19

Ich kniete, spürte Hände, die meine Fuß- und Handfesseln lösten.

Die Sklavenhaube wurde aufgemacht und mir vom Kopf gezogen. Ich konnte wieder sehen. Zwei Männer hockten neben mir, zwei weitere standen in der Nähe. Die Männer links und rechts von mir faßten mich an den Handgelenken, zerrten mich hoch und führten mich auf eine große weiße Tür zu.

Zwei behelmte Wächter bewachten den Durchgang. Zu beiden Seiten des Tors hingen Schilde und gekreuzte Speere.

Ich hatte große Angst, wußte ich doch, daß dies die Männer sein mußten, die mit Lady Elicia aus Ar verschworen waren. Sie meinten, daß ich eine Nachricht für sie hatte, was aber nicht zutraf. Sie würden enttäuscht sein. Goreanische Männer haben keine große Geduld mit Sklavinnen, die ihnen mißfallen. Ich wollte nicht entstellt oder gefoltert oder gar getötet werden! Ich war unschuldig! Ich wollte meine Unschuld beteuern! Vielleicht gaben sie sich dann damit zufrieden, mich nur auszupeitschen.

Die Türen wurden aufgestoßen. Vor mir erstreckte sich ein wunderbar ausgestatteter Raum, der palastartige Dimensionen hatte. Purpurschimmernde Kacheln bedeckten den Boden. Hohe weiße Säulen standen vor goldenen Wandbehängen. Ich wurde zu einer Empore geführt, auf der ein korpulenter Mann saß, eine wahrhaft massige Gestalt, die sich auf Kissen stützte. Er trug weiße weinbefleckte Roben, unter denen sich seine unförmigen Fettpolster abzeichneten. Das Gesicht war schwabbelig, die Stirn hoch. Auf dem Kopf trug er eine Krone aus Weinlaub – die berühmten Trauben der Cos-Berge. Ich spürte in diesem Mann Intelligenz, Eitelkeit, Reichtum, Grausamkeit und Macht.

Vor der Empore stand ein niedriger Tisch. Auf die sem Tisch lagen Schnüre und in kleinen Schalen einfache Sklavenperlen in vielen Farben.

Ich betrachtete den niedrigen Holztisch und die Kugeln in den winzigen Schalen und begann zu zittern. Mir wollte scheinen, als hätte ich schon einmal hier oder an einem ähnlichen Ort gekniet – in einem Traum, der mich vor langer Zeit in Tabukfurt gequält hatte. Ich fragte mich, ob ich wirklich schon einmal in einem solchen Palast gewesen war, so real war mir der Traum vorgekommen. Jedenfalls bestand eine unheimliche Ähnlichkeit zwischen der Umgebung aus meinem Traum und der Wirklichkeit.

Eine Sklavenpeitsche wurde mir vor das Gesicht gehalten.

Entsetzen durchfuhr mich. Genauso war es im Traum gewesen!

»Was bist du?« hatte eine Stimme im Traum gefragt.

»Was bist du?« fragte jetzt der unförmige Mann.

»Eine Sklavin, Herr«, antwortete ich.

Es drängte mich hinauszuschreien, daß ich nichts von einer Nachricht wüßte, daß ich keine Ahnung hätte, was man von mir wollte.

»Du weißt, daß du gehorchen mußt?« fuhr die Stimme fort.

»Ja, Herr«, antwortete ich.

Ich zitterte. Genau dieselben Worte waren in meinem Traum gesprochen worden, den ich allerdings nicht für prophetisch hielt. Vielmehr hatte ich den Eindruck, daß der Traum mich an eine Art Ritual erinnerte, das mit mir einstudiert worden war.

»Wer befiehlt über mich?« fragte ich. Ich hatte plötzlich Hochachtung vor dem Unbekannten, der den Dia log entworfen hatte. Meine letzte Frage entsprach so wenig dem Naturell einer Sklavin, daß ich mich dadurch dem Fremden eindeutig identifiziert hatte. Er blickte auf einen seiner Leutnants.

Der dicke Mann drehte den Kopf wieder in meine Richtung und rutschte auf seinem Thron hin und her.

»Du erhältst deine Befehle von Belisarius, Sklavin«, erwiderte er. Ich wußte nicht, ob das sein richtiger Name war oder ein Losungswort für die Kontaktaufnahme. Jedenfalls war mir bewußt, daß ich hier die Kontaktperson vor mir hatte – das Individuum, dem ich jene Nachricht übermitteln sollte, die ich angeblich bei mir trug.

Die kleinen, von Fettwülsten umgebenen Augen musterten mich lauernd.

»Wie lauten die Befehle, Belisarius’, meines Herrn?« fragte ich, ohne zu überlegen.

Ich hörte meine eigene Stimme kaum.

»Ganz einfach«, sagte die Stimme. »Mach mir aus den Perlen ein Halsband.«

»Ja, Herr.«

Ein seltsam träumerisches Gefühl überkam mich plötzlich. Ich wußte, was ich tat; trotzdem hatte ich den Eindruck, als folge ich einer vorher genau festgelegten Weisung.

Es war fast, als bewegte ich mich in Trance.

Ich griff nach den Schnüren auf dem Tisch und streckte die Hände nach den winzigen Perlen aus.

Ich weiß nicht, warum ich zuerst eine gelbe Holzkugel wählte – doch ich tat es. Dann nahm ich eine blaue und eine rote, dann wieder eine gelbe. Ich begann die Perlen auf die Schnur zu fädeln. Am Ende knotete ich die Schnur zusammen und hielt Belisarius das Halsband hin. Einer seiner Männer griff vorsichtig danach und reichte ihm mein Werk. Er legte es vor sich hin.

Ich schüttelte den Kopf. Sobald mir das Halsband abgenommen war, kehrte mein natürliches Bewußtsein zurück. Mir war, als erwachte ich aus einem Alptraum. Das Programm, das in mir geruht hatte, war abgelaufen.

Ich sah, wie Belisarius die vor ihm liegenden Perlen eingehend betrachtete. Ich hatte dieselbe Farbreihenfolge mehrfach geschaffen, damit das Halsband komplett wurde. Es war ein langes Band, wie es von Skla vinnen getragen wird, mindestens zweimal locker um den Hals geschlungen. Es schien sich von vielen tausend anderen Halsbändern, die ich auf Gor schon gesehen hatte, nicht im geringsten zu unterscheiden.

Belisarius starrte nicht lange darauf. Plötzlich schlug er mit der schweren Faust auf die Plattform. »Endlich!« sagte er. »Endlich!«

Die Männer seines Gefolges fragten nicht, was ihm denn das Halsband verraten hatte, ebensowenig lie ferte Belisarius eine Erklärung.

Ich spürte ein Messer am Hals. »Sollen wir sie töten?« fragte ein Mann hinter mir.

»Nein«, entschied Belisarius. »Die Nachricht hat ihren Empfänger erreicht.«

»Wenn sie nun in falsche Hände fiele?«

»Das würde nichts machen«, sagte Belisarius und musterte mich. »Sklavin, mach uns dasselbe Halsband noch einmal!« befahl er.

Ich begann zu zittern, wußte ich doch sofort, daß ich das nicht konnte. An die Reihenfolge der Sklavenperlen erinnerte ich mich nicht mehr.

»Ich kann es nicht, Herr«, sagte ich. »Bitte töte mich nicht.«

»Selbst wenn sie das Halsband noch einmal machen könnte«, erläuterte Belisarius, »wären doch die Symbole unverständlich, und selbst wenn sie verstanden werden könnten, wären sie ohne Bedeutung für andere.« Er lachte. »Und selbst wenn ihre Bedeutung sich enträtseln ließe, wäre es zu spät für unsere Feinde. Sie begriffen in diesem Augenblick lediglich die Gefahr, in der sie sich befänden.

Das Messer entfernte sich von meinem Hals.

»Außerdem«, fuhr Belisarius fort, »wünscht sich die Lady Elicia das hübsche kleine Ding zur Leibsklavin.«

»Lady Elicia«, sagte einer der Männer, »würde sich in einem Sklavenkragen auch nicht schlecht machen.«

Die Männer lachten.

»Vielleicht später«, meinte Belisarius, »wenn auch sie ihren Zweck erfüllt hat.«

Die Männer lachten.

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