Kapitel 19

In der großen Halle der Burg von Cashel drängten sich viele Leute. Brehon Baithen war aus Lios Mhor eingetroffen. Colgu hatte nach Absprache mit Fidelma verkündet, daß wegen Alchus Entführung und der Ermordung von Sarait eine Gerichtsverhandlung anberaumt worden sei. Es schien, als ob ganz Cashel und Umgebung verfolgen wollte, wie der neue oberste Bre-hon von Muman in dieser Angelegenheit Recht sprach.

Man hatte alle Zeugen zusammengerufen. Forindain, den Zwerg, Corb und Corbnait, Nessan und Muirgen, Conchoille, den Holzfäller. Alle, die mit den Ereignissen zu tun hatten, befanden sich in der überfüllten Halle. Della war gekommen und saß mit etwas düsterem Gesicht auf ihrem Platz, neben ihr saß Gorman, der ebenso verdrießlich dreinschaute. Auch Saraits Schwester Gobnat war da, die Della finstere Blicke zuwarf. Neben Capa saß Caol. Selbst der alte Apotheker Conchobar, der sonst nie solchen Veranstaltungen beiwohnte, wenn es nicht unbedingt erforderlich war, war zu dieser Gerichtsverhandlung erschienen.

Die Krieger hatten auch Fiachrae von Cnoc Loinge herbeigeschafft, der nun Gefangener von Cashel war. Er würde sich später dem Vorwurf des Verrats an den Eoghanacht und der Verschwörung mit den Ui Fid-gente stellen müssen. Inzwischen hatten sich reichlich Zeugen eingefunden, die seine heimlichen Machenschaften belegen konnten.

Auf besondere Einladung des Königs hin war Conri mit seinen Kriegern erschienen. Viele Bewohner von Cashel warfen ihnen abschätzige Blicke zu und stießen unflätige Drohungen aus. Auch der alte Brehon Dathal hatte die Halle betreten und war sofort auf den Sitz des obersten Brehon zugesteuert. Ein Diener hatte ihn zu einem seitlich stehenden Stuhl führen müssen.

Fidelma und Eadulf hatten sich links von den Stühlen des Königs, seines Tanist und des obersten Bre-hons niedergelassen. Cerball, der Chronist und Barde, und Bischof Ségdae hatten ebenfalls ihre Plätze eingenommen. Dann klopfte der Gerichtsdiener mit seinem Amtsstab auf den Boden, woraufhin sich alle Anwesenden erhoben. Colgu, Finguine und Brehon Baithen betraten die Halle und schritten zu ihren Sitzen.

Erwartungsvolles Gemurmel erhob sich. Colgu hob die Hand und verlangte Ruhe.

»Ich muß wohl nicht erklären, warum wir uns hier versammelt haben und was in den letzten beiden Wochen geschehen ist. Es ist meine Pflicht, Brehon Baithen an meinem Hof zu begrüßen und zu verkünden, daß er der neue oberste Brehon dieses Königreiches ist. Brehon Dathal, der das Amt seit der Zeit meines Vaters innehielt und uns darin lange und gut gedient hat, hat den Entschluß gefaßt, einem neuen und jüngeren Richter Platz zu machen. Wir wünschen ihm in seinem neuen Leben Wohlergehen und versichern ihm, daß wir immer auf seine Erfahrung und seinen Rat zurückkommen werden, wenn es künftig vonnöten sein sollte.«

Gerüchte über Brehon Dathals Amtsrücktritt hatten unter den Bewohnern von Cashel schon die Runde gemacht. Die Menge in der Halle war also nicht überrascht über Colgus Mitteilung.

Der König überließ nun seinem neuen obersten Richter das Wort.

Baithen war ein Mann in mittleren Jahren, aber sein Gesicht wirkte irgendwie alterslos. Seine Haut war jung und makellos, sein Haar schimmerte weizenblond. Er war etwas korpulent und schien eine humorvolle Person zu sein. Seine hellen Augen funkelten, als sei diese Verhandlung ein unterhaltsames Ereignis.

»Diese Anhörung ist gerichtlich, ich werde keine Proteste dulden. Ich werde es auch nicht dulden, wenn jemand das Gesetz, die Vertreter des Gesetzes oder den ernsten Rahmen dieser Verhandlung nicht respektiert.« Allein seine Gesichtszüge widersprachen jenem ernsten Rahmen. »Kommen wir zum Anlaß unseres Hierseins. Fidelma von Cashel wird uns durch die Verhandlung führen.«

Fidelma erhob sich schnell, verneigte sich ehrerbietig vor dem Brehon und ihrem Bruder und wandte sich an die Versammelten.

»Ihr alle wißt, daß meine Amme Sarait und mein Sohn Alchu vor fast zwei Wochen verschwunden sind. Man nahm an, daß Alchu entführt worden ist und Sarait dabei ermordet wurde. Es gingen Gerüchte um, daß die Ui Fidgente damit zu tun hätten. Dem war aber nicht so. Ihr alle kennt Bruder Eadulf, der mein treuer Gefährte und Alchus Vater ist. Er wird nun den ersten Teil des Hergangs darstellen, um zu beweisen, daß unser Kind nicht entführt, sondern durch Zufall mitgenommen wurde. Er wird, wie ich weiß, sich sehr bescheiden geben, aber er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, als er der Spur unseres Kindes bis zu Uamans Turm folgte und es sicher nach Cashel zurückbrachte.«

Sie sah Eadulf an, der verlegen aufstand und rasch erzählte, wie er Alchu gefunden und mit ihm nach Cashel zurückgekehrt war. Fidelma lächelte zufrieden, als in der Halle anerkennendes und bewunderndes Gemurmel aufkam. Als Eadulf wieder Platz nahm, ergriff sie erneut das Wort.

»Sollten einige Punkte in der Schilderung angezweifelt werden, können die hier anwesenden Zeugen alles bestätigen«, verkündete sie, an Brehon Baithen gewandt. »Gorman und Bruder Basil Nestorios befinden sich hier. Auch der Kräutersammler und seine Frau und der Schäfer Nessan mit seiner Frau sind anwesend. Alle werden Eadulfs Aussagen bestätigen.«

Brehon Baithen fragte, ob jemand Eadulfs Bericht anzweifeln würde, doch als sich niemand meldete, gab er Fidelma das Zeichen, weiterzumachen.

»Nun, alle, die diesen Ausführungen gefolgt sind, werden gemerkt haben, daß eine Sache im dunkeln geblieben ist. Wenn Alchu gar nicht entführt wurde und Sarait nicht deswegen aus der Burg gelockt worden ist, dann zielte der Anschlag ganz offensichtlich auf sie. Sie war das Opfer. Der infame Plan sah vor, sie zu töten. Warum das so ist und wer dahintersteckt, das sind die Fragen, die wir heute beantworten wollen.«

Sie hielt inne und ließ ihren Blick über die erwartungsvollen Gesichter vor ihr schweifen.

»Das einfachste ist wohl, wenn ich hier von Anfang an die traurige Geschichte zweier Schwestern erzähle. Sie heißen Gobnat und Sarait. Sarait war die jüngere der beiden. Beide hatten Krieger der Leibgarde des Königs von Cashel geheiratet. Wie ihr alle wißt, heiratete die eine Capa, den jetzigen Befehlshaber der Leibgarde. Die andere heiratete Callada, der bei Cnoc Äine fiel. Es gab aber jemanden, der eifersüchtig auf Saraits Ehe mit Callada war, weil er sie selbst begehrte. Sie lehnte seine Annäherungsversuche jedoch ab, denn sie war mit Callada glücklich.«

Gorman stöhnte auf und beugte sich vor. Della legte eine Hand auf seinen Arm.

»Ich habe sie geliebt«, murmelte der junge Krieger hörbar für alle in der Halle.

Fidelma sah ihn ausdruckslos an. »Wie du mir schon bei unserer ersten Unterredung erklärt hast und später auch gegenüber Eadulf wiederholtest.« Sie schwieg kurz und wandte sich wieder an das gesamte Publikum. »Der Krieger, der Sarait begehrte, hegte bald so großen Haß gegen Callada, daß er vor nichts zurückschreckte. Dann kam der Tag, an dem er in der Schlacht von Cnoc Äine die Gelegenheit beim Schopfe packte und seinen Rivalen tötete. Gerüchte machten die Runde, so wie immer. Gerüchte, daß Callada von einem Mann aus den eigenen Reihen ermordet worden sei. Ich muß nicht so berühmte Krieger wie Cathalan herbeizitieren, um die Geschichte bestätigen zu lassen, oder gar Capa, der die Truppe befehligte, in der Callada damals gekämpft hat. Gorman befand sich in dieser Truppe. Caol ebenso. Auch viele andere, die bei Cnoc Äine dabei waren, wie Ferloga und Conchoille. Niemand wird die Gerüchte leugnen können ...«, sie zögerte, »und sie stimmten.«

Nun herrschte betretenes Schweigen in der Halle.

»Ein wenig später«, fuhr sie fort, »bedrängte Calla-das Mörder Sarait aufs neue. Sarait mißtraute inzwischen diesem Mann sehr. Sie hatte unterdessen aber Trost bei einem anderen Mann gefunden, und das trieb den Mörder zur Weißglut.

Es verging ein wenig Zeit, bis der Mörder seine Gefühle nicht länger im Zaum halten konnte und Sarait vergewaltigte. Ich glaube, daß er damals sogar mit seiner Tat geprahlt hat - ich sage, es geschah aus purer Begierde, obwohl er das Gegenteil behauptete. Sarait war von dem Mann angewidert. Das Wort ist noch viel zu milde für den Ekel, den sie empfand. Als sie bemerkte, daß sie als Folge der Vergewaltigung ein Kind erwartete, war sie ganz kopflos, denn sie verabscheute den Gedanken an ein Kind von diesem Mann. Sie suchte Della auf, denn Della war angeblich in diesen Dingen bewandert. Sie vertraute sich ihr an, verschwieg aber den Namen des Mannes, der sie ins Unglück gestürzt hatte.

Außerdem hatte sie Della gesagt, daß sie das Kind nicht austragen wollte. Sie probierte vieles aus, aber das Kind kam zur Welt. Doch irgendwie waren ihre Gebete erhört worden, denn das arme Wesen wurde tot geboren. Als Sarait in die Burg kam und Arbeit suchte, nahm ich sie als Amme für meinen Sohn Alchu. Hier muß ich gestehen, daß ich damals irrtümlich glaubte, daß das Kind, daß sie ausgetragen hatte, von ihrem Mann Callada stammte.

Eadulf hat mich aber später darauf hingewiesen, daß Callada unmöglich Vater des Kindes gewesen sein konnte. Sie hatte es viele Monate nach Calladas Tod zur Welt gebracht. Da wurde mir klar, daß wir ein weitaus größeres Rätsel zu lösen hatten.« Sie sah zu Della hin. »Sarait war nicht Dellas einzige Vertraute. Auch Gorman hatte sich ihr anvertraut - er hatte ihr gegenüber preisgegeben, daß er in Sarait verliebt war.«

Della war blaß geworden und schwankte ein wenig auf dem Stuhl hin und her, wobei sie sich an Gormans Hand klammerte.

»Ich habe gesehen, daß Gorman eines Abends ihr Haus verließ und sie vertraut umarmte. Manchmal sprechen Taten deutlicher als Worte zu uns, nicht wahr?«

Della riß sich zusammen. »Gorman hat Sarait nicht umgebracht. Er war in sie verliebt, und sie sagte mir, daß sie sein freundliches Wesen sehr mochte. Er gehört nicht zu den Männern, die Frauen vergewaltigen.«

Gobnats haßerfüllte Augen schauten zu Della hinüber.

»Diese Hure sollte nicht hier unter uns sein!« rief sie. »Wie scheußlich! Sie ist doppelt so alt wie Gorman. Ich schätze, daß sie ihn dazu angetrieben hat, meine Schwester umzubringen.«

Fidelma ignorierte ihren Zwischenruf.

»Ja, es gab einen Plan, Sarait umzubringen. Der war nicht einfach, denn derjenige, der sie umgebracht hat, wollte jeglichen Verdacht von sich ablenken. Das Motiv für den Mord war Haß, denn Sarait war unabsichtlich für den Krieger zum Objekt der Lust und für den Mörder zum Objekt der Eifersucht geworden.« Sie blickte Della rasch an. »Hinter diesem Plan steckte eine Frau.«

Della erwiderte ihren Blick, sie war ganz bleich. Gorman stöhnte erneut auf. Totenstille herrschte in der Halle.

»Der Plan sah vor, eines Abends Sarait aus der Burg zu locken und sie zu töten. Aber wie sollte man das machen, ohne daß ihr Mörder die Aufmerksamkeit auf sich zog? Die Frau, die das Ganze schlau eingefädelt hat, stellte sich in den Schatten des Gasthauses, um nicht erkannt zu werden. Sie fragte ein Kind, ob es für sie zur Burg laufen und die Nachricht überbringen würde, daß Gobnat unbedingt ihre Schwester zu sehen wünschte. Nur solch eine Nachricht würde Sarait bei Anbruch der Dunkelheit hinauslocken. Aber das Kind konnte diesen Gang nicht übernehmen, weil sein Vater gerade das Gasthaus verlassen und so viel corma getrunken hatte, daß er ohne Hilfe den Weg nach Hause nicht schaffte. O ja« - Fidelma lächelte in die Menge - »ich habe dieses Kind gefunden und mich mit ihm unterhalten.«

Sie schwieg einen Moment; doch in der großen Halle war es ganz still.

»Die Frau hatte aber Glück«, erklärte Fidelma weiter. »Ein Fremder näherte sich dem Gasthaus, ein Schauspieler aus einer Wandertruppe - ein crossan -, der die Stadt erkunden wollte, weil sie beabsichtigten, hier eventuell eine Vorstellung zu geben. Es war ein Zwerg namens Forindain. Die Frau bot ihm einen screpall an, wenn er die Botschaft zur Burg brächte. Forindain zeigte sich nicht abgeneigt. Aber die Frau kannte die Wachen der Burg nur zu gut und wußte, daß sie lästige Fragen stellen würden. Also riet sie dem Zwerg, so zu tun, als sei er stumm. Sie nahm aus ihrem marsupium ein Stück Birkenrinde, auf die sie schon die Worte >Man schickt mich zu Sarait< geschrieben hatte. So würde niemand weiter nachfragen. In diesem Moment fiel jedoch etwas Licht auf die Frau. Forindain sah, daß sie einen ganz besonderen Umhang trug. Er hat ihn mir beschrieben.«

Auf einmal meldete sich Caol zu Wort.

»Das kann nicht sein, Fidelma«, protestierte er. »Der Zwerg wurde bei Cnoc Loinge umgebracht, ehe man ihn verhören konnte. Du kannst doch einem Toten nicht irgendwelche Worte in den Mund legen!«

Fidelma hielt inne und wartete, bis sich das Gemurmel in der Halle wieder legte.

»Der arme Zwerg, der bei Cnoc Loinge umgebracht wurde, war Forindains Bruder Iubdan, der zufällig Forindains Kostüm trug. Man hat ihn mit seinem Bruder verwechselt. Das hat ihn das Leben gekostet.«

Capa blickte zu dem Zwerg, der ganz in der Nähe saß.

»Willst du damit sagen, daß dieser ...?« begann er.

»Dort sitzt der wahre Forindain.« Fidelma zeigte auf den kleinen Komödianten, der an jenem Abend die Botschaft zu Sarait gebracht hatte. »Er ist derjenige, der mir einen gewissen Umhang beschrieben hat. Ich wußte sofort, wem er gehört. Man wollte Forindain für immer zum Schweigen bringen, hat ihn aber mit Iubdan verwechselt.«

Capa zeigte auf Gorman. »Gorman hat den Zwerg gefunden, als wir in Cnoc Loinge waren.«

»Ja, ich habe die Leiche gefunden«, murmelte Gorman, »aber ich habe es Capa sofort mitgeteilt.«

»Daran erinnere ich mich«, sagte Fidelma. »Kehren wir noch einmal zu dem Kleidungsstück zurück.« Sie hielt den grünen Seidenumhang mit der roten Stickerei hoch. In der großen Halle kam wieder Gemurmel auf.

»Das ist der Umhang der Hure dort!« schrie Gob-nat auf einmal, und einen Moment lang herrschte ein ziemliches Durcheinander, so daß Brehon Baithen die Menge zur Ruhe rufen mußte.

»Du erkennst ihn, Gobnat?« fragte Fidelma.

»Ich kann bezeugen, daß diese Hure ihn getragen hat. Also stecken beide unter einer Decke. Sie haben meine Schwester ermordet!«

Fidelma legte den Umhang beiseite. Sie nahm die beiden Babyschuhe in die Hand.

»Als wir einen Beweis für Alchus Entführung verlangten, wurde uns ein Babyschuh geschickt. Den anderen fand ich gestern zusammen mit dem Seidenum-hang. Beide waren auf Dellas Hof vergraben worden.«

Wütende Rufe drangen aus der Menge, einzelne Personen sprangen auf und gestikulierten heftig. Ihr Zorn richtete sich gegen Gorman und die ehemalige bé-taide. Wieder mußte Brehon Baithen eingreifen und in aller Strenge zur Ruhe mahnen. Als sich der Lärm gelegt hatte, fuhr Fidelma fort: »Ein Hund brachte mich schließlich auf die Lösung. Della, es tut mir leid, daß ich dich derart auf die Probe gestellt habe. Verzeih auch du mir, Gorman. Della und Gorman haben nichts mit der ganzen Sache zu tun, auch wenn sie durch verschiedene Dinge mein Mißtrauen erregten. Mein Argwohn wuchs, weil die wahren Täter -oder wenigstens einer von ihnen - alles dafür taten, eine falsche Spur zu Della legen. Della und Gorman lieben sich . Aber diese Liebe ist die einer Mutter zu ihrem Sohn und umgekehrt. Nicht wahr?«

Dieser Hinweis wäre nicht nötig gewesen. Die Gesichter von Mutter und Sohn verrieten alles. Das Schweigen, das sich nun in der großen Halle ausbreitete, war beinah unheimlich. Die Menge schien den Atem anzuhalten.

Brehon Baithen beugte sich auf seinem Amtsstuhl vor. »Willst du uns nicht vielleicht endlich den Schuldigen nennen, Fidelma?« fragte er ein wenig sarkastisch.

»Ist nicht ohnehin klar, wer das ist?« fragte Fidelma.

»Gobnat hat ihre eigene Schwester umgebracht, weil ihr Mann Capa in sie verliebt war. Capa hat Callada bei Cnoc Äine getötet und Sarait vergewaltigt. Als er entdeckte, daß seine Frau Sarait ermordet hatte, tat er alles, um den Verdacht von ihr abzulenken. Er ging sogar so weit, den Zwerg Iubdan zu ermorden, den er fälschlicherweise für Forindain hielt.«

Gobnat protestierte mit schriller Stimme und rief, Fidelma sei schlimmer als eine Hure, wenn sie ihre Hurenfreundin schützte. Erst als ein paar Wachleute, die nun von Caol ihre Befehle entgegennahmen, hart durchgriffen, kehrte wieder Ruhe ein.

»Für jene, die eine nicht so rasche Auffassungsgabe haben wie du, erkläre doch bitte, was dich zu diesen Anschuldigungen bewegt«, bat Brehon Baithen Fidelma.

»Das mache ich gern. Ich habe zu Beginn von den beiden Schwestern Gobnat und Sarait gesprochen. Sie waren im Charakter grundverschieden, auch wenn sie beide mit Kriegern verheiratet waren. Obwohl Capa mit Gobnat verheiratet war, gelüstete es ihn nach ihrer jüngeren Schwester. Bei Cnoc Äine brachte er Callada dann um. Sarait aber wies ihn weiterhin ab. Da vergewaltigte er sie. Den Rest der Geschichte habe ich schon vorgetragen.

Sarait hat nicht nur Della ihr Leid geklagt - ohne Capas Namen zu nennen -, sie beging den Fehler, sich auch ihrer Schwester anzuvertrauen, von der sie sich wahrscheinlich Mitgefühl und Verständnis erhoffte. Gobnat, vor der Capa sich nicht verkneifen konnte damit zu prahlen, wie abhängig Sarait von ihm war, geriet in rasende Wut und faßte den Plan, Sarait zu ermorden und die Tat Della in die Schuhe zu schieben, die sie verabscheute. Der Gegenstand von Capas Eifersucht, Gorman, den Gobnat allerdings für Dellas Liebhaber hielt, würde so auch hineingezogen werden.«

Brehon Baithen rieb sich das Kinn. »Wie bist du darauf gekommen, daß Gorman Dellas Sohn ist?«

»Bei unserer ersten Begegnung erzählte Gorman Eadulf und mir, daß er der Sohn eine Prostituierten sei. Und als ich Della aufsuchte, erwähnte sie zufällig, daß auch sie Mutter sei. Der Zusammenhang war leicht herzustellen. Gorman hatte uns gesagt, daß er annähme, Capa könne ihn nicht leiden, weil seine Mutter eine Prostituierte sei. Das war aber nur die halbe Wahrheit. Capa wußte, daß Sarait Gorman sehr zugetan war, wohingegen sie seine Avancen zurückwies. Deshalb versuchte er den Verdacht zu erwecken, Gorman hätte etwas mit dem Mord an dem Zwerg zu tun. Capa mußte Forindain töten, weil er befürchtete, der Zwerg könnte seine Frau wiedererkennen, deren Gesicht er womöglich im Schein der Laterne vor dem Gasthaus kurz gesehen hatte.«

»Ich begreife nicht, warum Gobnat einen solch teuflischen Plan ausheckte, wo sie doch unzählige Möglichkeiten hatte, ihre Schwester auf andere Art und Weise umzubringen?« überlegte Baithen laut.

»Wie ich schon sagte, sie wollte, daß auch nicht der geringste Verdacht auf sie fiel. Della sollte mit allem belastet werden. Deshalb stahl sie Dellas Umhang, ein ganz besonderes Kleidungsstück. Dann folgte die Scharade mit der Botschaft, die sie zur Burg sandte. Falls jemand sie sehen würde, würde derjenige nicht sie beschreiben, sondern eine Frau in kostbarer Seide. Gobnat kleidete sich immer schlicht.«

»Das ist doch Wahnsinn!« rief Gobnat.

»Warten wir es ab«, erwiderte Brehon Baithen.

Der alte Richter Dathal räusperte sich und stand auf.

»Ich habe mir all diese Beschuldigungen angehört. Wenn ich noch oberster Brehon wäre, würde ich dir und deinem Redefluß jetzt Einhalt gebieten, Fidelma, und den Fall schließen. Es gibt zu viele Mutmaßungen und offene Fragen.«

Es war deutlich, daß Brehon Baithen über das Einschreiten des Alten verärgert war. Doch noch ehe er darauf reagieren konnte, warf Fidelma ein: »Dann laß mich fortfahren, und ich werde all die Fragen ausführlich beantworten.«

»Ja«, sagte Brehon Baithen rasch. »Hören wir weiter, was die erfahrene ddlaigh zu sagen hat, so wie es üblich ist, wenn ich eine Gerichtsverhandlung leite, Dathal.«

»Wie bei solchen Plänen oft«, sprach Fidelma weiter, »ging auch hier nicht alles glatt. Erstens, Sarait kam mit Alchu im Arm zu ihrer Schwester. Sarait hoffte, wenn sie das Kind bei sich hätte, wäre sie vor Capa sicher. Sie wußte, daß er selbst in seiner lasterhaften Begierde nicht einen Sproß der Eoghanacht et-was tun würde. Er stand meiner Familie eigenartigerweise loyal gegenüber. Gobnat besaß diese Loyalität nicht - nur Haß.

Obwohl Gobnat vorhatte, ihre Schwester mit kühlem Kopf zu ermorden, tat sie es in einem Anfall von Raserei. Das beweist die Anzahl der Messerstiche. Wie sehr sie Sarait gehaßt haben muß! In ihrem Wahn stach sie immer wieder auf sie ein. Zu der Verletzung am Kopf kam es, als Sarait stürzte und dabei gegen einen kleinen Kessel bei der Feuerstelle fiel. Ich bemerkte eine Beule darin, als ich dort war. Ich vermute zumindest, daß es so war. Ich denke, Gobnat ermordete Sarait bei sich zu Hause. Wo sollte Sarait sonst hingegangen sein, wo man sie doch dorthin gebeten hatte? Gobnat hatte vor, die Leiche in der Nähe von Dellas Haus zu verstecken, wo sie zusammen mit dem grünen Umhang aufgefunden werden sollte. Doch ehe sie dazu kam, kehrte Capa nach Hause zurück. Capa ist mit allen Wassern gewaschen, er wußte genau, was mit ihm geschehen würde, wenn man Gobnat auf die Spur kam. Also mußte er Saraits Leiche und den kleinen Alchu loswerden.

Etwas hielt ihn jedoch davon ab, die Leiche bei Dellas Haus zu verscharren. Das war der erste Fehler. Der zweite war der, daß er aus irgendwelchen moralischen Gründen das Baby nicht umbringen konnte. Da hatte Sarait recht gehabt. Er war nicht imstande, das Kind direkt zu töten, deshalb ließ er es allein im Wald zurück, wo es sterben würde.«

Capa stand auf und wollte widersprechen. Er war ganz blaß, die Muskeln um seinen Mund zuckten nervös.

»Das ist alles erfunden! Wo sind deine Beweise?«

»Wenn man sich auf den Weg der Täuschung begibt, muß man verschlungene Pfade gehen. Die erste Lüge muß durch weitere Lügen abgedeckt werden. Du hast Saraits Leiche in den Wald gebracht, Capa, wo Conchoille sie später fand. Als du Alchu den wilden Tieren überließest, konntest du nicht ahnen, daß Corb und Corbnait ganz in der Nähe waren und das Kind mitnehmen würden in dem Glauben, es sei ausgesetzt worden.

Vermutlich warst du noch nicht lange wieder zu Hause, da entdeckte Conchoille Saraits Leiche und meldete es. Daraufhin spieltest du den betroffenen und entsetzten Schwager. Gobnat vergrub unterdessen den Umhang zunächst in aller Eile auf eurem Hof. Ihr blieb nichts anderes übrig, denn nun waren alle alarmiert.

Dann machtest du dich allein ans Werk, die schreckliche Bluttat zu vertuschen. Du befürchtetest, daß Forindain Gobnat wiedererkennen würde. Als du in Cnoc Loinge nach dem Zwerg suchtest, stießest du auf jemanden, den du für Forindain hieltest, und hast ihn getötet. Das war ein weiterer Fehler.«

Fidelma wandte sich wieder an die Zuhörer.

»Gobnat beging den nächsten, als sie sich Capas Drängen fügte, noch eine falsche Spur zu legen. Er ließ sie ein Erpresserschreiben aufsetzen, das auf eine Beteiligung der Ui Fidgente an dem Mordfall schließen ließ. Die drei Stammesfürsten der Ui Fidgente sollten im Austausch für Alchu freigelassen werden. Was dann auch erfolgte, während Capa nach Imleach und Cnoc Loinge unterwegs war. Als das Ehepaar den Plan schmiedete, hatte Capa nicht geahnt, daß wir einen Beweis für die Echtheit des Schreibens verlangen würden. Nach der Sitzung, auf der wir beschlossen hatten, einen Beweis dafür zu verlangen, daß Alchu wirklich in Händen der Entführer war, sollte Capa die Heroldsstandarte aus einem Raum holen, der sich in der Nähe unserer Gemächer befand. Er nutzte die günstige Gelegenheit und stahl aus unserer Truhe ein Paar Babyschuhe. Als man uns den einen Schuh als Beweis vorlegte, war mir nicht bewußt, daß Eadulf gleich nach der Entführung des Kindes die Sachen durchgeschaut hatte. Alchu hatte dieses Paar Schuhe gar nicht getragen. Sie sind erst viel später entwendet worden.

Zuerst verwirrte es mich, daß wir Gorman vor unseren Räumen angetroffen hatten. Als mir Eadulf aber erklärte, daß Gorman die Schuhe gar nicht genommen haben konnte, fragte ich ihn, was ihn so sicher machte.« Sie sah nun Eadulf an, der die Geschichte weitererzählte.

»Bei uns richtete gerade eine Dienerin die Räume her. Wäre Gorman also drinnen gewesen, hätte sie ihn gewiß gesehen. Capa hatte jedoch zuvor die Gelegenheit genutzt, den Raum unbemerkt zu betreten. Er eilte hinein, griff die Schuhe und zog dabei ein Kleidungsstück von Alchu mit aus der Truhe, das dann vom Deckel eingeklemmt wurde. Fälschlicherweise beschuldigten wir die Dienerin, nicht ordentlich aufgeräumt zu haben. Das war der nächste Fehler.«

»Das sind immer noch bloße Mutmaßungen«, verkündete Brehon Baithen.

»Aber diese Mutmaßungen erwiesen sich als richtig, als Gobnat sich ungewollt heftig verplapperte«, erwiderte Fidelma. Sie drehte sich mit einem leicht triumphierenden Lächeln zu Capas Frau um.

Gobnat versuchte angestrengt sich zu erinnern, was sie gesagt hatte.

»Ich war neulich abends in deinem Haus, weil ich Conchoille sprechen wollte. Du und Capa, ihr wart beide ziemlich beunruhigt darüber, daß euer Hund im Hof wie verrückt in der Erde grub.«

»Warum sollte uns das auch nicht ärgern?«

»Nun, niemand hatte den Umhang der Frau erwähnt oder gar beschrieben, die die Nachricht zur Burg geschickt hat. Nur Forindain, der vermeintlich tot war, hatte ihn gesehen und beschrieben. Und Della und ich kannten ihn, und allein wir beide wußten, daß er sich nicht mehr in der Truhe befand ... Natürlich hatte noch eine andere Person Kenntnis davon - nämlich jene, die ihn gestohlen hatte und trug, als sie Fo-rindain die hinterhältige Nachricht übergab.

Da du davon ausgingst, daß Forindain inzwischen ermordet war, hast du zu mir gesagt: >Vielleicht kann jemand anderes die Frau wiedererkennen, die sich für mich ausgab. Es ist sicher ganz einfach, eine Person zu finden, die einen so auffälligen Umhang trägt.< Das genau waren deine Worte.«

Gobnat zuckte mit den Achseln. »Und? Forindain ist, wie du sagst, ermordet worden. Er hat dir den Umhang beschrieben, den die Frau trug, und es war der Umhang, der dieser Hure gehörte ...« Sie zeigte auf Della, verstummte aber plötzlich. Ihr war bewußt geworden, was sie da gerade gesagt hatte.

Fidelma sprach ruhig weiter. »Niemand hatte bis zu dem Zeitpunkt etwas von einer Frau in einem Seiden-umhang erwähnt. Woher wußte Gobnat es dann, wenn sie nicht .?« Sie vollendete den Satz nicht.

Es herrschte Stille, bis Capa aufstand und brüllte: »Sie war es ... Sie ...« Er zeigte auf seine Frau. »Sie hat es getan, und ich mußte sie doch beschützen, oder? Ich bin nicht verantwortlich für das Verbrechen. Ich mußte sie doch beschützen .«

Gobnat brach zusammen, als ihr klar wurde, was ihr nun bevorstand.

Als in der Halle langsam wieder Ruhe einkehrte, wandte sich Brehon Baithen an Fidelma.

»Du hast gesagt, ein Hund habe das Rätsel gelöst. Wie das?«

»Capas Hund hat alle Mosaiksteine zusammengefügt«, bestätigte Fidelma ernst.

Brehon Baithen zog fragend die Augenbrauen hoch. »Ich verstehe nicht ...«

»Als die unbekannte Frau Forindain am Gasthaus ansprach, da sprang ihn ein Hund an, vermutlich im Spiel. Doch die Frau hat ihn zu sich gerufen. Das allein beweist gar nichts. Was aber weckte Corb und Corbnait in der Nacht, in der sie das alleingelassene Kind fanden? Das Heulen eines Hundes und eine Stimme, die ihn rief. Als ich Capas Hund auf dem Hof graben sah, war ich überrascht, daß Capa und Gobnat darüber so außer sich gerieten. Ich schätze, daß er an der Stelle scharrte, wo Gobnat den Umhang und den zweiten Babyschuh zuerst versteckt hatte. In der darauffolgenden Nacht buddelte Gobnat die Sachen wieder aus und vergrub sie dort, wo sie es ursprünglich hatte tun wollen - auf Dellas Hof. Sie hätte den Zeitpunkt nicht günstiger wählen können, denn ich war bei Della, als ihr Hund dort auftauchte und alles aus der Erde wühlte. Warum tat er das? Weil Gobnat selbst den Umhang getragen hatte und ihm ihr Geruch immer noch anhaftete. Das hat den Hund angelockt.«

»Das ist wahrlich eine höchst komplizierte Angelegenheit, Fidelma«, gab Brehon Baithen zu. »Meinen Glückwunsch an dich und natürlich an Bruder Eadulf. Ihr habt diesen Fall zu einem erfolgreichen Ende geführt.«

Fidelma lächelte auf einmal. Es war ein schelmisches Lächeln, das man so lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte.

»Ich finde, wir müssen eigentlich den Hund beglückwünschen. Manchmal sind Hunde klüger als Menschen.«

Zwei Tage später saßen Fidelma und Eadulf entspannt vor dem Kamin in ihrem Gemach. Das Feuer prasselte und wärmte sie wohlig. Sie tranken Glühwein, der kleine Alchu schlief friedlich in seinem Bettchen. Auf einmal stieß Fidelma einen tiefen Seufzer aus.

»Si finis bonus est, totum bonum erit«, sprach sie leise. »Ich erinnere mich daran, daß ich es vor unserem Ritt nach Imleach zu Gorman gesagt habe.«

»Ende gut, alles gut. Was geschieht mit Gorman und Della?«

»Gorman wird seinen Kummer überwinden, so ist das eben im Leben. Er hat keinen Grund, sich wegen Della zu schämen, denn sie ist eine gute Mutter und eine gute Freundin.«

»»Haec olim meminisse iuvabit«, murmelte Eadulf. »Die Zeit heilte tatsächlich Wunden. Aber da gibt es immer noch etwas, was ich nicht verstehe. Erinnerst du dich daran, als wir die Sachlage im Kronrat erörterten und ich sagte, daß es verwunderlich sei, daß Sarait das Kind mitgenommen habe, wo sie es doch in der Obhut verschiedener anderer Frauen in der Burg hätte lassen können? Du hast mir sogar zugestimmt. Doch in der Gerichtsverhandlung hast du gesagt, daß sie dachte, Alchu würde dafür sorgen, daß ihr nichts zustieße. Wie bist du darauf gekommen?«

»Wie bei den meisten Dingen ist die Antwort ganz einfach«, erwiderte Fidelma. »Della hat mir erzählt, daß Sarait vergewaltigt wurde - von Capa, wie wir nun wissen -, und sie hatte Angst, daß es wieder geschah. Sie glaubte wohl, sie wäre sicherer, wenn sie den Neffen des Königs bei sich hatte. Irrtümlich nahm sie an, daß der Rang des Kindes sie schützen würde. Der Haß macht aber vor dem Ansehen nicht halt.

Gobnat haßte sie so sehr, daß ihr der Rang des Kindes gleichgültig war.«

»Und Conri und seine Leute sind in ihre Heimat aufgebrochen?« fragte Eadulf eine Weile später.

Fidelma nickte.

»Wollen wir hoffen, daß nun zwischen unseren Völkern eine Zeit des Friedens anbricht. Dein Freund Brehon Dathal hat sich auf seine kleine Burg am Fluß Suir zurückgezogen«, fügte sie schelmisch hinzu. Eadulf schnitt eine Grimasse, die sie zum Lachen brachte. »Wie dem auch sei, Brehon Baithen ist der richtige Mann in dem Amt. Und Caol als neuer Befehlshaber der Leibgarde ebenso. Morgen sind wir zum Jahrmarkt auf der Festwiese eingeladen. Dort werden Fo-rindain und seine Theatertruppe die Geschichte von Faylinn darbieten. Wenn es jemanden gibt, der unser Mitgefühl verdient, so ist es der kleine Komödiant, der seinen Bruder verlor. Da ist vieles, für das Capa geradestehen muß.«

»Das Töten gehört zum Handwerk eines Kriegers«, betonte Eadulf. »Wir bilden Krieger dazu aus, in unserem Auftrag zu töten, um uns und unsere Gesellschaft zu schützen. Doch indem wir den Tötungsinstinkt in einem Krieger fördern, fördern wir auch etwas, das offensichtlich nicht so einfach zu kontrollieren ist. Ein Krieger kann ebenso leicht jemand in seinem Interesse töten, wenn er einen triftigen Grund dafür zu haben glaubt, wie er für seinen Befehlshaber tötet. Einem Mann, der so aufwuchs, zu sagen, er solle niemanden töten, das ist so, als würde man einem Vo-gel sagen, nicht zu fliegen. Das Töten wird zu seiner ersten Natur und nicht zu seiner letzten Möglichkeit. In diesem Sinne hat Capa sich und Gobnat zu schützen versucht.«

Fidelma war nicht davon überzeugt.

»Nicht alle Krieger sind so. Ich kenne viele, die anständig sind.«

»Vielleicht. Aber sind sie die Ausnahmen oder die Regel? Viele sind eben nicht anständig, und es sollte uns nicht überraschen, wenn sie ihr wahres Wesen zeigen.«

»Wenn das so ist, hätte mein Bruder Cuirgi und Cuan lieber nicht an Conri übergeben sollen. Beide sind zum Töten ausgebildet, das ist gewiß. Meiner Ansicht nach hatte nur Crond einen guten Kern, doch am Ende hätte auch er mich umgebracht.«

»Was mein Argument nur bestätigt. Doch Conri wird die beiden Stammesfürsten von seinem Brehon vor Gericht stellen lassen, so daß man ihnen ihren Rang als Fürsten aberkennen kann. Er weiß, daß er nur so die Wunden unserer beiden Völker heilen kann.«

»Das wollen wir hoffen.«

»Und was ist mit dem Schäferpaar?« fragte Eadulf. »Wann kehren sie nach Sliabh Mis zurück?«

»Wenn du einwilligst, bleiben sie hier. Darüber wollte ich später mit dir reden. Muirgen wird eine sehr gute Amme für Alchu sein, und mein Bruder besitzt an den Hängen des Berges Maoldomhnach Schafherden, die auf einen guten Hirten warten.«

Eadulf riß überrascht die Augen auf.

»Wollen sie das auch?«

Fidelma nickte.

»Wir brauchen nur noch dein Einverständnis. Wenn du zustimmst, wird Nessan nach Sliabh Mis reiten, dort alles Nötige regeln, ihr Haus verschließen, seine Herde abgeben und dann wieder zurückkommen. Muirgen hat inzwischen Gefallen gefunden am Leben in Cashel. Vielleicht können sie ein Waisenkind adoptieren. Vielleicht wird es das Kind sein, mit dem Alchu zusammen in die Pflegejahre geht.«

»Pflegejahre?« Eadulf runzelte die Stirn.

»Du kennst doch inzwischen unsere Gesetze, Ea-dulf. Wenn Alchu sieben Jahre alt ist, wird er bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr zur Pflege und Erziehung fortgegeben. Das Gesetz schreibt vor, daß er zu einem anderen Stammesfürsten oder gebildeten Menschen kommt, der für sein Wohlergehen und seine Bildung sorgt. So ist es hier Brauch. Unser Volk soll dadurch erstarken, daß enge Bindungen unter den Familien entstehen.«

»Habe ich in dieser Sache nichts zu sagen?« Eadulf überkam plötzlich wieder die altgewohnte Enttäuschung.

»Dem Gesetz nach nicht«, erwiderte Fidelma freundlich. »Alchu ist der Sohn eines cu glas, eines ausländischen Vaters, und daher kann ich als seine Mutter allein über seine Pflegejahre entscheiden. So ist es hier Brauch und Recht.«

»Was die Frage aufwirft ...«, setzte Eadulf an.

»Ja«, sagte Fidelma und war plötzlich ganz ernst. »In wenigen Tagen ist die Frist unserer Probeehe abgelaufen. Dann sind ein Jahr und ein Tag vorbei, und ich werde nicht mehr eine ben charrthach sein und du nicht mehr mein fer comtha.«

Eadulf wartete schweigend. Ihm war schon lange bewußt, daß dieser Tag nahen würde.

»Nun, Eadulf, wir müssen eine Entscheidung treffen. Willst du, daß ich deine cétmuintir werde?«

Eadulf sah sie an. Er bemerkte, daß sie lächelte. Eine cétmuintir war die erste rechtlich angetraute Ehefrau eines Mannes. Die Partnerin in einer dauerhaften Beziehung. Eadulf stellte seinen Trinkkelch ab und streckte ihr erstaunt beide Hände entgegen.

»Laß uns darüber reden«, sagte er leise.

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