8 Der Schwur der Drachen

Als die silbernen Drachen am Stadtrand von Palanthas niedergingen, erfüllten ihre Flügel den Morgenhimmel mit einer blendenden Herrlichkeit. Die Leute versammelten sich an den Mauern und starrten unruhig auf die wunderschönen Kreaturen.

Anfangs waren die Leute so entsetzt gewesen über die riesigen Tiere, daß sie sie vertreiben wollten, selbst als Laurana ihnen versicherte, daß diese Drachen nicht böse wären. Schließlich erschien Astinus persönlich aus seiner Bibliothek und informierte Amothud kühl, daß diese Drachen ihnen keinen Schaden zufügen würden. Erst jetzt legte die Bevölkerung von Palanthas widerstrebend ihre Waffen nieder.

Laurana wußte aber, daß die Leute Astinus auch geglaubt hätten, wenn er ihnen erzählt hätte, daß die Sonne um Mitternacht aufgehen würde. An Drachen glaubten sie nicht. Erst als Laurana durch die Stadttore ging und direkt in die Arme eines Mannes lief, der auf einem der wunderschönen silbernen Drachen geritten war, begannen die Leute zu denken, daß trotz allem irgend etwas an dieser Kindergeschichte wahr sein mußte.

»Wer ist der Mann? Wer hat die Drachen zu uns gebracht? Warum sind die Drachen gekommen?«

Drängend und schiebend lehnten sich die Leute über die Mauer, stellten Fragen und hörten den falschen Antworten zu. Draußen im Tal spannten die Drachen langsam ihre Flügel an, um im kühlen Morgen ihre erstarrten Glieder zu wärmen. Als Laurana den Mann umarmte, stieg noch eine andere Person von einem Drachen – eine Frau, deren Haar so silbern wie die Flügel der Drachen glänzte. Laurana umarmte auch diese Frau. Zum Erstaunen der Leute führte Astinus die drei dann zu der großen Bibliothek, wo sie von den Ästheten eingelassen wurden. Die riesigen Türen schlossen sich hinter ihnen.

Die Leute ließ man ziellos herumlaufend, in heller Aufregung, allein gelassen mit ihren Fragen, zweifelnde Blicke auf die Drachen werfend, die vor ihren Stadtmauern saßen.

Dann ertönten wieder die Glocken. Amothud berief eine Versammlung ein. Eilig verließen die Leute die Mauern, um den Stadtplatz vor dem Palast des Herrschers zu füllen, der auf einem Balkon erschien, um ihre Fragen zu beantworten.

»Es sind silberne Drachen«, rief er aus, »gute Drachen, die uns im Kampf gegen die bösen Drachen unterstützen wie in der Legende von Huma. Die Drachen wurden in unsere Stadt gebracht von…«

Was auch immer der Herrscher zu sagen beabsichtigte, es ging im Jubel unter. Die Glocken ertönten wieder, dieses Mal jedoch zur Feier. Leute strömten in die Straßen und sangen und tanzten. Schließlich erklärte der Herrscher nach einem vergeblichen Versuch, in seiner Rede fortzufahren, den Tag zum Feiertag und kehrte in seinen Palast zurück.

Das Folgende ist ein Auszug aus den Chroniken. Eine Geschichte über Krynn, aufgezeichnet von Astinus aus Palanthas. Zu finden unter dem Titel: »Der Schwur der Drachen.«

Während ich, Astinus, diese Worte schreibe, sehe ich auf das Gesicht des Elfenlords Gilthanas, des jüngsten Sohnes von Solostaran, der Stimme der Sonnen, Herrscher von Qualinesti. Gilthanas sieht seiner Schwester sehr ähnlich, nicht nur in bezug auf Familienähnlichkeit. Beide haben die zarten Gesichtszüge und die Eigenschaft aller Elfen, alterslos zu sein. Aber diese beiden sind anders. Beide Gesichter sind von Leid gezeichnet, das in den Gesichtern von Elfen auf Krynn sonst nicht gesehen wird. Aber ich befürchte, bevor dieser Krieg endet, werden viele Elfen dieses Aussehen haben. Und vielleicht ist das gar nicht mal so schlecht, denn es scheint, daß die Elfen endlich begreifen, daß sie Teil der Welt sind und nicht über ihr stehen.

Auf der einen Seite neben Gilthanas sitzt seine Schwester. Zu seiner anderen eine der schönsten Frauen, die ich je auf Krynn gesehen habe. Sie scheint ein Elfenmädchen zu sein, eine Wild-Elfe. Aber sie kann meine Augen nicht mit ihren magischen Künsten täuschen. Sie wurde niemals als Frau geboren – Elf oder nicht Elf. Sie ist ein Drache – ein Silberdrache, Schwester des Silberdrachen, der von Huma, Ritter von Solamnia, geliebt wurde. Es war Silvaras Schicksal, sich in einen Sterblichen zu verlieben, so wie es auch ihrer Schwester ergangen war. Aber anders als Huma kann dieser Sterbliche, Gilthanas, sein Schicksal nicht akzeptieren. Er sieht sie an… sie sieht ihn an. Statt Liebe sehe ich einen schwelenden Zorn in ihm, der langsam ihre Seelen vergiftet.

Silvara spricht süß und melodisch. Meine Kerze bestrahlt ihr wunderschönes Silberhaar und ihre nachtblauen Augen.

»Nachdem ich Theros Eisenfeld die Macht verlieh, die Drachenlanzen im Monument des silbernen Drachen zu schmieden«, erzählt Silvara mir, »verbrachte ich viel Zeit mit den Gefährten, bevor sie die Lanzen zum Treffen von Weißstein trugen. Ich führte sie durch das Monument, zeigte ihnen die Gemälde des Drachenkrieges, in denen die guten Drachen – die silbernen, goldenen und bronzenen – im Kampf gegen die bösen Drachen dargestellt werden.

›Wo ist dein Volk?‹ fragten mich die Gefährten. ›Wo sind die guten Drachen? Warum helfen sie uns nicht in unserer Zeit der Not und Bedrängnis?‹

Ich hielt ihren Fragen stand, solange ich konnte…«

Hier hört Silvara zu sprechen auf und sieht Gilthanas an. Aber er erwidert ihren Blick nicht, sondern starrt auf den Boden. Silvara seufzt und fährt mit ihrer Geschichte fort.

»Schließlich konnte ich seinem – ihrem – Druck nicht länger widerstehen. Ich erzählte ihnen von dem Schwur.

Als Takisis, die Königin der Finsternis, und ihre bösen Drachen verbannt wurden, verließen die guten Drachen das Land, um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse aufrechtzuerhalten. Wir kehrten in unsere Welt zurück und schliefen einen zeitlosen Schlaf. Wir würden weiter in einer Welt der Träume sein, doch dann erfolgte die Umwälzung, und Takisis fand wieder ihren Weg in die Welt zurück.

Lange Zeit hatte sie diese Rückkehr geplant, nur auf einen Wink des Schicksals wartend, und sie war vorbereitet. Bevor Paladin ihrer gewahr wurde, hatte Takisis die bösen Drachen aus ihrem Schlaf geweckt und ihnen befohlen, in die tiefen und geheimen Plätze der Welt zu schlüpfen und die Eier der guten Drachen zu stehlen, die ahnungslos schliefen…

Die bösen Drachen brachten die Eier ihrer Brüder in die Stadt Sanction, in der sich die Drachenarmeen formierten. Hier, in den Vulkanen, bekannt als die Fürsten des Unheils, wurden die Eier der guten Drachen versteckt.

Groß war die Trauer der guten Drachen, als Paladin sie aus ihrem Schlaf weckte und sie entdeckten, was geschehen war. Sie gingen zu Takisis, um herauszufinden, welchen Preis sie zahlen müßten, um ihre ungeborenen Kinder zurückzuerhalten. Es war ein schrecklicher Preis. Takisis verlangte einen Eid. Jeder gute Drache mußte schwören, sich nicht an dem Krieg zu beteiligen, den sie über Krynn bringen wollte. Es waren damals die guten Drachen gewesen, die zu ihrer Niederlage im letzten Krieg beigetragen hatten. Dieses Mal wollte sie sichergehen, daß sie sich nicht einmischten.«

Hier sieht mich Silvara flehend an, als ob ich über sie urteilen sollte. Ich schüttele streng den Kopf. Es liegt mir sehr fern, über jemanden zu urteilen. Ich bin lediglich der Chronist. Sie fährt fort.

»Was konnten wir schon unternehmen? Takisis sagte uns, sie würde unsere Kinder, während sie in ihren Eiern schliefen, umbringen, wenn wir den Schwur nicht leisten würden. Paladin konnte uns nicht helfen. Die Entscheidung lag bei uns…«

Silvara läßt ihren Kopf sinken, ihr Haar verbirgt ihr Gesicht. Sie würgt an ihren Tränen. Ihre Worte sind kaum hörbar.

»Wir leisteten den Schwur.«

Sie kann nicht weitersprechen, das ist offensichtlich. Nachdem Gilthanas sie einen Moment lang angestarrt hat, räuspert er sich und beginnt mit heiserer Stimme zu sprechen.

»Ich, das heißt Theros und meine Schwester und ich überzeugten Silvara schließlich, daß dieser Schwur falsch wäre. Es muß einen Weg geben, sagten wir, die Eier der guten Drachen zurückzuholen. Vielleicht wäre eine kleine Gruppe von Männern in der Lage, die Eier der guten Drachen zurückzustehlen. Silvara war nicht überzeugt, daß ich recht hatte, aber sie stimmte schließlich nach vielen Gesprächen zu, mich nach Sanction zu bringen, damit ich mir davon ein Bild machen konnte, ob solch ein Plan funktionieren würde. Unsere Reise war lang und schwierig. Vielleicht werde ich eines Tages über die Gefahren erzählen, mit denen wir konfrontiert waren, aber jetzt bin ich dazu nicht in der Lage. Ich bin zu erschöpft, und wir haben keine Zeit. Die Drachenarmeen sind dabei, sich wieder zu organisieren. Wir könnten sie mühelos angreifen, wenn wir uns beeilten. Ich sehe Laurana vor Ungeduld brennen, gierig darauf, sie zu verfolgen, selbst während dieses Gespräches. Darum will ich unsere Geschichte kurz machen.

Silvara – in ihrer ›Elfengestalt‹, wie ihr sie jetzt seht…«

Die Bitterkeit in der Stimme des Elfenlords ist unbeschreiblich.

»… und ich wurden vor Sanction erwischt und vom Drachenfürsten Ariakus gefangengenommen.«

Gilthanas’ Fäuste ballen sich, sein Gesicht erblaßt vor Wut und Angst.

»Lord Verminaard war nichts, absolut nichts im Vergleich zu Lord Ariakus. Die böse Macht dieses Mannes ist gewaltig! Und er ist genauso intelligent wie grausam, denn es ist seine Strategie, nach der die Drachenarmeen vorgehen, und die sie von Sieg zu Sieg geführt hat.

Das Leiden, das wir durch seine Hände erfuhren, kann ich nicht beschreiben. Ich glaube nicht, daß ich jemals erzählen kann, was sie uns angetan haben!«

Der Elfenlord zittert heftig. Silvara will eine Hand ausstrecken, um ihn zu trösten, aber er weicht aus und fährt fort.

»Schließlich half man uns zu entkommen. Wir befanden uns in Sanction, einer entsetzlichen Stadt, die in dem Tal gebaut wurde, das von Vulkanen gebildet wird – den Fürsten des Unheils. Dieses Gebirge erhebt sich überall, der widerliche Gestank verpestet die Luft. Die Gebäude sind neu und zweckmäßig, gebaut mit dem Blut von Sklaven. In die Gebirgsseite hinein wurde ein Tempel für Takisis, die Dunkle Königin, gebaut. Die Dracheneier werden tief im Herzen der Vulkane aufbewahrt. Dort, in diesem Tempel der Dunklen Königin, begannen Silvara und ich unseren Weg.

Kann ich den Tempel anders beschreiben, als daß es ein Gebäude der Dunkelheit und der Flammen ist? Hohe Säulen, aus dem brennenden Gestein gemeißelt, erheben sich in Höhlen, die voller Schwefel sind. Auf geheimen Wegen, nur den Priestern von Takisis bekannt, wanderten wir immer tiefer und tiefer hinein. Ihr fragt, wer uns geholfen hat? Ich kann es nicht sagen, denn ihr Leben wäre verwirkt. Ich will nur ergänzen, daß ein Gott über uns gewacht haben muß.«

Hier murmelt Silvara »Paladin«, aber Gilthanas winkt mit einer Geste den Gedanken beiseite.

»Wir gerieten in die untersten Kammern, und hier fanden wir die Eier der guten Drachen. Zuerst schien es, als wäre alles in Ordnung. Ich hatte… einen Plan. Es spielt jetzt keine Rolle, aber ich sah eine Möglichkeit, wie wir die Eier wegschaffen könnten. Wie ich sagte, spielt es keine Rolle mehr. Wir gingen von Kammer zu Kammer, und die glänzenden Eier, silber-, golden- und bronzegetönte Eier lagen im Feuerschein da. Und dann…«

Der Elfenlord hält inne. Sein Gesicht ist inzwischen bleicher als der Tod. Ich befürchte, daß er ohnmächtig werden könnte, und bitte einen Ästheten, Wein zu bringen. Nachdem er an dem Wein genippt hat, sammelt er sich wieder und erzählt weiter. Aber sein abwesender Blick sagt mir, daß er sich an das erlebte Entsetzen erinnert. Und was Silvara betrifft – ich werde an anderer Stelle darüber schreiben.

Gilthanas fährt fort.

»Wir gerieten in eine Kammer und fanden dort… keine Eier… nichts als Schalen… zerstört, zerbrochen. Silvara schrie vor Wut auf, und ich befürchtete, man könnte uns entdecken. Keiner von uns wußte, was das zu bedeuten hatte, aber uns beiden gefror das Blut, und nicht einmal die Hitze der Vulkane hätte es erwärmen können.«

Gilthanas schweigt. Silvara beginnt leise zu schluchzen. Er sieht sie an, und ich sehe – zum erstenmal – Liebe und Mitgefühl in seinen Augen.

»Führt sie hinaus«, sagt er zu einem Ästheten. »Sie muß sich ausruhen.«

Die Ästheten führen sie behutsam aus dem Zimmer. Gilthanas befeuchtet seine trockenen und aufgesprungenen Lippen, dann spricht er leise weiter.

»Was dann geschah, wird mich bis über meinen Tod hinaus verfolgen. Nachts träume ich davon. Seitdem habe ich nicht mehr geschlafen. Silvara und ich standen vor der Kammer mit den zerbrochenen Eiern und starrten sie an, fragten uns… als wir plötzlich ein Singen aus dem flammenerleuchteten Korridor hörten.

›Magische Worte!‹ sagte Silvara.

Vorsichtig schlichen wir näher, beide waren wir verängstigt, jedoch auch merkwürdig fasziniert. Wir kamen immer näher und näher – und dann konnten wir sehen…«

Er schließt seine Augen und schluchzt auf. Laurana legt ihre Hand auf seinen Arm, ihre Augen sind voller Mitgefühl. Gilthanas gewinnt die Beherrschung wieder und fährt fort.

»In einem Höhlenraum am Grund des Vulkans stand ein Altar für Takisis. Ich kann nicht sagen, was seine Schnitzereien darstellen sollten, denn er war mit grünem Blut und schwarzem Schleim bedeckt und wirkte wie eine entsetzliche Verlängerung des Steins. Um den Altar waren Gestalten versammelt – dunkle Kleriker von Takisis und Magier, die die Schwarze Robe trugen. Silvara und ich beobachteten eingeschüchtert, wie ein dunkelgekleideter Kleriker ein glänzendes goldenes Drachenei hervorholte und auf den widerlichen Altar legte. Die schwarzgekleideten Magier und die dunklen Kleriker faßten sich an den Händen und begannen zu singen. Die Worte brannten sich in den Geist. Silvara und ich umklammerten uns, fürchteten, von dem Bösen in den Wahnsinn getrieben zu werden, das wir zwar spüren konnten, aber nicht verstanden. Und dann… verdunkelte sich das goldene Ei auf dem Altar. Es färbte sich in ein entsetzliches Grün, und dann wurde es schwarz. Silvara begann zu zittern.

Das schwarze Ei auf dem Altar zerbrach… und eine larvenähnliche Kreatur kam aus der Schale hervor. Es war ekelhaft und entsetzlich anzusehen, und bei dem Anblick mußte ich mich erbrechen. Mein einziger Gedanke war, diesem Entsetzen zu entfliehen, aber Silvara wurde klar, was da passierte, und sie weigerte sich zu gehen. Zusammen beobachteten wir, wie die schleimbedeckte Haut der Larve aufplatzte und wie aus ihrem Körper die Schreckensgestalten von… Drakoniern schlüpften.«

Dieser Schilderung folgt ein tiefes Keuchen. Gilthanas’ Kopf fällt in seine Hände. Er kann nicht mehr sprechen. Laurana legt ihre Arme um ihn, tröstet ihn. Schließlich holt er schaudernd Luft.

»Silvara und ich… wurden fast entdeckt. Wir flüchteten aus Sanction, wiederum half man uns, und reisten mehr tot als lebendig auf Wegen, die weder Menschen noch Elfen bekannt sind, zum uralten Zufluchtsort der guten Drachen.«

Gilthanas seufzt. Friede kehrt in sein Gesicht ein.

»Verglichen mit dem Entsetzen, das wir erlitten hatten, war dies eine süße Rast nach einer Nacht fiebriger Alpträume. Es war schwierig, sich vorzustellen, bei aller Schönheit des Platzes, daß das Wirklichkeit war, was wir gesehen hatten. Und als Silvara den Drachen erzählte, was mit ihren Eiern passierte, weigerten sie sich anfangs, es zu glauben. Einige beschuldigten Silvara, daß sie diese Geschichte erfunden hätte, um ihre Hilfe zu gewinnen. Aber tief in ihren Herzen wußten alle, daß sie die Wahrheit gesprochen hatte, und so gaben sie schließlich zu, daß man sie getäuscht hatte und daß der Schwur nicht länger bindend war.

Die guten Drachen sind uns nun zur Hilfe gekommen. Sie fliegen in alle Teile des Landes und bieten ihre Hilfe an. Sie sind zum Monument des Drachen zurückgekehrt, um beim Schmieden der Drachenlanzen zu helfen, so wie sie vor langer Zeit Huma zur Hilfe gekommen sind. Und sie haben die größeren Lanzen mitgebracht, die an den Drachen selbst befestigt werden können, so wie wir es auf den Gemälden gesehen haben. Jetzt können wir mit den Drachen in die Schlacht reiten und die Drachenfürsten in der Luft herausfordern.«

Gilthanas fügt noch einige unwichtigere Einzelheiten hinzu, die ich hier nicht aufzeichne. Dann führt seine Schwester ihn aus der Bibliothek in den Palast, wo er und Silvara sich ausruhen sollen, falls sie dazu in der Lage sind. Ich fürchte, es wird lange dauern, bis das Entsetzen sie verläßt, falls das je der Fall sein wird. So wie es Schönes auf der Welt gibt, so kann es sein, daß ihre Liebe in die Dunkelheit fallen wird, die ihre widerlichen Flügel über Krynn ausbreitet.

Hier endet die Schrift des Astinus von Palanthas über den Schwur der Drachen. Eine Fußnote zeigt auf, daß weitere Einzelheiten über die Reise von Gilthanas und Silvara nach Sanction, ihre dortigen Abenteuer und die tragische Geschichte ihrer Liebe von Astinus zu einem späteren Zeitpunkt aufgezeichnet wurden und in späteren Bänden seiner Chroniken nachgelesen werden können.


Laurana schrieb noch spät in der Nacht ihre Befehle für den nächsten Tag auf. Erst ein Tag war seit der Ankunft von Gilthanas und den silbernen Drachen verstrichen, aber ihre Schlachtpläne gegen den Feind nahmen bereits Gestalt an. Innerhalb von wenigen Tagen würde sie Drachenscharen mit Reitern anführen und die neuen Drachenlanzen in der Schlacht einsetzen.

Sie hoffte, zuerst Burg Vingaard zu erobern und die dortigen Gefangenen und Sklaven zu befreien. Dann plante sie, in den Süden und Osten vorzustoßen und die Drachenarmeen vor sich her zu schieben. Schließlich würde sie die Drakos zwischen dem Hammer ihrer Truppen und dem Amboß der Dargaard-Berge, die Solamnia von der Ostwildnis trennten, fangen. Wenn sie Kalaman und den Hafen zurückerobern konnte, könnte sie die Versorgungslinien abschneiden, die für die Drachenarmeen in diesem Teil des Kontinents lebensnotwendig waren. Laurana war so vertieft in ihre Pläne, daß sie nicht das Läuten der Wache an ihrer Tür hörte. Die Tür öffnete sich, aber da sie annahm, es würde sich um einen ihrer Assistenten handeln, sah sie erst von ihrer Arbeit auf, als sie mit den Einzelheiten ihrer Befehle fertig war.

Erst als die Person sich die Freiheit nahm, sich in einen Stuhl ihr gegenüber zu setzen, sah Laurana überrascht auf.

»Oh«, sagte sie und errötete, »Gilthanas, verzeih mir. Ich war so beschäftigt… ich dachte, du würdest… aber, vergiß es. Wie geht es dir? Ich habe mir Sorgen gemacht…«

»Mir geht es gut, Laurana«, unterbrach Gilthanas sie. »Ich war nur erschöpfter, als ich dachte, und ich… ich habe seit Sanction nicht gut geschlafen.« Er verstummte und sah auf die Karten, die sie auf ihrem Tisch ausgebreitet hatte. Geistesabwesend nahm er den Federhalter und strich mit der Feder über seine Finger.

»Was ist los, Gilthanas?« fragte Laurana sanft.

Dir Bruder sah zu ihr auf und lächelte traurig. »Du kennst mich zu gut«, sagte er. »Ich konnte schon früher, als wir noch klein waren, nie etwas vor dir verbergen.«

»Ist es wegen Vater?« fragte Laurana ängstlich. »Hast du etwas gehört…«

»Nein, ich habe nichts von unserem Volk gehört«, antwortete Gilthanas, »nur das, was du mir erzählt hast – daß sie sich mit den Menschen verbündet haben und gemeinsam die Drachenarmeen von den Ergod-Inseln und aus Sankrist vertreiben.«

»Es war alles nur wegen Alhana«, murmelte Laurana. »Sie hat sie überzeugt, daß sie nicht länger von der Welt getrennt leben können. Sie hat sogar Porthios überzeugt…«

»Kann ich daraus schließen, daß sie ihn noch von anderen Dingen überzeugt hat?« fragte Gilthanas, ohne seine Schwester anzusehen. Mit der Federspitze begann er Löcher in das Pergament zu bohren.

»Es gibt Gerede über Heirat«, sagte Laurana langsam. »Falls das stimmt, bin ich mir sicher, daß es nur eine Zweckheirat ist um unser Volk zu vereinen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Porthios überhaupt jemanden lieben kann, selbst eine so wunderschöne Frau wie Alhana nicht. Und was die Elfenprinzessin betrifft…«

Gilthanas seufzte. »Ihr Herz ist mit Sturm im Turm des Oberklerikers begraben worden.«

»Woher weißt du das?« fragte Laurana erstaunt.

»Ich habe sie zusammen in Tarsis gesehen«, antwortete Gilthanas. »Ich habe sein Gesicht gesehen – und ich habe ihr Gesicht gesehen. Ich wußte auch über den Sternenjuwel Bescheid. Da er ihn offensichtlich geheim halten wollte, habe ich davon nichts verraten. Er war ein großartiger Mensch«, fügte Gilthanas sanft hinzu. »Ich bin stolz, ihn gekannt zu haben, und ich habe es niemals für möglich gehalten, daß ich so etwas von einem Menschen sagen würde.«

Laurana schluckte, legte ihre Hand über die Augen. »Ja«, flüsterte sie heiser, »aber das ist es nicht, was du mir sagen willst.«

»Nein«, sagte Gilthanas, »obwohl es vielleicht dahin führt.«

Einen Moment lang saß er schweigend da, als ob er einen Entschluß fassen würde. Dann holte er tief Luft. »Laurana, in Sanction ist etwas passiert, was ich Astinus nicht erzählt habe. Ich werde es niemals jemandem erzählen, wenn du es nicht möchtest…«

»Warum ich?« fragte Laurana. Sie erblaßte, ihre Hand zitterte, sie legte ihren Federhalter weg.

Gilthanas schien sie nicht gehört zu haben. Er starrte unverwandt auf die Karte, während er sprach. »Als… als wir aus Sanction entkamen, mußten wir zurück zum Palast des Lord Ariakus. Darüber kann ich dir nicht mehr sagen, denn sonst würde ich die Person verraten, die viele Male unser Leben gerettet hat und die dort immer noch in Gefahr schwebt und weiterhin versucht, so viele wie möglich von ihrem Volk zu retten.

In der Nacht, als wir in unserem Versteck darauf warteten zu entkommen, belauschten wir eine Unterhaltung zwischen Lord Ariakus und einem seiner Drachenfürsten. Es war eine Frau, Laurana«, Gilthanas sah nun zu ihr auf, »eine menschliche Frau namens Kitiara.«

Laurana sagte nichts. Ihr Gesicht war jetzt leichenblaß, ihre Augen im Schein der Lampe groß und farblos.

Gilthanas seufzte, dann lehnte er sich vor und legte seine Hand auf ihre. Sie war so kalt, daß sie eine Leiche hätte sein können, und dann erkannte er, daß sie wußte, was er ihr sagen wollte.

»Ich erinnerte mich an das, was du mir erzählt hattest, bevor wir von Qualinesti aufgebrochen waren, daß dies die menschliche Frau war, die Tanis, der Halb-Elf liebt – die Schwester von Caramon und Raistlin. Ich habe sie nach dem wiedererkannt, was ihre Brüder über sie erzählt haben. Ich hätte sie sowieso erkannt – besonders sie und Raistlin sehen sich sehr ähnlich. Sie… sie sprach über Tanis, Laurana.« Gilthanas hielt inne, fragte sich, ob er fortfahren sollte oder nicht. Laurana saß völlig bewegungslos da, ihr Gesicht eine Maske aus Eis.

»Vergib mir, wenn ich dir Schmerzen zufüge, Laurana, aber du mußt es wissen«, sagte Gilthanas schließlich. »Kitiara lachte mit diesem Lord Ariakus über Tanis und sagte«, Gilthanas errötete, »ich kann nicht wiederholen, was sie gesagt hat. Aber sie sind ein Liebespaar, Laurana, soviel kann ich dir sagen. Sie schilderte es sehr anschaulich. Sie bat Ariakus um Erlaubnis, Tanis in den Rang eines Generals in der Drachenarmee zu befördern – als Gegenleistung für eine Information, die er beschaffen wollte – irgend etwas über einen Hüter des Grünen Juwels…«

»Hör auf«, brachte Laurana heraus.

»Es tut mir leid, Laurana!« Gilthanas drückte ihre Hand, sein Gesicht war von Trauer erfüllt. »Ich weiß, wie sehr du ihn geliebt hast. Ich… ich verstehe jetzt, wie es ist, jemanden so sehr zu lieben.« Er schloß die Augen und senkte seinen Kopf.

»Ich verstehe, wie es ist, wenn man um diese Liebe betrogen wird…«

»Laß mich allein, Gilthanas«, flüsterte Laurana.

Er streichelte mitfühlend ihre Hand, dann erhob sich der Elfenlord und verließ leise den Raum und zog die Tür hinter sich zu.

Laurana saß lange Zeit bewegungslos da. Dann preßte sie ihre Lippen zusammen, nahm die Feder wieder zur Hand und schrieb da weiter, wo sie aufgehört hatte, als ihr Bruder eingetreten war.

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