8. Kapitel Das Haus am Meer

»Wir haben eine Postkarte von Henry bekommen«, sagte Alec Fenton, als er ins Haus kam und den Dreck von seinen Stiefeln abklopfte. Vom Ufer, wo sein Dinghi vertäut lag, bis zum Haus waren es nur wenige Schritte, aber in der Nacht hatte es geregnet und der Weg war schlammig.

Seine Frau Marnie, die gerade auf dem Küchentisch Brotteig knetete, wischte sich die Hände an der Schürze ab und sagte lächelnd: »Wie schön. Lass mal sehen.«

Es war zwar schon lange her, seit sie in London gewesen waren, um Sohn und Schwiegertochter zu besuchen, aber sie sprachen oft von Henry und hielten große Stücke auf ihn.

»Das sind ja mal gute Nachrichten!«, rief Marnie, die über die Schulter ihres Mannes die Karte las. »Er hat einen Hund bekommen! Ich hab doch immer gesagt, dass das genau das ist, was Henry braucht.«

Alec nickte. »In diesem Museum aufzuwachsen ist doch kein Leben für einen Jungen.«

Er schaute aus dem Fenster ihres kleinen Fischerhauses. Es war gerade Ebbe und der Sandstrand erstreckte sich in einer goldenen Kurve bis zum Meeressaum.

Ein Kormoran stürzte sich von einem Felsen herab ins Meer und tauchte mit einem Fisch im Schnabel wieder auf. Möwen kreisten. Alecs Fischerboot, die Peggotty, lag am Ufer, bereit, um für einen abendlichen Fischzug wieder in See zu stechen.

»Scheint so, als sei Albina endlich ein Licht aufgegangen«, sagte Marnie. »Wenn sie Henry einen Hund erlaubt, kann sie ja so schlimm nicht sein. Vielleicht waren wir voreilig in unserem Urteil.«

Der Besuch bei ihrem Sohn und dessen Frau war so fürchterlich gewesen, dass sie ihn nie wiederholt hatten.

Beim Anblick ihrer altmodischen Koffer hatte Albina nur die Nase gerümpft. Und als Marnie in die Küche gegangen war, um sich bei dem Dienstmädchen für das leckere Essen zu bedanken, hatte sie schmerzlich das Gesicht verzogen und gemeint, dass das Mädchen schließlich fürs Kochen bezahlt werden würde.

Und ihr Sohn Donald war praktisch nie da gewesen. Ständig flog oder fuhr er irgendwo in der Weltgeschichte herum, und wenn er zu Hause war, hingen ihm Strippen aus den Ohren und er sprach mit Moskau oder New York anstatt mit den Menschen im gleichen Raum.

Früher war Donald ein ganz normaler netter kleiner Junge gewesen. Er hatte seinem Vater mit den Hummerfallen geholfen und auf dem Feld gearbeitet. Seine Eltern hatten gehofft, er würde später einmal ihr Land und das Fischerboot übernehmen.

Doch nachdem er ein Stipendium für ein teures Internat bekommen hatte, hatte Donald sich verändert. Er fing an, abfällige Bemerkungen über ihr Haus zu machen, darüber, wie klein und schäbig es war, und wollte wissen, warum sie statt des keuchenden alten Lieferwagens nicht ein richtiges Auto hätten. Nach der Schule war er dann nach London gegangen, um dort sein Glück zu machen.

Und er hatte sein Glück gemacht. Zumindest wenn Glück darin besteht, in einer Villa zu leben, in der die Wasserhähne so glänzen, dass man Kopfschmerzen davon bekommt, das Essen so aussieht, als sollte es jeden Augenblick für ein Hochglanzmagazin fotografiert werden, und es nirgendwo etwas Lebendiges gibt, nicht mal eine winzige Spinne.

Aber Henry war anders. Er war ein liebenswerter, lustiger kleiner Junge. Alec und Marnie hätten ihn auf der Stelle bei sich aufgenommen, wenn das möglich gewesen wäre. Vor allem, als sie gemerkt hatten, wie einsam der Kleine war.

Aber nun würde es ihm endlich gut gehen. Es gab nichts Besseres gegen Einsamkeit als einen Hund. Sie hatten nur noch ihren alten Labrador, aber sie konnten sich ein Leben ohne Hund nicht vorstellen.

»Er könnte uns doch mit Fleck besuchen kommen«, sagte Alec.

Also schrieben sie Henry einen Brief, nicht nur eine Karte. Darin stand, dass sie ihn und Fleck gern einladen würden. Henry sei nun ja schon alt genug, um allein zu reisen, und die Fahrt sei auch nicht schwierig. Er müsse nur einen Zug bis Berwick nehmen, da würden sie ihn und Fleck mit dem Lieferwagen abholen.

Henry erhielt den Brief an dem Tag, an dem er mit seiner Mutter die Schuluniform für das Internat kaufte.

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