Im matten Deckenlicht erweckten die Messinstrumente den Eindruck einer Porträtgalerie. Die runden Anzeigen hatten verschmitzte Gesichter, die ovalen, waagrecht angeordneten ergingen sich in impertinenter Selbstzufriedenheit, und die quadratischen erstarrten in bornierter Selbstsicherheit. Verstärkt wurde diese Wirkung durch das flimmernde dunkel- und hellblaue, orangefarbene und grüne Licht, das von den Instrumenten ausging.
In der Mitte des gewölbten Pults hob sich ein großes flammendrotes Zifferblatt ab. Darübergebeugt stand in unbequemer Haltung ein junges Mädchen. Sie hatte den Sessel neben sich vergessen, und ihr Gesicht berührte fast die Glasscheibe. Der rote Widerschein machte das jugendliche Gesicht älter und strenger, warf tiefe Schatten um die etwas prallen Lippen und ließ die kleine Stupsnase spitz erscheinen. Die breiten zusammengezogenen Brauen waren tiefschwarz und verliehen ihren Augen den düsteren Blick eines dem Untergang geweihten Menschen.
Das feine Summen der Messgeräte wurde von einem metallischen Klicken unterbrochen. Das Mädchen zuckte zusammen, hob den Kopf, richtete sich auf und streckte den müden Rücken, indem sie die schlanken Arme anwinkelte und nach hinten drückte.
Hinter ihr schnappte die Tür ins Schloss, ein großer Schatten tauchte auf und verwandelte sich beim Näherkommen in einen Menschen mit exakten, eckigen Bewegungen. Dann leuchtete goldfarbenes Licht auf, und das dichte dunkelrote Haar des Mädchens schien Funken zu sprühen. Auch ihre Augen leuchteten auf, als sie dem Eintretenden mit einem Blick voll Sorge und Liebe begegneten.
„Warum schlafen Sie nicht? Hundert schlaflose Stunden…!“
„Wohl ein schlechtes Beispiel?“, fragte der Eintretende nicht lächelnd, aber doch fröhlich. In seiner Stimme klangen hohe metallische Töne mit, die seine Worte zusammenzunieten schienen.
„Alle anderen schlafen…“, begann das Mädchen schüchtern. „Und… wissen von nichts“, fügte sie flüsternd hinzu.
„Sprechen Sie ruhig laut. Ja, unsere Kameraden schlafen, nur wir beide halten hier im Kosmos Wache, und zur Erde sind es fünfzig Billionen Kilometer, im ganzen anderthalb Parsec!“
„Unser Anameson reicht nur noch für eine einzige Beschleunigung!“ Schrecken und Begeisterung zugleich schwangen in der Stimme des Mädchens mit.
Mit zwei raschen Schritten war Erg Noor, der Leiter der siebenunddreißigsten Sternenexpedition, bei dem flammendroten Zifferblatt.
„Der fünfte Kreis!“
„Ja, wir sind schon auf dem fünften. Und… immer noch nichts.“
Das Mädchen warf einen vielsagenden Blick auf den Lautsprecher des automatischen Empfängers.
„Sehen Sie, ich darf gar nicht schlafen. Alle Varianten, alle Möglichkeiten müssen geprüft werden. Bis zum Ende des fünften Kreises muss eine Entscheidung her.“
„Aber bis dahin sind es noch ganze hundertzehn Stunden…“
„Gut, ich werde hier im Sessel etwas schlafen, sobald die Wirkung des Sporamins nachlässt, das ich vor vierundzwanzig Stunden eingenommen habe.“
Das Mädchen dachte angestrengt über etwas nach. „Vielleicht sollten wir den Radius des Kreises verringern?“, sagte sie schließlich. „Vielleicht ist ihre Sendeanlage ausgefallen?“
„Auf keinen Fall. Eine Verringerung des Radius ohne gleichzeitige Reduzierung der Geschwindigkeit bedeutet die sofortige Vernichtung des Schiffes. Aber die Geschwindigkeit zu drosseln und — dann ohne Anameson — eineinhalb Parsec mit der Geschwindigkeit einer altertümlichen Mondrakete zurückzulegen, geht auch nicht. Auf diese Weise würden wir unser Sonnensystem erst in hunderttausend Jahren erreichen.“
„Ich verstehe… Aber wenn sie…“
„Keine Widerrede. In alter Vorzeit war es denkbar, dass Menschen eine Unaufmerksamkeit unterlief. Damals konnten sie sich und andere noch betrügen. Aber doch heute nicht!“
„Das meine ich nicht“, sagte das Mädchen, und aus ihrer schroffen Antwort sprach Kränkung. „Ich wollte sagen, dass die Algrab uns vielleicht ebenfalls sucht und von ihrem Kurs abgewichen ist.“
„So stark konnte sie gar nicht abweichen. Sie muss zur berechneten und vereinbarten Zeit gestartet sein. Selbst wenn ihre beiden Sendegeräte ausgefallen wären, was nahezu undenkbar ist, so hätte sie den Kreis diametral gekreuzt, und dann hätten wir sie über den planetarischen Empfänger hören müssen. Ein Versagen ist ausgeschlossen — da ist er ja, der Planet, auf dem unser Rendezvous hätte stattfinden sollen!“
Erg Noor zeigte auf einen der Monitore, die in allen vier Seiten der Steuerzentrale in tiefen Nischen aufgestellt waren. In der schwarzen Finsternis leuchteten unzählige Sterne. Über den linken vorderen Monitor huschte eine nur schwach von ihrem weit entfernten Gestirn beleuchtete kleine graue Scheibe von der Peripherie des Systems B-7336-S+87-A.
„Unsere automatischen Funkstationen arbeiten genau, obwohl wir sie vor vier unabhängigen Jahren abgeworfen haben.“ Erg Noor zeigte auf einen deutlich sichtbaren Lichtstreifen in einem der länglichen Fenster an der linken Wand. „Die Algrab hätte schon vor drei Monaten hier sein müssen.“ Noor machte eine Pause, als fürchte er sich, das Urteil auszusprechen. „Das heißt“, sagte er schließlich, „dass die Algrab untergegangen ist!“
„Aber vielleicht ist sie ja nur von einem Meteoriten beschädigt worden und kann deshalb die notwendige Geschwindigkeit nicht mehr erreichen?“, entgegnete das rothaarige Mädchen.
„Kann deshalb die notwendige Geschwindigkeit nicht mehr erreichen!“, wiederholte Erg Noor. „Das ist genau dasselbe, als wenn sich zwischen dem Schiff und seinem Ziel ein Flugweg von einem Jahrtausend aufgetan hätte! Sogar noch schlimmer, da der Tod nicht sofort eintritt, sondern Jahre der Hoffnungslosigkeit vor dem endgültigen Untergang vergehen. Vielleicht rufen sie uns noch, das erfahren wir dann… in sechs Jahren… auf der Erde.“
Mit einer raschen Bewegung zog Erg Noor einen Klappsessel unter dem Tisch des Elektronenrechners, eines kleinen MNU-11 Modells, hervor. Bis heute war es aufgrund des gewaltigen Gewichts, der Ausmaße und der Empfindlichkeit unmöglich, das hochleistungsstarke Elektronengehirn vom Typ ITU in Sternenschiffen zu installieren — die einzige Maschine, die in der Lage gewesen wäre, das Sternenschiff absolut vollautomatisch zu steuern. Aber wie die Dinge lagen, musste immer ein Navigator in der Steuerzentrale anwesend sein, nicht zuletzt, weil es unmöglich war, den Kurs eines Schiffes auf so weite Entfernungen genau festzulegen.
Die Hände des Expeditionsleiters glitten mit der Gewandtheit eines Pianisten über die Hebel und Knöpfe der Rechenanlage. Das blasse Gesicht mit den markanten Zügen war wie aus Stein gemeißelt, die hohe Stirn, starr über das Pult gebeugt, schien den Elementarkräften des Schicksals zu trotzen, jenen Kräften, die die kleine menschliche Gemeinschaft bedrohten, die sich in verbotene Tiefen des Raumes vorgewagt hatte.
Nisa Krit, eine junge Astronavigatorin auf ihrem ersten Sternenflug, beobachtete schweigend und mit angehaltenem Atem den in sich versunkenen Noor. Wie ruhig und zugleich vor Energie und Geist strotzend war doch dieser geliebte Mensch! — Sie liebte ihn schon lange, die ganzen fünf Jahre, seit sie zusammen im Kosmos unterwegs waren. Es hatte keinen Sinn, es vor ihm zu verbergen… Nisa fühlte, dass er es wusste… Jetzt, nach diesem Unglück, durfte sie mit ihm den Dienst versehen. Drei Monate allein zu zweien, während die übrige Besatzung des Sternenschiffes in einem süßen hypnotischen Schlaf lag. Noch dreizehn Tage, dann würden auch sie ein halbes Jahr lang schlafen, während nacheinander Navigatoren, Astronomen und Mechaniker in zwei weiteren Dreimonatsschichten ihren Dienst versehen würden. Die übrigen Wissenschaftler, die Biologen und Geologen, deren Arbeit erst am Bestimmungsort beginnen würde, durften sogar noch länger schlafen, die Astronomen dagegen — ja, sie hatten die anstrengendste Arbeit!
Erg Noor stand auf, und Nisas Gedankengänge rissen ab.
„Ich gehe in die Sternkartenkabine.“ Er blickte auf das Zifferblatt der Uhr, die die abhängige Zeit anzeigte. „Ihre Ruhepause beginnt in… neun Stunden. Ich habe genug Zeit, mich auszuschlafen, bevor ich Sie ablöse.“
„Ich bin nicht müde, ich werde hierbleiben, solange es nötig ist. Wichtig ist, dass Sie sich ausruhen können!“
Erg Noor runzelte die Stirn und wollte widersprechen, aber als er in die goldbraunen Augen blickte, die ihn so vertrauensvoll und zärtlich anblickten, gab er sich geschlagen und ging wortlos hinaus.
Nisa setzte sich in den Sessel, warf gewohnheitsmäßig einen Blick auf die Geräte und versank dann in tiefes Nachdenken.
Über ihr und rund um sie herum leuchteten schwarz die Monitore der Steuerzentrale, mit deren Hilfe sie alle Geschehnisse in der unermesslichen Tiefe rund um das Schiff beobachten konnte. Die verschiedenfarbigen Sternlichter durchbohrten ihr Auge wie Feuernadeln.
Das Sternenschiff überholte den Planeten und wurde von dessen Schwerkraft erfasst, schaukelnd bewegte es sich durch ein Gravitationsfeld von unterschiedlicher Intensität. Auch die tückischen und zugleich majestätischen Sterne auf den Monitoren vollführten wilde Sprünge. Die Sternbilder wechselten mit atemberaubender Schnelligkeit.
Der Planet K2-2N-88, weit entfernt von seinem Gestirn, kalt und leblos, war als geeigneter Ort für das Rendezvous der beiden Sternenschiffe auserkoren worden… für ein Rendezvous, das niemals stattgefunden hatte. Der fünfte Kreis… Nisa stellte sich ihr Schiff vor, wie es mit atemberaubender Geschwindigkeit in der riesengroßen Umlaufbahn mit einem Radius von einer Milliarde Kilometern dahinraste und den im Schneckentempo kriechenden Planeten unaufhörlich überholte. In hundertzehn Stunden würde das Schiff den fünften Kreis beendet haben… Und was dann? Erg Noor wandte alle Kräfte seines gewaltigen Verstandes auf, um den bestmöglichen Ausweg zu finden. Als Expeditionsleiter und Schiffskommandant durfte er sich nicht irren, ansonsten würden das Sternenschiff erster Klasse, die Tantra, und ihre aus hervorragenden Wissenschaftlern bestehende Besatzung nie wieder aus der endlosen Tiefe des Weltraums zurückkehren! Aber Erg Noor würde sich nicht irren…
Nisa Krit verspürte plötzlich ein widerliches Gefühl der Übelkeit, was bedeutete, dass das Sternenschiff um einen winzigen Bruchteil des Radius von seinem Kurs abgewichen war. Dies war nur bei reduzierter Geschwindigkeit möglich, ansonsten hätte die zerbrechliche menschliche Fracht das Manöver nicht überlebt. Kaum war der graue Nebel vor den Augen des Mädchens gewichen, als die Übelkeit von Neuem aufkam — das Schiff kehrte auf seinen Kurs zurück. Unglaublich empfindliche Ortungsgeräte hatten in der schwarzen Tiefe vor ihnen einen Meteoriten — die größte Gefahr für Sternenschiffe — aufgespürt. Die elektronischen Geräte, die das Schiff steuerten (denn nur sie konnten alle Kursänderungen mit der nötigen Schnelligkeit durchführen — die menschlichen Nerven waren für kosmische Geschwindigkeiten ungeeignet), hatten die Tantra innerhalb von einer Millionstelsekunde abgelenkt und sie, als die Gefahr vorbei war, genauso rasch wieder auf ihren alten Kurs gebracht.
Weshalb hatten Geräte wie diese nicht auch die Algrab retten können? überlegte das Mädchen, nachdem sie zu sich gekommen war. Das Sternenschiff war wahrscheinlich durch den Zusammenstoß mit einem Meteoriten beschädigt worden. Erg Noor hatte erzählt, dass noch immer jedes zehnte Sternenschiff durch einen Meteoriten zerstört werde, ungeachtet der Erfindung solch empfindlicher Ortungsgeräte wie das vom Typ Woll Hod und der energetischen Schutzschirme, die in der Lage waren, kleine Teilchen zurückzuschleudern. Der Untergang der Algrab hatte sie in eine riskante Lage gebracht, und das, obwohl ihr Vorhaben so gut durchdacht und ursprünglich auch richtig kalkuliert gewesen war. Das Mädchen ließ alle Ereignisse seit ihrem Abflug von der Erde an sich vorüberziehen.
Die siebenunddreißigste Sternenexpedition war zu einem nahen Planetensystem im Sternbild des Schlangenträgers entsandt worden, dessen einziger bewohnter Planet, die Sirda, bereits seit Langem mit der Erde und anderen Welten mittels des Großen Rings kommunizierte. Eines Tages war der Planet plötzlich verstummt, und mehr als siebzig Jahre war keine Nachricht mehr eingetroffen. Die Erde hatte als der Planet des Rings, der sich am nächsten zu Sirda befand, die Pflicht, herauszufinden, was geschehen war. Deshalb nahm das Expeditionsschiff viele Geräte und einige prominente Wissenschaftler an Bord, deren Nervensystem nach zahlreichen Versuchen für geeignet befunden worden war, das jahrelange Eingeschlossensein im Sternenschiff zu überstehen. Der Treibstoffvorrat für die Motoren betrug gerade so viel, wie unbedingt notwendig war — nicht wegen des Gewichts des Treibstoffs Anameson, sondern wegen des gewaltigen Volumens der benötigten Vorratsbehälter. Vorgesehen war, dass das Schiff auf der Sirda neuen Treibstoff tanken sollte. Für den Fall, dass dem Planeten etwas Ernsthaftes zugestoßen war, sollte die Tantra auf der Umlaufbahn des Planeten K2-2N-88 mit der Algrab, einem Sternenschiff zweiter Klasse, zusammentreffen.
Mit ihrem feinen Gehör nahm Nisa den veränderten Summton des künstlichen Gravitationsfeldes wahr. Die Zifferblätter der drei rechten Geräte begannen ungleichmäßig aufzuflackern, und auf Steuerbord schaltete sich der Elektronenfühler ein. Auf dem Monitor tauchte ein kantiger glänzender Klumpen auf und brachte den Schirm zum Erstrahlen. Wie eine Granate bewegte er sich geradewegs auf die Tantra zu und musste sich folglich weit entfernt befinden. Es handelte sich um ein gigantisches Stück Materie, wie man es äußerst selten im Weltraum antrifft. Nisa beeilte sich, Umfang, Masse, Geschwindigkeit und Flugrichtung zu bestimmen. Sie kehrte erst zu ihren Erinnerungen zurück, als ein metallisches Klicken ihr signalisierte, dass das Logbuch ihre Beobachtungen aufgezeichnet hatte.
Am lebendigsten war ihr die finstere blutrote Sonne im Gedächtnis geblieben, die eines Tages auf dem Bildschirm der Monitore aufgetaucht und ständig größer geworden war. Seit vier Jahren war die Besatzung des Sternenschiffes mit fünf Sechstel der Lichtgeschwindigkeit durch den Kosmos dahingerast. Auf der Erde waren inzwischen ungefähr sieben sogenannte unabhängige Jahre vergangen.
Die Filter der Monitore schonten das menschliche Auge; sie veränderten die Farbe und Strahlungskraft jedes Gestirns so, dass es aussah, als würde man es durch die dichte Erdatmosphäre mit ihren ozon- und wasserdampfhaltigen Schutzschirmen beobachten. Das unbeschreibliche gespensterhaft violette Licht hoch temperierter Gestirne erschien hellblau oder weiß, die düsteren graurosafarbenen Sterne nahmen lustige goldgelbe Farben an und erinnerten an unsere Sonne. Im Kosmos erhielt ein in leuchtendem Karminrot strahlendes Gestirn eine tiefrote Färbung, wie sie für den irdischen Beobachter normalerweise Sterne der Spektralklasse M5 haben. Der Planet Sirda war seiner Sonne viel näher als die Erde der ihren. Und je näher das Schiff an die Sirda heranflog, desto riesiger wurde die scharlachrote Scheibe ihres Gestirns, das massenhaft Wärmestrahlen aussandte.
Zwei Monate vor dem Anflug auf die Sirda hatte die Tantra versucht, mit der Außenstation des Planeten Verbindung aufzunehmen. Diese Station befand sich auf einem kleinen atmosphärelosen natürlichen Satelliten, der der Sonne näher war als der Mond der Erde.
Die Tantra setzte ihre Signalrufe ununterbrochen fort, selbst als sie nur noch dreißig Millionen Kilometer vom Planeten entfernt war und ihre Geschwindigkeit auf dreitausend Kilometer pro Sekunde gedrosselt hatte. Den Dienst versah damals Nisa, aber die gesamte Besatzung war wach und saß erwartungsvoll in der Steuerzentrale vor den Monitoren.
Nisa sendete Rufsignale mit erhöhter Sendeleistung und schickte Fächerstrahlen voraus.
Schließlich erblickten sie den winzigen leuchtenden Punkt des Satelliten. Das Sternenschiff schwenkte in die Umlaufbahn des Planeten ein, indem es sich ihm spiralförmig näherte und seine Geschwindigkeit der des Satelliten anglich. Bald hing die Tantra über dem in seiner Umlaufbahn dahinrasenden Satelliten und schien mit ihm wie durch ein unsichtbares Seil verbunden zu sein. Die Elektronenstereoteleskope des Schiffes suchten die Oberfläche des Satelliten ab. Und plötzlich bot sich der Besatzung der Tantra ein unvergessliches Schauspiel.
Ein riesiges flaches Glasgebäude funkelte im Widerschein der blutroten Sonne. Direkt unter dem Dach befand sich eine Art großer Versammlungssaal, wo sich etliche nicht irdische Wesen, aber doch zweifellos Menschen befanden. Sie alle sahen aus wie zu Stein erstarrt. Der Astronom der Expedition Pur Hiss, ein Neuling im Kosmos, der kurz vor dem Abflug für einen erfahrenen Mitarbeiter eingesprungen war, fuhr in seiner Aufregung fort, das Instrument scharf einzustellen. Die unter dem Glasdach vage erkennbaren Menschenreihen blieben völlig regungslos. Pur Hiss schaltete eine stärkere Vergrößerung ein. Ein Podest, umrahmt von Kontrollpulten und einem langen Tisch, wurde erkennbar, an dem ein Mensch mit gekreuzten Beinen und den Blick in die Weite gerichtet vor den Versammelten saß.
„Sie sind tot, erfroren!“, rief Erg Noor.
Das Sternenschiff hing noch immer über dem Satelliten der Sirda, und vierzehn Augenpaare waren unverwandt auf das gläserne Grab geheftet — ja, es war tatsächlich ein Grab. Wie viele Jahre mochten diese Toten schon so dasitzen? Vor siebzig Jahren war der Planet verstummt; rechnete man noch sechs Jahre hinzu, die die Funkstrahlen zur Erde gebraucht hatten, so ergab das ein Dreivierteljahrhundert…
Aller Augen waren auf den Kommandanten gerichtet. Erg Noor, bleich im Gesicht, blickte auf den strohgelben Dunstschleier der Planetenatmosphäre, hinter dem Gebirgszüge und der Widerschein des Meeres kaum wahrnehmbar leuchteten. Doch nichts gab eine Antwort auf die Frage, derentwegen sie hierhergekommen waren.
„Die Station ist ausgestorben und in den fünfundsiebzig Jahren nicht wieder errichtet worden! Das kann nur bedeuten, dass sich auf dem Planeten eine Katastrophe ereignet hat. Wir müssen tiefer gehen, die Atmosphäre durchstoßen und vielleicht sogar landen. Es sind alle anwesend — ich bitte um die Meinung des Rates…“
Lediglich der Astronom Pur Hiss brachte Einwände vor. Entrüstet betrachtete Nisa seine große Adlernase und die tief sitzenden, hässlichen Ohren.
„Wenn es auf dem Planeten zu einer Katastrophe gekommen ist, so haben wir keine Chance, Anameson zu erhalten. Die Umkreisung des Planeten in geringer Höhe und erst recht eine Landung würden unsere Reserven an planetarischem Treibstoff fast aufbrauchen. Außerdem wissen wir nicht, was geschehen ist. Möglicherweise setzen wir uns einer starken, ja tödlichen Strahlung aus.“
Die übrigen Expeditionsmitglieder unterstützten dagegen den Vorschlag des Kommandanten.
„Es gibt keine Planetenstrahlung, die einem Schiff mit kosmischem Schutz gefährlich werden könnte“, sagte Erg Noor, und in seiner metallenen Stimme schwang Spott mit. „Wurden wir denn nicht ausgesandt, um herauszufinden, was geschehen ist? Was soll die Erde dem Großen Ring antworten? Eine Tatsache festzustellen genügt nicht, man muss auch eine Erklärung dafür suchen. Entschuldigen Sie diese schulmeisterlichen Belehrungen! Wir sind zweifellos zur Aufklärung verpflichtet und können uns wohl kaum davor drücken…“
„Die Temperatur in den oberen Schichten der Atmosphäre ist normal“, rief Nisa erfreut.
Erg Noor lächelte und begann das Schiff in die Tiefe zu lenken, wobei er das Tempo seines Spiralflugs nach jeder Schleife drosselte. Langsam kam die Oberfläche des Planeten näher. Die Sirda war etwas kleiner als die Erde, und bei einer tiefen Umkreisung war keine hohe Geschwindigkeit nötig. Die Astronomen und die Geologin verglichen die Karten des Planeten mit dem, was die optischen Geräte der Tantra anzeigten. Die Kontinente hatten ihre früheren Umrisse beibehalten, die Meere glitzerten ruhig in der roten Sonne. Auch die Gebirgszüge, aus früheren Aufnahmen bekannt, hatten ihre Formen nicht verändert — nur der Planet blieb stumm. Fünfunddreißig Stunden lang verließ kein Besatzungsmitglied seinen Beobachtungsposten.
Die Zusammensetzung der Atmosphäre, die Strahlung des roten Gestirns — alles deckte sich mit den früheren Angaben über die Sirda. Erg Noor schlug im Handbuch über die Sirda die Stratosphärendaten nach. Die Ionisierung war stärker als gewöhnlich. Eine vage und beunruhigende Vermutung kam in Noor auf.
Auf der sechsten Schleife der absteigenden Flugspirale wurden die Umrisse großer Städte erkennbar. Aber die Empfangsgeräte hatten immer noch kein einziges Signal eingefangen.
Nisa Krit war abgelöst worden, zum Essen gegangen und anschließend wahrscheinlich für eine Weile eingenickt. Aber sie fühlte sich, als hätte sie nur ein paar Minuten geschlafen. Das Sternenschiff überflog die Nachtseite der Sirda nicht schneller als ein gewöhnlicher irdischer Helikopter. Da unten mussten sich Städte, Fabriken und Häfen befinden, doch kein einziges Licht war in der tiefen Finsternis zu sehen, so sehr die starken Stereoteleskope auch danach suchten. Das Donnergepolter beim Eindringen des Sternenschiffes in die Atmosphäre musste kilometerweit zu hören gewesen sein.
Eine Stunde war vergangen. Kein einziges Licht leuchtete auf. Das qualvolle Warten wurde unerträglich. Noor schaltete die Warnsirenen ein. Ein furchterregendes Heulen durchdrang die schwarze Tiefe unter ihnen, und die Besatzung hoffte, dass es endlich eine Reaktion der so geheimnisvoll reglosen Bewohner der Sirda hervorrufen werde.
Eine Welle feuerroten Lichtes fegte die unheilverkündende Finsternis hinweg. Die Tantra hatte die Tagseite des Planeten erreicht. Unter ihnen war noch immer alles in schwarzen Samt gehüllt. Die rasch vergrößerten Aufnahmen zeigten einen dichten Teppich aus Blumen, ähnlich den samtschwarzen Mohnblumen auf der Erde. Das Dickicht des schwarzen Mohns erstreckte sich über Tausende von Kilometern und schien alles andere, Bäume, Sträucher, Schilf und Gras, ersetzt zu haben. Wie die Rippen schwarzer Skelette nahmen sich die Straßen der Städte auf dem schwarzen Teppich aus, wie rote Wunden hoben sich die rostigen Eisenkonstruktionen ab. Nirgends ein Lebewesen oder ein Bäumchen, lediglich schwarzer Mohn!
Die Tantra warf eine automatische Beobachtungsstation ab und tauchte wieder in die Nachtseite ein. Sechs Stunden später gab die automatische Station die Zusammensetzung der Luft, die Temperatur, den Druck und die übrigen Bedingungen an der Planetenoberfläche bekannt. Alles war normal, mit Ausnahme der erhöhten Radioaktivität.
„Was für eine schreckliche Tragödie!“, murmelte Eon Tal, der Biologe der Expedition, während er die letzten Daten der Station notierte. „Sie haben sich selbst und alles auf ihrem Planeten vernichtet!“
„Wirklich?“, fragte Nisa und unterdrückte mühsam die Tränen. „Ist es so schlimm? Die Ionisierung ist doch gar nicht so stark.“
„Seitdem ist gehörig viel Zeit vergangen“, antwortete der Biologe rau. Sein männliches Tscherkessengesicht mit der Hakennase nahm trotz seiner Jugend einen bedrohlichen Ausdruck an. „Ein solcher radioaktiver Zerfall ist gerade deshalb so gefährlich, weil die Strahlung unmerklich zunimmt. Jahrhundertelang legt die Strahlungsmenge Chor um Chor zu, so nennen wir die Biodosen der Bestrahlung, und dann erfolgt plötzlich ein qualitativer Sprung! Die Erbmasse zerfällt, die Reproduktion des Menschen setzt aus, plus Strahlungsepidemien… Das passiert nicht zum ersten Mal, dem Ring sind ähnliche Katastrophen bekannt…“
„Zum Beispiel auf dem sogenannten Planeten der violetten Sonne.“ Erg Noors Stimme erklang im Hintergrund.
„In dem Fall war das Tragische daran, dass die merkwürdige Sonne dieses Planeten seine Bewohner mit starker Energie versorgte“, bemerkte der mürrische Pur Hiss. „Ihre Helligkeit ist achtundsiebzigmal so groß wie die unserer Sonne und gehört zur Spektralklasse A Null.“
„Wo ist dieser Planet?“, erkundigte sich Eon Tal, der Biologe.
„Ist es etwa der, den der Rat besiedeln will?“
„Ja, genau der. Die Algrab wurde nach ihm benannt.“
„Der Stern Algrab oder Delta Corvi!“, rief der Biologe. „Aber er ist doch sehr weit entfernt!“
„Sechsundvierzig Parsec. Aber schließlich bauen wir Sternenschiffe für immer größere Entfernungen…“
Der Biologe nickte und brummte, dass es besser gewesen wäre, das Sternenschiff nicht nach einem untergegangenen Planeten zu benennen.
„Aber der Stern ist gar nicht untergegangen, der Planet ist absolut heil“, antwortete Erg Noor voller Zuversicht. „Kein Jahrhundert wird vergehen, und wir haben ihn neu bepflanzt und besiedelt.“
Er entschloss sich zu einem schwierigen Manöver, nämlich die Flugbahn des Sternenschiffes von den Breiten- auf die Meridiankreise zu verlegen und das Schiff auf eine parallel zur Rotationsachse der Sirda verlaufende Bahn zu lenken. Wie konnten sie den Planeten verlassen, ohne herausgefunden zu haben, ob wirklich alle umgekommen waren? Möglicherweise gab es Überlebende, die das Sternenschiff nur nicht zu Hilfe rufen konnten, weil ihre Energieversorgungssysteme zerstört und die Instrumente beschädigt waren.
Nicht das erste Mal sah Nisa Erg Noor während eines verantwortungsvollen Manövers am Steuerpult stehen. Mit seinem verschlossenen Gesicht und seinen raschen und exakten Bewegungen kam er ihr wie ein legendärer Held vor.
Die Tantra setzte ihren hoffnungslosen Flug um die Sirda fort, diesmal von Pol zu Pol. An manchen Stellen, vor allem in den mittleren Breiten, tauchten weite Strecken kahlen Bodens auf. Über ihnen hing gelber Nebel, durch den von Zeit zu Zeit riesige rote Sanddünen aufleuchteten. Dann dehnte sich unter ihnen erneut das Leichentuch aus samtschwarzen Mohnblumen aus, die einzigen Pflanzen, die gegen die Radioaktivität widerstandsfähig waren oder zumindest unter ihrer Einwirkung lebensfähige Mutanten hervorgebracht hatten.
Alles war klar. Irgendwo in diesen toten Ruinen nach Anamesonvorräten zu suchen, die auf Empfehlung des Großen Rings für Gäste aus anderen Welten angelegt worden waren (die Sirda hatte noch keine eigenen Sternenschiffe besessen, sondern lediglich Planetenschiffe), war nicht nur aussichtslos, sondern auch gefährlich.
Die Tantra machte sich daran, langsam ihre Flugspirale vom Planeten weg zu ziehen. Nachdem das Sternenschiff mithilfe seiner Ionentriebwerke, die bei interplanetaren Flügen sowie bei Start- und Landemanövern eingesetzt wurden, eine Geschwindigkeit von siebzehn Kilometern pro Sekunde erreicht hatte, entfernte es sich von dem ausgestorbenen Planeten und nahm Kurs auf jenes unbewohnte, nur unter einem Code bekannte System, wo vor einiger Zeit automatische Funkstationen abgeworfen worden waren und die Algrab nun auf sie warten sollte. Dann schalteten sich die Anamesontriebwerke ein, die das Sternenschiff innerhalb von zweiundfünfzig Stunden auf seine Normalgeschwindigkeit von neunhundert Millionen Kilometer in der Stunde brachten. Bis zum Treffpunkt waren es fünfzehn Monate oder elf Monate nach der abhängigen Schiffszeit. Die gesamte Besatzung, mit Ausnahme der Diensthabenden, durfte in Schlaf versinken. Allerdings erst, nachdem man einen Monat lang die Beobachtungen diskutiert, Berechnungen angestellt und einen Bericht für den Rat verfasst hatte. Aus dem Handbuch über die Sirda erfuhr man von riskanten Versuchen mit teilweise gespaltenem Kernbrennstoff. Man stieß auf Veröffentlichungen bekannter Wissenschaftler der Sirda, die auf Anzeichen schädlicher Auswirkungen auf das Leben hingewiesen und die Einstellung aller Versuche gefordert hatten. Vor hundertachtzehn Jahren war über den Großen Ring eine kurze Warnung ergangen, die für Menschen mit überdurchschnittlicher Intelligenz deutlich genug hätte sein sollen, von der Regierung auf der Sirda aber offensichtlich nicht ernst genommen worden war.
Es bestand nun kein Zweifel mehr, dass die Sirda durch die Anhäufung schädlicher Strahlen infolge zahlreicher riskanter Versuche und einer unbedachten Nutzung gefährlicher Arten von Kernenergie zugrunde gegangen war. Die Bewohner der Sirda hätten besser nach weniger schädlichen Energiequellen suchen sollen.
Das Rätsel war längst gelöst, und die Besatzung des Sternenschiffs hatte inzwischen bereits zweimal ihren drei Monate dauernden Schlaf mit ebenso langen Zeiten normalen Lebens vertauscht. Nun kreiste die Tantra schon seit Tagen um den grauen Planeten, und mit jeder Stunde wurde die Hoffnung, mit der Algrab zusammenzutreffen, geringer. Etwas Schreckliches bahnte sich an…
Erg Noor blieb auf der Türschwelle stehen und betrachtete die in Gedanken versunkene Nisa. Ihr geneigter Kopf mit dem dichten Haarschopf glich einer flaumig weichen Goldblume. Das neckische, lausbubenhafte Profil, die etwas schräg gestellten Augen, die sie beim Lachen zusammenkniff, waren jetzt weit geöffnet und blickten besorgt und zugleich tapfer in die unbekannte Zukunft! Das Mädchen ahnte nicht, was für einen enormen psychischen Halt sie ihm mit ihrer grenzenlosen Liebe gab. Obwohl die langen Jahre der Prüfungen seine Willenskraft und seine Gefühle gestählt hatten, war er der Rolle des Kommandanten manchmal müde, verlangte diese ihm doch die ständige Bereitschaft ab. In jeder Minute trug er allein die Verantwortung für die Besatzung, das Schiff und den Erfolg der Expedition. Auf der Erde gab es längst keine solche Einzelverantwortung mehr — Entscheidungen wurden dort stets von einer Gruppe von Menschen getroffen, die gemeinsam mit einer Aufgabe betraut waren. Und geschah etwas Außergewöhnliches, so konnte man sofort Rat einholen, auch wenn das Problem noch so kompliziert war. Hier aber gab es niemanden, den man um Rat hätte fragen können, und aus diesem Grund besaßen die Kommandanten von Sternenschiffen Sonderbefugnisse. Es wäre leichter gewesen, hätte sich eine solche Zeit der besonderen Verantwortung auf zwei, drei Jahre und nicht auf zehn bis fünfzehn Jahre erstreckt, wie es bei einer durchschnittlichen Sternenexpedition der Fall war!
Erg Noor betrat die Steuerzentrale.
Nisa kam ihm entgegen.
„Ich habe das nötige Material und die Karten zusammengestellt“, sagte er. „Die restliche Arbeit überlassen wir der Maschine!“
Der Expeditionsleiter streckte sich im Sessel aus, blätterte langsam die dünnen Metallfolien durch und diktierte die Koordinaten, die Stärke der magnetischen, elektrischen und gravitativen Felder, die Stärke des Korpuskelstroms, die Geschwindigkeit und die Dichte von Meteorströmen. Blass vor Anspannung drückte Nisa auf Knöpfe und betätigte die Schalter des Computers, um die Daten einzugeben. Wenig später lieferte die Maschine eine Reihe von Antworten, und Erg Noor runzelte die Stirn und versank in tiefes Nachdenken.
„Auf unserem Weg liegt ein starkes Gravitationsfeld, ein Gebiet mit einer Anhäufung von Dunkelmaterie im Skorpion, in der Nähe des Sterns 6555-Zr+11-PKU“, begann Noor. „Um Treibstoff zu sparen, müssen wir dorthin, zur Schlange, ausweichen.
Früher nützte man Gravitationsfelder als Beschleuniger, indem man ohne Antrieb an ihrem Rand entlangflog…“
„Können wir das auch machen?“, fragte Nisa.
„Nein, dafür sind unsere Sternenschiffe zu schnell. Eine Geschwindigkeit von fünf Sechstel der Lichtgeschwindigkeit oder zweihundertfünfzigtausend Kilometer pro Sekunde würde unser Gewicht im Gravitationsfeld der Erde um das Zwölftausendfache erhöhen, das heißt, die ganze Expedition in Staub verwandeln. Nur im Kosmos, weitab von großen Materieanhäufungen, können wir so fliegen. Sobald das Sternenschiff in ein Gravitationsfeld gerät, muss die Geschwindigkeit gedrosselt werden, und zwar umso mehr, je stärker das Feld ist.“
„Ein Widerspruch also“, sagte Nisa und stützte auf kindliche Art ihr Kinn mit der Hand ab. „Je stärker das Gravitationsfeld ist, desto langsamer muss man fliegen!“
„Das trifft nur bei gewaltigen Unterlichtgeschwindigkeiten zu, wenn das Sternenschiff selbst zu einer Art von Lichtstrahl wird und sich nur auf einer Geraden oder in einer sogenannten Kurve gleicher Spannungen fortbewegen kann.“
„Wenn ich richtig verstanden habe, müssen Sie ›unseren Lichtstrahl‹, die Tantra, direkt auf das Sonnensystem zusteuern.“
„Darin liegt die Hauptschwierigkeit bei der Sternenschifffahrt. Einen Stern genau anzuvisieren ist praktisch unmöglich, auch wenn wir alle nur erdenklichen rechnerischen Korrekturen durchführen. Während des ganzen Fluges muss der auflaufende Fehler berechnet und der Kurs des Schiffes dementsprechend korrigiert werden. Und genau deshalb funktioniert auch die vollautomatische Steuerung nicht. Gegenwärtig befinden wir uns in einer gefährlichen Lage. Ein plötzliches Abbremsen oder auch nur eine starke Verlangsamung des Flugs bedeutet für uns den sicheren Tod, da uns nach dieser Beschleunigung nichts mehr bleibt, um die nötige Geschwindigkeit zu erreichen. Sehen Sie, die Gefahr liegt hier: Das Gebiet 344+2U ist gänzlich unerforscht. Dort gibt es keine Sterne, nur das Gravitationsfeld ist bekannt — hier ist sein Rand. Mit der endgültigen Entscheidung warten wir auf die Astronomen, nach dem fünften Kreis wecken wir alle auf, und bis dahin…“ Der Expeditionsleiter rieb sich die Schläfen und gähnte.
„Die Wirkung des Sporamins lässt nach“, rief Nisa, „Sie können sich hinlegen!“
„Gut, ich werde es mir hier im Sessel bequem machen. Vielleicht geschieht ein Wunder — vielleicht erreicht uns doch noch eine Nachricht von der Algrab!“
In Erg Noors Stimme schwang etwas mit, was Nisas Herz vor Zärtlichkeit schneller schlagen ließ. Sie hätte diesen eigensinnigen Kopf zu gern an sich gedrückt und das schwarze, vorzeitig etwas ergraute Haar gestreichelt…
Nisa erhob sich, legte die Unterlagen, die der Kommandant zusammengesucht hatte, sorgfältig zusammen und löschte das Licht bis auf die schwache, grüne Beleuchtung entlang der Konsole mit den Messgeräten und der Uhr. Das Sternenschiff flog vollkommen ruhig in der gänzlichen Leere des Kosmos dahin und beschrieb seine gigantische Kurve. Die rothaarige Astronavigatorin nahm lautlos ihren Platz am „Gehirn“ des Riesenschiffes ein. Die Geräte waren auf eine ganz bestimmte Melodie gestimmt und summten wie gewohnt leise vor sich hin, die kleinste Veränderung würde sogleich durch einen falschen Ton angezeigt. Doch die leise Melodie rieselte in der vorgegebenen Tonalität durch den Raum. Ab und zu wiederholten sich gedämpfte Laute wie die Schläge eines Gongs, das waren die planetarischen Hilfstriebwerke, die sich einschalteten und die Tantra auf dem richtigen Kurs hielten. Die furchterregenden Anamesontriebwerke schwiegen. Die Ruhe einer langen Nacht lag über dem verschlafenen Sternenschiff, als drohte ihm und seiner Besatzung keinerlei ernste Gefahr. Gleich würden im Lautsprecher die lang erwarteten Rufsignale ertönen, die beiden Schiffe würden ihren unglaublich schnellen Flug bremsen, auf einen parallelen Kurs einschwenken und nach Angleichung ihrer Geschwindigkeit schließlich nebeneinander zu liegen kommen. Eine große, röhrenförmige Schleuse würde die Algrab mit der Tantra verbinden, wodurch Letztere ihre gigantische Stärke zurückgewinnen würde.
In ihrem tiefsten Inneren war Nisa ruhig: Sie glaubte an ihren Kommandanten. Die fünf Jahre des Flugs waren weder lang noch ermüdend gewesen, besonders nachdem Nisa sich verliebt hatte… Aber auch schon davor gaben ihr die interessanten Beobachtungen, die elektronischen Aufzeichnungen von Büchern, Musik und Filmen stets die Möglichkeit, ihre Kenntnisse zu vergrößern, und ließen sie den Verlust ihrer wunderschönen Erde, die wie ein Staubkorn in den Tiefen der unendlichen Finsternis versunken war, nicht so stark spüren. Ihre Gefährten waren Menschen mit außergewöhnlichem Wissen, und wenn die Nerven durch die vielen Eindrücke oder durch langes, angestrengtes Arbeiten müde wurden… was machte das schon! Zwischendrin waren wie im Fluge große Zeiträume im Nichtsein vergangen, in einem langen, durch hypnotische Schwingungen aufrechterhaltenen Schlaf. Und Nisa war glücklich, weil sie an der Seite des Mannes sein durfte, den sie liebte. Das Einzige, was sie bedrückte, war der Gedanke, dass es die anderen schwerer hatten, vor allem Erg Noor. Wenn sie doch nur imstand wäre… etwas zu tun! Nein, was konnte eine junge, völlig unerfahrene Astronavigatorin im Gegensatz zu solchen Menschen schon ausrichten! Aber vielleicht trug ihre Zärtlichkeit, ihr ständig guter Wille, der brennende Wunsch, alles zu geben, dazu bei, diese schwere Aufgabe zu erleichtern.
Der Expeditionsleiter erwachte und hob schlaftrunken den Kopf. Die gleichmäßige Melodie klang wie ehedem, immer noch von Zeit zu Zeit vom Schlagen des planetarischen Triebwerkes unterbrochen. Nisa Krit stand an den Geräten, leicht nach vorn gebeugt, mit Schatten der Müdigkeit auf dem jungen Gesicht. Erg Noor warf einen Blick auf die abhängige Uhr des Sternenschiffes und sprang mit einem Satz aus dem tiefen Sessel.
„Vierzehn Stunden habe ich geschlafen! Und Sie, Nisa, haben mich nicht geweckt! Das ist…“ Er stockte, als er ihr frohes Lächeln sah. „Nun aber sofort ins Bett mit Ihnen!“
„Darf ich hier schlafen, wie Sie?“, bat das Mädchen. Nachdem sie die Erlaubnis erhalten hatte, ging sie rasch essen, wusch sich und machte es sich im Sessel bequem.
Erg Noor, durch ein Wellenbad erfrischt, nahm ihren Platz in der Steuerzentrale ein. Nachdem er die gespeicherten Indikatorenwerte auf dem Sichtgerät abgelesen hatte, erhob er sich und begann mit Riesenschritten auf und ab zu gehen.
Die glänzenden, von dunklen Ringen umgebenen Rehaugen blickten ihm verstohlen nach.
„Warum schlafen Sie nicht?“, fragte er die Astronavigatorin im Befehlston.
Nisa schüttelte ihre kurz geschnittenen Locken — Frauen trugen bei außerirdischen Expeditionen kein langes Haar.
„Ich denke nach…“, begann sie zögernd. „Und jetzt, am Rande einer großen Gefahr, verbeuge ich mich vor der Macht und Größe der Menschheit, die so weit in die Tiefen des Weltraumes vorgedrungen ist! Ihnen ist hier vieles bekannt, ich aber bin zum ersten Mal im Kosmos. Man stelle sich nur vor, ich nehme an einem grandiosen Sternenflug zu neuen Welten teil!“
Erg Noor lächelte schwach und rieb sich die Stirn.
„Ich muss Sie enttäuschen oder, besser gesagt, Ihnen das wahre Ausmaß unserer Macht vorführen. Sehen Sie.“ Er blieb bei einem Projektor stehen, und an der Rückwand der Schiffskabine wurde die leuchtende Spirale der Galaxis sichtbar.
Erg Noor zeigte auf einen in der Finsternis kaum erkennbaren ausgefransten äußeren Arm der Spirale, der nur aus wenigen Sternen, matt leuchtenden Staubkörnern gleich, bestand.
„Das ist ein Wüstengebiet der Galaxis, ein Randgebiet, arm an Licht und Leben, und hier befinden sich derzeit unser Sonnensystem und wir. Aber dieser Arm reicht, wie Sie sehen, von Cygnus bis Carin, ist weitab vom Zentrum gelegen und enthält außerdem noch eine Dunkelwolke… Allein um an diesem Arm entlangzufliegen, würde unsere Tantra ungefähr vierzigtausend unabhängige Jahre benötigen. Den schwarzen, leeren Raum, der uns vom Nachbararm trennt, würden wir in viertausend Jahren durchqueren. Sie sehen, unsere Flüge in die unermesslichen Tiefen des Weltraums nehmen sich gegenüber den gigantischen Ausmaßen unserer Galaxis wie ein Auf-der-Stelle-Treten aus, und zwar auf einer Stelle mit einem Durchmesser von gerade mal einem halben Hundert Lichtjahren! Wie wenig wüssten wir von der Welt, gäbe es nicht unseren mächtigen Großen Ring! Er sorgt dafür, dass Berichte, Gedanken, Vorstellungen die gigantischen Weiten des Raums durchkreuzen — eines Raums, der für ein kurzes Menschenleben unbezwingbar ist. Und früher oder später erreichen jene Nachrichten uns. Durch sie lernen wir immer fernere Welten kennen. Immer mehr Wissen sammelt sich an, und unsere Arbeit geht unaufhörlich weiter!“ Nisa war still geworden.
„Die ersten interstellaren Flüge…“, fuhr Erg Noor in Gedanken versunken fort. „Kleine Schiffe von geringer Geschwindigkeit und ohne starke Schutzvorrichtungen. Ja, und dabei lebten unsere Vorfahren nur halb so lange wie wir — das war eine Zeit wahrhafter menschlicher Größe!“
Nisa warf ihren Kopf eigensinnig zurück, wie sie es immer tat, wenn sie nicht einverstanden war.
„Später einmal, wenn man andere Methoden gefunden haben wird, den Kosmos zu bezwingen, statt ihn mit Gewalt zu durchbrechen, wie wir es machen, wird man über sie alle sagen: Das waren Helden, mit primitivsten Mitteln eroberten sie den Kosmos!“
Der Expeditionsleiter schmunzelte und zeigte mit der Hand auf das Mädchen.
„Auch von Ihnen, Nisa, wird man das sagen!“
Sie wurde rot.
„Ich bin stolz darauf, mit Ihnen zusammen hier zu sein! Und ich würde alles dafür geben, um immer wieder in den Kosmos fliegen zu dürfen.“
„Ja, ich weiß“, sagte Erg Noor nachdenklich. „Leider denken nicht alle so…!“
Mit ihrem weiblichen Feingefühl hatte das Mädchen die Gedanken des Kommandanten erraten. In seiner Kajüte hingen zwei Stereoporträts in wunderschönen violettgoldenen Tönen. Beide stellten sie Weda Kong dar, Spezialistin für Altertumsforschung und ein Bild von einer Frau. Augen von derselben Klarheit wie das Blau des irdischen Himmels blickten unter langen, geschwungenen Brauen hervor, braun gebrannt und mit einem strahlenden Lächeln hielt sie ihre Hände an das aschblonde Haar. Das andere Porträt zeigte sie aus vollem Halse lachend auf einer kupfernen Schiffskanone sitzend, einer Reliquie aus uralten Zeiten.
Erg Noor hatte etwas von seiner Hastigkeit verloren und nahm gemächlich gegenüber der Astronavigatorin Platz.
„Wenn Sie wüssten, Nisa, wie brutal das Schicksal der Sirda meinen Traum zerstört hat!“, sagte er plötzlich mit gedämpfter Stimme und legte seine Finger vorsichtig auf den Anlasser der Anamesontriebwerke, als wolle er den schnellen Flug des Sternenschiffs aufs Äußerste beschleunigen. Auf die stumme Frage seiner Gesprächspartnerin fuhr er fort. „Wäre die Sirda nicht ausgestorben und hätten wir Treibstoff tanken können, hätte ich die Expedition weitergeführt. So war es mit dem Rat vereinbart. Die Sirda hätte der Erde das Notwendige mitgeteilt, und die Tantra wäre mit denjenigen, die sich bereit erklärt hätten, weitergeflogen… Alle Übrigen wären von der Algrab aufgenommen worden, die man nach ihrem Dienst hier wieder zur Sirda beordert hätte.“
„Aber wer hätte denn nicht auf der Tantra bleiben wollen?“, rief das Mädchen entrüstet. „Pur Hiss etwa? Er ist doch ein großer Wissenschaftler, hätte ihn sein Wissensdrang nicht auch weitergelockt?“
„Und Sie, Nisa? Wären Sie mitgekommen?“
„Ich? Natürlich!“
„Aber wohin?“, fragte Erg Noor plötzlich scharf und sah das Mädchen unverwandt an.
„Wohin Sie wollen, sogar…“ — sie zeigte auf den schwarzen Abgrund zwischen den zwei Spiralarmen der Galaxis und sah Noor mit demselben unverwandten Blick und leicht geöffnetem Mund an.
„Oh, nicht so weit! Sie wissen doch, Nisa, meine kleine Astronavigatorin, dass vor ungefähr fünfundachtzig Jahren die vierunddreißigste Sternenexpedition, die sogenannte Stufenexpedition, gestartet ist. Sie bestand aus drei Sternenschiffen, die einander mit Treibstoff versorgen sollten und die Erde in Richtung des Sternbildes der Lyra verließen. Jene zwei, welche keine Forscher an Bord hatten, gaben ihr Anameson ab und kehrten zurück. Auf ähnliche Weise haben Bergsteiger die Gipfel der höchsten Berge bestiegen. Das dritte schließlich, die Parus…“
„… kehrte nicht zurück!“, flüsterte Nisa aufgeregt.
„Nein, die Parus kehrte nicht zurück. Sie hatte jedoch ihr Ziel erreicht und kam, nachdem sie noch eine Botschaft senden konnte, auf dem Rückflug um. Ihr Ziel war das große Planetensystem der blauen Wega oder Alpha Lyrae. Wie viele Menschenaugen haben seit unzähligen Generationen diesen leuchtenden blauen Stern am nördlichen Himmel bewundert! Zur Wega sind es acht Parsec oder einunddreißig unabhängige Jahre, und der Mensch hatte sich noch nie so weit von seiner Sonne entfernt. Wie dem auch sei, die Parus erreichte ihr Ziel… Kein Mensch weiß, warum sie verschollen ist. Vielleicht ein Meteorit oder ein irreparabler Schaden. Es ist sogar möglich, dass sie jetzt noch durch den Weltraum jagt und die Helden, die wir für tot halten, noch am Leben sind.“
„Wie schrecklich!“
„Das ist das Schicksal jedes Sternenschiffs, das nicht mehr mit Unterlichtgeschwindigkeit fliegen kann. Zwischen ihm und seinem Heimatplaneten tut sich ein Weg von Tausenden von Jahren auf.“
„Was für eine Botschaft hat denn die Parus gesendet?“, fragte das Mädchen rasch.
„Nicht sehr viel. Die Verbindung wurde mehrmals unterbrochen und riss dann für immer ab. Ich kenne die Worte auswendig: ›… Hier Parus, hier Parus, fliegen seit sechsundzwanzig Jahren von der Wega… genügend… werden warten… die vier Planeten der Wega… es gibt nichts Schöneres… welch ein Glück…!‹“
„Also haben sie um Hilfe gerufen, wollten irgendwo warten!“
„Natürlich, ansonsten hätte das Sternenschiff niemals die gewaltige Energiemenge aufgewendet, die für die Übermittlung einer Botschaft erforderlich ist. Aber was sollte man tun — die Parus ließ kein Wort mehr von sich hören.“
„Bereits seit sechsundzwanzig Jahren auf dem Rückflug. Bis zur Sonne waren es noch ungefähr fünf Jahre… Das Schiff war also irgendwo in unserer Nähe oder noch näher zur Erde.“
„Kaum… außer es hatte seine Normalgeschwindigkeit gesteigert und flog nahe der Quantengrenze. Aber das wäre sehr gefährlich gewesen!“
Erg Noor erläuterte die mathematischen Grundlagen für die destruktive Veränderung, die sich in der Materie vollzieht, wenn sie sich der Lichtgeschwindigkeit nähert, bemerkte aber, dass das Mädchen ihm nicht aufmerksam zuhörte.
„Jetzt habe ich verstanden, um was es geht!“, rief Nisa, als der Expeditionsleiter seine Erklärungen beendet hatte. „Normalerweise hätte ich es gleich verstanden, aber der Untergang des Sternenschiffes hat mich verwirrt… Ein solcher Verlust ist jedes Mal schrecklich, und man kann sich nicht damit abfinden!“
„Aha, dann ist das Wesentliche der Parus-Botschaft also bei Ihnen angekommen“, sagte Erg Noor bedrückt. „Die Crew des Sternenschiffs muss irgendwelche besonders schönen Welten entdeckt haben, und es ist schon lange mein Wunsch, die Reise der Parus zu wiederholen. Mit den technischen Verbesserungen der letzten Jahre wäre das inzwischen auch mit einem einzigen Schiff möglich. Seit meiner Kindheit träume ich von der Wega, der blauen Sonne mit den wunderschönen Planeten!“
„Solche Welten sehen…“, sagte Nisa mit stockender Stimme. „Aber für den Rückflug braucht man sechzig Erdenjahre oder vierzig abhängige Jahre… Das ist… ein halbes Leben.“
„Ja, große Errungenschaften fordern große Opfer. Aber für mich wäre es nicht einmal ein Opfer. Mein Leben auf der Erde bestand bisher nur aus kurzen Unterbrechungen zwischen Sternenflügen. Ich bin sogar auf einem Sternenschiff zur Welt gekommen!“
„Wie ist das möglich?“, fragte das Mädchen erstaunt.
„Die fünfunddreißigste Sternenexpedition bestand aus vier Schiffen. Auf einem davon war meine Mutter Astronomin. Ich wurde auf halbem Wege zum Doppelstern MN19026+7AL geboren und habe damit zweimal gegen die Gesetze verstoßen. Zum einen, weil ich auf dem Sternenschiff aufwuchs, und zum anderen, weil ich von meinen Eltern anstatt in einer Schule erzogen wurde. Aber was blieb ihnen anderes übrig! Als die Expedition auf die Erde zurückkehrte, war ich bereits achtzehn Jahre alt. Als Herkulestat wurde mir — bei Erreichung der Volljährigkeit — angerechnet, dass ich die Kunst, ein Sternenschiff zu steuern, erlernt hatte und Astronavigator geworden war.“
„Aber ich verstehe noch immer nicht…“, sagte Nisa.
„Meine Mutter? Wenn Sie älter sind, werden Sie sie verstehen! Damals hielt das Serum AT — Anti T — noch nicht so lange an. Aber die Ärzte wussten das nicht… Wie dem auch sei, man brachte mich oft zu einem Steuerpult wie diesem hier, und ich starrte mit meinen Babyaugen verständnislos auf die Monitore und verfolgte die tanzenden Sterne darauf. Wir flogen in Richtung Theta Lupi, wo sich in der Nähe der Sonne ein Doppelstern befand: zwei Zwerge — ein blauer und ein orangefarbener, von einer Dunkelwolke verdeckt. Mein erster bewusster Eindruck war der Himmel über einem leblosen Planeten, den ich durch die Glaskuppel einer provisorischen Station beobachtete. Auf Planeten von Doppelsternen existiert aufgrund der unregelmäßigen Bahnen meist kein Leben. Die Expedition landete und führte sieben Monate lang geotechnische Untersuchungen auf dem Stern durch. Man stieß, soweit ich mich erinnern kann, auf einen ungeheuren Reichtum an Platin, Osmium und Iridium. Mein Spielzeug waren unglaublich schwere Bauklötze aus Iridium. Und dieser Himmel, mein erster Himmel, war schwarz und von den klaren Lichtern nicht blinkender Sterne und zwei Sonnen von unvorstellbarer Schönheit übersät: die eine leuchtend orange, die andere tiefblau. Ich kann mich erinnern, wie sich ihre Strahlen manchmal kreuzten und unser Planet dann in ein so kräftiges und heiteres Grün getaucht wurde, dass ich vor Begeisterung kreischte und sang…!“ Erg Noor hielt einen Moment inne. „Genug davon, ich habe mich von meinen Erinnerungen hinreißen lassen. Dabei ist es höchste Zeit, dass Sie sich ausruhen.“
„Erzählen Sie weiter, ich habe noch nie etwas so Interessantes gehört“, bettelte Nisa, aber der Kommandant ließ sich nicht erweichen.
Er holte einen pulsierenden Hypnotisator herbei, und wenig später fiel das Mädchen entweder durch seinen gebieterischen Blick oder durch das Schlaf spendende Gerät in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst am Tag des Übergangs zum sechsten Kreis erwachte. Bereits am finsteren Blick des Kommandanten konnte Nisa erkennen, dass die Algrab nicht aufgetaucht war.
„Sie sind zur rechten Zeit aufgewacht!“, erklärte er, sobald Nisa von einem erfrischenden Elektro- und Wellenbad zurückgekehrt war. „Schalten Sie die Musik und das Wecklicht ein. Für alle!“
Nisa drückte rasch auf eine Reihe von Knöpfen, und in allen Kajüten des Sternenschiffes, wo Expeditionsmitglieder schliefen, begannen Lichter aufzuflackern. Dazu ertönte eine eigentümliche, langsam anschwellende Musik tiefer vibrierender Akkorde aus den Lautsprechern, die das schrittweise, behutsame Erwachen des gehemmten Nervensystems und die Rückkehr zu seiner normalen Funktionstätigkeit einleitete. Fünf Stunden später fanden sich alle Expeditionsmitglieder in der Steuerzentrale des Sternenschiffes ein; sie hatten sich vollkommen von ihrem Schlaf erholt und sich durch Nahrung und Nervenstimulanzien gestärkt. Die Nachricht vom Untergang des Hilfsschiffes nahm jeder auf seine Art auf. Wie Erg Noor erwartet hatte, waren die Expeditionsmitglieder der Lage gewachsen. Kein Wort der Verzweiflung, kein ängstlicher Blick. Selbst Pur Hiss, der sich auf der Sirda alles andere als tapfer gezeigt hatte, nahm die Nachricht gelassen auf. Nur die junge Expeditionsärztin Luma Laswi wurde etwas blass und fuhr sich verstohlen mit der Zunge über die trockenen Lippen.
„Gedenken wir der verschollenen Kameraden!“, sagte der Kommandant und schaltete den Projektor ein, auf dem sogleich ein vor dem Abflug der Tantra aufgenommenes Foto der Algrab erschien.
Alle erhoben sich. Auf der Leinwand lösten einander die Fotos teils lächelnder, teils ernster Menschen — der sieben Besatzungsmitglieder der Algrab — ab. Erg Noor nannte jeden beim Namen, und die Reisenden entboten den Verschollenen den letzten Gruß. So war es Brauch bei den Sternfliegern. Sternenschiffe, die gleichzeitig starteten, führten stets die Bilder sämtlicher Expeditionsmitglieder mit sich. Verschollene Schiffe konnten noch lange im kosmischen Raum umherirren, ihre Besatzung noch lange am Leben bleiben. Aber das war ohne Bedeutung — das Schiff würde niemals zurückkehren. Und es bestand keine Möglichkeit, es zu finden und ihm zu Hilfe zu kommen. Die Konstruktion der Maschinen war so ausgereift, dass kleine Pannen äußerst selten auftraten und in jedem Fall leicht behoben werden konnten. Ein größerer Maschinenschaden aber war noch nie im Weltraum behoben worden. Manchmal gelang es Schiffen wie der Parus, eine letzte Botschaft zu senden, aber die meisten Botschaften erreichten wohl nie ihr Ziel, weil es unwahrscheinlich schwierig war, die Funkrichtung genau zu bestimmen. Der Große Ring hatte im Laufe von Jahrtausenden die Richtungen für seine Botschaften exakt ermittelt und konnte sie darüber hinaus variieren, indem er von Planeten zu Planeten sendete. Sternenschiffe befanden sich jedoch für gewöhnlich in unerforschten Gebieten, wo man die Funkrichtung höchstens erraten konnte.
Unter Sternfliegern herrschte die Meinung, im Kosmos gäbe es so etwas wie neutrale Felder oder Nullgebiete, in denen alle Strahlungen und Sendungen wie Steine im Wasser versanken. Die Astrophysiker hingegen hielten Nullfelder bislang für eine reine Erfindung von Kosmosreisenden, die im Allgemeinen zu überreizter Fantasie neigten.
Nach der Trauerfeier und einer kurzen Besprechung schaltete Erg Noor die Anamesontriebwerke ein. Achtundvierzig Stunden später verstummten diese wiederum, und das Sternenschiff strebte dem heimatlichen Planeten zu mit einer Geschwindigkeit von einundzwanzig Milliarden Kilometer pro Tag. Bis zur Sonne waren es ungefähr sechs Erden- oder unabhängige Jahre. In der Steuerzentrale und der kombinierten Bibliotheks- und Laborkabine wurde auf Hochtouren an der Berechnung und Festlegung des neuen Kurses gearbeitet.
Während des sechsjährigen Fluges durfte Anameson nur für die Korrektur des Schiffskurses verbraucht werden. Mit anderen Worten, das Sternenschiff musste so gelenkt werden, dass es möglichst wenig für Beschleunigungsmanöver verlor. Alle waren besorgt über das unerforschte Gebiet 344+2U, das zwischen der Sonne und der Tantra lag und dessen Umgehung praktisch unmöglich war, denn zu beiden Seiten des Gebietes verliefen gefährliche Meteoritenschwärme, und außerdem würde das Schiff beim Wenden an Geschwindigkeit verlieren.
Nach zwei Monaten war die Berechnung der Fluglinie abgeschlossen, und die Tantra begann eine lange, flache Kurve gleicher Krümmung zu beschreiben.
Das wunderbare Schiff befand sich in ausgezeichnetem Zustand, die Fluggeschwindigkeit hielt sich in den errechneten Grenzen. Nun trennte nur noch die Zeit — ungefähr vier abhängige Flugjahre — das Sternenschiff von seiner Heimat.
Erg Noor und Nisa hatten ihren Dienst beendet und sanken todmüde in einen langen Schlaf. Gemeinsam mit ihnen zogen sich zwei Astronomen, die Geologin, der Biologe, die Ärztin und die vier Ingenieure in das vorübergehende Nichtsein zurück. Die folgende Schicht übernahmen der erfahrene Astronavigator Pel Lin, der bereits zum zweiten Mal an einer Expedition teilnahm, die Astronomin Ingrid Ditra und der Elektroingenieur Kay Ber, der sich den beiden freiwillig angeschlossen hatte. Ingrid zog sich mit Pel Lins Erlaubnis oft in die Bibliothek neben der Steuerzentrale zurück. Sie und ihr langjähriger Freund Kay Ber schrieben, vom tragischen Schicksal der Sirda inspiriert, eine monumentale Symphonie mit dem Namen „Der Untergang eines Planeten“. Wann immer Pel Lin vom Summen der Geräte und vom Beobachten der schwarzen Leere des Kosmos ermüdete, ließ er Ingrid ans Pult und machte sich selbst mit Begeisterung an die Dechiffrierung geheimnisvoller Inschriften. Diese stammten von einem Planeten im System der nächsten Sterne des Centaurus, der von seinen Bewohnern auf rätselhafte Art und Weise verlassen worden war. Pel Lin war vom Erfolg dieses aussichtslosen Unterfangens fest überzeugt.
Noch zweimal wechselte die Schicht, das Sternenschiff hatte sich der Erde um fast zehn Billionen Kilometer genähert, obgleich die Anamesontriebwerke nur für ein paar Stunden eingeschaltet worden waren.
Die Schicht Pel Lins Teams, die vierte, seit die Tantra den Ort des gescheiterten Zusammentreffens mit der Algrab verlassen hatte, näherte sich ihrem Ende.
Ingrid Ditra, die Astronomin, hatte ihre Berechnungen abgeschlossen und wandte sich zu Pel Lin um, der melancholisch das unaufhörliche Zittern der roten Zeiger auf den hellblauen Skalen der Gravitationsmessgeräte verfolgte. Die unvermeidliche Verlangsamung der psychischen Reaktionen, die selbst bei den kräftigsten Naturen nicht ausblieb, machte sich vor allem in der zweiten Hälfte des Dienstes bemerkbar. Das Sternenschiff flog monate- und jahrelang automatisch gesteuert auf dem vorgegebenen Kurs dahin. Wenn dann plötzlich etwas Außergewöhnliches geschah, mit dem die automatische Steuerungsanlage des Schiffes nicht fertigwurde, so bedeutete dies gemeinhin den Untergang des Schiffes. Jeder Eingriff von Menschenhand kam dann meist zu spät, da selbst das besttrainierte menschliche Gehirn nicht imstande war, mit der notwendigen Geschwindigkeit zu reagieren.
„Meiner Ansicht nach sind wir längst in das unerforschte Gebiet 344+2U eingedrungen“, wandte sich Ingrid an den Astronavigator. „Der Expeditionsleiter wollte hier doch wieder selbst Dienst tun.“
Pel Lin warf einen Blick auf den Tageszähler.
„Noch zwei Tage, dann ist ohnehin Schichtwechsel. Bis jetzt ist nichts in Sicht, was besondere Aufmerksamkeit verdiente. Führen wir den Dienst zu Ende?“
Ingrid nickte zustimmend. Kay Ber kam aus dem Heck des Schiffes und nahm wie üblich seinen Platz am Pult mit den Stabilisierungsgeräten ein. Pel Lin gähnte und stand auf.
„Ich werde ein paar Stunden schlafen“, sagte er zu Ingrid. Sie erhob sich von ihrem Tisch und ging folgsam zum Steuerpult vor.
Die Tantra flog ohne zu schaukeln in der vollkommenen Leere dahin. Die überempfindlichen Woll-Hod-Geräte registrierten selbst auf weiteste Entfernungen keinen einzigen Meteoriten. Der Kurs des Sternenschiffes verlief nun etwas seitlich von der Sonne — etwa anderthalb Flugjahre. Die Schirme der vorderen Beobachtungsmonitore waren von einer erstaunlichen Schwärze, das Sternenschiff schien in die tiefsten Tiefen der kosmischen Dunkelheit einzutauchen. Nur von den seitlichen Teleskopen spiegelten sich nach wie vor die unzähligen Sternlichter wie Feuernadeln auf den Schirmen wider.
Ingrid wurde von einem seltsamen Gefühl der Unruhe erfasst. Sie kehrte zu ihren Geräten und Teleskopen zurück, kontrollierte fortwährend die Werte und kartierte das unbekannte Gebiet. Alles war ruhig, dennoch konnte Ingrid ihren Blick nicht von der Unheil verkündenden Dunkelheit vor dem Schiff losreißen. Kay Ber hatte ihre Anspannung bemerkt und lauschte und beobachtete lange Zeit die Geräte. „Ich kann nichts entdecken“, bemerkte er schließlich. „Bildest du dir nicht etwas ein?“
„Ich weiß selbst nicht warum, aber diese merkwürdige Finsternis vor uns macht mir Sorgen. Ich habe das Gefühl, unser Schiff fliegt geradewegs in einen Dunkelnebel hinein.“
„Ja, es muss hier eine Dunkelwolke geben“, bestätigte Kay Ber. „Aber wir werden sie nur am Rand streifen. So ist es vorausberechnet. Die Stärke des Gravitationsfeldes wächst gleichmäßig und langsam an. Auf dem Flug durch dieses Gebiet werden wir auf jeden Fall auf ein Gravitationszentrum stoßen. Ist es nicht einerlei, ob auf ein dunkles oder ein helles?“
„Das stimmt“, sagte Ingrid etwas ruhiger.
„Worüber machst du dir dann Sorgen? Wir kommen sogar schneller als geplant auf dem vorgegebenen Kurs voran. Wenn alles glatt läuft, erreichen wir den Triton trotz unserer Brennstoffknappheit.“
Bei dem bloßen Gedanken an den Triton fühlte Ingrid Freude in sich aufsteigen. Auf diesem Satelliten des Neptuns am äußersten Rande des Sonnensystems war eine Sternenschiffstation errichtet. Den Triton zu erreichen, das bedeutete, nach Hause zurückkehren zu können…
„Ich hatte gehofft, wir beide könnten an der Symphonie weiterarbeiten, aber nun hat sich Lin niedergelegt“, fuhr Kay fort. „Ich schätze, er wird sechs bis sieben Stunden schlafen. Inzwischen werde ich allein über die Instrumentierung des Finales im zweiten Satz entwerfen — du weißt schon, die Stelle, wo uns der integrale Einsatz der Gefahr einfach nicht gelingen will. Diese Stelle…“ Kay sang einige Takte vor.
„Di-i, di-i, da-ra-ra“, schien es plötzlich von den Wänden der Steuerzentrale widerzuhallen.
Ingrid fuhr zusammen und blickte sich um, aber im nächsten Augenblick hatte sie begriffen. Die Stärke des Gravitationsfeldes war angewachsen, und die Geräte reagierten darauf mit einem veränderten Summton des künstlichen Gravitationsapparates. „Ein merkwürdiges Zusammentreffen!“, sagte sie und lachte leicht schuldbewusst.
„Die Gravitation hat zugenommen, wie es sich für eine Dunkelwolke eben gehört. Du kannst ganz beruhigt sein und Lin schlafen lassen.“
Mit diesen Worten verließ Kay Ber die Steuerzentrale. In der hell erleuchteten Bibliothek setzte er sich an den kleinen elektronischen Violinflügel und vertiefte sich ganz in seine Arbeit. Es waren einige Stunden vergangen, als sich plötzlich die hermetische Tür öffnete und Ingrid erschien. „Kay, mein Lieber, weck Lin auf!“
„Was ist geschehen?“
„Die Stärke des Gravitationsfeldes nimmt rascher zu als vorausberechnet.“
„Und vor uns?“
„Noch immer dieselbe Finsternis!“ Ingrid verschwand wieder. Kay Ber weckte den Astronavigator, der aus seinem Bett sprang und zu den Geräten in der Steuerzentrale eilte.
„Nichts Bedrohliches. Aber wo kommt nur dieses Gravitationsfeld her? Für eine Dunkelwolke ist es viel zu stark, und Sterne gibt es hier keine…“ Lin dachte einen Augenblick lang nach, ehe er den Knopf drückte, der in der Kajüte des Expeditionsleiters das Wecklicht einschaltete. Anschließend weckte er auch Nisa Krit.
„Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, dann werden sie uns eben einfach ablösen“, erklärte er der aufgeregten Ingrid.
„Und wenn etwas passiert? Erg Noor kommt erst in fünf Stunden wieder ganz zu sich. Was sollen wir bloß machen?“
„Abwarten“, antwortete der Astronavigator gelassen. „Was kann hier, weitab von allen Sternensystemen, in fünf Stunden schon passieren…?“
Der Summton der Geräte wurde immer tiefer und zeigte klar eine Veränderung der Flugbedingungen an. Das angespannte Warten zog sich endlos in die Länge. Die nächsten beiden Stunden schienen so lang wie eine ganze Schicht. Pel Lin blieb äußerlich ruhig, Kay Ber aber hatte sich bereits von Ingrids Aufregung anstecken lassen. Immer wieder blickte er zur Tür der Steuerzentrale in der Hoffnung, Erg Noor würde wie üblich mit raschen Schritten eintreten, obwohl er wusste, dass das Erwachen aus einem langen Schlaf nur sehr langsam vor sich geht.
Ein lang anhaltendes Klingeln ließ alle erschrocken auffahren. Ingrid klammerte sich an Kay Ber.
„Die Tantra ist in Gefahr! Die Gravitation ist doppelt so hoch wie errechnet!“
Der Astronavigator wurde bleich. Etwas Unerwartetes war eingetreten und verlangte eine sofortige Entscheidung. Das Schicksal des Sternenschiffes lag in seinen Händen. Die unentwegt anwachsende Gravitation erforderte eine Drosselung der Fluggeschwindigkeit des Schiffes, erstens, weil das Gewicht im Schiff zunahm, und zweitens, weil sich direkt auf dem Kurs eine große Anhäufung fester Materie zu befinden schien. Aber womit sollten sie nach einer Geschwindigkeitsverminderung wieder beschleunigen? Pel Lin biss die Zähne zusammen und warf den Hebel herum, der die planetarischen Ionenbremstriebwerke in Gang setzte. Hell tönende Schläge vermischten sich mit dem Summen der Geräte und übertönten das alarmierende Klingeln der Maschine, die das Verhältnis von Schwerkraft und Geschwindigkeit errechnete. Das Klingeln verstummte, und der Erfolg war wenig später an den Messgeräten abzulesen — die Geschwindigkeit war auf ein sicheres Maß reduziert worden und passte jetzt zur Stärke der Gravitation. Doch kaum hatte Pel Lin die Bremstriebwerke abgeschaltet, als das Klingeln von Neuem einsetzte — die bedrohliche Schwerkraft verlangte eine neuerliche Verminderung der Fluggeschwindigkeit. Das Sternenschiff steuerte offensichtlich geradewegs auf ein mächtiges Gravitationszentrum zu. Der Astronavigator konnte sich nicht zur Änderung des Kurses entschließen, der mit so viel Mühe und mit größter Genauigkeit berechnet worden war. Mithilfe der planetarischen Triebwerke bremste er das Sternenschiff von Neuem, obwohl bereits offenkundig geworden war, dass der Kurs fehlerhaft berechnet war und direkt durch eine unbekannte Materieanhäufung verlief.
„Das Gravitationsfeld ist riesig“, bemerkte Ingrid mit halblauter Stimme. „Vielleicht…“
„Wir müssen den Flug noch stärker abbremsen, um ausweichen zu können!“, rief der Astronavigator. „Aber womit sollen wir dann beschleunigen…?“ Aus seinen Worten sprach verhängnisvolle Unentschlossenheit.
„Wir haben bereits die äußere Wirbelzone durchstoßen“, erwiderte Ingrid. „Die Gravitation nimmt unaufhörlich und schnell zu.“
Rasch aufeinanderfolgende Schläge wurden hörbar — die planetarischen Bremstriebwerke schalteten sich automatisch ein, als die Elektronenanlage des Schiffes eine riesige Anhäufung von Materie registrierte. Die Tantra geriet ins Schaukeln. So sehr das Sternenschiff auch seinen Flug verlangsamte, die Menschen in der Steuerzentrale begannen das Bewusstsein zu verlieren. Ingrid fiel auf die Knie, Pel Lin, der im Sessel saß, bemühte sich, seinen bleischweren Kopf zu heben, und Kay Ber wurde von einer blinden, tierischen Angst und dem Gefühl kindlicher Hilflosigkeit erfasst.
Das Schlagen der Triebwerke wurde immer heftiger und ging schließlich in ein unablässiges Donnern über. Anstelle der halb bewusstlosen Menschen übernahm nun das Elektronengehirn des Schiffes den Kampf ums Überleben. So mächtig und reaktionsschnell es in diesem Moment auch sein mochte, war es doch nicht in der Lage, mögliche Komplikationen vorauszusehen und einen Ausweg aus außergewöhnlichen Situationen finden.
Das Schaukeln der Tantra ließ nach. Der Zeiger, der die Vorräte an Ionentreibstoff angab, rutschte mit unglaublicher Geschwindigkeit nach unten. Als Pel Lin wieder zu sich gekommen war, begriff er, dass die Gravitation viel zu rasch zunahm — er musste augenblicklich Maßnahmen ergreifen, um das Schiff abzubremsen und den Kurs jäh zu ändern. Pel Lin schob den Hebel nach vorne, der die Anamesontriebwerke in Gang setzte. Vier hohe Zylinder aus Bornitrid, durch einen speziellen Schlitz im Pult sichtbar, leuchteten auf. Darin loderte eine hellgrüne Flamme wie ein wild gewordener Blitz auf, strömte und wand sich in vier dicht nebeneinander liegenden Spiralen. Vorne, im Bug des Schiffes, hüllte ein starkes Magnetfeld die Wände der Triebwerksdüsen ein und bewahrte sie so vor einer sofortigen Zerstörung.
Der Astronavigator schob den Hebel noch ein Stück weiter. Durch die grüne, wirbelnde Feuersäule wurde ein Leitstrahl erkennbar — ein gräulicher Strom von K-Partikeln. Jetzt erreichte der Hebel den Anschlag, und ein greller violetter Blitz durchfuhr den grauen Strahl, ein Signal dafür, dass das Anameson nun rasch zu Ende ging. Der ganze Rumpf des Sternenschiffes reagierte darauf mit einer kaum hörbaren, jedoch nur schwer erträglichen Hochfrequenzvibration…
Nachdem Erg Noor die notwendige Nahrungsration zu sich genommen hatte, lag er noch im Halbschlaf da und genoss die unbeschreiblich wohltuende Elektromassage seines Nervensystems. Langsam wich der Schleier des Vergessens, der Geist und Körper noch immer umfangen hielt. Die Weckmusik ging von Moll in Dur über, und ihr Rhythmus wurde zunehmend schneller.
Plötzlich drang von außen etwas Unangenehmes auf ihn ein und vertrieb die Freude des Erwachens aus dem neunzigtägigen Schlaf. Schlagartig wurde Erg Noor bewusst, dass er der Expeditionsleiter war, und er bemühte sich verzweifelt, sein geistiges Reaktionsvermögen wiederzuerlangen. Schließlich begriff er, dass das Sternenschiff notgebremst wurde und die Anamesontriebwerke eingeschaltet waren — folglich musste etwas passiert sein. Er versuchte aufzustehen. Aber sein Körper wollte ihm noch nicht gehorchen, er wankte und fiel wie ein leerer Sack auf den Boden seiner Kajüte. Nach einiger Zeit gelang es ihm endlich, sich bis zur Tür zu schleppen und sie zu öffnen. Auf dem Korridor kam Erg Noor schließlich auf allen vieren zu stehen und kroch in die Steuerzentrale.
Die auf die Monitore und Zifferblätter starrenden Menschen wandten sich erschrocken um und rannten dann auf ihren Kommandanten zu. Immer noch außerstande aufzustehen, stieß er hervor:
„Monitore, die vorderen Monitore… schalten Sie auf Infrarot… stoppen Sie die… Motoren!“
Die Bornitridzylinder erloschen im gleichen Moment, als der Schiffsrumpf zu vibrieren aufhörte. Auf dem rechten vorderen Monitor erschien ein riesiger, in mattem Rotbraun leuchtender Stern. Für einen Augenblick starrten alle wie gebannt auf die ungeheure Scheibe, die direkt vor dem Schiffsbug aus der Dunkelheit aufgetaucht war.
„Oh, ich Esel“, rief Pel Lin kummervoll. „Ich war überzeugt, wir befinden uns in der Nähe einer Dunkelwolke! Aber das ist ja…“
„Ein Eisenstern“, rief Ingrid Ditra entsetzt.
Erg Noor hielt sich an der Lehne eines Sessels fest und zog sich empor. Sein für gewöhnlich blasses Gesicht hatte eine bläuliche Färbung angenommen, aber seine Augen zeigten denselben starken Glanz wie immer.
„Ja, ein Eisenstern“, sagte er langsam. „Der Schrecken aller Sternflieger!“
Keiner hatte einen solchen Stern in diesem Gebiet vermutet, und der Blick der drei Diensthabenden war voller Hoffnung auf ihn gerichtet.
„Ich habe nur an eine Wolke gedacht“, sagte Pel Lin leise und schuldbewusst.
„Eine Dunkelwolke mit einer solchen Gravitation würde in ihrem Inneren aus festen, relativ großen Partikeln bestehen“, sagte der Kommandant leise, aber bestimmt. „Die Tantra würde längst nicht mehr existieren, denn in solch einem Schwarm wäre ein Zusammenstoß unvermeidlich.“
„Aber die jähen Veränderungen des Schwerkraftfeldes und diese Wirbel? Ist das kein Hinweis auf eine Wolke?“
„Oder darauf, dass der Stern einen Planeten hat.“
Der Kommandant nickte aufmunternd und drückte selbst auf die Weckknöpfe.
„Rasch einen Beobachtungsbericht! Berechnen wir die Isograven!“
Das Sternenschiff begann wieder zu schaukeln. Mit ungeheurer Geschwindigkeit huschte etwas unglaublich Riesiges über den Monitor, fiel zurück und war verschwunden.
„Da haben wir auch schon die Antwort… Wir haben eben den Planeten überholt. Rasch, rasch an die Arbeit!“ Der Blick des Kommandanten fiel auf den Treibstoffzähler. Er klammerte sich noch fester an die Sessellehne, wollte etwas sagen, behielt es dann aber für sich.