XI Kriegsglück

Das schwere Arbeitsboot der Phalarope, überlastet durch das zusätzliche Enterkommando, nahm Wasser über, sobald es aus dem Windschutz der Fregatte herauskam.

Herrick drückte sich in eine Ecke des Hecks und spähte über die Köpfe der schwer pullenden Leute. Dunkelheit und Spritzwasser behinderten die Sicht. Er versuchte, sich auf den festgelegten Angriffsplan zu konzentrieren, doch als die Zeit sich hinzog und das Arbeiten des Bootes sich verstärkte, wurde ihm immer klarer, daß sich alles gegen ihn verschworen hatte. Der Wind hatte zugenommen, und er brauchte nicht erst seinen kleinen Kompaß zu befragen, um zu wissen, daß er nach Osten abgekommen war. Damit war der Leeschutz, den ihm die Insel hätte bieten sollen, verloren, ausgetauscht gegen das zornige Toben hochgehender Seen mit weißen Schaumköpfen und die kreisenden Muster der von halbverborgenen Felsen zurückflutenden Brandung. Immer wieder blickte er nach achtern, froh, daß der Kutter in seinem Kielwasser folgte. Die Riemen peitschten teils über einen Wellenkamm, teils wurden sie, wenn das Boot in ein Wellental sauste, bis an die Dollen begraben.

Ryan, ein im Steuern geübter Vollmatrose, drückte die Pinne hin und her und brüllte:»Das Boot benimmt sich jämmerlich, Sir. Die Jungs sind schon alle fertig,»

Herrick nickte schweigend. Der langsame, mühselige Schlag zeigte, daß die Männer sehr erschöpft und kaum noch in der Lage waren, einen Angriff auszuführen. Immer wieder quälte ihn der Gedanke, daß Vibart die Boote zu früh ausgesetzt hatte. Die Insel war noch immer ein schwarzer Fleck auf dem dunklen Schild der Nacht, und von den Orientierungspunkten war bis jetzt nicht die geringste Spur zu sehen.

Ihn packte Wut, wenn er daran dachte, wie brüsk Vibart ihn zuletzt behandelt hatte. Vibart war nur von dem Wunsch beherrscht gewesen, die Boote ablegen zu sehen. Kein Alternativplan, keine Absprache, wie er sich bei einer möglichen Entdeckung verhalten sollte.

Die Andiron sollte bei Dogwood Point ankern, doch selbst wenn man voraussetzte, daß die Fregatte unter Land relativ geschützt lag, war nicht auszuschließen, daß ihr Kapitän wegen des zunehmenden Windes zusätzliche Wachen aufziehen ließ, um allen Eventualitäten, die das Wetter bringen mochte, vorzubeugen. Herrick sah plötzlich vor sich, wie die alarmierten und eifrigen Kanoniere seine ermatteten Leute beim Längsseitsgehen mit einem mörderischen Feuer begrüßten.

Ryan rief:»Eine starke Strömung, Sir. Sie drückt uns von der Landspitze weg. «Es klang erbittert.»Wir werden lange pullen müssen, um wieder ranzukommen.»

Wie um seine Worte zu unterstreichen, erhob sich in dem dunklen Boot Stimmengemurmel.»Wir sollten umkehren«, rief jemand.»Wir haben keine Chance mehr.»

«Ruhe!«Herrick starrte über das Boot.»Soll uns die ganze Insel hören?»

«Ob wir nicht unter dem Kap kurz beidrehen sollten, Sir?«flüsterte Ryan. Es klang leicht beschämt.»Dort könnten sich die Männer verschnaufen, um es dann noch mal zu versuchen.»

Herrick nickte. In seinem Kopf formte sich ein Plan.»Gute Idee. Signal an den Kutter, Ryan. «Er übernahm die Ruderpinne, während der Vollmatrose die Blende der Laterne öffnete und zweimal nach achtern blinkte.»Im Schlag bleiben!«fauchte er die Leute an den Riemen an.»Zugleich, zugleich!«Und dann:»Die übrigen lenzen weiter. Und gebt auf die Riemen acht. Leise eintauchen!»

«Kutter dreht, Sir«, meldete Ryan.»Die Pinasse sehe ich auch.»

«Na, Gott sei Dank. «Herrick dachte nicht mehr an die murrenden Matrosen. Die Silhouette des Landes verfestigte sich zu einer gezackten, überhängenden Klippe. Sie gehörte zu Dogwood Point, gewiß, aber sie waren noch weiter abgetrieben, als er gefürchtet hatte. Sie waren nicht nur ein Stück von der Klippe entfernt, sondern sogar noch auf der falschen Seite. Während er verzweifelt nach vorn starrte, ließ die heftige Bewegung des Bootes nach. Sie glitten in geschützteres Wasser, und die Riemen tauchten regelmäßiger ein. Er sagte leise:»Ganz vorsichtig mit den Riemen! Hört sich ja an wie eine Rinderherde.»

Das Boot ritt unbehaglich die Dünung aus. Die erschöpften Matrosen fielen über ihre Riemen und sogen gierig die feuchte Luft ein. Die Pinasse schob sich aus der Dunkelheit und legte sich neben sie. Der Kutter ging auf die andere Seite und kam dicht heran, da Fähnrich Maynard etwas fragen wollte.

«Was sollen wir tun, Mr. Herrick?»

«Hier ein bißchen liegenbleiben«, sagte Herrick langsam. Er wollte Zeit gewinnen, um seine unklaren Gedanken zu ordnen. Maynards Frage klang verloren und verwirrt. Herrick wünschte, daß sich Maynard vor den Leuten mehr zusammennehmen würde. Es ging alles schon schlecht genug. Dann fragte er:»Wo bleibt Mr. Parker mit der Jolle?»

Maynard zuckte mit den Schultern, und Bootsmannsmaat Packwood rief von der Pinasse herüber:»Wir haben ihn schon lange aus den Augen verloren, Mr. Herrick.»

Herrick mußte sich alle Mühe geben, um ruhig zu sprechen.»Vielleicht ist er umgekehrt.»

«Eher gesunken«, murmelte ein Seemann.

«Kommen Sie längsseits. «Herrick faßte einen Entschluß.»Aber legen Sie Fender aus.»

Er wartete und hielt den Atem an, als die beiden Boote längsseits kamen. Bei jedem Stoß, bei jedem Knirschen erwartete er, an Land Rufe oder das unheilvolle Knattern von Gewehrfeuer zu hören. Doch nur der Wind und zischender Gischt unterbrachen seine Worte, als Maynard und Packwood sich den Hals verrenkten, um ihn zu verstehen.

«Wenn wir um das Kap pullen, wird es für einen Angriff zu spät.»

«Meiner Meinung nach war die Strecke, die wir pullen mußten, zu lang«, knurrte Maynard verdrossen.»Es war von Anfang an unmöglich.»

«Niemand hat nach Ihrer Meinung gefragt«, zischte Herrick. Seine Heftigkeit überraschte ihn selbst, und er setzte hastig hinzu:»Dort soll es einen Streifen Strand geben, darauf werden wir zuhalten. Mr. Packwood wartet mit der halben Mannschaft von jedem Boot und hält sich so dicht wie möglich bei den Klippen. «Er wartete, fühlte, wie die Spannung an seinen Nerven zerrte.»Verstanden?»

Sie nickten zweifelnd, und er fuhr fort:»Mr. Maynard begleitet mich mit dreißig Mann an Land. Wir klettern die Landspitze hinauf. Von oben können wir bestimmt zur anderen Seite hinabsehen. Wenn die Andiron noch da ist, könnten wir noch immer einen Angriff wagen, vor allem, wenn an Bord alles friedlich ist und sie dicht unter Land liegt. Anderenfalls steuern wir zu dem vereinbarten Treffpunkt zurück. «Flüchtig blendete vor seinem geistigen Auge ein Bild auf: Vibarts Zorn und Wut, wenn er ihm den Fehlschlag des Angriffs meldete. Von neuem wütete er innerlich gegen die Unvernunft des Befehls. Der Admiral hätte Verstärkung schicken müssen. Schon die Cassius wäre eine Hilfe gewesen, und wenn sie bloß durch ihre Stärke und ihr Vorhandensein den Rückzug gedeckt hätte. Vielleicht war es aber auch seine Schuld. Warum hatte er Vibarts Selbstgefälligkeit getraut und die Entfernung zur Küste nicht sorgfältiger geprüft? Warum hatte er das Drehen des Windes und die heftige ablandige Strömung nicht besser einkalkuliert? Er schüttelte verärgert den Kopf. Nun war es zu spät. Jetzt zählte allein die Gegenwart.

Doch noch immer fand er Zeit, sich Bolitho unter diesen Umständen vorzustellen. Die Vorstellung seines unbewegten Gesichts half ihm, Festigkeit zu gewinnen, und er sagte ohne zu stocken:»Anrudern, Kurs auf die Felsen. Aber ich will keinen Laut hören, von keinem!»

Ein Boot nach dem anderen pullte landwärts, und als die dunklen Felsen sie schon beinahe einschlossen, sprangen die ersten Männer fluchend in das flache Wasser.

Sinnlos, das Kommando jetzt noch in Gruppen zu spalten, entschied Herrick. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren und genug dem Zufall überlassen. Er beobachtete, wie die drei Boote drehte, und befahl dann scharf:»Mr. Maynard, Sie kommen mit mir. McIntosh übernimmt hier unten das Kommando. «Er mußte eine Weile nachdenken, ehe ihm die Namen der von ihm ausgewählten Männer einfielen.»Allday und Martin folgen mir ebenfalls. «Allday schien ein fähiger Mann, und Martin, der sich in Dorset einst als Wilddieb kärglich durchgeschlagen hatte, war flink und geräuschlos wie eine Katze.

Während sie schweigend die steile Klippe hinaufkletterten, dachte Herrick von neuem an Bolitho und seinen verwegenen Angriff auf die Insel Mola. Jeder Art von Gefahr hatte er dort die Stirn bieten müssen und doch einen Erfolg errungen, wenn auch auf Kosten seines Lebens. Mit Mola verglichen, war dieser Streich hier gar nichts, überlegte er grimmig. Doch warum hatte er auf einem Alternativplan zum Angriff beharrt? Vielleicht weil er sich von Anfang an darauf vorbereitete, sich zur wartenden Phalarope zurückzuziehen, ohne überhaupt den Versuch zu machen, den Auftrag zu erfüllen?

Er stolperte und wäre beinahe auf die Felsen hinabgestürzt, aber eine Hand packte ihn, und Allday sagte:»Geben Sie bei solchen Klippen auf jeden Schritt acht, Sir. Der Boden fühlt sich sicher an, aber die Steine sitzen nur locker.»

Herrick starrte ihn an. Natürlich, Allday war nicht nur Seemann, sondern auch Schäfer gewesen. Nach den felsigen Klippen und Hügeln Cornwalls war das hier für ihn wahrscheinlich ein Kinderspiel.

Als läse Allday Herricks Gedanken, murmelte er:»Ich mußte oft über solche Abhänge, wenn ich hinter einem verirrten Lamm her war.»

Beide verstummten schlagartig, als Martin hervorstieß:»Sir, da oben ist ein Posten.»

«Wo?«Herrick versuchte etwas zu erkennen.»Sind Sie sicher, Mann?»

Martin nickte nachdrücklich.»Da drüben. Etwa dreißig Yards entfernt. Ich hab Schritte gehört. Da!«Seine Augen funkelten erregt.»Haben Sie es gehört?»

«Ja. «Herrick sank auf einen vorspringenden, nassen Grasstreifen. Ein Posten da oben. Warum, was steckte dahinter? Bei Nacht reichte der Blick nicht weit über den Rand der Klippe hinaus.»Wir schleichen uns an und sehen nach, was los ist.»

Sie hoben ihre Waffen an, damit sie nicht an die tückischen Steine stießen, und robbten hinüber. Ihre weitaufgerissenen Augen schmerzten vor Anstrengung.

«Martin nach links«, befahl Herrick schließlich.»Allday nimmt die Seeseite. «Die beiden krochen davon.»Wir schieben uns den Abhang hinauf, Mr. Maynard. Ich habe so ein Gefühl, daß hier etwas nicht stimmt.»

Allday kam als erster zurück, geduckt huschte er von Busch zu Busch.»Die Andiron liegt da, Sir. Genau auf der anderen Seite der Landzunge. Kein Licht und kein Laut auf dem ganzen

Schiff.»

«Die müssen sich aber verdammt sicher fühlen«, knurrte Maynard.

«Vielleicht ist die Besatzung an Land, Sir«, sagte Allday.

«Nicht sehr wahrscheinlich. «Herrick suchte nach dem Grund für sein Gefühl, daß etwas nicht stimmte.»Müssen guten Ankergrund haben. «Er schreckte hoch und sank wieder zurück, als Martin den Abhang auf seinem mageren Hintern herabgerutscht kam. Er mußte erst verschnaufen, ehe er hervorstoßen konnte:»Oben sind Soldaten, Sir.»

«Was tun sie?«Herrick zwang sich, ganz ruhig zu bleiben.

«Schlafen, wie es aussieht, Sir. «Martin zog sich einen Dorn aus dem nackten Fuß.»An jedem Ende steht ein Posten, Sir, aber die anderen liegen bloß herum. «Er zuckte mit den Schultern.»Schlafen eben, wie gesagt. «Es klang verächtlich.

«Was meinen Sie mit >an jedem Ende

«Ach, hätte ich fast vergessen, Sir. «Martin grinste.»An jedem Ende der Batterie. Sie haben sechs Kanonen am Rand der Klippe aufgebaut, Sir.»

Herrick fühlte sich merkwürdig erleichtert. Im Ungewissen zu tappen, war stets schlimmer, als Schwierigkeiten ins Gesicht zu sehen. Fast zu sich selber sagte er:»Bloß zwei Posten, sagen

Sie?»

Martin nickte.»Aye, Sir. Und etwa dreißig Mann liegen neben den Geschützen. «Er kicherte.»Ich könnte ihnen leicht die Kehlen durchschneiden.»

«Vielleicht müssen Sie es. «Ihm war plötzlich klar, was zu tun war. Die Andiron schlief vor Anker, weil sie sich von gut aufgestellten Kanonen geschützt wußte. Zweifelsohne waren die Geschütze bereits geladen und so ausgerichtet, daß sie die gesamte Reede bestreichen konnten. Nichts Ungewöhnliches, wenn kein richtiger Hafen vorhanden war. Bei dem Gedanken, was geschehen wäre, wenn seine Boote den Angriff wie geplant vorangetragen hätten, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

«Gehen Sie hinunter zum Stand, Mr. Maynard«, befahl er kurz.»Schicken Sie alle verfügbaren Männer so schnell wie möglich herauf. Legen Sie die Boote vor Anker, die restlichen Männer lassen Sie an Land schwimmen. Unterrichten Sie McIntosh und die anderen, daß ich die Batteriestellung nehmen und die Geschütze gefechtsunfähig machen will. Dann gehen wir in die Boote und greifen wie geplant die Andiron an.»

Sie sahen ihn stumm an. Dann fragte Maynard:»Und Sie,

Sir?»

Herrick klopfte Martin auf die Schulter.»Unser Wilddieb wird sich heute seinen Lebensunterhalt verdienen, Mr. Maynard.»

Martin zog ein Messer aus dem Gürtel und gab sein schweres Entermesser Allday, ehe er frohgemut sagte:»Kein Problem, Sir. Scheint aber nicht ganz fair, wie?»

Martin und Maynard tauchten in der Dunkelheit unter, und Herrick sagte leise:»Diese Soldaten müssen während des Schlafens stumm gemacht werden. Erstochen oder erschlagen, ganz gleich, aber sie dürfen auf keinen Fall Alarm schlagen.»

Allday zuckte zusammen, als weiter unten Maynards Dolch gegen einen Stein klirrte, und sagte dann:»Sie oder wir, so steht es doch, nicht wahr, Sir?»

«Was macht Ihr Arm, Mr. Belsey?«Der Steuermann regte sich irgendwo in der pechschwarzen Finsternis. Er wußte, daß Bolitho nur gefragt hatte, um das entnervende Schweigen zu brechen. Man hatte Bolitho mit Farquhar und Belsey unter Deck geschafft und ohne große Umstände irgendwo im Vorschiff in einen leeren Laderaum gesperrt. Nach einem Versuch, sich zu unterhalten, waren sie bald verstummt, und jeder hatte sich seinen Befürchtungen hingegeben.

«Geht einigermaßen, Sir«, antwortete Belsey.»Aber bei diesem Schlingern bricht mir der Schweiß aus.»

Während der letzten Stunde hatte sich die unruhige Bewegung ständig verstärkt. Der Laderaum lag unterhalb der Wasserlinie, und dadurch machte sich das laute Arbeiten in den Verbänden des vor Anker liegenden Schiffes nur noch mehr bemerkbar. Die Mannschaft hatte bereits mehr Ankerkette gesteckt, denn durch sein plötzliches Drehen fegte der Wind nun mit steigender Wut über die zuvor noch geschützte Reede.

«Vielleicht läuft die Phalarope wieder nach draußen«, sagte Belsey.»Bei diesem Wetter werden sie doch sicher keine Boote ausbringen?»

Bolitho war froh, daß die anderen sein Gesicht nicht erkennen konnten. Ein Wetterumschlag würde an Vibarts Entschlossenheit, einen Sieg zu erringen, wenig ändern. Seit vom Abhang zu den verborgenen Verteidigern hinabsignalisiert worden war, spürte er eine wachsende Verzweiflung und die peinigende Gewißheit, daß der Phalarope und ihrer Besatzung Unheil und Vernichtung bevorstanden. Doch er war machtlos, konnte keinem einzigen helfen. Das Schiff krängte in einem tiefen Wellental, und er fühlte plötzlich einen Druck an der Schulter. Die Andiron ruckte jetzt in regelmäßigen Abständen in die Kette ein. Er spürte, wie sich das Deck hob und dann wieder bebend zurückglitt. Er mußte an seinen Bruder denken und fragte sich, was Hugh in diesem Augenblick tat. Sein Eifer, das Enterkommando der Phalarope zu vernichten, würde durch die Sorge um die Sicherheit seines Schiffes ein wenig verdrängt worden sein. Zu jeder anderen Zeit hätte er bestimmt zur geschützteren Seite der Insel verholt. Sonderbar, wie der unerwartete Wetterumschlag seine Hand im Spiel hatte. Nicht daß er den Ausgang umwälzend verändern konnte. Er verlängerte nur die Qual des Wartens.

«Ich wünschte, irgend etwas würde geschehen«, sagte Farquhar.»Dieses Warten geht mir auf die Nerven.»

Bolitho drehte sich so, daß er den hellen Spalt in der Tür des Laderaums sah. Der Lichtstreifen erlosch, wenn der Wachposten draußen im schmalen Gang seinen Standort änderte. Als er seine verkrampften Glieder zurechtzurücken versuchte, fühlte er den warmen Stahl am Bein und entsann sich des versteckten Dolches. Was nützte er ihnen nun? Genausogut hätte er ihn in der Kajüte lassen können.

Merkwürdig, daß ihn die Wachen nicht untersucht hatten.

Aber sie waren so unverhohlen zuversichtlich — und das mit gutem Grund — , daß es eigentlich nicht anders zu erwarten gewesen war. Selbst sein Bruder hatte sich die Zeit genommen, noch einmal mit ihm zu reden, bevor er in den Laderaum hinuntergebracht wurde. Hugh Bolitho hatte den Degen seines Vaters umgeschnallt und ein Paar Pistolen im Gürtel. Der bevorstehende Kampf schien ihm neue Energien zu schenken.

«Nun, Richard, dies ist deine letzte Chance. «Er stand lässig auf dem schwankenden Deck, legte den Kopf schief und betrachtete seinen Bruder leicht belustigt.»Bloß eine Entscheidung, und es ist an dir, sie zu treffen.»

«Ich habe dir nichts zu sagen. Nicht jetzt. Nie. «Bolitho bemühte sich, den Degen zu übersehen. Er wirkte wie eine zusätzliche Beleidigung.

«Na gut. Nach diesem Gespräch sehe ich dich wahrscheinlich nur noch selten. Ich werde zuviel zu tun haben. «Er blickte zum drohenden Himmel empor.»Der Wind nimmt zu, aber ich rechne dennoch mit Besuchern. «Und härter:»Dann wirst du mit den französischen Befehlshabern zurechtkommen müssen. Ich muß mich mit der Andiron der vereinigten Flotte anschließen. «Er bemerkte die Wachsamkeit seines Bruders und fuhr gelassen fort:»Ich kann es dir sagen, Richard, weil du nicht in der Lage sein wirst, teilzunehmen. Der französische Admiral de Grasse vereinigt sich mit einem spanischen Geschwader. Sie werden Jamaika angreifen, zusammen mit unseren Schiffen. «Mit einer flüchtigen Geste demonstrierte er die Endgültigkeit der Unternehmung.»Ich fürchte, König Georg wird sich für seine Eroberungen andere Teile der Erde aussuchen müssen.»

Bolitho hatte zum Posten gesagt:»Ich möchte unter Deck«, und sein Bruder hatte ihm nachgerufen:»Du bist töricht, Richard. Und, was schlimmer ist, du hast unrecht.»

In dem schwankenden Laderaum fand Bolitho viel Zeit, sich mit der Bitternis und dem Gefühl der Niederlage herumzuschlagen. Plötzlich wurden die Türriegel mit metallischem Kratzen zurückgezogen, und Belsey knurrte:»Sie sehen wieder nach uns. Der Teufel soll sie holen. «Doch als der Laternenschein in den Raum fiel und sie blendete, konnte Bolitho nur überrascht ins Licht starren, denn Stockdale stand im Türrahmen, ein schweres Enterbeil in der Hand.

Bolitho kämpfte sich auf die Füße. Unter der pendelnden Laterne lag der Posten mit eingeschlagenem Schädel.»Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, Sir, aber ich mußte erst ihr Vertrauen gewinnen. «Stockdale grinste schüchtern.»Selbst jetzt bin ich mir noch nicht klar, ob ich das Richtige getan habe.»

Bolitho konnte kaum sprechen. Er packte Stockdale beim Arm und stieß hervor:»Du hast goldrichtig gehandelt, Stockdale, nur keine Sorge. «Und zu den anderen:»Stehen Sie zu mir?»

«Sie brauchen mir bloß zu sagen, was ich tun soll«, erwiderte Farquhar noch ganz benommen.

«Schnell, Stockdale!«Bolitho trat auf den Gang hinaus und spähte in das Dunkel hinter dem Laternenschein.»Erzähle, wie steht es?»

«Die da oben machen sich langsam Sorgen, Sir«, sagte Stockdale.»Kein Zeichen eines Angriffs, und das Schiff liegt wegen des Windes schlecht. «Er überlegte einen Augenblick.»Vielleicht könnten wir an Land schwimmen, Sir?«Er nickte aufgeregt, was nicht oft bei ihm vorkam.»Ja, mit etwas Glück würden wir es schaffen.»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Nicht jetzt. Sie halten bestimmt Ausschau. Wir dürfen nicht an uns denken. Wir müssen versuchen, die Phalarope zu retten, ehe es zu spät ist.»

Stockdales Augen wanderten zu dem Leichnam zu seinen Füßen.»Wachablösung in einer halben Stunde, Sir. Da bleibt nicht viel Zeit.»

«Ach so. «Bolitho bemühte sich, seine Erregung und den Drang zu handeln zu unterdrücken und klare Gedanken zu fassen.»Mit der ganzen Mannschaft können wir nicht fertig werden, aber mit ein bißchen Glück können wir ihnen doch eine schöne Überraschung bereiten.»

«Ich würde gern ein paar von den Schuften mitnehmen!«sagte Belsey.

Bolitho zog den Dolch aus der Kniehose, er glänzte im Laternenschein.»Zeig uns den Weg, Stockdale. Wenn es uns gelingt, zur Back zu kommen, haben wir die Möglichkeit, für ein bißchen Abwechslung zu sorgen.»

Farquhar griff nach dem Entermesser des toten Wachtpostens und murmelte rauh:»Denken Sie an die Ankerkette, Sir?»

Bolitho warf ihm einen anerkennenden Blick zu.»Das Schiff reißt bereits hart am Anker. Wenn es uns gelingt, die Kette zu kappen, wäre es in ernster Gefahr. Unsere Leute sind irgendwo da draußen, und sie werden sich klarhalten, sobald sie die Andiron auf das Kap zutreiben sehen.»

«Die Andiron wird Segel setzen müssen«, stieß Belsey aufgeregt hervor.»Selbst dann schafft sie es womöglich nicht mehr rechtzeitig. Bei dem Wind aus dieser Ecke wird sie hart auf Grund laufen.»

«Verzeihung, Sir. «Stockdale sah Bolitho bekümmert an.»Aber vorne haben sie bereits eine starke Ankerwache, um gewappnet zu sein.»

Bolitho lächelte kalt.»Was mich nicht überrascht. «Er winkte den anderen.»Vorwärts, wir haben wenig Zeit. «Während sie durch den Gang schlichen, sagte er:»Erinnern Sie sich an den Neunpfünder auf der Back, Mr. Farquhar?»

Farquhar nickte, seine Augen funkelten.»Ja, Sir, eins der Buggeschütze.»

Bolitho blieb unter einem schmalen Niedergang stehen und sah zur Luke hinauf. Es konnte glücken. Sie konnten alle dabei draufgehen, aber er wußte, daß sich jeder darüber klar war.»Die Kanone ist dort hingebracht worden, als man nach den Beschädigungen durch die Phalarope die Reling reparierte. Wenn wir sie jetzt bei diesem Sturm losschneiden, rennt sie Amok wie ein verrückt gewordener Bulle.»

Belsey bleckte die Zähne.»Mein Gott, ein Neunpfünder wiegt über eine Tonne. Ihn wieder unter Kontrolle zu kriegen, erfordert allerlei.»

Bolitho sagte:»Wenn ich die Zurrings durchschneide, Stockdale, kannst du dann. .»

Stockdale griente.»Kein Wort weiter, Kapitän. «Er schwang die Axt.»Ein paar Minuten ist alles, was ich brauche.»

«Mehr als ein paar Minuten hast du auch nicht, mein Junge. «Bolitho schob sich die Leiter hinauf und spähte durch die Luke. Der Decksbereich lag verödet da. Er sah die nächste und letzte Leiter hinauf und sagte dann:»Bleiben Sie zurück, Belsey. Mit einem Arm können Sie nicht kämpfen.»

«Aber ich kann ebensowenig hier sitzenbleiben und nichts tun, Sir. «Belsey blickte Bolitho halsstarrig an.»Keine Bange, Sir, irgend etwas kann ich schon tun.»

Das Knarren der Rundhölzer und das trommelnde Schlagen der Wanten und Stagen übertönte jeden ihrer verstohlenen Tritte. Bolitho ließ den Blick kurz über die ihm zunächst stehenden Kanonen und die schattenhaften Umrisse ihrer Mannschaften gleiten. Die meisten Männer lagen auf dem Deck oder saßen am Schanzkleid, nur ein paar standen noch herum. Und die blickten außenbords. Ihre Augen hoben sich gerade über die Netze. Bolitho erblickte den einsamen Neunpfünder, dessen langer Umriß zum Hauptdeck vorsprang. Er hörte, wie die Kanone leise knarrte, als wäre sie verärgert über die Zurring, die sie neben dem Gangspill in Fesseln hielt.

Bolitho wischte sich den Schweiß aus den Augen und verfluchte sein quälendes Herzklopfen. Jetzt oder nie! Sie konnten jeden Augenblick erkannt werden, und dann war alles umsonst. Während die Blicke der anderen fasziniert auf ihm hafteten, richtete er sich auf und schlenderte offen auf die Kanone zu. Er ließ sich geräuschvoll neben ihr nieder und kreuzte die Arme über der Brust, als wolle er versuchen zu schlafen.

Farquhar quetschte zwischen den Zähnen hervor:»Gott, seht euch das an! Merkt denn wirklich keiner, wer er ist?»

Doch da Bolitho sich völlig frei bewegt hatte, wurde keinerlei Mißtrauen wach, und während die Andiron von einem Wellenkamm zum anderen rollte, störte niemand die Ruhe auf der Back.

Belsey drehte sich um und krächzte:»Da kommt ein Offizier.»

Sie beobachteten stumm, wie sich die blauweiße Gestalt eines Leutnants vom Hauptdeck langsam auf den Niedergang zur Back zubewegte. Mitten auf dem Niedergang mußte er stehenbleiben, weil eine heftige Bö das Schiff traf und einen Schwall Gischt über das Deck trieb, so daß der Vormast wie ein junger Baum erzitterte. Da sagte Stockdale plötzlich:»Er hat's geschafft. «Und während sich der Bug der Fregatte hob und an der Ankerkette zerrte, begann der Neunpfünder zu rollen. Anfänglich war es kaum bemerkbar, doch dann donnerte er auf seinen kreischenden kleinen Rollen die ganze Länge des Vorschiffs hinunter und prallte mit aller Kraft gegen den Fuß des Vormastes.

Alle brüllten und schrien durcheinander. Die Rufe wurden zu

Angstschreien, als die Kanone, wie durch unsichtbare Hände gelenkt, feindselig die Richtung änderte und über das sich neigende Deck wie verrückt zurückraste.

«Los, Leute«, schrie der Leutnant.»Holt Handspaken und neue Sorgleinen. Schnell, oder sie schmettert uns durch die Schanze.»

Die Ankerwache rannte von ihren Positionen zu den durcheinanderlaufenden Männern hinüber. In der Mitte der Wirrnis schwang der lange Neunpfünder frohlockend und tödlich seine Mündung herum, als wäre er auf neue Verheerungen aus, ehe er quietschend und polternd zur entgegengesetzten Seite hinüberrollte. Er krachte in eine andere Kanone und zerschmetterte ein Gestell von Geschossen. Die rollenden Kugeln steigerten den Höllenlärm. Man hörte, wie einige auf das tiefere Deck aufschlugen. Ein couragierter Seemann sprang über das Verschlußstück und warf das Auge eines Tampens über die Mündung. Doch die Kanone rollte von neuem zurück, und er schrie gellend auf, als sie ihn mit ihrem ganzen Gewicht am Schanzkleid zerquetschte.

Bolitho packte Farquhar am Arm.»Da, sie haben einen Keil unter die Lafette getrieben. Höchste Zeit für uns.»

Noch während seiner Worte drehten sich einige Seeleute zu ihnen um und starrten sie an, ungläubig zuerst, dann in kalter Wut. Bolitho zog sich mit seinen zwei Gefährten langsam zum Bug zurück, hinter sich die See und vor sich die herandrängende, geschlossene Masse der Männer, die, weil sie stumm vorrückte, nur um so schrecklicher wirkte.

Dann rief einer:»Schlagt sie tot! Stecht die Hunde ab«, und damit brach die Spannung.

Die Hinteren drängten, und die ganze Meute schoß vorwärts, um aber plötzlich unsicher halt zu machen, als etwas wie ein Kanonenschuß über das Deck hallte. Stockdale stieß einen Triumphschrei aus:»Sie ist durch! Die Kette ist gekappt!»

Die Matrosen der Andiron stierten einander noch einen Augenblick an. Doch dann, als ihnen die unerwartete Gefahr dämmerte, in der sie schwebten, zögerten sie nicht länger. Vom Hauptdeck rief ein Offizier, und der Ruf wurde von denen, die den Kopf nicht gänzlich verloren hatten, nach vorn weitergegeben.»Aufentern! Aufentern! Setzt Marssegel!»

Vom Achterdeck erscholl, durch das Sprachrohr verstärkt,

Hugh Bolithos Stimme:»Ruder bemannen!«Und während das Schiff vom Bug bis zum Heck wie ein freigelassenes Tier zitterte, rief er:»Mr. Faulkner, treiben Sie die Leute an die Brassen!»

Bolitho lehnte an der Reling, den Dolch in der Hand. Die Fregatte krängte schwer und fiel ab. Männer enterten hastig in die Wanten auf, und vor dem dunklen Himmel blähte sich bereits ein Stück klatschender Leinwand. Wieder ertönte das Sprachrohr:»Laßt die Kerle nicht von der Back runter. Schießt sie nieder, wenn sie flüchten wollen.»

Belsey wischte sich die Stirn und murmelte:»Selbst wenn unsere Jungs draußen sind, jetzt werden sie kaum einen Angriff wagen. «Er sah Bolitho an.»Nun kann ich in Frieden sterben, Sir. Schätze, wir haben heute nacht ganze Arbeit geleistet.»

Ein orangefarbener Schein erhellte plötzlich Belseys Gesicht. Bolitho fuhr überrascht herum. Kanonenkugeln heulten durch die Luft. Stagen und Fallen rissen, und die Decksplanken vor ihm splitterten und barsten, als die Kugeln in das Vorschiff schlugen.

«Die Batterie feuert auf uns!«Farquhar schwenkte den Hut.»Die dämlichen Narren feuern auf ihre eigenen Leute.»

Bolitho zog ihn auf die Planken.»Und auf uns. Also gehen Sie mit Ihrem Kopf in Deckung, Mr. Farquhar. Womöglich brauchen Sie ihn noch.»

Die Geschütze schwiegen jetzt. Doch die eine wohlgezielte Salve hatte ausgereicht. Das unverzügliche Handeln der Offiziere der Andiron und die schnelle Reaktion einiger Seeleute hätte die dem Schiff drohende Gefahr vielleicht abgewendet. Doch die Kartätschen, die Wanten und Rahen leerfegten und einige der noch auf dem Hauptdeck befindlichen Männer niedermähten, hatten die letzte Möglichkeit dazu vereitelt.

Die schwarze Silhouette von Dogwood Point schien immer mehr zu wachsen und das Schiff immer kleiner zu werden. Doch noch sah es aus, als ob die Andiron durch Wind und Strömung klarkommen würde. Aber als Bolitho seine gaffenden Gefährten zum Deck zog, erbebte der Rumpf, und ein furchtbarer Stoß schleuderte die restlichen Seeleute zu Boden.

Belsey blickte zum Himmel und bekreuzigte sich.»Der Großmast kommt herunter. Mein Gott, der Besan auch!»

Bolitho verfolgte fasziniert, wie die beiden großen Masten erzitterten und sich sehr langsam nach Steuerbord neigten. Dann brachen die Stagen. Der Winkel wurde drohender, bis die Masten schließlich, von einem Gewirr aus Rahen und zerfetztem Segeltuch umgeben, krachend umstürzten und in das schäumende Wasser fielen. Noch ein Krachen und Stoßen erschütterte den Rumpf. Während sich das Deck immer stärker überlegte, kämpfte Belsey sich hoch und rief:»Sie sitzt auf der Sandbank. In ein paar Minuten bricht sie auseinander.»

Die Kanonen rissen sich los und rasten durch die schreienden Reste ihrer einstigen Herren. Keine Aussicht, ein Boot auszubringen, und das versuchte auch niemand. Einige sprangen bereits über Bord, nur um von der starken Strömung sofort abgetrieben zu werden. Andere rannten unter Deck, als glaubten sie, im Finstern Sicherheit zu finden. Und überall gellten flehende drohende und fluchende Schreie, als das Schiff auseinanderbarst. Der Vormast brach vier Fuß über Deck ab und folgte den anderen. Aus einer gut ausgerüsteten Fregatte war ein taumelndes, entmastetes Wrack geworden.

Belsey rief durch das Getöse:»Da ist ein Lukendeckel, Sir. Treibt genau vorm Bugspriet. «Er blickte Bolitho wild an.»Wollen wir über Bord springen?»

Bolitho drehte sich um. Das Deck erbebte von neuem, und noch eine Kanone raste durch eine Gruppe kriechender Seeleute. Dann erblickte er Hugh, der allein an der Achterdeckreling stand. Er gab keine Befehle mehr, sondern stand völlig regungslos da, als wolle er den Todeskampf seines Schiffes bis zum letzten teilen. Bolitho starrte noch einen Augenblick länger zu seinem mehr als eine Deckslänge entfernten Bruder hinüber. Er spürte plötzlich Verständnis, ja Mitleid, weil er nur zu gut wußte, was er in solchen Minuten empfunden hätte.

«Über Bord, Jungs!«sagte er dann barsch.»Seht zu, daß ihr beim Sprung gut klarkommt.»

Belsey und Farquhar sprangen zusammen, und er beobachtete, wie sie sich an den treibenden Lukendeckel herankämpften. Dann sagte Stockdale heiser:»So, Kapitän, ich springe mit Ihnen.»

Er packte gerade die Reling, als er hinter sich einen Schrei hörte und undeutlich einen Offizier wahrnahm, der sich das schräge Deck hinaufzog. Das Gesicht des Mannes war blutverschmiert, aber Bolitho erkannte den Leutnant, der seine einsame Haft auf dem Achterdeck geteilt und der von seiner Farm und seinen Zukunftsplänen gesprochen hatte. Plötzlich sah er die Pistole in der Hand des Leutnants. Gerade, als er sich über die Reling schwingen wollte, zuckte ein greller Blitz über das Deck, und etwas wie weißglühendes Eisen fuhr ihm quer über die Brust.

Stockdale wandte sich um und stieß einen kurzen, tierischen Schrei aus, der seine Seele zu sprengen schien. Dann holte er mit voller Kraft aus. Die Wucht des Axthiebes enthauptete den amerikanischen Offizier beinahe, so daß es den Anschein hatte, als verbeuge sich der Mann mit einem gräßlichen Gruß.

Bolitho spürte dumpf, wie Stockdale die Arme um ihn schlang und ihn hochhob, so daß er durch die Luft sauste. Seine Lungen barsten, Salzwasser drang ihm in die Kehle, und als er die Augen aufzuschlagen versuchte, umgab ihn nichts als stechende Finsternis. Dann wurde er auf das kleine Floß gezogen und hörte Belsey keuchen:»O diese verfluchten Schweinehunde! Sie haben den Kapitän umgebracht!»

Dann Farquhars Stimme, bebend, doch bestimmt:»Um Gottes willen, paßt auf. Da ist ein Boot. Duckt euch und keinen Laut!»

Bolitho versuchte zu sprechen, konnte aber nur zu Stockdales nebelhaftem Gesicht hinaufstarren, das sich gegen die niedrigen, jagenden Wolken abzeichnete. Er hörte Riemen und wie ein Boot durchs Wasser schnitt. Aber Gefangenschaft oder Tod waren nicht vergebens, diesmal nicht. Er lauschte den fernen Brechern, die gegen das Wrack der Fregatte schlugen, und den leisen Schreien derjenigen, die sich noch immer auf dem zerschmetterten Rumpf festkrallten.

Dann hörte er über sich einen scharfen Ruf, dem sofort das Knacken eines Flintenschlosses folgte. Es war alles noch ein Traum und schien ihn persönlich nicht zu berühren. Erst als eine Stimme laut auf englisch rief:»Da sind noch ein paar von den Teufeln im Wasser!«durchbrach langsames Begreifen Nebel und Schmerz.

«Nicht schießen!«brüllte Farquhar.»Nicht schießen, wir sind Engländer!»

Danach schienen alle auf einmal zu rufen, und als ein zweites

Boot längsseits kam, vernahm Bolitho wie von weither eine vertraute Stimme.»Wen haben Sie denn da, Mr. Farquhar?«Herrick brachte vor ungläubiger Erregung die Frage kaum über die Lippen.»Den Kapitän.»

Bolitho fühlte, wie ihn Hände über das Dollbord hoben, und sah über sich vage und verschwommen verzerrte Gesichter. Hände betasteten seinen Brustkorb, und von neuem durchzuckte ihn stechender Schmerz. Danach die lindernde Wirkung eines Verbandes und die ganze Zeit über das aufgeregte Durcheinander der Leute — seiner Leute.

Herricks Gesicht war sehr nah. Bolitho konnte das Leuchten in seinen Augen erkennen. Er hätte gern irgend etwas gesagt, um Herrick zu beruhigen. Aber er fand nicht die Kraft dazu. Statt dessen drückte er Herrick die Hand, ehe Dunkelheit ihn wie ein Mantel einhüllte.

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