VII Klar Schiff zum Gefecht

Am Morgen war es sehr kalt, und als Bolitho zu seinem gewohnten Spaziergang an Deck kam, empfand er die eisige Luft als genauso unangenehm wie kürzlich vor Gotland.

Er schaute hinauf zum Himmel, der zwar wolkenlos war, aber grau wie die See, bleiern grau.

Durch das Fernrohr beobachtete er die anderen Schiffe, verfolgte ihre morgendlichen Routinearbeiten, zu denen das Setzen und Trimmen der Segel gehörte, um wieder den vorgeschriebenen Platz in der sich langsam vorwärtsbewegenden Linie einzunehmen. Von der Loo-kout war noch nichts zu sehen, aber vom Mastkorb aus konnte man sie vielleicht schon ausmachen.

Der Erste Offizier marschierte auf der Leeseite auf und ab. Sein rotes Haar, das unter seinem Hut im Winde flatterte, bildete den einzigen lebhaften Farbfleck an Deck.

An ihm war nichts herumzurätseln oder zu kritisieren. Wolfe war Erster Offizier und würde über kurz oder lang, wenn er Glück hatte, sein eigenes Schiff führen. Hier auf der Benbow war es seine einzige Aufgabe, das Schiff wie ein gut gestimmtes Instrument zu handhaben und für seinen Kommandanten in höchstmögliche Gefechtsbereitschaft zu bringen.

Bolitho ließ die Gedanken von der täglichen Routine zur eigenen Lage schweifen. Zwei Tage lang waren sie zuerst nach Westen, dann nach Norden gesegelt: zwei Tage, in denen sie ihre Patrouille vor den Ostseeeingängen vernachlässigt hatten. Angenommen, seine Überlegungen waren falsch? Angenommen, er hatte im Bemühen, den Erfolg seines Geschwaders auszuweiten — ungeachtet von Inskips Zweifeln und Warnungen — das Nächstliegende versäumt?

Die Begeisterung in England angesichts der Styx und ihrer Kampfesspuren konnte nicht ewig anhalten. Sehr bald schon würde er sich zu entscheiden haben: weiter durchzuhalten oder auf seine küstennahe Station zurückzukehren. Wenn er es andererseits unterließ, seine Schiffe — oder wenigstens einige davon — in die irischen Gewässer zu führen, und wenn er einer fixen Idee zuliebe keinen Kontakt mit dem französischen Geschwader bekam, würde das Damerum und der Admiralität kaum schmecke n.

Wolfes rauhe Stimme riß ihn aus seinen Gedanken:»Also, Mr. Pas-coe, was höre ich da über Ihre Bitte, die Landratte Babbage zu versetzen? Zur Achterdecksmannschaft, sagen Sie?«Er beugte sich vor und wirkte dabei wie ein ungeschlachter Riese, der auf den schmächtigen Leutnant herabsah.

Pascoe antwortete:»Ja, Sir, er wurde in Plymouth gepreßt. Es kommt aus Bodmin, und.»

Wolfe brummte ungeduldig:»Und ich komme aus dem verdammten Bristol, aber was hat das damit zu tun, he?»

Pascoe versuchte es noch einmal:»Midshipman Penels bat um die Versetzung, Sir. Sie sind zusammen aufgewachsen. Babbage arbeitete für Penels Mutter, seit sein Vater gestorben war.»

«Ist das alles?«Wolfe nickte zufrieden.»Gut, das wußte ich bereits. Deshalb habe ich sie ja getrennt, als ich von ihrer Beziehung zueinander hörte.»

«Ich verstehe, Sir.»

«O nein, Mr. Pascoe, Sie verstehen nicht. Aber lassen wir das. Sie haben gefragt, und ich habe nein gesagt. Nun nehmen Sie ein paar Leute mit zum Vorschiff, und schauen Sie mal nach dem Schanzkleid. Mr. Swale meldet, daß es Risse bekommen hat. Die Teufel haben wahrscheinlich ungeeignetes Holz beim Bau verwendet.»

Pascoe tippte an seinen Hut und marschierte zur Laufbrücke.

Als er außer Hörweite war, rief Bolitho:»Mr. Wolfe, einen Augenblick bitte!»

Bolitho war schon ziemlich groß, aber Wolfe gegenüber kam er sich wie ein Zwerg vor.

«Sir?»

«Ich habe eben unfreiwillig Ihre Gespräch mit angehört. Vielleicht sind Sie bereit, Ihr Wissen mit mir zu teilen?»

Wolfe grinste ohne einen Anflug von Verlegenheit.

«Gewiß, Sir. Ich sprach den Offizier, der das Preßkommando in Plymouth führte, als er uns einige Leute an Bord brachte. Er erzählte mir alles über Babbage. Daß er mit einer Nachricht für einen Lagerverwalter nach Plymouth geschickt worden war.»

«Ein langer Weg von Bodmin, nicht wahr, Mr. Wolfe?»

«Aye, Sir. So ist es. Jemand wollte ihn aus dem Weg haben. So schickte man ihn dorthin, wo sich niemand mit der Tatsache, daß er von einem Preßkommando eingefangen wurde, lange aufhalten würde. Wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir?»

Bolitho schaute finster drein.»Penels Mutter?»

«Das nehme ich an, Sir. Ihr Mann tot, ihr Sohn auf See — da hat sie sich wohl nach einem neuen, hm, Ehemann umgesehen. Babbage war ihr lästig, er lebte mit im Haus, sah und hörte alles. Sie konnte nicht wissen, daß Babbages Ankertau sich ausgerechnet in dem unseres jungen Herrn Penels verfangen würde.»

«Vielen Dank, daß Sie mich informiert haben.»

Bolitho dachte an den unglücklichen Babbage. Daß sie einen unbequemen oder unerwünschten Bedienten auf diese Weise loswerden konnten, war Unternehmern und Landbesitzern nicht unbekannt. Man schickte ihn mit einen Auftrag weg und benachrichtigte gleichzeitig einen Werber oder das Preßkommando. Das weitere ergab sich dann von selbst.

Wolfe fügte hinzu:»Mr. Pascoe wird ein guter Offizier werden, Sir. Und das sage ich nicht, um mich bei Ihnen beliebt zu machen. Auch er wird die Ränke von Frauen noch kennenlernen. Warum soll man ihn schon jetzt mit solchen Dingen belasten.»

Er machte eine kurze Ehrenbezeigung und ging mit langen Schritten davon.

Bolitho nahm seinen Marsch wieder auf. Dieser linkische Erste Offizier hatte also noch eine andere Seite, dachte er. >Nicht um mich bei Ihnen beliebt zu machen

«An Deck! Lookout in Sicht. Über den Luv-Bug!»

Bolitho sah, daß der Wachoffizier eine Eintragung über die erste Sichtmeldung des Tages in das Logbuch machte. Weit hinter der Korvette würde Kapitän Rowley Peel auf seiner Relentless eifrig den sich langsam aufhellenden Horizont absuchen. Sooft er an den hart errungenen Sieg der Styx dachte, wünschte er bestimmt für sich und sein Schiff eine ähnliche Chance herbei. Er war sechsundzwanzig, und das war auch schon alles, was Bolitho über ihn wußte. Bis jetzt.

Auf der Lee-Laufbrücke hörte man Fußgetrampel. Ein bulliger Bootsmannsmaat bewegte sich schwerfällig nach achtern und beugte sich zu dem Offizier hinab, der gerade dabei war, das Logbuch wieder in seine Segeltuchhülle einzuschlagen.

«Verzeihung, Mr. Speke, Sir. Im unteren Batteriedeck hat es eine Keilerei gegeben. Ein Mann hat einen Unteroffizier mit einem Schemel niedergeschlagen.»

Speke, der Zweite Offizier, war laut Herrick ein tüchtiger Offizier, aber mit der Neigung, zu rasche Entschlüsse zu fassen.

Jetzt erwiderte er scharf:»Gut, Jones. Melden Sie es dem Wachtmeister, {»master-at-arms«= der (meist recht unbeliebte) Bordpolizist im Range eines Deckoffiziers (Anm. d. Übers.)} ich werde es für den Ersten Offizier ins Logbuch eintragen. Wer ist es übrigens?»

Irgendwie — es gab dafür keine vernünftige Begründung — wußte Bolitho schon, wer es war.

«Babbage, Sir. Von Mr. Pascoes Division. «Und als wäre es ihm eben noch eingefallen, fügte er grob hinzu:»Er hat den Unteroffizier krankenhausreif geschlagen, Sir. Den Schädel gespalten hat er ihm!»

Speke nickte bedeutungsvoll.»Das war's, Jones. Gehen Sie zu Mr. Swale. Melden Sie ihm, daß wir eine Strafgräting auftakeln müssen.»

Bolitho wandte sich zum Niedergang. Der Appetit auf ein Frühstück war ihm vergangen.

Es war schon schlimm genug, hier auf der Suche nach dem Feind herumzukreuzen, zu kämpfen und — falls nötig — zu sterben. Nun außerdem eine Prügelstrafe zu vollziehen, würde ihnen kein bißchen weiterhelfen.

«Haben Sie neue Befehle für mich, Sir?«Herrick stand, den Hut unter den Arm geklemmt, im Türrahmen. Sein abgetragener Bordmantel paßte nicht recht in die neu möblierte Kajüte.

Bolitho lauschte in die große Stille, die das Schiff und seine sechshundertundzwanzig Männer und Knaben umfangen hielt. Es war fast Mittag. Der Himmel war immer noch frei von Regenwolken, aber in den unteren Decks war die Luft feucht und muffig wie im Winter. Weder von der Fregatte noch von der Korvette war bisher irgend etwas gemeldet worden, mit Ausnahme eines schnellen Schoners, der sich eilends davongemacht hatte. Ein Seeräuber, Schmuggler oder nur ein harmloser Frachter, der möglichen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen wollte?

Bolitho sah seinen Freund an und wußte genau, was ihn bedrückte. Herrick hatte das nicht verdient, dachte er. Es war seine Idee gewesen, den Ratschlag zu mißachten, den die Brigg überbracht hatte. Sein Plan war es, ihren Platz zu wechseln, damit sie dem Feind auf offener See begegneten. Es war ungerecht, daß er nun auch noch diese neue Sorge auf der Seele hatte.

Mit sanfter Stimme fragte Bolitho:»Kann ich helfen, Thomas? Es ist diese Bestrafung, die Sie bedrückt, habe ich recht?»

Herrick starrte ihn an.»Aye, Sir. Der junge Adam war Babbage wegen bei mir. Er nimmt die Schuld auf sich und wird mich für einen blutdürstigen Tyrannen halten, wenn ich nicht eingreife.»

«Sie wissen über Babbage Bescheid?»

Herrick nickte.»Ich weiß es jetzt, Mr. Wolfe hat es mir erzählt. «Er schaute zur Decke und fügte hinzu:»Ich mache ihm natürlich keinen Vorwurf. Er hält es für seine selbstverständliche Pflicht, solche Dinge von seinem Kommandanten fernzuhalten. «Er versuchte ein Lächeln.»Wie ich es früher auch bei Ihnen tat.»

«Das habe ich mir gedacht.»

Herrick sagte:»Ich habe den ganzen Vorfall überprüft. Der Unteroffizier hat Babbage provoziert, wahrscheinlich ohne es zu wissen. Bab-bage ist ein Waisenkind, was die Sache noch schlimmer macht.»

Bolitho nickte. Kein Wunder, daß sein Neffe erregt war. Er selbst war auch Waise.

«Wir sind in die Sache mit hineingezogen, Thomas.»

«Aye, Sir. Das ist das Unglück. Bei jedem anderen Mann würde ich keinen Augenblick zögern. Aber Schuld oder nicht Schuld: Ich kann nicht zulassen, daß meine Unteroffiziere niedergeschlagen und fast getötet werden. Ich hasse die Prügelstrafe, wie Sie genau wissen, Sir, aber solche Dinge können nicht geduldet werden.»

Bolitho stand auf.»Möchten Sie, daß ich an Deck komme? Meine Anwesenheit könnte beweisen, daß es nicht einfach eine Laune, sondern eine dienstliche Notwendigkeit ist.»

Herricks blaue Augen blickten fest geradeaus.»Nein, Sir, dies ist mein Schiff. Wenn etwas falsch gemacht wurde, hätte ich selber es sehen müssen.»

«Was, in aller Welt, sagen Sie da?«Bolitho lächelte leicht.»Es ehrt Sie, daß Sie sich in einem Augenblick wie diesem Sorgen um einen einzelnen machen.»

Herrick ging zur Tür.»Werden Sie mit Adam sprechen, Sir?»

«Er ist mein Neffe, Thomas, und steht mir sehr nahe. Aber wie Sie mir damals sagten, als ich meinen Kommodore-Stander auf Ihrer alten Lysander setzte: er ist einer von Ihren Offizieren.»

Herrick seufzte.»In Zukunft werde ich es mir zweimal überlegen, bevor ich solch eine Bemerkung vom Stapel lasse.»

Die Tür schloß sich, und durch eine andere trat Yovell, der Schreiber, mit einem seiner Aktendecke l ein.

Als die Bootsmannsmaatenpfeifen durch die Decks schrillten, und die Maate» Alle Mann! Alle Mann nach achtern zu einem Strafakt «riefen, sah Yovell zum Skylight empor und murmelte:»Soll ich das Oberlicht schließen, Sir?»

«Nein!»

Sie hielten alle zusammen, wollten ihn abschirmen von einer Welt, die ihm seit seinem zwölften Lebensjahr vertraut war.

«Bereiten Sie sich auf neue Befehle für das Geschwader vor. Wir werden heute nachmittag Kurs ändern und auf unsere Station zurückkehren.»

Er hörte Herricks Stimme wie durch Watte, aber langsam und klar, wie der Mann selber.

Er merkte, daß sich seine Bauchmuskeln spannten, und wußte, daß Yovell ihn beobachtete.

Ein Trommelwirbel, und dann hörte man den ersten Schlag wie einen Pistolenschuß auf den nackten Rücken des Mannes klatschen. Bolitho sah die Szene so deutlich vor sich, als wäre er mit an Deck: die finsteren Gesichter ringsum und das Schiff, das sie immer weitertrug, während die Bestrafung fortgesetzt wurde.

Beim dritten Schlag der Peitsche hörte er Babbage schreien, wild und schrecklich wie eine Frau in Todesqual.

Ein neuer Schlag.

Yovel stammelte:»Gott sei uns gnädig, Sir, er hält es nicht aus.»

Zwei Dutzend Schläge war das mindeste für Babbages Vergehen. Viele Kommandanten hätten hundert oder noch mehr verhängt. Herrick war an der unteren Grenze geblieben, um das Opfer zu schonen, aber ohne die Autorität des Unteroffiziers zu untergraben, wenn er wieder zum Dienst kam.

Ein neuer Schlag.

Bolitho stand abrupt auf, die schrecklichen Schreie drangen ihm wie Messer in die Ohren.

Die Trommel schlug jetzt unregelmäßig, und irgend jemand rief Befehle, welche die Ordnung wiederherstellen sollten.

Und dann hörte Bolitho einen anderen Schrei, von weit weg, aus schwindelnder Masthöhe.

«Lookout setzt Signal, Sir!»

Bolitho nahm wieder Platz, aber sein Herz schlug gegen die Rippen, und seine Finger krampften sich um die Armlehne. Das Schreien ging weiter, obwohl die Schläge aufgehört hatten.

Es kostete ihn physische Anstrengung, ruhig sitzenzubleiben. Er sagte:»Nun erklären Sie mir kurz, welche Schriftstücke ich unterschreiben soll.»

Yovell schluckte.»Hier, Sir. «Er legte die Segeltuchhülle mit den sorgfältig geschriebenen Briefen auf den Tisch.

Bolithos Augen wanderten über die runden Buchstaben, sahen aber nur die kleine Korvette, die ihre Signalflaggen hißte, mit denen sie zweifellos eine Meldung von der Relentless wiederholte.

Es klopfte, und Browne trat vorsichtig ein.

«Signal von der Relentless, Sir: fünf Segel im Nordwesten.»

Bolitho erhob sich.»Vielen Dank. Halten Sie mich auf dem laufenden. «Als der Flaggleutnant sich zum Gehen wandte, fragte er:»Was ging an Deck vor?»

Browne sah ihm direkt ins Gesicht.»Der Delinquent konnte den Schmerz nicht ertragen, Sir. Nach fünf Schlägen bat der Schiffsarzt den Bootsmannsmaaten, so lange einzuhalten, bis er ihn untersucht hatte. «Er lächelte kurz. Babbage kann sich beim Ausguck bedanken, daß der seine Augen offenhielt. Er ist ein Glückspilz.»

«So kann man es auch sehen. «Bolitho faßte einen Entschluß.»Ich werde mit Ihnen an Deck gehen. «Er schaute sich nach seinem Hut um, als Ozzard auch schon damit erschien.

Zusammen traten sie unter der Hütte hervor in den schneidend kalten Wind.

Die Gräting, an der Babbage während des Strafaktes gehangen hatte, war noch an der Laufbrücke festgelascht. Ein Mann der Wache wischte gerade dunkle Blutstropfen weg.

Herrick schritt auf sie zu, das runde Gesicht eine einzige Frage.

Bolitho lächelte.»Ich komme nur hoch, um mehr über die fünf Segel zu erfahren. «Er sah, daß die Spannung aus Herricks Zügen wich.»War es schlimm?»

«Ziemlich. Ich hätte es ohnehin abgebrochen. «Herrick wandte sich ab, um das Wiederholungssignal zu beobachten, das für die anderen Schiffe an der Besanrah gehißt wurde. Die Flaggen wehten nach Steuerbord voraus aus.

Er sagte:»Die fünf Schiffe, wer sie auch sein mögen, haben die

Luvposition, Sir.»

Bolitho nickte beruhigt. Herricks nüchterner Verstand, seine berufsmäßige Registrierung aller Einzelheiten hatte wieder die Oberhand.

Er sagte:»Es wird fast zwei Stunden dauern, bis wir Näheres ausmachen können. Lassen Sie die Leute essen, bevor wir >Klar Schiff zum Gefecht< anschlagen.»

Herrick sah ihn grimmig an.»Sie glauben tatsächlich, daß es Ro-pars' Geschwader ist, Sir?»

Loveys, der bleichgesichtige Schiffsarzt, kam nach achtern, um über Babbages Zustand zu berichten. Er sah selber wie der wandelnde Tod aus.

Bolitho fragte:»Glauben Sie's nicht, Thomas?»

Herrick zog eine Grimasse.»Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal das Insichtkommen eines Feindes begrüßen würde. Aber nach diesem Auftritt mache ich eine Ausnahme.»

Bolitho horchte auf das Getrappel eiliger Füße und vermutete, daß Herricks Ausguckposten endlich die anderen Schiffe gesichtet hatte. Er schluckte eine weitere Tasse starken Kaffees hinunter und warf Allday einen vorwurfsvollen Blick zu, als er Brandy darin schmeckte.

«Sie wissen doch, daß ich in solchen Augenblicken nie Alkohol trinke!»

Allday blieb unbewegt.»Bisher waren wir auch in wärmeren Zonen, Sir. Dies gibt Ihnen Kraft.»

Der Posten rief durch die Tür:»Fähnrich der Wache, Sir!»

Es war Aggett, der älteste >junge Herr< der Benbow.

Bolitho sah ihn so ruhig an, wie es ihm möglich war.

«Meldung von Mr. Browne, Sir. Wir haben soeben ein weiteres Signal von der Relentless bekommen.»

Bolitho sagte geduldig:»Schön, Mr. Aggett, aber ich kann leider keine Gedanken lesen!»

Der Junge errötete.»Acht fremde Segel im Nordwesten, Sir.»

Bolitho verdaute diese neue Nachricht. Es waren also acht. Ihre Chancen verschlechterten sich.

Er sagte:»Empfehlung an den Flaggleutnant, er möchte ein Signal an Lookout zur Weitergabe an Relentless machen: >Erkunden Sie weiteres über die gesichteten Schiffe, und machen Sie Meldung an den AdmiralStyx heimgeschickt worden war, hatte sich seine Verantwortung verdoppelt. Seine Meldungen war lebenswichtig für das Geschwader.

Allday nahm den alten Säbel herunter und wartete, daß Bolitho den Arm hob, damit er ihn am Koppel einhaken konnte.

«Der paßt besser zu Ihnen, Sir.»

Bolitho reichte Ozzard die leere Tasse.»Sie sind sentimental, All-day. «Nachdem er noch einen schnellen Blick durch die Heckfenster geworfen und sich vergewissert hatte, daß Wind und Beleuchtung unverändert waren, ging er an Deck.

Die Signalgasten schufteten wie die Teufel, Flaggen jagten zur Rah hoch und wieder herunter, Wiederholungen, Verstanden-Meldungen, Fragen. Er stellte abermals fest, daß diese Fachleute den äußerlich unbeteiligten Browne offenbar mochten und anerkannten.

Browne übersah nichts. Vielleicht hatte Inskip recht, daß er einen Platz in Whitehall oder im Parlament verdiente.

Ein Steuermannsmaat gab ein höflich warnendes Räuspern von sich, und Herrick wandte sich um, seinen Vorgesetzten zu begrüßen.

«Haben Sie es gehört, Sir? Ich habe den Sechsten Offizier mit seinem Fernglas auf die Großbramsaling geschickt. Die anderen Schiffe sind in Sicht. Acht, soweit wir bisher wissen, aber noch nicht auszumachen, wie groß sie sind.»

Browne rief:»Von Lookout, Sir: Feind in Sicht!»

Bolitho sah ihn unbeweglich an.»Machen Sie >Verstanden<. Danach: >Befehl an alle: Klar Schiff zum Gefecht

Er achtete nicht auf die plötzliche Erregung ringsum, auf das geschäftige Quietschen der Flaggleinenblöcke, sondern sagte zu Herrick:»Sie hatten recht, Thomas.»

Herrick grinste.»Nur weiß ich nicht, ob ich mich darüber freuen soll.»

Wolfe tippte an seinen Hut und fragte drängend:»Darf >Klar Schifft angeschlagen werden, Sir?«»Aye. Fangen wir damit an.»

Sobald die Trommeln alle Mann auf ihre Klarschiffstationen riefen, quollen Matrosen und Seesoldaten wie eine Flutwelle aus den Luken und Niedergängen hervor. Sie hatten schon darauf gewartet, und die meisten merkten nichts von den bangen Ahnungen ihres Kommandanten oder den Zweifeln ihres Admirals.

Bolitho hörte, wie die Vorhänge im Achterschiff abgenommen und alle Hindernisse, seien es Seekisten oder Möbelstücke, nach unten in die Räume unter der Wasserlinie getragen wurden. Das gehörte dazu, um das Schiff in volle Gefechtsbereitschaft zu versetzen. Das untere Batteriedeck war jetzt ein einziger großer Raum, vom Bug bis zum Heck an jeder Seite mit Kanonen bestückt. Die Zweiunddreißiger waren schon bemannt, ihre Zurrings gelöst, während die Schiffsjungen rundherum, auch um die Beine der Bedienungsmannschaften, Sand ausstreuten. Auf dem oberen Batteriedeck, wo die Achtundzwanzig-pfünder standen, zur Hälfte von den Laufbrücken abgedeckt, die Vor-und Achterschiff an beiden Seiten miteinander verbanden, war man ebenso geschäftig.

Bolitho beobachtete die Geschützbedienungen auf dem Achterschiff, die sich wie bei ihrem täglichen Exerzieren bewegten. Sie überholten die Taljen der Neunpfünder und legten sich ihre Werkzeuge so sorgsam zurecht wie Chirurgen vor der Operation, während die Seesoldaten sich wie eine feuerrote Raupe zwischen ihnen hindurch zur Hütte und Back wanden. Von den Seesoldaten wurden die Gefechtsstände in den Masten und die weniger beliebten Posten vor den Luken besetzt, wo sie zu verhindern hatten, daß Verängstigte sich nach unten verdrückten.

Solche Vorkehrungen waren notwendig, denn es kam vor, daß Neulinge durch das fürchterliche Krachen der Artillerie und die schrecklichen Kampfszenen den Verstand verloren und versuchten, in den Tiefen des Schiffsleibes Zuflucht zu finden.

Er hörte Wolfe ärgerlich ausrufen:»Verdammt, Mr. Speke. Die In-domitable war schneller als letztes Mal. Sie hat uns geschlagen!»

Browne meldete:»Von Relentless, Sir. «Er schielte auf die Merktafel des Fähnrichs.»Fünf Linienschiffe, zwei Fregatten und ein Transporter.»

Bolitho ließ sich ein Teleskop von einem Steuermannsmaaten geben und kletterte in die Wanten. Dabei war er sich bewußt, daß die nächststehenden Geschützbedienungen ihn genau beobachteten. Von einem Mann in feinem Mantel mit glitzernden Epauletten erwarteten sie mehr als von ihresgleichen.

Er wartete und stützte sein Glas gegen die vibrierenden Webeleinen, bis die Benbow sich träge auf einer langen See, die diagonal unter ihrem Kiel hindurchlief, erhob, bevor sie wieder in das nächste Wellental hinabsank.

In diesen Sekunden sah Bolitho den Feind zum ersten Mal. Nicht nur als ein paar dunkle Segel vor einem trüben Himmel, sondern als Schiffe. Er zweifelte nicht, daß der französische Befehlshaber ihn ebenfalls beobachtete.

Sechs große Schiffe in zwei Kolonnen. Das zweite der Luvkolonne führte die Flagge eines Vizeadmirals. Wenn es für Bolitho noch irgendwelche Zweifel gegeben hatte, jetzt waren sie verflogen.

Hinter den beiden Kolonnen standen die Fregatten. Wahrscheinlich warteten sie dort — frei vom Geschwader abgesetzt — , bis sie Bolithos Stärke, vor allem an Fregatten, erkannt hatten.

Er rief:»Ich schätze, daß sie Kurs Südost steuern, Captain Herrick.»

Herrick antwortete ebenso förmlich:»Das ist auch meine Ansicht,

Sir.»

Bolitho wartete, bis der nächste Roller den mächtigen Leib der Ben-bow anhob, und suchte dann nach dem Transporter. Es war wohl das letzte Schiff in der Lee-Kolonne, entschied er. Das war der beste Platz, um sich abzusetzen oder in den Schutz der Fregatten zu begeben, wenn es befohlen wurde. Was mochte er wohl geladen haben? Gewiß keine Vorräte, eher einige von Napoleons Elitetruppen, Männer, die das Wort Niederlage kaum kannten. Der Zar von Rußland würde sicherlich einige ihrer Ratschläge gebrauchen können, bevor er sich in die allgemeine Kriegsarena wagte. Möglicherweise waren es auch Truppen, die die gekaperten britischen Handelsschiffe bewachen sollten. Gut, dachte Bolitho grimmig, wie der Tag auch ausgehen mochte: diese Schiffe waren vor Ropars nun in Sicherheit. Außerdem hatte die Tat der Styx vielleicht die Schweden und Preußen weniger geneigt gemacht, die Ziele des Zaren zu unterstützen.

Er kletterte hinunter an Deck und sah Midshipman Penels zu sich hinüberschielen wie jemand, über den ein Todesurteil gefällt worden war.

«Na, Penels, kommen Sie mal her!»

Der Junge eilte gehorsam herbei, begleitet vom Lächeln einiger Seeleute, als er in seinem Eifer über einen Ringbolzen stolperte.

«Heute war ein schlechter Tag für Sie, scheint es. «Bolitho sah den Jungen unter seinem scharfen Blick zurückweichen. Zwölf Jahre alt, kein Vater, auf See geschickt, um ein Offizier des Königs zu werden.

Die Sache mit seinem Freund Babbage ging ihm bestimmt zu Herzen.

Penels kämpfte mit den Tränen.»Er war mir ein guter Freund, Sir. Nun weiß ich nicht, was ich sagen soll, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.»

Bolitho dachte an Wolfes gleichgültige Feststellung der Tatsachen. An Penels' Mutter, die sich einem anderen Mann zugewandt hatte. Weiß Gott, Seemannsfrauen hatten viel zu ertragen. Aber Penels war nur gekleidet wie ein angehender Offizier. Er war noch ein Junge, ein

Kind.

Bolitho sagte beruhigend:»Mr. Pascoe hat getan, was er konnte. Vielleicht braucht Babbage Ihre Hilfe jetzt mehr denn je. Ich nehme an, in der Vergangenheit war es umgekehrt?»

Penels starrte ihn sprachlos an. Daß sein Admiral sich um ihn kümmerte, mußte ihm unglaubhaft vorkommen. Daß er außerdem mit seiner Annahme über Babbage recht hatte, war noch erstaunlicher.

Er stammelte:»Ich — ich werde es versuchen, Sir.»

Wolfe tippte ungeduldig mit einem großen Fuß aufs Deck, und als Penels wieder auf seinen Posten an Steuerbord eilte, bellte er:»Helfen Sie dem Flaggleutnant, Mr. Penels. Obwohl ich mich sicherer mit einem Franzosen fühlen würde als mit Ihnen, Gott verdammmich!«Dabei zwinkerte er Leutnant Speke zu.

Der alte Ben Grubb schneuzte sich geräuschvoll und brummte:»Stetiger Wind, Sir. Westlich mit kaum einer Abweichung. «Er guckte nach dem Halbstundenglas im Kompaßhaus und fügte hinzu:»Nicht mehr lange, würde ich sagen.»

Bolitho sah Herrick an und hob die Schultern. >Nicht mehr lange bis wann?< fragte er sich. Frühe Dunkelheit, Sieg oder Tod? Dem Master machte es anscheinend Spaß, solch kryptische Bemerkungen fallenzulassen. Eine seiner mächtigen Fäuste steckte in der Tasche seines abgetragenen Wachmantels, und Bolitho dachte, daß er darin wohl seine Batteriepfeife hielt, mit der er sie bis in die Hölle pfeifen würde, falls erforderlich.

Herrick war nicht so wohlmeinend.»Grubb wird alt, Sir. Er sollte irgendwo an Land sitzen mit einer guten Frau, die für ihn sorgt.»

Bolitho schmunzelte.»Thomas, seit Sie verheiratet sind, können Sie es wohl nicht lassen, Pläne für das Leben anderer zu schmieden?»

Allday, der an der Nagelbank des Großmastes lehnte, fühlte sich erleichtert. In solchen Augenblicken, in denen er Bolitho beobachtete, wog er immer seine eigenen Chancen ab. Jetzt beobachtete er über die Luv-Laufbrücke hinweg die anderen Schiffe, den Feind. Beide Geschwader bewegten sich wie die Flügel einer großen Pfeilspitze aufeinander zu, wobei der Wind in der Richtung des zugehörigen Pfeilschaftes wehte. Aber die Franzosen hatten die Luvposition und waren zahlreicher. Er wandte sich um und beobachtete die Männer um sich herum. Die alten Hasen überprüften noch einmal ihr Gerät: Steinschlösser und Pulverhörner, Schwämme und Ansetzer, Schraubenspindel und Pricker, obwohl sie das bereits mehrmals getan hatten. Und wenn sie fertig waren, würden sie noch einmal damit anfangen. Sie hatten das alles schon oft erlebt. Die langsame, drohende Annäherung, das Gewirr von Segeln und Masten, das sich allmählich zu Formationen und einzelnen Schiffen auflöste. Es kostete Nerven, dazustehen und auf das unvermeidliche Ende zu warten.

Die neuen Leute sahen es mit anderen Augen. Aufregung war bei ihnen mit Furcht gemischt. Und dann die Erwartung, endlich zu kämpfen, statt endlos und knochenbrechend zu exerzieren.

Etwas abgesetzt von den Geschützbedienungen und von den Matrosen, die für die Segelmanöver während des Gefechtes bereitstanden, gingen die Unteroffiziere noch einmal ihre Namenslisten durch und überprüften ihren eigenen Aufgabenbereich. Hier und da sah man zwischen den Reinen der Geschütze wie blauweiße Farbtupfer die Uniformen der Offiziere, Deckoffiziere und Midshipmen. Im unteren Batteriedeck, wiederholte sich das Bild, aber dort war es hinter den noch geschlossenen Stückpforten unheimlich dunkel.

Leutnant Marston von den Seesoldaten war vorn und sprach mit den Bedienungen der beiden großen Karronaden. {Großkalibrige Kartätsche mit geringer Reichweite, aber verheerender Wirkung auf die gegnerische Besatzung} Allday sah noch den Leutnant der Seesoldaten von der Styx vor sich, wie er mit dem Kopf in den blutenden Händen dagesessen hatte, weil er von herumfliegenden Splittern in die Augen getroffen worden war.

Major Clinton stand mit Sergeant Rombilow ganz achtern und zeigte mit seinem schwarzen Stock auf das schwenkbare Geschütz im Besantopp. Allday hielt alle Seesoldaten für ein wenig verrückt. Clinton bildete keine Ausnahme. Immer wenn das Schiff gefechtsbereit gemacht wurde, führte er seinen Stock mit sich, während eine Ordon-

nanz seinen Säbel wie ein Schildknappe sorgsam hinter ihm hertrug.

Allday beobachtete Pascoe, der im Vorschiff langsam hinter seinen Kanonen auf und ab ging. Wenn die Schiffe auf dem gleichen Kurs weiterliefen, würden seine Geschütze als erste den Feind unter Feuer nehmen. Wie er doch Bolitho ähnelte. Er dachte plötzlich an Babbage, an das widerliche Schauspiel, als er sich unter den Peitschenhieben gekrümmt und geschrien hatte. Sogar der Bootsmannsmaat, der die >neunschwänzige Katze< schwang, war durch diesen Ausbruch geschockt gewesen.

Nach Bolitho hätte Allday für Pascoe alles getan. Sie hatten zusammen gelebt, gekämpft und gelitten, und wenn Babbage die Ursache für Pascoes besorgte Miene war, dann war das für Allday Grund genug, ihn zu hassen.

Das Schiff war bereit zur Schlacht. Allday kümmerte sich nicht darum, ob sie recht oder unrecht hatten oder was der Anlaß war, der die ganze Welt in den Krieg zog. Man kämpfte für die, um die man sich sorgte, für das Schiff, auf dem man stand, und für wenig mehr.

Die Großen und Mächtigen sollten ihren Portwein trinken und ihre Vermögen verspielen, dachte Allday, aber dies hier war seine Welt, so lange sie bestand. Und wenn Pascoes Gedanken auch nur zum Teil durch die Probleme eines Narren abgelenkt wurden, so befand er sich in größerer Gefahr als alle übrigen.

Bolitho beobachtete seinen Bootssteurer und fragte Herrick leise:»Sehen Sie ihn, Thomas? Ich kann von hier aus fast seine Gedanken lesen.»

Herrick folgte Bolithos Blickrichtung und antwortete.»Aye, Sir. Er ist ein guter Mann, obwohl er sich eher in die Zunge beißen, als Ihnen zustimmen würde.»

Die Luft hallte von plötzlichem Kanonendonner wieder. Wolfe sagte:»Die Franzmänner probieren ein paar Schüsse gegen die Relent-less, scheint mir, Sir.»

Herrick sah Bolitho an.»Ich werde sie und die Lookout auf unsere Leeseite zurückholen, Sir. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt.»

Bolitho sah ihn mit Browne sprechen, während die Signale an die Flaggleinen angesteckt wurden. Herrick hatte viel hinzugelernt, seit er damals zum Flaggkapitän der Lysander ernannt worden war. Er war selten unschlüssig, und wenn er sich zu etwas entschlossen hatte, dann stand dahinter das ganze Gewicht seiner Überzeugung.

Browne rief:»Sie haben >verstanden< gezeigt, Sir.»

Herrick fragte:»Was, meinen Sie, werden die Franzosen tun, Sir?»

«Wenn wir die Fregatten einstweilen aus dem Spiel lassen, wird Ropars sich mit seinem ganzen Gewicht auf uns werfen. Wenn ich Ropars wäre, würde ich eine einzige Linie bilden, anderenfalls sind wir beim ersten Zusammenstoß vier gegen drei. In einer einzigen Schlachtlinie aber wären die Chancen fünf zu vier gegen uns.»

Herrick sah ihn hoffnungsvoll an.»Sie haben doch nicht vor, ihm diesen Ratschlag zu geben, Sir?»

«Nein.»

Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Selbst wenn er es so macht, werden wir die feindliche Linie an zwei Stellen durchbrechen.»

Wolfe sagte:»Die Franzmänner gehen in Kiellinie, Sir. «Er grinste voll Bewunderung.»Und es scheint, daß sich der Transporter hinter das Geschwader zurückfallen läßt.»

Bolitho vernahm ihn kaum.»Wir werden in zwei Kolonnen angreifen. Benbow und Indomitable bilden die erste, Nicator und Odin die zweite, beide jeweils in Kiellinie. Sagen Sie Brownes Leuten, daß sie die entsprechenden Signalflaggen bereithalten.»

Er wandte sich ab und richtete sein Fernglas auf die französische Linie. Sie war noch ungeordnet, aber er stellte sogleich fest, daß das Flaggschiff auch in der Kiellinie den zweiten Platz hielt: Vielleicht, um Bolithos Taktik zu studieren, bevor er selber handelte. Oder vielleicht überließ er es einem seiner Kommandanten, den ersten Anprall der Schlacht aufzufangen.

Er ging nach achtern um die Rudergänger herum und schaute in Grubbs Karte, die auf einem kleinen Tisch unterhalb des Hüttenüberhangs befestigt war. Damit ersparte sich Grubb die Mühe, seine Körpermasse bis in den Kartenraum zu bewegen.

Wie es schien, befanden sich die beiden Geschwader in einem uferlosen Ozean, und doch lag keine fünfzig Meilen entfernt im Nordosten die norwegische und noch etwas weiter weg im Südosten die dänische Küste, dazwischen eingebettet das Skagerrak.

Bolitho fragte sich plötzlich, was Inskip jetzt wohl machte und ob es wirklich der Kronprinz war, den er getroffen hatte.

Dann verbannte er alle diese Gedanken.

«Wir wollen Kurs ändern, Captain Herrick. Das Geschwader geht auf Nordost zu Ost.»

Er stellte sich hinter die geschäftige Achterdeckswache und beobachtete die Relentless, die Segel wegnahm, um sich auf Parallelkurs und in gleicher Höhe mit dem Geschwader zu halten, hinter ihr Loo-kout wie ein Junges.

Die französischen Schiffe änderten weder Kurs noch ein einziges

Segel.

Herrick musterte die eigene Leinwand, sobald die Rahen zur Ruhe gekommen waren, und bemerkte:»Das wird ihnen einige Rätsel aufgeben, Sir.»

Bolitho beobachtete das führende französische Schiff. Es war fast genauso groß wie die Benbow und jetzt schon dabei, seine Kanonen auszutrennen. Für die französischen Seeleute mußten die Chancen schlecht aussehen, dachte er. Sie hatten zu lange im Hafen gelegen, um die Nerve nbelastung dieser langsamen Annäherung zu ertragen. Ihre Offiziere würden sie beschäftigen müssen, und so gaben sie vielleicht ein paar Schüsse ins Blaue ab, um in rechte Kampfstimmung zu geraten.

Grubb sagte trocken:»Zwei Meilen, Sir. Wir machen sie in einer halben Stunde fertig. «Dann klopfte er mit einem seiner dicken Finger an die Sanduhr.

Plötzlich ein dumpfer Knall, und Sekunden später schoß Backbord voraus, aber weit entfernt eine dünne Wassersäule hoch.

Ein paar Matrosen lachten höhnisch, und einige der älteren Leute schauten fragend nach achtern, ob es nun auch ihrerseits losging.

«Lassen Sie bitte laden und ausrennen. Sagen Sie Ihren Geschützbedienungen, daß wir heute mit beiden Seiten ins Gefecht kommen, aber die Steuerbord-Pforten bleiben geschlossen, bis wir mitten im Feind sind.»

Bolitho begab sich auf die andere Seite des Achterdecks. Obwohl er zwischen Geschützbedienungen und Seesoldaten, Offizieren und Läufern stand, war er doch völlig allein.

Das französische Geschwader war stärker, aber er hatte schon schlechtere Kräfteverhältnisse erlebt. Was seinen Schiffen an Kanonen und Männern fehlte, machten sie an Erfahrung gut. Die beiden Linien bewegten sich auf einen imaginären Punkt im grauen Wasser zu, als ob sie von unsichtbaren Fäden dorthin gezogen würden.

Bolitho faßte den Griff seines abgenutzten Säbels.

Fast zu sich selber sagte er:»Wir wollen uns auf das französische Flaggschiff werfen. Sie sind alle weit weg von zu Hause. Wenn Ro-pars' Flagge sinkt, werden die übrigen sich schnell zerstreuen.»

Das französische Spitzenschiff, ein Vierundsiebziger, verschwand für einen Augenblick hinter einer wogenden Mauer von Pulverqualm. Grubb sagte zu seinem Steuermannsmaaten:»Notieren Sie im Logbuch, Mr. Daws: >Feind hat das Feuer eröffnet<.»

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