Ein leises Klingen, wie von Glas, ertönte auf dem Tisch und wurde von orangefarbenem und hellblauem Funkeln hinter dem großen Fenster begleitet, dessen Widerschein über die durchsichtige Trennwand huschte. Der Leiter der Außenstationen des Großen Rings Dar Weter beobachtete die Lichter der Spiralstraße. In einem gigantischen Bogen wand sie sich in die Höhe und spiegelte sich als mattgelber Streifen entlang der Meeresküste wider. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, streckte Dar Weter die Hand aus und stellte einen kleinen Hebel auf R — das gab ihm zusätzliche Zeit zum Nachdenken. Der heutige Tag würde eine einschneidende Veränderung in seinem Leben bringen. Am Morgen war Mwen Maas, sein vom Rat für Sternschifffahrt bestimmter Nachfolger, aus dem Wohngürtel der südlichen Hemisphäre eingetroffen. Heute würde er, Dar Weter, seine letzte Sendung über den Ring gemeinsam mit seinem Nachfolger machen, und dann… Eben dieses „dann“ war noch immer nicht geklärt. Sechs Jahre lang hatte er diese Arbeit durchgehalten, eine Arbeit, die ihm unglaubliche Anstrengungen abverlangte und für die nur Menschen mit glänzenden Fähigkeiten, einem ausgezeichneten Gedächtnis und mit Weitblick und einem enzyklopädischen Wissen ausgewählt wurden. Als sich bei ihm vor einiger Zeit Anfälle von Gleichgültigkeit gegenüber seiner Arbeit und dem Leben im Allgemeinen regelmäßig zu wiederholen begannen — eine der schwersten Erkrankungen des Menschen —, hatte er sich in Behandlung zu der berühmten Psychiaterin Ewda Nal begeben. Ein altes und bewährtes Heilmittel — Musik trauriger Akkorde in einem von beruhigenden Wellen erfüllten Zimmer blauer Träume — hatte keine Hilfe gebracht. Jetzt blieb nur noch ein Ausweg, er musste die Art der Beschäftigung wechseln und sich mit körperlicher Arbeit auskurieren — dort, wo noch täglich und stündlich der Einsatz von Muskelkraft erforderlich war. Seine beste Freundin, die Altertumsforscherin Weda Kong, hatte ihm tags zuvor den Vorschlag gemacht, bei ihren Ausgrabungen mitzuarbeiten. Dort konnten noch nicht alle Arbeitsschritte von Maschinen erledigt werden, die letzte Etappe musste stets von Menschenhand bewältigt werden. Mangel an Freiwilligen gab es keinen, aber Weda hatte ihm eine lange Reise in uraltes Steppengebiet versprochen, wo er eins sein würde mit der Natur.
Wenn Weda Kong nur…! Übrigens kannte sie seine Gefühle genau. Aber Weda liebte Erg Noor, Mitglied des Rates für Sternschifffahrt und Kommandant der siebenunddreißigsten Sternenexpedition. Erg Noor hätte sich vom Planeten der Sirda melden sollen. Aber auch wenn noch keine Meldung vorlag — die Berechnungen bei interstellaren Flügen waren stets überaus genau —, wäre es unschicklich, daran zu denken, Wedas Liebe erringen zu können! Der Vektor der Freundschaft war das höchste der Gefühle, das ihn mit ihr verbinden konnte. Trotzdem würde er mit ihr fahren!
Dar Weter betätigte einen Hebel, drückte auf einen Knopf, und grelles Licht flutete durch das Zimmer. Eine Wand des Raumes, der hoch über Erde und Meer gelegen war, bildete ein Kristallglasfenster, durch das man in weite Ferne sehen konnte. Dar Weter betätigte einen weiteren Hebel, um die Glaswand zu kippen: Jetzt öffnete sich der Sternenhimmel vor ihm, während die Lichter der Straßen, Gebäude und Leuchttürme unten an der Meeresküste vom metallischen Fensterrahmen abgeschnitten wurden.
Das Zifferblatt der galaktischen Uhr mit den drei konzentrischen Kreisen zog Dar Weters Aufmerksamkeit auf sich. Die Informationssendungen über den Großen Ring erfolgten nach galaktischer Zeitrechnung, das heißt, jede hunderttausendstel galaktische Sekunde beziehungsweise nach irdischer Zeitrechnung alle acht Tage oder fünfundvierzigmal jährlich. Eine Umdrehung der Galaxis um ihre Achse entsprach einem galaktischen Tag.
Der nächste und für ihn letzte Sendetermin war für neun Uhr morgens nach der Zeit des tibetanischen Observatoriums angesetzt — das heißt, für zwei Uhr nachts hier im Mittelmeerobservatorium des Rates. Bis dahin blieben noch etwas über zwei Stunden Zeit.
Das Instrument auf dem Tisch klingelte und leuchtete von Neuem auf. Hinter der Trennwand erschien ein Mann in heller, seidig glänzender Kleidung.
„Wir sind für Übertragung und Empfang bereit“, sagte er kurz und bündig, ohne jedes äußerliche Anzeichen von Respekt, obwohl in seinem Blick Bewunderung für den Direktor zu lesen war.
Dar Weter schwieg. Auch sein Assistent, der in stolzer und ungezwungener Haltung dastand, sagte kein Wort.
„Im kubischen Saal?“, fragte Dar Weter schließlich. Nachdem er eine bejahende Antwort erhalten hatte, erkundigte er sich nach Mwen Maas’ Aufenthaltsort.
„Er ist im morgendlichen Erfrischungsraum und lässt sich nach der Reise aufmöbeln. Davon abgesehen, ist er, wie mir scheint, etwas aufgeregt…“
„Ich wäre an seiner Stelle auch aufgeregt“, sagte Dar Weter nachdenklich. „Mir ging es vor sechs Jahren genauso…“
Der Assistent wurde rot vor Anstrengung, seine Ruhe zu bewahren. Mit jugendlichem Feuer nahm er an dem Schicksal seines Chefs Anteil — vielleicht dachte er auch daran, dass er selbst eines Tages Freud und Leid einer bedeutenden Aufgabe und großer Verantwortung durchmachen würde. Der Leiter der Außenstationen ließ sich seine Gefühle nicht anmerken — in seinem Alter galt dies für unschicklich.
„Wenn Mwen Maas erscheint, führen Sie ihn sofort zu mir.“ Der Assistent nickte und entfernte sich. Dar Weter ging zur Ecke, wo sich hinter einer bunten Holzvertäfelung eine geschwärzte Glaswand befand, die vom Boden bis zur Decke reichte. Mit einer weit ausholenden Handbewegung öffnete er die beiden Klappen der Vertäfelung. Licht flammte auf, das aus der Tiefe des spiegelartigen Bildschirms zu kommen schien.
Der Leiter der Außenstationen führte mithilfe eines Steckers den Vektor der Freundschaft in die Anschlussbuchse — das war jene direkte Verbindung zwischen zwei in tiefer Freundschaft verbundenen Menschen, durch die sie einander jederzeit erreichen konnten. Der Vektor der Freundschaft stellte gleichzeitig die Verbindung mit mehreren ständigen Aufenthaltsorten eines Menschen her — mit der Wohnung, der Arbeitsstelle, dem Lieblingserholungsort.
Der Bildschirm leuchtete auf, und in der Tiefe tauchten die vertrauten Umrisse hoher Tafeln mit reihenweise kodifizierten Titeln von elektronischen Filmen auf. Diese Form der Speicherung ersetzte die veralteten Fotokopien von Büchern. Nachdem die Menschheit zu einem Einheitsalphabet übergegangen war, dem linearen, wie es aufgrund des Fehlens komplizierter Zeichen genannt wurde, war das Filmen alter Bücher noch einfacher geworden und inzwischen auch automatisch möglich. Blaue, grüne, rote Streifen dienten zur Kodierung der Titel in den zentralen Filmotheken, wo wissenschaftliche Forschungsarbeiten aufbewahrt wurden, die bereits seit Langem nur noch im Umfang von zehn Exemplaren erschienen. Man brauchte nur eine bestimmte Zeichenabfolge zu wählen, und die Filmothek gab automatisch den gesamten Text eines Buchfilmes wieder. Mit einem leichten Knacken erlosch das Bild von Wedas Privatbibliothek, und kurz darauf leuchtete ein anderes, ebenfalls leeres Zimmer auf. Beim nächsten Knacken stellte das Gerät eine Verbindung mit einem Saal mit schwach beleuchteten Pulten her. Die Frau am vordersten Pult hob den Kopf, und Dar Weter erkannte das liebliche schmale Gesicht mit den großen graublauen Augen. Als sich der breite, scharf gezeichnete Mund mit schneeweißen Zähnen zu einem Lächeln verzog, wurden die Wangen zu beiden Seiten der angedeuteten Stupsnase mit einer kindlichen Rundung an der Spitze wie zu kleinen Hügelchen emporgezogen, was das Gesicht noch weicher und freundlicher erscheinen ließ.
„Weda, es bleiben nur noch zwei Stunden. Sie müssen sich umziehen, und ich möchte gerne, dass Sie etwas früher ins Observatorium kommen.“
Die Frau auf dem Bildschirm hob die Hände an das dichte aschblonde Haar.
„Ich gehorche, mein Lieber“, sagte sie mit leichtem Lächeln. „Ich gehe sofort nach Hause.“
Dar Weter ließ sich durch den heiteren Ton in ihrer Stimme nicht täuschen.
„Meine tapfere Weda, beruhigen Sie sich. Für jeden, der über den Großen Ring spricht, hat es ein erstes Mal gegeben.“
„Sie können sich Ihre aufmunternden Worte sparen“, sagte Weda Kong und warf starrsinnig den Kopf zurück. „Ich bin gleich da.“
Der Bildschirm erlosch. Dar Weter schloss die Klappen der Holzvertäfelung und drehte sich um, um seinen Nachfolger zu begrüßen. Mwen Maas trat mit weit ausholenden Schritten ein. Seine Gesichtszüge und die dunkelbraune Farbe seiner glatten, glänzenden Haut deuteten darauf hin, dass er von afrikanischen Vorfahren abstammte. Ein weißer Umhang fiel in schweren Falten von seinen breiten Schultern. Mwen Maas nahm beide Hände Dar Weters in die seinen, die kräftig und schlank waren. Beide Leiter der Außenstationen — der bisherige, wie auch der künftige — waren von hohem Wuchs. Weter, dessen Stammbaum russisch war, schien jedoch größer und massiger als der schlanke Afrikaner.
„Ich habe das Gefühl, als müsse heute etwas Wichtiges geschehen“, begann Mwen Maas mit jener vertrauensvollen Offenheit, die charakteristisch für die Menschen der Ära des Großen Ringes war. Dar Weter hob die Schultern.
„Für uns alle drei wird etwas Wichtiges geschehen. Ich gebe meine Arbeit ab, Sie übernehmen sie, und Weda Kong wird zum ersten Mal mit dem Universum sprechen.“
„Sie ist sehr hübsch?“, erwiderte Mwen Maas halb fragend, halb bestätigend.
„Sie werden ja sehen. Im Übrigen ist die heutige Sendung nichts Besonderes. Weda wird für den Planeten KRZ 664456 +BSCH 3252 eine Vorlesung über unsere Geschichte halten.“ Mwen Maas stellte im Geiste verblüffend schnell eine Rechnung an.
„Das Sternbild des Einhorns, der Stern Ross 614 — ein seit undenklichen Zeiten bekanntes Planetensystem, das sich aber bisher durch nichts hervorgetan hat.“ Er hielt kurz inne. „Ich liebe altertümliche Bezeichnungen und Ausdrücke“, fügte er mit kaum merklichem Ton der Entschuldigung hinzu.
Der Rat versteht es, Leute auszuwählen, dachte Dar Weter bei sich. „Dann werden Sie sich mit Junius Antus, dem Leiter der elektronischen Gedächtnismaschinen, gut verstehen“, fügte er laut hinzu. „Er nennt sich selbst Leiter der Gedächtnislampen. Nicht abgeleitet von den Lampen, die man als kümmerliche Beleuchtungskörper des Altertums kennt, sondern von unseren ersten unhandlichen elektronischen Geräten, die sich luftabgeschlossen unter Glashauben befanden und nur im Aussehen an die elektrischen Lampen von einst erinnerten.“
Während Mwen Maas aufrichtig und herzhaft lachte, spürte Dar Weter, wie seine Sympathie gegenüber diesem Menschen von Minute zu Minute wuchs.
„Gedächtnislampen! Unsere Gedächtnisnetze sind kilometerlange Korridore, zusammengesetzt aus Milliarden von Zellelementen!“ Er besann er sich plötzlich. „Ich lasse hier meinen Gefühlen freien Lauf und vergesse, Sie das Wesentliche zu fragen. Wann hat sich Ross 614 zum ersten Mal gemeldet?“
„Vor zweiundfünfzig Jahren. Seit dieser Zeit haben seine Bewohner die Sprache des Großen Ringes erlernt. Bis zu ihnen sind es lediglich vier Parsec. Wedas Vorlesung werden sie in dreizehn Jahren empfangen.“
„Und dann?“
„Nach der Vorlesung schalten wir auf Empfang und erhalten von unseren Freunden Neuigkeiten über den Ring.“
„Über Schwan 61?“
„Natürlich. Manchmal auch über Schlangenträger 107, um in Ihrer altertümlichen Terminologie zu sprechen.“
Ein Mann in dem gleichen silbrig glänzenden Anzug des Rates für Sternschifffahrt, wie ihn auch Dar Weters Assistent trug, betrat das Zimmer. Er war klein, lebhaft und hatte eine Hakennase. Der durchdringende, wache Blick seiner kohlrabenschwarzen Augen wirkte einnehmend. Der Eintretende strich sich mit der Hand über seinen rundlichen kahlen Kopf.
„Ich bin Junius Antus“, sagte er, offensichtlich zu Mwen Maas gewandt, mit hoher schriller Stimme.
Der Afrikaner grüßte ihn respektvoll. Die Leiter der Gedächtnismaschinen überragten jedermann an Gelehrtheit. Sie entschieden, was von den empfangenen Botschaften in den Gedächtnismaschinen verewigt und was über das allgemeine Informationsnetz oder an die Paläste für Schöpferische Arbeit weitergeleitet werden sollte.
„Also wieder mal ein neuer Brevus“, brummte Junius Antus, während er dem Neuankömmling die Hand schüttelte.
„Was ist das?“, fragte Mwen Maas.
„Ein von mir erfundener lateinischer Beiname. So nenne ich alle kurzlebigen Mitarbeiter der Außenstationen, die Piloten der interstellaren Flotte, die Techniker in den Fabriken für Sternenschifftriebwerke. Und uns beide. Wir erreichen auch nur die Hälfte der normalen Lebensdauer. Was soll’s? Dafür ist die Arbeit interessant! Wo ist Weda?“
„Sie wollte etwas früher da sein…“, begann Dar Weter. Seine Worte gingen jedoch in den alarmierenden musikalischen Akkorden unter, die einem hellen Klicken auf dem Zifferblatt der galaktischen Uhr folgten.
„Die Warnung an die gesamte Erde“, erklärte Dar Weter. „Wie Sie wissen, ergeht diese an alle Kraftwerke, Fabriken, das Transportnetz und die Rundfunkstationen. In einer halben Stunde müssen alle Einrichtungen und Produktionsstätten ihren Energieverbrauch einstellen und davon so viel in großen Kondensatoren speichern, bis genügend vorhanden ist, um die Atmosphäre mit einem Leitstrahlkanal zu durchdringen. Für die Sendung werden dreiundvierzig Prozent der Erdenergie verbraucht. Für den Empfang, also zur Aufrechterhaltung des Kanals, dagegen nur acht Prozent“,
„Genauso habe ich mir das vorgestellt“, sagte Mwen Maas und nickte bekräftigend mit dem Kopf.
Unvermittelt blitzte Begeisterung in seinem gespannten Blick auf. Dar Weter blickte sich um. Von ihnen allen unbemerkt war Weda Kong eingetroffen und stand nun an der durchsichtigen Leuchtsäule. Für die Vorlesung hatte sie ihr schönstes Kleid angezogen, ein Kleid, das vor Tausenden von Jahren in der Ära der kretischen Kultur entworfen worden war und die Schönheit einer Frau am besten zum Ausdruck brachte.
Der hoch im Nacken zusammengesteckte, schwere Knoten aus aschblondem Haar tat dem kräftigen schlanken Hals keinen Abbruch. Die glatte Haut der nackten Schulter glitzerte im warmen Licht der Lampen. Das tief ausgeschnittene Dekolleté wurde von einem Korsett aus hellblauem Stoff gestützt. Der weite, kurze Rock mit hellblauer Blumenstickerei entlang des silbernen Saumes ließ nackte, gebräunte Beine in kirschroten Sandalen zum Vorschein kommen. Riesige, ungeschliffene, kirschrote Steine — Phaanten von der Venus —, eingearbeitet in eine Goldkette, brannten im selben Farbton auf der zarten Haut wie Wedas vor Aufregung glühende Wangen und zierliche Ohren. Mwen Maas, der die Altertumsforscherin zum ersten Mal sah, betrachtete sie mit unverhohlenem Entzücken. Weda sah Dar Weter hilfesuchend an.
„Gut“, erwiderte er auf die stumme Frage seiner wunderschönen Freundin.
„Ich habe schon oft Vorträge gehalten, aber noch nie so“, sagte Weda Kong.
„Der Rat folgt einem alten Brauch“, erklärte Dar Weter. „Mitteilungen an die verschiedenen Planeten wurden schon immer von schönen Frauen gesprochen. Das vermittelt einen Eindruck von unserem Schönheitsempfinden und sagt überhaupt vieles aus“, fuhr Dar Weter fort.
„Der Rat hat sich in der Wahl nicht geirrt!“, rief Mwen Maas.
Weda musterte den Afrikaner eindringlich.
„Sind Sie Junggeselle?“, fragte sie leise.
Mwen Maas nickte zustimmend.
„Deshalb sind Sie also so überschwänglich…“ Sie wandte sich an Dar Weter. „Sie wollten mich sprechen?“
Die beiden Freunde traten auf die große kreisförmige Terrasse hinaus, und Weda Kong genoss den frischen Meereswind, der ihr ins Gesicht blies.
Der Leiter der Außenstation berichtete ihr in Kürze von seinem Schwanken, was die Wahl einer neuen Arbeit anging. Sollte er sich zwischen der achtunddreißigsten Sternenexpedition, den Unterwasserbergwerken in der Antarktis oder der Archäologie entscheiden?
„O nein, nur keine Sternenexpedition!“, rief Weda. Augenblicklich erkannte Dar Weter, dass er ziemlich taktlos gewesen war. Mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, hatte er an die empfindlichste Stelle in Wedas Herzen gerührt.
Die Melodie alarmierender Akkorde, die bis auf den Balkon zu hören war, half ihm aus dieser Verlegenheit.
„Es wird Zeit, in einer halben Stunde schalten wir uns in den Ring ein!“ Dar Weter nahm Weda Kong vorsichtig bei der Hand. Gemeinsam mit Junius Antus und Mwen Maas fuhren sie mit der Rolltreppe in einen tief in den Fels gehauenen, unterirdischen Raum, den kubischen Saal.
Hier gab es nichts außer Instrumente. Die matte Täfelung an den schwarzen Wänden wirkte wie Samt, unterbrochen von klar umrissenen Kristallstreifen. Die Skalen, Zeichen und Ziffern leuchteten in mattem Gold, Grün, Hellblau und Orange. Die smaragdgrünen Spitzen der Zeiger vibrierten innerhalb der schwarzen Halbkreise, und es war, als ob sich die breiten Wände in angespannter, bebender Erwartung befänden.
Das Mobiliar bestand aus einigen Stühlen und einem großen Tisch aus Ebenholz, der teilweise in einen riesigen, perlmuttartig glänzenden, halbsphärischen Bildschirm mit massivem Goldrahmen eingeschoben war.
Dar Weter winkte Mwen Maas zu sich, nachdem er den anderen die hohen schwarzen Stühle zugewiesen hatte. Mwen Maas näherte sich ihm vorsichtig auf Zehenspitzen, so wie sich einst seine Vorfahren in den sonnenversengten Savannen an die riesigen und gefährlichen Raubtiere herangeschlichen hatten. Der Afrikaner hielt den Atem an. Bald würde sich von der Erde aus, von jenem unzugänglichen Steingewölbe, ein Fenster in die unendlichen Weiten des Kosmos auftun und die Menschen mittels ihrer Gedanken und Kenntnisse mit den Brüdern anderer Welten verbinden. Sie allein, fünf Menschen, würden die irdische Menschheit vor dem Universum vertreten. Und ab morgen würde er, Mwen Maas, diese Verbindung zu leiten haben. Sämtliche Hebel dieser Riesenanlage würden ihm anvertraut sein. Dem Afrikaner lief ein leichter Schauer über den Rücken. Er begriff wahrscheinlich erst jetzt, welche Bürde an Verantwortung er auf sich genommen hatte, als er dem Vorschlag des Rates zustimmte. Und während er Dar Weter zuschaute, wie dieser in aller Ruhe die Hebel der Anlage betätigte, begann in seinen Augen dieselbe Begeisterung aufzuleuchten, wie sie in den Augen des jungen Assistenten von Dar Weter zu lesen war.
Ein tiefes, drohendes Rollen ertönte, als ob ein Stück massives Blei zum Klingen gebracht worden wäre. Dar Weter drehte sich rasch um und warf einen langen Hebel nach vorn. Das Rollen verstummte, und Weda Kong sah, wie die schmale Täfelung an der rechten Wand vom Boden bis zur Decke beleuchtet wurde. Die Wand schien eingestürzt oder in endlose Ferne entrückt zu sein. Die geisterhaften Konturen einer pyramidenartigen Bergspitze, bekränzt von einem riesigen steinernen Ring, tauchten auf. Unterhalb dieser kolossalen Haube festgefügten Steins waren da und dort Flecke unberührten Bergschnees zu sehen.
Mwen Maas erkannte den zweithöchsten Berg Afrikas — den Mount Kenya.
Erneut erschütterte ein schwerer bleierner Schlag den unterirdischen Raum und ließ die darin befindlichen Menschen aufhorchen und gespannt lauschen.
Dar Weter führte die Hand von Mwen Maas zu einem runden Hebel, in dem ein Granatauge leuchtete. Mwen schob ihn folgsam bis zum Anschlag. Nun wurde die ganze Kraft der Erde, die gesamte von tausendsiebenhundertsechzig Kraftwerken erzeugte Energie, auf den Äquator, zu diesem fünftausend Meter hohen Berg verlegt. Über seinem Gipfel zog sich ein vielfarbiges Leuchten zusammen, verdichtete sich zu einem Ballon und fuhr plötzlich wie ein Speer senkrecht in den Himmel. Über dem Leuchten erhob sich einer Windhose gleich eine schlanke Säule, an der sich grell leuchtender hellblauer Rauch spiralenförmig emporwand. Der Leitstrahl durchdrang die Erdatmosphäre und bildete einen ständigen Empfangs- und Sendekanal zu den Außenstationen. Dort, in sechsunddreißigtausend Kilometern Höhe über der Erde, befand sich ein Tagessatellit — eine große Station, die auf Äquatorhöhe in vierundzwanzig Stunden einmal um den Planeten kreiste und dadurch stets über dem gleichen Punkt, dem Mount Kenya in Ostafrika, zu stehen schien, der für die ständige Verbindung mit den Außenstationen ausgewählt worden war. Ein weiterer großer Satellit umkreiste die Erde in siebenundfünfzigtausend Kilometern Höhe meridional von Pol zu Pol und stand mit dem tibetanischen Empfangs- und Sendeobservatorium in Verbindung. Dort waren die Voraussetzungen zur Schaffung eines Sendekanals besser, dafür gab es aber keine ständige Verbindung. Diese beiden großen Satelliten waren außerdem mit einigen automatischen Außenstationen verbunden, die um die ganze Erde verteilt waren.
Das Licht der schmalen Täfelung zur Rechten erlosch — der Kanal war an die Empfangsstation des Satelliten angeschlossen worden. Nun erstrahlte der perlmuttfarbene Bildschirm im vergoldeten Rahmen. In seiner Mitte erschien eine merkwürdig vergrößerte Gestalt, wurde immer deutlicher und zeigte schließlich ein breites Lächeln. Es war Gur Han, einer der Beobachter auf dem Tagessatelliten, und allmählich wuchs er auf dem Bildschirm zu märchenhafter Größe heran. Er nickte fröhlich, streckte seinen drei Meter langen Arm aus und schaltete alle Außenstationen rund um den Planeten hinzu. Sie alle wurden durch die von der Erde gelieferte Energie zusammengeschlossen. Die empfindlichen Antennen der Empfangsgeräte waren in alle Richtungen des Universums gerichtet. Der mattrote Stern im Sternbild des Einhorns, von dessen Planeten vor Kurzem ein Aufruf ergangen war, ließ sich besser vom Satelliten 57 aus anpeilen, und Gur Han nahm Verbindung mit ihm auf. Dieser indirekte Kontakt der Erde mit dem Stern konnte maximal eine dreiviertel Stunde aufrechterhalten werden, und es durfte keine Minute dieser kostbaren Zeit vergeudet werden.
Auf ein Zeichen Dar Weters hin nahm Weda Kong ihren Platz auf dem von blauem Glanz überstrahlten runden Metallpodium vor dem Bildschirm ein. Eine wahre Flut indirekten Lichts ergoss sich von oben auf die junge Frau und ließ ihre gebräunte Haut merklich dunkler erscheinen. Die elektronischen Maschinen begannen lautlos zu arbeiten und übersetzten Wedas Vorlesung in die Sprache des Großen Ringes. In dreizehn Jahren würden die Empfangsgeräte auf dem Planeten dieses dunkelroten Sterns die gesendeten Schwingungen in Form von allgemeinverständlichen Symbolen niederschreiben und die elektronischen Maschinen diese Symbole dann in die fremde, lebende Sprache des Planeten übersetzen, falls eine solche dort überhaupt existierte.
Nur schade, dachte Dar Weter, dass jene weit entfernten Wesen die wohlklingende, sanfte Stimme einer Frau der Erde nicht hören und deren Ausdruckskraft nicht verstehen konnten. Wer weiß, wie ihre Ohren beschaffen waren? Vielleicht gab es verschiedene Arten von Gehörsinn. Nur der Gesichtssinn, der sich überall jener elektromagnetischen Schwingungen bedient, die die Atmosphäre durchdringen können, ist fast im gesamten Universum gleich, und die Bewohner des Sterns würden zweifellos die charmante, vor Aufregung fiebernde Weda sehen können. Ohne seinen Blick von Wedas kleinem, von einer Haarsträhne halb verdeckten Ohr abzuwenden, begann Dar Weter der Vorlesung zu lauschen.
Knapp, aber verständlich erzählte Weda Kong von den wichtigsten Meilensteinen in der Menschheitsgeschichte. Über die frühesten Epochen der menschlichen Existenz, über die Uneinigkeit zwischen großen und kleinen Völkern, die sich infolge von wirtschaftlichem und ideologischem Hass jahrhundertelang bekriegten, sprach sie nur ganz kurz. Diese Epochen fasste sie unter dem Sammelbegriff ÄUW — Ära der Uneinigen Welt — zusammen. Doch die Menschen der Ära des Großen Rings interessierten sich nicht für eine Aufzählung von Vernichtungskriegen, schrecklichen Leiden oder angeblich großen Herrschern, wie sie die verschiedenen Geschichtsbücher des Altertums, des Mittelalters oder des Zeitalters des Kapitalismus überlieferten. Weit wichtiger war ihnen die widersprüchliche Entwicklungsgeschichte der Produktivkräfte im Zusammenhang mit der Entstehung von Ideen, Künsten, Wissenschaften und dem geistigen Streben nach dem Ideal des heutigen Menschen, der heutigen Menschheit. Weda sprach von dem allmählich erwachenden Bedürfnis, neue Vorstellungen von der Welt und den sozialen Beziehungen, von den Rechten und Pflichten und dem Glück des Menschen zu entwickeln, aus denen schließlich der mächtige Baum der kommunistischen Gesellschaft auf dem gesamten Planeten erwachsen und erblüht war.
In der letzten Epoche der ÄUW, im sogenannten Zeitalter der Spaltung, begriffen die Menschen endlich, dass ihr ganzes Elend von einem Gesellschaftssystem herrührte, das sich im Zeitalter der Barbarei spontan herausgebildet hatte, und dass ihre ganze Stärke, ja, die Zukunft der gesamten Menschheit in der Arbeit, den gemeinsamen Anstrengungen von Millionen von freien Menschen, in der Wissenschaft und in der Umgestaltung des Lebens auf wissenschaftlicher Basis lagen. Sie erkannten die Grundgesetze der gesellschaftlichen Entwicklung, den dialektisch widersprüchlichen Verlauf der Geschichte, die Notwendigkeit der Erziehung zu strenger gesellschaftlicher Disziplin, die umso wichtiger wurde, je stärker die Bevölkerung des Planeten zunahm.
Im Zeitalter der Spaltung spitzte sich der Kampf zwischen den alten und neuen Ideen zu und führte schließlich zur Spaltung der Welt in zwei Lager — die alten kapitalistischen und die neuen sozialistischen Staaten mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen. Die Entdeckung der ersten Formen von Atomenergie und die Sturheit der Verfechter der alten Ordnung hätten die gesamte Menschheit damals beinahe in eine schreckliche Katastrophe gestürzt.
Die neue Gesellschaftsordnung musste unweigerlich siegen, obwohl dieser Sieg durch das rückständige soziale Bewusstsein bei einem Teil der Erdbevölkerung hinausgezögert wurde. Die Umgestaltung der Welt auf kommunistischer Grundlage war undenkbar ohne eine tiefgreifende Veränderung des Wirtschaftssystems, ohne die Beseitigung der Armut, des Hungers und jeder Art von schwerer, kräftezehrender Arbeit. Die Veränderung des Wirtschaftssystems erforderte jedoch eine sehr komplizierte Steuerung der Produktion und der Verteilung und konnte nur dadurch erreicht werden, dass jedem einzelnen Menschen ein soziales Bewusstsein anerzogen wurde.
Die kommunistische Gesellschaft konnte nicht bei allen Völkern und in allen Ländern sofort Fuß fassen. Es waren gigantische Anstrengungen für die Ausrottung des Hasses und besonders der Lüge notwendig, die sich durch die feindselige Propaganda während des ideologischen Kampfes im Zeitalter der Spaltung ausgebreitet hatte. Und es passierten nicht wenige Fehler auf dem Weg der Entwicklung neuer zwischenmenschlicher Beziehungen. Da und dort wurden Aufstände angezettelt von rückständigen Verfechtern des Alten, die in ihrer Ignoranz versuchten, in der Wiederherstellung des Vergangenen einen leichten Ausweg aus den Schwierigkeiten zu finden, mit denen die Menschheit konfrontiert war.
Die neue Lebensordnung breitete sich jedoch unausweichlich und stetig über die ganze Erde aus, und die verschiedensten Völker und Rassen wurden zu einer geeinten, in Eintracht lebenden, weisen Familie.
Das war der Beginn der ÄVW — der Ära der Vereinigten Welt —, welche aus vier Zeitaltern bestand — dem Zeitalter des Staatenbündnisses, der Verschiedenen Sprachen, des Kampfes um Energie und dem Zeitalter der Einheitssprache.
Die gesellschaftliche Entwicklung vollzog sich immer schneller, und jede neue Epoche verging rascher als die vorhergehende. Die Macht des Menschen über die Natur wuchs mit Riesenschritten.
In den alten utopischen Träumen über eine glückliche Zukunft war die Befreiung des Menschen von der Arbeit immer von größter Bedeutung. Die Utopisten prophezeiten, dass sich die Menschheit durch kurze Arbeit — zwei, drei Stunden täglich zum allgemeinen Wohl — mit allem Lebensnotwendigen versorgen und die übrige Zeit dem süßen Nichtstun hingeben könnte. Diese Vision entsprang der tiefen Abneigung gegen die schwere und erzwungene Arbeit früherer Zeiten.
Bald erkannten die Menschen, dass Arbeit Glück bedeutete, ebenso wie das unaufhörliche Ringen mit der Natur, das Überwinden von Schwierigkeiten, die Lösung immer neuer Aufgaben bei der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Wirtschaft. Was der Mensch brauchte, war Arbeit unter Einsatz aller seiner Kräfte, allerdings eben auch schöpferische Arbeit, die seinen angeborenen Fähigkeiten und Neigungen entsprach und abwechslungsreich war und die von Zeit zu Zeit gewechselt werden konnte. Die Entwicklung der Kybernetik, der Technik der automatischen Steuerung sowie die umfassende Bildung und Entwicklung intellektueller Fähigkeiten, gekoppelt mit einer ausgezeichneten Körpererziehung, ermöglichten es jedem Menschen, den Beruf zu wechseln, rasch einen anderen zu erlernen und sich abwechslungsreiche Aufgaben zu suchen, sodass er immer größere Befriedigung bei der Arbeit fand. Die ständig fortschreitende Wissenschaft erfasste allmählich das gesamte menschliche Leben, und eine gewaltige Anzahl von Menschen kam bei der Entdeckung neuer Naturgeheimnisse in den Genuss schöpferischer Freude. Die Kunst nahm einen großen Platz bei der gesellschaftlichen Erziehung und der Gestaltung des Lebens ein. Und endlich brach die herrlichste Ära in der gesamten Menschheitsgeschichte an, die ÄGA — Ära der Gemeinsamen Arbeit — mit ihren Zeitaltern der Vereinfachung der Dinge, der Umgestaltung, des Ersten Überflusses und des Kosmos.
Die Erfindung der Elektrizitätsverdichtung, die zur Schaffung von Akkumulatoren mit riesiger Kapazität führte und kompakte und dabei äußerst leistungsfähige Elektromotoren hervorbrachte, war die größte technische Revolution der Neuzeit. Schon früher hatte der Mensch gelernt, hochkomplexe Schwachstromnetze mithilfe von Halbleitern zu bauen und so automatische kybernetische Maschinen zu erschaffen. Die Technik wurde zu einer hohen, feinen Kunst, wie die des Juweliers, und verlieh der Menschheit Mächte von kosmischem Ausmaß. Die Forderung, sämtliche Bedürfnisse eines jeden zu befriedigen, machte jedoch eine wesentliche Vereinfachung der Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs notwendig. Der Mensch hörte auf, Sklave seines Besitztums zu sein, und die Ausarbeitung detaillierter Normen ermöglichte es, alle beliebigen Gegenstände und Maschinen aus relativ wenigen Grundelementen herzustellen, genauso wie die große Vielfalt lebender Organismen aus einer kleinen Zahl von Zellen aufgebaut ist: die Zelle aus Eiweißen, die Eiweiße aus Proteinen und so weiter. Allein schon die Aufhebung der Vergeudung unwahrscheinlicher Mengen von Lebensmitteln, wie sie in früheren Jahrhunderten üblich gewesen war, ermöglichte es, Milliarden von Menschen zu ernähren.
Alle Kräfte der Gesellschaft, die in früheren Zeiten für die Betriebsfähigkeit der Kriegsmaschinerie, die Aufrechterhaltung riesiger Armeen ohne sinnvollen Auftrag und Beschäftigung, für politische Propaganda und den zugehörigen Flitterkram verschwendet worden waren, wurden nun für die Verbesserung der Lebensbedingungen und die Entwicklung der Wissenschaft eingesetzt.
Auf ein Zeichen von Weda Kong hin drückte Dar Weter auf einen Knopf, und neben der wunderschönen Historikerin wuchs ein großer Globus aus dem Boden.
„Wir begannen“, fuhr Weda fort, „mit der Neuaufteilung des Planeten in Wohn- und Industriezonen…“
Die braunen Streifen auf dem Globus längs des dreißigsten Breitengrades der nördlichen und südlichen Halbkugel stellten eine durchgehende Kette von städtischen Siedlungen dar, die an den Küsten warmer Meere, in einer milden Klimazone ohne Winter gelegen waren. Die Menschheit hatte aufgehört, ungeheure Mengen an Energie für die Beheizung von Wohnungen in den Wintermonaten und für die Herstellung warmer Kleidung aufzuwenden. Die größte Bevölkerungsdichte war an der Wiege der Menschheitskultur — dem Mittelmeer — zu finden. Der subtropische Gürtel konnte nach der Abschmelzung der Polkappen um das Dreifache ausgedehnt werden.
„Im Norden des nördlichen Wohngürtels erstreckt sich eine gigantische Wiesen- und Steppenzone, in der unzählige Herden von Haustieren weiden.
Die einst trockenen und heißen Wüstengürtel im Süden (auf der nördlichen Halbkugel) und im Norden (auf der südlichen) sind in Gärten verwandelt worden. Früher befanden sich hier Felder thermoelektrischer Kraftwerke, die die Sonnenenergie sammelten.
Die Produktion von pflanzlicher Nahrung und Nutzholz beschränkt sich auf die tropische Zone und ist dort tausendmal rentabler als in den kalten Klimazonen. Bereits seit Langem, seit der Entdeckung der künstlichen Gewinnung von Kohlehydraten — Zucker — aus Sonnenlicht und Kohlensäure, haben wir den Anbau von Zuckerpflanzen eingestellt. Da es uns noch nicht gelungen ist, vollwertige Eiweiße für die Ernährung billig und auf industrielle Art herzustellen, bauen wir auf dem Festland eiweißreiche Kulturpflanzen und Pilze an und züchten in den Ozeanen riesige Algenfelder. Eine einfache Methode zur künstlichen Gewinnung von Speisefetten haben wir über den Großen Ring kennengelernt; sämtliche Vitamine und Hormone stellen wir in beliebiger Menge aus Steinkohle her. Damit wurde die Landwirtschaft der neuen Welt von dem Zwang der Erzeugung sämtlicher Nahrungsmittel befreit, wie es in uralten Zeiten der Fall war. Grenzen für die Gewinnung von Zucker, Fetten und Vitaminen sind uns praktisch keine gesetzt. Allein was die Eiweiße betrifft, gibt es zu Lande und zu Wasser riesige Produktionsflächen. Die Menschheit ist seit Langem frei von der Furcht vor Hunger, die sie Jahrtausende bedrückt hat.
Zu den größten Freuden des Menschen gehört das Reisen, der Drang, von Ort zu Ort zu ziehen, den wir von unseren Vorfahren, den herumziehenden Jägern und Sammlern kärglicher Nahrung, geerbt haben. Heute umspannt die Spiralstraße mit ihren Riesenbrücken über alle Meerengen den gesamten Planeten und verbindet alle Kontinente miteinander.“ Weda fuhr mit dem Finger einen Silberfaden entlang und drehte den Globus. „Auf der Spiralstraße fahren ununterbrochen Elektrozüge, und Hunderttausende von Menschen können rasch aus der Wohnzone in die Steppen-, Feld- oder Bergzone gelangen, wo es keine ständigen Städte, sondern nur provisorische Lager für die Meister der Viehzucht, des Ackerbaues, der Forstwirtschaft und des Bergbaues gibt. Dank der Vollautomatisierung sämtlicher Fabriken und Kraftwerke ist der Bau von anliegenden Städten oder großen Siedlungen überflüssig geworden — es gibt dort nur Häuser für einige wenige Diensthabende: Beobachter, Mechaniker und Monteure.
Die systematische Durchorganisierung des Lebens hat schließlich das mörderische Streben nach immer schnelleren Transportmitteln und höheren Geschwindigkeiten beendet. Auf der Spiralstraße fahren die Züge zweihundert Kilometer in der Stunde. Nur bei Unfällen werden Expressflugschiffe eingesetzt, die mit einer Geschwindigkeit von Tausenden Kilometern in der Stunde dahinrasen.
Vor einigen Jahrhunderten gelang es uns, das Antlitz unseres Planeten umzugestalten und entscheidend zu verbessern. Noch im Zeitalter der Spaltung hatten wir die Kernenergie entdeckt. Damals lernte der Mensch, einen winzigen Bruchteil davon freizusetzen und dadurch Hitzeexplosionen zu erzeugen. Seinerzeit wurde diese zerstörerische Entdeckung umgehend dazu genutzt, militärische Waffen zu bauen, und die verfeindeten Lager legten große Vorräte solcher schrecklicher Bomben an, die dann später, bei Anbruch des Weltkommunismus, zunächst zur Energieerzeugung genutzt wurden. Aber die schädliche Auswirkung der Strahlung auf das Leben zwang die Menschheit, auf diese alte Form der Kernenergie zu verzichten. Glücklicherweise entdeckten die Astronomen bei der Erforschung der physikalischen Grundlagen ferner Sterne zwei neue Methoden der Gewinnung von Kernenergie — Qu und F —, die weit wirksamer waren und keine gefährlichen Zerfallsprodukte hinterließen.
Diese beiden Methoden werden auch heute noch von uns angewendet. Unsere Sternenschiffe verwenden für ihre Triebwerke allerdings noch eine andere Art von Kernenergie — das Anameson, das sich uns bei der Beobachtung großer Sterne der Galaxis über den Großen Ring erschloss.
Sobald die Menschen eine Methode gefunden hatten, Zerfallsprodukte außerhalb der Grenzen der Erdatmosphäre zu deponieren, wurde beschlossen, alle seit Langem lagernden Vorräte an alten Kernbrennstoffen — radioaktive Isotope von Uran, Thorium, Wasserstoff, Kobalt und Lithium — auf diese Weise zu vernichten.
Damals, im Zeitalter der Umgestaltung, wurden auch künstliche Sonnen angefertigt und über den Polargebieten gewissermaßen aufgehängt. Dadurch schmolzen partiell die polaren Eiskappen, die sich während der Quartärvergletscherung an den Polen der Erde gebildet hatten, und verursachten einen Klimawandel auf dem ganzen Planeten. Der Meeresspiegel hob sich um sieben Meter, und die Atmosphärenzirkulation veränderte sich grundlegend: Die Kaltwetterfronten wurden stark abgeschwächt, ebenso wie der Passatgürtel, der zur Ausbildung der Wüstenzonen an der Grenze zu den Tropen geführt hatte. Dadurch wurden orkanartige Winde sowie überhaupt alle stürmischen Wetterbedingungen fast vollkommen ausgeschaltet.
Die warmen Steppen dehnten sich nach und nach bis zum sechzigsten Breitengrad aus, und die Wiesen und Wälder der gemäßigten Klimazone überschritten den siebzigsten.
Der antarktische Kontinent, zu drei Viertel vom Eis befreit, erwies sich für die Menschheit als Fundgrube an Bodenschätzen — dort befanden sich noch große unberührte Erzlager, wohingegen derartige Vorkommen auf allen übrigen Kontinenten nach dem unvernünftigen Raubbau an Metallen in der Zeit der weltweiten Vernichtungskriege bereits erschöpft waren. Es gelang, die Spiralstraße über die Antarktis hinwegzuführen und ihre Enden zu einer Ringstraße zusammenzuschließen.
Noch vor der einschneidenden Klimaveränderung waren riesige Kanäle gegraben und Gebirgsketten durchschnitten worden, um die Zirkulation der Wasser- und Luftmassen in Einklang zu bringen. Mithilfe von elektrischen Pumpen konnten sogar die Hochgebirgswüsten Asiens bewässert werden.
Die Möglichkeiten der Nahrungsmittelproduktion stiegen um ein Vielfaches, man erschloss neues Land und nutzte die warmen Binnenmeere für die Züchtung eiweißreicher Algen.
Mit den alten Planetenschiffen, so gefährlich und unsicher sie auch waren, konnten wir immerhin die nächstgelegenen Planeten unseres Sonnensystems erreichen. Die Erde war von einem Netz künstlicher Satelliten umgeben, von denen aus der Mensch den Kosmos aus nächster Nähe studieren konnte. Und dann, vor vierhundertacht Jahren, trat ein Ereignis von solcher Bedeutung ein, dass eine neue Ära der Menschheitsgeschichte — die ÄGR, die Ära des Großen Ringes — eingeleitet wurde.
Seit Langem hatten sich die Menschen über die Übertragung von Bild, Ton und Energie über weite Entfernungen hinweg den Kopf zerbrochen. Hunderttausende hochbegabte Wissenschaftler arbeiteten in einer Spezialorganisation, die heute noch Akademie für gerichtete Strahlung genannt wird, an diesem Problem, bis es ihnen gelang, Energie drahtlos, durch Leitstrahlen über große Entfernungen zu übertragen. Dies wurde möglich, nachdem eine Umgehung des Gesetzes — Energiestrom proportional dem Sinus des Strahlendivergenzwinkels — gefunden worden war. Die Aussendung paralleler Strahlungsbündel ermöglichte eine ständige Verbindung mit den künstlichen Satelliten und über sie mit dem ganzen Kosmos. Der Schirm der ionisierten Atmosphäre, der unser Leben schützt, war stets auch das Hindernis für Nachrichten aus dem und in den Kosmos gewesen. Vor langer, langer Zeit, noch in der ausgehenden Ära der Uneinigen Welt, hatten unsere Wissenschaftler festgestellt, dass sich aus dem Kosmos Ströme starker Radiostrahlen auf die Erde ergießen. Gleichzeitig mit der Strahlung der Gestirne und Galaxien erreichten uns Signale aus dem Kosmos sowie Botschaften über den Großen Ring, die allerdings verzerrt waren oder zur Hälfte in der Atmosphäre untergingen. Obwohl wir bereits imstande waren, diese geheimnisvollen Signale aufzufangen, verstanden wir sie damals nicht und hielten sie für die natürliche Abstrahlung toter Materie.
Der Wissenschaftler Kam Amat, seiner Herkunft nach Inder, kam auf die Idee, auf künstlichen Satelliten Versuche mit Bildempfängern durchzuführen, und probierte zehn Jahre lang mit endloser Geduld immer neue Kombinationen von Wellenbereichen aus.
Eines Tages fing Kam Amat eine Botschaft vom Planetensystem des Doppelsterns auf, welcher seit alters her unter dem Namen Schwan 61 bekannt ist. Auf dem Bildschirm erschien ein Wesen, das uns zwar nicht ähnlich, aber zweifellos auch ein Mensch war, und zeigte auf eine Inschrift, die aus den Symbolen des Großen Rings bestand. Die Inschrift konnten wir erst neunzig Jahre später lesen, und heute schmückt sie — in irdischer Sprache — das Denkmal Kam Amats: ›Gruß Euch, Brüdern, die Ihr Euch unserer Familie angeschlossen habt! Getrennt durch Raum und Zeit, sind wir durch unseren Intellekt in einem Ring von großer Macht vereint.‹
Die aus Symbolen, Zeichnungen und Karten bestehende Sprache des Großen Rings erwies sich als leicht erlernbar für die irdische Menschheit. Schon zweihundert Jahre später konnten wir mithilfe von Übersetzungsmaschinen mit den Planetensystemen der nächstgelegenen Sterne kommunizieren, zusammenhängende Bilder des mannigfaltigen Lebens verschiedener Welten empfangen und weiterleiten. Erst vor Kurzem erhielten wir eine Nachricht von den vierzehn Planeten des großen Lebenszentrums Deneb im Sternbild des Schwans, eines riesigen Sterns mit einer Leuchtkraft von viertausendachthundert Sonnen, der sich hundertzweiundzwanzig Parsec von uns entfernt befindet. Die Entwicklung des Intellekts nahm dort einen anderen Verlauf, hat aber unseren Stand erreicht.
Auch von den alten Welten — den Kugelsternhaufen in unserer Galaxis und dem riesigen bewohnten Gebiet um das galaktische Zentrum — erreichen uns aus unermesslicher Ferne seltsame Bilder und Aufzeichnungen, die wir noch nicht verstehen und dechiffrieren können. Nachdem sie von den Gedächtnismaschinen gespeichert worden sind, gehen sie an die Akademie der Grenzen des Wissens — das ist eine wissenschaftliche Organisation, die sich mit Problemen beschäftigt, die unsere Wissenschaft noch kaum ahnen kann. Wir versuchen eine Denkweise zu verstehen, die uns Millionen von Jahren voraus ist und die sich von unserer Denkweise dank der einheitlichen historischen Entwicklung des Lebens von der niedrigsten organischen Form zu einem höheren, vernunftbegabten Wesen nur wenig unterscheidet.“
Weda Kong wandte sich vom Bildschirm ab, in den sie wie hypnotisiert gestarrt hatte, und warf Dar Weter einen fragenden Blick zu. Dieser lächelte und nickte zufrieden. Weda hob stolz den Kopf, streckte den unsichtbaren und unbekannten Wesen, die in dreizehn Jahren ihre Worte hören und ihre Gestalt sehen würden, die Hände entgegen und sagte:
„Das ist unsere Geschichte, ein mühseliger, schwieriger und langer Anstieg zu den Höhen des Wissens. Wir rufen euch — vereinigt euch mit uns im Großen Ring, um die mächtige Kraft des Intellekts in alle Winkel des unendlichen Universums zu tragen und die träge, tote Materie zu besiegen!“
Wedas Stimme klang feierlich, als ob sie von der Kraft sämtlicher Generationen von Erdenmenschen erfüllt sei, jener Erdenmenschen, deren Entwicklung so weit fortgeschritten war, dass ihre Gedanken und Vorhaben bereits über die Grenzen der eigenen Galaxis hinaus zu anderen Sterneninseln des Universums getragen wurden.
Ein lang anhaltender eherner Ton erklang — Dar Weter hatte einen Hebel betätigt und den Sendestrom abgeschaltet. Der Bildschirm erlosch. Auf der durchsichtigen Täfelung zur Rechten blieb die leuchtende Säule des Leitkanals zurück.
Weda war müde und ruhig geworden und ließ sich in einen großen, tiefen Sessel fallen, ohne jedoch ihren aufmerksamen Blick von Dar Weter abzuwenden. Dieser ließ Mwen Maas am Steuerpult Platz nehmen und beugte sich über dessen Schulter. In der vollkommenen Stille war nur ab und zu ein leises Knacken der Hebelbolzen zu vernehmen. Plötzlich verschwand der Bildschirm mit dem Goldrahmen, und an seiner Stelle tat sich eine unglaubliche Tiefe auf. Weda Kong, die dieses Wunder zum ersten Mal sah, holte tief Luft. Ja, sogar die anderen Anwesenden im Raum, die mit der komplizierten Methode der Interferenz von Lichtwellen und der daraus resultierenden ungeheuren Weite und Tiefe des Blickfeldes vertraut waren, betrachteten dieses Schauspiel wie immer verblüfft.
Die dunkle Oberfläche eines fremden Planeten näherte sich aus weiter Ferne und nahm mit jeder Sekunde an Größe zu. Das war das außergewöhnlich seltene System eines Doppelsterns, dessen zwei Sonnen sich derart ausglichen, dass die Bahn ihres Planeten regelmäßig zu sein schien und sich Leben auf ihm hatte entwickeln können. Diese beiden Sonnen — die eine orangefarben, die andere scharlachrot — waren kleiner als die irdische Sonne und ließen das Eis eines zugefrorenen Meeres rot erscheinen. Am Rande flacher schwarzer Berge war ein in rätselhaft violettem Widerschein erstrahlendes, gigantisches, niedriges Gebäude zu erkennen. Der Sehstrahl fiel auf eine Plattform auf dem Dach des Gebäudes, durchdrang diese gleichsam, und alle erblickten einen grauhäutigen Menschen mit runden, von Ringen silbernen Flaums umgebenen Eulenaugen. Er war von hohem Wuchs, ungewöhnlich schlank, mit Gliedmaßen in der Art von Fühlern. Er zuckte läppisch mit dem Kopf, als wolle er rasch einen Diener machen, richtete den Blick seiner leidenschaftslosen Augen, die wie Objektive aussahen, auf den Schirm und öffnete seinen lippenlosen Mund, der von einer ventilartigen nasenähnlichen Hautwulst halb verdeckt war. Gleich darauf ertönte die melodische und zarte Stimme der Übersetzungsmaschine:
„Dir. Inf., Direktor der auswärtigen Informationsabteilung von Schwan einundsechzig. Heute senden wir für den gelben Stern STL 3388+04SCHF… Wir senden für…“
Dar Weter und Junius Antus blickten einander an, während Mwen Maas für einen Augenblick das Handgelenk von Dar Weter umklammert hielt. Das waren die galaktischen Rufzeichen der Erde, genauer gesagt des ganzen Planetensystems, welches Beobachter anderer Welten einst für einen einzigen großen Trabanten gehalten hatten, der sich in neunundfünfzig Erdenjahren einmal um die Sonne bewegt. Einmal während dieser Zeit stehen Jupiter und Saturn gemeinsam in Opposition, wodurch die Sonne so weit verschoben wird, dass es den Astronomen der näheren Sterne auffällt. Demselben Fehler waren auch unsere Astronomen bezüglich vieler Planetensysteme aufgesessen, welche bereits in frühen Zeiten allen möglichen Sternen zugeschrieben worden waren.
Noch aufmerksamer als zu Beginn der Sendung überprüfte Junius Antus nun die Einstellung der Gedächtnismaschine und deren Funktionsindikatoren.
Die leidenschaftslose Stimme des elektronischen Übersetzers fuhr fort:
„Wir haben vom Stern…“, es folgten eine Reihe von Ziffern und einige abgehackte Laute, „außerhalb der Sendezeit des Großen Rings zufällig eine ziemlich gut hörbare Botschaft empfangen. Die Bewohner des Sterns haben die Sprache des Rings noch nicht dechiffriert und vergeuden sinnlos Energie, indem sie in der Ruhepause senden. Wir haben ihnen während ihrer eigenen Sendung geantwortet, die Resultate erhalten wir in zirka drei Zehntel Sekunden…“ Die Stimme brach ab. Die Signalgeräte, mit Ausnahme des erloschenen grünen Auges, brannten weiter.
„Diese Übertragungsstörungen sind noch immer ungeklärt — vielleicht hängen sie damit zusammen, dass sich eines der legendären neutralen Felder der Sternflieger zwischen uns schiebt“, erklärte Junius Antus Weda.
„Drei Zehntel einer galaktischen Sekunde — das heißt, wir müssen zirka sechshundert Jahre warten“, brummte Dar Weter finster. „Da werden wir viel davon haben.“
„Soviel ich verstanden habe, handelt es sich bei dem Stern, mit dem sie Verbindung aufgenommen haben, um Epsilon Tucanae, ein Gestirn am südlichen Himmel“, bemerkte Mwen Maas. „Es befindet sich neunzig Parsec von uns entfernt und nahe der Grenze unserer ständigen Verbindung. Weiter als bis zum Deneb sind wir bislang noch nicht vorgedrungen.“
„Aber wir empfangen auch Sendungen vom Zentrum der Galaxis und von den Kugelhaufen, oder?“, fragte Weda Kong.
„Aber nicht regelmäßig, sondern zufällig oder über die Gedächtnismaschinen anderer Mitglieder des Rings, die quer durch den Raum der Galaxis eine Kette bilden“, antwortete Mwen Maas.
„Mitteilungen, die vor Tausenden und Abertausenden von Jahren gesendet wurden, gehen im Weltraum nicht verloren, sondern werden uns früher oder später erreichen“, fügte Junius Antus hinzu.
„Aber das bedeutet, dass wir vom Leben und den Erkenntnisse von Menschen anderer, sehr weit entfernter Welten nur mit einer ungeheuren Verspätung erfahren, im Falle des galaktischen Zentrums zum Beispiel mit einer Verspätung von zwanzigtausend Jahren?“
„Ja, ganz gleich, ob wir über die Gedächtnismaschinen nahe gelegener Welten oder in unseren Stationen selbst empfangen, wir sehen ferne Welten so, wie sie vor langer, langer Zeit aussahen. Wir sehen längst verstorbene und von ihrer Welt vergessene Menschen.“
„Wie ist es möglich, dass wir, die wir eine solche Macht über die Natur errungen haben, auf diesem Gebiet so machtlos sind?“, sagte Weda mit kindlicher Empörung. „Weshalb können wir ferne Welten nicht auf anderem Wege erreichen als durch Wellen- oder Photonenstrahlen?“
„Wie gut ich Sie verstehen kann, Weda!“, rief Mwen Maas.
„In der Akademie der Grenzen des Wissens beschäftigt man sich mit Projekten zur Überwindung von Raum, Zeit und Schwerkraft, den Grundprinzipien der kosmischen Weiten“, warf Dar Weter ein. „Aber man ist noch nicht einmal bis zum Versuchsstadium gekommen und konnte noch…“
Plötzlich leuchtete das grüne Auge auf, und Weda verspürte erneut eine Art Schwindel, als sich vor ihr auf dem Bildschirm die endlosen Tiefen des Weltraumes auftaten. Die scharf umrissenen Bildränder wiesen darauf hin, dass es sich um die Aufzeichnung einer Gedächtnismaschine und nicht um eine direkte Übertragung handelte.
Zuerst wurde die Oberfläche eines Planeten sichtbar, die natürlich von einer Außenstation, einem Satelliten, aufgenommen worden war. Eine riesige, blassviolette, durch ihre eigene, unglaubliche Glut geisterhaft erscheinende Sonne überflutete die blaue Wolkendecke ihrer Atmosphäre mit intensiven Strahlen.
„Ja, das ist Epsilon Tucanae, ein hochtemperierter Stern der Klasse B9, mit einer Leuchtkraft von achtundsiebzig unserer Sonnen“, flüsterte Mwen Maas.
Dar Weter und Junius Antus nickten bestätigend.
Das Blickfeld veränderte sich, wurde kleiner und schien bis auf den Boden der unbekannten Welt abzusinken.
Abgerundete, wie aus Kupfer gegossene Bergkuppen ragten in die Höhe. Eine unbekannte Gesteinsart oder ein Metall von körniger Struktur brannte lichterloh unter dem erstaunlich hellen Licht der blauen Sonne. Sogar in dieser unvollkommenen Wiedergabe glänzte diese unbekannte Welt majestätisch und strahlte eine siegreiche Herrlichkeit aus.
Die reflektierten Strahlen umgaben die Konturen der kupfernen Berge mit einer silbrig-rosafarbenen Krone, die sich auf den langsam dahinwogenden Wellen eines violetten Meeres als breiter Streifen widerspiegelte. Das Wasser, von einer satten Amethystfarbe, schien schwerflüssig und von lodernden Flammen wie von unzähligen lebendigen Augen erfüllt. Die Wellen umspülten das massive Postament einer riesigen Statue, die stolz und verlassen weitab von der Küste im Meer stand. Es war die aus dunkelrotem Stein gemeißelte Gestalt einer Frau, die mit zurückgeworfenem Kopf und wie in Ekstase ihre Arme gegen den flammenden Himmel streckte. Sie hätte durchaus eine Tochter der Erde sein können — die Ähnlichkeit mit unseren Menschen war nicht weniger frappierend als die außergewöhnliche Schönheit der Statue selbst. In ihrer Gestalt — dem zur Wirklichkeit gewordenen Traum jeden irdischen Bildhauers — verband sich ungeheure Kraft mit einer Durchgeistigung jeder einzelnen Linie. Der polierte rote Stein der Statue war vom Feuer eines unbekannten und deshalb geheimnisvollen und anziehenden Lebens erfüllt.
Die fünf Erdenmenschen blickten stumm auf diese wunderschöne neue Welt. Der Brust von Mwen Maas, dessen gesamtes Nervensystem seit dem ersten Anblick der Statue vor freudiger Erwartung bis aufs Äußerste gespannt war, entrang sich ein tiefer Seufzer.
An der Küste, gegenüber der Statue, markierten geschnitzte Silbertürme den Anfang einer breiten weißen Treppe, die frei über einem Dickicht von schlanken Bäumen mit türkisfarbenem Laub schwebte.
„Die müssen klingen!“, flüsterte Dar Weter Weda ins Ohr und zeigte auf die Türme. Weda nickte.
Das Übertragungsgerät des neuen Planeten setzte seine lautlose Reise in das Innere des Landes fort.
Eine Sekunde lang blitzten weiße Mauern mit breiten Vorsprüngen auf, in die ein Portal aus hellblauem Stein eingelassen war. Dann zeigte der Bildschirm einen von hellem Licht durchfluteten hohen Raum. Der matte perlmuttartige Glanz der von Rillen durchzogenen Wände verlieh allem, was sich im Saal befand, eine erstaunliche Klarheit. Die Aufmerksamkeit der Erdenbewohner fesselte eine Gruppe von Menschen, die vor einer polierten smaragdgrünen Täfelung standen.
Das flammende Rot ihrer Haut entsprach der Farbe der Statue im Meer. Die Erdbewohner kannten diese Hautfarbe von einigen Indianerstämmen Mittelamerikas; nach alten Aufnahmen zu schließen, hatten diese in etwa genauso ausgesehen, vielleicht nur eine Nuance heller. Im Saal befanden sich zwei Frauen und zwei Männer. Die Paare waren verschieden gekleidet. Das eine trug kurze goldene, mit Schnallen versehene Gewänder, die eleganten Overalls glichen. Das andere war von Kopf bis Fuß in Umhänge gehüllt, die von derselben Farbe wie die perlmuttartig glänzenden Wände waren.
Das nahe der Täfelung stehende Paar machte einige fließende Bewegungen, während es die Saiten berührte, die quer über den linken Rand der Täfelung gespannt waren. Die Wand aus poliertem Smaragd oder Glas wurde durchsichtig. Im Takt ihrer Bewegungen zogen klar umrissene Bilder über sie hinweg. Die Bilder wechselten sich in rascher Reihenfolge ab, sodass sogar geübte Beobachter wie Junius Antus und Dar Weter ihren Sinn nur schwer verstehen konnten.
Aus der Aufeinanderfolge von kupfernen Bergen, eines violetten Meeres und türkisfarbener Wälder ergab sich die Geschichte des Planeten. Eine Kette tierischer und pflanzlicher Formen, manchmal haarsträubend unverständlich, manchmal wunderschön anzusehen, zog gleich Geistern der Vergangenheit vorüber. Viele Tiere und Pflanzen waren jenen ähnlich, deren Überreste in der Chronik der Schichten der Erdkruste aufbewahrt wurden. Es war eine lang aufsteigende Leiter von Lebensformen, eine Leiter, die in der Entwicklung der lebenden Materie gipfelte. Der endlose Entwicklungsweg schien noch länger, schwieriger und mühsamer gewesen zu sein als der Stammbaum der Erdenbewohner.
Immer neue Bilder huschten über den gespenstisch leuchtenden Bildschirm: riesige Lagerfeuer, aufgetürmte Felsbrocken in der Ebene, Kämpfe mit wilden Tieren, feierliche Begräbniszeremonien und religiöse Kulthandlungen. Plötzlich füllte die Gestalt eines Mannes mit buntem Fellumhang die gesamte Bildfläche aus. Die eine Hand auf einen Speer gestützt und die andere mit einer weit ausholenden Geste zu den Sternen erhoben, stieg er mit einem Fuß auf den Nacken eines besiegten Ungetüms mit borstiger Mähne und gefletschten langen Stoßzähnen. Im Hintergrund stand eine Reihe von Frauen und Männern, die sich paarweise an den Händen hielten und etwas zu singen schienen.
Das Bild erlosch, und anstelle der lebendigen Erscheinungen trat wiederum die dunkle Oberfläche des polierten Steins. Gleichzeitig traten der Mann und die Frau in den goldenen Gewändern zur Seite, und das zweite Paar nahm ihren Platz ein. Mit einer unfassbar schnellen Bewegung warfen sie ihre Umhänge ab, und auf dem perlmuttfarbenen Hintergrund der Wände spiegelten sich zwei dunkelrote Körper wie loderndes Feuer wider. Der Mann streckte der Frau beide Hände entgegen, sie antwortete ihm mit einem so stolzen und freudestrahlenden Lächeln, dass auch die Erdenbewohner unwillkürlich lächeln mussten. Und dann vollzogen die beiden in dem perlmuttartig glänzenden Saal dieser unglaublich fernen Welt einen langsamen Tanz. Eigentlich war es kein Tanz um des Tanzens willen, sondern ein rhythmisches Posieren, bei dem die Tanzenden offensichtlich die Vollkommenheit und Schönheit der Linien und die plastische Geschmeidigkeit ihrer Körper unter Beweis stellen wollten. In dem rhythmischen Wechsel von Bewegungen glaubte man jedoch eine majestätische und zugleich traurige Musik zu vernehmen, die wie eine Erinnerung an die lange Stufenleiter namenloser und unzähliger Opfer klang, die schließlich zur Entwicklung eines so wunderbaren denkenden Wesens, wie dieser Mensch es war, geführt hatte.
Mwen Maas schien es, als höre er eine Melodie — einen Fächer hoher, reiner Töne auf dem Hintergrund eines widerhallenden gemessenen Rhythmus tiefer Klänge. Weda Kong presste Dar Weters Arm, aber dieser bemerkte es nicht einmal. Junius Antus stand regungslos da und betrachtete die Szene mit angehaltenem Atem. Auf seiner hohen Stirn wurden Schweißtropfen sichtbar.
Diese Wesen des Tukans waren den Menschen der Erde so ähnlich, dass der Eindruck einer anderen Welt allmählich schwand. Die roten Menschen besaßen jedoch Körper von so vollendeter Schönheit, wie sie auf der Erde nur sehr selten vorkamen, wie sie vor allem in der Fantasie und den Werken von Künstlern lebten und sich bislang nur bei einigen wenigen ungewöhnlich schönen Menschen manifestiert hatten.
Je schwieriger und länger der Weg der blinden tierischen Evolution zu einem denkenden Wesen ist, desto zweckmäßiger und perfekter und folglich auch schöner sind die höheren Lebensformen, dachte Dar Weter. Die Erdenmenschen haben längst begriffen, was Schönheit ist — die instinktiv verstandene Zweckmäßigkeit einer Struktur und deren Anpassungsfähigkeit für eine genau definierte Bestimmung. Je vielfältiger die Bestimmung, desto schöner die Form — diese roten Menschen sind wahrscheinlich vielseitiger und gewandter als wir. Vielleicht ist ihre Zivilisation mehr auf die Entwicklung des Menschen selbst, seine geistigen und physischen Fähigkeiten und weniger auf die Technik ausgerichtet gewesen? Unsere Kultur war lange Zeit durch und durch von der Technik bestimmt und kehrte erst mit der Etablierung des Kommunismus auf den Weg der Vervollkommnung des Menschen selbst und nicht nur seiner Maschinen, Häuser, Nahrung und Vergnügungen zurück.
Der Tanz war zu Ende. Die junge rothäutige Frau trat in die Mitte des Saals, und der Sehstrahl des Geräts konzentrierte sich allein auf sie. Ihre ausgestreckten Arme und ihr Gesicht waren zur Decke des Saals gerichtet.
Unwillkürlich folgten die Augen der Erdenbewohner ihrem Blick. Es war entweder überhaupt keine Decke vorhanden, oder aber eine äußerst geschickte optische Täuschung erzeugte einen Sternenhimmel mit sehr großen und hellen Sternen. Die Anordnung der fremden Sternbilder rief keinerlei bekannte Assoziationen hervor. Die junge Frau schwang einen ihrer Arme, und auf dem Zeigefinger ihrer linken Hand erschien ein blauer Ballon. Aus ihm schlug ein silbriger Strahl hervor, der zu einem riesigen Zeigestab wurde. Der runde, leuchtende Fleck an der Spitze des Strahls ruhte bald auf dem einen, bald auf dem anderen Stern auf der Decke. Und zugleich zeigte die smaragdgrüne Täfelung ein bewegungsloses Bild in Großaufnahme. Langsam wanderte der Zeigestab, und ebenso langsam zogen die Bilder unbewohnter oder belebter Planeten vorüber. Bedrückend und trostlos leuchteten steinerne oder sandige Ebenen unter dem Licht roter, hellblauer, violetter oder gelber Sonnen. Manchmal erweckten die Strahlen eines merkwürdigen bleigrauen Gestirns auf seinen Planeten flache Kuppeln oder Spiralen zum Leben, die von Elektrizität erfüllt wie Medusen in einer dichten orangefarbenen Atmosphäre oder einem Ozean schwammen. In der Welt der roten Sonne wuchsen Bäume von unvorstellbarer Größe und glitschiger schwarzer Rinde, Bäume, die Milliarden krummer Äste wie in tiefer Verzweiflung gen Himmel streckten. Andere Planeten waren wiederum über und über mit dunklem Wasser bedeckt. Riesige, entweder von Tieren oder Pflanzen belebte Inseln schwammen überall und ließen ihre unzähligen wolligen Fühler auf dem ruhigen Wasserspiegel wogen.
„Es gibt keine Planeten mit höheren Lebensformen in ihrer Nähe“, sagte Junius Antus plötzlich, der die Karte des unbekannten Sternenhimmels unaufhörlich beobachtete.
„Doch“, entgegnete Dar Weter. „Es handelt sich um ein flaches Sternensystem, eine der neuesten Formationen der Galaxis. Wie wir wissen, wechseln sich die flachen und sphärischen Systeme einander nicht selten ab. Dieses System liegt in Richtung des Eridanus und gehört zum Ring, dort existieren denkende Wesen…“
„WWR 4955+MO 3529… und so weiter“, warf Mwen Maas ein.
„Aber weshalb wissen sie nichts davon?“
„Das System hat sich vor zweihundertfünfundsiebzig Jahren dem Großen Ring angeschlossen, und diese Botschaft wurde vor dieser Zeit gesendet“, antwortete Dar Weter.
Die rothäutige junge Frau der fernen Welt streifte den blauen Ballon von ihrem Finger und wandte sich mit ausgebreiteten Armen den Zuschauern zu, als wolle sie eine vor ihr stehende unsichtbare Person umarmen. Sie warf Kopf und Schultern leicht zurück, wie es auch eine Frau der Erde in einem Ausbruch von Leidenschaft getan hätte. Die Lippen ihres leicht geöffneten Mundes bewegten sich, während sie unhörbare Worte wiederholte. Wie erstarrt stand sie da und sandte ihr heißes Flehen um Freundschaft mit Menschen anderer Welten in die eisige Finsternis des interstellaren Raums hinaus.
Und wiederum zog ihre blendende Schönheit die Beobachter der Erde in ihren Bann. In ihr lag nichts von der gemeißelten Strenge irdischer rothäutiger Menschen. Das rundliche Gesicht mit der kleinen Nase, den weit auseinanderstehenden blauen Augen und dem kleinen Mund erinnerte eher an die nördlichen Völkerschaften der Erde. Ihr dichtes gewelltes schwarzes Haar war nicht steif oder hart. Jede Linie ihres Gesichts und Körpers verriet beschwingte Zuversicht, die von einem unbewussten Gefühl großer Stärke herzurühren schien.
„Ist es wirklich möglich, dass sie nichts vom Großen Ring wissen?“, fragte Weda Kong fast stöhnend, während sie sich vor der wunderschönen Schwester aus dem Kosmos verneigte.
„Inzwischen wissen sie bestimmt von ihm“, entgegnete Dar Weter, „Denn das, was wir sehen, liegt dreihundert Jahre zurück.“
„Achtundachtzig Parsec“, brummte Mwen Maas mit seiner tiefen Stimme. „Achtundachtzig. Alle, die wir gesehen haben, sind längst tot.“
Und gleichsam als Bekräftigung seiner Worte erlosch das Bild der wunderbaren Welt und verschwand auch das grüne Licht, das die Verbindung angezeigt hatte. Die Sendung über den Großen Ring war zu Ende.
Einen Augenblick lang waren alle wie benommen. Als Erster kam Dar Weter zu sich. Verdrossen biss er sich auf die Lippen und drehte hastig den Hebel mit dem Granatauge herum. Die Säule der gerichteten Energie erlosch mit einem dumpfen, ehernen Ton, der die Ingenieure der Kraftwerke aufforderte, den mächtigen Energiestrom nun wieder in die altgewohnten Kanäle zu leiten. Erst nachdem er alle nötigen Operationen ausgeführt hatte, wandte sich der Leiter der Außenstationen wieder seinen Gefährten zu.
Mit hochgezogenen Brauen ging Junius Antus Seite für Seite seiner Notizen durch.
„Der Teil der Aufzeichnungen mit der Sternkarte an der Decke muss sofort an das Institut des Südhimmels geschickt werden!“, sagte er zu Dar Weters jungem Assistenten.
Dieser blickte Junius Antus überrascht an, als sei er gerade aus einem ungewöhnlichen Traum erwacht.
Der strenge Wissenschaftler musste sich das Lachen verbeißen. Im Grunde glich das, was sie eben gesehen hatten, einem Wunschtraum von einer wunderbaren Welt! Einem Wunschtraum, der vor drei Jahrhunderten gesendet worden war und den jetzt Milliarden von Menschen auf der Erde und in den Mond-, Mars- und Venusstationen zum Greifen nahe sehen würden.
„Sie hatten recht, Mwen Maas, als Sie vor der Sendung meinten, heute werde etwas Wichtiges geschehen“, sagte Dar Weter lächelnd. „Seit wir uns vor vierhundert Jahren dem Großen Ring angeschlossen haben, hat sich heute zum ersten Mal ein Planet aus den Tiefen des Universums gemeldet, dessen Bewohner nicht nur dem Intellekt, sondern auch dem Aussehen nach unsere Brüder sind. Ich bin voll Freude über diese Entdeckung! Ihre Arbeit hat gut begonnen. In früheren Zeiten hätten die Menschen dies für ein gutes Omen gehalten. Unsere Psychologen würden sagen — ein Zusammentreffen von Umständen, das Zuversicht und Auftrieb für die weitere Arbeit verspricht…“
Dar Weter besann sich plötzlich, als ihm klar wurde, dass die Reaktion seiner Nerven ihn ungewöhnlich redselig gemacht hatte. Überflüssiges Gerede galt in der Ära des Großen Rings als eine der schädlichsten Schwächen des Menschen, und der Leiter der Außenstationen verstummte, ohne seinen letzten Satz beendet zu haben.
„Ja, ja“, entgegnete Mwen Maas zerstreut.
Junius Antus hatte den Hauch von Weltentfremdung in der Stimme des neuen Leiters der Außenstation und seine langsamer gewordenen Bewegungen bemerkt und stutzte. Weda Kong fuhr Dar Weter leicht mit dem Finger über die Hand und deutete mit dem Kopf auf den Afrikaner.
Am Ende ist er gar zu leicht zu beeindrucken, ging es Dar Weter durch den Kopf, und er musterte seinen Nachfolger eingehend.
Aber Mwen Maas, der die aufkeimenden Zweifel seiner Gesprächspartner gespürt hatte, richtete sich auf und wurde wieder er selbst, ein aufmerksamer Kenner seines Fachs.
Eine Rolltreppe brachte die kleine Gruppe nach oben zu den großen Fenstern und dem Sternenhimmel, der nun wieder so weit entfernt war wie in all den dreißigtausend Jahren seit der Existenz des Menschen oder, besser gesagt, seiner Art, des sogenannten Homo sapiens — des vernunftbegabten Menschen.
Mwen Maas und Dar Weter hatten noch zu tun.
Weda Kong flüsterte Dar Weter zu, sie werde diese Nacht nie vergessen.
„Ich bin mir selbst so unbedeutend vorgekommen!“, sagte sie und lächelte trotz ihrer traurigen Worte.
Dar Weter wusste, was sie sagen wollte, und schüttelte den Kopf. „Ich bin überzeugt, Weda, hätte die rote Frau Sie gesehen, sie wäre stolz gewesen auf ihre Schwester. Nein, unsere Erde ist um nichts schlechter als jene Welt!“ Dar Weters Gesicht erstrahlte vor Liebe.
„Nun ja, in Ihren Augen vielleicht, mein treuer Freund“, sagte Weda lächelnd. „Aber fragen Sie nur, Mwen Maas…!“ Scherzend verdeckte sie ihre Augen mit einer Hand und verschwand hinter einem Mauervorsprung.
Als Mwen Maas endlich allein war, dämmerte es schon. Ein ins Graue spielendes Licht umfing die kühle, windstille Luft; Meer und Himmel waren von kristallener Durchsichtigkeit: silbrig das Meer, rosig der Himmel. Lange stand Mwen Maas auf dem Balkon des Observatoriums und betrachtete aufmerksam die ihm noch unbekannten Umrisse der Gebäude.
In einiger Entfernung erhob sich auf einem niedrigen Plateau ein gigantischer Aluminiumbogen, durchkreuzt von neun parallel verlaufenden Aluminiumstreifen, die wiederum von cremefarbigen und silbrig weißen Plexiglasfenstern durchbrochen waren — das war das Gebäude des Rates für Sternschifffahrt. Davor stand ein Denkmal zu Ehren jener Menschen, die als Erste in die Weiten des Kosmos vorgedrungen waren; ein steil bis in die Wolken und Wirbelwinde aufragender Berg, der von einem Sternenschiff alten Typs — einer fischförmigen Rakete — gekrönt war, die ihren spitzen Schnabel in noch unerreichte Höhen richtete. Etliche Menschen waren rund um das Postament dargestellt, die einander stützten und mit unglaublicher Anstrengung aufwärtskletterten. Spiralenförmig umwanden sie den Berg, der als Sockel diente — Piloten von Raketenschiffen, Physiker, Astronomen, Biologen, mutige Verfasser von utopischen Romanen… Die Morgendämmerung warf bereits rötliches Licht auf den Rumpf des altertümlichen Sternenschiffes und auf die filigranen Konturen der Gebäude, als Mwen Maas noch immer den Balkon mit großen Schritten durchmaß. Nie zuvor hatte er eine solche seelische Erschütterung erlebt. Erzogen nach den allgemeinen Regeln der Ära des Großen Rings, hatte er sich einer strengen körperlichen Abhärtung unterzogen und seine Herkulestaten erfolgreich abgeleistet — so nannte man in Anlehnung an die wunderschönen Sagen des antiken Hellas schwierige Aufgaben, die jeder junge Mensch am Ende seiner Schulzeit vollbringen musste. Bewältigte ein Jüngling diese Heldentaten, so wurde er zur höchsten Bildungsstufe zugelassen.
Mwen Maas hatte die Wasserversorgung eines Bergwerkes in Westtibet gebaut, das Hochland von Nachebt in Südamerika wieder mit Araukarienbäumen bepflanzt und Haifische ausgerottet, die vor den Küsten Australiens erneut aufgetaucht waren. Die Stählung seines Körpers und seine ausgezeichneten Fähigkeiten hatten es ihm ermöglicht, viele Jahre hartnäckigen Studiums durchzuhalten und sich auf eine schwierige und verantwortungsvolle Tätigkeit vorzubereiten. Heute, in der ersten Stunde seiner neuen Aufgabe, hatte eine Begegnung mit einer der Erde verwandten Welt stattgefunden, die in seinem Herzen etwas vollkommen Neues auslöste. Mit Besorgnis fühlte Mwen Maas, wie sich in ihm eine unermessliche Leere auftat, etwas, dessen Existenz er in all den Jahren seines Lebens nicht einmal vermutet hatte. Wie unerträglich stark war sein Verlangen nach einer neuerlichen Begegnung mit dem Planeten des Sterns Epsilon Tucanae — dieser Welt, die aus den schönsten Märchen der irdischen Menschheit erstanden zu sein schien. Niemals würde er das rothaarige Mädchen mit den einladenden ausgestreckten Armen und den zärtlichen halb geöffneten Lippen vergessen…!
Und die Tatsache, dass die ungeheuerliche Entfernung von zweihundertneunzig Lichtjahren, die durch kein Mittel der irdischen Technik überwunden werden konnte, zwischen ihm und dieser wunderbaren Welt lag, schmälerte seinen brennenden Wunsch nicht, sondern verstärkte ihn noch.
In Mwen Maas’ Herzen war etwas herangereift, das für sich allein lebte und sich der Kontrolle des Willens und der kühlen Vernunft entzog. Der Afrikaner hatte bisher fast wie ein Eremit für seine Arbeit gelebt. Nie war er verliebt gewesen, und nie hatte er in seinem Herzen eine solche Erregtheit und übergroße Freude verspürt wie bei dieser Begegnung über riesige Entfernungen von Raum und Zeit hinweg.