3. Kapitel



1



»Dieser Herr Lakuleit ist meines Erachtens eines der größten Schweine, die in Frankreich herumlaufen«, sagte Thomas Lieven in einem Zimmer des Hotels »Lutetia« zu Paris. Oberst Werthe und der kleine, ehrgeizige Major Brenner waren seine Zuhörer. Sie wechselten bedeutungsvolle Blicke. »Warum wechseln Sie bedeutungsvolle Blicke, meine Herren?«

»Ach, Lieven«, seufzte Werthe, »Brenner und ich haben uns nur angesehen, weil wir glauben, die hübsche Triebfeder Ihrer Empörung zu kennen. Ich sage bloß Vera.«

»Prinzessin Vera«, sagte der kleine Brenner und kicherte. »Schauen Sie doch nicht so böse, Herr Lieven! Seit der SD hinter Ihnen her ist, passen wir eben ein bißchen auf Sie auf …«

Thomas wurde wütend: »Die Prinzessin ist mir gleichgültig! Vollkommen!«

Brenner kicherte wieder. »Kichern Sie nicht! Ich sage Ihnen: Dieser Lakuleit stinkt zum Himmel! Und die Prinzessin schiebt mit ihm gemeinsam! Auch der französische Geheimdienst ist hinter den beiden her!«

»Es wäre wohl zuviel von Ihnen verlangt, uns zu sagen, wer vom französischen Geheimdienst?« meinte Werthe. Thomas nickte.

»Sie behaupten, Herr Lakuleit will die Vermögen von Bormann, Himmler und Rosenberg in die Schweiz verschieben. Haben Sie denn noch immer nicht genug, Mensch? Wollen Sie sich mit Adolf Hitler persönlich anlegen?«

»Herr Lieven, ich gebe zu bedenken –« begann der kleine Major Brenner.

Doch Thomas unterbrach ihn wütend: »Sie sollen es auf das peinlichste vermeiden, mir zu widersprechen, Brenner. Bei der Maquis-Geschichte widersprachen Sie mir – und wurden zum Major befördert. Bei der Reichskreditkassenschein-Geschichte waren Sie schon klüger und machten mit. Und jetzt, knapp vor dem Oberstleutnant, wollen Sie mir in den Rücken fallen, Sie Narr?«

Das wirkte. Rot wie eine Tomate versicherte der kleine Brenner: »Keine Rede davon, Herr Lieven. Ich finde – finde … Schließe mich Ihren Plänen an. Hrm!«

Oberst Werthe stöhnte: »Das hat mir noch gefehlt, daß Sie mir meine Leute korrumpieren, Lieven!«

Die Abwehr Paris durchleuchtete Herrn Oskar Lakuleit, einstmals Garagenbesitzer in Berlin N, nun Millionär, Alleininhaber der »Intercommerciale SA« und Wehrmachtskraftfahrzeugaufkäufer, mit allen Mitteln, die zur Verfügung standen. Was kam dabei heraus?

Oskar Lakuleit behandelte seine arme Frau schlecht. Er betrog sie offensichtlich mit der Prinzessin Vera von C. Er war in seinen Geschäftsmethoden brutal, in seinen Gesellschaftsmanieren rüpelhaft, er war überheblich und ein typischer Neureicher.

»Na und?« sagte Werthe. »Für all das kann man einen Mann nicht einsperren. Sonst müßte man drei Viertel aller Männer der Welt verhaften.«

»Und es ist trotzdem etwas faul an dem Kerl«, sagte Thomas Lieven verbissen. »Oberfaul! Aber was?«

Im Auftrag des »Bevollmächtigten für das Kraftfahrwesen« kaufte Oskar Lakuleit seit Jahren in ganz Frankreich Autos ein. Sein Betrieb versteuerte jährlich Millionenbeträge. Aus dem Ankauf von französischen Autos bewilligte die Wehrmacht ihm, als seinen Verdienst und zur Deckung seiner Spesen und aller Unterprovisionen, zehn Prozent der Kaufsumme.

Das Geschäft lief zur Zufriedenheit aller. Der »Bevollmächtigte für das Kraftfahrwesen«, von Thomas interviewt, empörte sich: »Lassen Sie gefälligst Lakuleit in Ruhe, Sonderführer! Das ist unser bester Mann!«

»Und doch …«, brummte Thomas, als er am Abend des 7. April 1944 mit Major Brenner in der Bibliothek seiner kleinen Villa bei einer Flasche Kognak saß, »und doch ist dieser Lakuleit ein Verbrecher … Ich habe mich noch nie in der Beurteilung eines Menschen getäuscht …« Da läutete das Telefon.

Thomas hob ab. »Hallo?«

»Na, Tommy«, sagte eine bekannte Stimme. »Wie geht es dem bösen Buben?«

Das ist ja zu blöd, dachte Thomas, warum werde ich jetzt rot? Heiser sagte er: »Ausgezeichnet, verehrte Prinzessin. Und Ihnen?«

»Ich habe Sehnsucht – nach Ihnen! Wollen Sie morgen abend zu mir kommen?«

»Nein.«

»Mein Mädchen hat Ausgang. Sagen wir also nach dem Abendessen?«

»Ich fürchte, es geht wirklich nicht.«

»Ich habe ein paar wunderschöne neue Platten. Aus Portugal eingeschmuggelt. Gershwin und Glenn Miller. Benny Goodman und Stan Kenton. Ich werde sie Ihnen vorspielen … Also um neun!«

Er hörte sie lachen, dann hängte sie ein, ohne seine Antwort abzuwarten.

»Unverschämtheit«, sagte Thomas Lieven.



2



Er kam schon zehn Minuten vor neun. Und er brachte einen Cellophankarton mit drei Orchideen mit, nach denen er lange hatte suchen müssen. 1944 gingen sogar in Paris langsam die Orchideen aus.

Die Prinzessin trug kostbarsten Schmuck und ein kurzes schwarzes Abendkleid, das vorne und hinten und unter den Schultern verwirrend tief ausgeschnitten war.

Sie spielte Thomas die neuen Platten vor. Dann tanzten sie ein bißchen. Dann tranken sie rosa Champagner.

Thomas fand die Prinzessin hinreißend schön. Er sagte es ihr. Sie sagte ihm, er wäre für sie der aufregendste rund begehrenswerteste Mann von der Welt. Solcherart landeten sie ohne viel Umschweife gegen 23 Uhr auf der Couch.

Thomas bekam Küsse, wie er sie noch nie bekommen hatte. Die Prinzessin schnurrte: »Mir hat noch nie ein Mann so gut gefallen wie du …«

»Du gefällst mir auch, Vera – sehr.«

»Wenn du etwas für mich tun könntest, würdest du es tun?«

»Kommt darauf an …«

»Kannst du mir den Reißverschluß aufmachen?«

»Aber gerne …«

»Würdest du noch etwas für mich tun?«

»Von ganzem Herzen!«

»Dann laß Lakuleit in Ruhe.«

Er fuhr auf. Plötzlich war er stocknüchtern. »Was hast du gesagt?«

»Du sollst Lakuleit in Ruhe lassen.« Sie blieb auf der Couch liegen und sah ihn lauernd an. »Du bespitzelst ihn doch seit Wochen, mein kleiner Tommy. Oder nicht?«

Er antwortete nicht.

»Vielleicht ist es dir nicht recht, daß ich Tommy zu dir sage«, meinte die Prinzessin. »Vielleicht sollte ich Jean zu dir sagen. Jean Leblanc. Oder Pierre? Pierre Hunebelle?«

Er stand auf. Ihm war auf einmal recht seltsam zumute.

»Hunebelle paßt dir also auch nicht? Na schön, dann vielleicht Armand Deeken? Erinnerst du dich noch, wie du die große Francschiebung gemacht hast, Armand? Oder wie du französische Partisanen hereingelegt hast – Captain Robert Almond Everett?« Er rang ein bißchen nach Luft. »Oder wie du vor einem deutschen General den amerikanischen Diplomaten Robert S. Murphy spieltest? – Na, muß ich weiterreden, du kleiner, süßer deutscher Abwehragent? Oder bist du inzwischen schon wieder bei einem anderen Verein?«

»Nein«, sagte Thomas. Er hatte sich gefaßt. »Ich bin noch immer bei der Deutschen Abwehr. Und du?«

»Na, rate mal!«

»Wenn ich an deinen fetten Geliebten denke, dann würde ich sagen: Gestapo«, antwortete er grob.

Die Prinzessin schrie auf. Sie sprang empor. Ehe er zurückfahren konnte, hatte sie ihm links und rechts ins Gesicht geschlagen. Und verfiel a tempo in ihre leutselige Mundart: »Du Erzlump, du dreckiger, was glaubst du denn? Ich versuche dir das Leben zu retten, und du?« Thomas ging zur Tür. »Tommy, geh nicht weg! Meinetwegen mach was du willst mit Lakuleit. Aber bleib!« Thomas ging durch das Vorzimmer. »Ich werde mich rächen – du gemeines Biest … Bitte, bleib bei mir, bitte …«

Thomas schlug die Tür zu. Die Treppe lief er hinunter. Oben flog die Tür wieder auf. Sie schimpfte hinter ihm her wie eine Megäre.

Weg! Nur weg! Er rannte auf die Straße hinaus. Hier prallte er mit einem Mann zusammen, der unterdrückt aufschrie: »Au! Verdammt!«

»Mensch, hauen Sie bloß ab, ich bin so wütend, ich weiß nicht mehr, was ich tue!«

»Das ist auch nicht mehr nötig«, antwortete Oberst Jules Siméon kühl. »Ich stehe seit zwei Stunden hier. Ich sah Sie kommen. Ich sehe Sie gehen.«

»Donnerwetter, Sie sind aber ein begabter Agent!«

»Sie haben meine Warnung mißachtet. Bald werden Sie nun die Radieschen von unten betrachten!«



3



»… und vor dem Haus stand ein Kerl vom französischen Geheimdienst«, berichtete Thomas anderntags im Hotel »Lutetia« dem Obersten Werthe und dem kleinen Major Brenner. Er war noch immer wütend.

»Welche Rolle spielt eigentlich Ihre Prinzessin?«

»Das weiß ich nicht, aber ich werde es bald wissen … Herr Oberst, ich schwöre Ihnen, ich lasse den Kerl platzen, ich …«

Werthe unterbrach: »Schluß mit Lakuleit, Lieven. Ich habe heute einen bösen Rüffel bekommen. Vom Stab Speer. Lakuleit ist sofort in Frieden zu lassen. Der Mann ist die Seele des Atlantikwalls! Lakuleit liefert sämtliche Mangelware. Die OT und das OKW wären aufgeschmissen ohne ihn! Telefondraht zum Beispiel … Die OT bekam keinen Telefondraht mehr. Lakuleit hat ihn geliefert! 120 000 Meter!«

Thomas seufzte. »Na schön. Sie hat man angerüffelt, Herr Oberst. Ihre üble Laune verstehe ich. Aber warum schneiden Sie ein solches Katzenjammergesicht, lieber Brenner?«

Der Major winkte ab. »Nichts als Ärger. Brief von zu Hause. Die Frau krank. Der Junge fällt mit Sicherheit im Juni durch. Latein und Physik. Und dann auch noch die verfluchte Steuer …«

Wenig interessiert erkundigte sich Thomas: »Warum haben Sie mit der Steuer zu tun, Herr Brenner?«

»Weil ich Idiot vor Jahren für einen Verlag wehrpolitischer Schriften ein paar Artikel schrieb! Weil ich Idiot vergaß, das der Steuer bekanntzugeben! Weil in dem Verlag eine Buchprüfung stattgefunden hat! Und weil so ein Scheißbuchhalter meinen Namen gefunden hat, darum!«

Thomas Lievens Gesicht sah plötzlich aus wie das eines Vollkretins. Seine Stimme kam beinahe lallend: »Ein Buchhalter …?«

»Sage ich doch!«

Plötzlich sprang Thomas auf. Er stieß einen heiseren Schrei aus, umarmte Brenner und küßte ihn auf die Stirn. Dann raste er aus dem Büro.

Brenner war blutrot geworden; es hatte ihn noch nie ein Mann geküßt. Er rieb sich die Stirn. »Übergeschnappt«, sagte er konsterniert. »Sonderführer Lieven ist übergeschnappt!«

»Niemals«, sagte der hagere, gelbgesichtige Buchhalter Anton Neuner, »niemals, Herr Lieven, werde ich Ihnen das vergessen!«

»Nun essen Sie, Herr Neuner, Ihre Suppe wird ja kalt«, sagte Thomas. Er hatte den schlichten Neuner zum Essen in seine Villa geladen.

Die Herren kannten sich seit einer Woche. Herr Neuner war bis vor kurzem Buchhalter in der »Intercommerciale SA« des Oskar Lakuleit gewesen. An dem Abend, an dem Thomas bei Lakuleit zu Gast war, hatte dieser seinen Buchhalter telefonisch hinausgefeuert. Damals hatte Thomas zum erstenmal den Namen Neuner gehört. Nach der Steuerwehklage von Major Brenner war er ihm wieder eingefallen.

Gehorsam schlurfte der magere Buchhalter einen Löffel Suppe, dann ließ er denselben wieder sinken und starrte Thomas an wie eine lichte Verheißung. »Ich kann es noch immer nicht fassen! Herr Lakuleit wirft mich hinaus. Er hebt meine U.k.-Stellung auf. Meine Frau weint sich die Augen blind; ich sehe mich bereits in Rußland. Und da tauchen Sie auf, ein völlig fremder Mensch, und vermitteln mir eine U.k.-Arbeitsstelle. Warum nur?«

»Herr Neuner, ich bin Bankier. Ich kenne die ›Intercommerciale‹. Ich weiß, daß Sie ein tüchtiger Mann sind. So was spricht sich herum! Um so weniger verstehe ich, daß Herr Lakuleit Sie hinausgeworfen hat …«

Neuner beugte sich über seinen Teller. In seinem Gesicht zuckte es. »Wegen 18 Mark und 25 Pfennig. Ja, Sie haben recht gehört! Und das, nachdem ich drei Jahre für ihn geschuftet habe.« Neuner berichtete, wie er, als es im Büro einmal spät wurde, in einem Lokal zu Abend gegessen und sich seine Ausgaben, ohne Lakuleit zu fragen, vergütet hatte. Das hatte der Fettwanst herausgefunden. Und ihn sofort hinausgeworfen. »Dabei könnte ich Geschichten erzählen über Geschäfte – über Geschäfte, sage ich Ihnen, Herr Lieven …«

»Interessant.«

»… aber ich tue es nicht. Wie schlecht sich Herr Lakuleit auch gegen mich benommen hat, ich bin kein Verräter …«

Das hübsche Dienstmädchen Nanette brachte das Hauptgericht. Neuner meinte: »Die Suppe war vorzüglich. Hoffentlich gibt es jetzt nichts Gebratenes. Ich bin nämlich krank. Magengeschwüre, wissen Sie.«

»Es gibt ein Täubchen, mit Wasser und Butter gedünstet. Ich habe an Ihre Gesundheit gedacht.«

»Ach, lieber Herr Lieven, was sind Sie für ein wundervoller Mensch!«

»Nicht der Rede wert. Im übrigen, Sie werden bestimmt länger leben als der viel zu dicke Herr Lakuleit. Der Mann überfrißt sich noch, auch an seinen Geschäften …«

»Dieser Mann hat sich bereits überfressen«, stieß Neuner hervor. »Die Autos werden ihm noch einmal den Hals brechen.« Erschreckt hielt er inne.

»Nehmen Sie davon, das ist passierter Blumenkohl. Schmeckt das Täubchen?«

»Köstlich, selbst an der Riviera habe ich nichts Besseres gegessen.«

Es klingelte Alarm in Thomas Lievens Gehirn. Neuner, der schlichte Buchhalter, an der Riviera?

»Ich habe das Rezept von einem Koch im ›Hôtel Negresco‹«, sagte Lieven, »da wohnte ich immer, herrliches Haus …«

Menu • Paris, 14. April 1944

Thomas Lievens Diät bricht jemandem das Genick …

Kalbfleischbouillon mit Toast

Gedünstete Tauben mit Blumenkohl à la Crème

Apfelkompott mit Kirschen

Kalbfleischbouillon: Man nehme ganz mageres Kalbfleisch und bereite daraus ohne Suppengrün eine Brühe, die man kräftig einkochen läßt und nur ganz schwach salzt. – Man gebe sie in Tassen, mit etwas sehr fein gehackter Petersilie bestreut, zu Tisch und reiche Toast ohne Rinde.

Gedünstete Tauben: Man nehme gut geputzte und gewaschene junge Tauben und lasse sie in schwach gesalzenem Wasser und einem guten Stück Butter etwa 30 Minuten im geschlossenen Topf auf kleiner Flamme weich dünsten. – Man achte darauf, daß immer so viel Flüssigkeit im Topf ist, daß die Tauben nicht zum Braten kommen.

Blumenkohl à la Crème: Man nehme einen gründlich gewaschenen Blumenkohl, entferne die harten Strünke und zerbreche den Blütenkopf in mehrere Teile, die man in kochendes Salzwasser legt und ganz weich kocht. – Man nehme sie heraus, lasse sie abtropfen und drücke sie durch ein Passiersieb. Man verrühre das Püree gut mit einem Eigelb, etwas süßer Sahne und einem Stück Butter und lasse es auf kleinster Flamme noch einmal heiß werden, ohne daß es zum Kochen kommt.

Apfelkompott mit Kirschen: Man nehme süße, mürbe, geschälte, entkernte Äpfel und bereite daraus mit möglichst wenig Zucker ein sehr fein passiertes Apfelmus. – Man garniere es mit abgetropften eingemachten Kirschen und umsteche die Kompottschüssel mit Löffelbiskuits.

»Hahaha, das war Herrn Lakuleit zu teuer. Für mich, meine ich. Er selber hat immer dort gewohnt. Ich mußte in eine billige Pension ziehen. Er brauchte mich, weil er nicht Französisch spricht.«

»Asozial, der Herr Lakuleit.«

Mit leuchtenden Augen sagte der ahnungslose Neuner: »Wir fuhren sehr oft an die Riviera, bis hinunter zur französisch-spanischen Grenze. Unsere Geschäfte …« Er verstummte plötzlich und schaute Thomas Lieven mißtrauisch an.

Aber Thomas lächelte sonnig: »Nehmen Sie noch ein wenig Kompott, Herr Neuner! Und erzählen Sie mir von Nizza! Ich war so lange nicht mehr dort …«



4



Aus einem Geheimbericht, den die Abwehr Paris am 12. Mai 1944 an den Obersten Rechnungshof des OKW in Berlin sandte:

… lenkten geschickt gesteuerte Aussagen des entlassenen Buchhalters Anton Neuner über Nizza unsere Aufmerksamkeit auf diese Stadt. Major Brenner und Sonderführer Lieven wurden an die Riviera entsandt. In dreiwöchiger Arbeit stellten sie fest: Oskar Lakuleit hat hier mindestens 350 wertvolle Wagen ausländischer Fabrikation (Rolls-Royce, Lincoln, Cadillac, Hispano Suiza etc.) teils aufgekauft, teils aus den Garagen ihrer geflüchteten Besitzer stehlen lassen. Die Kaufgeschäfte wickelte er im »Hôtel Negresco« ab, wobei er sich des Buchhalters Neuner als Dolmetscher bediente. Die Wagen zerlegte Lakuleit. Durch Bestechung verschaffte er sich in Vichy Ausfuhrbewilligungen für ›Auto-Ersatzteile‹ und exportierte diese nach Madrid, wo die ›Ersatzteile‹ wieder zu Luxuswagen zusammenmontiert und zu höchsten Preisen verkauft wurden.

Ohne Zweifel sind diese Nizza-Transaktionen nicht in den Geschäftsbüchern der »Intercommerciale« vermerkt. Wir vermuten, daß Oskar Lakuleit das Deutsche Reich mit diesen und anderen Geschäften um Millionen geprellt hat. Mit den Nizza-Transaktionen ist der Steuerfahndung eine Handhabe gegeben, seinen gesamten Betrieb zu durchleuchten …



5



Am Abend des 29. Mai 1944 brachte Thomas Lieven der Prinzessin Vera von C. rote Rosen. Einen Tag zuvor hatte die seltsame Aristokratin ihn – wieder einmal – angerufen und eingeladen. Sie sah so aufregend aus wie noch nie, fand Thomas.

Vera sagte: »Heute abend verspreche ich, ganz brav zu sein. Kein Wort von Lakuleit!«

Vera hielt ihr Versprechen lange an diesem Abend. Daß sie es zuletzt doch noch brechen mußte, lag nicht an ihr.

Sie tanzten. Sie flirteten. Sie machten Musik. Es wurde immer später. Dann küßten sie sich. Dann gab es plötzlich keine Probleme mehr für sie. Alles war natürlich und einfach, und Thomas hatte das Gefühl, Vera lange, lange zu kennen …

Da klingelte das Telefon.

»Ich hebe nicht ab«, sagte Vera träge. Sie sah Thomas verliebt an und streichelte ihn. Das Telefon klingelte immer weiter. Zuletzt hob Vera doch ab. Sie meldete sich. Sie lauschte eine Weile und wurde wachsbleich. Haß stand auf einmal in ihren Augen. Sie zischte Thomas an: »Du Hund … du verfluchter Hund!«

»Nicht, chérie! Nicht schon wieder«, bat er.

Vera schrie plötzlich in den Hörer: »Ich kann nicht mehr … ich kann nichts mehr hören! « Sie schleuderte den Hörer auf die Couch, sprang auf und zitterte am ganzen Leib vor Wut. Mit unflätigen Ausdrücken begann sie Thomas zu beschimpfen.

Er lauschte eine Weile, dann nahm er den Hörer ans Ohr, aus dem noch immer eine aufgeregte Stimme quakte: »… Vera … Vera … Herrgott, so hören Sie doch, Vera! Das ist Lievens Schuld, sage ich Ihnen! Wir können nichts mehr tun … Lakuleit wird schon nach Berlin gebracht … In der Firma … in der Villa … überall sitzen Steuerfahnder … Alles wird versiegelt …«

»Gute Nacht, Oberst Siméon«, sagte Thomas Lieven grinsend. Er legte den Hörer in die Gabel und fiel grinsend auf die Couch zurück. Dann bekam er plötzlich einen Schlag. Und noch einen. Vera fiel über ihn her. Sie prügelten sich. Dazu schrie sie: »Schuft! – Gemeiner Hund!« Zuletzt hielt er sie fest und verlangte präzise Informationen. Keuchend gab sie ihm diese: »Ich haue ab – heute nacht noch – mich siehst du nicht wieder!«

»Wenn ich dich gehen lasse!«

»Du läßt mich gehen – ich weiß, wie du denkst. Ich weiß, was du hinter dir hast. Deshalb bin ich ja so wütend, deshalb verstehe ich das einfach nicht!«

»Was?«

»Daß du Lakuleit erledigt hast!«

»Er ist ein widerlicher Verbrecher, der heimlich auch noch die Gestapo finanziert.«

»Na und? Was geht das dich an? All das Gold, all die Devisen der großen Nazi-Bonzen wären in unsere Hände gefallen …«

»Wer ist uns?«

»Der britische Geheimdienst!«

Er fiel auf das Kissen zurück und schnappte nach Luft. »Du arbeitest für den britischen Geheimdienst?«

»Sage ich doch!«

»Aber … aber was hat Siméon mit dir zu tun?«

»Der denkt, ich arbeite für ihn … Das war mein Auftrag: die Franzosen abzulenken, damit wir den Coup landen. Und wir hätten ihn landen können, wenn du mitgespielt hättest, du Idiot!«

Er begann zu lachen.

»Lach nicht, du Schuft!«

Thomas lachte immer stärker. Er rollte auf den Bauch, zurück auf den Rücken, wieder auf den Bauch.

»Du sollst nicht lachen, verdammt noch mal, ich bring’ dich um, du Halunke!«

Thomas schrie vor Lachen, er ächzte und stöhnte, er hatte in seinem ganzen Leben noch nicht so gelacht. Er erstickte beinahe daran. Prompt fiel Vera wieder über ihn her. Prompt begann sie ihn wieder zu prügeln.

Da schrillte das Telefon zum zweitenmal. Thomas stieß Vera beiseite, richtete sich auf und riß den Hörer ans Ohr. Völlig außer Atem krächzte er, noch immer lachend: »Ja, Monsieur le Colonel, was gibt es denn noch?«

»Wieso noch?« fragte die Stimme des Obersten Werthe. Thomas wurde es plötzlich kühl. Er stotterte: »Was … was ist los, Herr Oberst?«

»Ich hoffte, Sie bei der Prinzessin zu erreichen. Wir suchen Sie schon überall.«

»Suchen … mich … schon … überall«, wiederholte Thomas idiotisch, während Vera ihn mit offenem Mund anstarrte.

»Ich habe hier einen Kurier. ›Gekados‹. In der Sache Lakuleit fliegen Sie morgen früh nach Berlin, Lieven. Und melden sich – halten Sie sich fest – im Reichssicherheitshauptamt.«

»Reireireichssicherheitshauptamt?«

»Ja. Um 15 Uhr. Pünktlich. Bei Heinrich Himmler.«



6



Einer der geschmacklosesten Architekten aller Zeiten muß hier am Werk gewesen sein, dachte Thomas Lieven, als er den riesenhaften Gebäudekomplex Wilhelmstraße 102 erblickte.

Durch mächtige, weit geöffnete Doppeltore trat unser Freund in eine düstere Einfahrt. Ein baumlanger SS-Mann blickte steinern auf den schlanken Zivilisten herab. Stumm wies er mit der Hand zu einem gläsernen Verschlag, in welchem drei seiner Kollegen amtierten.

Thomas Lieven trat ein, lüftete den Hut und sprach: »Sonderführer Lieven von der Abwehr Paris. Man hat mich ins Reichssicherheitshauptamt herbestellt.«

»Heil Hitler heißt das bei uns«, sagte scharf der dienstführende SS-Hauptscharführer. »Wer hat Sie herbestellt?«

»Der Herr Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei«, antwortete Thomas bescheiden.

Der Diensthabende verfärbte sich, griff nach dem Telefon, sprach hinein, hörte zu. Danach war er erfüllt von lauter Hochachtung und Ehrerbietung. In Windeseile wurde ein Laufzettel für den Besucher ausgefüllt, mit Stempel, Datum und Uhrzeit versehen: Berlin, 30. Mai 1944, 17.48 Uhr.

Im Stiegenhaus gab es eine breite, steinerne Treppe bis zum ersten Stock. Dann kamen Holztreppen. In den schmalen Korridoren war es dunkel. Stiefel polterten, Schuhe schlurften. Es schien, als ob Tausende unterwegs seien in diesem Zentrum des Schreckens.

Der Ordonnanz folgend, dachte Thomas: Gestern war ich noch in Paris. Jetzt bin ich hier im Reichssicherheitshauptamt. Ich, ein friedlicher Bürger, ein Mann, der die Geheimdienste, die Nazis, Gewalt und Lüge haßt. Ich, Thomas Lieven, den man seit Jahren nicht mehr in Frieden leben läßt.

Ob ich diesen Alptraum von Gebäude wohl jemals noch lebend verlassen werde? Ob ich wohl jemals aus diesem Riesenspinnennetz des Schicksals herauskommen werde, um zu berichten, was mir keiner glauben wird?

»Nehmen Sie Platz, Sonderführer«, sagte Heinrich Himmler. Voran war eine kurze Begrüßung gegangen, bei der SS-Obergruppenführer Kaltenbrunner, ein Hüne mit Schmissen im brutal-kantigen Gesicht, Thomas mißtrauisch gemustert hatte. Kaltenbrunner war der Chef des RSHA. In seinem Büro saßen Thomas und Himmler jetzt allein.

Alles in diesem Büro war pompös: die Wandtäfelung, die silbernen Kandelaber, die Möbel. An der Wand hing ein Ölgemälde, darstellend Burgruine über sturmgepeitschter Meeresbrandung.

Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei in der schwarzen Uniform seines Standes sprach: »Also passen Sie mal auf, Lieven: Sie wissen, Ihr Gönner Admiral Canaris ist seit Wochen Privatmann. Sie wissen, daß die ganze militärische Abwehr nunmehr mir untersteht.« Himmler grinste dünn. »Ich habe mich mal mit Ihren Akten beschäftigt. Wissen Sie, was ich eigentlich mit Ihnen tun müßte?«

»Sie müßten mich eigentlich erschießen lassen«, erwiderte Thomas Lieven still.

»Ich? Eh? Was? Jawohl, ganz richtig! Das wollte ich sagen!« Hin und her an seinem Finger drehte Himmler einen schweren Siegelring mit den SS-Runen. Kalt sah er Thomas an. »Will Ihnen eine Chance geben. Eine letzte Chance. Durch die Mission, mit der ich Sie beauftrage, können Sie sich bewähren vor Führer und Volk.«

Ein Telefon läutete. Himmler hob ab und lauschte kurz. Legte auf und sagte: »Feindliche Kampfverbände im Anflug auf die Reichshauptstadt. Kommen Sie in den Keller hinunter.«

Das war die erste Phase des Gesprächs. Zur zweiten kam es in einem tiefen, sicheren Bunker.

Dieweilen Bomberströme ihre tödliche Last über Berlin abwarfen und weniger feine Volksgenossen in weniger feinen Kellern zu Hunderten krepierten, schlug der Reichsführer eine andere Tonart an: »Lieven, Sie sind ein Mann mit pazifistischen Ansichten. Keine Widerrede, ich weiß alles! Um so eher werden Sie mir beipflichten, wenn ich sage: Dieses grauenvolle Blutbad muß ein Ende haben. Wir Abendländer dürfen uns nicht abschlachten, damit die bolschewistischen Untermenschen sich ins Fäustchen lachen.«

Ein schwerer Bombeneinschlag ließ den Bunkerboden leicht schlingern. Das Licht ging aus. Dann ging es wieder an. Thomas sah, daß dem Reichsführer der Schweiß in feinen Tropfen auf der Stirn stand.

Himmler sprach nur noch halblaut: »Ich kämpfe einen schweren Kampf. Auf mir liegt eine ungeheure Verantwortung. Keiner nimmt sie mir ab. Ich allein muß entscheiden.«

Ich, ich, ich, dachte Thomas. Und Hitler? Und Goebbels? Und die andern? Der Herr bereitet wohl einen Separatendspurt vor!

»Üblicherweise würden wir Sie eines Tages als Volksschädling einen Kopf kürzer machen. Ich aber will und werde Sie benützen. Sie sind der beste Mann, den ich finden konnte.« Wieder dröhnte ein Einschlag. Wieder ging das Licht aus. Himmlers Gesicht war nun grau. »Sie kennen jeden Grenzübergang von Spanien nach Portugal, stimmt’s?«

»Ja«, sagte Thomas.

»Gut. Sie bekommen alle Vollmachten. Ich schenke Ihnen die Freiheit, unter der Bedingung, daß Sie einen bestimmten Menschen gesund und unverletzt nach Lissabon bringen. Sie sind doch Bankier, nicht wahr? Mit Ihnen kann man doch über Geschäfte reden – oder?«

»Es kommt darauf an«, sagte Thomas. Und dachte: Also so ist das. Darum braucht er mich. Die Portugiesen haben die diplomatischen Beziehungen zu uns abgebrochen. Die Spanier lassen keinen Deutschen mehr ins Land. Man kann nur illegal hinein. Also darum. Thomas Lievens Lippen waren trocken. Er schwitzte jetzt. Ich bin kein Held, dachte er. Ich bin ganz und gar kein Held. Ich habe Angst. Aber wenn dieser Massenmörder mir jetzt zumutet, daß ich vielleicht ihn noch rausbringe – oder jemanden von seinen Verwandten – seinen Freunden …

»Soso, Sie stellen also Bedingungen!« In Himmlers Stimme schwang ein gefährlicher Unterton. »Worauf kommt es an?«

»Wer dieser Mensch ist«, sagte Thomas Lieven leise.

»Dieser Mensch wird Ihnen zweifellos sympathisch sein«, antwortete Himmler. »Er heißt Wolfgang Lenbach und hat ausgezeichnete Papiere auf diesen Namen. In Wahrheit heißt er Henry Booth und ist ein englischer Oberstleutnant. Persönlich bekannt mit Churchill und Montgomery. Hat in Norwegen ein Kommandounternehmen geleitet. Da nahmen wir ihn gefangen …«



7



Einer Riesenfackel gleich brannte Berlin noch Stunden nach der Entwarnung.

Eine hysterische Menschenmenge überschwemmte den Bahnhof. Frauen und Kinder schrien, Männer kämpften um Platz in den Waggons, die ununterbrochen die Stadt mit Flüchtlingen verließen.

Der Zug war zum Bersten überfüllt. Sogar in den Toiletten standen die Menschen dicht gedrängt. Aus- und einsteigen konnte man nur durch die Fenster. Aber im Schlafwagen gab es Platz, viel Platz …

Vier SS-Leute eskortierten in ihrer Mitte zwei Zivilisten zu dem Schlafwagen des Schnellzuges nach Paris. Sie stießen Frauen und Kinder zurück.

Der Schaffner öffnete die versperrte Eingangstür des Waggons, als die SS-Leute ihn erreichten.

»Herr Lieven und Herr Lenbach, nicht wahr?« sagte der Schaffner nervös. Thomas nickte. »Bett dreizehn und vierzehn«, sagte der Schaffner.

Thomas sah seinen hageren großen Begleiter an und machte eine auffordernde Bewegung. Gleich darauf trat der Mann, der sich Wolfgang Lenbach nannte und in Wahrheit Henry Booth hieß, in das Abteil. Der britische Oberstleutnant trug einen blauen Freskoanzug. Er hatte kurzgeschnittenes braunes Haar, helle Augen, buschige Brauen.

Thomas sagte zu ihm in englischer Sprache: »Ich kann mir vorstellen, was in Ihnen vorgeht, Mister Booth. Ich würde an Ihrer Stelle dasselbe denken. Trotzdem – wir müssen die nächsten Tage miteinander auskommen.«

Der britische Oberstleutnant schwieg.

Thomas seufzte und zog aus seiner Reisetasche eine Flasche Whisky. Er füllte die beiden Zahnputzgläser des Waschbeckens und reichte dem andern ein Glas.

»Thanks«, sagte der Engländer. Es war das erstemal, daß Thomas ihn sprechen hörte. Danach schwiegen sie beide eine lange Weile. Der Zug ruckte an.

Thomas setzte sich auf sein Bett. Er sah das Waschbecken an und sagte: »Ich weiß, in welcher Mission Sie nach Lissabon reisen, Mister Booth. Ich habe es gleich geahnt.«

Es kam keine Antwort. Die Achsen schlugen, die Räder rollten …

Thomas sagte: »Sie sollen ein Friedensangebot Himmlers überbringen. Ein Friedensangebot an die Engländer und Amerikaner. Es wurde ähnliches ja schon einmal versucht, über den englischen Generalkonsul Cable in Zürich. Damals zuckte Himmler zuletzt zurück. Aber jetzt schlägt er euch wieder vor, einen Waffenstillstand zu schließen und mit uns gegen die Sowjets zu kämpfen …«

Es kam keine Antwort.

Thomas sagte: »Es ist klar, daß ein solches Angebot unannehmbar ist. Es ist amoralisch von jedem Standpunkt. Ihr habt mit den Sowjets gegen uns gekämpft. Ihr könnt eure Waffenbrüder nicht im Stich lassen.«

Thomas hörte die Stimme des Engländers: »Warum erzählen Sie mir das alles?«

»Weil es nicht nur Schweine gibt in unserem Land.«

»Das verstehe ich nicht.«

Thomas sah den Engländer offen an. »Sie wissen nichts von mir. Sie haben keinen Grund, mir zu trauen. Sie kennen Herrn Himmler. Sie wissen jetzt, wie es in seinem Gehirn aussieht. Ich sage Ihnen dennoch: Es leben nicht nur Nazis in Deutschland. Nicht alle sind jubelnd über Rußland hergefallen.«

»Jubelnd nicht, aber sie sind!«

»Wir haben Rußland überfallen. Das stimmt. Trotzdem sage ich Ihnen: Es gibt nicht nur wüste Landsknechte in der Deutschen Wehrmacht! Eure Landung auf dem Kontinent steht bevor. Mit den Sowjets gemeinsam werdet ihr uns schlagen. Aber es wird ein Unterschied für Hunderttausende sein, ob sie in westliche Gefangenschaft geraten oder in sowjetische. Unter diesen Hunderttausenden wird es viele geben, die nichts für das können, was in diesem Krieg geschah …«

»Unschuldige also?« sagte Booth. »Habt ihr etwa nicht alle Heil geschrien und Herrn Hitler begeistert gewähren lassen?«

»Und das Ausland? Hat es Herrn Hitler nicht auch gewähren lassen? Und ihn bewundert und seine Olympiade bestaunt und untätig zugesehen, als er die ersten kleinen Völker überfiel?« sagte Thomas. »War nicht Herr Chamberlain in München?«

Der Engländer reichte abrupt sein Glas zurück. Er knipste das Licht über dem Bett aus und drehte sich zur Wand.



8



Um es vorwegzunehmen:

Im Rahmen der bedingungslosen Kapitulation wurde allen Einheiten der Deutschen Wehrmacht zwischen dem 8. und 9. Mai 1945 von den alliierten Streitkräften befohlen, um Mitternacht jede Kampfhandlung und jede Marschbewegung einzustellen und sich an jenem Ort gefangennehmen zu lassen, an dem sie sich zu diesem Zeitpunkt befanden. Es steht heute historisch fest, daß anglo-amerikanische Heerführer und Offiziere, vor allem der britische Feldmarschall Bernard L. Viscount Montgomery, es deutschen Einheiten stillschweigend gestatteten, sich noch viele Stunden über die Mitternacht des 8. Mai 1945 hinaus von ihren Positionen vorwärts zu bewegen. Abertausende deutscher Soldaten an der Elbe, in Mecklenburg, in Thüringen entgingen so der sowjetischen Gefangenschaft. Zum Stab von Feldmarschall Montgomery zählte zu jener Zeit der Lieutenant-Colonel Henry Booth …



9



Das Hauptquartier des SD in Marseille lag in der Rue de Paradis 426. Diese sehr lange Straße verband die Cannebière mit dem Prado. Rechts und links vom Hauptgebäude hatte die Gestapo eine Reihe von Häusern beschlagnahmt. Alle Häuser besaßen nur einen gemeinsamen Eingang: Rue de Paradis 426.

Durch diesen Eingang schritt am Morgen des 8. Juni 1944 ein Mann in einem gutgeschnittenen grauen Sommeranzug und ließ sich durch die Wache bei dem Leiter des SD Marseille, dem Hauptsturmführer Heinrich Rahl, anmelden.

Rahl, ein großer, kräftiger Mann mit eingedellter Nase, empfing seinen Besucher sofort. »Bereits Fernschreiben aus Berlin empfangen, Sonderführer. Geheime Mission. Bin im Bilde. Was kann ich für Sie tun?«

Gemessen antwortete Thomas: »Wie Sie wissen, habe ich den Auftrag, eine außerordentlich wichtige Persönlichkeit über die Grenze zu bringen.«

»Bin im Bilde«, sagte Rahl. Er sagte es offenbar gerne.

»So etwas will vorbereitet sein. Ich brauche einen Kommandowagen.«

»Steht zu Ihrer Verfügung, Sonderführer.«

So ein Kommandowagen war eine feine Sache. Zweieinhalb Tonnen schwer. Zwillingsreifen. Geländegängig. Besaß eine Peil- und Funkanlage. Nicht umsonst war Thomas Lieven dermaleinst in einer französischen Agentenschule in Funken und Senden, Chiffrieren und Dechiffrieren ausgebildet worden. Nun, da vor zwei Tagen die Invasion am Atlantik erfolgt war, gedachte er, sich seine Kenntnisse zunutze zu machen.

Er sah den Hauptsturmführer bedeutungsvoll an: »Ich wohne mit meinem … hm, Begleiter im ›Hôtel de Noailles‹.« Er dachte: Da hat einmal Josephine Baker gewohnt. Da war ich mit Débras und Siméon. Nachdem sie mich beinahe erschossen hätten. Nun bin ich wieder hier. Und bereite (zum wievielten Male eigentlich?) wieder meine Flucht vor. Mit Hilfe von Herrn Heinrich Himmler und der Gestapo.

Er sagte: »Ich werde bei meiner Mission Hilfe brauchen. Auch von französischer Seite. Darum bitte ich Sie, Hauptsturmführer, die Adresse eines gewissen Bastian Fabre ausfindig zu machen. Er wohnte zuletzt in Montpellier. Bei einer gewissen Mademoiselle Duval. Auf dem Boulevard Napoléon.«

Drei Tage später …

»Mensch, Pierre, du hast aber einen goldenen Humor«, sagte Bastian Fabre. Immer noch stand dem muskulösen Riesen das rötliche Borstenhaar wirr vom Schädel ab. Er kniete vor einer geöffneten Bratröhre. Darin schmorte ein kleines Spanferkel. Dasselbe bestrich Bastian mit Butter. Wenn sich unter der zarten Haut des Milchferkels eine Blase bildete, stach Bastian sie sofort mit einer Nadel auf. So hatte Thomas Lieven, den Bastian unter dem Namen Pierre Hunebelle kannte und liebte, es ihn gelehrt. Damals.

Noch zwei Herren waren in der kleinen Küche: Thomas und Lieutenant-Colonel Booth. Die Küche gehörte zu Bastians neuer Wohnung in der Rue Clary nahe dem Boulevard de Dunkerque. Bastian lebte unangemeldet hier. Dennoch hatte der eifrige SD ihn auf Sonderführer Lievens Geheiß gesucht und gefunden.

»Ich habe gedacht, ich werde ohnmächtig, als auf einmal die Bullen hier auftauchten«, bekannte Bastian, um das Ferkelchen bemüht.

Die Bullen waren am 10. Juni bei Bastian aufgetaucht. Eine stürmische Wiedersehensszene war noch an diesem Tage gefolgt. Immer wieder hatte Bastian seinen alten, totgeglaubten Freund Pierre umarmt. Wie ein Baby hatte er plötzlich losgeheult. »Die Freude, Mensch – ich freue mich ja so …«

Dann hatte Thomas die Lage erläutert. Bastian hatte einen Lachanfall erlitten – noch mit Tränen in den Augen. Und dann hatten sie beschlossen, am nächsten Tag zu veranstalten, was Bastian »ein schickes kleines Fressen« nannte.

Nun standen sie also zu dritt in der kleinen Küche: Bastian, Thomas und der schweigsame Lieutenant-Colonel Booth. Bastian beobachtete das Ferkel. Thomas machte einen Krabbencocktail. Der Engländer schnitt Käsestückchen für den Nachtisch klein.

Thomas sagte: »Ich brauche deine wertvollen Dienste, Bastian. Kennst du dich noch immer so gut an der spanischen Grenze aus?«

»Mensch, Pierre, im Schlaf! Den spanischen Grenzer, den ich nicht bestochen habe, gibt’s nicht!«

»Na prima«, sagte Thomas, »dann wirst du uns führen. Wir müssen diesen Herrn nach Lissabon bringen. Ein bißchen kleiner, die Käsewürfel für die Rarebits, Mr. Booth, wenn ich bitten darf. Bei dieser Gelegenheit: Können Sie vielleicht den uralten Streit der Feinschmecker auf diesem Kontinent darüber beilegen, ob es nun ›Welsh Rabbits‹ oder ›Welsh Rarebits‹ heißt?«

Der Oberstleutnant antwortete steif: »Das ist nicht nur ein kontinentaler Streit. Darüber liegt man sich in meiner Heimat genauso in den Haaren. Ich weiß auch nicht, wie es richtig heißt.«

»Beruhigend. Hast du noch ein bißchen Ketchup, Bastian?«

Der Riese öffnete einen Kühlschrank und entnahm ihm eine Flasche. Dabei fiel etwas aus dem Schränkchen heraus – eine kleine Spielzeuglokomotive. Bastian hob sie auf. »Schau mal, Pierre – weißt du noch? Von meiner elektrischen Eisenbahn! Alles, was übrigblieb. Mit der Lokomotive hast du damals das komische Fressen serviert. Ich schleppe sie seither mit mir herum, als Talisman. Und zur Erinnerung an …«

Menu • Marseille, 11. Juni 1944

Beim Spanferkel beschließt Lieven, ein großes Schwein

»umzulegen« …

Krabbencocktail

Gebratenes Spanferkel

Welsh Rarebits

Krabbencocktail: Man nehme eine Büchse Krabben, gebe Krabbenfleisch und Flüssigkeit in getrennte Gefäße. – Man spritze die Krabben mit etwas Kognak und ein paar Tropfen Zitronensaft ab. – Man verrühre süße Sahne gründlich mit geriebenem Meerrettich, englischem Senfpulver und dem Krabbenwasser, färbe mit wenig Tomatenketchup und mische darin die Krabben. – Man lege breite, flache Gläser mit Salatblättern aus, fülle den Krabbencocktail darauf und stelle ihn bis zum Servieren kalt.

Gebratenes Spanferkel: Man nehme ein Milchferkel ohne Augen und Füße, reibe es innen mit Pfeffer und Salz ein, stecke der Länge nach einen Holzspieß hindurch, lege es auf den Rost oder in eine Bratpfanne mit etwas heißem Wasser und schiebe es in den Backofen. Man steche Blasen mit einer Spicknadel auf, wische heraustretenden Saft gleich ab, damit keine Flecke entstehen. Man darf das Spanferkel nicht wie andere Braten begießen, sondern nur mittels Pinsel mit Butter und Öl bestreichen. Man bestreut es erst von außen mit etwas Salz, wenn sich eine Kruste gebildet hat. – Man nehme es heraus, sobald das Fleisch gar ist – je nach Größe in etwa einer Stunde –, und bringe es sehr heiß, mit einer Zitrone im Maul, zu Tisch.

Welsh Rarebits: Man nehme Chester oder einen verwandten Käse und schneide ihn in kleine Stückchen. – Man verrühre sie am Tisch auf einem Spiritusrechaud in einem feuerfesten Töpfchen mit Butter, einem Glas Bier und etwas Cayennepfeffer. Wenn die Masse Fäden zu ziehen beginnt, streiche man sie dick auf vorbereitete Toastscheiben und reiche sie auf angewärmten Tellern.

»Ich weiß«, sagte Thomas Lieven leise. Er rührte in der Krabbensauce und dachte an Chantal Tessier, und immer noch tat ihm das Herz weh dabei. Ach, Chantal, wenn du noch lebtest – wenn du jetzt mit uns gehen könntest … Er hörte Bastian sagen: »Übrigens: ›Die Glatze‹ ist noch immer da.«

Thomas fuhr auf. »›Die Glatze‹ in Marseille?«

Bastian nickte verbissen. »Hat seine Bande aufgelöst, die Sau, und ist hauptberuflich SD-Spitzel geworden. Ganz Marseille zittert vor ihm. Jetzt hat er natürlich schon ein bißchen Angst – aber trotzdem …«

Thomas mußte sich schnell setzen. Eine Woge wilder Wut stieg in ihm auf. »Die Glatze« lebte! Der Mann, der Chantal Tessier erschossen hatte, lebte hier in Marseille! Im Kreise … alles hatte sich im Kreise gedreht.

Thomas sagte: »Mr. Booth, Sie werden mit meinem Freund allein über die Grenze gehen müssen. Ich habe hier noch etwas zu erledigen.« Der Engländer wollte protestieren, aber Thomas schüttelte nur den Kopf: »Sparen Sie Ihre Worte. Ich bleibe hier. Ich will abrechnen mit einem Schuft. Und wenn es das letzte ist, was ich tue. Und wenn ich draufgehe dabei …«



10



Am 14. Juni 1944 brachte Thomas Lieven den englischen Offizier und Bastian Fabre mit dem Kommandowagen des SD bis an die Nähe der spanischen Grenze. »Leben Sie wohl, Lieutenant-Colonel. Denken Sie an unser Gespräch im Schlafwagen.«

Der Engländer verneigte sich stumm. Bastian bekam wieder Tränen in die Augen, als er Thomas umarmte. »Du kommst gleich zurück«, sagte Thomas zu ihm. »Wir sehen uns wieder in Marseille. Der Krieg hier unten ist bald zu Ende.«

Diese Überzeugung verdankte Thomas Lieven dem Funkgerät seines Kommandowagens. Stundenlang hörte er täglich deutsche und alliierte Sender ab.

Nach dem, was der flüsternde Äther verriet, richtete Thomas seinen Schlachtplan ein. Er kehrte nach Marseille zurück. Er beobachtete den glatzköpfigen Dantes Villeforte bei Tag, bei Nacht. Aber noch schlug Thomas Lieven nicht zu. Er wartete. Er wußte, worauf …

Am 26. Juni eroberten die Alliierten Cherbourg, am 9. Juli Caën.

Am 20. Juli kam es zu dem Attentat auf Hitler.

Am 3. August fiel Rennes in die Hände der Alliierten, am 9. Le Mans, am 10. Nantes und die Loire-Linie. Das alles hörte Thomas Lieven in seinem Kommandowagen. Aber noch schlug er nicht zu. Dann kam der 15. August. Von Neapel aus landeten Engländer und Amerikaner an der Riviera. Am 23. fiel Grenoble. Nun ist es Zeit, sagte Thomas Lieven zu sich selber.

An diesem Tage erschien er im Hauptquartier des SD in der Rue de Paradis. Hier quoll brauner Rauch aus dem Hof: Die Gestapo-Herren verbrannten ihre Akten. Zu dem verstörten Hauptsturmführer Rahl sagte Thomas Lieven: »Nur keine Panik, mein Lieber. Wir werden die Amerikaner ins Meer zurückwerfen, das ist klar. Nach wie vor steht mir auf Grund des Befehls vom Reichsführer SS Ihre gesamte Dienststelle zur Verfügung – oder wollen Sie etwa flitzen?«

»Kei … keinesfalls, Sonderführer.«

»Will ich stark hoffen. Geben Sie mir zwei zuverlässige Leute mit. Bewaffnet. Es wird wahrscheinlich eine Schießerei geben. Der Kerl ist der gefährlichste Verräter von Marseille – Dantes Villeforte.«

»Villeforte – aber das ist doch …«

»Ein Verräter, wie ich schon sagte! Zweifeln Sie an der Dringlichkeit meiner Mission, Hauptsturmführer? Muß ich mich in Berlin über Sie beschweren?«

»Um Himmels willen – bin völlig im Bild, Sonderführer.«



11



Am 21. September 1944 machte ein gewisser Paul Martinie folgende Aussage vor Beamten des 145th CIC Detachment, United States Army, Europe:

»Ich war seit Januar 1944 Gefangener der Gestapo in der Rue de Paradis. Am 23. August kam der ganze Betrieb in Unordnung. Es gab plötzlich kein Essen mehr – auch nicht für die deutschen Wachen. Dichter Rauch drang in unsere winzigen Zellen. Vermutlich verbrannten die Gestapo-Leute ihre Akten.

Am Abend gab es eine wüste Brüllerei. Ein älterer, freundlicher Landesschütze, Friedrich Felge aus Hannover, berichtete mir: ›Da haben wir jetzt einen Sonderführer, ein ganz hohes Tier aus Berlin. Der hat einen Verräter verhaften lassen. Sie nennen ihn hier in Marseille ›Die Glatze‹. Er ist in Ketten geschlossen worden und liegt unten im Keller.‹. Ich wußte, daß ›Die Glatze‹, mit bürgerlichem Namen Dantes Villeforte, tatsächlich ein Verräter war – aber ein Verräter Frankreichs, ein SD-Spitzel! Am 27. August türmten die Gestapo-Leute. Wir schrien und trommelten gegen unsere Zellentüren – umsonst. Am Morgen des 28. August wurde meine Zellentür aufgeschlossen. Ein eleganter Zivilist stand draußen und sprach in fließendem Französisch: ›Sie sind frei wie alle Ihre Kameraden. In wenigen Stunden werden die Alliierten hier sein. Übernehmen Sie so lange die Bewachung dieses Hauses und die Bewachung des Gefangenen, der unten im Keller liegt. Viele von Ihnen werden ihn kennen. Er heißt Dantes Villeforte. Er ist ein Mörder und SD-Spitzel und hat unzählige Ihrer Landsleute ans Messer geliefert.‹ Danach verschwand dieser Mann. Wir bewachten Villeforte und übergaben ihn später einer alliierten Kommission, die ihn sogleich unter Arrest setzte. Den Mann, der uns befreite, habe ich nie wieder gesehen.«



12



Am Vormittag des 28. August zog Thomas aus seinem Hotel aus und deponierte einen Koffer auf dem Hauptbahnhof. In den Vororten von Marseille wurde ein wenig gekämpft – nicht sehr. Am Nachmittag des 29. August war Marseille befreit. Thomas Lieven zerriß seine verschiedenen SD-Ausweise und holte eine Reihe von Papieren hervor, die ihm seinerzeit bei der Bekämpfung des »Maquis Crozant« gute Dienste erwiesen hatten …

Am Abend des 29. August 1944 meldete sich ein gewisser Captain Robert Almond Everett, britischer Fallschirmagent, bei den Amerikanern. Er gab an, über Frankreich abgesetzt worden zu sein, und bat, ihn schnellstens nach London zurückzufliegen. Die Amerikaner bewirteten den tapferen Alliierten, der Thomas Lieven wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah, mit Whisky und K-Rations.

An der Befreiung Marseilles hatten auch französische Truppen und Partisanenverbände teilgenommen, die aus allen Teilen des Südens zusammengeströmt waren. In dem von den Amerikanern besetzten »Hôtel de Noailles« fand zwei Tage nach dem Sieg eine große Feier statt. Stehend sangen alle Anwesenden die französische Nationalhymne, auch Captain Robert Almond Everett.

»… le jour de gloire est arrivé …« sang er gerade, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. Er fuhr herum. Zwei riesige amerikanische Militärpolizisten standen hinter ihm. Neben ihnen stand ein Mann, der aussah wie ein zu groß geratener Adolphe Menjou.

»Verhaften Sie diesen Mann!« sagte Oberst Jules Siméon, der jetzt eine prächtige Uniform trug. »Er ist einer der gefährlichsten deutschen Agenten des Krieges. Nehmen Sie die Hände hoch, Herr Lieven. Sie haben es endgültig zu weit getrieben. Ihr Spiel ist aus!«



13



Am 25. August war General de Gaulle mit den Amerikanern in Paris eingezogen. Am 15. September landete Thomas Lieven, zum zweitenmal in seinem Leben, in dem nahen Gefängnis von Frèsnes. Das erstemal hatte die Gestapo ihn hier eingesperrt. Nun sperrten die Franzosen ihn ein.

Eine Woche saß Thomas in seiner Zelle, zwei Wochen – nichts geschah. Er ertrug die neuerliche Gefangenschaft mit philosophischer Gelassenheit. Er dachte oft Gedanken wie diese: Es mußte so kommen. Es ist nur gerecht so. Ich habe in diesen bösen Jahren mit dem Teufel paktiert. Und man muß einen langen Löffel haben, wenn man mit dem Teufel essen will!

Auf der anderen Seite …

Auf der andern Seite habe ich so viele Freunde hier. So vielen Franzosen habe ich geholfen: Yvonne Dechamps, dem Bankier Ferroud, Madame Page. Vielen habe ich das Leben gerettet. Sie werden nun auch mir helfen.

Was werde ich schon bekommen? Ein halbes Jahr? Na schön. Ich werde es überleben. Und dann, mein Gott, dann bin ich endlich frei! Dann kann ich endlich nach England zurückkehren. Nach so vielen Jahren, ach, werde ich endlich wieder in Frieden leben. Niemals wieder Geheimdienst! Kein Abenteuer mehr! Leben wie einst. Mit dem Geld vom Konto Eugen Wälterlis in Zürich.

Schritte kamen polternd näher. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, die Zellentür schwang auf. Zwei französische Soldaten standen draußen.

»Fertigmachen!« sagte der erste Soldat.

»Na endlich«, sagte Thomas Lieven und zog seine Jacke an, »das hat aber mächtig lange gedauert, bis Sie mich endlich mal verhören!«

»Verhör, nichts damit«, sagte der zweite Soldat. »Fertigmachen zum Erschießen!«

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