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Mein Herr reichte mir seinen Kelch, den ich mit Sul-Paga füllte. Dann preßte ich meine Lippen an das Metall und gab ihm das Gefäß zurück. Meine Augen taten weh. Der Duft machte mich trunken.

Sul-Paga ist wasserhell, während die Sulfrucht gelb ist. Die Paga-Brennerei, die über zahlreiche Tanks und Rohrleitungen verfügte, lag mitten in dem Dorf, dessen Gäste wir waren, Tabukfurt. Hier war unser Gastgeber Thurnus Kastenführer.

»Ausgezeichnet«, sagte mein Herr, als er von dem Paga getrunken hatte. Am Abend zuvor hatte ich einen Schluck des starken Getränks gekostet. Nach Sekunden war mir schwarz vor den Augen geworden. Ich war bewußtlos zu Boden gesunken und hatte erst am nächsten Morgen mit fürchterlichen Kopfschmerzen das Bewußtsein wiedererlangt.

»Wein, Sklavin!« sagte Maria und hielt mir ihren Kelch hin.

Zornig stellte ich den Sul-Paga fort und holte die Flasche mit Ka-la-na-Wein aus Ar und füllte ihren Becher.

Sie dankte mir nicht, beachtete mich nicht einmal – ich war ja nur eine Sklavin. Dabei traf dasselbe auf sie zu! Ich sah, wie sie sich in ihrem inzwischen gekürzten weißen Kleid in die Arme meines Herrn schmiegte. Sie war in der Gunst der Männer schnell gestiegen und hatte sogar Eta vom Platz der Lieblingssklavin vertrie ben. Ich hatte von Anfang an befürchtet, daß die Männer für sie entbrennen würden. Mein Herr schien sie jedenfalls sehr zu mögen. Er beschlief sie fast jede Nacht. Ich haßte sie. Auch Eta schien ihr nicht gerade wohlgesonnen zu sein.

Maria musterte mich und lächelte. »Du bist eine hübsche Sklavin«, sagte sie.

»Danke, Herrin«, antwortete ich mühsam beherrscht. Seitdem sie zum Ersten Mädchen avanciert war, mußten wir sie bedienen und mit ›Herrin‹ anreden. Obwohl sie keinen Schmuck und keine hübschen Kleider tragen durfte, galt sie im Lager als hohe Skla vin. Seit dem Überfall auf den Brautzug der Lady Sabina waren fünf Wochen vergangen. Einen großen Teil dieser Zeit hatten wir auf einer langen Überlandreise verbracht.

»Gib mir zu trinken«, verlangte Thurnus von mir.

»Ja, Herr«, sagte ich und brachte ihm Ka-la-na-Wein.

Thurnus war ein zottig wirkender Mann mit langem strohblondem Haar, breiten Schultern und großen Händen. Er stammte eindeutig von Bauern ab. In Tabukfurt war er Kastenführer. Tabukfurt war ein großes Dorf mit etwa vierzig Familien; die Häuser wurden von einem Palisadenzaun geschützt, der sich wie eine Radnabe inmitten ringsum angeordneter Felder erhob – lange, breiter werdende Streifen, die wie Speichen von der Mitte aus gingen. Thurnus bebaute vier solche Streifen. Tabukfurt leitet seinen Namen aus der Tatsache her, daß vor langer Zeit die Feldtabuks auf ihren jährlichen Wanderzügen den Verl-Fluß – einen Nebenfluß des Vosk – in der Nähe überquerten. Die Feldtabuk haben ihren Wanderweg inzwischen um etwa zwanzig Pasang weiter nach Norden verlegt, während der Name des Dorfes unverändert geblieben ist. Tabukfurt ist ein reiches Dorf, ist aber nicht so sehr bekannt für seine landwirtschaftlichen Produkte wie für seine Sleenzucht. Thurnus aus der Bauernkaste war einer der bekanntesten Sleenzüchter auf Gor.

Thurnus musterte mich und grinste. »Ich habe gesagt, gib mir zu trinken!« Dabei betonte er das letzte Wort.

»Verzeih mir, Herr«, sagte ich, machte kehrt und holte eilends den Beutel mit Sul-Paga.

Thurnus hielt mir seinen Kelch hin. Ich machte Anstalten, den Sul-Paga hineinzugießen. Doch plötzlich zog er den Kelch fort, hielt ihn etwas näher zu sich. Natürlich mußte ich aufrücken.

Eine goreanische Sklavin muß für ihre Schönheit einen hohen Preis zahlen. Ich war gewillt, ihn zu zahlen – doch war Schönheit auf einer Welt wie Gor nicht ohne Risiken. Ich wünschte mir plötzlich, ich trüge einen Namenskragen, wie Eta. Auf diese Weise wäre jedem klar, wem ich gehörte. Doch mein Herr hatte sich bisher nicht die Mühe gemacht, mir einen solchen Reif umzulegen.

»Komm näher, kleine Schönheit«, sagte Thurnus.

Ich gehorchte, obwohl ich Angst vor diesem Manne hatte. Ich hatte seinen Blick oft genug bemerkt.

Ich goß Sul-Paga in seinen Kelch.

Mein Herr saß mit seinen Adjutanten in der großen strohbedeckten Hütte des Thurnus. Das Bauwerk war hoch und konisch angelegt; der Fußboden bestand aus behauenen Dielen, die sich auf Pfählen etwa sieben Fuß über dem Boden befanden, wodurch die Hütten vor Feuchtigkeit und Ungeziefer geschützt wurden. Der Eingang war über eine schmale, steile Treppe zu erreichen. Andere Hütten verfügten nur über Leitern an den Türen. Thurnus war der Kastenführer dieser Siedlung. In der Mitte des Fußbodens befand sich eine große kreisförmige Metallscheibe, auf der man Feuerschalen oder kleine flache Kochherde abstellen konnte. Als Brennstoff diente gepreßtes Holz, wie man es in den Dörfern nordwestlich von Ar oft findet. An den Wänden stand das Vermögen des Hauses in Truhen und Ballen. Matten bedeckten den kahlen Fußboden. An den Wänden hingen Gefäße und Lederwaren. Ein Rauchabzug gähnte im Dach der Hütte. Obwohl das Bauwerk keine Fenster und nur eine Türöffnung hatte, war der Raum während des Tages nicht dunkel. Dachstroh und Mauern filterten das Sonnenlicht, und das ergab eine angenehme Tönung, die dem Auge wohltat. Im Sommer ist es frisch und kühl in der Hütte. Im Winter, der in diesen Breitengraden selten streng ausfällt, werden die Hütten außen mit bemalten Planen abgedeckt.

Tabukfurt lag etwa vierhundert Pasang nordnordwestlich von Ar, an der Voskstraße, die vor vielen Jahren von den Horden Pa-Kurs beim Anmarsch auf Ar benutzt worden war. Auch wir waren auf diese Straße eingeschwenkt, nachdem wir den Vosk überquert hatten. Die Straße ist breit und wirkt wie eine in den Boden versunkene mächtige Mauer, Pasangsteine markieren die Entfernungen. Der ursprüngliche Zweck einer solchen Straße lag vermutlich im Militärischen – ein Weg, auf dem Kriegstharlarion rasch vorankommen, auf dem Tausende von Soldaten, Wagen und Belagerungsmaschinen schnell von einem Ort zum anderen gebracht werden konnten. Solche Straßen erleichtern die Verteidigung von Grenzen und die Abwehr von Eindringlingen – und kommen dem Expansionsdrang ehrgeiziger Herrscher entgegen.

Thurnus sah mich an. »Du darfst meinen Kelch küssen, Sklavin«, sagte er. Ich gehorchte.

An der Wand hinter Thurnus hing ein Langbogen aus biegsamem Ka-la-na-Holz – eine gefährliche Waffe, die von den goreanischen Bauern bevorzugt wird. Eine andere Waffe der Bauern ist der große Stab, etwa sechs Fuß lang und zwei Zoll dick. Zwei solche Stäbe lehnten an der Wand.

»Und nimm deine Lippen erst wieder fort, wenn ich es dir sage!«

»Thurnus«, sagte seine freie Gefährtin, eine große, rundliche Frau, die einen Reptuchschleier trug. Sie hatte keine Freude an solchen Scherzen.

Ganz in der Nähe besaß Thurnus ein Gehege, in dem sich seine Sklavinnen befanden. Er arbeitete nicht allein auf den Feldern.

»Sei still, Frau«, sagte Thurnus und griff ungeniert nach meinem Busen.

Neben den Kampfstäben lag ein einfacher, unregelmäßig geformter Felsbrocken, den Thurnus vor Jahren von den Feldern mit nach Haus gebracht hatte – sein Heimstein, der Stein, der den Heimatbegriff des Goreaners verkörpert.

»Thurnus!« sagte seine Gefährtin ärgerlich.

Doch er kümmerte sich nicht um sie. Es war viele Jahre her, daß sie ihm aus dem Dorf ihres Vaters gefolgt war – auf die Wanderung, die mit der Gründung Tabukfurts geendet hatte.

Thurnus war ein kräftiger Mann, ein Typ, der entweder viele Frauen hat oder einer einzigen Frau unglaublich viel abverlangt. Seine Gefährtin übte vermutlich keinen Reiz mehr auf ihn aus oder war zu stolz auf ihre Freiheit, als daß sie noch sein Interesse erweckte.

»Du bist eine hübsche kleine Sklavin«, sagte Thurnus zu mir.

Ich konnte nicht antworten, lagen meine Lippen doch an seinem Kelch.

»Wie heißt sie?« wandte sich Thurnus an meinen Herrn.

»Sie hat keinen Namen«, lautete die Antwort.

»Oh«, machte Thurnus und fuhr mir mit der Hand zwischen die Beine. Ich zuckte zusammen und keuchte.

Ärgerlich stand Thurnus’ freie Gefährtin Melina auf und verließ die Hütte. Ich erbebte unter Thurnus’ intimer Berührung. Ich konnte mich seiner Hand nicht entziehen, denn ich mußte ja den Kelch küssen.

»Vielleicht können wir sie ›Dummkopf‹ nennen«, schlug Maria vor.

Die Männer lachten.

»Oder ›die Ungeschickte‹!« drängte Maria boshaft.

»Du hast recht«, sagte mein Herr. »Sie ist dumm und ungeschickt – doch ihre Intelligenz nimmt zu und auch ihre Schönheit und Anmut.«

»Wir wollen ihr einen Namen geben, der besser zu einer Sklavin paßt, die eines Tages vielleicht in der Lage ist, Männern zu gefallen.«

Meine Lippen berührten den Kelch des Thurnus. Er ließ meinen Blick nicht los. Seine Liebkosungen wurden immer heftiger. Ich war erregt. Ich war eine Skla vin, ich konnte nicht anders.

Thurnus lachte. Meine Schenkel bewegten sich in dem Rhythmus, den er mir aufzwang. Wie wütend ich war!

»Wenn die namenlose Sklavin dich irgendwie interessiert«, sagte mein Herr, »kannst du natürlich mit ihr tun, was dir beliebt.«

Thurnus lachte. »Du bist doch aber gekommen, um Sleen anzusehen.«

Mein Herr zuckte die Achseln. »Das stimmt«, sagte er.

»Dann wollen wir keine Zeit mehr verschwenden im Spiel mit Sklavinnen, sondern uns ernsthaften Geschäften zuwenden. Thurnus sah mich an. »Du kannst mir den Kelch jetzt geben.«

Mit aufgerissenen Augen, heftig atmend, kniete ich auf dem Boden.

Mein Herr erhob sich, und seine Adjutanten taten es ihm nach. Ich hätte mich am liebsten kreischend auf dem Boden gewälzt. Thurnus hatte das Angebot meines Herrn nicht angenommen, obwohl ich sicher war, daß er mehr als nur beiläufiges Interesse für mich hatte. Ich fragte mich, ob er meinen Herrn mit seinem Verhalten auf die Probe stellen wollte. Thurnus schien mir ein kluger Mann zu sein.

Die Männer machten Anstalten, die Hütte zu verlassen.

Mein Herr schnipste mit den Fingern. Maria sprang auf und eilte zur Tür der Hütte.

»Ich fürchte, ich habe deine Sklavin ein bißchen nervös gemacht«, sagte Thurnus grinsend und sah mich an.

»Bitte, Herr!« flüsterte ich.

»Egal«, sagte er und machte kehrt. »Wir wollen uns die Sleen ansehen.«

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