16. Kapitel

Erneut kontrollierte Caitlin ihr Handy. Es war ein Uhr, und gerade hatte sie Jonah eine SMS geschickt. Keine Antwort. Vermutlich schlief er. Wahrscheinlich wollte er ohnehin nichts mehr mit ihr zu tun haben. Aber sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte.

Nachdem sie The Cloisters verlassen hatte, bekam sie in der frischen Nachtluft allmählich wieder einen klaren Kopf. Je weiter sie sich von diesem Ort entfernte, desto besser ging es ihr. Die Wirkung von Calebs Ausstrahlung und Energie ließ nach, und ihr logisches Denkvermögen kehrte zurück.

In seiner Gegenwart war sie aus irgendeinem Grund nicht in der Lage gewesen, klar zu denken. Seine Ausstrahlung hatte sie völlig in seinen Bann gezogen. Sie hatte nur noch an ihn denken können.

Doch seit sie wieder allein war, kehrten die Gedanken an Jonah zurück. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie Caleb mochte – als würde sie Jonah damit hintergehen. Jonah war in der Schule und bei ihrem Date so nett zu ihr gewesen. Sie fragte sich, was er jetzt wohl von ihr hielt, nachdem sie einfach davongerannt war. Wahrscheinlich hasste er sie.

Sie ging durch den Fort Tryon Park und warf erneut einen Blick auf ihr Handy. Glücklicherweise war es sehr klein, sodass sie es in der winzigen Innentasche ihres engen Rocks verstauen konnte.

Irgendwie hatte es alles unbeschadet überstanden, aber der Akku war fast leer. Er war seit fast zwei Tagen nicht mehr aufgeladen worden. Sie wusste, dass es nur noch wenige Minuten dauern konnte, bis sich das Handy ausschalten würde. Hoffentlich würde Jonah vorher antworten. Wenn nicht, hätte sie keine Möglichkeit mehr, ihn zu erreichen.

Schlief er? Ignorierte er sie? Das könnte sie ihm nicht verübeln. Wahrscheinlich würde sie es genauso machen.

Caitlin lief weiter durch den Park. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen sollte. Das Einzige, was sie wusste, war, dass sie diesen Ort weit hinter sich lassen musste. Sie musste weg von Caleb, weg von den Vampiren, weg von allem. Sie wollte ihr normales Leben zurück. Unbewusst hegte sie die Hoffnung, dass all das einfach verschwinden würde, wenn sie nur weit und lange genug ging. Die aufgehende Sonne würde einen neuen Tag bringen, und vielleicht würde sich herausstellen, dass alles nur ein Albtraum gewesen war.

Wieder kontrollierte sie ihr Handy. Jetzt blinkte es, und aus Erfahrung wusste sie, dass es sich in etwa dreißig Sekunden ganz verabschieden würde. Sie starrte auf das Display, während sie hoffte und betete, dass Jonah sich melden würde. Dass er anrufen und sagen würde: Wo bist du? Ich komme sofort. Dass er sie retten würde.

Aber plötzlich wurde das Display schwarz. Das Handy war tot. Absolut tot.

Resigniert steckte sie es wieder in die Tasche. Ihr blieb nur noch ihr neues Leben. Es gab niemanden mehr. Sie war ganz auf sich allein gestellt – wie sie es immer schon gewesen war.

Schließlich verließ sie den Fort Tryon Park und fand sich in der Bronx wieder. Die Stadt gab ihr das Gefühl von Normalität und Orientierung zurück. Sie wusste zwar immer noch nicht genau, wohin sie sich wenden sollte, aber es fühlte sich gut an, Richtung Stadtzentrum zu gehen.

Ja, das war es: Sie würde zur Penn Station laufen! Dort könnte sie einen Zug nehmen und weit weg fahren. Vielleicht würde sie an ihren letzten Wohnort zurückkehren. Vielleicht war ihr Bruder noch dort. Sie könnte von vorn anfangen. So, als wäre das alles nie passiert.

Sie blickte sich um, überall an den Wänden und Mauern waren Graffitis, und an jeder Straßenecke standen Nutten und Stricher. Aber diesmal ließen sie Caitlin in Ruhe. Vielleicht erkannten sie, dass sie am Ende ihrer Kräfte war und bei ihr nichts zu holen war.

Dann entdeckte sie ein Straßenschild: 186. Straße. Es würde ein langer Marsch werden. Hundertfünfzig Häuserblocks bis zur Penn Station. Dafür würde sie die ganze Nacht brauchen. Dennoch war es das, was sie wollte. Sie würde den Kopf frei bekommen, frei von Caleb und Jonah und den Ereignissen der vergangenen zwei Tage und Nächte.

Sie sah endlich Licht am Ende des Tunnels, und dafür lohnte es sich, die ganze Nacht zu laufen.

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