Kapitel 10

Das Gerichtsverfahren wurde in aller Form abgehalten. Cron trug über ihrem blauen Seidenkleid eine lange bunte Amtsrobe mit einer kunstvollen Goldbrosche. Belustigt stellte Fidelma fest, daß sie Schaflederhandschuhe angelegt hatte. Bei vielen Clans gehörten solche Roben und Handschuhe zur Amtskleidung des Fürsten, wenn er zu Gericht saß. Cron hatte offensichtlich große Sorgfalt auf ihre Kleidung, ihre Toilette und die Auswahl ihres Parfüms verwendet, und Lavendelduft erfüllte den Raum. Sie nahm ihre Rolle als erwählte Fürstin ohne Zweifel sehr ernst.

Cron saß in ihrem Amtssessel in der Festhalle. Neben dem reich geschnitzten Holzsessel war auf dem Podium ein zweiter Stuhl für Fidelma aufgestellt worden. Duban stand etwas seitlich vor dem Podium in seiner offiziellen Funktion als Kommandeur der Wache, während die beteiligten Parteien auf Holzbänken vor dem Podium saßen. Muadnat und sein Gefährte mit dem dunklen Haar und dem schmalen Gesicht, der schon in Lios Mhor dabei gewesen war, hatten ihren Platz zur Rechten, während Archü und Scoth links bei Eadulf saßen. Die Krieger von Dubans Wache standen im Hintergrund der Halle. Als Fidelma die Halle betrat, bemerkte sie, daß dort hinten auch Pater Gorman Platz genommen hatte.

Als Fidelma sich neben Cron niederließ, erkannte Muadnat sie sofort, sprang auf und schrie: »Ich protestiere!«

Cron setzte sich und sah ihn gelassen an.

»Du protestierst bereits? Wogegen?«

Muadnat starrte Fidelma wütend an und wies mit dem Finger auf sie.

»Ich dulde nicht, daß diese Frau hier meinen Fall entscheidet.«

Crons Mund wurde schmal.

»Diese Frau? Wen meinst du damit?«

Muadnat biß sich auf die Lippen.

»Fidelma von Kildare«, knurrte er.

»Schwester Fidelma sitzt hier auf meine Einladung hin. Sie ist eine dalaigh bei Gericht und in der Rechtskunde bewandert. Gibt es einen Grund, aus dem du etwas gegen ihre Anwesenheit einzuwenden hast, Mu-adnat?«

Muadnat kochte vor Zorn.

»Ich erhebe Einspruch wegen ... wegen ...« Er suchte nach dem richtigen Wort. »Wegen Befangenheit. Sie hat bereits bewiesen, daß sie den Angeklagten bevorzugt. Sie sollte über seinen Anspruch auf Land entscheiden, das mir gehörte, und sie sprach es ihm zu. Ich will nicht, daß sie als Richterin in meinem Fall urteilt.«

»Das wird sie auch nicht«, antwortete Cron sanft. »Ich bin die Richterin in diesem Fall. Ich habe zu entscheiden, aber Schwester Fidelma sitzt neben mir, um mich zu beraten, und das wird sie auch tun. Nun trage deinen Anspruch vor, Muadnat, wenn du einen zu stellen hast.«

Schwester Fidelma beugte sich zu Cron hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Cron nickte ernst und sagte laut zu Muadnat: »Ich habe deine beleidigenden Worte gegenüber einem Brehon zur Kenntnis genommen. Das ist ein ernstes Vergehen. Du hast dafür den Sühnepreis des Geschädigten zu bezahlen.«

Muadnat blieb vor Schreck der Mund offen.

Cron hielt inne, um ihre Worte wirken zu lassen. Dann fuhr sie fort: »Da du aber wahrscheinlich in Unkenntnis gesprochen hast, ist Schwester Fidelma bereit, auf den Sühnepreis zu verzichten. Sie kann die Beleidigung jedoch nicht übergehen, denn damit würde sie sich nach dem Gesetz der Hinnahme einer Beleidigung schuldig machen und ihren Sühnepreis verlieren. Deshalb ist eine Entschädigung von deiner Seite erforderlich. Wir werden darauf zurückkommen, wenn ich«, sie betonte das Wort, »die Anklage gehört habe, die du vorzubringen hast.«

Der stämmige Mann zögerte, schwankte ein wenig, als habe er einen Schlag erhalten, doch dann fand er sich anscheinend mit Crons Spruch ab und riß sich zusammen. Er starrte böse vor sich hin.

»Na schön. Die Tatsachen sind klar, und ich habe einen Zeugen dafür, meinen Oberhirten und Neffen, Agdae, der hier neben mir sitzt.«

Er wies auf seinen Gefährten.

»Nenne uns diese Tatsachen«, forderte Cron ihn auf.

Es gab eine Bewegung hinter dem Podium, und Cranat trat rasch ein. Sie war so reich gekleidet wie immer. Verärgert runzelte sie die Stirn, als sie Fidelma auf dem Platz sah, den sie zweifellos als den ihr gebührenden betrachtete. Sie verhielt den Schritt, doch bevor sie etwas sagen konnte, redete Cron sie an, spürbar gereizt über die Unterbrechung: »Mutter, du hast mir nicht gesagt, daß du der Verhandlung beiwohnen willst.«

Cranat schaute Muadnat an. Warf ihr der Bauer einen warnenden Blick zu und schüttelte er leicht den Kopf? Fidelma war sich nicht sicher.

»Ich werde still zuhören, Tochter«, erwiderte Cra-nat mißbilligend. Sie ging in eine Ecke zu einer freien Bank und ließ sich erhobenen Hauptes nieder. Sie war offensichtlich ungehalten und verwirrt. Sie bemerkte hörbar: »Als Eber noch lebte, brauchte ich nicht um Erlaubnis zu bitten.«

»Schwester Fidelma ist eine dalaigh und wird mich nur in Rechtsfragen beraten«, glaubte Cron ihrer Mutter erklären zu müssen, bevor sie sich wieder Muadnat zuwandte. »Fahre fort. Du wolltest mir die Tatsachen vorlegen, Muadnat.«

»Das ist leicht getan. Mein Ackerland grenzt an das Land, das Archü jetzt bewirtschaftet.«

Fidelma saß mit ausdrucksloser Miene da und beobachtete Muadnat. Der Bauer brachte seine Anklage recht zuversichtlich vor.

»Vor zwei Tagen ließ Archü seine Schweine durch den Zaun brechen, der unsere Äcker trennt. Sie taten es nachts. Sie richteten Schaden auf meinem Acker an. Einer der Eber verletzte eins von meinen Schweinen. Die Schweine hinterließen ihren Kot auf meinem Hof. Stimmt das nicht, Agdae?«

Der hagere Mann nickte düster.

Muadnat fuhr fort: »Jeder Bauer weiß, was das Gesetz dazu sagt. Ich fordere vollen Schadenersatz dafür.«

Er setzte sich wieder hin.

Cron sah Agdae an.

»Kannst du alles bestätigen, was Muadnat gesagt hat, und es bezeugen ohne Furcht vor ihm oder beeinflußt durch Versprechungen von ihm, mit dem du verwandt bist und für den du arbeitest?«

Agdae stand auf, sah Muadnat an und nickte rasch.

»Es verhält sich so, Tanist von Araglin. Es ist genau so, wie es mein Onkel dargestellt hat.«

Er setzte sich ebenso rasch wieder hin.

Cron winkte Archü, sich zu erheben.

»Du hast die Anklage gegen dich gehört. Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen, Archü? Bestreitest du die Tatsachen, die uns vorgetragen wurden?«

Mit resignierter Miene stand der junge Mann auf. Scoth ergriff wie tröstend seine Hand.

»Es ist wahr.« Er sprach wie von Müdigkeit überwältigt. »Die Schweine sind tatsächlich von meinem Land ausgebrochen und auf Muadnats Land gelaufen und haben dort Schaden angerichtet, wie er es gesagt hat.«

Muadnats Gesicht verzog sich zu einem breiten, triumphierenden Lächeln.

»Er gibt es zu«, erklärte er laut, als wolle er das Gericht besonders darauf hinweisen.

Cron ignorierte ihn.

»Hast du nichts zu deiner Verteidigung vorzubringen?« forschte sie.

»Nichts. Ich hatte eine provisorische Umzäunung für die Schweine gebaut, so gut ich konnte, und mußte feststellen, daß sie eingerissen worden war. Die Schweine hatten das nicht getan.«

Cron beugte sich gespannt vor.

»Willst du behaupten, daß der Zaun absichtlich niedergerissen wurde?«

»Ich glaube, daß es so war.«

Muadnat lachte mißtönend auf.

»In seiner Verzweiflung lügt der Junge. Das kannst du ihm doch nicht abnehmen.«

»Kannst du den Schuldigen benennen?« fragte Cron. »Wenn ja, mußt du deine Behauptung beweisen.«

Archü sah Muadnat haßerfüllt an.

»Ich kann keine Behauptungen aufstellen. Ich habe keine Zeugen dafür. Ich habe nicht gesehen, wer die Umzäunung zerstört hat. Ich kann mich nicht verteidigen.«

»Die Tatsachen sind klar!« rief Muadnat ungeduldig. »Der Junge gibt alles zu. Sprich mir den vollen Schadenersatz zu.« »Hast du sonst noch etwas zu sagen, Archü?« fragte Cron.

»Verurteile mich, wie du willst«, sagte der junge Mann resigniert und setzte sich wieder.

Da lehnte sich Fidelma hinüber und berührte Cron leicht am Arm.

»Dürfte ich ein paar Fragen stellen, um die Rechtslage zu klären?«

Cron stimmte zu: »Bitte.«

»Meine erste Frage richtet sich an Archü. Wann kamst du in den rechtmäßigen Besitz deines Bauernhofes und dieser Schweine?«

Archü starrte sie verblüfft an.

»Das weißt du doch«, erwiderte er.

»Beantworte meine Frage«, verwies ihn Fidelma.

»Als du selbst das Urteil in Lios Mhor gesprochen hast.«

»Wann war das?«

»Vor genau vier Tagen«, antwortete Archü kopfschüttelnd, als zweifle er an ihrem Verstand.

»Bestätigst du das, Muadnat?«

Muadnat lachte spöttisch.

»Du hast für ihn entschieden. Hast du das schon vergessen?«

»Also ist Archü seit vier Tagen im Besitz seines Hofes. Bestätigt ihr beide das auch?«

»Ja, der Hof gehört ihm und die Schweine auch und die Verantwortung auch«, brummte Muadnat und lächelte seinem Neffen Agdae triumphierend zu, der nickend daneben saß.

»Und gehe ich richtig in der Annahme, daß vor Archü du selbst diesen Hof und diese Schweine besessen hast?« erkundigte sich Fidelma.

Zum erstenmal flackerte ein Verdacht in Muadnats Augen auf.

»Das weißt du auch sehr gut«, antwortete er großsprecherisch, doch mit etwas unsicherer Stimme.

»Hast du das Land, das jetzt Archü gehört, getrennt oder gemeinschaftlich mit deinem angrenzenden Land bewirtschaftet?«

Wieder zögerte Muadnat, weil er nicht genau wußte, worauf das hinaussollte, aber eine Falle befürchtete.

Er wandte sich an Cron.

»Die Tatsachen liegen dir vor, Tanist von Araglin. Ich verstehe nicht, was diese Frau mir unterstellen will.«

»Antworte auf die Frage«, beharrte Fidelma. »Wenn du nicht weißt, was die Frage bedeutet, entbindet dich das nicht von der Pflicht, einer dalaigh bei Gericht zu antworten. Du hast dich bereits der Mißachtung meines Amtes schuldig gemacht.«

Die Schärfe ihres Tons ließ Muadnat schwer schlucken.

Er sah Cron flehend an, aber sie gab ihm nur das Zeichen zu antworten.

»Ich habe sie zusammen bewirtschaftet«, brummte er.

Fidelma nickte ungeduldig, als habe sie die Antwort bereits gekannt, doch darauf gewartet, daß er sie aussprach.

»Das Gesetz legt fest, daß Grenzzäune zwischen Bauernhöfen in Ordnung gehalten werden müssen. Das ist doch dasselbe Gesetz, nach dem du klagst, nicht wahr?« fragte sie.

Muadnat schwieg.

»Hast du die Grenzzäune in Ordnung gehalten?«

»Der Hof, der jetzt Archü gehört, war seit Jahren mein Eigentum. Ich habe die Grenzzäune entfernt, weil sie nicht mehr gebraucht wurden.«

»Vor Gericht hat sich ergeben, daß der Hof, der Archü gehört, nicht dein Eigentum war und daß du ihn in all den Jahren lediglich als gesetzlicher Vormund für deinen Verwandten Archü bewirtschaftet hast«, erwiderte Fidelma. »Du gibst zu, daß du die Grenzzäune zwischen seinem Hof und deinem Hof entfernt hast?«

Cron schaute Fidelma mit unverhohlener Bewunderung an, als ihr plötzlich das Ziel der Befragung klar wurde. Trotz ihrer früheren Abneigung gegen Fidelma war Cron intelligent genug, um Fidelmas Scharfsinn und ihre Rechtskenntnis zu würdigen.

»Zugeben?« Muadnat war verwirrt. »Wieso sollte ich Grenzzäune zwischen Ländereien, die mir gehörten, stehenlassen?«

Fidelma gestattete sich ein schmallippiges Lächeln.

»Du hast die Grenzzäune entfernt?«

»Ja.«

Anscheinend zufriedengestellt, wandte sich Fidelma an Cron.

»Nun bin ich bereit, dich zu der Rechtslage zu beraten, Tanist von Araglin, es sei denn, du hast noch Fragen zu stellen. Für mich ist die Sache klar. Möchtest du meinen Rat geheim oder öffentlich hören?«

»Ich meine, die streitenden Parteien haben das Recht, die Gesetzeslage zu erfahren«, erwiderte Cron feierlich.

»Sehr wohl. Erstens haben wir gehört, daß Archü de facto, also tatsächlich, seinen Besitz erst vor vier Tagen übernehmen konnte. Bis dahin war er zwar de jure, also von Rechts wegen, der Eigentümer, doch Muadnat besaß und bewirtschaftete den Hof. Muad-nat gibt zu, daß er die Grenzzäune zwischen den beiden Höfen niederlegte. Das ist nach dem Gesetz unzulässig, doch kann sich Muadnat damit entschuldigen, daß er glaubte, legal zu handeln.«

Muadnat erhob sich und wollte sie unterbrechen.

»Du bist still, während die dalaigh die Rechtslage erläutert«, wies ihn Cron schroff zurecht.

Cranat, die während der Zeit wie eine Statue dagesessen hatte, wurde unruhig.

»Tochter, mußt du so scharf mit einem Mann reden, der dein Verwandter ist und deinem Vater treu gedient hat?« protestierte sie. »Das beschämt uns vor Fremden.«

Muadnat hatte sich still wieder hingesetzt.

Cron sah ihre Mutter ärgerlich an.

»Ich bin Tanist und sitze zu Gericht. Da müssen die Zuhörer schweigen, Mutter. Das gilt auch für dich.«

Cranat starrte ihre Tochter verblüfft an und klappte den Mund hörbar zu.

»Sprich weiter, Schwester Fidelma«, ordnete Cron an.

Fidelma fuhr fort: »Zweitens ist zu bedenken, daß Archü seinen Besitz erst vor vier Tagen übernahm und folglich noch keine Zeit hatte, ordentliche Zäune zu errichten.«

»Das Gesetz ist klar«, rief Muadnat störrisch. »Zeit spielt keine Rolle. Er ist für die Umzäunung verantwortlich.«

»Das stimmt nicht«, widersprach Fidelma, an Cron gewandt. »Die Zeit spielt wohl eine Rolle. Das Bretha Comaithchesa ist darin sehr genau. Die Besitzer benachbarter Bauernhöfe sind beide für den Grenzzaun zwischen ihren Ländereien verantwortlich, und dieser Zaun ist ihr gemeinsames Eigentum, so daß jeder seinen Teil der Arbeit auszuführen hat.« Sie wandte sich an den stämmigen Bauern. »Was hast du getan, um den gemeinsamen Zaun wieder aufzurichten, den du selbst zerstört hattest, Muadnat?«

Muadnat war zornrot im Gesicht. Er brachte kein Wort mehr hervor. Er begriff, daß er irgendwie wieder am Verlieren war, doch fehlte ihm der Verstand, den Grund zu erfassen.

»Nichts, schließe ich aus deinem Schweigen«, bemerkte Fidelma trocken. »Und die Zeit spielt nicht etwa keine Rolle, sondern ist nach dem Gesetz ein entscheidender Faktor. Wenn jemand einen Bauernhof in Besitz nimmt, sind drei Tage vorgesehen für das Festlegen des Grenzverlaufs, und in zehn Tagen sollte der Zaun stehen. Niemand ist sofort verpflich-tet, einen Zaun zu setzen, denn es gibt keine Strafe für die Nichtfertigstellung. Es gibt nur den indirekten Zwang durch mögliche Verfahren wegen Übertretungen durch Menschen oder Tiere.«

Fidelma hielt inne und wandte sich dann an Cron.

»Das ist der Rat, den ich dir zur Rechtslage geben kann. Das Urteil liegt bei dir, Cron, und es muß dem Gesetz entsprechen.«

Cron verzog das Gesicht.

»Dann muß das Urteil offenkundig so lauten, daß Muadnat seine Klage in diesem Fall nicht durchsetzen kann. Archü hat nicht die vom Gesetz vorgesehene Zeit gehabt, die Zäune aufzustellen.«

Muadnat erhob sich langsam; er zitterte vor Empörung.

»Aber ich behaupte, er hat nachlässig und böswillig seine Schweine auf meinen Hof laufen lassen.«

»Die Nachlässigkeit kann nicht bestraft werden«, erwiderte Cron, »und Böswilligkeit erkenne ich nicht an. Du bist genauso verantwortlich für den Bau eurer Grenzzäune, Muadnat. Schwester Fidelma hat das Gesetz sogar großzügig ausgelegt, wenn sie es dir nicht als Schuld anrechnete, daß du die Zäune niedergerissen hast. Ich wäre vielleicht nicht so großmütig. Du hast dafür zu sorgen, daß die Zäune zum vorgeschriebenen Zeitpunkt stehen.«

Muadnat blickte Fidelma finster und haßerfüllt an. Er wollte zum Sprechen ansetzen, als ihn sein Neffe Agdae am Arm packte und warnend den Kopf schüttelte.

»Noch eins«, fuhr Cron fort. »Dafür, daß du diese schwere Beschuldigung ohne Berücksichtigung der Umstände und ohne richtige Kenntnis des Gesetzes vor Gericht gebracht hast, wirst du einen sed an mich und einen sed an Schwester Fidelma für ihre Rechtsberatung zahlen. Diese Strafe ist entweder in Geld oder im Gegenwert von zwei Milchkühen bis zum Ende dieser Woche an meinen Verwalter zu entrichten.«

Muadnat wandte sich zum Gehen, doch Cron hielt ihn zurück.

»Dann geht es noch um deine Strafe für die Beleidigung einer dalaigh zu Beginn der Verhandlung.«

Sie schaute Fidelma fragend an.

Mit ausdruckslosem Gesicht beantwortete Fidelma Crons unausgesprochene Frage: »Für diese Beleidigung, deren volle Strafe meinen Sühnepreis betragen würde, gestatte ich Muadnat, den Wert einer Milchkuh für den Unterhalt der hiesigen Kirche zu spenden oder Arbeit im gleichen Wert bei ihrer Instandhaltung zu leisten, ganz nach seiner Wahl.«

Muadnat schäumte fast vor Wut.

»Denkst du denn, ich sehe deine Selbstsucht nicht, Tanist?« schrie er. »Tanist nennst du dich! Tanist durch Bestechung und Intrigen. Du bist keine richtige ...«

Plötzlich stand Pater Gorman auf und kam nach vorn.

»Muadnat! Du vergißt dich!« ermahnte er ihn.

Der Priester legte dem zornigen Bauern die Hand auf den Arm, und mit Agdaes Hilfe führte er Muadnat aus der Festhalle hinaus. Man hörte ihn draußen noch weiterschimpfen. Cranat wartete nur wenige Augenblicke, dann erhob sie sich mit unziemlicher Hast und ging hinaus.

Cron blickte hinüber zu Archü und Scoth, die sich glückstrahlend in den Armen lagen.

»Du kannst gehen, Archü, aber höre noch meinen Rat ...«

Archü trat erwartungsvoll näher und bemühte sich, ein ehrerbietiges Gesicht zu machen.

»Du hast in Muadnat einen unversöhnlichen Feind. Sei auf deiner Hut.«

Archü nickte bestätigend und schenkte Fidelma ein breites Grinsen. Dann nahm er Scoth bei der Hand, und sie eilten hinaus.

Mit einem tiefen Seufzer lehnte sich Cron zurück und schaute Fidelma bewundernd an.

»Du findest dich in dem Irrgarten der Gesetze wie auf einem geraden Weg zurecht, Fidelma. Ich wünschte, ich besäße deine Kenntnisse und dein Talent.«

Fidelma ließ das Kompliment kalt.

»Dafür wurde ich ausgebildet.«

»Meine Warnung an Archü gilt auch dir. Muadnat verzeiht nichts. Er war ein entfernter Vetter und Freund meines Vaters. Vielleicht hätte ich nicht so hart mit ihm umgehen sollen. Meine Mutter war heute nicht mit mir zufrieden.«

»Deine Mutter betrachtet Muadnat offensichtlich als ihren engen Freund.«

»Eine Fürstin kann keine engen Freunde haben. Ich kann meine Urteile nicht auf Freundschaft gründen.«

»Du kannst nur so handeln, wie es das Gesetz vorschreibt«, bemerkte Fidelma. »Das muß ich auch. Bei der Auslegung der Gesetze muß ein Brehon oder ein Fürst über allen Freundschaften stehen.«

»Ich weiß, daß du recht hast. Doch Muadnat ist eine Macht in Araglin. Er ist auch mit Pater Gorman eng befreundet. Sie sind oft zusammen.«

»Du sagtest, Muadnat war ein Verwandter und Freund deines Vaters Eber?« fragte Fidelma nachdenklich.

»Ja. Sie wuchsen zusammen auf und zogen gemeinsam in den Krieg gegen die Ui Fidgente.«

Fidelma überlegte einen Moment und zuckte dann innerlich die Achseln. Für ihre Untersuchung von Ebers Tod spielte Muadnat keine Rolle, denn zur Zeit des Mordes hatte er in ihrem Gerichtssaal in Lios Mhor gesessen. Sie stand auf und sah Duban immer noch stramm dastehen.

»Vielleicht kann ich jetzt auf die Suche nach dem Einsiedler Gadra gehen?«

Cron erhob sich. Zum erstenmal seit Fidelmas Ankunft im rath zeigte sie offen ihren guten Willen. Trotz ihrer Worte hatte sie es anscheinend genossen, Muad-nat eine Niederlage beizubringen, und sie strahlte.

»Fidelma, ich habe erlebt, wie sorgfältig du mit dem Gesetz umgehst. Vielleicht etwas spät wird mir klar, daß du ebenso sorgfältig nach der Wahrheit hinter dem Tod meines Vaters suchst. Ich hätte wohl . « Die Entschuldigung für ihr Verhalten blieb unausgesprochen. Sie fuhr zögernd fort: »Ich möchte dir ver-sichern, daß ich alles tun werde, dich bei deiner Untersuchung zu unterstützen.«

Fidelma zog fragend die Brauen hoch.

»Gibt es da noch etwas, was ich wissen sollte?«

Einen Augenblick glaubte sie Furcht in den hellen Augen der Tanist von Araglin schimmern zu sehen.

»Noch etwas? Nein, das glaube ich nicht. Ich sage das nur, weil ich so stolz tat, als du herkamst. Mit Höflichkeit sollte man nicht geizen, denn sie kostet nichts.«

»Wenn du dich daran hältst, wirst du den Menschen von Araglin eine gerechte Fürstin werden«, erwiderte Fidelma ernst. »Und das ist wichtiger als eine Amtsrobe.«

Cron schaute verlegen drein und fingerte an der Goldbrosche, die den Mantel an der Schulter zusammenhielt.

»Es ist hier in Araglin so Sitte, daß die Fürsten und ihre Frauen bei Amtshandlungen den bunten Mantel und die Handschuhe tragen.« Sie lächelte kurz.

»In eine solche Stellung aufzusteigen bedeutet eine große Verantwortung«, bemerkte Fidelma. »Manchmal braucht man Zeit, um mit einer solchen Veränderung im Leben fertig zu werden.«

»Das ist aber keine Entschuldigung für Arroganz. Du erwähntest Gadra, und das erinnert mich an eine Lehre, die er mir erteilte, als er noch im rath wohnte und ich ein kleines Mädchen war. Seine Worte sind mir im Gedächtnis geblieben. Er sagte, die Stolzen sondern sich von den anderen ab und betrachten sie aus der Entfernung, und deshalb glauben sie, die anderen seien klein und unbedeutend. Doch dieselbe Entfernung läßt sie den anderen ebenso klein und unbedeutend erscheinen.«

Fidelma lächelte anerkennend.

»Danach ist Gadra ein Mann von Weisheit. Wahrhaftig, wenn du deine Augen nicht erhebst, denkst du immer, du stehst auf dem Gipfel. Komm, Duban, machen wir uns auf die Suche nach diesem weisen Mann.«

»Falls er noch lebt«, sagte Duban pessimistisch.

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