6. Kapitel Der Betrug

Henry lag im Bett, sein Vater war im Arbeitszimmer, nur Albina hockte auf allen vieren draußen auf der Treppe und suchte nach Hundehaaren. Henry hatte zwar versprochen, jedes Mal hinter dem Hund sauber zu machen, aber jetzt konnte sie ein Haar auf dem Treppenabsatz erkennen und irgendetwas, das aussah wie ein Schlammspritzer.

Sie stieß einen Schrei aus und griff nach Schaufel und Besen. Eigentlich wäre das ja Olgas Aufgabe gewesen, aber dieses dumme Ding ging ja immer viel zu früh ins Bett …

Was für ein Glück, dass dieses schmutzige Tier am nächsten Morgen aus dem Haus kam, diesen ganzen Dreck und Ärger konnte sie keine Minute länger ertragen.

Albina ging zurück ins Haus und nach oben in Henrys Zimmer, um ihm Gute Nacht zu sagen. Normalerweise war es immer sehr ruhig bei ihm, aber jetzt hörte sie, wie er herumrannte und irgendetwas rief, wahrscheinlich spielte er mit dem Hund. Dann fiel etwas krachend zu Boden.

Sie riss die Tür auf.

»O nein, Henry, das schöne Nachtlicht. Du weißt genau, wie teuer es war!«

Sie hob die Lampe auf, sie war eindeutig hinüber. »Ich weiß nicht, wie ich sie ersetzen soll.«

Henry schien nicht sehr betrübt zu sein.

»Das musst du auch gar nicht«, sagte er vergnügt. »Ich brauche kein Nachtlicht mehr. Es ist mir egal, wie dunkel es ist, jetzt, wo ich Fleck habe.«

Albina ging wieder hinunter, sie musste mit ihrem Mann sprechen.

»Hast du nicht gesagt, Henry würde sich spätestens nach zwei Tagen mit dem Hund langweilen? Du hast es mir versprochen!«

Donald war in seinem Arbeitszimmer. Ein Kopfhörer baumelte aus seinem Ohr, er telefonierte gerade mit seinem Büro in New York und hatte kein Wort verstanden.

Albina wiederholte es. »Hör mir bitte zu! Ich sagte gerade, dass Henry den Hund immer noch nicht überhat.«

Widerstrebend beendete Donald das Gespräch.

»Egal, ob er den Hund leid ist oder nicht, morgen früh kommt er weg. Sorg bitte dafür, dass er spätestens um elf Uhr dort ist, sonst muss ich für einen weiteren Tag zahlen. Und achte darauf, dass du die Kaution zurückbekommst, der Typ, dem der Hundeverleih gehört, ist ein gewiefter Halsabschneider.«

Albina starrte ihren Gatten entsetzt an. »Ich bringe ihn nicht zurück, das machst du.«

»Nein, das tue ich nicht. Ich hab dir doch gesagt, dass ich die Sechsuhrmaschine nach New York nehme. Bevor Rent-a-Dog öffnet, bin ich schon halb über den Atlantik.«

»Das ist wirklich ein starkes Stück. Was soll ich Henry sagen?«

»Erzähl ihm, was du willst, aber erst wenn der Hund da ist, wo er hingehört.«

Albina war sehr ärgerlich. »Das ist ja mal wieder typisch! Erst hast du irgendwelche Ideen und dann fliegst du weg und lässt mich mit dem ganzen Schlamassel hier alleine. Das machst du immer und ich habe es satt!«

»Wenn du glaubst, dass es mir Spaß macht, ständig um die Welt zu fliegen, irrst du dich. Es ist wahnsinnig anstrengend. Ich tue das, damit du ein schönes Haus hast und teure Kleider. Wenn du nicht so anspruchsvoll wärst, dann …«

Sie fingen an zu streiten. Sie waren so gewöhnt daran zu streiten, dass sie fast vergaßen, worum es ging. Diesmal stritten sie, bis es Zeit war, ins Bett zu gehen.

Albina hatte beschlossen, dass sie Olga mit Henry zum Zahnarzt schicken würde. Sobald er weg war, würde sie den Hund nehmen und zurück zu Rent-a-Dog bringen. Wenn Henry nach Hause kam, wäre alles vorbei. Natürlich würde er sich aufregen, das war ihr inzwischen klar, also würde sie einen Einkaufsbummel vorschlagen. Über eine neue Autorennbahn würde er sich bestimmt freuen … oder über eins dieser kleinen Radios, die aussahen wie eine Erdbeere oder Banane. Die waren wirklich süß.

Der Termin beim Zahnarzt war um zehn Uhr.

»Olga wird mit dir hingehen«, sagte Henrys Mutter am nächsten Morgen.

»Darf ich Fleck mitnehmen? Die Sprechstundenhilfe ist sehr nett, sie erlaubt mir bestimmt, dass Fleck so lange im Garten hinter der Praxis bleiben darf.«

»Nein, Henry, auf keinen Fall. Du weißt genau, dass Hunde in einer Arztpraxis verboten sind.«

»Aber …«

»Schluss jetzt, Henry. Putz dir die Zähne und mach dich fertig. Du kannst Fleck einen Knochen geben, damit er sich nicht langweilt, während du weg bist.«

Henry schüttelte den Kopf. »Wir haben nur noch die Sorte, die splittert. Aber auf dem Rückweg werden wir einen richtigen besorgen. Markknochen sind die besten. Olga hilft mir.« Seine Augen fingen an zu leuchten. »Und wir schauen auch, ob die Hundekörbchen da sind. Der Mann im Zoogeschäft hat gemeint, sie könnten heute kommen.«

Er beugte sich zu dem Hund hinunter und legte ihm den Arm um den Hals. »Es wird nicht lange dauern, Fleck, und wenn ich wieder da bin, gehen wir in den Park zu unserem Baum und dem Abflussrohr und …«

Fleck wedelte mit dem Schwanz und versuchte Henrys Gesicht zu lecken, doch als Albina ihn scharf zurückrief, winselte er und suchte sein Tuch. Die Tür fiel hinter Henry ins Schloss. Flecks Augen wurden vor Angst ganz groß.

Irgendetwas stimmte nicht.

Eine Stunde später wurde die Tür aufgerissen und Henry stürmte ins Haus.

»Fleck! Fleck, ich bin wieder da!«

Stille.

Olga schaute in der Küche nach. Henry lief durchs Haus.

»Seine Leine ist nicht da, das kann nur bedeuten, dass Mummy mit ihm draußen ist. Ich hab gewusst, dass sie ihn am Ende mögen wird. Ich hab’s gewusst.«

Olga verzog keine Miene.

»Ich machen Kakao« war alles, was sie sagte.

Nach einer knappen Stunde hörten sie das Auto und Albina stieg aus. Sie hatte keine Leine, keinen kleinen weißen Hund … nur ein paar Päckchen.

Henry lief ihr entgegen. »Fleck ist bei dir, nicht wahr?«

»Nein, Henry, das ist er nicht. Er ist wieder da, wo er hergekommen ist.«

Henry sagte zuerst gar nichts, doch sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, dass Albina vor Schreck einen Schritt zurücktrat.

»Soll das heißen, du hast ihn wieder in den Hundezwinger gebracht?«

»Ja, genau. Weißt du, Henry, dein Vater hatte ihn nur für das Wochenende ausgeliehen. Wir hätten niemals einen Hund länger als ein paar Tage behalten können, aber wir wollten dir so gern eine Freude machen.«

»Ihr holt ihn also nicht zurück?«, sagte Henry mit tonloser Stimme. »Ihr habt mich reingelegt?«

»Wir haben dich nicht reingelegt, Henry. Wir wollten, dass du für eine kurze Zeit einen Hund hast. Du weißt doch, was ich von Tieren im Haus halte. Dafür hab ich dir ein Geschenk mitgebracht.«

Sie gab ihm ein aufwendig verpacktes Paket. In der nächsten Sekunde flog es quer durch die Halle und krachte in eine teure Vase.

»O nein, Henry, schau, was du angerichtet hast!«, kreischte Albina.

»Es ist genau das, was du mit mir gemacht hast«, sagte Henry mit einer fremden, erwachsenen Stimme. »Das wird dir noch leidtun.«

Mit diesen Worten drehte er sich um, ging hoch in sein Zimmer und schloss die Tür.

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