du tun? Aus mir eine Frau machen wie die von gestern?«

»Zuchra, wenn du mich liebtest, so wie ich dich liebe, so verstündest du mich sehr gut!«

»Ich liebe dich«, entgegnet sie scharf, »leider kenne ich kein Mittel dagegen!«

»Die Liebe ist stärker als alles, als alles, Zuchra…«

»Aber sie ist nicht stärker als die Schwierigkeiten!« setzt sie sarkastisch dagegen.

Wir schauen uns schweigend an, ich sie fiebrig und verzweifelt, sie mich hartnäckig, wütend. Hätte ich nicht einen so starken Willen oder besser: hätte ich nicht so viel Angst, hätte ich meinen Widerstand längst aufgegeben.

Ich überlege blitzschnell und sage: »Zuchra, es gäbe einen Mittelweg, zum Beispiel die islamische Ehe, wie sie ursprünglich war.«

In ihre Augen tritt ein Fragen an die Stelle des Zorns. Ich sage, und weiß darüber im Grunde nicht mehr, als was mir dunkel in Erinnerung geblieben ist: »Ich gebe bekannt, daß ich dich nach dem Brauch Gottes und seines Propheten zur Frau nehme.«

»Ohne Trauzeugen?«

»Nur vor Gott allein!«

Sie protestiert verächtlich: »Alle um uns herum handeln, als ob es Gott gar nicht gäbe!« Dann schüttelt sie heftig den Kopf und sagt: »Nein!«


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Sie ist ungeheuer starrköpfig, nicht so weich und leicht zu nehmen, wie ich angenommen hatte. Ich bin bereit, wenn sie damit einverstanden ist, für immer mit ihr zusammenzuleben und auf eine Ehe und die Hoffnungen, die ich an sie knüpfe, zu verzichten. Ich habe schon daran gedacht, die Pension zu verlassen als ersten Schritt dazu, sie zu vergessen. Aber die Liebe zu ihr ist hartnäckig — wie sie selber — und klammert sich an mein Herz. Doch es hat kein Zerwürfnis zwischen uns gegeben. Sie hat mir die ganze Zeit zum gewohnten Termin den Tee gebracht und keinen Widerstand geleistet, wenn ich sie umarmt und geküßt habe. Ich war verblüfft, als ich sie — im Entree — über ein Lesebuch für Schüler der ersten Klasse gebeugt sitzen sah. Ungläubig blieben meine Blicke an ihr hängen. Madame saß unter dem Jungfrauenbild, und Amir Wagdi hatte es sich im Sessel bequem gemacht.

Madame sagte lächelnd zu mir: »Da sehen Sie unsere Schülerin, Monsieur Sarhan!« Sie warf ihr einen ermutigenden Blick zu und erklärte mir: »Sie hat sich darauf mit unserer Nachbarin, der Lehrerin, geeinigt. Was meinen Sie dazu?«

Das ist wirklich ein Ereignis! Einen Augenblick lang war mir zum Lachen zumute, aber ich beherrschte mich und betonte eifrig: »Bravo, Zuchra, bravo!«

Der alte Mann schaute mich mit seinen verhangenen Augen an, und mich packte eine unerklärliche Furcht vor ihm. Ich verließ die Pension. Tatsächlich war ich tief berührt. Eine innere Stimme sagte mir, daß Gott es mir nie verzeihen würde, wenn ich die Liebe dieses Mädchens gering achtete. Aber ich konnte mich mit dem Gedanken an diese schreckliche Ehe nicht befreunden. Liebe ist ein Gefühl, dem man auf verschiedenste Weise beikommen kann. Die Ehe dagegen ist eine Institution, eine Gesellschaft wie die, in der ich als Prokurist beschäftigt bin. Sie braucht gewisse Voraussetzungen, hat ihre eigenen Gesetze und Praktiken. Wenn sie mir nicht durch die Einbindung in gute soziale Verhältnisse zu einem gewissen sozialen Aufstieg verhilft, was hat sie dann für einen Sinn? Wenn die Braut nicht wenigstens Beamtin ist, wie kann ich in diesen schwierigen, grausamen Tagen eine eigene Familie gründen, die diesen Namen verdient? Die Ursache meines Unglücks ist, daß ich ein Mädchen liebe, das die Bedingungen für eine solche Ehe nicht erfüllt. Wenn sie meine Liebe bedingungslos akzeptierte, so würde ich ihretwegen den Gedanken an eine Ehe opfern, wie sie mir seit dem Jünglingsalter vorschwebt.

»Du hast große Pläne, Zuchra!« Bei diesen Worten schaue ich sie voll Bewunderung an und sage dann bedauernd: »Aber du mutest dir sehr viel zu und vergeudest damit deinen Lohn!«

Sie steht vor mir, zwischen uns ist der Tisch, und sagt stolz: »Ich will nicht für immer unwissend bleiben!«

»Und was wird dir das Wissen nutzen?«

»Danach werde ich einen Beruf lernen. Ich will nicht für immer ein Hausmädchen bleiben!«

Ich verspüre ein schmerzhaftes Stechen in der Herzgegend, und mir schnürt sich die Kehle zusammen. Sie aber schlägt einen neuen Ton an: »Meine Verwandten waren heute da, um mich zu überreden, zu ihnen aufs Dorf zurückzukehren.«

Ich schaue sie fragend an und lächle, um meine Unruhe zu verbergen. Sie aber tut so, als sehe sie mich gar nicht, hält den Blick gesenkt.

»Und was hast du ihnen gesagt?«

»Wir sind dahin übereingekommen, daß ich Anfang des nächsten Monats zurückkehre.«

»Tatsächlich«, stoße ich beklommen hervor, »du gehst also zu dem alten Mann zurück!«

»Nein, er hat inzwischen geheiratet!« Mit leiser Stimme fährt sie fort: »Ein anderer Mann hat um mich angehalten.«

Ich greife heftig nach ihrer Hand und bitte: »Laß uns doch zusammen weggehen! Morgen, wenn du willst!«

»Wir haben uns, wie gesagt, darauf geeinigt, daß ich Anfang des Monats zurückkehre!«

»Zuchra, hast du denn ein Herz aus Stein?«

»Es ist eine Lösung ohne Schwierigkeiten!«

»Aber du liebst mich doch, Zuchra!«

»Die Liebe ist eins, und die Ehe ist etwas anderes«, wirft sie verächtlich hin, »du warst es, der mir das beigebracht hat!« Jetzt öffnen sich ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln und verraten sie.

»Was bist du doch für eine kleine Hexe, Zuchra«, rufe ich. Eine Woge der Freude und Erleichterung überschwemmt mich. Währenddessen tritt Madame ins Zimmer und schlürft ihren Tee aus einer Tasse, die sie in der Hand hält. Sie setzt sich auf den Bettrand und erzählt mir die Geschichte von Zuchras Angehörigen und wie sich das Mädchen geweigert hat zurückzukehren.

Hinterhältig frage ich: »Wäre es denn aber nicht das beste, wenn sie zu ihrer Familie zurückkehrt?«

Madame lächelt wie eine erfahrene Kupplerin, die um alles weiß, und betont dann: »Ihre wahren Angehörigen sind doch hier, Monsieur Sarhan!«

Ich vermeide es, ihr in die Augen zu sehen, und ignoriere den Hintersinn ihrer Worte bewußt. Aber ich vermute, daß die Motte mit diesen Neuigkeiten von einem Zimmer zum anderen flattert. Vielleicht geht ihr Verdacht ja auch viel weiter. Am Ende bin ich ganz glücklich über meine vermeintliche Eroberung. In Wirklichkeit aber hat der Starrsinn, der mir keinerlei Hoffnung gestattet, nicht einen Augenblick lang nachgelassen. Ich frage mich, wann endlich ich den Mut finde, aus der Pension auszuziehen.


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Es ist der vertraute und schon irgendwie langweilige Anblick: Madame sitzt so dicht neben dem Radio, daß man denkt, ihr Kopf werde darin verschwinden, und lauscht französischen Schlagern. Amir Wagdi spricht Zuchra einige Worte auf Hocharabisch vor. Es läutet, und Zuchras Lehrerin kommt herein: Entschuldigung, unsere Wohnung ist voller Gäste. Wenn Sie gestatten, halte ich die Lektion hier ab… Zweifellos sehr freundlich von ihr! Wir heißen sie herzlich willkommen. Sie ist hübsch, elegant und Beamtin. Ich beobachte sie, während sie Zuchra unterrichtet, und fühle mich dazu getrieben, zwischen beiden zu vergleichen, voller leidiger Erwägungen. Hier ist natürliche Schönheit, verbunden mit Armut und mangelnder Bildung. Dort ist Kultiviertheit, Eleganz, verbunden mit einer Beamtenstellung. Wenn doch Zuchras Persönlichkeit sich in einem anderen Milieu und dessen Möglichkeiten hätte entfalten können! Madame nimmt ungebeten an der Stunde teil, um ihre ewige Neugier zu befriedigen. So erfahren wir den Namen der jungen Dame, ihre familiären Verhältnisse, hören auch von ihrem Bruder, der zu einer Tätigkeit nach Saudi-Arabien delegiert wurde.

Plötzlich frage ich sie: »Wäre es vielleicht möglich, daß er uns von dort einiges schickt, was es hier nicht zu kaufen gibt?« Sie gibt zurückhaltend zur Antwort, sie werde sich erkundigen, ob das möglich sei.

Ich verlasse die Pension und gehe zum Cafe de la Paix, um mich mit dem Ingenieur Ali Bakir zu treffen.

Er schaut mich zuversichtlich an und erklärt: »Inzwischen ist klar, was wir im einzelnen zu tun haben, und der Erfolg ist ganz sicher!«

Gut, so wollen wir den Sprung zum Erfolg wagen, der unserem Erdendasein seinen Sinn und Wert geben wird!

Dann fragt mich Ali Bakir: »Ich habe Safejja Barakatim Delice getroffen. Stimmt es, daß…?«

»Dieses verdammte Weibsstück!« rufe ich widerwillig.

Er lacht und sieht mich interessiert an: »Aber hast du sie wirklich verlassen wegen…?«

»Bitte, glaub ihr nicht! Wann hat man sich je darauf verlassen können, daß sie die Wahrheit sagt?«

Er schaut noch interessierter und nachdenklicher und betont dann: »Unser Geheimnis jedenfalls ist von der Art, die man nicht einmal seiner Frau und seinem Sohn anvertraut!«

»Gott verzeihe dir! Was denkst du denn von mir?« rufe ich vorwurfsvoll.


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Ist das wunderbar, sage ich mir. Ein Blick, der der Eitelkeit jedes Mannes schmeicheln würde! Sie lächelt nicht, zuckt nicht mit der Wimper. Sie — die Lehrerin — dreht den Kopf plötzlich von Zuchra und ihrem Buch zu mir und wirft ihn mir zu, diesen Blick. Er dauert nur wenige Sekunden. Sie wirft ihn mir zu, als Zuchra und Amir Wagdi gerade nicht aufpassen. Und er dauert nur wenige Sekunden. Ich habe Dutzende wie ihn auf mir ruhen fühlen, und in mir hat sich nichts geregt. Ich habe sie für völlig nichtssagende Blicke gehalten. In ihrem Blick aber blitzt etwas nicht zu Beschreibendes flüchtig auf, und das ist, als wolle sie mir eine ganze Botschaft übermitteln. Ich habe mich daraufhin entschlossen, meine Route zu ändern, habe mich ins Cafe Miramar unmittelbar hinter die Scheibe gesetzt und beobachte nun die Wolken und warte. Ich habe kein bestimmtes Ziel. Es ist auch nicht das Gefühl der Zuneigung, das mich treibt. Es ist nur Neugier, begründet in einer gewissen Leere und Verzweiflung, Neugier auf ein Abenteuer, auf welches auch immer. Sie ist nicht der Typ, der mich fasziniert oder auch nur aufregt, aber sie hat mich, so kommt es mir vor, an einem entsetzlich langweiligen Ferientag zu einem Spaziergang eingeladen.

Da geht sie plötzlich vor dem Cafe vorbei, beide Hände in den Taschen ihres grauen Mantels. Ich gehe in einem gewissen Abstand hinterher und hole sie beim Atheneus ein. Sie kauft ein paar Süßigkeiten, steht dann da, als sei sie unschlüssig. Da trete ich auf sie zu und grüße sie. Sie erwidert den Gruß, und ich lade sie ein, mit mir eine Tasse Tee zu trinken. Sie entgegnet, sie habe schon vor einer Weile überlegt, daß sie sich jetzt einmal hinsetzen müsse. Wir trinken den Tee und essen zwei Stückchen Kuchen. Dann führen wir ein ziemlich belangloses Gespräch miteinander, aber es ist insofern nicht uninteressant, als es mir einige Informationen über ihre familiäre Situation und ihre Tätigkeit vermittelt. Schon allein wie wir das Gespräch miteinander führen, das veranlaßt mich, sie darum zu bitten, daß wir uns bald wieder treffen. Unser Treffpunkt ist das Büffet im Kino Amir. Dann sehen wir uns den Film gemeinsam an. Jetzt ist es an mir, die Art dieses Abenteuers festzulegen und näher zu definieren. Im Vergleich zu dem, was ich dabei verspüre, ist es eigentlich nicht wert, daß ich es fortsetze oder gar Mühen darauf verwende. Und trotzdem, als sie mich auffordert, sie bei ihren Eltern zu besuchen, nehme ich die Einladung an. Mir wird klar, daß sie einen Mann zum Heiraten sucht. Ich wäge mit kühlem Verstand ab, ziehe ihr Gehalt und die zusätzlichen Einnahmen durch Privatstunden ins Kalkül, denke gleichzeitig an die wachsende Verzweiflung, in die mich Zuchra stürzt. Als ich ihre Familie besuche, entdecke ich eine weitere Attraktion: ihre Eltern besitzen ein Gebäude, nicht zu groß und nicht zu klein, in Karmuz[65]. Ich merke, daß ich die Angelegenheit nun ganz ernsthaft überlege, nicht, weil mich ihr Geld lockt, auch nicht, weil ich sie liebe, sondern einfach aus meiner alten Sehnsucht nach der Ehe. Und Zuchra? Vielleicht finde ich etwas Trost für meinen Verrat an ihr gerade in dieser Ehe, die mich für immer an eine Frau bindet, die ich nicht liebe! Aber werde ich diese leidenschaftliche Liebe zu Zuchra in meinem Herzen wirklich ersticken können?


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Er macht mir ein Zeichen, ich möge bitte warten. Ich wollte eigentlich weitergehen, nachdem ich meine Zeitung bei ihm gekauft hatte, da er gerade mit einem Kunden abrechnet.

Als er mit ihm fertig ist, kommt er zu mir und erklärt: »Ustas, ich werde um Zuchras Hand anhalten!«

Ich lächle, um meine Betroffenheit zu verbergen, und frage ihn: »Herzlichen Glückwunsch! Seid Ihr Euch schon einig geworden?«

»Fast!« gibt er mir in stolzer Zuversicht zur Antwort. Ich spüre ein schmerzhaftes Stechen im Herzen, und ich frage ihn: »Was meinst du mit >fast

»Sie kauft täglich bei mir. Wir haben über das Thema noch nicht offen miteinander gesprochen. Aber niemand kennt die Frauen so wie ich!«

In diesem Augenblick hasse ich ihn wie die Pest. Er aber fragt mich: »Ustas, was halten Sie von ihrem Charakter?«

»Sie ist ein sehr gutes Mädchen, wenn du mich fragst.«

»Ich werde bei Madame Mariana um ihre Hand anhalten, damit ich ihre Angehörigen kennenlerne.« Ich wünsche ihm Erfolg und gehe, aber er kommt mir nach, nachdem ich zwei Schritte entfernt bin, und fragt: »Was wissen Sie über den Streit zwischen ihr und ihren Angehörigen?«

»Wie hast du denn davon erfahren?«

»Amir Bey hat mich darüber informiert. Der alte Mann…«

»Alles, was ich weiß, ist, daß sie starrköpfig ist und widerspenstig.«

Er lacht und prahlt: »Ich kenne das Heilmittel gegen jede Krankheit!«


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Er hat um sie angehalten… und einen Korb bekommen. Das hat mich ebenso befriedigt, wie es mein Gefühl der Verantwortlichkeit ihr gegenüber verstärkt hat. Unruhe zerreißt mich, Liebe überwältigt mich von neuem. Alejja verblaßt und rückt in den Hintergrund. Sehnsüchtig und flehentlich packe ich Zuchra am Handgelenk und dringe in sie: »Hilf mir doch! Laß uns auf der Stelle gehen!«

Schroff macht sie sich von mir los und fordert: »Sag das nie wieder! Ich hasse es, das zu hören!«

Wir werden uns nie einigen! Sie liebt mich, will sich mir aber ohne die feste Bindung einer Ehe nicht geben. Ich liebe sie, lehne jedoch diese feste Bindung an sie ab. Weder das eine noch das andere ist die wahre Liebe, die Willen und Verstand hinwegfegt.

Herr Mohammed, Alejjas Vater, hat mich zum Mittagessen eingeladen, und ich habe zugesagt. Am Wochenende lade ich die Familie zum Abendessen ins Pastroudis ein. Das Wetter schlägt um, während wir dort sitzen. Der Sturm heult, es regnet in Strömen. Während der ganzen Zeit suche ich mich selbst davon zu überzeugen, daß Alejja ein hervorragendes Mädchen ist und daß ich mit ihr eine glückliche Ehe werde fuhren können. Sie ist hübsch, sehr elegant, eine Beamtin, gebildet und kultiviert. Was willst du denn noch mehr? Wenn ich ihr nicht gefallen hätte… Warum bin ich eigentlich so zurückhaltend? Zweifellos liebt sie mich. Wer jemanden heiraten will, will ihn auch lieben. Außerdem, was ist das für ein Gefühl, das uns das Paradies verspricht, ohne auch nur ein Gran seines Versprechens in die Wirklichkeit umzusetzen?

Der Sturm draußen tobt immer heftiger. Es ist, als wolle er diese schöne Stadt aus ihrer Verankerung reißen. Um so mehr verspüren wir hier die Annehmlichkeit der Wärme und Geborgenheit im geschlossenen Raum. Ich sage mir, daß ich, wenn ich schon, lediglich von spontanen Gefühlen getrieben, bei dieser ehrbaren Familie anklopfe ohne einen wirklichen Plan oder feste Absichten, auch ohne den geeigneten finanziellen Hintergrund, daß ich sie dann ganz offen über meine Position, meine Verantwortlichkeiten gegenüber meiner Familie informieren muß, um ihr selbst die Wahl zu überlassen, ob sie mich aufnehmen will. Wir kommen nach allerlei Hin und Her auf das Thema »Ehe« ganz allgemein zu sprechen.

Alejjas Vater sagt: »Zu unserer Zeit heiratete man früh. So kann m an uns noch dazu gratulieren, wenn unsere Kinder verantwortliche Positionen einnehmen!«

Ich schüttle bedauernd den Kopf und erkläre: »Aber diese Zeit ist vorüber! Unsere Gegenwart ist voller Dornen und Klippen!«

Er neigt sich zu mir und flüstert: »Ein anständiger junger Mann ist, so wie er ist, ein Juwel. Wer loyal denkt und eine gute Position einnimmt, sollte ihm helfen, die Schwierigkeiten auf seinem Weg beiseite zu räumen!«


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Was für ein finsteres Gesicht! Als er merkte, daß ich auf seinen Stand zukam, und ich nur noch zwei Schritte von ihm entfernt war, verfinsterte sich sein Gesicht. Jetzt wirft er mir so wütende Blicke zu, daß ich mich über ihn wundere.

Ohne mir, wie sonst immer, die Zeitung zu überreichen, stellt er mir die spöttische Frage: »Warumhaben Sie mir eigentlich verschwiegen, daß Sie sie lieben?«

Ich bin verblüfft über seine Worte, überrascht von seinem ungebührlichen Ton und rufe: »Du bist ja verrückt!«

»Und Sie sind ein Feigling!« schreit er zurück.

Ich verliere meine Selbstbeherrschung und gebe ihm mit dem Handrücken einen leichten Schlag ins Gesicht. Er versetzt mir mit seiner Riesenpranke eine Ohrfeige. Wir prügeln uns blindwütig und unbarmherzig, bis die Umstehenden uns auseinanderreißen. Als wir uns danach gegenüberstehen, werfen wir uns die unflätigsten Schimpfworte an den Kopf. Ich gehe dann ziellos weiter und frage mich, wer wohl so boshaft war, diese Idee in seinen Hohlkopf zu pflanzen.

Erst nach längerer Zeit sehe ich ihn wieder. Ich war ins Restaurant Panioti gegangen, um ein leichtes Abendbrot zu mir zu nehmen, und finde ihn auf dem Platz des Besitzers hinter der Kasse. Ich will wieder hinausgehen, aber er springt von seinem Platz auf, schließt mich in die Arme, küßt mich auf den Kopf und will mich unbedingt zum Abendbrot auf seine Kosten einladen. Er entschuldigt sich für das Vorgefallene und gesteht mir, Husni Allam habe ihm damals diese Lüge aufgetischt.


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»Meine Liebe, ich bitte dich, Zuchra darf nichts von dem erfahren, was zwischen uns ist!«

Wir sitzen am Machmudijja-Kanal im Casino al-Palma im wärmenden Sonnenschein. Daß sie ständig mit Zuchra zusammen ist, macht mir Sorgen. Sie weiß nichts von den wirklichen Gründen für Zuchras Wunsch, bei ihr Unterricht zu nehmen. So wie Zuchra sich nicht vorstellen kann, daß ihre Lehrerin beschlossen hat, den Mann ihres Herzens zu erobern.

Alejja schaut mich zweifelnd an und fragt: »Und warum?«

»Sie tratscht, und Tratsch können wir beim gegenwärtigen Stand unserer Beziehung nicht gebrauchen!«

»Aber unsere Beziehung wird früher oder später ohnehin bekannt werden«, entgegnet sie, immer noch voller Zweifel.

Mit unüberlegter Offenheit sage ich: »Manchmal kommt es mir so vor, als warte sie nur auf einen geeigneten Moment…«

Sie lächelt matt: »Vielleicht hat sie Gründe dafür…«

»Alle Gäste treiben gelegentlich ihre Späßchen mit ihr, und ich mache es nicht anders. Das ist alles!«

Ihre Beziehung zu mir ist jedenfalls zu Liebe geworden. Mir ist weniger wichtig, daß sie mir wirklich glaubt, als daß sie Zuchra nichts sagt. So hat also der Verstand über das Herz gesiegt, und ich muß jetzt unbedingt die Verlobung bekanntgeben! Trotzdem zögere ich. Ich verschiebe den ausgemachten Termin unter dem Vorwand, ich müsse zunächst aufs Dorf fahren, damit meine Familie die traditionelle Rolle spielen könne. Mit jedem Tag werden meine Gefühle gegenüber Zuchra gespannter, nagt mein peinlicher Betrug stärker an meinem Herzen. Ich seufze voller Wehmut und sage bei mir: Wenn sie doch nachgäbe, wenn sie sich meinen Wünschen fügte, mein Herz gehörte ihr für immer!


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Ist das Donner? Ein Erdbeben? Ist ein Leichnam ins Zimmer gefallen? Ich stecke meinen Kopf unter der Decke hervor und sehe um mich herum stockdunkle Nacht. Ich bin es nur, niemand anderer! Und das ist mein Bett in der Pension Miramar! Aber was ist das? Mein Gott! Das ist doch Zuchras Stimme! Sie klopft an meine Tür!

Ich eile hinaus. Im Licht der Nachtlampe sehe ich, wie sie sich in heftiger Abwehr aus der Umklammerung von Husni Allam freizumachen sucht. Mir wird auf den ersten Blick klar, was los ist. Ich will sie befreien, ohne daß es Aufsehen erregt und ohne daß meine Beziehungen zu Husni getrübt werden. Sanft lege ich meine Hand auf seine Schulter und flüstere: »Husni!«

Aber er hört mich nicht. So packe ich ihn fester an der Schulter und sage lauter: »Husni, sind Sie verrückt geworden?!«

Er versetzt mir mit seinem Rücken einen brutalen Stoß, ich jedoch greife ihn noch kräftiger an der Schulter und fordere ihn entschieden auf: »Gehen Sie sofort ins Bad, und stecken Sie den Finger in den Mund!«

Da dreht er sich zu mir um und schlägt mich gegen die Stirn. In einem jähen Wutanfall schlage ich zurück. Wir prügeln uns heftig, bis Madame zu uns tritt. Sie behandelt den Übeltäter mit einer Sanftheit, die er nicht verdient. Ich verstehe die Alte gut. Aus meinen eigenen Interessen heraus verstehe ich sie gut. Beide sind wir darauf erpicht, uns mit Husni gut zu stellen, in der Hoffnung, aus seinem Phantasieprojekt Nutzen zu ziehen. Sie zögert, stellt ein Bein vor und das andere zurück. Ich dagegen bin die ganze Zeit sprungbereit. So wird mir jetzt die Tür endgültig vor der Nase zugeschlagen. Sie aber behandelt das Opfer mit Strenge zugunsten des Täters.

Einige Tage später sehe ich Husni Allam um ein Uhr nachts in Begleitung von Safejja Barakat aus dem Genevoise kommen. Mein Erstaunen hält nur kurze Zeit an, dann erinnere ich mich, wie er sie damals aus der Pension geführt hat. Sie sind sich gleich im Hinblick auf ihren Leichtsinn und ihre Träume von utopischen Projekten. Liebe und Träume werden sie miteinander verbinden. Ich habe jene Nacht mit Ali Bakir und Rafat Amin in George's Bar verbracht. Wir waren die Corniche entlangspaziert, angeregt von der lauen, reinen Luft der Nacht und vom Wein, den wir getrunken hatten. Rafat Amin kennt, besonders wenn er betrunken ist, kein anderes Gesprächsthema als die Wafd-Partei. Mir wurde klar, daß Ali Bakir keinen Unterschied zwischen der Wafd-Partei und dem Nationalen Sportclub zu kennen scheint. Andererseits interessiert mich Politik nicht eigentlich, trotz meiner zahlreichen politischen Aktivitäten. Rafat Amin erzählt weinselig vom Wafd und der Zeit, da er die Macht im Lande hatte. »Wirst du dir eigentlich nie eingestehen, wenn jemand oder etwas tot ist?« spotte ich.

Seine Stimme hallt in der leeren Straße wider: »Sag von mir aus von der Revolution, was du willst. Ich will ja ihre allumfassende Macht gar nicht bestreiten. Aber das Volk ist tot, seit der Wafd tot ist.«

In diesem Augenblick sehe ich Husni Allam und Safejja Barakat wie zwei kräftige Bären auf die Corniche tapsen. Ich zeige auf sie und sage lachend: »Da hast du das Volk des Wafd, das in nachmitternächtlicher Stunde seinen Kampf fortsetzt!«

Als wir uns trennen müssen, flüstert mir Ali Bakir ins Ohr: »Wir werden bald das Startzeichen geben können!«


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Ich komme in die Pension, als alle schlafen. Durch die Glastür des Zimmers von Mansur Bahi allerdings sickert Licht. Es ist die anregende Wirkung des Weins, die mich bei ihm anklopfen und eintreten läßt ohne wirklichen Anlaß. Er sitzt in einem großen Sessel und sieht mich leicht erstaunt an. Seine kleinen, aber schönen Augen blicken nachdenklich und kummervoll.

Ich setze mich auf einen Stuhl in seiner Nähe und erkläre: »Entschuldigen Sie! Ich bin betrunken!«

»Das sieht man!« entgegnet er obenhin.

Ich lache und fahre dann mit leichtem Vorwurf fort: »Tatsache ist, daß ich vergeblich versucht habe, Ihre Sympathie zu gewinnen. Sie scheinen sehr introvertiert zu sein!«

»Es hat eben jeder seine Eigenheiten!« entgegnet er höflich, aber nicht sehr ermutigend.

»Augenscheinlich macht Ihnen Ihr Kopf zu schaffen!«

»Der Kopf ist die Ursache allen Übels!« Er hüllt sich in Rätselhaftigkeit.

»Wie selig sind da doch wir Hohlköpfe!« lache ich.

»Machen Sie sich nicht so schlecht! Sie sind doch der Mittelpunkt unermüdlicher Aktivitäten!«

»Ach, wirklich?«

»Ich meine Ihre politischen Aktivitäten, Ihre revolutionären Gedanken… Ihre Liebesabenteuer!«

Das letzte empfinde ich als Schlag vor den Kopf, der aber durch meine Betrunkenheit gemildert wird. Mir wird jedoch klar, daß er mich nicht gerade willkommen heißt, daß er niemanden willkommen heißen würde. So schüttle ich ihm die Hand und gehe.


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Als Zuchra in mein Zimmer tritt, um mir den Tee zu bringen, löse ich mich aus meinen Gedanken und Plänen, und mein Herz öffnet sich für die wirkliche Liebe, nur für sie. Aber ihr Gesicht ist hart, wie versteinert, und bleich vor Zorn. Ihr Blick, unbeweglich, finster, feindselig, schrecklich, erfüllt mich mit Unruhe und Hoffnungslosigkeit.

Mitfühlend stelle ich fest: »Zuchra, du bist anders als sonst!«

Sie entgegnet zornig und aggressiv: »Wenn Gottes Weisheit nicht unbegreiflich wäre für unseren Verstand, so würde ich nicht mehr an ihn glauben!«

Unruhe befällt mich. »Gibt es neuen Kummer, zusätzlich zu unseren Sorgen, mit denen wir nicht fertig werden?« frage ich sie.

»Ich selbst habe euch zusammen gesehen«, erwidert sie kurz und verächtlich.

Ich weiß, wen sie meint, und mir krampft sich das Herz zusammen. Verzweifelt frage ich: »Von wem sprichst du?«

»Von der Lehrerin!« Dann voller Haß: »Diese mannstolle Hure!«

Ich lache. Ich kann nicht anders, ich muß lachen, lachen mit der Geringschätzung, mit der wir gewöhnlich einem ungerechtfertigten Wutanfall begegnen. Ich lache und tadle sie: »Was bist du nur für eine… Zufällig habe ich deine Lehrerin getroffen und ihr…«

»Du Lügner!« unterbricht sie mich schroff. »Das war kein Zufall! Ich habe es von ihr selbst gehört!«

»Nein!« rufe ich beklommen.

»Die alte Ziege hat zugegeben, daß sie sich mit dir getroffen hat. Weder ihr Vater noch ihre Mutter waren darüber erstaunt. Wohl aber staunten sie beide über meine Neugier in dieser Hinsicht.«

Ich schweige betroffen, bin stumm.

»Warum nur hat Gott solche Feiglinge wie dich erschaffen!« stößt sie voller Zorn und Ekel hervor.

Ich muß mich geschlagen geben. Das Kartenhaus meiner Lügen ist zusammengefallen. Zutiefst unglücklich beschwöre ich sie: »Zuchra, das ist doch alles ganz grundlos! Das ist doch nur ein verzweifeltes Herumtappen! Überleg es dir noch einmal, Zuchra! Laß uns zusammen weggehen!«

Sie hört mir überhaupt nicht zu, sondern fährt fort: »Was kann ich tun? Ich habe keinerlei Recht auf dich! Du elender Mistkerl! Scher dich doch zum Teufel!« Sie spuckt mir ins Gesicht.

Ich werde wütend. Obwohl ich auf verlorenem Posten stehe, werde ich wütend. Ich schreie sie an: »Zuchra!«

Wieder spuckt sie mir ins Gesicht.

Blind vor Zorn brülle ich: »Geh, oder ich bringe dich um!«

Sie stürzt sich auf mich und schlägt mir mit erstaunlicher Kraft ins Gesicht. Rasend vor Zorn springe ich auf und packe sie fest an der Hand, aber sie entzieht sie mir mit Gewalt und schlägt mich ein zweites Mal. Ich bin um meinen Verstand gebracht und falle prügelnd über sie her. Sie schlägt mit einer Kraft zurück, die mein Fassungsvermögen übersteigt. Da eilt plötzlich Madame zu uns, in tausend Sprachen zugleich radebrechend. Sie reißt sie von mir weg, und ich schreie sie in wahnsinnigem Zorn an: »Ich bin frei! Ich heirate, wen ich will! Alejja werde ich heiraten!«

Mansur Bahi kommt und bringt mich in sein Zimmer. Ich weiß nicht mehr, worüber wir gesprochen haben, aber ich erinnere mich, daß er mich mit einer seltsamen Unverschämtheit angegriffen hat und daß auch wir uns zu prügeln begannen. Das war für mich überraschend, sehr überraschend. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, daß auch er ein Verehrer von Zuchra ist. So aber wird mir der Grund für seine seltsame Abneigung mir gegenüber klar. Madame kommt zu uns. Sie hat beschlossen, mich fallenzulassen. Die alte Kupplerin! Sie sagt, die Pension kenne keine Ruhe mehr, seitdem ich hier bin. Ich habe sie in einen barbarischen Markt für Unflätigkeiten und Prügeleien verwandelt.

Mit rücksichtsloser Offenheit fordert sie mich auf: »Suchen Sie sich eine andere Wohnung!«

Nun gibt es nichts mehr, das mich veranlassen könnte zu bleiben. Aber ich beschließe, erst am nächsten Nachmittag auszuziehen, am letzten Tag der Woche, für die ich die Miete im voraus bezahlt habe. Es sind zuerst und zuletzt meine Starrköpfigkeit und mein Stolz, die mich dazu treiben.

Ich verlasse die Pension und irre lange unter einem wolkenbedeckten Himmel umher, lasse mich von pausenlosen kalten Windböen schütteln. Ein wenig Trost finde ich schließlich in den Auslagen der Läden, die vor Neujahrsgeschenken nur so glitzern. Müde schaue ich auf den guten alten Weihnachtsmann.

Dann gehe ich zum Pedro zu einer Verabredung mit dem Ingenieur Ali Bakir, die ich schon vorher getroffen hatte.

»Hast du die Geldanweisungen erledigt?« fragt er mich.

Da ich bejahe, sagt er: »Morgen in aller Frühe… Morgen in aller Frühe geht's los!«

Während ich am nächsten Morgen zur Gesellschaft gehe, spreche ich mir Mut zu: »Die erste Morgenfrühe ist vorbei. So ist das Spiel gelaufen!«

Ich bin unruhig, begierig auf Neuigkeiten. Ich telefoniere mit der Fabrik und verlange Ali Bakir. Man sagt mir, er mache seine Runde. So ist also der Plan gut und erfolgreich realisiert, und er erledigt jetzt gerade seinen alltäglichen Routinegang! Trotzdem bin ich unruhig und breche unter irgendeinem Vorwand vorzeitig auf. Als ich am Rundfunkgebäude vorbeigehe, sehe ich Mansur Bahi und ein hübsches Mädchen herauskommen. Wer sie wohl ist? Seine Verlobte? Seine Geliebte? Ist Zuchra wieder abgehalftert? An Zuchra denke ich voller Wehmut. Die Liebe zu ihr hat mich immer noch nicht ganz verlassen. Das war das einzige aufrichtige Gefühl in meinem von so vielen Begierden geplagten Herzen.

Ich mache mich auf, Alejja Mohammed zu besuchen, werde aber sehr lau, ja ausgesprochen unfreundlich aufgenommen. Ich will wie sonst einige Lügenmärchen auftischen, aber ihr Vater sagt ärgerlich: »Stellen Sie sich doch unsere Lage vor, als dieses Dienstmädchen uns zur Rede stellte!«

Die Mittagszeit kommt, aber ich werde nicht eingeladen. Ich verlasse die Wohnung ohne Hoffnung darauf, daß sich das zerbrochene Porzellan kitten läßt. Tatsache ist, daß ich mich auch nicht allzu sehr darum bemüht habe. Nur noch wenige Stunden trennen mich vom Reichtum. Und dann werde ich mit Sicherheit die geeignete Ehefrau finden, eine Frau, mit der ich Ehre einlegen kann!

Bei Panioti — oder besser bei Machmud Abul-Abbas — esse ich zu Mittag. Dann gehe ich zur Wohnung von Ali Bakir, treffe ihn aber nicht an. Brennend vor Begier auf Neuigkeiten begebe ich mich in die Pension. Ich packe meinen Koffer und bringe ihn ins Entree. Dann rufe ich Ali Bakir an und bin ungeheuer erleichtert, als ich ihn »Hallo!« sagen höre.

»Hier ist Sarhan! Guten Tag! Wie steht's?«

»Alles in Ordnung! Nur den Fahrer habe ich noch nicht getroffen!«

»Wann werden wir endgültig erfahren, wie die Dinge stehen?«

»Komm heute abend um acht Uhr ins Casino Pelikan!«

»Gut, also heute abend um acht Uhr. Ich erwarte dich im Pelikan!« entgegne ich ungeduldig. »Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen!«

Von der Pension Miramar siedle ich in die Pension Eva über. Ich schlendere von einem Cafe zum anderen, trinke hier ein Glas und dort, gebe planlos mein Geld aus. Mit Alkohol betäube ich meine Unruhe. In ihm suche ich meine sterbende Liebe zu ertränken. Meinen Angehörigen verheiße ich in Gedanken einen Wohlstand, von dem sie seit dem Tod meines Vaters nicht mehr träumen konnten. Kurz vor der verabredeten Zeit begebe ich mich ins Casino Pelikan. Am Eingang treffe ich Tolba Marzuq, der mir äußerst ungelegen kommt. Aber ich schüttle ihm die Hand und gebe mich freudig überrascht.

»Was führt Sie denn hierher?« fragt er mich.

»Eine wichtige Verabredung!«

»Bitte, ich möchte Ihnen nichts schuldig bleiben. Wir wollen uns zusammensetzen, bis Ihr Freund kommt!«

Wir setzen uns in den Wintergarten, und er fragt mich mit seiner hohlen Stimme: »Cognac?« Ich bin zwar schon betrunken, habe aber Lust auf noch mehr Alkohol. Wir trinken, reden und lachen miteinander.

Dann fragt er mich: »Glauben Sie, daß man mich nach Kuwait zu meiner Tochter fahren läßt?«

»Ich glaube schon. Wollen Sie von vorn beginnen?«

»Nein, aber mein Schwiegersohn — er ist auch mein Neffe — hat dort große Reichtümer gemacht.«

»Wollen Sie vielleicht auswandern?«

In seine Augen tritt ein vorsichtiger Blick, als er entgegnet: »Aber nein, ich will nur meine Tochter besuchen!«

Ich neige mich zu ihm hinüber und frage: »Wollen Sie einen echten Trost?«

»Und der wäre?«

»Es gibt Leute, die die Revolution satt haben. Aber welches System könnte denn an ihre Stelle treten? So intensiv Sie auch darüber nachdenken: Es gibt als Alternative nur die Kommunisten oder die Muslimbrüder. Wen von beiden hätten sie lieber anstelle der Revolution?«

»Weder die einen noch die anderen«, beeilt er sich zu sagen.

Ich lächle voller Vertrauen und Siegesbewußtsein: »Sehen Sie, das war mir von vornherein klar! Lassen Sie sich das zum Trost gereichen!«

Es wird acht Uhr, aber Ali Bakir kommt nicht. Ich warte eine weitere qualvolle halbe Stunde. Dann gehe ich zum Telefon, wähle seine Privatnummer, jedoch niemand meldet sich. Vielleicht ist er auf dem Weg hierher, aber was hat ihn davon abgehalten, früher zu kommen? Kann er sich denn nicht vorstellen, wie sehr mich diese Verspätung auf die Folter spannt? Tolba Marzuq blickt auf die Uhr und sagt dann: »Ich muß mich verabschieden!« Dann schüttelt er mir die Hand und geht. Ich trinke weiter. Endlich kommt der Kellner, um mir zu sagen, daß mich jemand am Telefon verlangt. Ich springe auf, laufe zum Apparat, nehme den Hörer und merke, daß mein Herz wie rasend schlägt.

»Hallo! Ali? Warum bist du nicht gekommen?«

»Sarhan, hör zu! Die Sache ist aufgeflogen!«

Seine Worte dringen in mein vom Alkohol umnebeltes Hirn, und mir ist, als ob sich Himmel und Erde um mich drehen. »Was sagst du da?«

»Es ist aus mit uns!«

»Aber wieso? Sag schnell, was ist passiert?!«

»Was hat denn das jetzt noch für einen Sinn?! Der Fahrer wollte allein absahnen, und das ging schief! Er wird uns ans Messer liefern, wenn er es nicht bereits getan hat.«

Mir wird vor Angst der Mund trocken: »Was machen wir jetzt? Was tust du gerade?«

»Es ist aus mit uns! Ich tue, was mir der Teufel diktiert.« Er hängt auf.

Ich zittere. Meine Füße tragen mich kaum noch. Einen Augenblick lang denke ich daran wegzulaufen, aber ich kehre, beobachtet vom Kellner, an den Tisch zurück. Ich trinke mein Glas aus, bezahle die Rechnung. Verzweiflung kriecht mit bestürzender Schnelligkeit in mir hoch. Und eine höllische Angst. Ich gehe schnurstracks zur Bar, verlange vom Barkeeper eine Flasche Cognac und fange an, gedankenlos zu trinken, während er mir besorgt zuschaut. Ich gieße mir ein, trinke aus, gieße mir wieder ein, ohne ein Wort, ohne einen Seitenblick, ohne Unterbrechung.

Dann schaue ich zu ihm auf und sage: »Ein Rasiermesser bitte!«

Er lächelt, ohne sich zu bewegen. Ich wiederhole: »Ein Rasiermesser bitte!«

Er zaudert kurz. Als er die Entschlossenheit in meinem Gesicht sieht, ruft er den Kellner und fragt ihn nach dem Messer. Der bringt ein gebrauchtes Rasiermesser ohne Hülle. Ich nehme es ihm dankend ab und deponiere es in meiner Tasche. Mit einiger Mühe erhebe ich mich von der Bar und gehe zur Außentür, schwankend, verzweifelt, eilig. Ich überquere die Straße und wäre am liebsten gerannt, ganz schnell gerannt.

Ich bin verzweifelt, völlig verzweifelt.

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