8

»Guten Tag, Dr. Wade. Ich bin Dorothy Henderson. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«

Jonas Wade nahm die dar gebotene Hand. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich die Zeit nehmen, Dr. Henderson.«

»Es ist mir ein Vergnügen. Bitte, kommen Sie.« Wades erster Gedanke war: gutaussehend. Dr. Dorothy Henderson war eine gutaussehende Frau. Als er ihr in ihr Labor folgte, ergänzte er sein Urteil: aristokratisch, eine königliche Hoheit im Exil. Stolz und gerade wie eine Prinzessin schritt sie vor ihm her. Ihr Gang war harmonisch und anmutig, ihre Gestalt schlank und von jugendlicher Beweglichkeit, obwohl sie gewiß keinen Tag jünger war als fünfzig. Das volle kastanienbraune Haar war in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem dicken Knoten geschlungen; eine Primaballerina, die ihren Höhepunkt überschritten hatte. Sie drehte sich um und sah ihn lächelnd an. Die grünen Augen blitzten lebhaft, die Haut ihres Gesichts war zart und hatte einen natürlichen rosigen Schimmer, aber sie war auch gezeichnet vom Leben - eine Schauspielerin, die den Glanz ihrer Karriere genossen hatte und nun ohne Groll dem Nachwuchs Platz machte. Ihre Stimme, als sie sprach, war überraschend kräftig und voll; diese Frau hatte niemals flüstern müssen - ein Opernstar, eine Politikerin im Licht der Öffentlichkeit. Man konnte sich Dorothy Henderson in allen möglichen Rollen vorstellen, fand Jonas, während sie ihm das Labor zeigte, nur nicht als Wissenschaftlerin.

»Hat Bernie Ihnen erklärt, was wir hier machen, Dr. Wade?«

»Nein, ich habe keine Ahnung.«

»Können Sie sich unter klonen etwas vorstellen?«

Er sah sich in dem kleinen Labor um, wo zwei Assistentinnen schweigend an ihren Tischen arbeiteten, musterte die Geräte, registrierte die durchdringenden, undefinierbaren Gerüche, hörte das Summen eines Inkubators und das leise, regelmäßige Ticken eines Spektrometers.

»Das Wort ist mir bekannt. Geht es dabei nicht um die Erschaffung von Leben im Reagenzglas?«

»Ich will es Ihnen zunächst einmal wörtlich übersetzen, Dr. Wade. Klon ist griechisch und bedeutet Menge oder Gedränge. Ein Klon ist eine große Gruppe eines Dings. Wir haben für unsere Zwecke die Bedeutung des Wortes ein wenig verzerrt. In der Wissenschaft sind Klone Gruppen erbgleicher Organismen, die durch ungeschlechtliche Fortpflanzung entstanden sind.«

Wades Blick fiel auf eine Reihe von Glaskästen, die in der Mitte des Raums standen. Sie waren mit Maschendrahtgittern zugedeckt und etwa fünf Zentimeter hoch mit trübem Wasser gefüllt, Kolonien von Fröschen tummelten sich in diesen Aquarien.

»Verkürzt gesagt, tun wir hier folgendes, Dr. Wade. Wir reproduzieren auf dem Weg der ungeschlechtlichen Fortpflanzung Generationen von Fröschen aus einem einzigen Elternfrosch. Das erreichen wir, indem wir den Kern einer differenzierten Zelle, die wir dem Körper eines Froschs entnommen haben, in das Zytoplasma eines Froscheis einpflanzen, das wir dann zum Wachstum bringen. Das Ergebnis ist dann ein ausgereiftes Duplikat des ersten Froschs.«

Sie ging ihm voraus durch das Labor wie ein Museumsführer, zeigte ihm Apparate und Geräte und erklärte Verfahrensweisen.

»Zuerst nehmen wir ein Froschei und zerstören mit einem winzigen ultravioletten Lichtstrahl den Zellkern. Mechanische Manipulation vertragen die zarten Eier der Froschart, mit der wir hier arbeiten, nicht. Das entkernte Ei kommt in einen Nährboden, dann entnehmen wir dem Darm einer Kaulquappe eine Spenderzelle -« Dorothy Henderson blieb hinter einer jungen Orientalin stehen, die konzentriert an einem Mikroskop arbeitete - »und injizieren ihren Kern in die entkernte Eizelle. Danach kommen die Eier, die in einer speziellen Nährlösung liegen, in den Inkubator.«

Sie führte ihn zu einem großen >Ofen<, hinter dessen verglasten Türen auf Regalen reihenweise flache Schalen standen.

»Wenn sie das Blastulastadium erreicht haben, werden sie in ein Milieu verpflanzt, in dem sie zu Kaulquappen heranreifen können.«

Sie blieb vor einem kleinen Wassertank stehen, wo die zweite Assistentin mit einer Spritze in der einen Hand und einem Stift in der anderen über einem Mikroskop saß; das Auge über dem Okular, machte sie sich immer wieder Aufzeichnungen.

»Alle Angehörigen eines bestimmten Klons«, erklärte Dorothy Henderson, »hören entweder zum exakt gleichen Zeitpunkt auf, sich zu entwickeln, weil genetische Defekte vorliegen, oder aber sie entwickeln sich alle normal und reifen zu Geschöpfen heran, die in Aussehen und Aufbau völlig identisch sind.«

Sie sah ihn lächelnd an und führte ihn weiter zu der Reihe Behälter in der Mitte des Raums. Jeder war mit einem Etikett versehen, und auf jedem Etikett stand Xenopus laevis, nur die römischen Zahlen hinter der lateinischen Gattungsbezeichnung unterschieden sich voneinander. In allen Behältern saßen ganze Klone von Fröschen; einzig im ersten mit der Aufschrift Xenopus laevis Primus befand sich nur ein Frosch.

»Das ist Primus«, sagte Dorothy Henderson und tippte mit dem Finger an das schmutzige Glas. »Er ist gewissermaßen der Urvater. Das hier -« sie wies auf die anderen Behälter -»sind alles nachfolgende Generationen, jede aus der vorhergehenden geklont. Und sie sind alle Kopien von Primus.«

Jonas beugte sich hinunter, um den Frosch zu besichtigen. Dann richtete er sich kopfschüttelnd wieder auf. »Er hat ja eine Riesenfamilie.«

»O nein, Dr. Wade, diese Frösche sind keine Nachkommen von Primus. Sie sind Primus.«

Er blickte in die kalten, starren Augen des Froschs. »Faszinierend.«

»Das Konzept ist nicht neu, Dr. Wade. Seit Gottlieb Haber-landt, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, experimentiert die Wissenschaft auf diesem Gebiet. Aber hier, bei den Amphibien, sind wir fürs erste an unsere Grenze gestoßen. Selbstverständlich würde die Wissenschaft gern zu den höheren Tieren übergehen, aber da fehlt es an der Technologie. Das Ei eines Säugetiers ist weit kleiner als das Froschei - ungefähr null Komma zwei Millimeter im Durchmesser, während das Froschei immerhin etwa drei Millimeter groß ist. Zu Versuchen mit der menschlichen Eizelle würden wir Spezialinstrumente brauchen, die noch nicht entwickelt sind. Aber ich bin überzeugt, daß es der Wissenschaft eines Tages gelingen wird, die Technik des Klonens auch beim Menschen anzuwenden. Es ist lediglich eine Frage der Zeit.«

Er hatte gelegentlich Berichte über derartige Experimente gelesen, aber er hatte keine Ahnung gehabt, daß man bereits so weit vorangekommen war.

Die Hände in den Taschen ihres weißen Kittels, stand sie da und überließ ihn einen Moment lang seiner Nachdenklichkeit. Dann lächelte sie und sagte: »Aber Sie sind nicht zu einem Schnellkurs im Klonen hierher gekommen, nicht wahr, Dr. Wade?«

»Nein«, bestätigte er. »Ich hätte allerdings nichts dagegen, gelegentlich wieder herzukommen, um mich von Ihnen eingehender unterrichten zu lassen.«

»Jederzeit, Dr. Wade. Ich bekomme so selten Besuch, da freue ich mich, wenn jemand sich für meine Arbeit interessiert. Ich schlage vor, wir gehen in mein Büro hinüber.«

Er folgte ihr in den kleinen verglasten Raum am Ende des Labors, wo es überraschenderweise sehr still war, nachdem sie die Tür geschlossen hatte. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch und wartete, bis Jonas ihr gegenüber Platz genommen hatte.

»Ich kann Ihnen leider keinen Kaffee anbieten. Unsere Maschine ist kaputt, und eine neue können wir uns nicht leisten.«

»Das macht nichts«, erwiderte er lächelnd. »Kaffee ist mir im Augenblick nicht wichtig. Hat Bernie Ihnen gesagt, worum es mir geht?«

»Er sagte mir nur, daß Sie einige Fragen hätten, von denen er meinte, ich könne sie Ihnen beantworten.«

»Mein Interesse gilt der Parthenogenese, Dr. Henderson«, erklärte er. »Ich möchte wissen, ob es sie tatsächlich gibt oder ob sie nur ein abstraktes Konzept ist.«

»Oh, es gibt sie ganz entschieden, Dr. Wade. Der Wissenschaft ist seit langem bekannt, daß ein unbefruchtetes Ei sich zum Embryo entwickeln kann, wenn es durch ein Stimulans chemischer, physiologischer oder mechanischer Natur beeinflußt wird. Das ist viele Male im Labor nachgewiesen worden. Nachdem es einmal gelungen war, bei Fröschen und Kröten Parthenogenese auszulösen, gab es keinen Zweifel mehr, daß das gleiche bei allen Wirbeltieren möglich sein würde. In gewisser Weise führen wir hier in diesem Labor den Nachweis, daß es Parthenogenese gibt.«

Jonas spürte eine Erregung. Jetzt kam der entscheidende Moment; jetzt kam die Frage, die Bernie ihm nicht hatte beantworten können und die für ihn allesentscheidend war.

»Wie steht es mit den Säugetieren, Dr. Henderson? Ist da Parthenogenese möglich?«

»Ja«, antwortete Dorothy Henderson klar und sachlich.

Jonas war perplex. »Tatsächlich?«

»Ohne jeden Zweifel, Dr. Wade. Es sind reihenweise entsprechende Versuche gemacht worden. Vor allem mit Mäusen und Kaninchen. Die Eizellen werden stimuliert und beginnen darauf eine normale Entwicklung.«

»Was mich interessiert, ist nicht die im Labor herbeigeführte Parthenogenese, Dr. Henderson. Wissen Sie von Fällen, wo Parthenogenese bei Säugetieren natürlich vorgekommen ist?«

»Natürlich?«

»Spontan.«

»Hm ...« Sie hob die schmale Hand und rieb sich nachdenklich die Stirn. »Es ist vorgekommen, daß sich Eizellen von Katzen und Frettchen zu teilen begonnen haben, ohne von einem männlichen Samen befruchtet worden zu sein. Aber wenn Sie von spontaner Parthenogenese sprechen, Dr. Wade, dann heißt das, daß sie in einem unkontrollierten Milieu - in der Natur - stattfindet. Für uns gibt es da keine Mittel der Überprüfung. Außerhalb des Labors ist alles Spekulation.«

»Aber Sie können mir doch sicher sagen, wie es überhaupt zur Parthenogenese kommen kann.«

»Ich nehme an, Sie meinen, was gibt der Eizelle den Anstoß zur Furchung. Das wissen wir nicht, Dr. Wade. Wir wissen lediglich, daß ein Stimulus erforderlich ist, der das Verhalten des Spermiums imitiert. Sie wissen, Dr. Wade, daß das Spermium lediglich in die Eizelle eindringt und dadurch die Zellteilung auslöst. Wenn ein anderes Agens sich gleichermaßen verhalten kann, beginnt die Zellteilung. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Natürlich aus dem Labor. Legen Sie unbefruchtete Eier des Seeigels in Meerwasser, geben Sie etwas Chloroform oder Strychnin dazu, und die Eier werden von selbst anfangen, sich zu entwickeln. Am Ende haben wir voll ausgereifte, normale Seeigel.«

Sie machte eine kurze Pause, dann fuhr sie fort. »Oder nehmen wir ein anderes Experiment. Dabei werden die Eizellen einem physiologischen Schock durch eine hypertonische Salzlösung unterworfen. Man gibt dem Wasser, in dem die Eizellen sich befinden, Magnesiumchlorid bei. Durch die hypertonische Wirkung der Lösung werden die Eizellen aktiviert, normale Furchung beginnt, und das Ergebnis sind wiederum gesunde, normale Seeigel. Genaue Abbilder des Muttertieres. Beim ersten dieser Beispiele haben wir es mit chemischer Stimulation zu tun, beim zweiten mit physiologischer Stimulation. Bei Fröschen löst man Parthenogenese durch Einführung fremden Proteins direkt in die Eizelle aus. Da haben wir eine Kombination von beidem: chemische Stimulation durch das Protein, physiologische durch den Nadelstich mit der Spritze.«

»Aber die Eizelle besitzt doch nur den einfachen Chromosomensatz, Dr. Henderson. Zur embryonalen Entwicklung ist aber der doppelte Chromosomensatz notwendig. Ich dachte immer, der zweite Satz wird durch das Spermium geliefert.«

Sie lächelte flüchtig. »Da haben Sie ganz recht, Dr. Wade. Bei der normalen Empfängnis verbinden sich die Chromosomen des Samens mit denen des Eis, wobei beim Menschen die Zellkerne der Geschlechtszellen dreiundzwanzig Chromosomen enthalten. Sie wissen, daß sich während der Reifungsphase, noch ehe es von einem Spermium befruchtet ist, das Ei teilt und ein zweites Polkörperchen abstößt, das die Hälfte der Zellchromosomen enthält. Bei der Parthenogenese stößt das reifende Ei aus irgendeinem unbekannten Grund dieses Polkörperchen nicht ab, sondern behält es; die Chromosomen, die in ihm enthalten sind, verbinden sich mit denen im ersten Polkörperchen. Das nicht ausgestoßene Polkörperchen wird im Effekt zum männlichen Zellkern und verschmilzt mit dem weiblichen Zellkern, und es bildet sich die Zygote. Wenn das Ei dann einem Stimulus ausgesetzt wird, chemischer oder anderer Art, setzt die Furchung ein, und da die Zelle die notwendigen sechsundvierzig Chromosomen enthält, kann das Ei normal reifen.«

»Was für Versuche mit Säugetieren hat man denn gemacht?«

»Das Verfahren ist einfach. Die Eizellen von, sagen wir Kaninchen, werden in ein Medium aus Blutplasma und Embryoextrakt eingelegt. Dann unterwirft man sie einem Kälteschock, und dadurch werden sie aktiviert. Die Eizellen, die sich zu teilen beginnen, werden in die Eileiter von Kaninchen eingeführt, die man vorher mit Schwangerschaftshormonen gespritzt hat, damit der Körper die transplantierten Zygoten nicht abstößt. Die Eizellen, die sich über das Blastozytenstadi-um hinaus entwickeln und nicht auf operativem Weg entfernt

werden müssen, gelangen im allgemeinen zur vollen Reife.«

»Dr. Henderson.« Jonas Wade hatte Mühe, seine Erregung zu beherrschen. Sie hatte ihm schon weit mehr gesagt, als er zu hoffen gewagt hatte. »Wie sieht es beim Menschen aus? Können Sie mir darüber etwas sagen?«

Ihre Miene blieb unverändert. »Aber gewiß. Spontan oder künstlich induziert?«

»Spontan.«

»Gut. Über menschliche Eizellen sind Hunderte von Studien gemacht worden, Dr. Wade, und bei einigen Untersuchungen stellte man fest, daß bei einer kleinen Zahl von Eizellen, die man den Eileitern entnahm, die Furchung bereits vor Verlassen des Eierstocks begonnen hatte; das heißt, ohne daß sie mit einem Spermium in Berührung gekommen waren. Ich glaube, die Rate belief sich ungefähr auf sechs von vierhundert. Einige Studien, die vor zwanzig Jahren in Philadelphia durchgeführt wurden, ergaben, daß ungefähr null Komma fünfundsiebzig Prozent aller menschlichen Eizellen sich bereits in parthenogenetischer Entwicklung befinden, ehe sie den Weg durch den Eileiter antreten. Doch die meisten dieser reifenden Eier werden bei der Ovulation oder der Menstruation ausgestoßen, oder aber sie wuchern zu Dermoiden oder Tumoren, die dann operativ entfernt werden. Es gibt Forscher, die behaupten, einige wenige dieser Eizellen entwickelten sich normal. Ein Wissenschaftler ging sogar so weit zu schätzen, daß auf tausend Geburten ein Fall von Parthenogenese komme.«

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«

Dr. Henderson lachte. »Nein, Dr. Wade, ich zitierte lediglich einen Kollegen. In der Wissenschaft gibt es wie überall die Extreme. Andere Wissenschaftler zum Beispiel schwören Stein und Bein, daß Parthenogenese beim Menschen absolut unmöglich ist.«

»Wo stehen Sie?«

»Ich schließe die Möglichkeit jedenfalls nicht aus.«

»Und wie sieht es mit der Wahrscheinlichkeit aus?«

»Die meisten meiner Kollegen würden sagen, ein Fall bei einer Million Geburten. Ich neige zu einer Schätzung von eins zu fünfhunderttausend.«

Jonas starrte die Embryologin ungläubig an. »Aber das ist ja unfaßbar! Wieso ist darüber nicht mehr gearbeitet worden? Wieso gibt es keine Berichte? Das ist doch eine hochexplosive Sache.«

»Genau aus diesem Grund gibt es so wenig Material darüber, Dr. Wade. Weil die Sache explosiv ist. Wir sprechen hier von der menschlichen Sexualität, einem ganz heiklen Thema. Wenn Sie das Thema der Parthenogenese angehen, treten Sie damit nicht nur den Theologen auf die Zehen, sondern auch den Moralisten, den Psychologen und selbstgerechten Müttern und Vätern auf der ganzen Welt. Jeder Forscher, der mit diesem Thema an die Öffentlichkeit treten will, muß seine Theorie mit Beton untermauern können; er wird kämpfen müssen wie ein Berserker, und er muß gleich einen ganzen Sack voll Beweise präsentieren können. Sonst macht man ihn fertig. Hätten Sie den Mut, Dr. Wade?«

Sie hatte natürlich völlig recht. Dieses Gebiet war in der Tat ein sehr heißes Eisen. Wenn andererseits einer tatsächlich beweisen konnte ...

»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Jonas langsam, »wie es zu spontaner Parthenogenese kommen kann.«

»Da gibt es viele Möglichkeiten, Dr. Wade. Es ist nichts weiter erforderlich als die gleichen Umstände, die im Labor künstlich hergestellt werden. Als Auslöser zur Zellteilung ist nur ein Stimulus nötig, der den Platz des Spermiums einnimmt, wie die Kälte bei den Kaninchen. Der Kälteschock bewirkte bei den Eizellen des Kaninchens das gleiche, was das Spermium bewirkt. Bei Mäusen verwenden die Forscher Elektrizität als Stimulus, und es klappt, soviel ich weiß. Man kann wahrscheinlich auch einen chemischen Stimulus verwenden, der in den Blutkreislauf des weiblichen Tieres oder der Frau gelangt und mit der Eizelle in Berührung kommt. Im Labor haben wir nachgewiesen, daß es nicht schwierig ist, Parthenogenese künstlich auszulösen. In der Natur, Dr. Wade, braucht es lediglich eine ähnliche Situation, um spontane Parthenogenese herbeizuführen. Notwendig ist einzig ein Aktivator.«

Der Bericht aus dem Lancet fiel Jonas ein. Dr. Spurways jungfräuliche Mutter hatte behauptet, die Empfängnis hätte bei einem Bombenangriff im Krieg stattgefunden, daß sie in unmittelbarer Nähe mehrerer schwerer Explosionen gewesen und dadurch stark erschüttert worden sei.

»Nehmen wir einmal an«, fuhr Dorothy Henderson fort, »wir hätten es mit einer Frau zu tun, die behauptet, ihr Kind sei jungfräulich gezeugt. Dann müßte man intensive Untersuchungen anstellen, um zu bestimmen, durch welchen Stimulus die Parthenogenese ausgelöst wurde. Das müßte im Eliminationsverfahren zu machen sein.«

Jonas Wade schaute durch die Glaswand des kleinen Büros in das sterile Labor hinaus, wo künstliches, anormales Leben erschaffen wurde, und er sah wieder die kalten, starren Augen des Frosches Primus vor sich.

»Gut, Dr. Henderson, Sie haben mir gesagt, daß spontane Parthenogenese möglich ist, und das nicht nur bei den niedrigen Tieren, sondern auch bei den Säugetieren. Was den Aktivator angeht, so glaube ich nicht, daß er so wichtig ist wie der Beweis danach.«

Zum erstenmal runzelte Dorothy Henderson die Stirn. »Was meinen Sie mit >Beweis danach

»Eine Frau behauptet, ihr Kind sei jungfräulich gezeugt. Welche Mittel besitzt die Wissenschaft, um den Nachweis zu erbringen, ob die Behauptung wahr oder unwahr ist?«

Dorothy Hendersons Gesicht entspannte sich wieder. »Das ist eine gute Frage, Dr. Wade. Bei unseren Fröschen brauchten wir natürlich nie Beweise. Wir sahen von Anfang an, wie sie entstanden. Doch wenn man die Sache von hinten aufrollen muß - hm, das ist nicht einfach. Jede verheiratete Frau hätte größte Schwierigkeiten, die Leute davon zu überzeugen, daß ihr Kind jungfräulich gezeugt wurde, auch wenn sie und ihr Mann schon seit langer Zeit keinen Geschlechtsverkehr mehr gehabt haben sollten. Und eine unverheiratete Frau könnte wohl niemanden überzeugen, daß sie nicht ein Verhältnis hatte. Parthenogenese beim Menschen ist mehr eine moralische als eine biologische Frage.«

Jonas Wade nickte und dachte dabei an den Selbstmordversuch Mary Ann McFarlands.

»Das Wort der Frau«, fuhr Dorothy Henderson fort, »steht hierbei gegen soziale Gepflogenheiten und Vorurteile. Sagen Sie Sex, und die Leute kichern hinter vorgehaltener Hand. Lassen Sie ein junges Mädchen behaupten, sie hätte nie etwas mit einem Mann gehabt, und die Leute zwinkern vielsagend. Etwas anderes wäre es, wenn sie, sagen wir, ein Magengeschwür hätte. Das hätte keinerlei gesellschaftliche Auswirkungen. Sie bekäme prompt ärztliche Hilfe und Anteilnahme von allen Seiten. Es verhält sich ähnlich wie bei der Geschlechtskrankheit. Schnappt man die Grippe auf, erhält man Teilnahme. Schnappt man eine Spirochäte auf, wird man geächtet. Und der einzige Unterschied liegt darin, wie es aufgeschnappt wurde. Sobald es um die menschlichen Fortpflanzungsorgane geht, stößt man bei den Menschen auf eine Mauer aus Ignoranz und Vorurteilen.«

»Ja, da haben Sie sicher recht. Aber was gibt es denn nun für wissenschaftliche Beweise für eine Parthenogenese?«

»Nun«, sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Hände aneinander, »zunächst ist festzustellen, daß das Kind immer ein Mädchen ist.«

Jonas zog eine Augenbraue hoch.

»Kein Y-Chromosom.«

»Natürlich. Daran hatte ich nicht gedacht.«

»Danach gibt es die mikroskopische Untersuchung der Chromosomen, Hautverpflanzung und natürlich direkte Inaugenscheinnahme der Tochter.«

»Sie müßte das genaue Abbild der Mutter sein.«

»In jeder Hinsicht.«

»Und das ist alles?«

»Vorläufig ja. Bis die Wissenschaft weiter fortgeschritten ist. So, wie die Dinge gegenwärtig liegen, kann man nur die Töchter bestimmen, die nicht jungfräulich gezeugt wurden. Keine, bei der sich auch nur die geringste Abweichung von der genetischen Struktur der Mutter feststellen läßt, kommt in Frage. Die, bei denen genaue Übereinstimmung nachgewiesen wird, sind wahrscheinlich parthogenetisch. Das ist aber auch alles, was wir sagen können.«

Dorothy Henderson schwieg. Jonas Wades Verstand arbeitete fieberhaft. Er mußte nachdenken; er mußte das alles erst einmal aufnehmen, sichten, ordnen, um dann zu versuchen, sich ein klares Bild zu machen. Dorothy Henderson hatte einige beunruhigende Dinge gesagt, an die Jonas bisher überhaupt nicht gedacht hatte. Sie hatte von Dermoiden gesprochen. Jonas wußte, was das war; er hatte sie bei Operationen gesehen - scheußliche, schleimige Gebilde mit Haaren und Zähnen und Nervengewebe: eine entgleiste Eizelle, die alle Elemente enthielt, die ein vollkommenes menschliches Wesen ausmachten, aber in den falschen Proportionen. Ließ man es wuchern, so tötete es die Frau, in der es wuchs.

Der Artikel über die Truthennen fiel ihm ein. Eines der Tiere hatte sich nicht normal entwickelt; es war fast blind, mit verkrüppelten Klauen und schlechter Motorik zur Welt gekommen. An sich nicht weiter beängstigend, aber auf den Menschen bezogen erschreckend.

Alles mögliche, so schien es, konnte sich aus einer parthe-nogenetischen Eizelle entwickeln: vom Dermoiden bis zum halbblinden Kind. Oder - das Entsetzlichste überhaupt - eine lebende, atmende Mutation.

Die Vorstellung erschreckte Jonas Wade zutiefst und führte ihn zu einer Frage, vor der er zurückschreckte: War das, was in Mary Ann McFarland wuchs, wirklich ein normales Kind?

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