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Fünfter Tag Bern

Mit Mothersheds Adressenliste haben sich alle meine Hoffnungen in Rauch aufgelöst, dachte Robert. Und das im wahrsten Sinne des Wortes! Ich hätte die Liste an mich bringen sollen, als ich in seiner Wohnung gewesen bin. Das wird mich lehren

Lehren? Natürlich! Aus seinem Unterbewußtsein tauchte eine Erinnerung auf. Hans Beckermann hatte gesagt: Ein alter Stänkerer! Die anderen sind ganz aufgeregt gewesen wegen des UFOs und den toten Wesen, aber dieser Alte hat rumge-nörgelt, wir sollten weiterfahren. Er müßte nach Bern, hat er gesagt, um an einer Vorlesung zu arbeiten, die er am nächsten Morgen an der Universität halten sollte. Diese vage Fährte war jetzt Roberts einzige Hoffnung.

Er nahm sich auf dem Berner Flughafen einen Leihwagen und fuhr damit zur Universität.

Ein Student zeigte ihm den Weg zum Verwaltungstrakt, und Robert fragte sich dort bis zu der für seinen Fall zuständigen Sachbearbeiterin durch. Die junge Frau hinter dem Schreibtisch trug eine schwarzgeränderte Brille und hatte die Haare zu einem straffen Knoten zusammengebunden.

«Sie wünschen?«

Robert zeigte einen seiner Dienstausweise vor.»Interpol. Wir ermitteln im Augenblick wegen einer Sache, bei der Sie uns helfen könnten, Fräulein.«

«Frau… Frau Schreiber. Worum geht’s?«

«Ich suche einen Professor.«

Sie runzelte die Stirn.»Wie heißt er?«

«Das weiß ich nicht.«

«Sie kennen seinen Namen nicht?«

«Nein. Er hat am Montag eine Gastvorlesung gehalten.«

«Bei uns halten tagtäglich mehrere Professoren Gastvorlesungen. Seine Disziplin?«

«Wie bitte?«

«Welches Fach lehrt er?«Ihr Tonfall verriet wachsende Ungeduld.»Was war das Thema seiner Vorlesung?«

«Das weiß ich nicht.«

«Tut mir leid, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Und ich habe keine Zeit für unsinnige.«

«Von unsinnig kann hier keine Rede sein!«unterbrach Robert sie.»Die Sache ist sehr dringend. «Er beugte sich über ihren Schreibtisch und fuhr halblaut fort:»Hören Sie, ich will Sie ins Vertrauen ziehen. Der Professor, nach dem wir fahnden, gehört zu einem internationalen Mädchenhändlerring.«

«Oh!«sagte Frau Schreiber überrascht.

«Interpol ist ihm seit Monaten auf der Spur. Nach unseren Informationen hat er hier am fünfzehnten Oktober eine Vorlesung gehalten. «Er zuckte die Schultern.»Wenn Sie mir nicht weiterhelfen können oder wollen, muß ich die Kollegen von der hiesigen Polizei einschalten. Dann macht der Fall bestimmt Schlagzeilen, die…«

«Nein, nein!«wehrte sie ab.»Das wäre uns sehr unangenehm. «Plötzlich wirkte sie äußerst besorgt.»Wann, sagen Sie, ist er bei uns gewesen?«

«Am Fünfzehnten. Montag.«

Frau Schreiber stand auf, trat an einen Karteischrank und zog das oberste Fach auf. Sie blätterte in den Karten und zog schließlich mehrere heraus.»So, die hätten wir. Am fünfzehnten Oktober haben drei Professoren Gastvorlesungen gehalten — und zwar in Chemie, Psychologie und Betriebswirtschaft.«

«Darf ich die Karten mal sehen?«fragte Robert.

Frau Schreiber überließ sie ihm widerstrebend.

Er studierte die Eintragungen auf den Karteikarten. Wichtig waren nur Name, Adresse und Telefonnummer.

«Ich kann sie Ihnen kopieren, wenn Sie wollen.«

«Nein, danke. «Er hatte die Namen und Telefonnummern bereits im Kopf.»Der Mann, den wir suchen, ist leider nicht dabei.«

Frau Schneider seufzte erleichtert.»Gott sei Dank! Mädchenhandel! Damit möchte die Universität auf keinen Fall zu tun haben.«

«Entschuldigen Sie, daß ich Sie wegen dieser Sache belästigt habe. «Robert verließ ihr Büro und suchte nach einer Telefonzelle.

Als erstes wählte er die Berliner Nummer.»Professor Streu-bel?«

«Ja.«

«Hier ist die Firma SUNSHINE TOURS. Als Sie letzten Sonntag eine Rundfahrt mit uns gemacht haben, ist Ihre Brille in einem unserer Busse liegengeblieben, und wir…«

«Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden«, unterbrach Streubel ihn irritiert.

«Sie sind am vierzehnten Oktober in der Schweiz gewesen, nicht wahr, Herr Professor?«

«Nein, am fünfzehnten. Zu einer Gastvorlesung an der Universität Bern.«

«Und Sie haben keine Busrundfahrt gemacht?«

«Für solchen Unsinn habe ich keine Zeit. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann. «Damit legte der Professor auf.

Auch Professor Heinrich in Hamburg wies die Vermutung, er könnte sich an solch fachfremden Freizeitäktivitäten wie einer Busrundfahrt beteiligt haben, empört zurück. Also blieb nur noch die Münchner Nummer übrig.

«Hallo. Ist dort Professor Otto Schmidt?«

«Ja.«

«Herr Professor, hier ist die Firma SUNSHINE TOURS. Wir haben Ihre Brille, die Sie vor einigen Tagen in einem unserer Busse liegengelassen haben, und.«

«Das muß ein Irrtum sein.«

Robert war wie vor den Kopf geschlagen. Dies war seine letzte Chance gewesen! Jetzt wußte er nicht mehr weiter.

Der Professor sprach weiter.»Ich habe meine Brille hier. Ich habe sie nicht verloren.«

Roberts Herz schlug schneller.»Wissen Sie das bestimmt, Herr Professor? Sie haben doch am vierzehnten Oktober unsere Rundreise mitgemacht?«

«Ja, gewiß, aber ich habe nichts verloren!«

«Vielen Dank, Herr Professor. «Robert hängte ein. Hauptgewinn!

Die Plattenstraße in München ist eine ruhige Wohnstraße mit Altbauten. Robert betrat das Haus Nummer 5, stieg in den ersten Stock hinauf und klingelte an der Wohnungstür von Professor Otto Schmidt.

Die Tür wurde von einem großen, hageren Mann mit weißer, leicht zerzauster Mähne geöffnet. Er trug einen ausgebeulten Pullover und rauchte eine Pfeife. Robert fragte sich, ob er sich absichtlich den Habitus eines typischen Gelehrten zugelegt hatte oder ob sein Beruf ihn so geformt hatte.

«Herr Professor Schmidt?«

«Ja?«

«Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich komme von der.«

«Wir haben schon miteinander gesprochen«, unterbrach ihn Schmidt.»Sie sind der Mann, der mich heute vormittag angerufen hat. Ich erkenne jede Stimme wieder, die ich einmal gehört habe. Bitte, treten Sie ein.«

«Danke. «Aus der kleinen Diele gelangte man in ein Wohnzimmer, dessen Wände hinter Schränken mit Tausenden von Büchern verschwanden. Überall waren weitere Bücher gesta-pelt: auf Tischen, auf Stühlen, auf dem Fußboden. Nur die beiden Sessel, auf denen sie jetzt Platz nahmen, waren freigehalten worden.

«Sie sind bei keinem Schweizer Busunternehmen, stimmt’s?«

«Nun, ich…«

«Sie sind Amerikaner.«

«Ja.«

«Und dieser Besuch hat auch nichts mit meiner Brille zu tun, die sie angeblich gefunden haben.«

«Äh… nein, Herr Professor.«

«Sie interessieren sich für das UFO, das ich gesehen habe. Ein sehr beunruhigendes Erlebnis! Ich habe die Existenz von UFOs immer für möglich gehalten, aber ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich selbst mal eines sehen würde.«

«Können Sie’s mir beschreiben?«

«Irgendwie hat es… fast lebendig gewirkt. Es war von einer schimmernden Aura umgeben. Blau. Nein, eigentlich eher Grautöne. Der Rumpf war aufgeplatzt, und ich konnte in dem UFO zwei Außerirdische sehen. Sie waren klein und hatten riesige Augen.«

«Können Sie mir irgend etwas über die anderen Fahrgäste Ihres Busses erzählen?«

Der Professor zuckte mit den Schultern.»Von denen weiß ich so gut wie nichts. Ich habe mir die Landschaft angesehen und mich auf meine Vorlesung am nächsten Morgen konzentriert. Allerdings… wenn Ihnen damit geholfen ist, kann ich Ihnen sagen, woher sie gekommen sind. Ich lehre Chemie, aber Phonetik ist mein Hobby.«

«Ich bin Ihnen für jegliche Informationen dankbar.«

«Zu den Fahrgästen gehörten: ein italienischer Geistlicher, neben dem ein Amerikaner mit texanischem Akzent saß, ein Ungar, ein Engländer, eine Russin…«

«Eine Russin?«»Ja — aber nicht aus Moskau. Ihrem Akzent nach tippe ich eher auf Kiew und Umgebung.«

«Haben einige zufällig ihre Namen oder Berufe erwähnt?«

«Tut mir leid, darauf habe ich nicht geachtet. Ich habe mich, wie gesagt, auf die Landschaft und meine Vorlesung konzentriert. «

«Erzählen Sie mir von dem Geistlichen und dem Texaner.«

Der Professor entlockte seiner Pfeife bläuliche Rauchwolken.»Der Texaner hat damit geprahlt, was für ein großartiger Staat Texas sei. Er hat ununterbrochen geredet. Das ist sehr lästig gewesen. Ich weiß nicht mal, wieviel der Geistliche davon verstanden hat.«

«Dieser Geistliche.«

«Er hat mit römischem Akzent gesprochen.«

«Können Sie mir sonst noch irgendwas über die Busfahrgäste erzählen?«

Der Professor schüttelte den Kopf.»Nein, leider nicht. «Er paffte wieder.»Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht weiterhelfen kann.«

Plötzlich fiel Robert etwas ein.»Sie sind Chemiker, nicht wahr?«

«Ja.«

«Wären Sie so freundlich, sich das hier anzusehen, Herr Professor?«Robert zeigte ihm das mysteriöse Objekt, das Beckermann ihm gegeben hatte.»Können Sie mir sagen, was das ist?«

Während Professor Schmidt es betrachtete, veränderte sich sein Gesichtsausdruck.»Wo… wo haben Sie das her?«

«Das darf ich Ihnen leider nicht sagen. Wissen Sie, was das ist?«

«Es scheint Bestandteil eines Senders zu sein.«

«Wissen Sie das bestimmt?«

Schmidt betrachtete das Teil von allen Seiten.»Der Kristall besteht aus Delitheum. Ein sehr seltenes Element. Sehen Sie die beiden Nuten? Sie lassen darauf schließen, daß dieses Teil zu einem größeren Gerät gehört. Das Metall selbst ist… Mein Gott, so was hab’ ich noch nie gesehen!«Seine Stimme klang aufgeregt.»Können Sie mir dieses Teil für ein paar Tage überlassen? Ich würde es gern spektrographisch untersuchen.«»Das ist leider nicht möglich«, sagte Robert.

«Aber…«

«Tut mir leid. «Robert nahm das Teil wieder an sich.

Der Professor versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen.»Vielleicht bei anderer Gelegenheit. Wollen Sie mir nicht Ihre Visitenkarte geben? Damit ich Sie anrufen kann, falls mir noch etwas einfällt.«

Robert tat so, als suche er seine Visitenkarte.»Bedaure, aber ich scheine keine bei mir zu haben.«

«Das hab’ ich mir gedacht«, sagte Professor Schmidt.

«Commander Bellamy ist am Apparat.«

General Hilliard nahm den Hörer ab.»Ja, Commander?«

«Der nächste Augenzeuge ist ein Professor Schmidt. Er wohnt in München in der Plattenstraße fünf.«

«Danke, Commander. Ich benachrichtige sofort die zuständigen deutschen Behörden.«

Wenig später hielt ein Abteilungsleiter des deutschen Bundesnachrichtendienstes ein Fernschreiben in den Händen.

Ein Texaner und ein italienischer Geistlicher, dachte Robert. Und der Geistliche mußte auch noch aus Rom stammen, einer Stadt, in der es Zehntausende von Geistlichen gab.

Ich habe die Wahl. Ich kann aufgeben und nach Washington zurückfliegen. Oder ich kann nach Rom fliegen und es auf einen Versuch ankommen lassen

Sechster Tag München, Deutschland

Als Professor Otto Schmidt am nächsten Morgen ins Labor fuhr, dachte er an das Gespräch, das er am Abend zuvor mit dem Amerikaner geführt hatte. Woher konnte er dieses rätselhafte Metallteil gehabt haben? Und der Amerikaner selbst war kaum weniger geheimnisvoll gewesen.

Er hat gesagt, er interessiere sich für die Fahrgäste des Busses. Weshalb? Weil sie alle das UFO gesehen haben? Soll ihnen eingeschärft werden, ihre Beobachtungen nicht weiterzuerzählen? Aber warum hat der Amerikaner nicht versucht, auch mich zur Verschwiegenheit zu verpflichten? Irgendwie merkwürdig

Der Professor betrat sein Labor, zog seine Jacke aus und hängte sie auf. Nachdem er einen weißen Labormantel angezogen hatte, trat er an den Tisch, auf dem ein Versuch aufgebaut war, an dem er seit Monaten arbeitete. Wenn er klappt, bin ich ein gemachter Mann, überlegte er sich. Dann griff er nach einer Flasche mit destilliertem Wasser, um es in einen Behälter mit einer bernsteingelben Flüssigkeit zu schütten. Merkwürdig, so gelb hatte ich sie gar nicht in Erinnerung

Der Knall der Explosion war gewaltig. Die Druckwelle fegte Glassplitter, Metallteile und Fleischfetzen an die Wände.

BLITZMELDUNG

TOP SECRET ULTRA BND AN DIREKTOR NSA PERSÖNLICH 1. AUSFERTIGUNG VON 1 AUSFERTIGUNG(EN)

BETREFF: OPERATION DOOMSDAY

4. OTTO SCHMIDT — LIQUIDIERT TEXTENDE

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