XVII Die Geschichte vom Studenten und seinem Sohn

ERSTER TEIL Die Feste der Zauberer

Es stand einmal eine Stadt mit hellen Türmen am Rande eines unwirtlichen Meeres. Darin wohnten die Weisen. Und in dieser Stadt herrschten Gesetz und Ordnung, aber es lag auch ein Fluch auf ihr. Das Gesetz besagte, daß für alle Bewohner nur zwei Wege offenstünden: zu den Weisen aufzusteigen und die bunte Kapuze zu tragen, oder aber die Stadt zu verlassen und in die unfreundliche Welt zu ziehen.

Nun gab es einen, der alle in der Stadt – und damit größtenteils auch auf der ganzen Welt – bekannten Zauberkünste in langen Jahren erlernt hatte. Und es nahte die Zeit, da er seinen Weg wählen mußte. Im Hochsommer, als die Blumen ihre gelben, dreisten Köpfchen aus den dunklen Mauern über dem Meer steckten, suchte er einen der Weisen auf, welcher sein Haupt schon länger mit den bunten Farben bedeckte, als die meisten sich erinnern konnten, und den Studenten, dessen Zeit gekommen war, lange unterwiesen hatte. Und er sagte zu ihm: »Wie kann ich – der ich doch nichts weiß – einen Platz unter den Weisen der Stadt erlangen? Denn ich möchte Zauberkünste studieren, die nicht all mein Lebtag heilig sind, und nicht in die unfreundliche Welt ziehen, um für mein Brot zu graben und zu schleppen.«

Der Greis lachte und erwiderte: »Erinnerst du dich, wie ich dich, als du fast noch ein Knabe gewesen bist, die Kunst gelehrt habe, aus Träumen Söhne fleischwerden zu lassen? Wie warst du seinerzeit geschickt und übertrafest alle andern! Geh nun und lasse einen solchen Sohn fleischwerden, und ich will ihn den Kapuzenträgern zeigen, und du wirst sein wie wir.«

Aber der Student wandte ein: »Noch eine Jahreszeit. Gewähre mir noch eine Jahreszeit, und ich will tun, was du mir rätst.«

Der Herbst brach an, und die Plantanen der Stadt der hellen Türme, welche die hohen Mauern vor den Seebrisen schützten, warfen ihre Blätter ab wie das Gold, das ihre Eigentümer herstellten. Und die Wildgänse flogen um die hellen Türme, und hintendrein die Fischadler und Lämmergeier. Nun schickte der Greis abermals nach jenem, der sein Student gewesen war, und sagte: »Jetzt mußt du aber ein Traumgeschöpf für dich fleischwerden lassen, wie ich dich geheißen. Denn die anderen Kapuzen träger verlieren die Geduld. Du bist bis auf uns der älteste in der Stadt, und wenn du nun nicht handelst, werden sie dich bis zum Winter wohl hinauswerfen.«

Aber der Student entgegnete: »Ich muß weiter studieren, um zu bewerkstelligen, was ich erstrebe. Kannst du mich nicht für eine Jahreszeit beschützen?« Und der Greis, der ihn unterrichtet hatte, dachte an die Schönheit der Bäume, die sein Auge seit so vielen Jahren wie die weißen Gliedmaßen der Frauen entzückt hatten.

Schließlich verging der goldene Herbst, und ins Land zog der Winter von seinem frostigen Sitz, wo die Sonne wie eine vergoldete Kugel über den Rand der Welt rollt und die Feuer, die zwischen den Sternen und der Urth treiben, den Himmel in Brand stecken. Seine eisige Hand verwandelte die Wogen in Stahl, und die Stadt der Zauberer hieß ihn willkommen, indem sie ihre Balkone mit Eisfahnen und ihre Dächer mit einer Schneedecke schmückte. Wieder ließ der Greis den Studenten rufen, und wieder erteilte dieser die gleiche Antwort.

Der Frühling kam und mit ihm Freude in die ganze Natur, aber die Stadt war schwarz beflaggt; Haß und Ekel vor der eigenen Macht – die wie ein Wurm am Herzen nagen – befiel die Zauberer. Denn die Stadt hatte nur ein Gesetz und einen Fluch, doch während das Gesetz das ganze Jahr über herrschte, trat der Fluch im Frühjahr in Kraft. Im Frühjahr wurden die schönsten Jungfrauen der Stadt, die Töchter der Zauberer, in Grün gewandet; und während der milde Frühlingswind mit ihrem goldenen Haar spielte, durchschritten sie unbeschuht das Stadttor und gingen über den schmalen Pfad zur Kaimauer hinab, wo ein schwarz-besegeltes Schiff ihrer harrte. Und wegen ihres goldenen Haares und ihres Gewandes aus grüner Rippseide, und weil es die Zauberer dünkte, sie würden geschnitten wie Getreide, wurden sie Kornjungfern genannt.

Als der Mann, welcher lange Zeit ein Student des Greises gewesen, aber noch ohne Kapuze war, das Klagen und Weinen vernahm und von seinem Fenster die vorüberziehenden Jungfrauen sah, stellte er alle Bücher beiseite und machte sich daran, Figuren zu zeichnen, wie sie noch kein Mensch gesehen, und in vielen Sprachen zu schreiben, wie es ihn sein Meister einst gelehrt.

ZWEITER TEIL Die Fleischwerdung des Helden

Tag für Tag mühte er sich ab. Wenn das erste Licht am Fenster dämmerte, hatte sein Federkiel viele Stunden der Schinderei hinter sich; und wenn der buckelige Mond sich in den bleichen Türmen verfing, brannte seine Lampe hell. Zunächst war es ihm, als hätte ihn alles, was sein Meister ihn dereinst gelehrt, verlassen, denn vom Morgengrauen bis zum Mondaufgang blieb er in seiner Kammer allein bis auf den Nachtfalter, der hin und wieder, die Insignien des Todes führend, seine unverzagte Kerzenflamme umflatterte.

Dann schlich, wenn er zuweilen über seinem Tisch einnickte, ein anderer in seine Träume; und da er wußte, wer dieser andere war, hieß er ihn willkommen, waren die Träume auch flüchtig und rasch vergessen.

Er setzte sein mühsames Werk fort, und das, was er zu erschaffen versuchte, umgab ihn wie Rauch das neue Brennholz, das man auf ein fast erkaltetes Feuer wirft. Zuweilen (und insbesondere wenn er spät oder früh über der Arbeit saß und schließlich und endlich alle Utensilien seiner Kunst beiseite gelegt hatte, um sich zuletzt auf dem schmalen Bette auszustrecken, das für solche vorgesehen war, welche die bunte Kapuze noch nicht verdient hatten) vernahm er, stets in einem anderen Zimmer, die Schritte desjenigen, den er ins Leben zu rufen hoffte.

Mit der Zeit wurden diese Erscheinungen, die ursprünglich selten und zuerst sogar nur auf solche Nächte beschränkt gewesen waren, in denen zwischen den hellen Türmen der Donner grollte, zur Regel, und unmißverständliche Anzeichen wiesen auf die Anwesenheit des anderen hin: ein Buch, das er seit Jahren nicht aus dem Regal genommen hatte, lag neben einem Stuhl; Fenster und Türen öffneten sich scheinbar selbsttätig; ein Dolch, seit langem ein Zierstück und kaum gefährlicher als ein Trompe-l’oeil-Bild, glänzte, von der Patina befreit, und war wieder scharf.

Eines goldenen Nachmittags, als der Wind die unschuldigen Spiele der Kindheit mit den frisch befiederten Plantanen spielte, klopfte es an die Tür seiner Studierstube. Da er es nicht wagte, sich umzuwenden oder das, was er fühlte, auch nur im geringsten durch seine Stimme auszudrücken, oder gar von seiner Arbeit zu lassen, rief er nur: »Herein.«

Wie Tore, die sich bei Mitternacht auftun, obwohl weit und breit keiner ist, öffnete sich die Tür jeweils um Haaresbreite Stück für Stück. Während sie sich bewegte, schien sie Kraft zu sammeln, und als sie so weit offen war (wie er am Geräusch erriet), daß eine Hand hindurchgepaßt hätte, schien der verspielte Wind durchs Fenster zu fahren, um Leben in ihr Herz aus Holz zu tragen. Und als sie (wie er abermals mutmaßte) noch weiter offen war, so weit, daß ein schüchterner Sklave mit einem Tablett hätte hindurchtreten können, schien ein ausgewachsener Orkan sie zu ergreifen und bis zur Wand zurückzuschleudern. Daraufhin vernahm er Schritte hinter sich – schnelle und entschlossene Schritte – und eine Stimme, respektvoll und jugendlich, dennoch von lauterer Männlichkeit, die, an ihn gerichtet, sagte: »Vater, es mißfällt mir, dich stören zu müssen, wenn du in deine Kunst versunken bist. Aber ich bin betrübten Gemütes, und das seit Tagen, und bitte dich bei deiner Liebe für mich, mein Eindringen zu gestatten und mir Mut zuzusprechen.«

Nun wagte es der Student, sich dort, wo er saß, umzuwenden, und sah vor sich einen breitschultrigen, muskelgewaltigen Jüngling von edler Haltung. Gebieterisch war sein fester Mund, Klugheit in seinen strahlenden Augen und Mut in seinem ganzen Antlitz. Auf seiner Stirn saß jene Krone, die für das Auge unsichtbar ist, die aber selbst ein Blinder gewahrt; die unschätzbare Krone, die tapfere Männer zum Ritter drängt und Schwächlinge tapfer macht. Nun sagte der Student: »Mein Sohn, fürchte nicht, mich zu stören, jetzt und nie, denn es gibt nichts unter dem Himmel, was ich lieber sähe als dein Gesicht. Was ist es, das dich plagt?«

»Vater«, erwiderte der Jüngling, »jede Nacht seit vielen Nächten gellen Frauenschreie durch meinen Schlaf, und oft sehe ich wie einen durch Flötenspiel angelockten grünen Lindwurm eine Grüne Schlange über das Kliff unter unserer Stadt zum Kai hinabgleiten. Und manchmal ist es mir in meinem Traum gegönnt, näherzutreten, und ich sehe, daß alle in dieser Menschenschlange schöne Frauen sind, die weinen und schreien und wanken, so daß ich sie für ein junges Kornfeld halten möcht’, das ein ächzender Wind niedermäht. Was hat dieser Traum zu bedeuten?«

»Mein Sohn«, versetzte der Student, »die Zeit ist gekommen, dir etwas zu sagen, was ich dir bis jetzt verschwiegen habe aus Furcht, du könntest ob deiner ungestümen Jugend zu viel wagen, ehe die Zeit reif wäre. Wisse, daß diese Stadt von einem Ungeheuer heimgesucht wird, welches Jahr um Jahr ihre schönsten Töchter fordert, genau wie du es in deinem Traum gesehen hast.«

Funkelnden Blickes begehrte der Jüngling: »Was ist das für ein Ungeheuer, und wie ist seine Gestalt, und wo haust es?«

»Seinen Namen kennt niemand, denn niemand vermag sich ihm zu nähern. Seine Gestalt ist die eines Naviscaputs, das heißt, den Menschen erscheint es als Schiff, auf dessen Deck – das eigentlich aus seinen Schultern besteht – eine Burg steht, welche sein Kopf ist, und in der Burg befindet sich ein einzelnes Auge. Aber sein Leib schwimmt in der Tiefe mit dem Rochen und Haifisch, seine Arme sind länger als die höchsten Masten und seine Beine wie Pfähle, die bis zum Meeresgrund reichen. Sein Hafen ist eine Insel im Westen, wo ein Kanal mit vielen Windungen und Biegungen, der sich teilt und wieder teilt, weit ins Landesinnere vordringt. Auf dieser Insel, so ist überliefert, müssen die Kornjungfern leben; und dort ankert mitten unter ihnen das Ungeheuer, dessen Auge immerfort hin- und herrollt, um sie in ihrer Verzweiflung zu betrachten.«

DRITTER TEIL Die Begegnung mit der Prinzessin

Nun machte sich der Jüngling auf und scharte andere Jünglinge der Stadt der Zauberer als Besatzung um sich, und von jenen, welche die bunten Kapuzen trugen, erhielten sie ein seetüchtiges Schiff, und den ganzen Sommer lang rüsteten er und die Jünglinge, die er um sich geschart hatte, das Schiff, bestückten seine Seiten mit den mächtigsten Geschützen und übten hundertmal das Setzen und Reffen der Segel und Abfeuern der Kanonen, bis das Schiff ihnen gehorchte wie eine Vollblutstute den Zügeln. Aus Mitleid für die Kornjungfern tauften sie es Jungfernland.

Als schließlich die goldenen Blätter wieder von den Plantanen fielen (genau wie das Gold, das die Zauberer herstellen, schließlich aus den Händen der Menschen fällt), und die grauen Wildgänse um die hellen Türme der Stadt flogen und hintendrein die Lämmergeier und Fischadler, stachen die Jünglinge in See. Viel widerfuhr ihnen auf ihrer langen Reise zur Insel des Ungeheuers, wofür hier kein Platz wäre; aber am Ende ihrer Abenteuer sichteten sie Land mit gelbbraunen, grüngesprenkelten Hügeln; und noch während sie, um es zu betrachten, die Augen beschatteten, wurde das Grün dichter und immer dichter. Nun wußte der Jüngling, der aus den Träumen des Studenten Fleischgewordene, daß es fürwahr die Insel des Ungeheuers war, und daß die Kornjungfern beim Anblick seiner Segel zur Küste eilten.

Nun wurden die großen Kanonen bereitet und die Flaggen der Stadt der Zauberer, die ganz gelb-schwarz sind, aufgezogen. Sie fuhren nahe und näher heran, bis sie befürchten mußten, auf Grund aufzulaufen, wendeten und segelten an der Küste entlang. Die Kornjungfern folgten ihnen und lockten dabei immer mehr Schwestern an, bis sie das ganze Land fürwahr wie Korn bedeckten. Der Jüngling vergaß indes nicht, was ihm gesagt worden war: daß das Ungeheuer unter den Kornjungfern lebte.

Nach einem halben Tag umrundeten sie eine Landspitze und bemerkten, daß sich ein tiefer Graben in die Küste schnitt, der kein Ende nahm, sondern sich durch die Hügel des Landes wand, bis er außer Sicht kam. An der Mündung dieses Kanals stand eine Kalotte aus weißem Marmor, von einem Garten umgeben, und hier ließ der Jüngling Anker werfen und ging an Land.

Kaum hatte er den Fuß auf die Erde der Insel gesetzt, als ihm eine Frau von großer Schönheit, mit dunkler Haut, schwarzem Haar und strahlendem Blick entgegentrat. Er verneigte sich vor ihr und sprach: »Prinzessin oder Königin, ich sehe, du bist keine Kornjungfer. Deren Gewänder sind grün; deines ist schwarz. Doch wärest du auch grün gewandet, ich erkennte dich dennoch, denn deine Augen trauern nicht und das Licht in ihnen ist nicht von Urth.«

»Du sagst die Wahrheit«, erwiderte die Prinzessin. »Denn ich bin Noctua, die Tochter der Nacht und gleichfalls die Tochter dessen, den zu töten ihr gekommen seid.«

»So können wir keine Freunde sein, Noctua«, sagte der Jüngling. »Aber laßt uns nicht Feinde sein.« Denn obgleich er nicht wußte, warum, fühlte er sich, der er doch aus Träumen geschaffen war, zu ihr hingezogen; und sie, deren Augen Sternenlicht bargen, zu ihm.

Hierauf breitete die Prinzessin die Hände aus und erklärte: »Wisse, mein Vater hat meine Mutter gewaltsam genommen und hält mich hier gegen meinen Willen fest, wo ich bald den Verstand verlöre, käme sie nicht am Ende eines jeden Tages zu mir. Wenn du in meinen Augen keinen Kummer siehst, so deshalb, weil ich ihn in meinem Herzen trage. Auf daß ich frei werde, will ich dir gern sagen, wie du meinen Vater herausfordern und besiegen kannst.«

Alle Jünglinge der Stadt der Zauberer verstummten und umringten sie, um ihr zu lauschen.

»Zuerst müßt ihr wissen, daß die Wasserstraßen dieser Insel in immer neuen Kurven verlaufen, so daß sie unergründlich sind. Ihr könnt sie keineswegs mit Segeln befahren, sondern müßt zuvor die Öfen anheizen.«

»Das fürchte ich nicht«, sagte der aus Träumen fleischgewordene Jüngling. »Ein halber Wald wurde kahlgeschlagen, um unsere Kästen zu füllen, und diese großen Räder, die du siehst, werden die Ströme mit Riesenschritten überwinden.«

Hierauf zitterte die Prinzessin und sagte: »Oh, sprich nicht von Riesen, denn du weißt nicht, was du sagst. Viele Schiffe sind gekommen wie ihr, daß die schlammigen Gründe dieser unermeßlichen Kanäle vor Schädeln weiß sind. Denn es ist die Gepflogenheit meines Vaters, sie durch die Inselchen und Straßen irren zu lassen, bis ihr Brennvorrat aufgebraucht ist – und sei dieser auch noch so groß –, um dann bei Nacht, wenn sie ihn im Schein ihrer erlöschenden Feuer nicht mehr sehen können, über sie zu kommen und sie zu erschlagen.«

Das betrübte das Gemüt des aus Träumen fleischgewordenen Jünglings, und er versetzte: »Wir wollen ihn suchen, wie wir gelobt haben, aber gibt es keine Möglichkeit, dem Schicksal dieser anderen zu entrinnen?«

Hierauf dauerte er die Prinzessin, denn allen, die das Traumhafte an sich haben, sind die Töchter der Nacht wenigstens in gewissem Grade hold, und ihm, dem holdesten von allen, insbesondere. Also sagte sie: »Um meinen Vater zu finden, ehe euer letztes Scheit verbrannt ist, braucht ihr nur im dunkelsten Wasser zu suchen, denn wo er vorbeikommt, wirbelt sein mächtiger Leib Schlamm und Schlick auf, so daß ihr ihn entdecken könnt, haltet ihr nur danach Ausschau. An jedem Tag müßt ihr indes die Suche bei Morgengrauen beginnen und am Mittag abbrechen; denn sonst begegnet ihr ihm vielleicht bei Dämmerung, und dann wird es euch übel ergehen.«

»Für diesen Rat hätte ich mein Leben gegeben«, antwortete der Jüngling, und alle seine Gefährten, die mit ihm an Land gekommen waren, brachen in Jubel aus. »Denn nun werden wir das Ungeheuer gewiß besiegen.«

Hierauf wurde die besonnene Miene der Prinzessin noch ernster, und sie versetzte: »Nein, das ist nicht gewiß, denn er ist ein schwerer Gegner in einer Seeschlacht. Aber ich weiß eine Kriegslist, die euch helfen mag. Ihr sagt, ihr seid gut gerüstet. Habt ihr Teer zum Auspichen, sollte euer Schiff leckschlagen?«

»Fässerweise«, sagte der Jüngling.

»Wenn es zur Schlacht kommt, seht zu, daß der Wind von euch zu ihm bläst. Ist die Schlacht voll entbrannt – was nicht lange dauern wird, habt ihr ihn erst gestellt – laß deine Männer die Öfen mit Teer füllen. Ich kann euch nicht versprechen, daß euch das den Sieg bringt, aber es wird euch sehr helfen.«

Hierauf dankten ihr alle Jünglinge vielmals, und die Kornjungfern, die scheu dabeigestanden hatten, während der aus Träumen fleischgewordene Jüngling und die Tochter der Nacht sprachen, jubelten, wie Jungfrauen jubeln – nicht lauthals, aber voller Freude.

Dann machten sich die Jünglinge auf den Weg und entfachten mittschiffs die großen Öfen, bis der weiße Geist geboren ward, der gute Schiffe vorantreibt, wie immer auch der Wind stehe. Und die Prinzessin beobachtete sie vom Gestade aus und gab ihnen ihren Segen.

Aber als sich gerade die großen Räder zu drehen begannen, so langsam zuerst, daß eine Bewegung fast nicht erkennbar war, rief sie den aus Träumen fleischgewordenen Jüngling an die Reling und sagte: »Mag sein, daß ihr meinen Vater findet. Findet ihr ihn, mag es euch gelingen, selbst einen so tüchtigen Krieger wie meinen Vater zu übermannen. Sogar wenn dem so wäre, könntet ihr in arge Bedrängnis geraten, den Rückweg ins offene Meer wiederzufinden, denn die Kanäle dieser Insel sind höchst wundersam angelegt. Dennoch gibt es einen Weg. Von meines Vaters rechter Hand müßt ihr die Kuppe des ersten Fingers abziehen. Dort werdet ihr tausend verworrene Linien entdecken. Seid nicht entmutigt, sondern studiert sie genau; denn das ist der Plan, dem er folgte, als er das Netz dieser Kanäle schuf, auf daß er selbst ihn stets bei sich habe.«

VIERTER TEIL Der Kampf mit dem Ungeheuer

Landeinwärts wendeten sie ihren Bug, und genau wie die Prinzessin vorhergesagt hatte, teilte sich bald der Kanal, dem sie folgten, und teilte sich immer wieder, bis sie von tausend abzweigenden Kanälen und zehntausend Inselchen umringt waren. Als der Schatten des Hauptmasts nicht größer als ein Hut war, erteilte der aus Träumen fleischgewordene Jüngling den Befehl zum Ankersetzen und ließ die Feuer mit Asche belegen; einen langen Nachmittag warteten sie dort, während sie die Geschütze ölten, das Pulver zurechtmachten und alles vorbereiteten, was sich im unerbittlichsten Kampf als nützlich erweisen möge.

Schließlich kam die Nacht, und sie sahen sie von Insel zu Insel schreiten; ihre Fledermäuse umschwirrten ihre Schultern, und ihre grimmigen Wölfe folgten ihr auf den Fersen. Nicht weiter als einen flachen Mörserschuß schien sie von ihrem Ankerplatz entfernt, dennoch konnten alle beobachten, daß sie nicht vor dem Hesperos oder selbst vor dem Sirius wich, sondern diese vor ihr. Einmal nur kehrte sie ihnen flüchtig das Gesicht zu, und keiner konnte sich sicher sein, was ihr Blick zu bedeuten hätte. Aber alle von ihnen fragten sich, ob das Ungeheuer sie fürwahr gegen ihren Willen genommen habe, wie ihre Tochter gesagt hatte; und ob sie, wenn ja, den Groll noch hege, den sie wohl empfunden hatte.

Mit dem ersten Licht ertönten die Trompeten vom Achterdeck, und die Feuer, welche mit Asche belegt worden waren, wurden mit neuem Brennstoff versehen; aber als der Morgenwind günstig für den Kanal, in dem sie ankerten, stand, ließ der Jüngling Segel setzen, ehe die großen Räder zur ersten Umdrehung bereit waren. Und als der weiße Geist erwachte, machte das Schiff doppelte Fahrt.

Es war dieser Kanal viele Meilen lang und hatte viele Windungen, aber sie konnten doch hart am Winde vorwärtskommen, ohne die Segel einholen oder wenden zu müssen. Hundert andere kreuzten ihn, und sie betrachteten das Wasser eines jeden, aber es war stets kristallklar. Die wunderlichen Erscheinungen zu beschreiben, die ihnen unterwegs auf den’ Inseln vor Augen kamen, ergäbe ein Dutzend Geschichten so lang wie diese – Weiber, wie Blumen auf Stielen wachsend, hingen über dem Schiff und versuchten sie zu küssen, um ihre Gesichter mit dem Puder ihrer Wangen zu beschmieren; Männer, denen vor langer Zeit der Wein den Tod gebracht hatte, lagen an Weinbrunnen und tranken immer noch und gewahrten gar nicht mehr, daß ihr Leben vorüber war, so verdummt waren sie; Untiere, Omen für das Kommende, mit verdrehten Gliedmaßen und Pelzen in Farben, wie man sie noch nicht gesehen, harrten des Nahens von Schlachten, Erdbeben und Königsmorden.

Schließlich trat der Jüngling, welcher dem aus Träumen fleischgewordenen Jüngling als Erster Maat diente, an ihn heran, wo er neben dem Steuermann wartete, und sprach: »Wir haben diesen Kanal schon weit befahren, und die Sonne, die ihr Gesicht nicht gezeigt, als wir die Segel gehißt, nähert sich dem Zenit. Auf unserem Kurs haben wir tausend andere Kanäle passiert, und in keinem sind wir auf eine Spur des Ungeheuers gestoßen. Haben wir nicht einen schlechten Kurs eingeschlagen? Wäre es nicht klüger, bald seitwärts zu drehen und einen anderen zu probieren?«

Nun erwiderte der Jüngling: »Soeben passieren wir Steuerbord einen Kanal. Sieh hinab und sage mir, ob sein Wasser trüber als das unsrige ist.« Der Jüngling tat, wie geheißen, und sagte: »Nein, klarer.«

»Rasch nun, backbord öffnet sich ein anderer. Wie tief kannst du sehen?«

Der Jüngling wartete, bis das Schiff in Höhe des Kanals war, von dem der andere gesprochen hatte, und antwortete dann: »Ganz hinunter. Ich sehe das Wrack eines alten Schiffes viele Klafter tief.«

»Und kannst du in diesem Kanal, worin wir nun fahren, auch so tief sehen?«

Nun blickte der Jüngling zum Wasser, das ihr Kiel teilte, und es war dunkel wie Tinte; und die Spritzer, die von den drehenden Rädern flogen, waren schier wie dunkle Steine und Raben. Sogleich kam ihm die Erleuchtung, und er rief allen anderen zu, an die Kanonen zu gehen, denn er konnte ihnen nicht sagen, sich bereitzumachen, standen alle doch längst schon bereit.

Vor ihnen lag eine Insel, höher als die meisten, von schlanken“ dunklen Bäumen gekrönt; und hier machte der Kanal eine leichte Biegung, so daß sie anluvten und das Kliff sicher umfuhren. Vor ihnen lag ein langer Rumpf aus schmalen Planken mit einer Burg in der Mitte obenauf und einer einzigen, ungleich größeren Kanone, die aus ihrer einzigen Geschützpforte lugte.

Nun tat der aus Träumen fleischgewordene Jüngling seinen Mund auf, um der Mannschaft am Heckgeschütz den Feuerbefehl zu erteilen. Noch ehe er eine Silbe über die Lippen brachte, erdröhnte die gewaltige Kanone ihres Feindes, und ihr Klang war weder wie Donner noch wie ein anderer, den Ohren der Menschen vertrauter Laut; es war ihnen vielmehr, als stünden sie in einem hohen Turm aus Stein, der mit einemmal um sie herum zusammengebrochen war.

Und die Kugel dieses Schusses traf den Verschluß des ersten ihrer Steuerbordgeschütze, so daß es zerschellte wie die Kugel selbst und die Splitter von beiden wie dunkles Laub in einem Sturm durch die Luft stoben und vielen den Tod brachten.

Nun drehte der Steuermann, ohne eine Weisung abzuwarten, das Schiff, so daß die Backbordgeschütze in Stellung kamen, und die Kanonen feuerten nacheinander gemäß dem Willen des Mannes, der die Richtung angepeilt hatte, wie Wölfe zum Mond heulen. Und ihre Geschosse hagelten links und rechts von der einzigen Burg des Feindes nieder, andere trafen sie so, daß ein Grabgeläut für jene, die soeben umgekommen waren, angestimmt wurde, wieder andere fuhren vor dem Rumpf, der sie trug, ins Wasser oder schlugen auf das Deck auf (welches gleichfalls aus Eisen war) und flohen nach dem Aufprall kreischend gen Himmel.

Dann sprach wieder die einzige Kanone ihres Feindes.

Und so ging es weiter, und die Momente schienen lang wie Jahre. Schließlich besann sich der Jüngling des Ratschlags der Prinzessin, Tochter der Nacht; und obzwar der Wind stark blies, kam er nur von achtern, und falls er eine andere Stellung bezöge, so daß der Wind von sich zum Feind wehte (wie die Prinzessin geraten hatte) kämen eine ganze Weile nur die Heckgeschütze zum Zuge, und könnte man erst wieder eine ganze Batterie einsetzen, müßte es die von Steuerbord sein, wovon eine Kanone zerstört und viele Männer tot waren.

Aber er erkannte in diesem Augenblick, daß sie kämpften, wie hundert andere gekämpft hatten, und daß diese hundert anderen alle tot, ihre Schiffe versenkt und ihre Gebeine in den unzähligen Kanälen verstreut waren, welche sich wirr durch die Insel des Ungeheuers wanden. Also gab er seine Befehle an den Steuermann; indes erhielt er keine Antwort, denn dieser war tot, und das Rad, das er gehalten hatte, hielt nun ihn. Dies sehend, nahm der aus Träumen fleischgewordene Jüngling die Spaken selbst in die Hände und kehrte ihrem Feind den schmalen Schiffsbug zu. Nun ward sichtbar, wie die drei Schwestern den Wackeren halfen, denn der nächste Schuß ihres Feindes, der es leicht von vorn bis achtern hätte aufreißen können, verfehlte um eine Ruderlänge die Backbordseite. Und der nächste um eine Bootsbreite die Steuerbordseite.

Ihr Feind, der bis jetzt still gestanden und weder zu fliehen noch näherzukommen versucht hatte, schwenkte nun herum. Als zu erkennen war, daß er das Weite suchte, falls er könnte, brach die Mannschaft in so großen Jubel aus, als hätte sie bereits den Sieg errungen. Aber wundersamerweise drehte sich die einzige Burg, die alle bisher für fest verankert gehalten hatten, in die andre Richtung, so daß die große Kanone, ungleich größer als die eigenen, dennoch auf sie zeigte.

Im nächsten Augenblick wurden sie mittschiffs getroffen, und die Kugel riß eine Kanone der Steuerbordbatterie aus der Lafette, als würde ein Trunkener ein Kind aus der Wiege reißen und es über das Deck schleudern, so daß es alles niederbrach, was ihm im Wege stand. Dann stimmten die Kanonen der Batterie – die verbliebenen – allesamt einen Chor aus Feuer und Eisen an. Und weil die Entfernung nur noch halb so groß war (oder vielleicht nur deshalb, weil das innere Gefüge ihres Feindes, der Furcht gezeigt hatte, schwächer geworden war) entlockten ihre Geschosse seiner Burg nicht mehr nur ein hohles Geklirr, sondern ein berstendes Getöse, als würde die Glocke, welche das Ende der Welt einläutet, zerbrechen; und gezackte Risse spalteten das schwarzglänzende Eisen.

Nun rief der Jüngling durch das Sprachrohr zu jenen, die ergeben im Maschinenraum ausharrten und die Öfen mit Holz beheizten, und hieß sie, Teer in die Flammen zu werfen, wie die Prinzessin ihnen geraten hatten. Zuerst befürchtete er, alle drei wären tot, dann, daß der Befehl im Schlachtenlärm nicht gehört würde. Aber ein Schatten fiel über das sonnenbeschienene Wasser, das sie von ihrem Feind trennte, und er richtete seinen Blick empor.

Vor langer Zeit, so geht die Sage, fand ein Kind in Lumpen, die Tochter eines Fischers, im Sand eine zugestöpselte Flasche und wurde, indem sie das Siegel brach und den Korken herauszog, Königin von Eis zu Eis. In gleicher Weise entwich, wie es schien, ein urgewaltiger Geist den kleinen Schornsteinen ihres Schiffes, überschlug sich purzelnd in finsterer Freude und wuchs brausend heran, wie wenn ein Sturm aufkommt.

Und der Sturm kam fürwahr und packte ihn mit seinen unzähligen Händen und trug ihn als dichten Haufen zu ihrem Feind hinab. Selbst als nichts mehr zu sehen war – weder der lange, dunkle Rumpf mit seinem Eisendeck, noch die einzige Kanone, deren Mund eine verhängnisvolle Sprache gesprochen hatte – vergeudeten sie keinen Augenblick, sondern stürmten an die Geschütze und feuerten in die Schwärze. Und hin und wieder hörten sie auch die Kanone ihres Feindes schießen, aber sie sahen kein Mündungsfeuer, und wo diese Schüsse einschlugen, das konnten sie nicht sagen.

Es mag sein, daß sie noch nicht getroffen haben und auf der Suche nach ihrem Ziel noch immer die Welt umkreisen.

Sie feuerten, bis die Geschützrohre glühten wie Rohlinge frisch aus dem Schmelztiegel. Dann versiegte der Rauch, der so lange ausgetreten war, und jene von unten riefen durch das Sprachrohr, daß der Teer aufgebraucht sei, und der aus Träumen fleischgewordene Jüngling gab den Befehl, das Feuer einzustellen, und die Männer, welche die Geschütze bedient hatten, fielen wie tot aufs Deck, zu entkräftet, um auch nur um Wasser zu bitten.

Die schwarze Wolke löste sich auf. Nicht wie Nebel sich in der Sonne auflöst, sondern wie eine zum Letzten entschlossene Armee vor wiederholten Angriffen sich auflöst, hier weichend, dort die Stellung haltend, noch Kraft für ein paar Plänkeleien aufbietend, wenn aller Widerstand gebrochen scheint.

Vergeblich suchten sie nun die neu erstrahlten Wellen nach ihrem Feind ab. Nichts war zu sehen: weder sein Rumpf, noch seine Burg, noch seine Kanone, noch eine Planke oder ein Holm.

Langsam und so vorsichtig, als fürchteten sie einen unsichtbaren Widersacher, näherten sie sich der Stelle, an der er geankert hatte, und bemerkten die zertrümmerten Bäume und den zerfurchten Boden auf dem Inselchen dahinter, wo ihre Geschosse ihre Energie entladen hatten. Als sie die Stelle, an welcher der lange Rumpf aus Eisen gelegen hatte, überfahren hatten, befahl der aus Träumen fleischgewordene Jüngling, die großen Räder rückwärts Fahrt machen zu lassen und schließlich anzuhalten, so daß sie so still wie vorher ihr Gegner auf dem Wasser ruhten. Dann schritt er an die Reling und sah hinunter; aber mit einem solchen Gesichtsausdruck, daß keiner, nicht einmal der Verwegenste, ihn anzublicken wagte.

Als er endlich wieder aufsah, war seine Miene starr und grimmig, und ohne ein Wort an irgendeinen der Männer begab er sich in seine Kajüte und verriegelte die Tür. Nun ließ der Jüngling, der sein Stellvertreter war, das Schiff wenden, um zur weißen Kalotte der Prinzessin zurückzukehren; gleichfalls ließ er die Verwundeten verbinden, die Pumpen in Gang setzen und alle Reparaturen, die ausgeführt werden konnten, in Angriff nehmen. Aber die Toten behielt er an Bord, auf daß sie auf hoher See ein Grab fänden.

FÜNFTER TEIL Der Tod des Studenten

Vielleicht war der Kanal nicht so gerade, wie sie glaubten. Oder sie hatten, ohne es zu merken, in der Schlacht die Orientierung verloren. Oder die Kanäle schlängelten und drehten sich (wie einige mutmaßten) wie Würmer in einer Nuß, wenn kein Auge es sah. Was immer davon wahr sein mochte, sie dampften den ganzen Tag – denn der Wind hatte sich gelegt – nur um im letzten Tageslicht zu sehen, daß sie zwischen fremden Inseln kreuzten.

Die Nacht über gingen sie vor Anker. Als der Morgen graute, rief der Maat alle zu sich, die den besten Rat geben könnten; aber keiner davon hatte einen anderen Vorschlag als den aus Träumen fleischgewordenen Jüngling herbeizurufen (was ihnen mißfiel) oder weiterzufahren, bis sie die offene See oder die Kalotte der Prinzessin erreichten.

Das taten sie den ganzen Tag, um einen geraden Kurs bemüht, aber ob der vielen Biegungen fuhren sie zwangsläufig im Kreise. Als die nächste Nacht anbrach, war ihre Lage nicht besser als zuvor.

Aber am Morgen des dritten Tages kam der aus Träumen fleischgewordene Jüngling aus seiner Kajüte und schritt an Deck auf und ab, begutachtete die bisher reparierten Schäden und erkundigte sich bei jenen, die wegen ihrer Schmerzen schon wach waren, nach dem Befinden. Dann traten der Maat und alle, die ihn beraten hatten, vor ihn und legten dar, was sie getan, und fragten, wie sie das Meer wiederfänden, auf daß sie ihre Toten begraben und in die Stadt der Zauberer heimkehren könnten.

Hierauf richtete er seinen Blick gen Himmel. Und manche glaubten, er bete, und andere, daß er den Zorn, den er gegen sie hegte, zu bändigen suchte, und wieder andere, daß er sich von daher eine Eingebung erhoffte. So lange indes starrte er empor, daß sie furchtsam wurden, ganz wie ehedem, als er ins Wasser gespäht hatte, und der eine oder andere schlich sich langsam fort. Dann sagte er zu ihnen: »Schaut! Seht ihr nicht die Seevögel? Von allen Himmelsrichtungen fliegen sie herbei. Folget ihnen!«

Bis zum späten Vormittag folgten sie den Vögeln, insofern als die gewundenen Kanäle dies zuließen. Und schließlich sahen sie sie vor sich kreisen und zum Wasser niederstoßen, so daß ihre weißen Flügel und schwarzen Köpfchen wie eine tiefhängende Wolke wirkten, die außen schön, aber innen gewittrig war. Dann hieß der aus Träumen fleischgewordene Jüngling sie, einen Mörser nur mit Pulver zu laden und abzufeuern; und als der Böller krachte, stiegen diese Vögel allesamt kreischend und zeternd auf. Und wo sie gewesen waren, gewahrte die Besatzung ein großes Aas, das im Wasser trieb und anscheinend ein Landtier war, denn es hatte, wie sie glaubten, einen Kopf und vier Beine. Es war indes weitaus größer als irgendein Elefant.

Als sie dicht herangelangt waren, ließ der Jüngling ein Boot wassern, und als er an Bord kletterte, sahen sie, daß er sich in den Gürtel einen großen Dolch gesteckt hatte, dessen Klinge in der Sonne blitzte. Eine Weile hantierte er an dem Aas, und als er wiederkehrte, trug er bei sich eine Karte, die größte, die ein jeder von ihnen gesehen hatte, aufgezeichnet auf roher Haut.

Bei Dunkelheit erreichten sie die Kalotte der Prinzessin. Alle warteten an Bord, so lange ihre Mutter sie besuchte; aber als diese schreckliche Frau gegangen war, begaben sich alle, die gehen konnten, an Land, und die Kornjungfern umringten sie, ihrer hundert für jeden Jüngling, und der aus Träumen fleischgewordene Jüngling schloß die Tochter der Nacht in seine Arme und führte im Tanze den Reigen an. Unvergeßlich blieb ihnen diese Nacht.

Als der Tau fiel, ruhten sie unter den Bäumen im Garten der Prinzessin zwischen den hohen Blumen. So schliefen sie noch eine Weile, aber als am Nachmittag die Schatten ihrer Masten nach hinten fielen, waren sie wach. Dann sagte die Prinzessin der Insel Lebewohl und gelobte, nie mehr zu ihr zurückzukehren, gleichwohl sie jedes Land bereisen wolle, das ihre Mutter betrete; und die Kornjungfern gelobten selbiges. Es waren ihrer vielleicht mehr, als das Schiff bergen konnte; dennoch trug es sie alle, so daß alle Decks grün von den Gewändern und golden von ihrem Haar waren. Viele Abenteuer hatten sie auf ihrem Heimweg in die Stadt der Zauberer zu bestehen. Es bliebe zu erzählen, wie sie ihre Toten mit frommen Gebeten in die See warfen, sie hernach aber dennoch des Nachts im Takelwerk wiedersahen; oder wie von den Kornjungfern einige sich mit solchen Prinzen vermählten, die, so viele Jahre verzaubert, daß sie nur ungern aus jenem Leben schieden (und in jener Zeit viel von der Schwarzen Kunst erlernt hatten), auf Seerosenkissen Paläste errichteten und selten von Menschen gesehen werden.

Aber für all dies ist hier kein Platz. Es genüge zu sagen, daß der Student, welcher den Jüngling aus seinen Träumen hatte Fleisch werden lassen, auf den Zinnen stand und über das Meer Ausschau nach ihnen hielt, als sie sich dem Kliff, auf dessen Spitze die Stadt der Zauberer steht, näherten. Und als er ihre schwarzen Segel, rußig vom brennenden Teer, welcher ihren Widersacher geblendet hatte, gewahrte, wähnte er sie in Trauer um den Jüngling geschwärzt und stürzte sich in die Tiefe und starb. Denn kein Mensch lebt lang, sind seine Träume tot.

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