Kap. 15

Hoch standen die Mauern um ihn, umschlossen ihn. Zwölf Fenster öffneten sich in mitternachtsblauem Stein den rastlosen, ewig klagenden Winden. Er fühlte eine Berührung und fuhr herum, vom Schrecken in seine natürliche Gestalt zurückgeworfen.

Der Erhabene stand vor ihm. Er hatte die zerschundenen Hände des Zauberers und das edle, von Alter und Weisheit geschliffene Gesicht des Harfners. Doch seine Augen waren weder die des Harfners noch die des Zauberers. Es waren die Augen des Falken, wild, offen, von beängstigender Kraft. Sie bannten Morgon zur Reglosigkeit. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er keinen Mut für Fragen; sein Mund war so trocken, daß er nicht sprechen konnte.

»Ich mußte Euch finden«, flüsterte er heiser in das unerschöpfliche Schweigen des Erhabenen hinein. »Ich muß begreifen.«

»Du begreifst noch immer nicht.«

Die Stimme klang von Winden umtost. Dann aber verschloß der Erhabene seine ehrfurchtgebietende Macht in seinem Inneren und wurde zum ruhigen, gelassenen Harfner, der Morgon vertraut war und dem er Fragen stellen konnte. Der Augenblick der Verwandlung lahmte von neuem Morgons Zunge; er löste ein Chaos widerstreitender Empfindungen aus. Morgon bemühte sich, sie in seine Gewalt zu bekommen. Doch als der Erhabene die Sterne an seiner Seite und in seinem Rücken unwiderruflich zum Leben erweckte, hob er die Hände und hielt die Arme des Harfners fest.

»Warum?«

Wieder legten ihn die Augen des Falken in Bann; er konnte den Blick nicht von ihm wenden. Als läse er die Erinnerungen in der Tiefe der dunklen Augen, sah er den Ablauf des geheimen, sich über Jahrtausende erstreckenden Kampfes, den der Erhabene bald mit den Erdherren, bald mit Ghisteslohm, bald mit ihm, Morgon selbst, ausgefochten hatte. Ein endloses Gespinst war er, aus Rätseln gewirkt. Manche Fäden waren so alt wie die Zeit, andere waren mit einem Schritt in die stille Kammer des Zauberers, mit dem Flug eines Schattens über das Antlitz des Sternenträgers gesponnen. Morgons Finger gruben sich tiefer, fühlten Knochen.

Ein Erdherr trat allein aus den Schatten eines grausamen, unbeendigten Krieges — hielt sich Tausende von Jahren verborgen, bald ein Blatt auf sattem, modrigem Waldboden, bald ein Lichtstrahl auf der Rinde einer Fichte. Tausend Jahre lang nahm er dann das Gesicht eines Zauberers an und wiederum tausend Jahre das stille, verschlossene Gesicht eines Harfners, der aus unergründlichen Augen auf die Mißgestalt der Macht blickte.

»Warum?« flüsterte Morgon wieder und sah sich selbst, wie er in Hed auf dem Pier saß und die Saiten einer Harfe zupfte, die er nicht spielen konnte. Und da fiel plötzlich der Schatten des Erhabenen über ihn. Der Meereswind oder die Hand des Erhabenen entblößten die Sterne an seinem Haaransatz. Der Harfner sah sie, eine Verheißung aus einer Vergangenheit, die so alt war, daß sie seinen Namen verschüttet hatte. Er konnte nicht sprechen; er wob sein Schweigen in Rätsel.

»Aber warum?« Tränen oder Schweiß brannten in seinen Augen. Er wischte die Nässe fort. Und wieder klammerten sich seine Hände um den Arm des Erhabenen, als wollte er ihn in dieser seiner Gestalt festhalten. »Ihr hättet Ghisteslohm mit einem Gedanken töten können. Statt dessen habt Ihr ihm gedient. Ihr! Ihr habt mich ihm ausgeliefert. Wart Ihr so lange sein Harfner, daß Ihr Euren eigenen Namen vergessen hattet?«

Der Erhabene bewegte sich endlich. Jetzt fühlte Morgon seine eigenen Arme in unerbittlicher Umklammerung gehalten.

»Denk nach! Du bist der Rätselmeister.«

»Ich habe nur den Kampf ausgetragen, zu dem Ihr mich herausgefordert habt. Aber ich wußte nicht, warum.«

»Denk nach! Ich fand dich in Hed, unschuldig, unwissend, deiner eigenen Bestimmung nicht gewahr. Du konntest nicht einmal Harfe spielen. Wen gab es in diesem Reich, der deine Augen der Macht hätte öffnen können?«

»Die Zauberer«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ihr hättet die Zerstörung von Lungold verhindern können. Ihr wart dort. Die Zauberer hätten in Freiheit überleben und mich auf meine Aufgabe, welcher Art auch immer sie sein mag, vorbereiten können.«

»Nein! Hätte ich damals meine Macht eingesetzt, diesen Kampf zu verhindern, so hätte ich viel zu früh den Kampf mit den Erdherren aufnehmen müssen. Ich wäre nicht bereit gewesen, und sie hätten mich vernichtet. Denk an ihre Gesichter! Führ sie dir vor Augen. Die Gesichter von Erdherren, die du im Erlenstern-Berg gesehen hast. Ich bin einer von ihnen. Die Kinder, die sie einst liebten, wurden unter dem Berg Isig eingemauert. Wie hättest du, in all deiner Unschuld und Arglosigkeit, sie verstehen können? Wie hättest du ihre Gier und ihre Gesetzlosigkeit begreifen können? Wen gab es im Reich, der dich dieses Verstehen hätte lehren können? Du wolltest die Möglichkeit der Wahl. Ich gab sie dir. Du hättest dir jene Gestalt der Macht zu eigen machen können, die du von Ghisteslohm lerntest — eine Macht ohne zügelnde Gesetze und ohne Liebe. Eine Macht der Zerstörung. Oder du hättest Finsternis in dich hineintrinken können, bis du ihr Wesen erkannt hättest und selbst zu Finsternis geworden wärst und dennoch mehr verlangt hättest. Als du dich aus Ghisteslohms Gewalt befreitest, warum jagtest du da mich und nicht ihn? Er nahm dir die Macht des Landrechts. Ich nahm dir dein Vertrauen und trat deine Liebe mit Füßen. Du verfolgtest den, der dir genommen hatte, was dir am teuersten war.«

Morgons Hände öffneten sich und ballten sich wieder zusammen. Sein Atem ging in keuchenden Stößen. Er hielt ihn an, ließ ihn sich soweit beruhigen, daß er eine letzte Frage stellen konnte.

»Was wollt Ihr von mir?«

»Morgon, denk nach!« Die gleichmäßige, vertraute Stimme war sehr sanft, beinahe unhörbar. »Du kannst das wilde Herz von Osterland werden, und du kannst Wind werden. Du hast meinen Sohn gesehen, tot und eingemauert im Berg Isig. Du nahmst aus seiner Hand die Sterne deiner eigenen Bestimmung entgegen. Und in all deiner Macht und deinem Zorn fandest du deinen Weg hierher, um mir meinen Namen zu geben. Du bist mein Landerbe.«

Morgon war wie vom Donner gerührt. Er umklammerte den Erhabenen, als wäre der Boden des Turms unter ihm plötzlich eingebrochen. Wie aus weiter Ferne hörte er seine eigene Stimme, die dünn und tonlos klang.

»Euer Erbe.«

»Du bist der Sternenträger, der Erbe, dessen Kommen die Toten von Isig voraussahen, auf den ich Jahrhunderte wider alle Hoffnung gewartet habe. Wo, glaubst du, hatte die Macht, die du über das Landrecht besitzt, ihren Ursprung?«

»Ich habe nicht — ich habe nicht nachgedacht.« Seine Stimme hatte sich zu einem Flüstern gesenkt. Plötzlich mußte er an Hed denken. »Ihr gebt mir — Ihr gebt mir Hed zurück.«

»Ich gebe dir das ganze Reich an dem Tag, an dem ich sterbe. Mir scheint, du liebst es, selbst die Geister seiner Toten und die dickschädligen Bauern und eisigen Winde —«

Er brach ab, als Morgon aufschluchzte. Tränen strömten Morgon aus den Augen, während Rätsel sich Faden um schimmernden Faden entwirrten. Die Umklammerung seiner Hände lockerte sich. Er sank dem Erhabenen zu Füßen und kauerte dort, den Kopf gesenkt, die von Narben gezeichneten Hände auf die Brust gedrückt. Er konnte nicht sprechen; er wußte nicht, welche Sprache von Licht und Dunkel der Falke, der sein Leben so erbarmungslos gestaltet hatte, hören würde. Wieder dachte er an Hed; es schien dort zu sein, wo sein Herz war — direkt unter seinen Händen.

Dann kniete der Erhabene vor ihm nieder und umschloß sein Gesicht mit beiden Händen. Die Augen waren die des Harfners, nachtdunkel, aber nicht mehr still und verschlossen, sondern voller Schmerz.

»Morgon«, flüsterte er. »Ich wünschte, du wärst nicht einer gewesen, den ich so innig liebte.«

Er legte seine Arme um Morgon und hielt ihn so fest, wie der Falke ihn gehalten hatte. Er umgab Morgon mit seiner Stille, bis Morgon das Gefühl hatte, daß der Turm und der gestirnte Himmel nicht aus Blut und Stein und Luft geschaffen waren, sondern aus der Stille und dem Schweigen des Harfners. Er weinte noch immer lautlos, wagte nicht, den Harfner anzurühren, aus Angst, er könnte wiederum die Gestalt wechseln. Etwas Schweres, Drückendes wie tiefer Kummer stieg in seiner Brust auf und quoll in seine Kehle, aber es war nicht Kummer.

»Was geschah mit Eurem Sohn?« fragte er den Erhabenen in dem Bewußtsein, seinen Schmerz wenigstens verstehen zu können.

»Er wurde im Krieg vernichtet. Die Macht wurde ihm entrissen. Er konnte nicht mehr leben. Er gab dir das gestirnte Schwert.«

»Und Ihr — Ihr wart seitdem allein. Ohne Erben. Besaßt nichts als eine Verheißung.«

»Ja. Ich habe Jahrtausende im verborgenen gelebt und hatte keine andere Hoffnung als eine Verheißung. Den Traum eines toten Kindes. Und dann kamst du. Morgon, ich habe alles getan, was ich tun mußte, um dich am Leben zu erhalten. Alles! Du warst meine einzige Hoffnung.«

»Ihr gabt mir selbst die Einöden. Ich liebte sie. Und die Nebel von Heran, die Vesta, das Hinterland. Ich bekam Angst, als mir bewußt wurde, wie sehr ich das alles liebe. Zu jedem Ding und jedem Wesen fühlte ich mich hingezogen, und ich kam nicht an gegen mein Verlangen —« Der Schmerz durchbohrte seine Brust wie eine Klinge. Er holte keuchend Atem. »Alles, was ich von Euch wollte, war die Wahrheit. Ich wußte nicht — ich wußte nicht, daß Ihr mir alles geben würdet, was ich je geliebt habe.«

Er konnte nicht mehr sprechen. Schluchzen schüttelte ihn, bis er nicht mehr wußte, ob er seine eigene Gestalt aushaken konnte. Doch der Erhabene hielt ihn in ihr fest, beschwichtigte ihn mit seinen Händen und mit seiner Stimme, bis Morgon ruhig wurde. Er konnte noch immer nicht sprechen; er lauschte den Winden, die wispernd um den Turm tanzten, dem gelegentlichen Klatschen von Regen und Steinen. Sein Gesicht lag an der Schulter des Erhabenen. Er war ruhig, rastete in der Stille des Erhabenen.

Als er später wieder sprach, war seine Stimme heiser und müde, aber auch ruhiger.

»Ich habe es nie geahnt. Ihr habt mich nie so weit über meinen Zorn hinausblicken lassen.«

»Ich wagte es nicht, dich zuviel sehen zu lassen. Dein Leben war in so großer Gefahr, und du warst mir so kostbar. Ich hielt dich mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung standen, am Leben, bediente mich dazu meiner selbst, deines Unwissens, selbst deines Hasses. Ich wußte nicht, ob du mir je würdest vergeben können, doch alle Hoffnungen des Reiches ruhten in dir, und ich brauchte dich mächtig, verwirrt, immer auf der Suche nach mir.«

»Ich — ich sagte zu Rendel, wenn ich aus der Einöde käme, um mit Euch einen Rätselkampf auszutragen, dann würde ich verlieren.«

»Nein. In Herun hast du die Wahrheit aus mir herausgelockt. Da verlor ich gegen dich. Ich konnte alles von dir ertragen, nur nicht dein Zartgefühl.« Seine Hand strich über Morgons Haar und senkte sich, ihn wieder festzuhalten. »Du und die Morgol, ihr habt verhindert, daß mein Herz sich in Stein verwandelte. Ich war gezwungen, alles, was ich ihr je gesagt hatte, zur Lüge werden zu lassen. Und du hast es in Wahrheit zurückverwandelt. So hochherzig warst du einem gegenüber, den du haßtest.«

»Alles, was ich begehrte, selbst wenn ich Euch am tiefsten haßte, war irgendeine armselige, kahle, ausgedörrte Entschuldigung, Euch lieben zu können. Aber Ihr habt mir nur Rätsel gegeben... Als ich glaubte, Ghisteslohm hätte Euch getötet, trauerte ich, ohne zu wissen, warum. Als ich in den nördlichen Einöden war und zum Gesang der Winde auf meiner Harfe spielte, zu müde selbst, um zu denken, da habt Ihr mich durch Eure Anziehungskraft wieder zurückgeholt. Ihr gabt mir einen Grund zu leben.«

Seine Hände hatten sich langsam geöffnet. Er hob die eine beinahe zaghaft zur Schulter des Erhabenen und neigte sich ein wenig rückwärts. Etwas von seiner eigenen tiefen Ermattung zeigte sich in den Augen des Erhabenen und auch die unerschöpfliche, schreckliche Geduld, die ihn so lange allein und unerkannt am Leben erhalten hatte, während er in der Welt der Menschen von jenen seiner eigenen Art unerbittlich gejagt worden war.

Morgon senkte wieder den Kopf.

»Ich wollte Euch sogar töten.«

Die Finger des Harfners berührten seine Wange, strichen ihm das Haar aus den Augen.

»Du hättest nicht auf wirksamere Art verhindern können, daß meine Feinde mir auf die Spur kamen. Aber wenn du an jenem Tag in Anuin nicht innegehalten hättest, dann weiß ich nicht, was ich getan hätte. Hätte ich meine Geisteskräfte eingesetzt, dich daran zu hindern, so hätte danach keiner von uns beiden mehr lange gelebt. Hätte ich aus der Verzweiflung heraus, daß wir uns beide in eine so ausweglose Lage hineinmanövriert hatten, zugelassen, daß du mich tötest, so hätte die Macht, die in dich übergegangen wäre, dich vernichtet. Deshalb gab ich dir ein Rätsel, in der Hoffnung, daß es dich zum Nachdenken veranlassen würde.«

»So gut kanntet Ihr mich«, flüsterte Morgon.

»Nein. Du hast mich immer von neuem überrascht — von Anfang an. Ich bin so alt wie die Steine dieser Ebene. Die prächtigen Städte, die die Erdherren erbauten, wurden von einem Krieg zerstört, den kein Mensch hätte überleben können. Dieser Krieg wurde aus einer Art Unschuld geboren. Wir besaßen unermeßliche Macht, und doch verstanden wir nicht das Wesen und die Bedeutung der Macht. Das war der Grund, weshalb mir soviel daran lag, daß du Ghisteslohm verstandest, selbst wenn du mich dafür haßtest. Du solltest erkennen, weshalb er sich selbst zerstören mußte.

Wir führten einst ein so friedvolles Leben in diesen wunderbaren Städten. Sie waren jedem Wechsel des Windes offen.

Unsere Gesichter wandelten sich mit jeder Jahreszeit. Wir zogen Wissen aus allen Dingen: aus der Stille und Einsamkeit des Hinterlandes ebenso wie aus den tosenden Schneestürmen, die über die nördlichen Einöden hinwegfegten. Erst als es zu spät war, erkannten wir, daß die Kräfte, die in jedem Stein, in jedem Wassertropfen wohnen, sowohl Leben bringen können als auch Zerstörung.«

Er schwieg einen Moment lang, sah Morgon nicht, während er von einer alten Bitterkeit kostete.

»Die Frau, die du als Eriel kennst, war die erste, die anfing, Macht zu horten. Und ich war der erste, der das Gesicht der Macht erkannte. Deshalb traf ich eine Entscheidung. Ich fing an, alle Wesen und Dinge der Erde durch ihre eigenen Gesetze an mich zu binden, und gestattete nichts und niemandem, diese Ordnung zu stören. Doch ich mußte kämpfen, um das Landrecht behalten zu können, und da lernten wir, was Krieg ist. Das Reich, so, wie du es kennst, hätte der Gewalt jener Schlachten keine zwei Tage standgehalten. Wir machten unsere eigenen Städte dem Erdboden gleich. Wir vernichteten einander. Wir vernichteten unsere Kinder, entrissen selbst ihnen die Macht. Ich hatte bereits gelernt, die Winde zu beherrschen, und das war das einzige, was mich rettete. Es gelang mir, die Kräfte der letzten Erdherren zu fesseln, so daß sie kaum andere Kräfte gebrauchen konnten als jene, die ihnen von Geburt an mitgegeben waren. Ich trieb sie ins Meer, während die Erde langsam wieder gesundete. Dann begrub ich unsere Kinder. Die Erdherren stiegen schließlich wieder aus dem Meer empor, doch sie konnten sich nicht aus meinem Bann befreien. Und sie konnten mich nicht finden, weil die Winde mich verbargen, immer.

Aber ich bin sehr alt. Viel länger kann ich sie nicht mehr gefesselt halten. Das wissen sie. Ich war schon alt, als ich ein Zauberer namens Yrth wurde, um die Harfe und das Schwert fertigen zu können, die mein Erbe einmal brauchen würde. Ghisteslohm holte sich sein Wissen vom Sternenträger bei den Toten von Isig, und er wurde zu einem weiteren Feind, den die Verheißung ungeheurer Macht lockte. Er glaubte, wenn er den Sternenträger unter seine Gewalt bekommen könnte, dann könnte er die Macht, die der Sternenträger erben sollte, in sich aufnehmen und nicht nur dem Namen nach zum Erhabenen werden. Er wäre daran zugrunde gegangen, aber ich machte mir nicht die Mühe, ihm das zu erklären. Als ich erkannte, daß er auf dich wartete, hielt ich ihn unter ständiger Beobachtung — in Lungold zuerst und später im Erlenstern-Berg. Ich nahm die Gestalt eines Harfners an, der bei der Zerstörung umgekommen war, und trat in seinen Dienst. Er sollte dir nichts anhaben können. Als ich dich endlich fand, dort auf dem Pier in Tol, ohne eine Ahnung deiner Bestimmung, zufrieden damit, über Hed zu herrschen, eine Harfe in den Händen, auf der du kaum spielen konntest, und unter deinem Bett die Krone der Könige von Aum, erkannte ich, daß das letzte, was ich nach diesen endlosen Jahrhunderten der Einsamkeit erwartete, ein Mensch war, der Liebe in mir wecken würde.« Wieder schwieg er. Durch den Schleier seiner Tränen hindurch sah Morgon sein Gesicht nur als ein bleiches, silbern schimmerndes Oval. »Hed«, sagte er dann. »Kein Wunder, daß dieses Land den Sternenträger hervorbrachte, einen Fürsten von Hed mit liebendem Herzen, Herrscher über unwissende, starrköpfige Bauern, die an nichts glaubten als an den Erhabenen.«

»Ich bin auch jetzt nicht viel mehr als ein unwissender, starrköpfiger Bauer. Habe ich uns beide vernichtet, indem ich hierher kam, Euch zu finden?«

»Nein. Dies ist der einzige Ort, wo keiner uns sucht. Aber uns bleibt wenig Zeit. Du hast Ymris überquert, ohne an sein Landrecht zu rühren.«

Morgon senkte die Hände.

»Ich wagte es nicht«, antwortete er. »Und das einzige, woran ich denken konnte, wart Ihr. Ich mußte Euch finden, ehe die Erdherren mich fanden.«

»Ich weiß. Ich ließ dich in gefährlicher Situation zurück. Aber du hast mich gefunden, und in mir ist das Landrecht von Ymris geborgen. Du wirst das Wissen und seine Gesetze brauchen. Ymris ist ein Sitz großer Macht. Nimm das Wissen aus meinem Geist. Hab keine Angst«, fügte er hinzu, als er Morgons Gesicht sah. »Ich werde dir nur dieses Wissen geben; nichts, was du noch nicht ertragen kannst. Setz dich.«

Langsam ließ sich Morgon auf den Steinboden gleiten. Es hatte wieder zu regnen begonnen. Der Wind blies die Nässe durch die Öffnungen in der Turmkammer, doch Morgon war nicht kalt.

Das Gesicht des Harfners wandelte sich; der Ausdruck grüblerischer Unruhe wich einem zeitlosen Frieden, während er sein Reich betrachtete. Morgon sah ihn an und trank gierig von diesem Frieden, bis er eingehüllt war in seine Stille und der Geist des Erhabenen sein Herz zu berühren schien. Er hörte wieder die tiefe, nachtdunkle Stimme, die Stimme des Falken.

»Ymris. Hier, auf der Ebene der Winde, wurde ich geboren. Horch auf seine Kräfte, die sich unter dem Rauschen des Regens, unter den Schreien der Toten regen. Es ist wie du, wild und voller Liebe. Sei still und hör dem Land zu.«

Er wurde so still, daß er hörte, wie sich das Gras unter der Last des Regens bog, daß er die vergangenen Namen aus frühen Jahrhunderten hörte, die hier gesprochen worden waren. Und dann wurde er zu dem Gras.

Langsam stieg er aus Ymris empor. Dröhnend hämmerte sein Herz unter dem Eindruck seiner langen und blutigen Geschichte, und sein Körper kannte seine grünen Felder, wilden Felsküsten, geheimnisvollen Wälder. Er fühlte sich so alt wie der erste Stein, der aus dem Erlenstern-Berg herausgehauen worden war, um auf dieser Erde zu liegen, und er wußte weit mehr, als er je hatte wissen wollen, von den schrecklichen Verheerungen, die der kürzliche Krieg in Ruhn angerichtet hatte. Er spürte eine große, brachliegende Macht in Ymris, vor der er zurückgeschreckt war wie vor einem weiten Meer oder mächtigen Berg, die sein Geist nicht aufnehmen konnte. Doch es barg auch friedliche Ruhe in sich, dieses Land — einen stillen, geheimnisvollen See, in dem sich vieles spiegelte; Wälder, in denen völlig schwarze Tiere lebten, die so scheu waren, daß sie starben, wenn das Auge eines Menschen auf sie fiel; seltsame Steine, die einst gesprochen hatten; weite Eichenwälder an den westlichen Grenzen, deren Bäume sich der ersten Menschen erinnerten, die nach Ymris gekommen waren. Und diese Bilder waren ihm teuer.

Der Erhabene hatte ihm aus seinem Geist nicht mehr gegeben als die Erkenntnis des Landes Ymris; die gewaltigen Kräfte, die er in den Augen des Falken erblickt und gefürchtet hatte, waren noch immer gefesselt.

Es war der Morgen irgendeines Tages, und Rendel war an seiner Seite. Er war überrascht.

»Wie bist du hier heraufgekommen?«

»Ich bin geflogen.«

Die Antwort war so einfach, daß sie ihm einen Moment lang nichts sagte.

»Ich auch.«

»Du bist die Stufen hinaufgestiegen. Ich bin auf die Spitze geflogen.«

Sein Gesicht zeigte solche Entgeisterung, daß sie lächelte.

»Morgon, der Erhabene gestattete mir, hereinzukommen. Sonst wäre ich die ganze Nacht krächzend um den Turm herumgeflattert.«

Er nickte nur und nahm ihre Hand in die seine. Er spürte, daß sie sehr müde war, und ihr Lächeln erlosch rasch. Etwas Beunruhigendes blieb in ihren Augen zurück.

Der Erhabene stand an einem der Fenster. Im blauschwarzen Stein schimmerte der Widerschein des ersten Lichts. Vor dem grauen Himmel wirkte das Gesicht des Harfners abgespannt. Die Haut spannte sich straff und farblos über seine Knochen. Doch die Augen waren die Yrths, lichterfüllt, voller Geheimnis. Lange betrachtete Morgon ihn, ohne sich zu regen, noch immer eingehüllt in seinen Frieden, bis das vertraute Gesicht mit dem schwachen Silberlicht des Morgens zu verschmelzen schien.

Der Erhabene drehte sich schließlich um und sah ihn an. Ohne ein Wort oder eine Bewegung holte er Morgon einfach mit seinem stummen Wunsch zu sich. Morgon ließ Rendels Hand los und stand steifgliedrig auf. Er durchquerte das Gemach. Der Erhabene legte eine Hand auf seine Schulter.

»Ich konnte nicht alles aufnehmen«, sagte Morgon.

»Morgon, die brachliegenden Kräfte, die du gespürt hast, stecken in den Toten der Erdherren; in jenen, die, an meiner Seite kämpfend, auf der Ebene fielen. Diese Kräfte werden da sein, wenn du sie brauchst.«

Tief unter der Hülle des Friedens erhob sich etwas in Morgon bei den Worten des Erhabenen und nahm Witterung auf wie ein blinder Jagdhund.

»Und die Harfe und das Schwert?« Er sprach ruhig. »Ich verstehe kaum die Kraft, die in ihnen steckt.«

»Sie wird sich dir von selbst entdecken. Schau!«

Unter tiefhängenden, schweren Wolken zog sich ein weißer Nebel von Vesta über die Ebene. Ungläubig starrte Morgon hinunter, lehnte dann sein Gesicht an den kühlen Stein.

»Wann sind sie eingetroffen?«

»Gestern abend.«

»Wo ist Astrins Heer?«

»Ein Teil davon wurde zwischen Tor und Umber eingeschlossen, aber die Vorhut kam durch und machte den Weg frei für die Vesta und die Wache der Morgol und die Bergleute Danans. Sie kommen hinter den Vesta.« Er las Morgons Gedanken, und seine Hand verkrampfte sich ein wenig. »Ich habe sie nicht herkommen lassen, damit sie kämpfen.«

»Warum dann?« flüsterte Morgon.

»Du wirst sie brauchen. Du und ich, wir müssen diesem Krieg ein schnelles Ende bereiten. Dazu wurdest du geboren.«

»Wie?«

Der Erhabene schwieg. Hinter seinem stillen, nach innen gekehrten Blick witterte Morgon eine tiefe Müdigkeit und eine unerschöpfliche Langmut, die ihm vertrauter war; die Langmut des Harfners, der wartete, bis Morgon verstand.

Schließlich sagte der Erhabene sehr behutsam: »Der Fürst von Hed und seine Bauern haben sich an der Südgrenze mit Mathoms Heer vereinigt. Wenn du sie am Leben erhalten willst, dann wirst du einen Weg finden.«

Morgon wirbelte herum, rannte durch die Kammer, lehnte sich zu einem Südfenster hinaus, als könnte er durch das Ästegewirr kahler Eichen hindurch eine wild entschlossene Truppe von Bauern mit Rechen, Hacken und Sensen sehen. Ein Schmerz wallte in seinem Herzen auf, der ihm Tränen in die Augen trieb.

»Er hat Hed verlassen. Eliard hat seine Bauern zu Kriegern gemacht und hat Hed verlassen. Was ist das? Das Ende der Welt?«

»Er kam, um für dich zu kämpfen. Und für sein Land.«

»Nein.« Er drehte sich um, die Hände geballt, aber nicht in Zorn. »Er kam, weil Ihr es wolltet. Deshalb ist die Morgol gekommen, deshalb ist Har gekommen. Ihr habt sie hierher gezogen, so wie Ihr mich immer wieder an Euch zieht mit einem Geheimnis, das Euch umgibt wie ein Windhauch. Was ist es? Was verschweigt Ihr mir?«

»Ich habe dir meinen Namen gegeben.«

Morgon schwieg. Es begann sachte zu schneien, in schweren, vom Wind getriebenen Flocken. Sie setzten sich auf seine Hände, brannten, ehe sie sich auflösten. Er schauderte plötzlich und merkte, daß nichts mehr in ihm danach verlangte, Fragen zu stellen.

Rendel hatte sich von ihnen beiden abgewandt. Sie wirkte seltsam isoliert in der Mitte des kleinen Raums. Morgon ging zu ihr. Sie hob den Kopf, als er kam, doch ihr Gesicht wandte sich von ihm ab dem Erhabenen zu.

Er kam zu ihr, als hätte sie ihn auf die gleiche Art angezogen, wie er Morgon anzog. Er strich ihr eine vom Wind zerzauste Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Rendel, es ist Zeit, daß Ihr fortgeht.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein.« Ihre Stimme war sehr ruhig. »Ich bin zur Hälfte eine Tochter der Erdherren. Ihr sollt wenigstens eine Eurer Art im Kampf an der Seite haben. Ich werde Euch und Morgon nicht verlassen.«

»Ihr steht im Auge der Gefahr.«

»Es war meine eigene Entscheidung, hierher zu kommen. Um bei denen zu sein, die ich liebe.«

Er war stumm. Einen Moment lang war er nur der Harfner, ein in sich gekehrter, einsamer Mann.

»Euch«, sagte er leise, »habe ich nie erwartet. So mächtig, so schön, so voller Liebe. Ihr seid wie eines unserer Kinder, die vor unserem Krieg in die Macht hineinwuchsen.« Er hob ihre Hand und küßte sie, öffnete sie dann, um die kleine Narbe in ihrer Handfläche zu enthüllen. »Es gibt zwölf Winde«, sagte er zu Morgon. »Gefesselt, gelenkt sind sie genauere und schrecklichere Waffen als jede andere im ganzen Reich. Ungefesselt könnten sie das Reich zerstören. Sie sind außerdem meine Augen und Ohren, denn sie kennen alle Dinge, hören alle Worte und Bewegungen, und sie sind überall. Dieser blitzende Stein, den Rendel in ihrer Hand hielt, war von den Winden geschliffen. Ich tat das eines Tages, als ich mit ihnen spielte, lange ehe ich sie in unserem Krieg einsetzte. Die Erinnerung daran spiegelte sich in dem Stein.«

»Warum sagt ihr mir das?« Seine Stimme schwankte ein wenig. »Ich kann die Winde nicht beherrschen.«

»Nein. Noch nicht. Es soll dich nicht kümmern.« Er legte seinen Arm um Morgons Schultern und zog ihn in seine Stille hinein. »Horch! In dieser Kammer kannst du die Stimmen aller Winde des Reiches hören. Lausche meinem Geist.«

Morgon öffnete seinen Geist der Stille des Erhabenen. Das unbestimmte, abgerissene Murmeln außerhalb der Mauern wurde durch den Geist des Erhabenen gefiltert, in all die reinen, schönen Töne seiner gestirnten Harfe gebrochen. Die Klänge erfüllten Morgons Herz mit sanften, milden Sommerwinden und mit den brausenden, wilden Winden, die er liebte. Der volle, satte Rhythmus war im Einklang mit dem Pulsen seines Bluts. Erwünschte, er könnte die Harfenklänge und den Harfper für immer in diesem Augenblick festhalten.

Die Harfenklänge verstummten. Er konnte nicht sprechen. Er wünschte, der Erhabene würde sich nicht rühren. Doch der Arm auf seiner Schulter hob sich. Der Erhabene sah ihn an.

»Jetzt«, sagte er, »müssen wir uns zur Schlacht rüsten. Ich möchte, daß du Heureu Ymris findest. Diesmal warne ich dich: Wenn du seinen Geist anrührst, schnappt eine Falle zu, die dir gestellt wurde. Die Erdherren werden dann wissen, wo du bist und daß der Erhabene bei dir ist. Du wirst wieder Krieg auf der Ebene der Winde entfachen. Sie besitzen kaum eigene geistige Kräfte — die halte ich gefesselt; aber sie beherrschen Ghisteslohms Geist, und es kann sein, daß sie sich seiner Zauberkräfte bedienen, um dir etwas anzutun. Ich werde jeden Bann, den er legt, brechen.«

Morgon drehte den Kopf und sah Rendel an; ihre Augen sagten ihm, was er schon wußte — daß nichts, was er sagen oder tun würde, sie veranlassen konnte, ihn und den Erhabenen zu verlassen. In stummem Einverständnis, das ihr und dem Erhabenen galt, neigte er den Kopf. Dann ließ er seinen Geist aus der Stille hinausfliegen und hinuntersteigen in die feuchte Erde auf der Ebene. Er berührte einen Grashalm und nahm ihn von den feinen Haarwurzeln bis zu seiner Spitze in sich auf. Und da er, ein winziger Bestandteil des Landrechts von Ymris, auch in Heureus Geist verwurzelt war, wurde er Morgons Verbindung mit dem König von Ymris.

Er spürte einen unaufhörlich nagenden Schmerz, einen Aufruhr ohnmächtigen Zorns und wütender Verzweiflung. Er hörte das ferne, hohltönende Branden des Meeres. Er hatte jeden Fels und Stein entlang der ganzen Küste gelernt, und er erkannte die Stelle an der Küste von Meremont. Er roch feuchtes Holz und nasse Asche. Der König lag in einer halb abgebrannten Fischerhütte am Strand, nicht mehr als ein oder zwei Meilen von der Ebene der Winde entfernt.

Morgon wollte aufblicken und sprechen. Da flutete die See über ihn hinweg und überschwemmte alle seine Gedanken. Durch einen langen, finsteren Gang schien er direkt in Ghisteslohms fremdartige, goldgesprenkelte Augen zu blicken.

Er spürte den Blitz verwunderten Erkennens, der in dem gefesselten Geist emporzuckte. Dann packte ihn ein fremder Geist, und die Augen des Zauberers stachen brennend in ihn hinein, um ihn auszuleuchten. Die Fesseln, die sich um seinen Geist gelegt hatten, wurden zerrissen. Morgon taumelte. Der Erhabene umfaßte seine Schulter und hielt ihn fest. Er wollte etwas sagen, doch die Falkenaugen ließen ihn nicht.

Er wartete, während sein Herz wie rasend klopfte. Rendel, wartend wie er selbst, schien wieder fern und unzugänglich, als gehörte sie einem anderen Teil der Welt an. Ihn verlangte verzweifelt danach, zu sprechen, das Schweigen zu brechen, das sie alle in Reglosigkeit gefangenhielt, als wären sie aus Stein. Doch er schien gebannt, ohnmächtig, dem Willen des Erhabenen ausgeliefert.

Bewegung ließ die Luft erzittern; dann noch eine Bewegung. Die dunkle Frau von exquisiter Schönheit, die Morgon als Eriel kannte, die Tochter der Erdherren, stand vor ihnen. Und neben ihr stand Ghisteslohm.

Staunen und Ehrfurcht spiegelten sich in den Augen der Frau, als sie den Harfner erkannte. Der Zauberer, der dem Erhabenen, den er so lange gesucht hatte, endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, hätte beinahe den Bann zerbrochen, der seinen Geist gefangenhielt. Ein feines Lächeln blitzte in den Falkenaugen auf, eisig wie das Herz der nördlichen Einöden.

»Selbst der Tod, Meister Ohm, ist ein Rätsel«, sagte er.

Schwarze Wut verfinsterte Ghisteslohms Augen. Eine gewaltige Kraft schleuderte Morgon quer durch die Turmkammer. Er schlug gegen die dunkle Wand; sie gab unter dem Aufprall seines Körpers nach, und er stürzte in einen phosphoreszierenden, schwarzblauen Nebel des Trugs. Er hörte Rendel schreien, und dann sah er eine Krähe auffliegen. Er versuchte, sie zu fassen zu bekommen, doch sie flatterte ihm aus den Händen. Ein fremder Geist umklammerte den seinen. Augenblicklich wurden die Fesseln zerrissen. Ein Kraftstoß, den er nicht spürte, schoß blitzend auf ihn zu und wurde aufgesogen. Er sah wieder Ghisteslohms Gesicht, verschwommen im gespenstischen Licht. Er spürte eine grobe Hand an seiner Seite und schrie auf, obwohl er nicht wußte, was ihm entrissen worden war. Dann wälzte er sich auf den Rücken und erblickte das gestirnte Schwert in Ghisteslohms Händen. Endlos schwang es aufwärts, sammelte Licht und Schatten in sich, bis die Sterne hoch über Morgon Feuer und Finsternis sprühten. Er konnte sich nicht bewegen; die Sterne hielten seine Augen fest und seine Gedanken. Er sah, wie sie den höchsten Punkt ihres Bogenlaufs erreichten und stillstanden, ehe sie sich im rasenden Abwärtsschwung verwischten. Und da sah er plötzlich wieder den Harfner, der so ruhig wie damals im Königssaal von Anuin unter den fallenden Sternen stand.

Ein Schrei brach aus Morgon heraus. Mit entsetzlicher Geschwindigkeit sauste das Schwert herunter und traf den Erhabenen. Es durchbohrte sein Herz und zersprang dann in Ghisteslohms Händen.

Morgon, der endlich frei war und sich wieder bewegen konnte, fing den Erhabenen auf, als er stürzte. Er konnte nicht atmen. Schmerz bohrte sich wie eine Schwertklinge in sein eigenes Herz. Der Erhabene umklammerte seine Arme. Seine Hände waren die verkrüppelten Hände des Harfners und die zerschundenen Hände des Zauberers. Er mühte sich ab, trotz der Anstrengung zu sprechen. Sein Gesicht wechselte unter Morgons Tränen immer wieder die Züge. Morgon zog ihn näher an sich heran. Er spürte, wie sich etwas in ihm aufstaute, das wie ein Wahnsinnsschrei von Schmerz und Wut war. Doch der Erhabene begann schon, sich aufzulösen. Mit einer Hand, die aus rotem Stein oder Feuer geformt zu sein schien, berührte er die Sterne auf Morgons Gesicht.

Er flüsterte Morgons Namen. Seine Hand glitt hinunter zu Morgons Herz.

»Befreie die Winde.«

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