Iwan Jefremow Der Weg zum Andromedanebel

Als man mich bat, über meine Erfahrungen als Schriftsteller und über die Besonderheiten des Genres Science-Fiction zu schreiben, entschloss ich mich, dies anhand einiger konkreter Beispiele und vor allem in Bezug auf „Andromedanebel“ zu tun.

Es ist nämlich so, dass mir die Arbeit an diesem Roman[1] besonders schwer fiel. Mein Versuch, Menschen einer weit entfernten Zukunft darzustellen und in diesem Zusammenhang eine Reihe sozialer und wissenschaftlicher Fragen zu behandeln, gestaltete sich höchst kompliziert. Dabei rührte der Großteil meiner Probleme von den Eigenheiten des Genres an sich… Aber der Reihe nach. Wie war ich überhaupt ein Science-Fiction-Autor geworden?

Die Menschen kommen auf unterschiedliche Weise zum Schreiben. Die Lyriker, so meine ich, sind vor allem von der Kraft und Bildhaftigkeit der Sprache fasziniert, ihrer schöpferischen, musikalischen Seite. Theaterschriftsteller und Romanciers treibt vermutlich der Wunsch, psychologische Prozesse und seelische Zustände des Menschen abzubilden, interessante Charaktere, komplizierte Lebenssituationen und Konflikte zu schildern, wie man sie in der Wirklichkeit vorfindet… Mich hat dagegen eine ganz andere innere Triebfeder zur Literatur gebracht. Ich kam von der Wissenschaft — mich beschäftigten wissenschaftliche Fragestellungen, Hypothesen, Theorien.

Es gibt den Begriff „wissenschaftliche Intuition“. Nehmen wir an, Sie sind Wissenschaftler und denken die ganze Zeit über ein bestimmtes Problem nach. Schließlich finden Sie die Lösung, die Erklärung dessen, was Sie so beschäftigt. Aber dann müssen Sie ja noch die Argumente sammeln und die Fakten, die Ihre Lösung untermauern. In diesem Fall bewegen Sie sich vom Gipfel zum Ausgangspunkt zurück — auf umgekehrtem Wege. Aber manchmal kommt es vor, dass die Fakten nicht für einen stichhaltigen Beweis ausreichen und Sie nicht in der Lage sind, den gesamten Weg von der Lösung zum Ausgangspunkt sauber zu dokumentieren, den ganzen Verlauf Ihrer Überlegungen nachzuzeichnen. In diesem Fall bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Ihre Hypothese in der Schublade verschwinden zu lassen — in der Hoffnung, dass irgendwann die fehlenden Fakten und Puzzlesteine von jemand anderem entdeckt werden.

Genau dieses Bewusstsein der Ohnmacht als Wissenschaftler brachte mich eines Tages auf den Gedanken, dass Science-Fiction-Schriftsteller in dieser Hinsicht gewaltige Vorteile haben. Hat ein SF-Autor einen glänzenden Gedanken, eine Eingebung, dann kann er eine Erzählung oder einen Roman darüber schreiben; er kann auch die wildeste Hypothese als Realität schildern. Der Wunsch, meine Ahnungen und Überlegungen hinsichtlich der Zukunft irgendwie zu begründen und zu äußern, wurde für mich zur Motivation, mich literarisch zu betätigen.

„Fünf Kompassstriche“, mein erster Sammelband von SF-Erzählungen (der Untertitel lautete „Erzählungen über Ungewöhnliches“), verfasste ich gegen Ende des Krieges, als mich eine Krankheit für längere Zeit außer Gefecht setzte und ich beschloss, endlich meine lang gehegten Absichten zu verwirklichen und einige meiner wissenschaftlichen Hypothesen in Form von Novellen zu veröffentlichen. Die Erzählungen stellten einen Mix aus Abenteuer- und SF-Genre dar, denn damals glaubte ich, dass in der Belletristik vor allem der Stoff und die Dramaturgie zählten.

Dabei basierten meine Novellen auf einer Reihe von Hypothesen, die mich zu der Zeit als Wissenschaftler besonders beschäftigten. So zum Beispiel in „Der Diamantschlot“. Für mich war es völlig klar, dass die Strukturen der südafrikanischen und der mittelsibirischen Hochebene gleich beschaffen sind, dass die geologischen Brüche der Erdkruste an diesen Stellen den gleichen Charakter aufweisen. Daher war es in meinen Augen nur logisch: Wenn es in Südafrika einen Schlot gab, musste es einen solchen auch bei uns in Sibirien geben. Aber natürlich konnte ich das nicht beweisen. Ich war einfach zutiefst davon überzeugt, und zwar ebenso als feldforschender Geologe, der ich schon mehrfach Exkursionen in diese Gegenden unternommen hatte, wie auch als theoretischer Wissenschaftler. Genau um diese Hypothese also ging es in einer meiner ersten Erzählungen: Im Norden Sibiriens entdecken Wissenschaftler ein reiches Diamantvorkommen. Die Geologen liebten diese Erzählung. Einige berichteten mir später, dass sie das Bändchen sogar in ihrem Exkursionsgepäck mit sich nahmen, weil die Idee sie buchstäblich angesteckt hatte. Etliche Jahre später besuchte mich ein befreundeter Geologe und legte mehrere Diamanten auf meinen Schreibtisch (übrigens derselbe Tisch, an dem „Der Diamantschlot“ geschrieben worden war). Er hatte sie unter fast genau den Umständen gefunden, wie ich sie in der Erzählung beschrieben hatte.

Im Vorwort zu „Fünf Kompassstriche“ kann man lesen, dass es im Zentrum Sibiriens keine frühzeitlichen Höhlenmalereien gebe, keine Abbildungen von Urlebewesen aus tropischen Breiten, dass all das reine Erfindung des Autors sei (der Hinweis bezog sich auf die Erzählung „Der Mondscheinfelsen“, in der derartige Malereien entdeckt werden). Aber die jüngsten Funde in der Höhle von Kapowa am Fluss Bela bestätigten meine Hypothesen in beinahe allen Punkten — dort entdeckte man Zeichnungen von Elefanten, Säbelzahntigern und ähnlichen Tieren.

Ich will damit bestimmt nicht sagen, dass ich über irgendeine außernatürliche prophetische Gabe verfüge. Ich möchte nur so deutlich wie möglich machen, dass genau diese besondere Poesie der Wissenschaft, diese Romantik der kühnen wissenschaftlichen Suche und Beherztheit mich bei meinen ersten literarischen Gehversuchen leiteten. Ich muss gestehen, dass ich nach Fertigstellung meines ersten Erzählbandes längst noch nicht an eine echte Schriftstellerkarriere dachte. Aber zufälligerweise las auch Aleksei Tolstoi die „Erzählungen über Ungewöhnliches“ (das war nur wenige Wochen vor seinem Tod, als er schon im Krankenhaus lag), und sie gefielen ihm. Und ich weiß noch, dass er sich bei unserem Treffen besonders positiv über die „Wahrscheinlichkeit des Ungewöhnlichen“ äußerte, die er dabei spürte. Dieses Treffen mit dem Autor von „Aelita“ und „Peter der Erste“, einem Schriftsteller, den ich sehr mochte und der meine ersten Erzählungen so ernsthaft schätzte, half mir später bei der Arbeit. Ich beschloss, mich auch weiter auf dem heiklen, aber faszinierenden Feld der Science-Fiction zu versuchen.

Die Idee vom Menschen, der in den Kosmos fliegt, in andere Galaxien, hat mich schon lange beschäftigt, lange bevor der erste sowjetischen Sputnik seine Umlaufbahn erreichte und der Weltöffentlichkeit die Wahrhaftigkeit der ältesten Menschheitsträume vom Reisen in andere Welten und zu anderen Planeten vorführte. Wirklich konkrete Formen nahm diese Idee jedoch erst vor etwa zehn Jahren an. Ich hatte damals fünfzehn oder zwanzig SF-Romane hintereinander weg gelesen, Romane von zeitgenössischen westlichen, hauptsächlich amerikanischen Autoren. Anschließend verspürte ich den heftigen und anhaltenden Wunsch, meine eigene Version der Zukunft zu entwerfen, genauer gesagt, einen künstlerischen Gegenentwurf zu diesen Büchern vorzulegen, die philosophisch und soziologisch nicht fundiert waren.

In gewisser Weise drängten mich also rein polemische Überlegungen dazu, diese lang gehegte Idee zu realisieren: Ich wollte diesen Zukunftsvisionen eine grundsätzlich andere entgegensetzen. Waren die westlichen Romane durchdrungen von dem Motiv des Untergangs der Menschheit infolge verheerender Kriege zwischen den Welten oder auch von Ideen zum Schutz und der Verbreitung des Kapitalismus, der irgendwann auf Jahrtausende die ganze Galaxie erfassen würde, entwarf ich die Idee vom freundschaftlichen Kontakt zwischen verschiedenen kosmischen Zivilisationen. So entstand und reifte das Thema vom „Großen Ring“ (wie ich „Andromedanebel“ ursprünglich nennen wollte). Aber im Verlauf des Schreibens kristallisierte sich etwas anderes als Hauptgegenstand meiner Fantasie heraus, nämlich der Mensch der Zukunft. Ich spürte, dass ich nicht in der Lage sein würde, eine Brücke zu anderen Galaxien zu bauen, solange ich nicht selbst verstanden hatte, wie der irdische Mensch von morgen aussehen würde, wie er denken, wonach er sich sehnen und wonach er streben würde. Vermutlich rückte der ursprüngliche, allzu enge Titel deshalb immer mehr in den Hintergrund, und an seine Stelle schob sich ein neuer, der besser passte: „Andromedanebel“. Auch er symbolisierte den intergalaktischen Austausch und Kontakt — jene Idee, die mir so wichtig war —, gleichzeitig ließ er mir aber mehr Raum und legte mich nicht so stark fest.

Ich muss gestehen, dass ich mich in diesem Roman zum ersten Mal auf den Menschen konzentrierte, auf den Charakter meiner Helden. In den Erzählungen hatten mich vor allem die hypothetischen wissenschaftlichen Hintergründe beschäftigt, außerdem der Spannungsbogen, die Handlung, das Abenteuer. Als Kind hatte ich mich schon für Abenteuerromane interessiert, und als ich selbst zu schreiben begann, glaubte ich, dass Handlung, Dramaturgie und Schauplatz beim Schreiben von Belletristik wichtiger als alles andere wären. Letzterer sollte möglichst exotisch sein, am besten eine ungewöhnliche und überraschende Kombination von Naturphänomenen unserer Umwelt (dank vieler wissenschaftlicher Exkursionen konnte ich aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen). In meinen frühen Erzählungen legte ich den Schwerpunkt auf alles Ungewöhnliche in der Natur, der Mensch an sich kam mir damals absolut gewöhnlich vor. Einzige Ausnahmen: die beiden Erzählungen „Cutty Sark“ und „Auf den Spuren alter Berggeister“[2], wo es um besondere menschliche Fähigkeiten geht. Dieses Motiv fand seine Weiterentwicklung im Roman „Das Land aus dem Meeresschaum“, in dem ich mich zum ersten Mal mit der komplexen Figur des hellenistischen Künstlers auseinandersetzte, und später im Roman „Sternenschiffe“[3], der sich mit der Frage der schöpferischen Arbeit eines Wissenschaftlers befasste. Bei der Arbeit an diesen Romanen war ich auf einmal gezwungen, mich ernsthaft mit der psychischen Verfassung, dem Innenleben meiner Helden zu beschäftigen.

Bei der Lektüre von übersetzter SF-Literatur nahm ich regelmäßig wie in einem Zerrspiegel meine eigenen Fehler wahr und konnte mich anhand dieses Anschauungsmaterials davon überzeugen, wie wichtig für einen Schriftsteller die Darstellung seiner Charaktere ist und wie gefährlich eine Reduktion auf den Stoff. Denn wenn Letzteres eintritt, verkommt Science-Fiction zur reinen Unterhaltung. Ich kam zu dem Schluss, dass dem Menschen in meinem nächsten Roman die Hauptrolle gebühren sollte und die Zukunftswelt lediglich den Hintergrund liefern würde für soziale und philosophische Problemstellungen. Und schon sah ich mich mit einer Reihe von Fragen konfrontiert, auf die ich Antworten würde finden müssen, ehe ich mich ans Schreiben machte…

Noch während ich ausschließlich wissenschaftlich arbeitete, hatte ich mir angewöhnt, alle Probleme und Hypothesen, die mich beschäftigten, niederzuschreiben. Ich hatte dafür extra Notizbücher angelegt, die ich spaßhaft „Weise Hefte“ nannte. Dort hielt ich allerlei Skizzen und Ideen fest, um sie nicht wieder zu vergessen. Natürlich vergrößerte sich das Feld meiner Ideen und Fragen wie von selbst, als ich zu schreiben anfing, was sich auch auf meine Notizen auswirkte. Sie wurden detaillierter. Wenn mir so ein „Weises Heft“ früher mehrere Jahre gereicht hatte, füllte ich jetzt zwei bis drei davon pro Jahr. Ich notierte meine literarischen Einfälle darin, aber nicht nur die nackte Idee, sondern auch ergänzende Tatsachen, Einzelheiten und Informationen rund um eine Grundidee.

Als ich „Das Land aus dem Meeresschaum“ entwarf, notierte ich eine Vielzahl von Informationen über das alte Griechenland, interessante Einzelheiten, Fakten über Afrika und die ägyptische Kultur. Hatte ich irgendwo gelesen, dass das Rote Meer bei Sonnenuntergang eine bestimmte Farbe annahm, trug ich das in mein Heft ein. Stieß ich in einem Buch auf ein interessantes Detail — beispielsweise, dass der Fluch „Geh zu den Krähen“ in etwa unserem heutigen „Geh zum Teufel“ entspricht —, notierte ich das. Ich versuchte, speziellen Nachschlagewerken besondere Informationen zu entnehmen. Aber ich verwendete sie in meinen Werken auf andere Weise als beispielsweise der Schriftsteller Jules Vernes. Wenn Vernes Helden an einem gigantischen Baobab vorbeikamen, nahm der Autor das zum Anlass, um dessen Größe, Umfang etc. zu beschreiben. Mir dagegen schien es wichtiger, an diesem Baum ein besonderes Detail hervorzuheben, das für die Umwelt, die gesamte Situation rund um den Helden als charakteristisch gelten konnte. Meine Aufgabe bestand vor allem darin, eine reale Welt erstehen zu lassen, in anschaulichen Einzelheiten und ohne dabei allzu stark zu vereinfachen oder in plumpe Deskription zu verfallen. Eine andere Frage ist, ob ich dieser Aufgabe immer gerecht geworden bin.

Besonders viele Notizen machte ich mir, während ich „Andromedanebel“ ersann. Mich interessierten damals vor allem Probleme der zukunftsorientierten Wissenschaften, in denen ich mich nicht gut auskannte: Physik, Chemie, Medizin. Einige Jahre lang verfolgte ich aufmerksam die wissenschaftlichen Fortschritte in diesen Bereichen; ich wollte wissen, mit welchen Fragen sich die Biologen, Chemiker, Astronomen und Physiker der modernen Welt herumschlugen…

Nachdem die erste Phase, „Sammlung von Rohmaterial“, abgeschlossen war, begann die zweite: Es galt, die abwegigsten und gleichzeitig vielversprechendsten wissenschaftlichen Probleme auszuwählen und sie im Buch bereits als gelöst zu präsentieren. Ganz automatisch stellte sich mir die Frage, wie die Menschen aussehen würden, die über einen so gewaltigen Verstand und solches Wissen verfügten.

Meine Überlegungen bezüglich des menschlichen Charakters der Zukunft vollzogen sich auf zwei Ebenen: Ich musste mir das äußere und das innere Aussehen eines solchen Menschen vorstellen. Ersteres war deutlich einfacher. Ich ging gedanklich vom modernen Menschen aus, stellte mir unseren nördlichen Küstenbewohner vor, Sibirer oder Skandinavier — Menschen, an die ihre Lebensbedingungen besondere Anforderungen stellen, die davon geschmiedet und gestählt werden, denen dadurch Stärke, Mut und Entschlossenheit anerzogen werden. Ich glaubte, dass der Mensch der fernen Zukunft, der sich mit intensiven, der Gesellschaft nützlichen Aufgaben beschäftigen würde, ohne sich dabei zu erschöpfen oder verschleißen zu müssen, dass dieser Mensch noch stärker und schöner sein würde.

Was die Innenwelt dieses Menschen anging, tat ich mich schwerer. Natürlich stellte ich mir vor, dass der zukünftige Mensch willensstark, mutig, entschlusskräftig und so weiter sein würde, dabei zugleich frei von jeder Art von Prahlerei, Grobheit, Zügellosigkeit — also jenen Eigenschaften, die heutzutage noch immer von einigen physisch starken Menschen geschätzt werden. In der kommunistischen Gesellschaft würde jegliches Anzeichen von Grobheit zu einem asozialen Phänomen, und Furchtlosigkeit und Mut liefen nicht mehr Gefahr, sich in Übermut und Draufgängertum zu verwandeln.

Die Frau der Zukunft würde ein absolut vollwertiges und gleichgestelltes Mitglied der Gesellschaft sein, das keinerlei Missachtung oder Schmälerung ihrer Rechte hinnehmen müsste. Sie würde absolut frei in ihren Gefühlen sein.

Und natürlich würde das Leben der zukünftigen Menschen erfüllend und erfüllt sein: Sie würden sich immer mit interessanten Aufgaben beschäftigen, vielfältige, intellektuelle und physische Herausforderungen erleben, was sie vor Müßiggang und der beschämenden Notwendigkeit befreien würde, „irgendwie die Zeit totzuschlagen“. Im Gegenteil: Ihnen würde die Zeit nie reichen!

Kurz und gut, ich sah mich einer ganzen Reihe schwieriger psychologischer Fragen gegenüber, die ich bei der Charakterisierung meiner Figuren nicht aus den Augen verlieren durfte. Und so entstand noch ein weiteres „Weises Heftchen“. Darin notierte ich all jene vorläufigen Überlegungen darüber, wie in der Zukunft menschliche Gefühle und Zustände wie Eifersucht, Liebe, Zorn und Freundschaft aussehen würden. Also jene grundlegenden Triebfedern der menschlichen Existenz, die selbstverständlich unauflösbar mit Fragen nach dem Verhältnis zur Arbeit, dem Pflichtgefühl verbunden sind…

Nachdem ich mehrere solcher Heftchen gefüllt hatte, spürte ich, dass ich in der Lage war, über all das mit einer gewissen Glaubwürdigkeit und Wirklichkeitsnähe zu schreiben, also ohne eine Hilfsfigur wie den Einfaltspinsel, Pionier oder seltsamen Professor einführen zu müssen, die sich plötzlich unvermutet in der Zukunft wiederfand und diese für den Leser entdecken musste. Ich wollte nicht von außen auf die Welt von morgen blicken, sondern von innen. Natürlich konnte das nicht zur Gänze gelingen. Ich benötigte die Figur eines Historikers — die junge Weda Kong —, um mit ihrer Hilfe hin und wieder Ausflüge in die Vergangenheit zu unternehmen. Diese historischen Exkurse hatten die Funktion, die Besonderheiten und Veränderungen in der Zukunft hervorzuheben.

Damit meine Helden nicht wie Moralprediger wirkten, war es wichtig, dass sie eine echte Aufgabe hatten, wie sie einem Menschen einer kommunistischen Gesellschaft würdig war. Am logischsten erschien es mir, ihre Gedanken um die fernen Sternenwelten kreisen zu lassen und sie mit meinem eigenen Traum vom Kontakt unter Brüdern verschiedener Galaxien zu infizieren. Auf diese Weise entstand im Roman auch die wissenschaftliche Grundlage dafür — die „biopolare Mathematik“, die als Schlüssel für das Tibetische Experiment von Mwen Maas und Ren Bos dient. Die beiden unternehmen ein waghalsiges Experiment — sie wollen den Übergang vom Raum zum Antiraum erreichen und so gewissermaßen eine Brücke zum Planeten des Stern Epsilon Tucanae schlagen.

Die Idee vom „Großen Ring“ basiert auf der Vorstellung vom Kontakt zwischen den Erdenmenschen und den Bewohnern anderer Welten. Für mich ist sie das zentrale Thema des Romans und hat mich mehr als alles andere beschäftigt. Das ist auch der Grund, weshalb ich nie eine Fortsetzung von „Andromedanebel“ geschrieben habe, obwohl mich viele Leser darum baten — ich hatte schon alles gesagt, alles, was mir wichtig war, zum Ausdruck gebracht. Natürlich hätte man die Geschichte selbst weiterspinnen können, hätte den Verlauf der Expedition, zu der Erg Noor und Nisa Krit am Ende des Romans aufbrechen, erzählen können. Aber mich interessiert das nicht mehr. Ich liebe es, wenn eine Geschichte einen Hauptgedanken verfolgt, von einer zentralen Idee geleitet wird. Zwar ist die Idee vom direkten Kontakt der Erdenmenschen mit anderen Galaxien auch in „Andromedanebel“ noch eine Aufgabe der Zukunft, die längst noch nicht in Greifweite ist und meine Helden lediglich antreibt, aber dieser Traum existiert bereits ganz real und schafft Raum für die Bemühungen und Bestrebungen der Figuren.

Allerdings ließ mir meine Hauptidee letztlich doch keine Ruhe und beschäftigte mich noch weiter. Ich schrieb in einem Atemzug die Erzählung „Das Herz der Schlange“, wo es zum ersten Mal zur Begegnung zwischen Sternenschiffen zweier verschiedener Galaxien kommt. Natürlich reizte mich eine solche intergalaktische Begegnung auch, weil sie die Möglichkeit bot, eine Reihe spannender Situationen für die Besatzungen der Sternenschiffe in diesem besonderen Augenblick zu schaffen. Aber vor allem wollte ich den Leser spüren lassen, dass eine solche Begegnung von vernünftigen Lebewesen im Kosmos nicht auf Zufall basiert, sondern das Ergebnis eines langen Wegs und Strebens der verschiedenen Welten ist. Eine solche Begegnung ist erst möglich, wenn beide Zivilisationen eine gewaltige wissenschaftliche und technische Entwicklung durchlaufen und — was mir besonders wichtig war — die höchste Form der gesellschaftlichen Entwicklung, nämlich die kommunistische, erreicht haben. Mit anderen Worten: Hier treffen nicht zivilisierte Wilde aufeinander, um ihre bewaffneten Kämpfe in einem erweiterten, dem intergalaktischen Rahmen weiterzukämpfen, hier treffen echte Brüder im Geiste aufeinander, auch wenn sie im Kosmos weit entfernt voneinander leben. Wenn man also überhaupt an eine Fortsetzung von „Andromedanebel“ denken will, dann findet man in „Das Herz der Schlange“ so etwas wie eine eigenständige Erweiterung des Romans.

Das Bild der Weda Kong, der jungen Historikerin, half mir auf natürliche und zwanglose Weise eine wichtige, in meinen Augen gesetzmäßige Idee einzuführen, die nicht zuletzt auch mit der Vergangenheit zu tun hatte. Nämlich die Vorstellung, dass die Kultur einer zukünftigen Gesellschaft emotionaler geprägt sein würde als die heutige, in gewisser Hinsicht ähnlich der antiken hellenischen Kultur. Von allen vorangegangenen Zivilisationen haben die Hellenen meiner Meinung nach am umfassendsten und vollkommensten den Kult der Schönheit, der Gesundheit und der Ästhetik des menschlichen Körpers zum Ausdruck gebracht. Daher glaube ich, dass eine zukünftige Zivilisation, die ganz zweifellos emotionaler sein wird, viel von den antiken Hellenen übernehmen wird. Die Helden von „Andromedanebel“ jedenfalls übernehmen von dort eine Reihe Traditionen, denen sie eine neue und breitere Bedeutung verleihen. Etwa die Herkulestaten oder die spannenden Wettkämpfe der jungen Männer, bei denen es um Kraft, Geschicklichkeit und Mut geht, oder das freudvolle, von weiblicher Grazie erfüllte Fest der Flammenschalen.

Der Mensch der Zukunft wird ein ausgeglichener Mensch sein. Ausgehend von dieser Annahme stieß ich unwillkürlich auf eine Reihe von Problemen, vor allem gesellschaftlicher und sozialer Natur. Denn von der Erziehung des Menschen hängt in vieler Hinsicht das Schicksal der Gesellschaft als Ganzes ab. Deshalb spielt das Prinzip von Vernunft und Gesundheit hier eine so bedeutende Rolle, und es wird als solches von der Gesellschaft selbst eingebracht.

Der Aspekt der Erziehung ist eng verbunden mit dem Gesamtbild des zukünftigen Menschen, wie ich ihn in „Andromedanebel“ zeigen wollte. Was diesen Aspekt angeht, polemisiert mein Roman gegen einige Werke von H. G. Wells, besonders gegen „Die Zeitmaschine“, wo ein pessimistisches Bild einer verlöschenden und schrumpfenden Menschheit gezeichnet wird. Aber natürlich hat Wells nicht nur Polemik bei mir ausgelöst, bei ihm habe ich auch die Meisterschaft des Schreibens und die Kunst der Science-Fiction gelernt; besonders sein Roman „Menschen wie Götter“ (den ich mehr als alle anderen schätze) war in gewisser Weise der Ausgangspunkt für „Andromedanebel“.

Wo wir schon bei Einflüssen und Traditionen sind: Es gibt Leute, die glauben, die Science-Fiction — an sich schon ein stark „künstlich-literarisches“ Genre — bestehe ausschließlich aus der direkten und indirekten, gewollten oder ungewollten Wiederholung von immer gleichen Motiven durch die zeitgenössischen SF-Autoren, Motive, wie sie ihre talentierteren Vorgänger eingeführt haben. Natürlich kann man einen SF-Roman schreiben, ohne sich selbst eine eigene, ernsthafte Aufgabe zu stellen, einfach indem man die verschiedenen Erfindungen und Ideen verschiedener Werke neu miteinander kombiniert. Aber ein echter SF-Autor, der sich ernsthaft der Literatur verschrieben hat, wird immer etwas Eigenes sagen wollen, etwas Neues über die Zeit und über sich. Und hier spielt die Lebenserfahrung eines Autors die größte Rolle, seine eigenen Überlegungen, sein Weltbild und sein Menschenbild. Ein SF-Autor lebt bei aller Besonderheit des Genres vor allem von den Eindrücken des Daseins, und meistens wird der Ausgangspunkt seiner Fantasien ein wirkliches Bild, ein Detail oder ein alltäglicher Zufall sein. Daraufhin wird diese Idee gewissermaßen einen „Bruch“ erfahren und gänzlich in die Welt der Fantasie entschwinden. Ich will das im Folgenden anhand einer noch nicht geschriebenen Erzählung mit dem Titel „Hohe Kreuzung“ veranschaulichen.[4]

Vor zwei Jahren reiste ich als Mitglied einer sowjetischen Delegation von Wissenschaftlern nach China. Im Observatorium von Nanjing zeigte man mir einen Bronzeglobus des Sternenhimmels, der aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung datiert. Das Interessanteste daran war, dass darauf in detailliertester Form jene Sternenbilder und Gestirne eingezeichnet waren, die man nur von der südlichen Erdhalbkugel aus sehen kann — das bedeutete, dass die östlichen Seefahrer schon im ersten Jahrhundert, fast vierzehn Jahrhunderte vor Magellan, in die südlichen Meere vorgedrungen waren. Zwar gab es keinerlei schriftliche Zeugnisse davon, aber es gab den Globus! Mit einem Wort, dieses Erlebnis reizte meine Fantasie und brachte mich auf die Idee, in einer Erzählung die Geschichte längst vergangener Zeiten mit den neuesten Entdeckungen der Kybernetik und den Erkenntnissen auf dem Feld der mechanischen Speicher zu verbinden. Ich stellte mir vor, das Gedächtnis meines Helden, eines direkten Nachfahren eines jener kühnen Seefahrer, habe unbewusste Erinnerungen an jene Meeresfahrt gespeichert. Zwar werden die Ereignisse von Generation zu Generation weitergegeben, sind inzwischen aber auf schwer fassbare, vage Fragmente reduziert. Auf hochkomplexe Weise, wie sie der Wissenschaft so tatsächlich noch nicht zur Verfügung steht, gelingt es, diese schwachen Impulse aufzuzeichnen, sie anschließend neu zu lesen und ein jahrhundertealtes Rätsel zu rekonstruieren und zu lösen…

Aber ehe ich die ersten Worte aufs Papier schreibe, muss ich mir anschaulich und bis ins kleinste Detail ausmalen, wie diese Szenen und Bilder aussehen. Vor meinem inneren Auge muss praktisch ein vollständiger Film ablaufen. Erst wenn ich Bild für Bild und in der richtigen Reihenfolge alle Episoden des zukünftigen Buches vor mir sehe, kann ich anfangen zu schreiben. Eine solche emotionale Vorbereitungsphase, die im Anschluss an die Materialsammlung stattfindet, kann sich ziemlich lange hinziehen. Und bei „Andromedanebel“ war sie extrem lang.

Die Arbeit ging kein bisschen voran, kam einfach nicht von der Stelle. Ich war kurz davor zu verzweifeln: Mein innerer Bildschirm fing nicht an zu leuchten, zeigte mir keine lebendigen Bilder. Aber im Unterbewussten arbeitete meine Fantasie offenbar doch. Einmal sah ich plötzlich das tote, verlassene Sternenschiff vor mir, dieses winzige irdische Sandkorn auf jenem fremden, weit entfernten Planeten der Finsternis, vor meinen Augen schwebten die bösartigen Silhouetten der Medusen vorbei, für einen Moment blitzte in der Finsternis der kreuzförmige Schatten jenes unbestimmten mörderischen Wesens auf, das beinahe die mutige Astronavigatorin Nisa Krit vernichtet hätte… Mein „Film“ begann also mittendrin, aber diese ersten, extrem starken Bilder setzten meine Fantasie in Bewegung — endlich ging die Arbeit vorwärts.

Bald sah ich alle Episoden auf dem Planeten der Finsternis so deutlich vor mir, dass ich manchmal kaum noch mit dem Aufschreiben hinterherkam. Ich schrieb regelmäßig acht bis zehn Seiten am Stück und fühlte mich anschließend kein bisschen erschöpft, sondern verspürte im Gegenteil eine gewaltige Befriedigung und regelrechten Kräftezuwachs. Dafür fielen mir die Verbindungsstücke, die Übergänge zwischen den verschiedenen Fragmenten wahnsinnig schwer. Um so einen kleinen Übergang zwischen, sagen wir, dem Wachturm, von wo die Sternflieger die tödlichen Medusen beobachten, und der Erkundung des spiralförmigen fremden Sternenschiffs zu entwerfen, brauchte ich einen ganzen Tag! Dabei betrug der Textumfang vielleicht eine Viertelseite. Und selbst diese kurze Passage war unter Umständen noch alles andere als gelungen. Jedenfalls war es harte Arbeit, denn an diesen Stellen musste ich mich von meinem inneren Film losreißen, und das fällt mir schwer.

Was aber zwang mich immer wieder zu unfreiwilligen Pausen beim Schreiben? Lag es daran, dass ich mich noch nicht ausreichend mit meinem Material vertraut gemacht hatte, es noch nicht durchdacht hatte? Natürlich spielte auch das hin und wieder eine Rolle. Aber ich glaube, dass ich mich gerade beim Schreiben von „Andromedanebel“ wiederholt an den spezifischen Besonderheiten des Genres rieb, wie es übrigens vielen SF-Autoren passiert. Schon die Vorbereitungsphase ist häufig länger und komplizierter, vor allem wenn man sich ein sehr umfassendes Bild der Zukunft auszumalen versucht. Als ich an meiner Monografie „Straße der Winde“ arbeitete — über die Expedition einer Gruppe sowjetischer Paläontologen in die Wüste Gobi, an der auch ich teilgenommen hatte —, war die Sache sehr viel einfacher. Damals musste ich einfach nur meine Reisetagebücher durchsehen und die Fotografien aus der Mongolei anschauen, schon konnte ich alle Erlebnisse lebhaft erinnern; das Buch wurde mühelos und schnell fertig.

Als ich an „Andromedanebel“ saß, musste ich mir eine andere Gangart zulegen. Ich schrieb den Roman in strenger Isolation. In der Abgeschiedenheit meiner Moskauer Datscha arbeitete ich Tag für Tag, wenn möglich pausenlos, und traf mich fast nie mit anderen Menschen. Das Einzige, womit ich mir hin und wieder etwas Entspannung verschaffte und mich zu stimulieren versuchte, war die Beobachtung des Sternenhimmels. Abends und nachts betrachtete ich die Sterne durch ein starkes Fernglas, suchte den Andromedanebel am Firmament, dann kehrte ich an den Schreibtisch zurück. Um diesen Roman zu schreiben, bedurfte es nicht nur einer gründlichen Vorbereitung im Sinne von konkreter Informations- und Materialsammlung, nicht nur eines genauen Durchdenkens aller Handlungselemente und Einzelheiten, sondern auch einer bestimmten psychischen Verfassung, einer vorübergehenden Abkopplung von allem Alltäglichen — anders wäre mir die rein technische Umsetzung meines Einfalls nicht möglich gewesen.

Deshalb habe ich die Zeit meiner Arbeit an „Andromedanebel“ als eine Zeit des vollständigen Alleinseins und der Stille in Erinnerung, als eine Zeit, in der ich nichts anderes zu sehen bekam als den Schreibtisch und den Sternenhimmel, der irgendwie näher an mich herangerückt zu sein schien. In dieser Lage fiel es mir leichter, mir glaubhafte Einzelheiten der illusorischen Wirklichkeit auszudenken, die dem Roman eine Aura von Wahrscheinlichkeit, ja, Realitätsnähe verliehen.

Ja, realistische Wirkung, eine scheinbare Wahrhaftigkeit von Fantastischem, wird durch realistische Details geschaffen. Solche Details kommen mir immer wie glückliche Entdeckungen vor. Wenn man lange und konzentriert über ungewöhnliche Dinge nachdenkt, fallen einem gewisse Kniffe wie von selbst ein. Ich weiß zum Beispiel noch, wie ich einmal über ein kleines Volk in Zentralindien las, in dessen Aussehen sich mongolische Elemente mit dem klassischen indischen Typus verbanden. Eines der Resultate dieser Mischung waren die großen (für den indischen Typus charakteristischen) Augen, die jedoch schräg standen (wie es für die Augenstellung der Mongolen typisch ist, eine Anpassungserscheinung des Organismus an die dortigen Umweltbedingungen: Schutz vor greller Sonne und Staub). Dieses ungewöhnliche Detail fand ich schön und originell. Ich dachte: Und weshalb diese Besonderheit nicht noch ausbauen? Warum nicht die Augen so richtig groß machen? Aus diesem Detail entstand das Aussehen der Fluor-Menschen in „Das Herz der Schlange“, jener menschlichen Lebewesen, die im Kosmos mit der Expedition der Erdenbürger zusammentreffen.

In der Wüste Gobi lernte ich „schwarze Panzer“ kennen — eine Erscheinung, die auch unter dem Namen „Wüstenlack“ bekannt ist. Dieses Phänomen sieht aus, als ob alles im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern von Teer überzogen wäre. Als ich zum ersten Mal einen „schwarzen Panzer“ erlebte, hatte ich das Gefühl, ich befände mich im Königreich des Todes. Und während ich an der Beschreibung des Planeten Sirda saß, der in „Andromedanebel“ durch erhöhte radioaktive Strahlung zerstört ist, fiel mir diese Erfahrung plötzlich wieder ein, und ich spürte, dass genau so eine versehrte Oberfläche zu dem Planeten passen würde. Besser wäre es natürlich noch, ihm einen weich-samtigen Ton zu verleihen: etwas in der Art von dicht wuchernden schwarzen Mohnpflanzen. Und auch dieses Bild hatte eine wissenschaftliche Grundlage: Aus speziellen Berichten über die Erforschung der Auswirkungen der Atombombenexplosion über Hiroshima wusste ich, dass Pflanzen unter starker Strahlung zu heftigen und unerwarteten Mutationen fähig sind. So entstand meine Vision vom toten Planeten, dessen Untergang durch verheerende Experimente auf dem Feld der Kernspaltung verursacht worden war, in meiner Vorstellung aus einer Mischung eigener anschaulicher Erfahrungen und wissenschaftlicher Information.

Und noch ein Detail: In „Andromedanebel“ erzählt Erg Noor der Astronavigatorin Nisa Krit, dass er während einer Weltraumexpedition geboren wurde, als seine Eltern sich in einem Sternenschiff dem System eines Doppelsterns näherten. Das stärkste Bild in Erg Noors Kindheitserinnerungen ist das vom Himmel: „Und dieser Himmel, mein erster Himmel, war schwarz und von den klaren Lichtern nicht blinkender Sterne und zwei Sonnen von unvorstellbarer Schönheit übersät: die eine leuchtend orange, die andere tiefblau.“ Auf dieses Detail war ich ganz unwillkürlich gestoßen. Nachdem ich einen Doppelstern länger durch das Fernglas betrachtet hatte, überlegte ich lange, wie wohl die Lichtverhältnisse dort wären. So entstand diese Beschreibung. Übrigens wird sie vermutlich nur auf uns so ungewöhnlich wirken, da sie ein Phänomen abbildet, das nichts mit unserem Alltag zu tun hat; für die Helden von „Andromedanebel“ und für Astronauten, die andere Planeten bereisen, ist ein solcher Anblick sicher nicht so außergewöhnlich. Genau deshalb müssen derartige Beschreibungen ohne besondere Aufregung und Emotion erfolgen, immer im Bewusstsein, dass Erg Noors Freunde auf eben diese Art und Weise — beherrscht und ruhig — seine Erzählung aufnehmen würden.

Genau deshalb achte ich auch streng darauf, dass die Wechselbeziehungen zwischen den Gegenständen und Phänomenen logisch sind, versuche immer daran zu denken, dass ein Detail zum nächsten führt, und bin mir stets bewusst, wie wichtig es ist, diese Zusammenhänge nicht zu zerstören. Gerade als SF-Autor ist es besonders kontraproduktiv, sich von der Chronologie der Ereignisse und Schauplätze abzukoppeln. Nur sorgfältige Selbstkontrolle verhindert peinliche Schnitzer.

Ein Beispiel dafür möchte ich noch erwähnen: In der „Ballade über die Sterne“ von G. Altow und W. Schurawlewa zerstört eine einzige Szene den Gesamteindruck. Der Held rasiert sich, und zwar auf fast schon archaische Weise — mit Seife und Rasierpinsel —, und die Autoren schlachten dieses Detail ausgiebig aus. Das ist Unsinn — von vorn bis hinten. Wenn wir heute Elektrorasierer haben, dann können wir sicher sein, dass die Menschen noch zig andere bequemere Rasiermethoden erfunden haben werden, bis sie zu den Sternen fliegen können… Das ist nur eine Kleinigkeit, ich weiß, ein misslungenes lebenspraktisches Detail. Aber wer einen Roman über die ferne Zukunft schreibt, muss sich ständig selbst anspornen und sich kontrollieren, selbst auf Kleinigkeiten zu achten, und das eigene Bewusstsein so gut wie möglich auf die Denkweise eines zukünftigen Menschen einstellen. Genauso wie man sich zusammenreißen muss, wenn man einen historischen Roman schreibt (das weiß ich von meiner Arbeit an „Das Land aus dem Meeresschaum“); auf etwas andere Weise muss man genauso auf der Hut sein und darüber nachdenken, wie etwa die alten Ägypter wohl ihre Umwelt wahrnahmen. Es handelt sich also um zwei grundlegende, sich im dialektischen Verhältnis miteinander befindende Schwierigkeiten, die für den schöpferischen Prozess charakteristisch sind, dabei sind beide hochspannend und reizvoll.

Das Genre der Science-Fiction ist ein Weg ins Unerforschte, „eine Fahrt ins Unbekannte“, um mit Majakowski zu sprechen. Jeder SF-Autor muss sich hier vorantasten, auf eigenes Risiko den Weg erkunden. Deshalb ist jeder Neuanfang ein kleiner Schock. Wer sich vor das erste weiße Blatt Papier setzt, den schreckt die Aussicht: Vor ihm liegen unzählige unbeschrieben Blätter und ein wochenlanges mühsames Suchen nach Worten. Und er zögert den Zeitpunkt hinaus, schleicht um die Schreibmaschine herum. Denn das Schwierigste ist der Anfang, die ersten zwei, drei Seiten, während derer man immer wieder denkt: Geht nicht, du schweifst ab, klingt nicht echt.

Als ich vor langer Zeit anfing, recht unsicher meine ersten „Erzählungen über Ungewöhnliches“ niederzuschreiben, fragte ich mich nicht, ob ich eines Tages Schriftsteller werden würde. Aber die Jahre vergingen, und eine mächtige Anziehungskraft zwang mich immer öfter an den Schreibtisch, von wo ich, nachdem ich erst einmal mein „sperriges Material“ bezwungen hatte, dem Leser von neuen, interessanten Theorien, von neuen Ideen und Träumen erzählen konnte…[5]

Iwan Jefremows Essay erschien 1961 in der Zeitschrift Woprosy Literatury (Nummer 4, S. 142–153).

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