20

Eine Ahn vor der Mittagsstunde wanderte ich über die Piers von Telnus. Etwa zwei Pasang entfernt sah ich die großen Hafentore. Der Hafen war voller Schiffe verschiedener Typen. Zwischen den Planken zu meinen Füßen sah ich von Zeit zu Zeit das Wasser aufblitzen. Dort unten waren an den Pfosten zahlreiche kleine Boote festgemacht. Männer kamen und gingen; sie kamen von den Schiffen und legten hier an oder bestiegen ihre kleinen Ruderboote, um zu den Schiffen zurückzufahren. An anderen Stellen wurde Fracht gelöscht oder geladen. Ich passierte den Sitz des Pierprätors mit seinen beiden Schriftgelehrten. Seine Aufgabe war es, Auseinandersetzungen zu schlichten, die es an den Kais immer gab. Dabei konnte er sich auf vier Wächter stützen.

Sie grinsten mich nun an, und ich lächelte zurück. Allerdings durfte ich sie nicht zu sehr reizen, denn sie waren im Dienst. Meine Aufgabe war es, Kunden für das ›Chatka und Curla‹ einzufangen.

Nachdem ich Belisarius seine kostbare Nachricht abgeliefert hatte, war ich in die Taverne zurückgebracht worden – mit Haube und Sklavensack. Man hatte mich wieder in der Nische abgesetzt. Dort hatte mich der Mann aus dem Sack geholt und mir Fesseln und Knebel abgenommen. Dann hatte er den Vorhang aufgeknöpft und war gegangen, als hätte er ein ganz normales Schäferstündchen mit mir verbracht.

Ich blieb allein zurück. Ich zog das Tavernenkostüm wieder an. Dann blickte ich hinter den Vorhang an der Rückwand und entdeckte dort eine solide Eisentür. Vorsichtig legte ich die Fingerspitzen auf die Klinke und drückte. Die Tür war abgeschlossen. Ich ließ den Wandvorhang herabfallen, der die Tür völlig verdeckte. Selbst wenn die Tür offen gewesen wäre, hätte ich nicht gewagt, hindurchzutreten. Zu streng sind die Strafen für eine Sklavin, die an einem Ort angetroffen wird, an dem sie sich nicht aufhalten darf.

»Paga!« rief ein Mann, und ich war losgeeilt, um ihn zu bedienen.

Nachdem ich die Nachricht abgeliefert hatte, wurde ich im ›Chatka und Curla‹ nicht mehr ganz so streng abgeschirmt. Zuweilen wurde mir nun auch gestattet, vor den stark frequentierten Stunden durch die Stadt zu wandern und Kunden zu werben. Ich trug den Glockenkragen und einen Fetzen schwarze Seide, auf der in gelber Schrift die Worte standen: ›Ich bin Yata und im Chatka und Curla zu haben. ‹ Narla hatte mir den Text vorgelesen.

Ich sah mich zwischen den aufgestapelten Ballen und Kisten um. Die Männer, die hier arbeiteten, sprach ich nicht an. Die Vorarbeiter hatten es nicht gern, wenn ihre Leute von Sklavinnen abgelenkt wurden. Schon mehr als einmal war ich handgreiflich aus der Nähe von Arbeiterkolonnen vertrieben worden.

Ich hockte mich auf einen Stapel Kisten und sah mich um. Der Geruch des Salzwassers, der Anblick der Möwen, das Geschrei der Männer – das alles gefiel mir. Ich trug einen Sklavenkragen, aber in diesem Augenblick war ich nicht unglücklich.

Als ich vor einigen Wochen das erstemal in den Hafen geschickt wurde, hatte ich noch eine Fessel tragen müssen und war von anderen Mädchen begleitet worden. Inzwischen durfte ich mich frei bewegen. Doch ich vergaß keinen Augenblick, daß ich eine Skla vin war.

Das Rasseln von Ketten ertönte, gefolgt von Peitschenknallen. Unter mir erblickte ich eine Reihe von Gefangenen, Männer aus Ar, die man am Voskfluß gefangengenommen hatte. Es waren etwa zwanzig.

»Beeilt euch, ihr Sleen!« brüllte der Peitschenherr, dem fünf Wächter zur Seite standen. Sie hatten die Aufgabe, die Gefangenen in ein Lager zu bringen, von wo sie als Rudersklaven auf Handelsschiffe des Ubarats Cos kommen würden. Kriegsschiffe wurden raffinierterweise nur mit freien Ruderern bemannt.

Als ich an ihr Schicksal dachte, erfüllte mich Angst. Dann aber mußte ich daran denken, daß sie ja aus Ar stammten. Ein Mann aus Ar hatte mir einmal übel mitgespielt. Das durfte ich nicht vergessen. Trotzdem taten mir die Gefangenen leid.

Schließlich sprang ich von meinem Kistenstapel und setzte mich in Bewegung. Aurelion aus Cos würde sich nicht gerade freuen, wenn ich keinen Kunden für das ›Chatka und Curla‹ mitbrachte.

Ich sah mich um. Weiter unten am Kai näherte sich ein Langschiff seiner Anlegestelle. Das Lateinersegel an dem langen, schrägen Baum war bereits gerefft. Es war ein Kriegsschiff aus Cos. Mädchen aus anderen Tavernen liefen hinüber, und ich schloß mich an.

Schließlich kniete ich mit sieben oder acht Mädchen in einer Reihe. Wir priesen die Vorteile unserer Lokale. Doch als die Männer von Bord gegangen waren, bela den mit Seesäcken und Waffen, war vor mir niemand stehengeblieben.

Zögernd richtete ich mich auf und blickte in die Runde. An Bord waren nur noch wenige Mann und einige Offiziere. Ich wandte mich ab.

Zwei Männer kamen vorbei; ihr Karren war turmhoch mit Fellen des Meeressleen beladen. Ein in der Nähe lagernder Ballen verströmte einen würzigen Geruch. Ein weiterer Mann kam vorbei; auf seiner Schulter lag eine lange Stange, an der Dutzende von Cos-Aalen hingen.

Die Mittagsstunde rückte heran, und ich hatte noch keinen Gast für die Taverne gewonnen. Bald war es Zeit zur Rückkehr. Allmählich wurde ich nervös.

Ich hob meine Seidentunika ein wenig und stellte mich einem Seemann in den Weg. »Du kannst mich haben im ›Chatka und Curla‹, Herr«, sagte ich, doch er schob mich nur beiseite.

Ich richtete mich auf. Der große gelbe Schild an dem hohen Mast im Hafen sank bereits wieder herab, und in seiner Nähe brannte ein Feuer; weißer Rauch stieg auf. Wenn der Schild den höchsten Punkt des Masts erreicht und wieder absinkt, ist die zehnte Stunde vorbei, die goreanische Mittagsstunde. Zur zwanzigsten Stunde, der goreanischen Mitternacht, wird an dieser Stelle ein Feuer angezündet. Symbole dieser Art dienen zur Synchronisation der Chronometer im Hafen.

Heute würde ich wohl keinen Erfolg mehr haben. Es wurde Zeit, in die Taverne zurückzukehren.

Verblüfft blieb ich stehen. Dann trat ich hinter eine große Kiste. Er war noch weit entfernt, doch ich war sicher, daß mir meine Augen keinen Streich spielten. Ich begann schneller zu atmen. Mein Herz schlug mir bis in den Hals.

Das war doch nicht möglich! Aber er war es!

Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Im ersten Augenblick spürte ich eine unglaubliche Woge der Liebe und Freude in mir. Mich erfüllte Wonne, wie sie nur eine Sklavin zu empfinden vermag. Er näherte sich auf der Pier in der Verkleidung eines Seemannes; ein schwerer Sack lag über seiner Schulter. Ich wollte auf ihn zulaufen, ihm zurufen, mich zu seinen Füßen hinwerfen.

Aber dann überkamen mich Zweifel. Vielleicht hatte ich mich doch geirrt! So etwas war doch nicht möglich! Noch eben hatte ich an ihn gedacht!

Ich beobachtete ihn und war meiner Sache plötzlich wieder sicher. Er blieb stehen, um einem Hausierer einen Kuchen abzukaufen. Er war es!

Mein Herr Clitus Vitellius aus Ar!

»Oh Herr!« wollte ich rufen. »Ich liebe dich! Ich liebe dich, Herr!«

Dann sah ich, wie er ein Pagamädchen anblickte, das vor ihm posierte und sich drehte.

Er schickte die Dirne fort, doch ich hatte seinen Blick bemerkt, den Blick eines Kriegers, eines Sklavenherrn.

Clitus Vitellius aus Ar hatte mich auf diesem Planeten zur Sklavin gemacht. Er hatte mir das Brandzeichen ins Fleisch gedrückt, er hatte mich unterworfen, hatte mich zu einer Hure gemacht. Und schließlich hatte er mich von sich gestoßen, mich an einen Bauern verschenkt.

Ein kühner Plan, ein schrecklicher Plan entstand in meinem Kopf. Ich atmete tief ein. Er sollte erfahren, daß die Rache eines Mädchens nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist.

Ich richtete mich auf, öffnete einladend meine Seidentunika. Dann hob ich den Kopf.

Kauend kam er näher.

Ich sah, daß er keine Waffen trug. Das war gut.

Mit hastigen Schritten eilte ic h auf ihn zu, kniete vor ihm nieder und küßte seine Füße. Dabei überkam mich ein starkes erotisches Gefühl, die hilflose Schwäche einer Sklavin – doch ich nahm mich zusammen, stählte mich, wurde zu einem berechnenden Mädchen, das nur an seine Rache dachte.

»Dina«, sagte er.

»Mein Herr nennt mich Yata, Herr«, sagte ich.

»Dann bist du Yata«, sagte er lächelnd. »Bist du noch immer so ungeschickt wie früher?«

»Nein, Herr«, antwortete ich und senkte den Kopf. »Inzwischen habe ich es gelernt, den Männern zu gefallen.«

»Ob du mir wohl auch gefallen könntest?«

Mein Herz setzte aus. »Nein, Herr«, flüsterte ich. »Einen großen Krieger wie dich könnte ich nie zufrie denstellen.«

Er sah sich um. »Nenn mich nur ›Seemann‹«, sagte er. »Hier bin ich kein Hauptmann aus Ar, sondern nur ein einfacher Seemann, ein Ruderer aus Tyros, der den Namen Tij Rejar trägt.«

Ich hob den Blick. »Wie es der Herr befiehlt.

»Wie ich sehe, arbeitest du im ›Chatka und Curla‹.«

»Ja, Herr.«

»Es ist lange her, daß ich deinen heißblütigen Körper in den Armen gehalten habe.«

Ich errötete. »In deinen Armen würde das Blut jedes Mädchens, sogar das einer Ubar-Tochter, in Wallung kommen.«

»Ich habe Durst«, sagte er.

»Ich weiß einen Ort, wo es guten Paga gibt.«

»Das ›Chatka und Curla‹?«

»Ja, Herr.«

»Gibt es dort auch Mädchen?«

Ich nickte.

»Führ mich in deine Taverne, Sklavin«, sagte er lä chelnd.

»Vielen Dank, Herr!« hauchte ich. Dabei senkte ich den Kopf, damit er nicht das triumphierende Lächeln sah, das ich nicht zu unterdrücken vermochte. Ergeben richtete ich mich auf und führte den Mann zum ›Chatka und Curla‹. Das schwere Doppeltor fiel hinter mir zu.

Ich fuhr auf dem Absatz herum und deutete auf den Mann, der mir ins Innere gefolgt war.

»Packt ihn!« rief ich. »Er kommt aus Ar! Er ist ein Feind!«

Clitus Vitellius starrte mich verblüfft an.

»Ergreift ihn!« rief ich. Seine Hand war zur linken Hüfte gezuckt, wo in diesem Augenblick aber kein Schwert hing.

Strabo, der Rausschmeißer Aurelions, stürzte sich auf den Mann, wurde aber zurückgestoßen. Clitus Vitellius blickte sich verzweifelt um.

»Ergreift ihn!« rief ich.

Zwei Männer, die in der Taverne arbeiteten, eilten zum Tor. Gäste sprangen auf.

Clitus Vitellius wandte sich zu dem Doppeltor und zerrte an den Gitterstäben. Doch die Stangen waren fest. Er konnte nicht fliehen.

Ein Mann sprang ihn von hinten an, doch Clitus Vitellius schüttelte ihn ab. Er beugte sich zu Strabo vor, um ihm die Schlüssel vom Gürtel zu reißen. Mit dem schweren Bund hieb er dem zweiten Angreifer ins Gesicht. Ein Mann hechtete tief heran und packte seine Beine. Zwei andere hängten sich auf ihn. Der Kampf begann. Zwei weitere eilten herbei, und endlich zeigte eine Schwertspitze auf seine Brust. Vier Männer drückten ihn an das Gitter des Tors.

Aurelion eilte herbei. »Was ist los?«

Ich deutete auf den Gefangenen.

»Das ist Clitus Vitellius aus Ar!« rief ich. »Er ist ein Hauptmann Ars!«

»Ein Spion!« rief ein Mann.

»Bringt ihn um!« forderte ein anderer.

»Er behauptet, Tij Rejar zu sein, ein einfacher Ruderer aus Tyros, in Wirklichkeit stammt er aus Ar und gehört der Kriegerkaste an. Er heißt Clitus Vitellius!«

Aurelion wandte sich an mich. »Wehe, wenn du dich irrst, Sklavin«, sagte er.

»Ich irre mich nicht, Herr«, antwortete ich.

»Wer bist du?« fragte Aurelion.

Plötzlich hatte ich Angst. Wenn Vitellius’ Identität so gut gefälscht war, daß sie einer ersten Überprüfung standhielt, mochte es mir übel ergehen. Mir brach der Schweiß aus.

»Ich denke nicht daran, meine Identität vor den Leuten aus Cos geheimzuhalten«, sagte er. »Ich bin Clitus Vitellius, Hauptmann aus Ar!«

Ich lachte erleichtert auf. »Seht ihr!« rief ich.

»Bringt Ketten«, befahl Aurelion.

Clitus Vitellius sah mich an. Ich zuckte zusammen. Er wurde in Ketten gelegt.

Vier Mann machten Anstalten, den Gefangenen zum Magistrat der Stadt zu führen. Dieser würde ihn wahrscheinlich als Rudersklaven auf die Galeeren schicken.

Ich trat vor ihn. »Ho, Clitus Vitellius«, sagte ich. »Es sieht so aus, als trägst du heute Ketten wie ein Sklave.«

Er schwieg.

»Niemand darf die Rache eines Mädchens auf die leichte Schulter nehmen«, meinte ich.

»Ebensowenig wie die Rache eines Kriegers«, antwortete er und starrte mich an.

Mir wurde heiß und kalt.

»Bringt ihn fort«, sagte Aurelion.

Clitus Vitellius wurde aus der Taverne geführt.

»Das hast du gut gemacht, Sklavin«, sagte Aurelion.

»Danke, Herr«, sagte ich. Aber das Herz wurde mir schwer.

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