9

Ich hieb mit der Hacke auf den Boden ein und lockerte ihn rings um die Wurzeln der Sul-Pflanze.

Die Sonne stand hoch am Himmel. Es war heiß. Meinen Kopf hatte ich mit einem Tuch geschützt.

Ich arbeitete auf den Feldern meines Herrn. Ich war allein und trug die Tunika einer Bäuerin – weiß und ärmellos, aus Hurtwolle. Melina, Thurnus’ Gefährtin, hatte mir die Ta-Teera weggenommen und verbrannt. »Schamlose Sklavin!« hatte sie gerufen und mir eine knielange Sklaventunika zugeworfen. Thurnus aber hatte mehr von meinen Beinen sehen wollen und das Gewand zu ihrem Ärger mit einer Schere wieder gekürzt.

Ich richtete mich auf. Der Rücken tat mir weh. Mit dem Handrücken fuhr ich mir über die Stirn.

»Du wirst arbeiten lernen, kleine Schönheit«, hatte Thurnus zu mir gesagt. Ich kniete vor ihm im Staub des Dorfes – oh, wie deutlich erinnerte ich mich an die sen Vormittag, an den Tag der Abreise meines früheren Herrn.

»Ich ziehe mit meinem Herrn nach Ar«, hatte Maria gesagt und sich vor mir gebrüstet. »Wer ist die Schönste in seinen Diensten?«

»Du, Maria«, sagte ich.

Ich kniete unter Thurnus’ Hütte – in der Nähe von vier geschmeidigen Sleen, deren Felle in der Sonne funkelten; sie waren an einen Pfosten gebunden und kamen nicht an mich heran. Mein früherer Herr hatte sie gekauft.

Clitus Vitellius und seine Männer bereiteten die Abreise vor.

»Du wirst mir fehlen«, sagte Eta und küßte mich. »Ich wünsche dir alles Gute, Sklavin.«

Lehna, Donna und Chanda küßten und umarmten mich ebenfalls. »Ich wünsche dir alles gute, Sklavin«, sagten sie.

Sklavenperle hielt sich im Hintergrund.

»Willst du mir nicht auch Lebewohl sagen?« fragte ich.

»Ja«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Wir sind alle Sklaven.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich.

»An die Kette!« rief einer der Wächter.

Mit schnellen Schritten eilten die Mädchen zu ihm. Ich beobachtete sie und wünschte, ich könnte mich ihnen anschließen.

Ohne Verzug bildeten sie eine Reihe, Maria voran, gefolgt von Lehna, Donna und Chanda und Sklavenperle. Eta war die letzte an der Kette. Die Sklavinnen streckten den linken Arm aus. Der Soldat ließ die Armreifen zuschnappen.

Maria wandte sich zu mir um und hob den angeketteten linken Arm. »Ich trage die Kette des Clitus Vitellius«, sagte sie. »Du das Hanfseil eines Bauern.«

»Ja, Herrin«, erwiderte ich.

Sie wandte sich ab.

Die Männer spannten die Bosk vor die Wagen, die man aus dem Lager der Lady Sabina mitgenommen hatte.

In der Nähe erblickte ich zwei Bauernburschen, die mich anstarrten. Sie nickten grinsend und entfernten sich.

Clitus Vitellius verabschiedete sich von Thurnus. Er blickte nicht zurück. Ich wagte es nicht, ihm etwas nachzurufen. Zornig bearbeitete ich den Boden mit der Hacke und lockerte den Grund rings um die Wurzeln der Sul-Pflanzen. Die Sonne brannte heiß herab.

Um meinen Hals lag ein Hanfkragen. Meine Hände waren blasenbedeckt. Es tat weh, die Hacke nur zu halten. Der Rücken schmerzte ebenfalls. Ich hatte das Gefühl, als sei jeder Muskel meines Körpers gezerrt.

Am liebsten hätte ich mich fallen gelassen und laut losgeheult. Aber die Suls mußten gehackt werden.

Als Sklavin eines Bauern hatte man es nicht leicht. Die Arbeit war schwer, und ich erinnerte mich an die schmerzhaften Gertenschläge, mit denen mich Melina zum Sklavengehege getrieben hatte.

»Du wirst dir noch wünschen, eine längere Tunika zu tragen, Sklavin!« rief sie.

Ich stürzte durch die Käfigtür und landete auf dem strohbedeckten Boden. Der Sklavenkäfig war ein auf der Seite liegender Sleen-Käfig, der zum größten Teil in den Boden versenkt war. Aufgrund der Seitenlage befand sich der Eingang oben. Strohbedeckte Holzplanken bildeten den Boden, zum Abfluß durch breite Zwischenräume getrennt. Das Käfigdach bestand ebenfalls aus Brettern; nachts wurde eine Plane über die Unterkunft geworfen. Stand man im Käfig, konnte man hinausschauen; die Schultern befanden sich dann etwa in Bodenhöhe.

Ich lag auf dem Käfigboden. Über mir rasselte die schwere Käfigtür zu, dann klickten zwei Vorhangschlösser. Ich blickte nach oben. Ich konnte nicht entfliehen.

»Knie nieder!« sagte eine Stimme.

Ich gehorchte. Außer mir befanden sich vier Mädchen im Käfig.

»In der Position der Vergnügungssklavin!«

Ich kam der Aufforderung nach.

»Zeig uns dein Brandzeichen«, forderte eines der Mädchen.

Ich drehte mich auf die Seite und hob die Sklaventunika.

»Eine Dina!« sagte eine Sklavin. Sie alle gehörten Thurnus, wie ich.

»Wußtest du«, fragte jemand, »daß Dinas gut geeignet sind, Sklavinnen zu dienen?«

»Nein«, antwortete ich.

»Bist du eine Vergnügungssklavin?« wollte ein Mädchen neugierig wissen.

»Ja.«

Sie lachten. »Hier bist du nichts weiter als ein Arbeitstier. Du wirst schwer schuften müssen.«

Ich richtete mich auf. Die Mädchen erweckten meinen Zorn. Unauffällig sah ich mir meine Leidensgenossinnen an.

»Vielleicht muß ich gar nicht so schwer arbeiten, wie ihr annehmt«, sagte ich leichthin.

»Unverschämtheit!« rief eine. »Wie hochmütig du bist!«

Ich zuckte nur die Achseln.

»Hältst du dich für hübscher, als wir es sind?«

»Ja«, sagte ich.

»Glaubst du, du kannst dem Herrn mehr gefallen als wir?«

»Ja. Ich bin schöner als ihr!«

»Sleen!« zischte eins der Mädchen erbost.

»Habt ihr einen Kamm für mein Haar?« fragte ich.

Sandalenschnur, ein langarmiges sommersprossiges Mädchen von großem Körperwuchs, schüttelte den Kopf.

Ich hatte keine Lust, mit diesen Weibern eingesperrt zu sein. Ich spürte, wie feindselig sie waren. Andererseits mußten sie merken, daß auch ich nichts für sie übrig hatte. Aber wir waren in demselben kleinen Käfig eingeschlossen.

»Zweifellos wirst du bald der Liebling des Herrn sein«, bemerkte Rübchen, eine dunkelhaarige Sklavin mit breitem Gesicht.

»Vielleicht«, antwortete ich und warf den Kopf zurück.

»Radieschen ist im Augenblick Lieblingssklavin«, stellte Sandalenschnur fest und deutete auf ein blondes Mädchen mit rundlichen Fußgelenken, das links von ihr saß.

»Ich war Sklavin eines Kriegers«, sagte ich.

»Du bist tatsächlich hübsch«, meinte Radieschen. Ich kam zu dem Schluß, daß mir Radieschen nicht unsympathisch war.

»Du warst nicht gut in den Fellen«, sagte Sandalenschnur. »Darum hat dein Herr dich verschenkt.«

»Nein!« rief ich.

»Warum hat er dich dann hiergelassen?« wollte Verrschwanz wissen.

»Ich weiß es nicht.«

»Eine Versagerin in den Fellen!« wiederholte Sandalenschnur.

»Wir haben nur wenige Felle im Dorf«, sagte Rübchen lachend. »Wir werden sehen, wie du dich im Stroh machst!«

»Wenn du nicht gut bist, werden wir das bald erfahren«, meinte Verrschwanz. »Thurnus spricht mit jedem darüber.«

»Ich bin gut«, versicherte ich.

»Warum hat dein Herr dich dann verschenkt?«

»Weil es ihm Spaß machte«, antwortete ich. »Schließlich ist er Clitus Vitellius, ein hoher Soldatenführer. Er kann viele Mädchen haben, die schöner sind als ich. Er brachte mich dazu, ihn hoffnungslos zu lie ben, und ließ mich zu seinem Vergnügen hier zurück. Sobald er mich voll errungen hatte, stieß er mich von sich.«

»Hast du ihn wirklich geliebt?«

»Ja!«

»Was für eine Sklavin bist du eigentlich?« fragte Sandalenschnur lachend.

»Er brachte mich dazu!« rief ich abwehrend. Im tiefsten Innern war ich allerdings überzeugt, daß ich ihn auf jeden Fall geliebt hätte, sogar als freie Frau.

»Du bist dumm! Wie kann man seinen Herrn lie ben?« rief Sandalenschnur.

»Ich liebe meinen Herrn«, warf Radieschen ein.

Sandalenschnur fuhr herum und versetzte ihr einen Schlag.

»Ich kann doch nichts dafür, wenn ich Thurnus liebe!« protestierte Radieschen.

»Bist du nicht auch eine Sklavin?« fragte ich Sandalenschnur.

Sandalenschnur stand auf. Sie war ein großes, kräftig gebautes Mädchen. »Ja«, sagte sie leise. »Auch ich kann geschlagen oder verkauft oder getötet werden. Mein Herr kann mich auch jederzeit verschenken. Er kann mich in Ketten legen. Er kann mit mir tun, was ihm beliebt.« Sie senkte den Kopf. »Ja, ich bin auch Sklavin.«

»Wir sind alle Sklavinnen«, sagte Radieschen.

»Ich will aber keine Frau sein!« rief Sandalenschnur plötzlich und rüttelte an den Gitterstäben. Sie drückte das Gesicht dagegen und begann zu weinen.

»Du weinst aber wie eine Frau«, stellte ich fest.

Sie fuhr herum.

»Es gab eine Zeit«, fuhr ich eilig fort, »da wollte auch ich keine Frau sein. Dann lernte ich die Männer kennen. Ich hatte mir nicht in den kühnsten Träumen vorgestellt, daß es solche Männer geben könnte. Sie veränderten mich entscheidend – und jetzt bin ich glücklich, eine Frau zu sein. Mein Geschlecht unterwirft mich zwar der Macht der Männer, es bedeutet mir aber ungemein viel. Jedes Mädchen hat seinen Herrn. Nur dürftest du, Sandalenschnur, dem deinen noch nicht begegnet sein.«

Sie starrte mich zornig an.

»Es gibt irgendwo einen Mann«, fuhr ich fort, »bei dem du dich darum reißen würdest, ihm die Sandalen mit den Zähnen aufzuknüpfen.«

»Wenn Thurnus mich wenigstens einmal ansehen würde!« sagte sie.

»Ah«, sagte ich. »Dann ist Thurnus also dein Herr.«

»Ja, Thurnus ist mein Herr.«

»Wie heißt du?« wollte Radieschen wissen.

»Dina«, antwortete ich, wußte ich doch, daß mein neuer Herr diesen Namen beibehalten wollte.

»Viele Mädchen mit deinem Brandzeichen werden Dina genannt«, bemerkte Rübchen.

»Das hat man mir gesagt.«

»Ein hübscher Name«, sagte Verrschwanz.

»Es muß schön sein, einen richtigen Mädchennamen zu haben«, sagte Rübchen.

»Du bist Erstes Mädchen hier im Käfig?« wandte ich mich an Sandalenschnur.

»Ja.«

»Du brauchst mich nicht zu treten oder zu schla gen«, sagte ich. »Ich werde dir gehorchen.«

»Dein Akzent weist dich als Barbarin aus. Woher kommst du?«

»Von einem Ort, der Erde genannt wird.«

»Ich habe nie davon gehört«, sagte Rübchen.

»Liegt er im Norden?« wollte Radieschen wissen.

»Meine Heimat ist weit weg von hier. Sprechen wir lieber nicht darüber.« Wie hätte ich diesen Mädchen von der Erde erzählen können? Sie sollten mich nicht für verrückt oder für eine Lügnerin halten.

»Barbarenorte sind langweilig!« sagte Rübchen. »Bist du schon mal in Ar angekettet gewesen?«

»Nein.«

»Ich bin dort einmal sogar verkauft worden! Eine großartige Stadt.«

»Das höre ich gern.« Clitus Vitellius stammte aus Ar.

»Zeit zum Schlafen!« warf Radieschen ein.

Wir legten uns ins Stroh und schliefen schnell ein. In der Nacht wachte ich einmal schweißbedeckt auf. Ich hatte einen seltsamen Traum gehabt. Mir war, als hätte ich nackt auf kalten Fliesen gekniet, in einem wunderschönen Raum, der zu einem Palast gehören mochte. Vor mir hatte ein niedriger Tisch gestanden. Auf die sem Tisch lagen einige Schnüre und in mehreren flachen Schalen kleine Kugeln, billige Sklavenperlen in verschiedenen Farben. Aus irgendeinem Grunde war ich von dem Wunsch besessen, ein Halsband zu machen. Vor mir war eine Sklavenpeitsche emporgehoben worden.

»Was bist du?« fragte eine Stimme.

»Eine Sklavin, Herr«, erwiderte ich.

»Du weißt, daß du gehorchen mußt?« hakte die Stimme nach.

»Ja, Herr«, erwiderte ich. »Wer befiehlt über mich?« fragte ich gleich darauf – wie aus einem inneren Zwang heraus. Dabei war es durchaus nicht üblich, daß Sklavinnen solche Fragen stellten, die von ihrem Herrn als unverschämt empfunden werden mochten. Doch ich wurde nicht an den Handgelenken gepackt, auf den Boden geworfen und ausgepeitscht.

»Du erhältst deine Befehle von Belisarius, Sklavin«, lautete die Antwort, die mich irgendwie beruhigte, als wäre sie richtig, als hätte ich sie erwartet. Dabei kannte ich gar keinen Belisarius.

»Wie lauten die Befehle meines Herrn Belisarius?« fragte ich.

»Ganz einfach«, sagte die Stimme. »Mach mir aus den Kugeln ein Halsband!«

»Ja, Herr.«

Und meine Hände griffen nach den Schnüren auf dem Tisch, griffen in die Schalen mit den winzigen Perlen. Unmittelbar danach erwachte ich. Ich verstand den Traum nicht. Vorsichtig streckte ich die Hand aus. Ich lag nicht auf glatten Kacheln. Meine Hand ertastete Stroh und Holz und eine Stahlstange. Es war nur ein Traum. Hellwach lag ich da und blickte zu den Stäben über mir auf. Die Monde leuchteten hell am Himmel. Langsam richtete ich mich auf. Ich war nicht in einem Palast, sondern in einem Käfig in Tabukfurt. Vorsichtig blickte ich hinaus. Das Käfigdach befand sich wenige Zoll über meinem Kopf. Ich umklammerte die Gitterstäbe. Im nächsten Augenblick schrie ich erschrocken auf. Bran Loort grinste mich von draußen an. Die anderen Mädchen wälzten sich unruhig herum, wachten aber nicht auf. Der Jüngling starrte mich an.

»Ich werde Anführer von Tabukfurt sein«, flüsterte Bran Loort. »Und wenn es soweit ist, gibt Melina dich an mich!«

Und er verschwand.

Ich kauerte mich im Stroh zusammen. Mein Körper zitterte. Seit zwanzig Tagen war ich nun schon Sklavin in Tabukfurt. Die Hacke in meiner Hand besaß einen etwa sechs Fuß langen Stiel. Das eigentliche Werkzeug besteht aus schwerem Eisen und ist an der Schneide etwa sechs Zoll lang, schräg zum Stiel zulaufend, wo das Metall mit einem Holzstück festgekeilt ist.

Ich war zu klein, um mit einem solchen Gerät richtig umzugehen. Zum wiederholten Male richtete ich mich auf und hielt mir den Rücken. Dann legte ich die Hand über die Augen.

Auf der Straße von Tabukfurt erblickte ich den Karren Tup Löffelhändlers, des Wanderhausierers aus der Gegend. Mit gebeugtem Kopf hing er zwischen den Deichseln und zog sein Fahrzeug hinter sich her.

Mit schmutzigem Finger fuhr ich mir zwischen Hanfkragen und Hals entlang, wischte Schweiß und Schmutz fort. Das Seil schabte auf meiner Haut, doch ich mußte es tragen. Es war das Zeichen meiner Skla verei.

Der Arbeitstag beginnt vor Anbruch der Dämmerung. Melina kommt zu uns und öffnet die Schlösser des Käfigs. Wir steigen ins Freie und knien mit gesenkten Köpfen vor ihr. Sie ist unsere Herrin.

Verr müssen gemolken werden, Vulo-Eier sind einzusammeln, den Sleen müssen wir Wasser und Fleisch vorsetzen, die Käfige bedürfen der Reinigung.

Wenn der Vormittag halb herum ist, kehren wir zur Hütte des Thurnus zurück, wo uns Schüsseln voller Brei erwarten. Nach Art der Bauernsklavinnen knien wir dabei am Boden und dürfen nicht die Hände benutzen.

Nach dieser Mahlzeit müssen wir Wasser schleppen, Holz sammeln oder auf den Feldern schuften. Mannigfaltig und anstrengend sind die Arbeiten, die eine Bauernsklavin aufgebürdet bekommt. Zuweilen kommen die jungen Heißsporne aus dem Dorf auf die Felder und treiben ihre albernen Spaße mit uns – wir sind nur Sklavinnen und dürfen uns nicht wehren.

Jeder Knochen im Leibe tat mir weh.

Vor zehn Tagen hatte mich Thurnus sogar zum Pflü gen eingesetzt. Er besaß keine Bosk, da Mädchen billiger waren. Bei dieser Gelegenheit bekam ich zum erstenmal seit meiner Ankunft auf Gor die Peitsche zu spüren.

Zusammen mit den anderen Mädchen war ich vor die Pflugschar gespannt worden. Langsam, vorgebeugt, mit einsinkenden Füßen – so hatten wir uns mit voller Kraft ins Geschirr gestemmt. Der Pflug begann sich langsam zu bewegen. Schon nach wenigen Metern hatte ich das Gefühl, sterben zu müssen. Es würde sicher keiner merken, wenn ich mir nicht mehr größte Mühe gab! Im gleichen Augenblick spürte ich die Peitsche, einen einfachen Lederriemen, der auch für Boskgespanne verwendet wird. Sie knallte wie ein Gewehrschuß und berührte meine Schulter wie eine heiße Schlange.

»Komm Dina, streng dich mehr an!« befahl Thurnus.

»Jawohl, Herr!« rief ich und stemmte mich wieder ins Geschirr. Seine Stimme hatte nicht zornig geklungen. Mein Rücken fühlte sich an, als wäre er mit einem glühenden Draht in Berührung gekommen.

Mit diesem Peitschenschlag eröffnete sich für mich eine neue abgrundtiefe Dimension meines Leibeigenendaseins auf Gor. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als zu tun, was mein Herr von mir verlangte. Trotzdem dauerte es keine Stunde, bis ich vor dem Pflug ohnmächtig zusammenbrach.

Vage erinnere ich mich an Thurnus’ grobe Hand an meinem Hals und an das Flehen der anderen Mädchen, mich nicht zu strafen. »Siehst du nicht, daß sie nur eine hübsche Sklavin ist, dazu bestimmt, den Männern Freude zu machen? Sie ist keine Feldarbeiterin!« rief Sandalenschnur.

»Wir können den Pflug auch ohne sie ziehen, Herr«, sagte Rübchen.

»Das haben wir doch schon oft gemacht.«

Thurnus ließ mich los.

Am gleichen Abend schleppte er mich auf den Schultern ins Dorf zurück und warf mich gefesselt unter seiner Hütte auf den Boden.

»Was ist los?« wollte Melina wissen.

»Die Kleine ist zu schwach«, sagte Thurnus.

»Soll ich sie umbringen?« fragte Melina und zog ein kurzes Messer. »Wozu sie durchfüttern, wenn sie nichts taugt?«

Hilflos stemmte ich mich auf einen Ellbogen hoch und starrte sie entsetzt an. Sie näherte sich mit erhobener Klinge.

»Ins Haus, Frau!« sagte Thurnus zornig.

»Du bist hier der Schwache, Thurnus«, erwiderte Melina energisch und steckte das Messer fort. »Es war ein Fehler, daß ich dir gefolgt bin.«

Wortlos blickte er sie an.

»Du hättest Kastenführer eines ganzen Distrikts werden können«, fuhr sie fort. »Statt dessen bin ich nichts weiter als die Gefährtin eines Dorfführers. Du stinkst nach den Sleen, die du trainierst, und nach den Mädchen, die dir gehören.«

Sie sprach ungezwungen, obwohl Sklaven in der Nähe waren.

»Du bist ein Schwächling und ein Dummkopf, Thurnus«, rief sie. »Ich verachte dich!«

»Geh ins Haus, Frau!« sagte er.

Zornig machte Melina kehrt und erstieg die Treppe, die zur Hütte führte. Auf der obersten Stufe blieb sie stehen. »Du hast die längste Zeit in Tabukfurt kommandiert, Thurnus«, sagte sie und verschwand in der Hütte.

»Bindet Dina los«, befahl Thurnus, »und bringt sie in den Käfig.«

»Ja, Herr«, riefen die Mädchen.

»Dina«, sagte Thurnus und blickte auf mich herab, während mir die Fesseln abgenommen wurden. »Du gibst einen jämmerlichen Bosk ab«, fuhr er fort, grinste kurz und ging.

Zornig stieß ich die Hacke in den Boden. Natürlich war ich nicht für Aufgaben geeignet, die ein Bosk ausführte. Es war doch nicht meine Schuld, daß ich nicht kräftig zupacken konnte wie meine Leidensgenossinnen, die auf dem Lande geboren worden waren! Maria, Chanda, Donna und Sklavenperle wären nicht tüchtiger gewesen. Und Lehna oder Eta sicher auch nicht. Ach, wie gern hätte ich Maria vor dem Pflug gesehen! Wütend hackte ich die Suls. Ich war gesund, doch meine Kräfte ließen zu wünschen übrig, außerdem war ich klein. Dagegen konnte ich nichts tun, es war nicht meine Schuld! Trotzdem, Thurnus war enttäuscht von mir.

Verbissen arbeitete ich weiter. Es fiel mir sogar schwer, Wasser auf die Felder zu tragen; die Last des großen Holzjochs mit den Eimern war einfach zuviel für mich! Manchmal stürzte ich und verschüttete das Wasser. Außerdem war ich langsam. Die anderen Mädchen, mit denen ich mich angefreundet hatte, nahmen mir einen Teil der schweren Arbeiten ab, während ich mehr von den leichteren Aufgaben der anderen verrichtete. Dieses Arrangement gefiel mir aber nicht, erschwerte es doch den anderen das Leben. Ich wollte meinen Teil zum Ganzen selbst beitragen.

Wenn ich so auf den Feldern arbeitete, überkamen mich zuweilen Haßgefühle auf Clitus Vitellius. Schließlich hatte er mich in diesem Dorf zurückgelassen. Er hatte mich dazu gebracht, ihn zu lieben – aber dann hatte er mich an einen Bauern weiterverschenkt. Er wußte doch, was für ein Mädchen ich war, anmutig und zart, klein und schön, ein Mädchen von der Erde. Ich hackte vor mich hin. Wie sehr ich Clitus Vitellius haßte!

Wieder hob ich den Blick. Tup Löffelhändlers Hausiererkarren war nun schon ein gutes Stück entfernt; er zog auf dem unbefestigten Weg dahin, der zu der großen Steinstraße nach Ar führte.

Obwohl mich meine Leidensgenossinnen freundlich behandelten, hatte ich im Dorf keinen guten Ruf. Ich war eben nicht kräftig genug. Ich haßte die Bauern! Was für Idioten! Eine schöne Sklavin ließ sich doch für bessere Dinge einsetzen als für Arbeit auf dem Felde! Wegen meiner geringen Körperkräfte ließ sich Thurnus oft von mir beim Training der Sleen helfen. Mit einigen Tieren freundete ich mich an, doch im großen und ganzen hatte ich Angst vor den Sleen, die meine Gefühle natürlich spürten und auf meine Gegenwart bösartig reagierten.

»Bist du denn zu nichts gut?« hatte mich Thurnus eines Tages zornig gefragt. Ich war in der Sleenarena vor ihm zurückgewichen. Die Sonne brannte heiß vom Himmel, der Sand war warm. Es hatte mehrere Tage lang nicht geregnet.

Thurnus packte mich am Arm und schüttelte mich. »Du bist zu gar nichts nütze!« sagte er aufgebracht.

Ich erschauderte unter seiner Berührung.

»Was ist los?« fragte er.

Beschämt wandte ich den Blick ab. »Verzeih mir, Herr«, antwortete ich, »doch ich bin seit vielen Tagen nicht mehr von einem Mann berührt worden.«

»Ah«, sagte er.

Ich wandte mich um und sah ihn an.

Er warf mich in den Sand und schob meine Tunika hoch. Ich griff über meinen Kopf, legte die Hände um die Gitterstäbe eines Sleenkäfigs und schrie auf. Ich zuckte und begann mich unter ihm zu winden. Meine Wonne wurde nur einmal beeinträchtigt, als ich hinter der Holzbarriere Melina entdeckte, die uns beobachtete.

»Die Herrin«, flüsterte ich.

Thurnus lachte und sagte, ohne mit seinen Bewegungen innezuhalten: »Ich mache mit meinen Sklavinnen, was mir gefällt. Soll sie doch zusehen, wenn es ihr Spaß macht. Dabei kann sie nur was lernen.«

Aber Melina hatte bereits zornig kehrtgemacht und war gegangen. Ich gab mich stöhnend meinen Gefühlen hin.

Lachend hob er mich empor, als er fertig war. »Wie ich sehe«, sagte er, »bist du doch zu etwas zu gebrauchen, Dina!«

»Danke, Herr«, erwiderte ich und senkte den Blick.

Der Tag ging seinem Ende entgegen.

Der Karren Tup Löffelhändlers verschwand am Horizont.

Er hatte mich heute früh als Sklavin taxiert. Dabei hatte ich festgestellt, daß ich im Grunde meines Herzens eine Hure war – eine Tatsache, die wohl mehr oder weniger auf jede Sklavin zutreffen mußte. Jedenfalls hatte ich mir Mühe gegeben, mich dem Mann von meiner besten Seite zu zeigen. Und das schien mir gelungen zu sein. »Du bleibst einen Augenblick hier, Dina«, hatte Melina am Morgen zu mir gesagt. Die anderen Mädchen verließen das Dorf, um Wasser zu holen. Thurnus war ebenfalls unterwegs und wurde erst spät zurückerwartet. Er besuchte ein anderes Dorf, um Vulos zu kaufen.

Ich hatte Angst vor seiner freien Gefährtin. Sie war unsere Herrin. Außerdem hatte sie einmal Anstalten gemacht, mich umzubringen. Und sie hatte mich in den Armen Thurnus’ gesehen. In letzter Zeit hatte sie mich allerdings nicht mehr ganz so feindselig gemustert; sicher wußte sie, daß Thurnus seine Aufmerksamkeiten allen seinen Sklavinnen schenkte.

»Ja, Herrin«, sagte ich besorgt.

Melina mochte mich nicht, doch nahm ich an, daß sie mich nicht mehr haßte als die anderen Mädchen. Auf keinen Fall war ich Thurnus’ Liebling. Er zog größere Frauen mit breiteren Hüften vor – von der Art, wie Melina einmal gewesen war, ehe sie rund und schlaff wurde.

»Komm, kleine Schönheit«, sagte Melina und winkte mich zu sich. Sie stand im Schatten zwischen den Pfosten, die die Hütte trugen. Ich gehorchte und kniete ergeben vor ihr nieder.

»Zieh deine Tunika aus, Dina«, befahl sie.

»Jawohl, Herrin.« Ich zog das kurze Wollgewand aus und hockte nun nackt vor meiner Herrin.

»Geh zu dem Pfahl und knie nieder«, sagte sie und deutete auf einen Stützpfeiler.

Sie machte kehrt, erstieg die Treppe zur Hütte und kehrte gleich darauf mit einem Seil zurück. Ein Ende verknotete sie mit meinem Hanfkragen, das andere legte sie in Höhe meines Halses um den Pfosten.

»Du bist ein hübsches Geschöpf«, sagte sie.

»Danke, Herrin«, antwortete ich leise.

Ich hockte vor ihr an dem Pfahl. Das Seil war nicht so lang, daß ich aufstehen konnte. Ich war Melinas Gefangene.

»Ein Hausierer ist im Dorf«, sagte sie.

Das war mir bekannt. Der Mann wurde Tup Löffelhändler genannt. Radieschen, die dabei gewesen war, hatte mir von seiner Ankunft erzählt. Er zog einen Handkarren mit langen Deichseln und zwei großen Rädern. Der Wagen enthielt viele Regale und Gestelle, auf denen er allerlei billige Waren zur Schau stellte, und Pflöcke und Schlingen, an denen Pfannen und Werkzeuge hingen. Schubladen an der Seite des Karrens enthielten allerlei Geheimnisvolles – Nadeln und Zwirn, Stoffe, Scheren, Fingerhüte, Knöpfe, Flicken, Bürsten, Kämme, Zucker, Gewürze, Kräuter, Pakete mit Salz und Arzneifläschchen. Das Sortiment schien unerschöpflich zu sein.

»Ich hole ihn jetzt«, sagte Melina, »damit er dich einmal anschaut.«

Mein Herz machte einen Sprung. Melina wollte mich verkaufen, während Thurnus nicht im Dorf war!

»Mach einen guten Eindruck auf ihn, kleine Dirne«, sagte Melina drohend, »sonst prügele ich dich, bis du sterben möchtest.«

»Keine Sorge, Herrin!« versprach ich erregt. O ja, ich wollte mir Mühe geben. Wann würde sich mir eine zweite Chance bieten, dem Sklavendasein im Dorf zu entkommen? Ich würde alles tun, um hier fortzukommen. Einen guten Eindruck auf ihn machen? O ja! Ich wollte dafür sorgen, daß er in mir ein Muster an Gehorsamkeit und Sinnlichkeit sah. Doch plötzlich bekam ich Angst. Was für ein Mann war er? Nicht jedes Mädchen wirkte auf jeden Mann. Konnte ich sein Interesse erwecken? Ich wollte mich seinen Erwartungen auf jeden Fall anpassen. Was für eine Dirne du doch bist! dachte ich.

»Hier ist die Sklavin«, sagte Melina in diesem Augenblick.

Erschrocken klammerte ich mich an den Pfosten – eine Reaktion, gegen die ich nichts machen konnte. Dann ging mir auf, daß Melina vermutlich von Anfang an beabsichtigt hatte, mich zu überraschen, um ihrem Besucher den Anblick einer schönen und erschrockenen Sklavin zu bieten.

Ich beschloß, die Barbarin von der Erde zu spielen, und hielt mich an den Entschluß. Auf Gor war ich nun mal eine schöne Barbarin, eine Fremde von einer anderen Welt.

»Wie geht es dir, kleine Vulo?« fragte er.

»Gut, Herr«, sagte ich.

»Sie ist eine Barbarin«, stellte er fest.

»Oh«, machte Melina, obwohl sie genau Bescheid wußte.

»Siehst du?« sagte der Hausierer. Er hatte mir die Finger in den Mund gesteckt. »Da oben im Backenzahn sitzt ein winziges Stück Metall.«

»Ärzte können so etwas«, sagte Melina.

»Kommst du von einem Ort, der Erde genannt wird?« fragte der Mann.

»Ja, Herr.«

»Siehst du?« wandte er sich an Melina, ehe sein Blick wieder zu mir zurückkehrte. »Ich bin Tupelius Milius Lactantius, aus der Familie der Lactantii, Angehörige der Kaufmannskaste von Ar. Die Zeiten haben mir leider sehr zugesetzt, wie du siehst. In den Dörfern hier nennt man mich Tup Löffelhändler.«

»Ist sie nicht hübsch?« fragte Melina.

»In den Städten«, sagte er, »gibt es viele Mädchen dieser Art. Allein in Ar werden jährlich viele tausend solcher Sklavinnen verkauft.«

Ich erschauderte.

»Was ist sie wert?« wollte Melina wissen.

»Bestenfalls bekäme ich eine Handvoll Kupfertarsks für sie.«

Ich wußte, daß ich schön war. Nicht gewußt hatte ich, daß auf Gor an schönen Sklavinnen kein Mangel herrschte. Schönheit in einem Sklavenkragen war auf diesem Planeten nicht teuer. So kam es, daß Mädchen, die attraktiver waren als ich, in den Küchen großer Häuser schufteten oder die Fußböden öffentlicher Gebäude schrubben mußten.

Melina war mit der Auskunft gar nicht zufrieden. »Willst du sie denn nicht kaufen?« fragte sie.

Seine Hände strichen über meine Flanken. »Nicht uninteressant«, meinte er. Ohne Vorwarnung berührte er plötzlich mein Geschlecht. Ich schrie auf, mein Körper zuckte gegen den Pfahl, meine Hände verkrampften sich darum. Ich konnte nicht anders.

»Ah«, sagte er. »Eine heißblütige Sklavin. Vielleicht kann sie als Pagadirne arbeiten.«

»Ausgezeichnet!« sagte Melina.

»Trotzdem würde ich wohl nur ein paar Tarsks für sie bekommen.«

»Weshalb?« wollte Melina wissen.

»Die Kriege«, sagte er. »Die Überfälle, die Vernichtung von Städten – da kommen viele schöne Mädchen, von denen manche früher sogar frei waren, auf die Sklavenauktionen und werden für lächerliche Summen verkauft.«

»Aber sind sie so heißblü tig wie die hier?«

»Viele durchaus«, sagte er. »Man braucht ein Mädchen nur zu branden, in Ketten zu legen und sie ein bißchen auszubilden – nach einer Woche ist sie bereit für ihren Herrn.«

»So schnell?« wunderte sich Melina.

»Egal, um welchen Frauentyp es sich handelt – ob von der Erde oder von Gor, ob aus hoher Kaste oder nicht, ob heißblütig oder eiskalt – in der Sklaverei entdecken alle ihre wahres Feuer.«

Melina lachte, und ich errötete.

»Wer ist dein Herr, kleine Vulo?« fragte Tup Löffelhändler.

»Thurnus ist mein Herr«, sagte ich. »Thurnus, Kastenführer in Tabukfurt, Führer der hiesigen Kaste der Bauern, ein Mann, der die Felder fruchtbar macht und zugleich Sleentrainer ist.«

Ein Bauer, der aktiv Landwirtschaft betreibt, wird als ein Mann bezeichnet, der die Felder fruchtbar macht. Zuweilen gilt dieser Ausdruck auch als Ehrenbezeichnung. Obwohl die Kastenzugehörigkeit zwar gewöhnlich mit der Ausübung eines bestimmten Berufes zusammenhängt – Landwirtschaft, Handel oder Kriegshandwerk –, gibt es natürlich Kastenmitglieder, die keine aktive Kastenarbeit betreiben, und auch Individuen, die gewisse Arbeiten verrichten und nicht der Kaste angehören. Üblicherweise ist die Kastenzugehörigkeit eine Sache der Geburt. Natürlich können Mitgliedschaften auch durch Ernennung Zustandekommen. Gefährtenschaften werden gewöhnlich zwischen Kastenmitgliedern geschlossen; gehören die Partner je doch verschiedenen Kasten an, so kann die Frau entscheiden, ob sie in ihrer alten Kaste bleibt – wie es meistens geschieht – oder in die Kaste ihres Mannes aufgenommen wird. Die Kastenmitgliedschaft der in einer solchen Gefährtenschaft geborenen Kinder hängt von der Kaste des Vaters ab. Ähnliche Überlegungen gelten in einigen Städten in bezug auf die Bürgerschaft. Den Goreanern sind die Kasten auf eine Weise wichtig, die für Abkömmlinge einer nicht kastenbestimmten Gesellschaft schwer zu verstehen sind. Obwohl die Kastenstruktur zweifellos Probleme und vor allem Ungerechtigkeiten schafft, fördert sie Identitätsempfinden und Stolz beim Einzelnen, verbündet ihn mit Tausenden von Kastenbrüdern und verschafft ihm zahlreiche Gele genheiten und Vorteile. Freizeit und Turniere spielen sich auf Gor oft im Kreise der Kaste ab. Ebenso die öffentliche Wohlfahrt. Das Kastensystem ist trotz allem nicht unflexibel, und es gibt Möglichkeiten, die Kaste zu wechseln, wozu es aber selten kommt; die Menschen sind ungemein stolz auf ihren Berufsstand.

Trotz der vielen Mängel trägt die Kastenstruktur zweifellos zur Stabilität der goreanischen Gesellschaft bei, einer Gesellschaft, in der das Individuum noch seinen Platz hat, in der seine Arbeit respektiert wird und in der es eine vernünftige Zukunft planen kann. Die Klanstrukturen sind Familiengruppen. Sie funktionie ren im großen und ganzen im Rahmen der Kastengruppierungen, sind aber nicht damit identisch. So kann ein Klan zuweilen Angehörige verschiedener Kasten umfassen. Klans sind zumeist auf eine Stadt beschränkt, während die Kaste solche Grenzen nicht kennt. »Wie heißt du, kleine Vulo?« fragte Tup Löffelhändler.

»Mein Herr hat mich Dina genannt«, erwiderte ich.

»Hübsche Dina.«

»Danke, Herr.«

»Möchtest du sie kaufen?« fragte Melina.

»Sie hat rauhe Hände«, stellte Löffelhändler fest.

»Ich bin eine Bauernsklavin«, antwortete ich. Das Waschen und Graben und die Arbeit auf dem Felde hatten ihre Spuren hinterlassen.

»Mit guten Salben lassen sich die Hände wieder weich und schmiegsam machen – damit sie dazu geeignet sind, Männer zu liebkosen.«

»Ja, Herr«, sagte ich.

»Mach mir ein Angebot für den kleinen Sleen.«

Löffelhändler berührte mich am Hals, hakte einen Finger in meinen Hanfkragen.

»Sag mir, was du für sie bietest. Sie ist billig zu haben«, fuhr Melina fort.

»Wie billig?« wollte er wissen.

»Billig.«

»Weiß Thurnus, daß du sie verkaufst?«

»Es kommt nicht darauf an, was Thurnus weiß«, erwiderte Melina. »Ich bin seine freie Gefährtin. Ich kann tun, was mir gefällt.«

»Schöne Dina«, sagte Löffelhändler zu mir, »würde es dir gefallen, einen hübschen Stahlkragen zu tragen, womöglich mit Emailleverzierungen?«

»Ich habe nie einen Kragen besessen«, sagte ich.

»Besitzen würdest du ihn auch dann nicht«, stellte Löffelhändler richtig.

»Nein, Herr«, sagte ich ergeben.

Und er hatte recht. Nicht mir würde der Kragen gehören, sondern meinem Herrn, der auch über mich mit absoluter Macht verfügte.

»Das Hanfseil ist rauh und primitiv«, fuhr Löffelhändler fort. »Hättest du nicht Lust auf einen glatten, schimmernden Sklavenkragen, kunstvoll geschmiedet und verziert, passend zu deinem Haar und deinen Augen, ein Kragen, der in Form und Färbung deine Schönheit unterstreicht?«

»Wie es dem Herrn gefällt«, erwiderte ich. Ich hatte Eta um ihren Sklavenkragen beneidet, obwohl er von der einfachsten Art gewesen war. Ich hatte bisher nur wenige richtige Halsreife zu sehen bekommen, wußte aber von Eta, daß es sie in großer Vielfalt gab – von einfachen Eisenbändern, die um den Hals eines Mädchens zugeschmiedet wurden, bis hin zu juwelenbesetzten, kunstvoll gefertigten, eng sitzenden Reifen, die die Lieblingssklavin eines Ubar zierten. Sklavenkragen – ob nun einfach oder kostbar gearbeitet – haben zweierlei gemein: sie lassen sich von dem Mädchen nicht abnehmen und kennzeichnen sie als Sklavin.

»Mach mir ein Angebot«, wiederholte Melina.

Tup Löffelhändler richtete sich auf und griff in einen Beutel, der an seinem Gürtel hing. »Hier, kleiner Vulo«, sagte er und steckte mir etwas in den Mund. Er drückte das Gebilde mit dem Daumen zwischen meine Zähne. Ich war verblüfft. »Danke, Herr«, sagte ich. Es war ein kleiner harter Bonbon, der süß schmeckte. Die erste Süßigkeit, die ich auf Gor zu essen bekam! Für eine Sklavin sind solche Dinge sehr kostbar, und es kam öfter vor, daß sich zwei Mädchen wegen einer Süßigkeit in die Haare gerieten.

»Warum willst du sie verkaufen?« fragte Löffelhändler jetzt.

»Mach mir ein Angebot«, drängte Melina.

»Vielleicht«, sagte er und musterte mich.

»Ist sie denn nicht hübsch?«

»O doch.«

»Stell sie dir vor, wie sie nackt in deinen Fellen liegt«, sagte Melina, »und sich größte Mühe gibt, es dir recht zu machen.«

»Ich bin Kaufmann«, sagte Löffelhändler. »Wenn ich sie kaufe, dann, um sie mit Gewinn weiterzuveräußern.«

»Aber du könntest doch guten Gebrauch von ihr machen, ehe du sie wieder anbietest!«

Löffelhändler grinste. »Zwei Kupfertarsks«, sagte er.

Plötzlich durchfuhr mich ein seltsames Gefühl. Mir wurde bewußt, daß man einen Preis für mich geboten hatte. Es ist eine seltsame Empfindung. Die Summe war natürlic h keineswegs realistisch, schon gar nicht für ein Mädchen von der Erde. Mit den zwei Kupfertarsks wollte Löffelhändler auch nur die weitere Feilscherei eröffnen. Ich war bestimmt vier oder fünf Kupfertarsks wert.

»Ich verkaufe sie dir für weniger«, sagte Melina.

Löffelhändler blickte sie erstaunt an.

Ich öffnete erschrocken die Augen.

»Ich brauche etwas von deinem Wagen«, sagte Melina und blickte mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Komm mit.«

Die beiden ließen mich gefesselt an dem Pfosten zurück. Löffelhändler, der verwirrt zu sein schien, folgte ihr zu seinem Karren, wo ein langes Gespräch begann. Ich verstand die Worte nicht. Genußvoll lutschte ich an dem Bonbon, das köstlich schmeckte. Es sollte so lange wie möglich vorhalten.

Zwischendurch rückte ich ein wenig am Holzpfahl zur Seite, damit ich die beiden beim Wagen im Auge behalten konnte. Ich war neugierig und verwirrt. Aus einer der zahlreichen Schubladen des Karrens nahm Tup Löffelhändler etwas heraus und überreichte es Melina, ein Päckchen, das eine Medizin oder ein Pulver enthalten mochte. Dann drehte ich mich wieder um, damit die beiden nicht merkten, daß ich sie beobachtet hatte.

Gleich darauf kehrte Melina zurück, löste meine Fesseln und nahm mir zu meiner Überraschung das lange Seil ab. Ich hatte damit gerechnet, gefesselt und an der langen Leine zu Löffelhändler geführt zu werden, um ihm als seine Sklavin zu folgen.

»Zieh deine Tunika an«, sagte Melina zu mir. »Nimm dir eine Hacke und geh zu den Sul-Pflanzen. Bran Loort holt dich später ab. Sprich mit niemandem.«

»Ja, Herrin.«

»Beeil dich«, sagte Melina und sah sich verstohlen um.

Ich zog die kurze Sklaventunika an.

Melina schien erregt zu sein.

»Darf ich dich etwas fragen, Herrin?« fragte ich. – »Ja.«

»Bin ich denn nicht verkauft worden, Herrin?«

»Vielleicht, hübsche Dina«, antwortete Melina, die Gefährtin des Thurnus. »Wir werden sehen.«

»Ja, Herrin«, erwiderte ich verwirrt.

»Hübscher kleiner Sleen«, sagte sie, »morgen gehörst du entweder Tup Löffelhändler oder Bran Loort. Und jetzt geh! Sprich mit niemandem!«

Ich machte kehrt und holte mir die Hacke. Das letzte Stück des Bonbons löste sich in meinem Mund auf. Ich traf niemanden, mit dem ich hätte sprechen können.

Ich hackte in der trockenen Erde des Feldes herum. Seit fünfzehn Tagen hatte es nicht mehr geregnet. Die Scholle war ausgetrocknet.

Tup Löffelhändlers Karren war inzwischen verschwunden. Der Nachmittag ging zu Ende. Ich war völlig allein auf den Feldern, schutzlos.

Ich verstand nicht recht, was mit mir geschehen war. Ich wußte nicht, warum man mich nach Gor gebracht hatte. Clitus Vitellius hatte mich aus großer Gefahr errettet, hatte mich dazu gebracht, ihn rückhaltslos zu lieben – und dann hatte er mich verschenkt. Oh, wie ich ihn haßte! Wenn ich mich nur an ihm hätte rächen können! Doch welche Chance hatte eine Sklavin, sich für erlittenes Unrecht schadlos zu halten? Sie war nur eine Sklavin.

Wütend hackte ich auf den Boden ein. Ich dachte an den seltsamen Traum, in dem mir ein gewisser Belisarius befohlen hatte, eine Halskette zu machen. Wie gegen meinen Willen hatten sich meine Finger den Schalen mit verschiedenfarbigen kleinen Holzperlen genähert – aber dann war ich aufgewacht. Ich verstand nichts von alledem.

Die Sonne ging unter. Meine Tunika war schweiß feucht. Meine Füße und Beine waren schmutzverkrustet. Der Hanfkragen schabte an meinem Hals.

Schmerzerfüllt richtete ich mich auf. Wie sehr ich mir gewünscht hatte, von Tup Löffelhändler gekauft und von der schweren Feldarbeit erlöst zu werden! Ich hätte alles für ihn getan, um der Sklaverei in Tabukfurt zu entkommen. Eine Sklavin besitzt nichts außer ihrem Körper – er ist der einzige Wert, den sie ins Spiel bringen kann.

Ich war sicher, daß Tup Löffelhändler an mir interessiert gewesen war, doch wußte ich nicht, ob er mich gekauft hatte.

Plötzlich fuhr ich hoch. Bran Loort stand wenige Fuß von mir entfernt, ein Stück Seil in der Hand. Meine Finger verkrampften sich um den Hackenstiel.

»Ich bin gekommen, um dich zu holen, Dina«, sagte er.

Hastig sah ich mich um. Ein zweiter Bauernbursche stand links von mir. Er hielt ebenfalls ein Stück Seil in der Hand. Ich drehte mich im Kreise. Hinter mir lauerten vier weitere Jünglinge, ein fünfter rechts von mir. Zwei Gestalten erschienen hinter Bran Loort.

Flucht war aussichtslos.

»Sie ist das schlaue Mädchen, das uns beim Fangen entwischt ist«, sagte einer.

»Sei gegrüßt, schlaues Mädchen!«

»Sei gegrüßt, Herr«, antwortete ich.

Dann hob ich die Hände. »Du sollst mich zu meinem Herrn bringen«, sagte ich zu Bran Loort.

Er lachte, und ich sah mich erschrocken um. Die Bauernburschen kamen näher.

Ich wirbelte herum und rannte los, landete aber in den Armen eines der jungen Männer, der mich grob in die Mitte der Gruppe zurückschleuderte. Wieder versuchte ich den Kreis zu durchbrechen – aber vergeblich.

»Wollt ihr mich vergewaltigen?« fragte ich.

»Das – und mehr«, antwortete Bran Loort.

»Das wird Thurnus nicht gern sehen«, sagte ich.

»Heute abend«, sagte er, »gehörst du mir.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Haltet sie!«

Zwei Burschen packten mich an den Armen.

»Bitte!« flehte ich.

Plötzlich wurde mir klar, daß ich von diesen Jünglingen mehr zu fürchten hatte als von Thurnus oder Melina. Ihre blitzenden Augen erschreckten mich.

Vor Tagen war ich diesen jungen Männern beim Fangen entwischt. Indem ich mich klüger anstellte als sie, hatte ich gesiegt. Dafür sollte ich jetzt bezahlen. Wie töricht von einer Sklavin, einen freien Mann übertreffen zu wollen! Weiß sie denn nicht, daß sie eines Tages in seine Hände fallen kann?

Sie warfen mich brutal ins Gras und fielen über mich her.

»Komm heraus, Thurnus!« rief Bran Loort. »Schau mal, was wir hier für dich haben!«

Ich lag mit angezogenen Beinen zu Füßen Bran Loorts. Die Hände waren mir auf dem Rücken gefesselt. Ich war nackt, mein Körper war verschmutzt und blutverkrustet. Die Burschen hatten mich durch ein Dornengebüsch gezerrt. Ich konnte nicht mehr weinen; das einzige Gefühl, das sich in mir regte, war ein Funke der Angst vor freien Männern. Ich, eine Skla vin, hatte freie Männer auf die Plätze verwiesen – inzwischen hatte ich gelernt, daß es so etwas nicht geben darf.

»Komm heraus, Thurnus!« wiederholte Bran Loort.

Es war Nacht. Da und dort standen Männer und hielten Fackeln empor. Da waren die acht jungen Männer aus Bran Loorts Gruppe, außerdem andere Neugie rige aus dem Dorf. Freie Männer und Frauen beobachteten die Szene, aber auch einige Sklaven, die noch nicht zum Schlafen in die Käfige gesperrt worden waren. Ich erblickte Sandalenschnur und Rübchen, Verrschwanz und Radieschen. Melina wollte, daß sie alles mitbekamen. Kinder waren nicht zu sehen. Bran Loort trat mit erhobenem Stab vor. Seine acht jungen Männer scharten sich um ihn. Sie waren ebenfalls mit Bauernstäben bewaffnet. Alle Augen waren auf die Tür von Thurnus’ Hütte gerichtet, in der jetzt Melina erschien. Sie kam die Treppe herab. Thurnus’ Hütte stand etwa in der Mitte des Dorfes, am Rand des zentralen Platzes.

Ich blickte zu Bran Loort empor, der stolz über seiner Sklavin stand. Der Stab in seiner Hand war gut sechs Fuß lang und zwei bis drei Zoll dick. »Ich bin in Tabukfurt bald der Erste«, hatte Bran Loort zu mir gesagt. »Und wenn das geschieht, gibt Melina dich an mich.«

»Komm heraus, Thurnus!« rief Melina vom Fuß der Treppe. Ich hob den Blick. Thurnus erschien in der Türöffnung.

»Sei gegrüßt, Thurnus!« rief Bran Loort.

»Sei gegrüßt, Bran Loort.«

Brutal zerrte mich Bran Loort hoch. »Ich habe hier etwas, das dir gehört«, sagte er.

»Das sehe ich.«

»Sie ist eine heißblütige kleine Sklavin. Wirklich ein Prachtstück.«

»Das ist mir bekannt.«

»Sie kniet jetzt aber zu meinen Füßen.«

»Das sehe ich, Bran Loort.«

Mit schneller Bewegung warf Bran Loort das Seil fort, mit dem er mich festgehalten hatte, und stieß mich mit dem Fuß zur Seite. Ich stürzte in den Staub. Bran Loort hob seinen Stab; die rechte Hand griff in der Mitte zu, die linke etwa achtzehn Zoll tiefer. Thurnus hatte sich nicht von der Stelle gerührt.

Im Kreis der Zuschauer rührte sich niemand. Ich hörte das Knistern der Fackeln.

Bran Loort schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Er sah sich im Kreise seiner Gefährten um, ehe er wie der auf Thurnus blickte. Der Kastenführer stand stumm auf der obersten Stufe, etwa sieben Fuß über dem Boden.

»Ich habe deine Sklavin gehabt«, sagte Bran Loort.

»Dazu sind Sklavinnen da.«

»Wir haben großen Spaß an ihr gehabt!«

»Hat sie euch gefallen?« fragte Thurnus.

»Ja«, sagte Bran Loort und griff seinen Stab fester.

»Dann brauche ich sie ja nicht zu strafen oder zu töten.«

Bran Loort musterte ihn ratlos.

»Du müßtest wissen, Bran Loort«, fuhr Thurnus fort, »daß es die Pflicht einer Sklavin ist, den Männern zu gefallen.« »Wir haben sie aber ohne deine Erlaubnis genommen.«

»Darin habt ihr den Kodex überschritten.«

»Das ist mir egal!« sagte Bran Loort trotzig.

»Pflug, Bosk oder Mädchen deines Nachbarn darfst du dir nicht aneignen, es sei denn, du hast die Erlaubnis des Eigentümers«, sagte Thurnus.

»Das ist mir gleichgültig.«

»Was unterscheidet den Menschen von Sleen und Larls?« wollte Thurnus wissen. »Die Regeln, die er sich selbst gegeben hat!«

»Solche Regeln sind bedeutungslos!« höhnte Bran Loort.

»Diese Regeln sind die Schutzmauer.«

»Was soll das heißen?«

»Es sind die Regeln, die den Menschen von Sleen und Larls unterscheiden. Sie stellen den Unterschied dar, sie sind die Schutzmauer. Du hast den Schutz die ser Mauer verlassen.«

»Willst du mir drohen, Thurnus aus Tabukfurt?« fragte Bran Loort herausfordernd.

»Du stehst außerhalb der Schutzmauern«, wiederholte Thurnus.

»Ich habe keine Angst vor dir!«

»Hättest du mich um meine Erlaubnis gebeten«, sagte Thurnus und deutete mit einer Kopfbewegung auf mich, »hätte ich sie dir bereitwillig gegeben. Aber du hast nicht gefragt.«

»Nein.«

»Bisher habe ich euch die Streiche mit den Mädchen durchgehen lassen – aber jetzt ist meine Geduld erschöpft.«

»Wir sind dankbar für deine Geduld«, sagte Bran Loort spöttisch und sah sich im Kreise seiner Freunde um. Dann stemmte er den Stab in den Boden.

Ich spürte, daß hier eine ernsthafte Übertretung des Dorfkodex vorlag. Was Bran Loort und seine Freunde getan hatten, sprengte die Grenzen der Sitten, die stillschweigende Duldung jugendlichen Übermuts. Bran Loorts Tat hatte beleidigend sein sollen. Der goreanische Bauer hat klare Vorstellungen von Stolz und Ehre. Bran Loort hatte genau gewußt, was er tat.

»Ich bin geneigt, dir zu vergeben«, sagte Thurnus und sah mich an. »Du kannst mich jetzt um Erlaubnis für dein Treiben bitten.«

»Diese Erlaubnis erbitte ich aber nicht.«

»Dann muß ich den Rat einberufen«, stellte Thurnus fest. »Der muß entscheiden, was mit dir geschehen soll.«

Bran Loort warf den Kopf in den Nacken und lachte. Seine Freunde taten es ihm gleich.

»Warum lachst du, Bran Loort?« fragte Thurnus.

»Nur der Kastenführer kann den Rat einberufen«, erklärte Bran Loort. »Und ich entscheide, daß wir ihn nicht zusammenrufen.«

»Bist du denn Kastenführer in Tabukfurt?«

»Ja.«

»Wer behauptet das?«

»Ich!« sagte Bran Loort und deutete auf seine Gefolgschaft. »Wir alle sagen das!«

Einschließlich Bran Loort waren es neun kräftige junge Männer, die entschlossen vor Thurnus standen.

»Tut mir leid«, sagte Thurnus. »Ich hatte angenommen, du hättest das Zeug zum Kastenführer.«

»Ich bin Kastenführer«, sagte Bran Loort.

»In welchem Dorf denn?«

»In Tabukfurt!« antwortete Bran Loort aufgebracht.

»Hast du diese Neuigkeit schon Thurnus aus Tabukfurt mitgeteilt?«

»Das tue ich hiermit. Ich bin der Erste Mann in Tabukfurt.«

»Dieser Meinung ist Thurnus aber nicht!«

»Ich bin der Anführer dieses Dorfes.«

»Nein!« sagte Thurnus knapp.

Bran Loort wurde bleich.

»Wollen wir die Prüfung der fünf Pfeile durchführen?« fragte Thurnus.

Dabei geht es darum, daß alle Dorfbewohner die Siedlung verlassen. Nur die beiden Streiter bleiben zurück. Jeder der beiden ist mit seinem Langbogen und fünf Pfeilen bewaffnet. Derjenige, der den Dorfbewohnern das Tor schließlich wieder öffnet, ist Kastenführer.

»Nein«, sagte Bran Loort unbehaglich. Er hatte keine Lust, gegen den Bogen des Thurnus anzutreten, der ein legendärer Schütze war.

»Dann also die Messerprüfung?«

Bei diesem Wettstreit verlassen die beiden Männer das Dorf und dringen von entgegengesetzten Seiten in den nächtlichen Wald ein. Wer ins Dorf zurückkehrt, ist Kastenführer.

»Nein«, sagte Bran Loort. Es gab sicher nur wenige Männer auf Gor, die es wagen würden, sich in der Dunkelheit eines Waldes auf einen nächtlichen Kampf mit Thurnus einzulassen.

Bran Loort hob seinen Stab. »Ich bin ein Bauer«, sagte er.

»Na, schön«, sagte Thurnus. »Wir werden die Angelegenheit einer strengen Prüfung unterziehen. Der Stab soll sprechen. Das Holz unseres Standes wird die Entscheidung bestimmen.«

»Gut!« sagte Bran Loort.

Ich bemerkte, daß Sandalenschnur aus der Menge verschwunden war. Niemandem schien das aufgefallen zu sein.

Mit glitzernden Augen trat Melina einige Schritte von der Treppe zurück. Die Zuschauer machten vor der Hütte eine Fläche frei.

»Entfacht das Dorffeuer!« befahl Thurnus und kam langsam die Treppe herab. Männer eilten los. Thurnus öffnete seine Tunika, zog sie bis zur Hüfte herab. Dann bewegte er prüfend die Arme, zog schließlich den Saum seines Gewandes höher und stopfte es sich in den Gürtel. Bran Loort traf ähnliche Vorbereitungen.

Thurnus näherte sich mir, hob mich an den Armen hoch. »Geschieht all dies wegen deiner Schönheit, kleine Sklavin?« fragte er.

Ich fühlte mich so elend, daß ich ihm nicht antworten konnte.

»Nein«, sagte Thurnus. »Es geht um mehr.« Er drehte mich herum und löste meine Armfesseln. Ich war ihm dankbar für seine freundliche Fürsorge.

»Knebelt und fesselt sie, macht sie für den Sieger fertig!« befahl er dann.

Ich starrte ihn entsetzt an, während zwei Männer mich sogleich packten und an einen Pfosten banden, dem Sieger hilflos dargeboten.

Niedergeschlagen drehte ich den Kopf auf die Seite, denn ich wollte den Kampf sehen. Ich erblickte Rübchen, die mir einen erschrockenen Blick zuwarf und sich hastig abwandte.

»Bran Loort, bist du bereit?« fragte Thurnus in die sem Augenblick.

Die Dorfbewohner hatten eine kreisförmige Fläche freigemacht. Das Feuer loderte; man konnte gut sehen.

»Brauchst du denn gar keinen Stab?« fragte Bran Loort grinsend.

»Mag sein«, sagte Thurnus und musterte Loorts Freunde. »Diese Burschen mischen sich hoffentlich nicht in den Kampf ein«, fuhr er fort.

»Ich verstehe mich auch allein darauf, einen bequem gewordenen Burschen wie dich in Kastendisziplin zu nehmen«, antwortete Bran Loort grinsend.

»Das mag sein«, räumte Thurnus ein.

»Du brauchst einen Stab!«

»Ja«, sagte Thurnus und wandte sich an einen Spießgesellen Bran Loorts. »Schlag nach mir!« sagte er.

Der junge Mann grinste und holte zu einem Hieb aus. Im richtigen Augenblick griff Thurnus zu und zerrte mit der Stärke eines Larl den jungen Mann auf sich zu; gleichzeitig holte er zu einem kräftigen Fußtritt aus, der den Burschen in die Zähne traf. Der Jüngling taumelte gurgelnd zurück. Blut spritzte aus Nase und Mund. Sein Stab blieb in Thurnus’ Händen zurück. Zähne lagen im Dreck. Betäubt setzte sich der junge Mann hin.

»Mit einem guten Stab«, sagte Thurnus, »muß man stoßen können...« Bei diesen Worten starrte er auf einen jungen Mann, während er gleichzeitig einem anderen die Stabspitze energisch in die Rippen bohrte. »Hauen muß man damit auch können«, fuhr Thurnus fort und hieb auf einen Burschen ein, der ungläubig auf seinen zu Boden sinkenden Freund starrte. Der ging in die Knie; und ich war sicher, daß ihm etliche Rippen gebrochen worden waren; der andere lag bewußtlos vor Thurnus; der Stab hatte ihn an der Schläfe getroffen. »Außerdem«, meinte Thurnus, »muß ein guter Stab einiges aushalten können.« Die jungen Männer umstanden ihn, sechs Gestalten, die ihn nicht mehr aus den Augen ließen. »Greif mich doch an«, forderte Thurnus einen anderen Jüngling auf. Zornig stürmte der Bursche los. Im nächsten Augenblick war Thurnus hinter ihm und zerbrach den Stab mit einem mächtigen Schlag auf seinem Rücken. Der Angegriffene lag am Boden und konnte sich nicht mehr rühren. »Dieser Stab«, sagte Thurnus in dozie rendem Ton, »war nicht stark genug.« Er deutete auf den Mann am Boden. »Ihm wurde noch nicht mal das Rückgrat gebrochen. Auf so eine Waffe kann man sich im Kampf nicht verlassen.« Er wandte sich an einen der fünf verbleibenden jungen Männer. »Gib mir einen neuen Stab«, forderte er. Der Jüngling blickte ihn erschrocken an und warf ihm die Waffe zu. »Eine bessere Waffe«, sagte Thurnus und wog den Stab in der Hand. Dann blickte er den Burschen an, der ihm den Stab zugeworfen hatte. »Komm her!« sagte er. Unsicher trat der Bauernbursche vor. »Als erstes mußt du lernen«, sagte Thurnus und stieß ihm ohne Vorwarnung das Holzende in den Magen, »deine Waffe niemals aus der Hand zu geben.« Der junge Mann begann sich zu erbrechen. Thurnus versetzte ihm einen Hieb gegen die Schläfe. Dann wandte er sich an die verbleibenden drei jungen Männer. »Ihr solltet auf der Hut sein«, meinte Thurnus zu einem, der sofort vorsichtig den Stab hob. Daraufhin hieb Thurnus auf einen anderen ein, den er scheinbar gar nicht beachtet hatte. Er machte kehrt und sah zu, wie der Jüngling zusammenbrach. »Dasselbe gilt natürlich für dich«, sagte Thurnus zu dem ersten. Die ser griff plötzlich an, aber Thurnus hatte den Hieb offenbar erwartet. Er parierte, duckte sich darunter hindurch und hieb mit dem Stabende zu. Das Gesicht des Angreifers wurde bleich und er sank zur Seite. »Aggressivität ist etwas Gutes«, dozierte Thurnus, »doch Vorsicht vor dem Gegenschlag.« Thurnus sah sich um. Von den neun jungen Männern war nur einer, Bran Loort, übriggeblieben. Er deutete auf die Herumliegenden. »Die werden sich nun hoffentlich nicht in den Kampf einmischen«, sagte er.

»Du bist sehr geschickt, Thurnus«, sagte Bran Loort und hob seinen Stab.

»Es tut mir leid, daß ich dir das antun muß«, sagte Thurnus. »Ich hatte wirklich geglaubt, daß du das Zeug zum Kastenführer hättest.«

»Ich bin hier der Kastenführer«, behauptete Bran Loort.

»Du bist der junge Bran Loort«, sagte Thurnus. »Du hättest warten sollen. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Ein Kastenführer muß viele Dinge kennen, die erst die jahrelange Praxis bringt – Dinge über das Wetter, die Ernte, die Tiere, die anderen Menschen. Das Amt des Kastenführers ist nicht einfach.«

Thurnus wandte sich mit gesenktem Kopf ab und machte Anstalten, seine Sandale zuzuschnüren. Bran Loort zögerte nur einen Sekundenbruchteil lang, dann hieb er Thurnus seinen Stab über die zur Seite gedrehte Schulter. Es war, als hätte er auf einen Felsbrocken eingedroschen. Bran Loort trat zurück.

»Ein Kastenführer muß außerdem stark sein«, fuhr Thurnus fort und richtete sich auf. »Nur so gewinnt er den Respekt der Bauern.«

Bran Loort war bleich geworden.

»Jetzt wollen wir kämpfen«, sagte Thurnus.

Die beiden Männer begannen sofort mit ihren schnellen Stäben zu manövrieren. Holz dröhnte auf Holz. Staub wallte um die Füße der Männer auf. Schläge wurden eingeleitet und blitzschnell pariert.

Bran Loort stellte sich nicht ungeschickt an, und er war jung und kräftig – doch gegen den entschlossenen, starken Thurnus, Kastenführer von Tabukfurt, kam er nicht an. Blutüberströmt, erschöpft, so lag Bran Loort schließlich zu Füßen des Thurnus. Mit glasigen Augen blickte er zu dem Kastenführer empor.

Fünf seiner Kumpane hatten sich inzwischen einigermaßen erholt. Sie griffen nach ihren Stäben und rückten näher heran.

»Schlagt ihn!« krächzte Bran Loort und deutete auf Thurnus.

Die Zuschauer stimmten ein Wutgeschrei an.

Die jungen Männer hoben ihre Stangen, um Thurnus zu bestürmen, der sich kampfbereit herumdrehte.

»Halt!« rief da eine Stimme. Gleichzeitig war das geifernde Pfeifen von Sleen zu hören. Sandalenschnur stand am Rand der Arena, in jeder Faust die kurze Leine eines Sleen. Die Tiere stemmten sich in ihre Halskragen, versuchten mit blitzenden Augen vorwärtszukriechen. »Der erste Mann, der sich bewegt, muß mit einem Sleen kämpfen!« rief Sandalenschnur.

Die jungen Männer wichen zurück.

Melina stieß einen Wutschrei aus.

»Werft die Stäbe fort!« befahl Thurnus. Die jungen Männer gehorchten, wobei sie die gefährlichen Raubtiere nicht aus den Augen ließen.

»Sie ist doch nur eine Sklavin!« rief Melina. »Wie kannst du es wagen, dich einzumischen?«

»Ich habe sie heute nachmittag befreit!« rief Thurnus lachend. Und richtig – Sandalenschnur trug keinen Hanfkragen mehr! Sie stand da hinter ihren Tieren, eine stolze freie Frau.

»Hoch mit dir, Bran Loort!« befahl Thurnus.

Taumelnd kam der junge Mann auf die Füße. Thurnus packte ihn am Arm und schob ihn zu dem Pfahl, an dem ich angebunden war. »Hier ist die kleine Skla vin, die du so aufreizend findest«, sagte Thurnus. »Sie steht hilflos vor dir! Ein hübsches kleines Ding, nicht wahr?«

»Ja«, flüsterte Bran Loort.

»Nimm sie!« forderte Thurnus den anderen auf. »Ich gebe dir meine Erlaubnis dazu. Los, mach schon!«

»Ich kann nicht«, flüsterte Bran Loort kaum hörbar. Er war ein geschlagener Mann.

Bran Loort wandte sich von mir ab und näherte sich dem Tor des Dorfes. Man öffnete es für ihn. Er verließ Tabukfurt.

»Wer will, kann ihm folgen!« sagte Thurnus zu den jungen Männern, die sich mit ihm zusammengetan hatten.

Doch keiner machte Anstalten, ihrem Rädelsführer zu folgen.

»Aus welchem Dorf seid ihr?« fragte Thurnus.

»Tabukfurt!« lautete die mürrische Antwort.

»Und wer ist Kastenführer in Tabukfurt?« wollte Thurnus grinsend wissen.

»Thurnus.«

»Geht in eure Hütten«, befahl er. »Ihr unterliegt der Strafe unserer Kaste.« Die Jünglinge verschwanden aus dem Kreis am Feuer. Vermutlich wurden sie für ein Jahr zur Feldarbeit verurteilt.

Melina hatte sich ebenfalls zurückgezogen. Sie war in der Hütte verschwunden, die sie mit Thurnus teilte.

»Wir wollen ein Fest feiern!« entschied Thurnus. Jubelgeschrei wurde laut.

»Aber zuerst, mein lieber Thurnus«, sagte Melina, die in der Tür der Hütte erschienen war, »trinken wir auf den Sieg des Abends.«

Schweigen trat ein.

Sie trug einen Metallkelch in der Hand. Langsam und feierlich kam sie die Treppe herab und näherte sich ihrem Gefährten.

Sie hielt ihm den Kelch hin. »Trink, edler Thurnus, mein Schatz«, sagte sie zu ihm. »Ich bringe dir den Trank des Sieges.«

Plötzlich erkannte ich ihren Plan. Melina war eine raffinierte Frau. Sie hatte damit gerechnet, daß Bran Loort und seine jungen Freunde über Thurnus siegen würden. Doch für den Fall, daß sie es nicht schafften, hatte sie Tup Löffelhändle r, dem Hausierer, ein Pülverchen abgekauft. Hätte Bran Loort gesiegt, wäre ich ihm übergeben worden. Gleichzeitig war ich Tup Löffelhändler versprochen worden – als Bezahlung für das Pulver, sollte es wirken. In beiden Plänen war die Skla vin Dina der Preis, mit dem Melina diese Dienste erkaufte. Hätte Bran Loort gesiegt, wäre ich an ihn gefallen und Löffelhändler hätte sein Pulver unbenutzt zurückerhalten. Doch jetzt mußte sich der Trank beweisen, und sobald die erwünschte Wirkung eintrat, fiel ich dem Hausierer anheim. Melina hatte gut geplant.

»Trink, mein Schatz«, sagte sie.

Thurnus ergriff den Kelch.

Ich versuchte zu schreien, brachte aber keinen Laut heraus. Ich wehrte mich gegen meine Fesseln. Ich bin sicher, daß mir die Augen aus den Höhle n quollen. Doch niemand beachtete mich. Der Knebel saß zu fest.

»Nicht trinken, Herr!« wollte ich schreien. »Der Trank ist vergiftet!«

Thurnus hob den Kelch an die Lippen. Dann hielt er inne.

»Trink!« forderte Melina.

»Es ist unser gemeinsamer Sieg«, sagte Thurnus fest. »Trink du zuerst.«

Melina erholte sich schnell von ihrer Verblüffung. »In erster Linie ist es dein Sieg«, sagte sie.

»Trink du zuerst, mein Schatz.«

»Zuerst du!« sagte sie.

»Trink!« Thurnus’ Stimme hatte jede Freundlichkeit verloren. Melina wurde bleich. Zögernd griff sie nach dem Kelch.

»Ich halte den Kelch«, sagte Thurnus. »Trink.«

»Nein«, sagte sie und senkte die Hände. »Es ist Gift darin.«

Thurnus lächelte. Dann legte er den Kopf in den Nacken und leerte den Kelch.

Verblü fft starrte Melina ihn an.

»Sei gegrüßt, werte Dame«, sagte Tup Löffelhändler, der in diesem Augenblick zwischen den Hütten erschien.

Thurnus warf den leeren Kelch zur Seite. »Ein harmloser Trunk«, sagte er. »Tup Löffelhändler und ich haben als junge Männer zusammen Sleen gejagt. Dabei rettete ich ihm einmal das Leben. Nach dem Ritus der Sleenklauen sind wir verbrüdert.« Thurnus hob den Unterarm, an dem eine zackige Narbe sichtbar war. Löffelhändler machte es ihm nach; eine ähnliche Narbe war an seinem Arm zu sehen. Sie stammte von einer Sleenklaue, eingeritzt von Thurnus; dieselbe Klaue, geführt von Tup Löffelhändler, hatte Thurnus gezeichnet; das Blut der beiden hatte sich vermischt, obwohl der eine von Geburt Bauer, der andere Kaufmann war.

»Heute nun hat er mir das Leben gerettet«, fuhr Thurnus fort.

»Es freut mich, daß ich Gelegenheit dazu hatte«, rief Löffelhändler. »Du hast mich hereingelegt«, sagte Melina zu dem Hausierer, der ihr nicht antwortete.

»Es wäre besser gewesen«, sagte Thurnus, »du hättest den Kelch als erste geleert und es wäre wirklich Gift darin gewesen.«

»O nein, Thurnus«, flüsterte sie. »Bitte nein!«

»Bringt einen Käfig!« befahl Thurnus.

»Nein!« flehte sie.

»Und einen Sleenkragen!«

»Nein! Nein!«

Zwei Männer verließen die Gruppe.

»Lieber schere mir die Haare ab und schicke mich unehrenhaft in das Dorf meines Vaters zurück!« rief sie.

Mit einer heftigen Bewegung riß er ihr das Gewand vom Leibe und legte ihr den Sleenkragen um, den ein Mann gebracht hatte. Furchtsam blickte sie Thurnus an.

»In den Käfig mit dir, Sklavin!« sagte Thurnus.

»Thurnus!«

Er holte aus und versetzte ihr mit dem Handrücken einen heftigen Schlag auf den Mund. »In den Käfig, Sklavin!« forderte er.

»Ja – Herr«, flüsterte die Sklavin, die bis eben noch Melina geheißen hatte. Sie kroch in den Sleenkäfig, der in der Nähe aufgestellt worden war.

Sandalenschnur gab die Leinen der beiden Sleen an einen Mann weiter, eilte zum Käfig und ließ die Tür herabknallen. Die Umstehenden begannen zu jubeln.

»Wir wollen feiern!« rief Thurnus, Kastenführer von Tabukfurt. »Und macht ein Feuer heiß für das Brandzeichen einer Sklavin!«

Wieder brüllten die Dorfbewohner ihre Begeisterung hinaus.

In dem winzigen Käfig hockte die Sklavin, ihr Gesicht war vor Entsetzen entstellt. Bald würde sie das Sklavenzeichen tragen.

Männer und Frauen eilten herbei und begannen mit den Vorbereitungen für das Fest. Auf ein Zeichen von Thurnus hin befreiten mich Radieschen, Rübchen und Verrschwanz von meinen Fesseln. Sie nahmen mir den ekelhaften Knebel aus dem Mund.

Verr wurden gebraten, Pudding gekocht. Sa-Tarna-Brot wurde aus den Hütten geholt und erhitzt. Sul-Paga floß in Strömen.

Als das Fest seinem Höhepunkt entgegenging, wurde der Käfig geöffnet und die ehemalige freie Frau Melina herausgeholt. Man fesselte sie an den Pfahl, an dem ich vorhin noch gestanden hatte, und brandete sie. Anschließend wurde ihr das Haar abrasiert. Stöhnend hing sie in ihren Fesseln, während die Männer und Frauen an das Lagerfeuer zurückkehrten.

Zur Rechten Thurnus’ saß Tup Löffelhändler, auf seiner anderen Seite Sandalenschnur, die er am Nachmittag aus der Sklaverei entlassen hatte.

Ich blickte zum Himmel auf. Dunkle Wolken bewegten sich über uns. Die Luft schmeckte feucht.

In diesem Augenblick stand Thurnus auf und hob einen Kelch mit Paga. »Tup Löffelhändler«, sagte er, »ist nach dem Ritus der Sleenkralle mein Bruder. Ich trinke auf ihn!« Die Dorfbewohner machten es ihm nach.

Daraufhin stand Tup Löffelhändler auf. »Ihr habt heute Paga und Nahrung mit mir geteilt. Ich trinke auf die Gastfreundschaft von Tabukfurt!«

Die Anwesenden jubelten.

»Außerdem«, fuhr der Hausierer fort, »trinke ich auf einen Mann, der nicht meiner Kaste angehört, mit dem mich aber ein Band verbindet, das stärker ist als alle Kastengrenzen – auf Thurnus, Kastenführer von Tabukfurt!« Die Begeisterungsrufe klangen nun noch lauter.

Thurnus erhob sich von neuem. »Ich bitte diese freie Frau«, sagte er und deutete auf Sandalenschnur, »mich in Freier Gefährtenschaft zu akzeptieren!« Die Dorfbewohner gerieten außer sich vor Begeisterung.

»Thurnus«, sagte sie, »da ich jetzt frei bin, kann ich doch auch nein sagen, oder?«

»Richtig«, sagte Thurnus verwirrt.

»Dann, edler Thurnus«, sagte sie ruhig, »lehne ich deinen Vorschlag ab. Ich werde nicht deine freie Gefährtin.«

Thurnus senkte seinen Kelch. Stille herrschte auf dem Dorfplatz.

»Ich bitte dich statt dessen, weiter deine Sklavin sein zu dürfen«, fuhr das Mädchen fort.

»Warum?«

»Ich habe in deinen Armen gelegen, Thurnus«, sagte sie. »In deinen Armen kann ich nur Sklavin sein. Es würde dich entehren – in deinen Fellen kann ich mich nur wie eine Sklavin verhalten.«

»Ich verstehe«, sagte der Kastenführer von Tabukfurt leise.

»Die Liebe, die ich für dich empfinde«, fuhr das Mädchen fort, »ist nicht die Liebe einer freien Gefährtin, sondern die einer Sklavin, so tief und unterwürfig, daß sie nur aus einem Sklavenherzen kommen kann.«

Das Fest nahm seinen Fortgang. Dunkle Wolken ballten sich am Himmel zusammen. Immer wieder wurden die Monde verdeckt.

Mir wurde der Kopf schwer. Plötzlich schreckte ich hoch, als vor mir ein Klicken ertönte. Jemand hatte mir Stahlreifen um die Arme gelegt.

Ich hob den Blick und schaute in die Augen Tup Löffelhändlers. »Steh auf, kleine Vulo«, sagte er. »Du gehörst jetzt mir.«

Mir war seltsam zumute. So einfach hatte ich den Herrn gewechselt!

Ich sah mich um. Das Fest ging seinem Ende entgegen. Die meisten Dorfbewohner hatten sich bereits in ihre Hütten zurückgezogen. Einige lagen betrunken am herunterbrennenden Feuer.

In unserer Nähe befanden sich Thurnus und einige seiner Mädchen.

»Ich habe dich Tup Löffelhändler geschenkt«, sagte Thurnus zu mir.

»Ja, Herr«, flüsterte ich und kniete nieder.

»Du wurdest ihm als Zahlung für das Pulver versprochen, das er einer Dorfbewohnerin gab«, fuhr Thurnus fort. »Das Pulver wurde verwendet, obgleich es nicht die gewünschte Wirkung hatte. Die betreffende Person kann leider keine eigenen Geschäfte mehr tätigen, da sie bedauerlicherweise Sklavin geworden ist – daher überlasse ich dich ihm als Zahlung für das Pülverchen.«

»Ja, Herr«, antwortete ich und ballte die Fäuste in den Handschellen. Ich war der Preis für eine Portion Pulver! Mein Zorn entflammte. »Das Pulver war doch aber wertlos!« sagte ich schmollend.

»Du aber auch, hübsche kleine Dina«, sagte Thurnus und warf lachend den Kopf in den Nacken. Dann wandte er sich an Sandalenschnur. »Ich ernenne dich zu meiner Lieblingssklavin. Du wirst in meiner Hütte schlafen.«

»Deine Sklavin ist dir sehr dankbar, Herr«, erwiderte sie.

»Außerdem bist du Erstes Mädchen im Dorf.«

»Wie der Herr befiehlt«, sagte sie.

Radieschen, Verrschwanz und Rübchen eilten zu ihr und umarmten und küßten sie. »Wir sind ja so glücklich!« sagte Rübchen.

»Du kannst aufstehen, Dina«, sagte Tup Löffelhändler zu mir, »und dich von deinen ehemaligen Käfiggefährtinnen verabschieden.«

Die Mädchen kamen zu mir und wünschten mir alles Gute. Ich erwiderte ihre Wünsche.

Als letzte umarmte mich Sandalenschnur. »Ich wünsche dir alles Gute, Dina«, sagte sie.

»Ich wünsche dir alles Gute, Herrin«, antwortete ich. Ich nannte sie Herrin, denn sie war das Erste Mädchen ihres Herrn.

Thurnus trat vor mich hin, legte mir die Hand auf den Kopf und schüttelte ihn hin und her.

Ich blickte zu ihm auf. Tränen standen mir in den Augen.

»Das Dorf«, sagte er, »ist nicht der richtige Ort für dich, Dina. Die Tage sind zu lang, die Arbeit ist zu mühsam.« Er musterte mich von Kopf bis Fuß. »Du hast den Körper einer Vergnügungssklavin«, fuhr er fort. »Dein Platz ist zu den Füßen eines Mannes.«

»Ja, Herr«, sagte ich.

»Komm, Sklavin«, sagte Tup Löffelhändler und nahm mich am Arm. Ich widersetzte mich dem Druck seines Arms.

»Ich wünsche dir alles Gute, Herr«, sagte ich zu Thurnus.

»Du kannst ja nic ht mal einen Pflug ziehen«, stellte er fest.

»Ich bin ein armseliger Sklaven-Bosk«, sagte ich.

»Du bist nicht der Bosk«, sagte er, »sondern die Wiese.« Errötend senkte ich den Kopf. »Ich wünsche dir alles Gute, kleine Sklavin«, sagte Thurnus.

»Vielen Dank, Herr«, erwiderte ich.

Ich spürte Tup Löffelhändlers Finger an meinem Arm. »Wird es nötig sein, dich zu schlagen?« fragte er.

»Nein, Herr!« erwiderte ich erschrocken und folgte ihm.

Der Karren des Hausierers stand in der Nähe des Dorftors, das für uns geöffnet wurde.

Ich rechnete damit, hinter dem Wagen angebunden zu werden; zu meiner Überraschung führte mich mein Herr jedoch zwischen die Deichseln und band mich dort fest.

»Ich bin zu schwach, um den Karren zu ziehen, Herr«, sagte ich bedrückt.

Doch er sah mich nur an. Ich ergriff die Deichseln und drückte dagegen, stemmte die Füße in den Boden.

»Es geht nicht, Herr!« rief ich.

Im nächsten Augenblick schrie ich laut auf. Der Peitschenschlag auf den Rücken kam unverhofft. Mit einem Klageschrei verdoppelte ich meine Anstrengungen und setzte den Karren in Bewegung. Ich zog Tup Löffelhändlers Wagen durch das Tor auf den Weg, der von Tabukfurt fortführte.

In diesem Augenblick spürte ich einen Tropfen Regen auf der Haut. Es begann zu nieseln. Dicke Wolken wurden vom Wind über den Himmel gejagt. Ich spürte die Feuchtigkeit in meinem Haar und auf meinem nackten Körper. Der Regen wurde stärker, und ich rutschte immer wieder auf dem feuchten Boden aus. Löffelhändler half mir, indem er sich gegen den Wagen stemmte. Schließlich ging es nicht weiter. Der Hausie rer löste meine Fesseln und setzte sich zu mir unter den Wagen.

»Die Dürre ist vorbei«, stellte er fest.

Загрузка...