9

Es überraschte Vol’jin, dass Tyrathan bereits wach und aus dem Bett war, als er mit einem Jihui-Brett und den Spielsteinen in die Krankenstation trat. Der Mensch hatte es bis zum Fenster hinüber geschafft und stand nun dagegengelehnt, so wie Vol’jin selbst vor nicht allzu langer Zeit. Dem Troll fiel auf, dass der Mann seinen Stock am Fußende des Bettes zurückgelassen hatte.

Tyrathan blickte über die Schulter. „Man kann die Spuren des Sturms kaum noch erkennen. Es heißt, den Pfeil, der dich tötet, siehst du nie kommen. Ich habe diesen Sturm nicht kommen sehen. Nicht im Geringsten.“

„Taran Zhu meinte, solche Stürme wären ungewöhnlich, aber nicht selt’n.“ Vol’jin platzierte das Spielbrett auf dem Beistelltisch. „Je später sie komm’n, desto schwerer sind sie.“

Der Mann nickte. „Ich kann nichts sehen, aber ich kann es noch immer spüren. Da ist eine Kälte in der Luft.“

„Du solltest nicht barfuß herumspazier’n.“

„Du auch nicht.“ Tyrathan drehte sich ein wenig wackelig um und stützte sich mit den Ellbogen am Fensterrahmen ab. „Du hast dich selbst ganz gut an die Kälte gewöhnt. Noch vor dem Morgengrauen aufstehen, im Schnee an der Nordseite herumstapfen, wo den ganzen Tag keine Sonne scheint. Bewundernswert, aber dumm. Ich kann dir nur davon abraten.“

Vol’jin schnaubte. „Einen Troll dumm zu nennen, ist auch nicht sonderlich klug.“

„Ich hoffe, du lernst aus meinen Fehlern.“ Der Mensch stieß sich von der Wand ab und wankte auf das Bett zu. Trotz seiner Schwäche war das Humpeln fast ganz verschwunden. Vol’jin wandte sich ihm zu, machte aber keinerlei Anstalten, ihm zu helfen. Tyrathan lächelte und hielt sich am Fußende des Bettes fest, um sich zu erholen. Das war alles Teil des Spiels, das sie spielten.

Anschließend ließ der Mann sich auf den Rand des Bettes sinken. „Du bist spät dran. Musstest du meine Arbeiten übernehmen?“

Vol’jin tat die Frage mit einem Wink ab und zog den Beistelltisch herüber, dann holte er sich einen Stuhl. „So erhole ich mich schneller.“

„Jetzt musst du dich also um mich kümmern.“

Der Troll hob den Kopf. „Auch Trolle hab’n ein Pflichtgefühl.“

Tyrathan lachte. „Sogar ich kenne Trolle gut genug, um das zu wissen.“

Vol’jin schob das Spielbrett in die Mitte des Tisches. „Wirklich?“

„Erinnerst du dich noch daran, wie du meinen Troll-Akzent kommentiert hast? Du sagtest, es sei der Schlingendorn-Akzent?“

„Und du hast mich ignoriert.“

„Ich habe nur nicht geantwortet.“ Tyrathan nahm einen Behälter, schüttelte die Spielsteine heraus und ordnete sie in Sechsergruppen an. „Willst du wissen, wie ich die Sprache gelernt habe?“

Vol’jin zuckte die Schultern – nicht weil es ihn nicht interessierte, sondern weil er wusste, dass der Mensch es ihm ohnehin erzählen würde.

„Du hattest recht. Es ist der Akzent des Schlingendorntals. Ich fand einen Troll und behielt ihn ein Jahr bei mir. Ich bezahlte ihn gut, und er redete sich wohl ein, dass er mein Führer wäre. Er erfüllte seine Pflichten vorbildlich. Von ihm erlernte ich eure Sprache – zuerst, ohne dass er es überhaupt merkte. Ich hörte ihm einfach zu, und später unterhielten wir uns dann so. Ich habe ein Talent für Sprachen.“

„Das glaube ich dir.“

„Das Fährtenlesen ist auch eine Sprache. Jeden Tag bin ich seiner Fährte gefolgt, vom selben Fleck aus, bis seine Fußspuren sich verliefen. In der heißen Jahreszeit, nach dem Regen, lernte ich diese Sprache noch besser. Ich konnte sagen, wann er an einer Stelle vorbeigekommen war, wie schnell er gegangen war, ob gebückt oder aufgerichtet.“

„Hast du ihn nach diesem Jahr umgebracht?“

Tyrathan warf die schwarzen Würfel zurück in den Behälter. „Nicht ihn. Aber ich habe andere Trolle getötet.“

„Ich hab keine Angst vor dir.“

„Ich weiß. Ich habe auch Menschen getötet, ebenso wie du.“ Er stellte den Behälter auf den Tisch. „Dieser Troll, er nannte sich Keren’dal. Er betete. Zumindest dachte ich, er würde beten, und ich brachte es zur Sprache. Da sagte er, er würde mit den Geistern reden. Ich habe vergessen, wie er sie nannte.“

Vol’jin schüttelte den Kopf. „Das hast du nicht vergessen. Er hat’s dir nie erzählt. Geheimnisse bleiben Geheimnisse.“

„Manchmal war er reizbar, so wie du. Meistens dann, wenn er zu ihnen sprach, aber keine Antwort erhielt.“

„Antwortet dein Heiliges Licht dir denn, Menschling?“

„Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, daran zu glauben.“

„Wahrscheinlich hat es dich darum im Stich gelass’n.“

Tyrathan lachte. „Ich weiß, warum ich verlassen bin. Aus demselben Grund wie du.“

Vol’jin zwang sein Gesicht zu einer neutralen Maske, aber allein das zeigte ihm, dass er sich verraten hatte. Tatsache war, seitdem er durch Tyrathans Erinnerungen gewandert war, seit er die Welt durch die Augen des Menschen gesehen hatte, waren die Loa distanziert und leise. Es fühlte sich an, als würde der Sturm, der über das Kloster hinweggezogen war, in der Geisterwelt weitertoben. So konnte er Bwonsamdi und Hir’eek und Shirvallah zwar sehen, aber nur als vage graue Silhouetten, die hinter weißen Wogen verschwanden.

Er glaubte noch immer an die Loa, an ihre Führung und ihre Geschenke, und daran, dass es nötig war, sie anzubeten. Er war ein Schattenjäger. Er konnte Spuren mit derselben Leichtigkeit lesen wie Tyrathan; und genauso mühelos konnte er normalerweise mit den Loa in Kontakt treten. Doch dieser Sturm verschluckte Spuren und wehte Worte im wirbelnden Wind davon.

Er hatte versucht, sie zu erreichen, und sein letzter Versuch war überhaupt erst der Grund, dass er zu spät zu diesem Treffen mit Tyrathan gekommen war. Er hatte sich in seiner Kammer gesammelt und das Bewusstsein für seine Umgebung hinter sich gelassen, aber er konnte die Barriere des Sturms einfach nicht durchbrechen. Die Kälte, die Entfernung von seiner Heimat und die Tatsache, dass er ins Fleisch des Menschen geschlüpft war – all das schien ihn abzulenken. Er konnte sich nicht stark genug konzentrieren, um dieses Hindernis zu durchbrechen und die Distanz zwischen sich und den Loa zu überbrücken.

Es war, als hätte Bwonsamdi seinen Anspruch auf Vol’jin aufgegeben, als hätte er das Interesse an ihm verloren.

Der Kopf des Trolls ruckte hoch. „Und warum bist du verlass’n?“

„Wegen meiner Furcht.“

„Ich habe keine Angst.“

„Doch, das hast du.“ Tyrathan tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. „Ich kann es noch immer in meinem Geist spüren, Vol’jin. In meine Haut zu schlüpfen, hat dir eine Heidenangst eingejagt. Nicht weil du es abstoßend fandest – jedenfalls nicht nur deswegen. Sondern weil ich so zerbrechlich bin. Oh ja, dieses Gefühl ist in mir zurückgeblieben, bitter und ölig, und es wird nie wieder verschwinden. Es ist ein Eindruck, den ich sicher in Ehren halten werde, aber du scheinst zu übersehen, wie wichtig er für dich ist.“

Vol’jin nickte einmal, obwohl er eigentlich nicht wollte.

„Dass ich so leicht Schaden nehme, hat dich daran erinnert, wie nahe du dem Tod warst. Da lag ich, mit gebrochenem Bein, festgenagelt, ohne jede Hoffnung auf Flucht. Ich wusste, dass ich sterben würde. Und du hast dasselbe gefühlt, als sie versuchten, dich umzubringen. Weißt du noch, was danach geschehen ist?“

„Chen hat mich gefund’n. Mich hierher gebracht.“

„Nein, nein. Das hat man mir schon erzählt.“ Der Mensch schüttelte den Kopf. „Woran erinnerst du dich, Vol’jin?“

„Als ich in deinem Körper gewesen bin, warst du da in meinem?“

„Nein. Das würde ich auch nie tun. Es war schlimm für dich zu sehen, wie verwundbar ich bin, aber noch schlimmer wäre es, wenn ich sehen würde, wie unverwundbar du dich fühlst. Aber das ist nicht der Punkt. Erinnerst du dich, was nach dem Kampf geschah? Wie du dorthin gelangt bist, wo Chen dich gefunden hat? Weißt du überhaupt, warum du noch am Leben bist?“

„Ich lebe, Mensch, weil ich nicht sterben wollte.“

Der kleine Käfer von einem Mann lachte arrogant. „Das redest du dir ein. Aber genau das ist es, wovor du Angst hast. Du weißt es nämlich nicht. Dieses Glied in der Kette der Ereignisse zwischen dem Vol’jin, der du warst, und dem Vol’jin, der du jetzt bist, wurde durchtrennt. Du kannst zurückblicken, und du siehst, wer du warst. Du kannst dich fragen, ob das noch immer du bist – aber da ist eine Leere. Du bist dir nicht sicher. Du kannst nicht sicher sein“

Der Troll knurrte. „Und du bist sicher.“

„Wer ich bin?“ Wieder lachte Tyrathan, aber die Tonlage hatte sich verändert. Jetzt durchzogen Melancholie und ein Hauch von Wahnsinn den Laut. „Du hast gesehen, was du gesehen hast. Soll ich dir den Rest erzählen? Das, was du nicht gesehen hast?“

Wieder reagierte Vol’jin nur mit einem Nicken, wobei er versuchte, nicht über die Worte des Mannes zu urteilen.

„Ich habe aufgehört, Tyrathan Khort zu sein. Ich bin nicht als Mensch von diesem Ort fortgekrochen, sondern als Tier. Vielleicht sah ich mich selbst, wie mich auch ein Troll sehen würde. Verwundet, erbärmlich, angetrieben nur von Hunger und Durst. Ich, ein Mann, der mit Fürsten und Prinzen an einem Tisch gesessen, das beste Fleisch auf einem Silberteller vorgesetzt bekommen hatte, musste plötzlich Larven aus sterbenden Bäumen kratzen. Ich aß Wurzeln, weil ich hoffte, dass sie mich entweder heilen oder ganz umbringen würden, aber viele von ihnen sorgten einfach nur dafür, dass ich mich noch elender fühlte. Ich deckte mich mit Schlamm zu, um das Ungeziefer fernzuhalten, und ich knotete Zweige und Blätter in meine Haare, damit ich mich vor Jägern beider Seiten verstecken konnte. Ich schreckte vor allem und jedem zurück, bis ein Pandaren, der gerade fröhlich summend Kräuter sammelte, über mich stolperte.“

„Warum hast du nicht deinen Tierbegleiter geruf’n?“

Das ließ Tyrathan innehalten. Er senkte den Kopf und schwieg einen Moment. Nachdem er geschluckt hatte, klang seine Stimme angespannter, leiser. „Mein Tiergefährte hatte sich an den Mann gebunden, der ich einmal war. Ich wollte ihm nicht seine Ehre rauben, indem ich mich ihm so zeigen würde.“

„Und jetzt?“

Der Mensch schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht länger Tyrathan Khort. Mein Gefährte antwortet nicht mehr auf meinen Ruf.“

„Hat das damit zu tun, dass du den Tod fürchtest?“

„Nein, ich fürchte andere Dinge.“ Der Mann blickte auf, und seine Augen schimmerten wie Smaragde. „Du fürchtest den Tod.“

„Ich hab keine Angst vor dem Sterb’n.“

„Ich meinte mehr als nur das Sterben.“

Die Bemerkung war ein Schwert, das sich bis zum Heft in Vol’jins Brust bohrte. Er hatte erkannt, wie passend die Analogie mit der Kette war, auch wenn er es ungern zugab. Offensichtlich hatte die Person, die er gewesen war, Fehler gemacht, und diese Fehler hatten beinahe zu ihrem Tod geführt. Doch er lebte noch, und er hatte dazugelernt; er würde dieselben Fehler kein zweites Mal begehen. Etwas in seinem Geist schloss daraus jedoch, dass der alte Vol’jin makelbehaftet, minderwertig gewesen war. Dass auch ihm Irrtümer unterliefen, konnte er noch akzeptieren, aber diese Vorstellung war zu viel. Dennoch ließ sich der Gedanke nicht mehr abschütteln, dass er unter diesen veränderten Bedingungen nie wieder der Troll sein konnte, der er einmal gewesen war.

Die Kette ist durchtrennt. Die Verbindung unterbrochen.

Dieser Verlust verlieh ihm einen neuen Blickwinkel auf das große Ganze. Vol’jin war nicht nur ein Troll. Er war der Anführer der Dunkelspeere. Er war einer der Köpfe der Horde. Der alte Troll war gestorben. Konnte die Distanz der Loa darauf hindeuten, dass der Schattenjäger ebenfalls tot war? Und bedeutete dieser Tod, dass auch die Dunkelspeere sterben würden, oder die Horde?

Bedeutet das, der Traum meines Vaters stirbt? Sollte dieser Traum enden, würde der Kampf zur Befreiung der Echo-Inseln von Zalazane dann nicht wie ein grausamer Scherz erscheinen? All das Blut, das vergossen worden war – bedeutungslos. All der Schmerz – sinnlos. Ein Ereignis nach dem anderen, alles, was sein Leben ausgemacht hatte und mehr, bis hin zur Geschichte der Trolle, begann zu zerbröckeln.

Habe ich Angst davor, dass mein Versag’n, mein Tod, den Untergang der Dunkelspeere, der Horde, aller Trolle nach sich zieht? Er stellte sich den schwarzen Abgrund zwischen dem Vol’jin, der in einer Blutlache in einer dunklen Höhle lag, und dem Vol’jin, der im Kloster erwachte, bildlich vor. Wird diese Leere alles verschling’n?

Die Stimme des Menschen war kaum mehr als ein Wispern. „Möchtest du wissen, was das wirklich Grausame an der Sache ist, Vol’jin?“

„Sag es mir!“

„Du und ich, wir sind beide gestorben. Wir sind nicht mehr, wer wir waren.“ Tyrathan blickte auf seine leeren Hände hinab. „Jetzt müssen wir uns neu erschaffen. Nicht unser altes Ich wiederherstellen, sondern uns von Grund auf neu erschaffen. Und das ist das Grausame: Beim ersten Mal hatten wir all die Energie der Jugend. Wir wussten nicht, dass unsere Träume unerreichbar sind – wir gingen einfach los und verfolgten sie. Die Unschuld beschützte uns, unser Enthusiasmus und unsere unerschütterliche Zuversicht halfen uns über jeden Rückschlag hinweg. Aber jetzt haben wir nichts von alledem mehr. Jetzt sind wir älter, schlauer, müder.“

„Aber die Last, die wir tragen, ist nicht mehr so schwer.“

Der Mann schmunzelte. „Wohl wahr. Ich glaube, darum gefällt mir die Schlichtheit des Klosters so. Alles ist spartanisch. Die Pflichten sind klar umrissen. In diesem Umfeld kann man sein Bestes geben.“

Die Augen des Trolls wurden schmal. „Du kannst mit Pfeil und Bog’n umgeh’n, aber du beobachtest die Schützen nur. Warum machst du nicht mit?“

„Ich habe noch nicht entschieden, ob das noch ein Teil von mir ist.“ Tyrathan blickte auf und öffnete den Mund, aber nur, um ihn abrupt wieder zuzuklappen.

Vol’jin neigte den Kopf. „Du hattest eine Frage.“

„Eine Frage zu haben heißt nicht, dass man eine Antwort verdient.“

„Nun frag schon!“

„Werden wir unsere Ängste überwinden?“

„Keine Ahnung.“ Der Troll presste die Lippen zu einer schmalen, grimmigen Linie zusammen. „Wenn ich eine Antwort finde, bist du der Erste, der’s erfährt.“


Als Vol’jin sich in dieser Nacht hinlegte und der Schlaf die wachende Welt hinfortwischte, bewiesen die Loa, dass sie sich noch nicht ganz von ihm abgewendet hatten. Er fand sich als eine von Tausenden Fledermäusen wieder, die durch die Nacht flatterten. Hir’eek war zwar nicht bei ihm, aber es konnte nur der Wille des Loa sein, dass Vol’jin im Körper seines Symboltiers steckte. Also flog er mit den anderen dahin und las in den Echos ihrer Schreie, welche die Dunkelheit in eine farblose Welt der Geräusche verwandelten.

Er war überzeugt, dass er nur deshalb noch mit den Loa in Verbindung treten konnte, weil ein so großer Teil von ihm sich als Schattenjäger sah. Er konnte zwar nicht in diese Leere blicken, aber wenn jemand sie zu durchdringen vermochte, dann ein Schattenjäger. Von all dem, was er in seinem Leben erlernt und durchgemacht hatte, war es dieser Teil gewesen, der ihn lange genug am Leben gehalten hatte, um aus der Höhle zu fliehen.

Und die Fledermäuse in dieser Höhle, die haben die Leere geseh’n. Sie wiss’n, was ich vergess’n habe. Er hoffte, dass diese Vision ihm die Leere zeigen würde, und sei es nur in der Schallsicht der Fledermäuse. Und er hoffte, dass die Kette sich wieder zusammenfügen ließe, auch wenn er tief in seinem Inneren wusste, dass es nicht leicht werden würde.

Doch in seiner Weisheit führte Hir’eek den Troll an einen anderen Ort, in eine andere Zeit. Die scharfen Kanten der Steinhäuser zeigten Vol’jin, dass er von neuen Gebäuden umgeben war, nicht von alten Ruinen. Er vermutete daher, dass man ihn in die Periode zurückgebracht hatte, als viele verschiedene Stämme aus den Zandalari hervorgegangen waren und die Trolle sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht befunden hatten. Die Fledermäuse kreisten, dann ließen sie sich in den hohen Türmen um einen zentralen Hof nieder, wo Troll-Legionen eine wogende Menge von insektoiden Aqir-Gefangenen dahinführten.

Es waren Amani, Waldtrolle, die gerade aus dem Krieg mit den Aqir zurückkehrten. Vol’jin kannte die Geschichte genau, aber er vermutete, dass Hir’eek ihn an mehr erinnern wollte als nur an die glorreichen Tage des Amani-Imperiums.

Denn genau die zeigte ihm die Vision. Trolle geleiteten die Aqir mit vorgehaltenen Speeren eine Treppe hinauf, an deren Spitze bereits Priester warteten. Akolyten hievten die Gefangenen anschließend mit bloßgelegten Bäuchen auf Steinaltare, die ganz glitschig waren von Wundsekreten, und dann hoben die Priester Dolche über den Kopf. Die Klinge und das Heft waren jeweils mit einem Symbol verziert, eines für jedes Loa. Die Schallsicht zeigte Vol’jin auch die Griffe, und einen Herzschlag lang sah er auf einem Hir’eeks Gesicht, bevor die Klinge nach unten gerammt wurde und den Bauch des Opfers aufschnitt.

Da manifestierte sich Hir’eek selbst über dem Altar, während der Geist des Aqir als ätherische Dampfwolke aus seiner Leiche emporstieg. Der Fledermausgott atmete sie ein, und dann zog er sich mit unmerklichen Bewegungen seiner sanften Flügel dichter zusammen, sodass seine hell leuchtende Gestalt klarer und schärfer wurde.

Das konnte die Schallsicht Vol’jin aber nicht zeigen. Das sah er mit seinem inneren Auge; eine Fähigkeit, welche er als Schattenjäger verfeinert hatte und der er bedingungslos vertraute. Hir’eek demonstrierte dem Troll, wie man ihn angemessen verehrte – die Pracht und Ehre, die ein Loa verdiente.

Eine Stimme erklang in Vol’jins Kopf, hoch und piepsend. Du hast hart gearbeitet, damit die Dunkelspeere weiterbestehen und es Trolle gibt, die uns anbeten. Diese Mühe, sie zieht dich von uns fort. Dein Körper heilt, aber deine Seele nicht. Und sie wird nie gesunden, wenn du dich nicht wieder des echten Weges besinnst. Wende dich von deiner Vergangenheit ab, und der Abgrund wächst weiter.

„Aber wird er sich schließen, wenn ich zu den alten Wegen zurückkehre, Hir’eek?“ Vol’jin saß senkrecht da und sprach in die Dunkelheit hinein. Anschließend wartete er. Und lauschte.

Doch es kam keine Antwort, und darin sah er ein böses Omen.

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