VIII Ausgetrickst

Bolitho beobachtete den Abschuß der Breitseite des französischen Spitzenschiffes. Es hatte auf viel zu große Entfernung gefeuert, daher vermutete er, daß der Kommandant diese Salve mehr zur Eingewöhnung benutzte. Sicherlich hatten seine Geschützbedienungen bisher wenig Gelegenheit gehabt, auf einen Feind zu zielen.

Für die britischen Seeleute — mochten sie sonst schimpfen und fluchen, was das Zeug hielt — sprach, wenn es zum Kampf kam, die größere seemännische Erfahrung; sie zählte sogar mehr als die Anzahl der Geschütze.

Er konnte sich nicht erinnern, jemals gesehen zu haben, wie eine gesamte Breitseite vor ihm ins Wasser schlug. Es war wie ein unterseeischer Vulkanausbruch, der eine breite und unregelmäßige Wand aus Gischt und Rauch emporschleuderte. Selbst als die letzte Kugel längst verschwunden war, kochte die See noch und zeigte auf ihrer Oberfläche große weiße Placken zischenden Salzes.

Herrick bemerkte trocken:»Was für eine Verschwendung von Pulver und Blei!»

Einige Herumstehende nickten. Wolfe meldete:»Sie verkürzen Segel, Sir!»

Herrick befahl:»Machen Sie es ebenso, Mr. Wolfe.»

Bolitho entfernte sich von ihnen. Es war das übliche Manöver, wenn feindliche Flotten auf Angriffskurs gingen. Da brauchte man nur genug Segelfläche, daß man gerade noch Fahrt voraus machte und manövrieren konnte, aber nicht so viel, daß ein Feuer überflüssige Nahrung fand. Ein glühendheißer Ladepfropfen, eine durch einen Treffer umgestürzte Lampe, jeder beliebige Funke konnte diese herrliche Pyramide von Segeln in ein brüllendes Inferno verwandeln.

Bolitho beobachtete die plötzliche Bewegung auf dem Oberdeck, als die Befehle ausgeführt und die Großsegel aufgegeit wurden. Im langsam vorankommenden britischen Geschwader folgten alle Schiffe dem Beispiel und machten sich kampfbereit.

Und immer noch bewegten sich die beiden Linien erbarmungslos aufeinander zu. Das zweite französische Schiff, das Ropars' Flagge im Fockmast führte, feuerte einige Probeschüsse von den verschiedenen Decks. Sie lagen erheblich näher als die erste eindrucksvolle Breitseite. Bolitho verfolgte den Weg einer Kugel, die flach durch die Wellenkämme strich und dabei eine Spur von aufspritzendem Gischt zog, bis sie schließlich voll ins Wasser einschlug und verschwand.

Bolitho sagte zu Browne:»Wenn wir den Kampf beginnen, geben Sie ein Signal für die Relentless: >Greifen Sie die feindliche Nachhut an.< Die Lookout werde ich bei uns behalten, damit die Franzosen etwas zum Nachdenken haben.»

Irgend jemand lachte mit kurzen nervösem Ton. Wahrscheinlich einer von den neuen Leuten. Der plötzliche Feuerstoß der Breitseite, die überwältigende Masse Eisen, die das Meer aufgewühlt hatte, war zwar weniger gefährlich gewesen als die sorgfältig gezielten Schüsse von Ropars' Flaggschiff, aber für das Auge eines Unerfahrenen schien es umgekehrt.

Leutnant Speke hatte das Achterdeck verlassen und wanderte, Hände auf dem Rücken, zwischen den beiden Reihen der Acht-zehnpfünder nach vorn, bis er Pascoe beim Fockmast traf.

Einige Geschützführer beobachteten sie besorgt, während hier und da ein Geschütz mit einer Handspake noch genauer auf den Feind gerichtet oder mit einem Keil eine kleine Höhenberichtigung vorgenommen wurde. Es schien, als stünde das ganze Schiff unter Hochspannung; als das hart angebraßte Vormarssegel zwei scharfe, ungeduldige Flügelschläge von sich gab, fuhr ein Schiffsjunge erschreckt zusammen.

Bolitho wandte sich um, als das führende französische Schiff abermals feuerte. Diesmal lagen die Einschläge viel besser, und der Gischt fiel so nahe bei ihnen nieder, daß es sich wie ein tropischer Regenguß anhörte.

Bolitho richtete sein Glas auf die französische Linie. Die fünf Schiffe, alles Vierundsiebziger, arbeiteten mit ihren Segeln, geiten auf, refften ein oder wieder aus, je nachdem, was die Kommandanten unternehmen mußten, um ihren Platz in der Linie zu halten und gleichzeitig bereit zu sein, den Feind zu empfangen.

Er sagte:»Ändern Sie Kurs zwei Strich nach Steuerbord, Kapitän Herrick. Das Geschwader soll folgen.»

Männer eilten an die Schoten und Brassen, und das Steuerrad wurde eilig gedreht, als hätten der Rudergänger und seine Gehilfen nur auf den Befehl gelauert.

Grubb meldete:»Kurs liegt an, Sir. Ost zu Nord.»

Die britische Linie hatte sich durch ihre Schwenkung leicht von dem anderen Geschwader entfernt, so daß es einen Augenblick schien, als fielen die Franzosen zurück. Die Rahen quietschten unter dem Zug der Brassen, und der Wimpel an der Mastspitze zeigte nun fast direkt nach vorn.

Bolitho konnte es fühlen, wie das Schiff reagierte und mit dem Wind >unter seinen Rockschößen< eifrig vorwärtsdrängte.

«Die Franzosen haben weitere Segel gesetzt, Sir. «Herrick sah ihn fragend an.»Soll ich die Großsegel wieder setzen?»

«Nein. «Bolitho ging drei Schritte zum nächsten Geschütz und wieder zurück.»Sie sollen glauben, wir wollten lieber ihren Vormarsch stören als auf Schußentfernung herankommen.»

Er bemerkte, wie sich die Richtung der französischen Bramrahen veränderte, als die Schiffe weitere Segel setzten und ihre Geschwindigkeit entsprechend vergrößerten. Sie standen jetzt weniger als eine Meile auseinander.

«Halten Sie sich bereit, Mr. Browne.»

Er versetzte sich in die Lage der Kommandanten, die im Kielwasser der Benbow folgten. Er hatte ihnen seine Taktik genau erklärt, als er sie das erste Mal zur Geschwaderbesprechung versammelt hatte: ein Minimum an Signalen, ein Maximum an Initiative. Jetzt sah er sie vor sich: Keverne, Keen, den guten alten Inch. In Erwartung der einzelnen Flagge, die bereits angesteckt war. Die Franzosen konnten ihre Signale lesen, warum sollten sie also ihr Wissen mit ihnen teilen?

«Ich denke, wir sollten das Feuer eröffnen, Kapitän Herrick.»

Bolitho sah, daß seine Worte das Batteriedeck entlang mit Gesten und von Mund zu Mund blitzschnell nach vorn weitergegeben wurden.»Keine Breitseite. Sagen Sie Ihren Geschützführern, daß sie im Hochkommen des Schiffes und nur dann schießen sollen, wenn sie das Ziel voll im Visier haben.»

Herrick nickte.»Aye, Sir. Das wird die Frösche {Spitzname für Franzosen, nach der französischen Vorliebe für Froschschenkel} springen lassen.

Und sie werden keinen Wert darauflegen, in diesem Stadium von einem Zufallstreffer entmastet zu werden. Sie haben die Wahl, nach beiden Seiten auszuweichen.»

Es war schwer zu sagen, welches Geschütz als erstes schoß und mit welchem Erfolg. Auf der feuernden Seite rollten die Kanonen mit großem Krach binnenbords, bis die Brocktaue sie zum Stehen brachten und die Bedienungen hinzuspringen konnten, um die noch rauchenden Rohre auszuwischen und neu zu laden. Geschützführer spähten gebückt durch die Pforten und sahen die Segel des führenden französischen Schiffes wie in einem Wirbelwind schlagen.

Ein Midshipman brachte den Befehl nach unten, und Sekunden später hörte man von dort eine schrille Pfeife.

Die Zweiunddreißigpfünder im unteren Batteriedeck ließen beim Rücklauf die Holzplanken erzittern, während der Pulverqualm aus ihren Mündungen nach vorn trieb und sich beiderseits des Vorstevens wie eine Nebelbank ausbreitete.»Bei Gott, wir haben getroffen!»

Eine andere Stimme schrie:»Das waren wir, Jungs! Los, rennt wieder aus, damit sie noch eine Prise zu schmecken bekommen!»

Auch die übrigen Schiffe der englischen Linie feuerten nun. Die Kugeln strichen flach über die Wellen, einige fielen kurz vorm Ziel ins Wasser, andere trafen Segel oder Bordwände in einem Gemisch von Gischt und Rauch.

«Die Franzosen haben wieder Kurs geändert, Sir!«Herrick konnte seine Aufregung kaum noch verbergen.»Sie kommen auf uns zu.»

Er zuckte zusammen, als das zweite Schiff in einer Rauchwand verschwand, aus der orangerote Zungen hervorloderten, denen ein Donnergetöse folgte.

Wasser flutete über das Vorschiff, und unter seinen Füßen spürte Bolitho, wie sich der massive Schiffsleib unter dem Einschlag der feindlichen Kugeln schüttelte. Fünf, möglicherweise sechs Treffer, aber kein Stag, kein Want war durchschlagen.

«Wisch aus, Mann!«Ein Geschützführer mußte einem seiner Leute einen Schubs geben, damit er seine Schrecksekunde überwand.»Nun laden, du Rindvieh!»

Die ganze schön gemalte Bordwand der Benbow entlang brüllten die

Kanonen und rollten nach jedem Abschuß in ihren Lafetten zurück. Einzeln, paarweise oder in ganzen Gruppen schossen die Geschützführer, unbehindert durch den Zwang zur geschlossenen Salve.

Jubelrufe von vorn, als die Großbramstenge des französischen Spitzenschiffes im Rauch versank. Schwarze Punkte trieben hinter den Schiffen: Trümmerstücke, verbrannte Hängematten aus den Finknetzen oder vielleicht auch Leichen, die kurzerhand über Bord geworfen wurden, damit die Kanonen weiterfeuern konnten.

«Weiter, Jungs. Gebt's ihnen!«Herrick schrie es durch die hohlen Hände. Was für ein anderer Mann war das jetzt als der beherrschte Hochzeiter vor dem Altar in Kent!

Die ganze französische Linie feuerte nun, und jedes britische Schiff kassierte Treffer oder war derart von Wassersäulen überflutet, daß es wenigstens so aussah.

Eine Kugel fegte durch ihr Großmarssegel, und auch im Vormarssegel erschienen Löcher. Ein paar durchgeschlagene Leinen schwangen wie abgestorbene Schlingpflanzen über den Kanonen, während Swale, der Bootsmann, seine Stimme dem Getöse anpaßte und seine Männer nach oben schickte, um zu knoten und zu spleißen, bevor irgendwelche wichtigen Teile davongeweht wurden.

Bolitho wich einen Schritt zurück, als Metall klirrend an einem Geschütz der Steuerbordseite zerbarst und die Splitter rund um ihn einschlugen. Ein Matrose fiel der Länge nach hin, und Bolitho sah, daß die Halswirbel unter seinem Zopf bloßgelegt waren. Daneben war ein Unteroffizier auf die Knie gesunken und versuchte, den Mund zu einem tonlosen Schrei aufgerissen, mit bloßen Händen seine Eingeweide festzuhalten.

«Ruhig, Jungs! Ziel auffassen! Feuern!»

Die Neunpfünder auf dem Achterdeck schossen gemeinsam. Ihr scharfer Knall ließ einige Leute schmerzlich zusammenzucken.»Dasselbe noch einmal!»

Bolitho mußte heftig schlucken, als weitere feindliche Geschosse das Schiff trafen. Eines davon sah er in eine offene Stückpforte des unteren Batteriedecks einschlagen, und er konnte sich die schreckliche Szene dort unten vorstellen, wie die schwere Kugel durch die von Pulverqualm und Abschüssen schon fast blinden und tauben Männer pflügte.

«Feuern!»

Trotz ihrer fehlenden Bramstenge überlappte das französische Spitzenschiff nun die Benbow. Es feuerte wütend, doch undiszipliniert, aber einige ihrer Kugeln trafen. Bolitho schaute das obere Batteriedeck entlang, wo die Männer in ständiger Bewegung waren, beiseite sprangen, wenn ihr Geschütz beim Abschuß ächzend zurückrollte, neu luden und es anschließend wieder in Schußposition brachten.

Einige lagen verwundet in den Ecken und warteten auf Hilfe. Andere würden sich nie mehr bewegen. Pascoe stand hinter seinen Männern, schrie etwas und schwenkte dann seinen Hut. Einer seiner Geschützführer drehte sich um, lachte ihm zu und fiel im selben Augenblick tot um. Auf der anderen Seite donnerte die Kugel in die Bordwand und tötete einen weiteren Seemann, obwohl er sich geduckt hatte.

«Feuer!»

Bolitho räusperte sich.»Es ist soweit, glaube ich. «Er blickte mit vom Rauch geröteten Augen zum lose herabhängenden Wimpel empor.»Fertig, Mr. Browne!»

Er hörte Herrick rufen:»Klar zum Anluven, Mr. Grubb! Mr. Spe-ke!«Er mußte sich Wolfes Sprachrohr holen, um sich in dem allgemeinen Lärm verständlich zu machen.»Wir werden gleich mit beiden Batterien schießen. Klar zum Öffnen der Steuerbord-Pfortendeckel!«Er wartete, bis sichergestellt war, daß seine Befehle auch ins untere Batteriedeck weitergegeben wurden, drehte sich dann zu Bolitho um und sagte:»Unsere Leute halten sich großartig, Sir!»

Bolitho nahm ihn am Arm.»Gehen Sie herum, Thomas. Wenn wir die feindliche Linie durchbrechen, werden uns ihre Scharfschützen in den Mastständen aufs Korn nehmen.»

Irgendwo im Qualm schrie ein Mann entsetzlich auf. Blut lief in einem endlosen Rinnsal in den Backbord-Wassergang.

Bolitho prüfte noch einmal die Entfernung. Es war Zeit. Etwas später, und die Franzosen konnten sie lahmschießen oder versuchen, sie voneinander zu trennen.

«Setzen Sie das Signal, Mr. Browne!»

Die einzelne Flagge stieg hoch und wehte an der Rah aus, so daß sie von allen erkannt werden konnte.

Browne wischte sich den Mund mit dem Handrücken. Sein Hut saß schief, und auf seinen weißen Kniehosen waren Blutflecken.

«Nahe dran, Sir!»

Bolitho schaute auf die Männer, die an den Brassen, Schoten und Halsen bereitstanden, und auf die Leute am doppelten Steuerrad, die schon in die Speichen gegriffen hatten und versuchten, sich trotz des Krachens und Donnerns der Kanonen auf Grubb zu konzentrieren.

Ein Seesoldat stürzte vom Großmast, fiel auf das Schutznetz und rollte von dort über die Bordwand ins Wasser. Ein Munitionsträger, der zu den Backbordgeschützen lief, drehte sich plötzlich wie ein Tänzer auf Zehenspitzen und fiel zuckend aufs Deck. Bevor Bolitho wegschaute, sah er noch, daß ihm die Augen aus dem Kopf geschossen worden waren.

«Jetzt!»

Wie straff gespannte Bögen schwangen die Rahen gleichzeitig herum, und als das Ruder in Hartlage gelegt wurde, sah Bolitho die französischen Schiffe plötzlich an Backbord über dem Vorsteven erscheinen. Dann, als die Rahen der Benbow fast in Längsrichtung des Schiffes angeholt waren, standen sie direkt vor dem Bug.

Mit Segeln, die aus Protest wild schlugen, hielt die Benbow ihren neuen Kurs. Ihr Klüverbaum zeigte direkt auf die vergoldete Galerie des französischen Flaggschiffs. Er konnte das plötzliche Erschrecken auf Hütte und Achterdeck des Gegners sehen. Hektisch gesetzte Flaggensignale erschienen über den Rauchschwaden und riefen offenbar nach Unterstützung.

«Setzen Sie das andere Signal für die Relentless.»

Bolitho verfolgte genau, wie sich das Deck unter den dichtgeholten Segeln nach Steuerbord neigte. Würden sie es schaffen, knapp hinter dem Heck des Flaggschiffs durchzubrechen und seine Hütte mit einer vollen Breitseite zu zerschmettern? Oder würde die Benbow sie mit ihrem Bugspriet wie mit einer Lanze aufspießen?

Von irgendwoher aus dem Pulverqualm hörte er weitere Hurrarufe, die das Stöhnen und Schreien der Verwundeten übertönten. Die Indo-mitable folgte achtern dichtauf, und ein ganzes Stück weiter weg machte die Nicator, mit der kleineren Odin von Kapitän Inch im Kielwasser, Anstalten, ebenfalls die feindliche Linie zu durchbrechen. Mit etwas Glück würde Kapitän Keen zwischen dem vierten und dem letzten Schiff des französischen Geschwaders durchstoßen. Wenn er das Schlußschiff abschneiden und ausschalten konnte, war ihm der große Transporter ausgeliefert.

«Öffnet die Pforten! Rennt die Steuerbordbatterie aus!

Quietschend rumpelten alle Kanonen gleichzeitig an die Stückpforten, als könnten sie es nicht erwarten, ihre bisherige Zuschauerrolle aufzugeben.

Herrick sagte durch die Zähne:»Vorsicht, Mr. Grubb. Sie können jetzt einen Strich abfallen. «Er schlug sich mit einer Faust in die andere Handfläche und rief:»Wir haben sie!»

Sie waren so nahe am feindlichen Flaggschiff, daß der Klüverbaum und die zerfetzten Vorsegel schwache Schatten auf dessen Heckfenster warfen.

Bolitho hörte Speke kommandieren:»Ziel auffassen! Fertig!»

Vorn auf der Back sah Bolitho die beiden Karronaden ihre häßlichen Mäuler vorstrecken. Die Karronade an der Steuerbordseite konnte kaum, vorbeischießen.

Musketenschüsse peitschten durch das Getöse, und Bolitho sah, daß die Hängematten in den Finknetzen hochgeschleudert wurden, als die französischen Scharfschützen sich einschossen. Die Seesoldaten in den Masten der Benbow feuerten zurück und zeigten sich gegenseitig Scharfschützen oder sonstige lohnende Ziele.

Der ungeheure Lärm des Geschützfeuers der verstreut kämpfenden Schiffe steigerte sich zu einem schrecklichen Crescendo. Bolitho sah die Steuerbordkarronade feuern, aber das Ergebnis der todbringenden Kartätschenladung war im Gischt und Pulverqualm nicht zu erkennen. Trotzdem jubelten und schrien die Männer der Benbow wie die Verrückten. Ihre Körper waren vom Rauch geschwärzt, doch Augäpfel und Zähne leuchteten, als sie sich wieder an ihre Kanonen warfen oder an die Brassen rannten, um die Rahen nach Wolfes Kommandos, die er vom Achterdeck durchs Sprachrohr brüllte, zu trimmen.

Bolitho wischte sich die brennenden Augen und spähte nach dem Heck des Franzosen, das nun Steuerbord voraus sichtbar wurde. Nur undeutlich konnte er den Namen erkennen: La Loire. Die schönen Goldbuchstaben waren von den Kartätschenkugeln zersplittert, die Heckfenster darüber ein einziger Trümmerhaufen.

Da hörte er, daß Browne ihm etwas zuschrie und wild gestikulierend auf die andere Seite zeigte.

Das dritte Schiff der französischen Linie, das Bolitho eigentlich von der Loire trennen wollte, hatte plötzlich eine Admiralsflagge im Vortopp gesetzt, und im selben Augenblick, als die Flagge auswehte, hatte es gedreht und war der Bewegung der Benbow gefolgt, als wären beide Schiffe miteinander verbunden.

Browne schrie, als könne er es selber nicht glauben:»Die Loire hat die Admiralsflagge runtergeholt!»

Bolitho drängte sich an ihm vorbei und fühlte, wie sich plötzlich Hoffnungslosigkeit als Dämpfer über die wilden Schlachtszenen legte. Der französische Admiral hatte vorzüglich geplant. Durch die List mit der falschen Flagge hatte er erreicht, daß nun das britische Geschwader und nicht sein eigenes versprengt war.

Herrick schwang seinen Säbel.»Auf sie, Jungs! Schießen Sie wieder nach Backbord, Mr. Speke!»

Die unerwartete Kursänderung des Feindes hatte die Nicator und die Odin derart verwirrt, daß sie einen Augenblick fast bewegungslos mit killenden Segeln dalagen, bevor sie sich bemühten, wieder eine Linie zu formieren.

Ropars' Schiff kam mächtig bei der Benbow auf, seine vorderen Geschütze feuerten in schneller Folge über einen immer kleineren Streifen Wasser. Für die verstörten Seeleute um Bolitho herum hatte es den Anschein, als fände jede Kugel ihr Ziel.

Niemand jubelte, als der Fockmast des falschen französischen Flaggschiffs in einer großen Wuling aus zerfetzter Leinwand, gebrochenen Spieren und losem Tauwerk über Bord fiel. La Loire war schwer mitgenommen, aber es sah ganz danach aus, als hätte ihr Opfer dazu gedient, die Schlacht in eine totale Niederlage für Bolithos Geschwader zu wenden.

Bei schlechter werdender Sicht, die durch Rauchschwaden zusätzlich beeinträchtigt wurde, torkelten die Schiffe wie trunken gegeneinander, während ihre Kanonen auf nächste Entfernung mitleidlos aufeinander einhämmerten. Ringsum ein Wald von Masten und flatternden Fahnen — es war ein Bild wie in der Hölle.

Herrick schien überall zu sein, anfeuernd, befehlend, Mut zusprechend und immer wieder neue Anstrengungen fordernd.

Der junge Sechste Offizier, Courtenay — jener, den Allday aus seinem Boot verdrängt hatte — , lag ausgestreckt auf dem Bauch, und seine Füße schlugen auf das Deck, als ein Seesoldat ihn zum Niedergang zog. Er war von einem französischen Scharfschützen getroffen worden, sein ganzer Unterkiefer war weggeschossen.

Browne rief: «Relentless greift den Transporter an, Sir!«Er senkte sein Glas.»Die beiden französischen Fregatten sind hinter ihr her.

Lookout bittet um Erlaubnis zum Eingreifen.»

«Abgelehnt!«Bolitho wischte sich über das Gesicht.»Wir können sie hier noch brauchen.»

Wozu? Um Überlebende aufzufischen? Oder um die Nachricht von einer vernichtenden Niederlage nach England zu bringen?

Er sagte:»Signal an alle: > Auf geeignete Positionen zur gegenseitigen Unterstützung gehen. Einen Gegner nach dem anderen angrei-fen

Flaggen schleiften über das Deck, als eine Kanonenkugel durch die Gruppe der eifrig tätigen Signalgasten fegte, doch trotz des Schrek-kens und der Schmerzensschreie stiegen die Signale ohne Verzögerung hoch bis unter die Rah. Bolitho war zwar sicher, daß sie kaum nötig waren. Seine Kommandanten wußten von selber, was in dieser Lage zu tun war, und würden ihr Bestes geben. Doch wenn die Flaggen über dem alles umhüllenden Pulverqualm auswehten, war das ein Zeichen, daß sie immer noch ein Verband waren, mit einem Kopf, der sie führte.

Bolitho sah traurig auf einen schluchzenden Matrosen, der an ihm vorbeihumpelte.

Herrick meldete: «Indomitable ist in Schwierigkeiten, Sir. Ihr Be-sanmast ging gerade über Bord.»

Grubb sagte:»Aye, aber die alte Nicator setzt mehr Segel, um ihr zu helfen.»

«Alle haben >verstanden< gezeigt, Sir. «Browne schaute auf die Blutflecken an seiner Hose, die er erst jetzt bemerkte.»Zum Teufel auch!»

Bolitho sah gebannt auf Ropars' Flaggschiff. Es war jetzt weniger als eine halbe Kabellänge entfernt, nahm Segel weg, und auf seiner Laufbrücke sammelten sich Bewaffnete, während die Steuerbordgeschütze mit verminderter Geschwindigkeit weiterfeuerten.

Herrick schrie:»Sie wollen uns entern, Sir!»

Bolitho blickte zu den schlaff hängenden Segeln der Benbow empor. Ropars' Kommandant war ein gewiefter Seemann. Er nahm ihnen den Wind aus den Segeln und damit jede Manövrierfähigkeit, bevor er zum endgültigen Knockout ausholte.

Wolfe brüllte:»Klar zur Abwehr von Enterkommandos!»

Über ihnen der scharfe Abschußknall einer Drehbasse, und dann ein Hagel von Kartätschenkugeln, der eine blutige Schneise durch die dicht gedrängt stehenden französischen Seeleute und Soldaten schlug.

Die gespannten Gesichter der sich duckenden Geschützbedienungen leuchteten plötzlich grellrot auf, und Sekunden später schüttelte eine gewaltige Explosion die ineinander verbissenen Schiffe wie Spielzeugboote im Sturm.

Rauchende Trümmerstücke fielen zischend rundherum vom Himmel. Bolitho wußte sofort, daß es die Loire war, auf der während des Gefechts unbemerkt Feuer ausgebrochen war. Jetzt war ihr Pulvermagazin explodiert.

Männer rannten mit Wassereimern achteraus, um — vom Bootsmann angetrieben — die auf ihr Schiff herabfallenden Funken und brennenden Holzteile zu löschen.

«VonIndomitable, Sir: >Bitte um Unterstützung

Bolitho blickte seinen Flaggleutnant an, sah aber nur Kapitän Ke-verne — den Kommandanten der Indomitable — vor sich. Er schüttelte den Kopf.»Geht nicht. Wir müssen zusammenbleiben.»

Browne beobachtete ihn neugierig und nickte dann seinem Signalgasten zu.

«Zeigen Sie >Verstanden

Die Indomitable wurde von den beiden Schiffen angegriffen, die am Ende des gegnerischen Geschwaders gestanden hatten. Behindert durch einen gebrochenen Mast und die über Bord hängende Takelage, fiel sie langsam zurück, während Nicator und Odin ihrem Flaggschiff hinterherjagten, mehr Segel s etzten und aus allen Rohren schossen.

Auch Ropars' Flaggschiff setzte eine Menge Signale, und Bolitho nahm an, daß die meisten davon für die beiden Fregatten und den Transporter bestimmt waren. Er wollte sicher alles tun, um zu verhindern, daß der Transporter schwer beschädigt wurde oder seine Ladung — seien es Truppen oder was auch immer — in die Hände des Feindes fiel.

Bolitho brüllte heiser:»Haltet durch, Jungs! Gleich geht's ums Ganze!«Er packte Herricks Arm.»Feuern Sie unsere Leute an, Thomas! Schicken Sie welche auf die Laufbrücke, als ob Sie den Feind entern wollten!»

Herrick starrte ihn an.»Ich werd's versuchen, Sir.»

Bolitho riß seinen goldverbrämten Hut herunter und schwenkte ihn über dem Kopf.»Ein Hurra, Leute!«Mit langen Schritten lief er die Backbordlaufbrücke entlang, über die glühendheißen Kanonen hinweg, vorbei an den zerfetzten Hängematten und Schutznetzen.»Hurra, Jungs! Zeigt ihnen, was wir noch draufhaben!»

Auch der Dümmste an Bord der Benbow hatte wohl erkannt, daß sie vom französischen Admiral ausgetrickst und ausmanövriert worden waren. Wenn sie jetzt den Kopf verloren, waren sie erledigt. Die Ben-bow würde in die Hände des Feindes fallen und eines Tages in einer französischen Schlachtlinie segeln.

Der Gedanke war zu schrecklich, um ihn auszuspinnen. Bolitho achtete weder auf Herricks Entsetzen noch auf Alldays besorgte Miene, mit der er ihm auf die ungeschützte Laufbrücke folgte.

Aber die Männer der Benbow reagierten. Obwohl weitere Treffer in die Bordwand einschlugen oder Teile der Takelage wie mit einer unsichtbaren Sichel abmähten, traten sie von ihren Kanonen zurück, riefen Hurra, umarmten einander und kletterten zu Bolitho auf die Laufbrücke hinauf.

Die verminderten Geschützbedienungen aber beeilten sich, neu zu laden, angetrieben durch Spekes ungebrochene Energie, der laut kommandierte:»Volle Breitseite! Fertig!»

Bolitho griff in die Netze und starrte auf das Wasser, das neben ihm hochspritzte. Es mußte bald zu Ende sein.

Das starre Lächeln auf seinen Zügen tat ihm beinahe weh; nur undeutlich und verzerrt hörte er die Stimmen der Matrosen um sich herum, die dem Feind Flüche und Beschimpfungen entgegenschrien: wie bedrängte Bluthunde, die nur noch töten wollten, und koste es ihr eigenes Leben.

«Breitseite: Feuer!»

Der Rückstoß der gemeinsam feuernden Batterie warf Bolitho beinahe um, und als er sich umschaute, meinte er auf einem einsamen Steg zu stehen, denn der Pulverqualm, der vom Batteriedeck und an der Bordwand aus allen Stückpforten hochgestiegen war, hatte das Schiff völlig eingehüllt.

Irgendwo schmetterte plötzlich eine Trompete mit dringlichem Ton, und Bolitho mochte seinen Augen kaum trauen, als er bemerkte, daß Ropars' Schiff abdrehte. Seine Besanstange war verschwunden, und aus ihren Geschützpforten und sonstigen Löchern in der Bordwand drang Rauch. Er sah auch Flammen und Leute, die mit Wassereimern herbeieilten, um das Feuer, ihren schlimmsten Feind, zu bekämpfen.

Allday schrie begeistert:»Die Frösche kneifen, Sir! Wir haben's ihnen gegeben!»

Männer jubelten trotz der Kugeln, die noch über ihre Köpfe hinwegpfiffen.

Bolitho registrierte das alles im Unterbewußtsein, aber die Wirklichkeit war stärker. Bald würde es zu dunkel sein, um den Feind zu verfolgen, wenn seine hart mitgenommenen Schiffe dazu überhaupt noch imstande waren. Ropars würde ebenfalls nicht in der Lage sein, sich erneut zu einem geordneten Kampf zu stellen. Ihm war bestimmt am meisten daran gelegen, so vollzählig wie möglich davonzukommen.

Pascoe kam eilig die Laufbrücke entlang. In seinem Gesicht standen noch die Spuren der Überanstrengung, irgendwie wirkte es wehrlos.

Bolitho wandte sich zu ihm um — und zuckte im selben Augenblick schmerzhaft zusammen. Irgend etwas war hart gegen seinen Oberschenkel geschlagen. Einen Augenblick glaubte er, jemand hätte ihn getreten oder ihn in der Begeisterung über ihren Sieg mit einer Muskete oder einem Spieß gestoßen. Als er dann aber den großen Blutfleck erblickte, der sich schnell über das ganze Bein ausbreitete, überfiel ihn gleichzeitig ein wilder Schmerz, als habe ihn glühend heißes Eisen gebrannt.

Bolitho konnte nicht mehr klar denken. Er hörte sich selber aufschreien, als sein Gesicht die Decksplanken berührte, und ihm war, als fiele er in grenzenlose Tiefen, obwohl sein Körper bewegungslos auf der Laufbrücke lag.

Dann meinte er, Herrick von weither schreien zu hören, und auch Allday, der seinen Namen rief. Pascoe war bei ihm, schaute auf ihn herab und strich ihm die Haare aus dem Gesicht, bevor ihn völlige Dunkelheit umfing und ihm zeitweises Vergessen bescherte.

Bolitho drehte den Kopf nach rechts und links, doch das einzige, was er wahrnahm, waren schreckliche Schreie, von denen er einen Augenblick glaubte, sie kämen aus seiner eigenen Kehle. Alles war dunkel, bis auf einige schwankende Lichtpunkte und verwischte Farben.

Eine Stimme sagte dringlich:»Er ist bei Bewußtsein. Helfen Sie mir, ihn hinüberzuheben.»

Irgend etwas Rotes verschwand über ihm, er erkannte es als Major Clintons Uniformrock. Er und einige seiner Leute mußten ihn unter Deck getragen haben. Kalter Schweiß lief ihm über die Brust. Nach unten getragen! Er war tief unten im Orlopdeck, und der Schrei kam von jemandem unter dem Messer des Chirurgen.

Er hörte Allday, seine Stimme war kaum zu erkennen, als er sagte:»Wir sollten ihn nach achtern bringen, Herr Major.»

Eine andere Stimme flehte in wahnsinniger Angst:»O nein, o nein! Bitte nicht!»

Bolitho fühlte, daß sein Kopf von einer hilfreichen Hand leicht angehoben wurde. Wasser tröpfelte zwischen seine Lippen, und während er zu schlucken versuchte, bemühten sich seine Augen, die halbe Finsternis des Orlopdecks zu durchdringen. Ein Bild wie in der Unterwelt: Männer, die gegen die soliden Planken der Benbow lehnten. Leblose Gestalten und andere, die sich in schrecklichen Schmerzen wanden.

Unter einer Traube von Laternen arbeitete Loveys, der Schiffsarzt, über den provisorischen Operationstisch gebeugt, seine Schürze blutbespritzt wie die eines Metzgers.

Der Mann, der geschrien hatte, lag ausgestreckt auf dem Tisch und hatte jetzt einen Lederknebel zwischen den zusammengepreßten Zähnen, wodurch das Schreien aufgehört hatte. Er war nackt und wurde von Loveys Gehilfen energisch festgehalten. Nur seine Augen rollten wie Murmeln, als er den Arzt flehentlich anstarrte.

Bolitho sah, daß der Arm des Mannes zerschmettert war. Eine feindliche Kugel oder ein großer Eisensplitter hatte ihn aufgeschlitzt.

Das Messer in Loveys Hand schimmerte, als er die Scheide einen Augenblick, der ihm wie eine Ewigkeit vorkam, über das weiße Fleisch oberhalb der Wunde hielt, wenige Zentimeter unterhalb der Schulter. Er nickte seinen Gesellen kurz zu, schnitt dann mit steinernem Gesicht hinein und einmal rundherum. Ein anderer Gehilfe reichte ihm eine Säge, und in wenigen Minuten war es geschafft, das abgetrennte Glied in einen bereitstehenden Eimer unter den kreisenden Laternen geworfen.

Jemand murmelte:»Gott sei Dank, er ist ohnmächtig geworden, der arme Kerl.»

Allday stand hinter Bolithos Kopf.»Lassen Sie sich von uns nach achtern tragen, Sir. Bitte, dies ist kein Ort für Sie!»

Bolitho mühte sich, den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Er wollte ihn trösten, ihm erklären, daß er hierbleiben müsse, und sei es nur, um Anteil an den Schmerzen der Männer ringsum zu nehmen,

Schmerzen, die er verursacht hatte. Doch er brachte keine Worte heraus, sah nur mit Schrecken, wie Tränen über Alldays Backen liefen.

Kaum hörbar brachte Bolitho hervor:»Wo ist Kapitän Herrick?»

Browne kniete neben ihm.»Er muß sich um das Geschwader kümmern, Sir. Er wird gleich wieder unten sein.»

Wieder? Obwohl so viel an Deck zu tun war? Da waren die Toten beizusetzen, Reparaturen auszuführen, bevor ein Sturm sie überfiel, und doch war Herrick schon einmal hier gewesen, um nach ihm zu sehen!

Loveys schaute auf ihn herab, sein strähniges Haar glänzte im Lampenschein.»Nun, Sir, lassen Sie mich mal sehen. «Er kniete nieder, sein Totenschädelgesicht zeigte kein Zeichen von Ermüdung oder Entsetzen. Eben hatte er den Arm eines Mannes amputiert, und Gott weiß wie viele davor. So schwach er aussah, schien er doch mehr Kraft zu besitzen als viele andere.

Bolitho schloß die Augen. Der Schmerz war schon so stark, daß er weder die tastenden Finger spürte noch das Messer, das seine Hose aufschlitzte.

Loveys sagte:»Eine Gewehrkugel, aber sie muß irgendwie abgelenkt worden sein. «Langsam stand er auf.»Ich werde tun, was ich kann, Sir.»

Browne flüsterte:»Ihr Neffe kommt, Sir. Soll ich ihn wegschik-ken?«»Nein.»

Selbst dieses Wort bereitete ihm Pein. Das war es also, was er immer befürchtet hatte. Diesmal war es keine Schramme, keine Kugel von weither, welche die Schulter nur angekratzt hatte. Dies hier saß tief im Schenkel. Sein Bein und sein Fuß brannten. Er versuchte, nicht an den Mann zu denken, den er gerade auf dem Tisch gesehen hatte.

«Lassen Sie ihn zu mir.»

Pascoe kniete neben ihm. Sein Gesicht wirkte sehr beherrscht, unbewegt wie eines der alten Porträts in Falmouth.

«Ich bin hier, Onkel. «Er nahm Bolithos Hand.»Wie geht's?»

Bolitho schaute zu den Decksbalken hoch. Oben schwiegen die Kanonen. Er sprach mühsam:»Es ging mir schon besser, Adam. «Er fühlte, daß Pascoes Griff fester wurde.»Ist beim Geschwader alles in Ordnung?»

Er sah, wie Pascoe sich bemü hte, einen Mann zu verdecken, der den

Eimer mit amputierten Gliedmaßen hinaustrug.

Pascoe nickte.»Du hast sie besiegt, Onkel. Hast es ihnen gezeigt!»

Bolitho versuchte, die Schmerzen zu unterdrücken und abzuschätzen, welchen Schaden er seinem Körper zugefügt hatte.

Loveys kam zurück.»Ich muß Sie ausziehen, Sir.»

Allday sagte:»Das mache ich!«Er konnte Bolitho kaum anschauen, als er sich ungeschickt mit dem Hemd und der aufgeschlitzten Hose abmühte.

Loveys sah geduldig zu.»Den Rest überlassen Sie besser meinen Sanitätsgasten. «Er winkte seinen Gehilfen.»Los, Leute!»

Gerade jetzt hätte Bolitho seinem Neffen gern vieles gesagt. Über seinen Vater, und was wirklich mit ihm geschehen war. Aber schon hoben ihn fremde Hände über ein paar leblose Gestalten hinweg. Sie hatten — vollgepumpt mit Rum und gegen Infektionen verbunden — immerhin eine Chance zu überleben. Plötzlich packten ihn Angst und Entsetzen.

Er rief:»Du sollst das Haus in Falmouth haben, Adam. Alles. Da ist ein Brief..»

Pascoe schaute verzweifelt Allday an.»O Gott, ich kann's kaum noch ertragen.»

Allday sagte gebrochen:»Er wird doch wieder gesund werden, oder?»

Seine Worte machten Pascoe hellwach. Wie schon oft war es der kräftige Bootssteurer, bei dem Pascoe sich Zuversicht holte.

Er packte Allday am Ärmel.»Ganz bestimmt!»

Bolitho lag auf dem Tisch und blickte in den schwingenden Lichtkreis der Laternen. Er hatte immer vorausgesetzt, daß es schnell gehen würde, wenn es ihn einmal traf. Heute rot, morgen tot. Aber nicht so etwas: ein nutzloser Krüppel, bemitleidet oder verlacht.

Loveys sagte ruhig:»Ich will Ihnen nichts vormachen, Sir. Sie sind in größter Gefahr, das Bein zu verlieren. Aber ich will mein Bestes tun. «Eine Hand steckte Bolitho einen Lederballen zwischen die Zähne. Er war mit Brandy getränkt.

Loveys sagte:»Beißen Sie kräftig zu, Sir.»

Bolitho fühlte Entsetzen in sich hochsteigen. Der Augenblick war da, an dem er vor all diesen unsichtbaren Zuschauern seine Angst zeigen würde.

Hände packten seine Arme und Beine wie Schraubstöcke. Er sah

Loveys rechte Schulter zurückweichen und sich dann plötzlich herabsenken, und in diesem Augenblick steigerte sich der Schmerz in seinem Schenkel, als wäre flüssiges Blei hineingegossen worden.

Er versuchte, den Kopf seitwärts zu drehen, aber Loveys Leute verstanden ihr Geschäft. Weiter und weiter ging es, sondierend und schneidend, mit kleinen Pausen, wenn das Schiff überholte, und der schreckliche Schmerz breitete sich immer weiter aus.

Durch den Schleier von Furcht und halber Bewußtlosigkeit hörte er eine Stimme rufen:»Halte durch, Dick! Es ist gleich vorbei!»

Der Zuruf des unbekannten Matrosen oder Soldaten gab Loveys die Sekunden, die er noch brauchte.

Mit einer letzten Drehung seines dünnen Handgelenks beförderte er die platte Musketenkugel aus dem geschwärzten Fleisch und ließ sie in eine Schale fallen.

Sein Sanitätsmaat murmelte:»Er ist ohnmächtig geworden, Sir.»

«Gut. «Loveys stach noch einmal und tiefer hinein.»Da ist noch ein Stück!«Er wartete, bis der Maat das Blut weggewischt hatte.»Haltet ihn jetzt fest.»

Herrick näherte sich langsam dem Tisch, und seine Leute traten beiseite, um ihn durchzulassen. Es war nicht richtig, Bolitho so zu sehen, nackt und hilflos. Aber im tiefsten Innern wußte er, daß Bolitho es nicht anders gewollt hätte. Er mußte erst den Kloß aus seiner Kehle wegräuspern, bevor er etwas sagen konnte.

«Ist es geschafft?»

Loveys Finger schnippten nach der nächsten Binde.»Aye, Sir. Für den Augenblick. «Er wies auf die Schale.»Die Kugel hat einen seiner Knöpfe getroffen und die Splitter mit einigen Stoffetzen tief ins Fleisch hineingetrieben. «Er begegnete Herricks besorgtem Blick.»Sie und ich stehen seit langem im Dienst des Königs, Sir, und wissen, was ihm passieren kann. Vielleicht werde ich es später bereuen, daß ich das Bein nicht gleich amputiert habe.»

Herrick sah, daß Bolitho sich bewegte und leise stöhnte, als ihm ein Mann den Knebel aus dem Mund nahm.

Er fragte:»Können wir ihn hinauftragen?»

Loveys wies seine Leute an:»In mein Krankenrevier. Einen längeren Weg können wir nicht riskieren.»

Als sie ihn in den dunklen Teil des Orlopdecks trugen, schien Loveys Bolitho aus seinen Gedanken zu streichen. Er wies auf einen

Mann, dessen Kopf dick eingewickelt war.»Jetzt der!«Dann fügte er, zu Herrick gewandt, hinzu:»Dieser Raum, diese Bedingungen hier sind alles, was mir zur Verfügung steht, Sir. Was erwartet die Admiralität da von mir?»

Herrick stellte sich hinter den Mann, der als nächster dran war. Zu Pascoe sagte er:»Sie täten mir einen Gefallen, wenn Sie bei ihm blieben. «Er wählte seine Worte mit Rücksicht auf Pascoes aufsteigende Angst sehr sorgsam, als er hinzufügte:»Wenn sich sein Befinden verschlechtert, möchte ich es sofort wissen. «Er sah Pascoe ernst an.»Und er wird wissen wollen, ob Sie bei ihm sind.»

Er machte auf dem Absatz kehrt und winkte Browne.»Kommen Sie. Wir wollen durch die Batteriedecks gehen und mit unseren Leuten sprechen. Sie haben es heute gut gemacht, der Himmel segne sie.»

Browne folgte ihm zum Niedergang, in die frische Luft der oberen Decks. Zu sich selber sagte er: >Und Sie auch, Captain Herrick. Ich weiß, was dieser Augenblick für Sie bedeutet<.

Als Herrick schließlich aufs Achterdeck zurückkam, waren die Ausbesserungsarbeiten noch im Gange. In den Masten und an Deck waren Männer dabei, unter Wolfes wachsamen Augen Taue zu spleißen und Hölzer als Ersatzstücke zurechtzuschneiden.

Spike, der die Wache übernommen hatte, tippte an seinen Hut und meldete: «Indomitable hat einen Behelfsmast anstelle ihres Besans aufgetakelt. Das Geschwader folgt Ihrem Kommando.»

Seltsam, dachte Herrick, er hatte noch keinen Augenblick über seine plötzliche Autorität nachgedacht und daß ihm nun die Verantwortung allein zugefallen war. Es schien ihm auch jetzt nicht von Bedeutung zu sein. Er biß die Zähne zusammen, als ein Mann aus dem unteren Batteriedeck mitleiderregend schrie. Dann nahm er sein Teleskop und richtete es auf die anderen Schiffe. Ihre Kiellinie war unregelmäßig, und die Segel bestanden fast mehr aus Löchern als aus Leinwand, aber Herrick wußte: wenn man ihnen etwas Zeit ließ, würden die Schiffe ihre Schäden ausbessern und alles wieder ins Lot bringen. Er mußte an die Menschen im Orlopdeck denken. Bei ihnen war es nicht so einfach.

Herrick wandte sich an Browne. Bald würde es zu dunkel sein, um noch Signale zu erkennen. Er hatte bereits befohlen, daß in bestmöglicher Formation Kurs Südost gesteuert werden sollte.

«Ich möchte Meldung über sämtliche Verluste und Beschädigungen haben, Mr. Browne. Mr. Speke wird Ihnen bei der Aufstellung helfen. Bei Tagesanbruch holen Sie die gleiche Meldung von allen Schiffen des Geschwaders ein. «Er schluckte und wandte sich ab.»Unser Ad-miral wird danach als erstes fragen, wenn er wieder auf den Beinen ist.»

Speke war ein phantasieloser Mann.»Wird er denn genesen, Sir?»

Herrick drehte sich brüsk zu ihm um und sagte mit sprühenden Augen:»Was sagen Sie da, Mann? Kümmern Sie sich gefälligst um Ihren Dienst!»

Als die beiden Leutnants davoneilten, trat Major Clinton aus dem Halbdunkel hervor und sagte:»Nehmen Sie's leicht, Sir. Er hat es nicht böse gemeint.»

Herrick nickte.»Sie haben wohl recht. «Dann ging er auf die Luvseite und begann, dort auf und ab zu marschieren.

Der alte Grubb schneuzte sich geräuschvoll und ging schwerfällig zum Major hinüber.»Mit allem Respekt: Lassen Sie ihn in Ruhe, Sir. Dies ist ein schwarzer Tag für den Käpt'n, seien Sie dessen sicher, und für viele andere auch.»

Clinton lächelte traurig und kletterte auf das Hüttendeck, wo einige seiner Leute am Nachmittag gefallen waren.

Er hatte viele erstaunliche Geschichten über das Gespann Bolitho und Herrick gehört. Daß sie offensichtlich auf Wahrheit beruhten, war noch erstaunlicher, dachte er.

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