XII Den Feinden Verderben!

Die Spätnachmittagssonne flimmerte über dem geschützten Wasser der Bucht und warf ein tanzendes Muster an die Decke über Bolithos kleinem Tisch. Er brauchte nur den Kopf zu drehen, um die saftig grünen Abhänge Antiguas und ein paar verstreute Gebäude rings um den Hafen St. John zu sehen. Er mußte sich geradezu zwingen, seinen Bericht für den Admiral zu vollenden.

Bolitho stützte die Stirn in die Hand, spürte, daß Müdigkeit ihn überwältigte, ihm Einhalt gebieten, ihn dazu bringen wollte, alles andere zu tun, nur nicht das, was er erledigen sollte. Er fühlte den steifen Verband und ließ sich in die jüngste Vergangenheit zurückgleiten, wie so häufig seit seiner unerwarteten Rückkehr auf die Phalarope.

Wie bei allem anderen, so war es auch dabei schwierig, Tatsachen von den unbestimmten, wirren Bildern zu trennen, die mit dem Fieber gekommen und gegangen waren. Zu seinem Glück war die Pistolenkugel glatt zwischen den Rippen hindurchgegangen. Zurückgeblieben war eine tiefe, gezackte Narbe, die ihn bei jeder plötzlichen Bewegung zusammenzucken ließ.

Von dem Augenblick an, da er an Bord gebracht und die

Boote hastig an Deck gehievt worden waren, waren seine Erinnerungen verschwommen und lückenhaft. Der wüste, unvorhergesehene Sturm hatte das Alptraumartige seiner Erinnerungsbilder nur noch gesteigert. Zwei Wochen lang war das Schiff mit fast nackten Rahen vor dem heulenden Sturm nach Südwesten abgelaufen. Dann, während er sich aus der ungeschickten Obhut des Wundarztes und dem unbestimmten Kommen und Gehen seiner Offiziere herauskämpfte, hatte sich der Sturm gelegt, die Phalarope hatte endlich über Stag gehen können, um sich nach Antigua zurückzuarbeiten und ihren Bericht abzuliefern.

Bolitho prüfte nochmals die sorgfältig zusammengestellten Berichte und Namensnennungen. Nichts durfte fehlen. Es gab später keine Möglichkeit, etwas nachzutragen. Jeder Name weckte andere Erinnerungen, und er hatte das sonderbare Empfinden, Zuschauer zu sein.

Fähnrich Charles Farquhar, der sich auf eine Weise bewährt hatte, die weit über seine tatsächlichen Erfahrungen hinausreichte: ein Seeoffizier, der eines Tages ein Kommando verdienen würde — Steuermannsmaat Arthur Belsey, der trotz eines verwundeten Armes viel zur endgültigen Vernichtung der Andiron beigetragen hatte.

Bolitho tupfte mit der Feder nachdenklich auf Belseys Namen. Sein letzter wilder Sprung vom zerschmetterten Rumpf der Andiron hatte jede Hoffnung ausgelöscht, daß er je wieder richtig Dienst tun könnte. Der gebrochene Arm ließ sich nicht mehr retten, und Belsey würde für den Rest seines Lebens ein Krüppel bleiben. Glück, die gute Erwähnung im Bericht und Bolithos Empfehlung sicherten ihm vielleicht schnelle Entlassung und eine den langen Dienstjahren angemessene Abfindung. Wahrscheinlich würde er nach Plymouth zurückkehren, dachte Bolitho traurig, und eine kleine Kneipe eröffnen. Jeder Hafen war voll von solchen Männern: zerbrochen und vergessen, klammerten sie sich an den Saum des Meeres, das sie an den Strand geworfen hatte.

Leutnant Herricks Erstürmung der Batterie. . Nun, den bloßen Fakten ließ sich wenig hinzufügen. Hätte er versucht, die Wahrheit aufzuputzen, um das Lob zu verstärken, das Herrick so reichlich verdiente, würde der Admiral schnell die Kehrseite der Medaille sehen: nämlich daß der Erfolg zum großen Teil auf

Glück beruhte, das sich zu einer gehörigen Portion Wagemut gesellte.

Es gab so viele» Wenn«, grübelte Bolitho verdrossen.

Wenn die Boote mit dem Enterkommando dichter unter Land abgesetzt worden wären, wäre jetzt jeder tot oder gefangen. Wenn die Strömung für die Leute an den Riemen nicht zu stark gewesen wäre, hätte Herrick den unmöglichen Auftrag wie geplant ausgeführt, statt einen zweiten Weg eigener Eingebung einzuschlagen.

Und Stockdale? Nun, ohne seine Hilfe und unerschütterliche Treue hätte sich nichts von alledem ereignet. Sein Verstand hatte sorgsam jeden Schritt geplant, ohne daß ihn jemand geleitet, ihm jemand geholfen hätte. Und zu allerletzt hatte er ihm wiederum das Leben gerettet.

Aber was konnte er für ihn tun? Für einen Mann wie Stockdale gab es keine Beförderungsmöglichkeit, keine irgendwie sinnvolle Belohnung. Gelegentlich, als er in die Kajüte kam, um nach der Wunde zu sehen, hatte er ihn gefragt, was ihm für seine Tapferkeit und Treue der liebste Lohn wäre. Stockdale hatte keine Sekunde gezögert.»Wenn ich weiter bei Ihnen bleiben darf, Kapitän, einen anderen Wunsch habe ich nicht.»

Bolitho hatte eigentlich daran gedacht, Stockdales Entlassung aus der Marine zu beantragen, sobald das Schiff in einen britischen Hafen heimkehrte. Mit ein bißchen Unterstützung konnte Stockdale sich vielleicht in Ruhe und Frieden irgendwo niederlassen. Aber als was? Stockdales unverzügliche und schlichte Antwort hatte es ihm untersagt, den Gedanken weiterzuverfolgen. Er hätte ihn nur verletzt.

Er schrieb:»Was meinen Bootsführer Mark Stockdale betrifft, kann ich nur hinzufügen, daß die ganze Aktion ohne sein schnelles Handeln womöglich mit einem Fehlschlag geendet hätte. Indem Stockdale die Ankerkette der Andiron kappte, wodurch das Schiff in Leutnant Herricks Feuerbereich trieb, schuf er die Basis für die totale Zerstörung des Schiffes bei einem Minimum an Verlusten auf unserer Seite. «Er setzte erschöpft seinen Namen unter das Dokument und stand auf. Ein Bericht von vielen Seiten. Hoffentlich lasen ihn auch jene, die der Phalarope unvoreingenommen gegenüberstanden.

Zumindest Farquhars Onkel, Vizeadmiral Sir Henry

Langford, würde sich darüber freuen. Sein Glaube an den Neffen würde neu bekräftigt werden, und im Laufe der Zeit verwirklichten sich sicher die Hoffnungen, die er für ihn hegte.

Bolitho lehnte sich aus dem Heckfenster. Die warme Luft strich ihm über das Gesicht. Er hörte das Quietschen von Taljen und den gleichmäßigen Riemenschlag der zwischen Schiff und Ufer verkehrenden Boote. Die Fregatte war am frühen Morgen vor Anker gegangen, und den ganzen Tag über brachten Boote frische Vorräte und schafften die Verwundeten zu besseren Quartieren in der Stadt. Er betrachtete die eindrucksvolle Reihe der vor Anker liegenden Schiffe, die wachsende Macht der westindischen Flotte. Ihre Anwesenheit minderte allerdings den Triumph, den die Rückkehr der Phalarope sonst bedeutet hätte. Bei diesem Gedanken, der sich immer wieder vordrängte, runzelte er die Stirn. Möglicherweise betrachtete man die Phalarope nach wie vor mit Mißtrauen und behandelte sie schmählich.

Seine Augen wanderten langsam von einem großen Schiff zum anderen. Die Masten ragten hoch auf, und die Stückpforten standen offen. Da war die Formidable mit 98 Geschützen, frisch aus England, mit Sir George Rodneys Flagge im Topp. Und da waren andere Schiffe, die ihren Namen in das Buch dieses Krieges eingeschrieben hatten: die Ajax und die Resolution, die Agamemnon und die Royal Oak. Und nicht zuletzt Sir Samuel Hoods Flaggschiff Barfleur. Ferner Schiffe, die er überhaupt nicht kannte, ohne Zweifel Verstärkungen, die Rodney von der Kanalflotte mitgebracht hatte. Und alle waren zu einem Zweck hier zusammengezogen: um die große französisch-spanische Flotte zu stellen und zu vernichten, ehe sie ihrerseits die Briten für immer aus der Karibischen See vertreiben konnte.

Er wandte den Kopf, um das kleine Geschwader auf der anderen Seite der Reede zu betrachten, zu dem die Phalarope gehörte. Die ältere Cassius, neben der die kleine Witch of Looe noch kleiner wirkte, als sie war. Und eine weitere Fregatte, die Volcano, ein Schiff, das der Phalarope glich. Noch hatte der Admiral nichts von sich hören lassen. Lediglich ein Fähnrich mit rosarotem Gesicht hatte die Botschaft überbracht, daß der Admiral Bolithos Bericht bis Sonnenuntergang in Händen zu haben wünsche. Und daß die Fregatte die Verproviantierung zu Ende führen und weitere Befehle abwarten solle. Nichts sonst.

Nichts bis auf den sehr merkwürdigen Vorfall am späten Vormittag. Von der Cassius hatte ein Boot abgelegt, und ein adretter Leutnant meldete sich bald darauf bei Bolitho.»Eine Empfehlung von Vizeadmiral Sir Robert Napier«, erklärte er,»und er möchte Sie informieren, daß er eine Einladung an Bord Ihres Schiffes zum Dinner heute abend gern annehmen würde. Als weiterer Gast wird ihn unser Kapitän begleiten. «Er mußte sehr konsterniert ausgesehen haben, denn der Offizier hatte hilfsbereit hinzugesetzt:»Kann ich Sie irgendwie unterstützen,

Sir?»

Wortlaut und Inhalt der Botschaft hatten Bolitho mehr als verblüfft. Flaggoffiziere speisten gewöhnlich nicht an Bord der ihnen unterstellten Schiffe. Und daß sie sich gar selbst dazu einluden, davon hatte man noch nie gehört. Bolitho dachte an seine geschrumpften Vorräte und die grobe Kost der Kombüse, aber der Leutnant war augenscheinlich gut im Bilde.

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?»

Bolitho starrte ihn an.»Was es auch ist, in diesem Augenblick dürfte er mir eine große Hilfe sein.»

«Mein Kapitän schickt einige Vorräte aus seiner eigenen Pantry herüber, Sir. Und es wird auch rechtzeitig ein ganz trinkbarer Wein gebracht. «Er zählte die Einzelheiten an den Fingern ab, und man sah seinem Gesicht an, wie er nachdachte. Bolitho nahm an, daß dem jungen Mann das sonderbare Verhalten seines Admirals nicht ungewohnt war.»Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich mageres Schweinefleisch vorschlagen. Es ist in St. John reichlich vorhanden. Und Käse, den Admiral Rodneys Schiffe eben aus England mitgebracht haben.»

Bolitho hatte nach Vibart und Proviantmeister Evans geschickt und erklärt, was zu erwarten stand. Diesmal schien Vibart zu überrascht, um irgendeine Bemerkung zu machen, und Bolitho hatte kurz gesagt:»Kümmern Sie sich darum, Mr. Vibart. Und beauftragen Sie meinen Diener, meine Kajüte herzurichten und den Tisch zu decken. «Er hatte sich plötzlich sehr sorglos gefühlt.»Sir Robert Napier kann an Bord einer Fregatte keine Flaggschiffverpflegung erwarten.»

Während er jetzt daran zurückdachte, wurde er sich darüber klar, daß seine Sorglosigkeit wahrscheinlich auf die Hitze und die schmerzende Wunde zurückzuführen gewesen war. Nun, zu machen war sowieso nichts. Die Absicht des Admirals lag mehr als klar zu Tage. Jetzt, da wieder Rodney die Zügel führte, lag Napier nichts daran, die Phalarope öffentlich herabzuwürdigen. Er wollte nicht einmal ein offenes Gespräch an Bord des Flaggschiffes. Nein, er kommt höchstpersönlich auf die Phalarope, wie Gott herniedersteigt, um einen Sünder zu zerschmettern, dachte Bolitho erbittert. Kein Erfolg würde je das erste Mißfallen löschen oder den Tod seines Sohnes ausgleichen. Läge die Andiron schwer bewacht unter den Kanonen seines Flaggschiffes, hätte der Admiral vielleicht anders empfunden. Aber der Freibeuter war nur mehr ein Bleistiftkreuz auf einer Karte.

Bolitho ließ sich müde und gereizt auf die Heckbank sinken. Er starrte auf den Bericht, ehe er rief:»Wache, Mr. Herrick möchte zu mir kommen. «Der Bericht mußte jetzt hinüber zur Cassius. Ganz gleich, was sonst geschah, er wollte sichergehen, daß seine Leute Anerkennung fanden und ihre Leistungen belohnt wurden.

Herrick kam in die Kajüte und blieb neben dem Tisch stehen.

«Bringen Sie diesen Umschlag zum Flaggschiff.»

Herricks offenes Gesicht verriet Beunruhigung, was Bolithos Gereiztheit noch steigerte. So sehr er sich auch bemühte, die Mattheit klang in seiner Stimme mit, und er merkte, daß ihn die Erschöpfung wieder überwältigte.

«Darf ich mir einen Vorschlag erlauben, Sir? Ich meine, Sie sollten sich hinlegen«, sagte Herrick besorgt.»Ich glaube, Sie haben sich überanstrengt.»

«Kümmern Sie sich lieber um Ihre Pflichten, verdammt noch mal!«Bolitho ärgerte sich über Herrick, aber noch mehr über sich und die Ungerechtigkeit seines Vorwurfs.

«Aye, aye, Sir. «Herrick schien ungerührt und sagte:»Darf ich fragen, ob es der vollständige Bericht über die Andiron ist?»

Bolitho sah ihn kalt an.»Natürlich der vollständige. Fürchten Sie vielleicht, ich hätte Ihre Verdienste nicht mit aufgenommen?»

Herrick sah ihn fest an.»Entschuldigen Sie, Sir. Ich wollte nur sagen. . «Er schluckte schwer.»Nun, wir, die wir beteiligt waren, meinen. . «Er begann zu stottern.»Wir meinen, daß Ihnen allein das Verdienst gebührt, Sir.»

Bolitho blickte zu Boden, das Blut rauschte ihm in den Ohren.»Sie haben ein seltenes Talent, mich zu beschämen, Mr.

Herrick. Ich wäre Ihnen verpflichtet, wenn Sie künftig davon abließen. «Er blickte hoch, entsann sich, wie Herricks Stimme in der Dunkelheit zu ihm gedrungen war, wie Herricks Hände seine Wunde berührt und versorgt hatten.»Aber dennoch vielen Dank. «Er trat langsam an den Tisch.»Der Angriff auf die Andiron gelang durch eine Reihe glücklicher Zufälle, Mr. Herrick. Das Ergebnis mag für einige alles rechtfertigen. Ich bin jedoch unzufrieden, das will ich ruhig zugeben. Ich glaube an Glück, aber man darf sich nicht darauf verlassen.»

«Ja, Sir. «Herrick sah den Kapitän an.»Sie sollten auch nur wissen, was wir denken. «Er schob hartnäckig das Kinn vor.»Was auch vor uns liegen mag, wir sind glücklich, daß Sie wieder das Kommando führen, Sir.»

Bolitho fuhr durch die Papiere auf seinem Tisch.»Vielen Dank. Und nun nehmen Sie bei Gott die Beine in die Hand, Mr. Herrick, und ab zur Cassius.«Kurz darauf hörte er Herrick nach dem

Beiboot rufen.

Merkwürdig, wie leicht er seine Befürchtungen Herrick mitteilen konnte. Und noch merkwürdiger, daß Herrick zuhören konnte, ohne die Vertraulichkeit zu eigenem Vorteil auszunutzen. Sein Blick fiel auf die Bestrafungskladde. Während er der Gefangene seines Bruders gewesen war, hatte sich das alte Übel wieder breitgemacht: Auspeitschungen und nochmals Auspeitschungen. Und ein Mann sogar an den Folgen gestorben! Vielleicht blieb ihm Zeit, den Schaden zu heilen. Er mußte Vibarts mürrische Erklärungen hinnehmen, genauso wie Okes' Bericht über den Angriff auf die Insel Mola. Er mußte seinen Offizieren die Stange halten. Und wenn sie feige oder dumm waren, mußte er sogar dafür die Schuld auf sich nehmen.

Er dachte an Vibarts Haltung, seit er selber das Kommando wieder übernommen hatte. An Vibarts Gesicht im Augenblick seiner Rückkehr entsann er sich nicht, zu sehr war ihm vor Schwäche und Schmerz alles vor den Augen verschwommen. Doch in den Tagen danach hatte er ihn mehrfach gesehen. Einmal, er fieberte und schwitzte in seiner schwankenden Koje, hatte sich Vibart über ihn gebeugt und gefragt:»Ob er durchkommt? Sagen Sie mir, Mr. Ellice, wird er durchkommen?»

Vielleicht bildete er es sich nur ein, jetzt ließ sich das nur schwer sagen. Aber eine flüchtige Sekunde hatte er gemeint, in Vibarts Stimme Haß gehört zu haben. Vibart hatte gewünscht, daß er nicht durchkam! Er haßte ihn wegen seiner Rückkehr von den Toten.

Die Tür öffnete sich, und Stockdale sagte heiser:»Ich habe Atwell gesagt, daß er Ihre beste Uniform herauslegen soll, Sir. Und er kommt sofort, um den Tisch zu decken. «Er sah, wie erschöpft Bolitho war, und sagte:»Und jetzt legen Sie sich erst einmal hin.»

Bolitho funkelte ihn wütend an.»Ich habe zu arbeiten, verdammt. »

«Ich mache Ihnen bloß Ihre Koje zurecht. Zwei Stunden Schlaf bis zur Hundewache werden Ihnen guttun. «Er achtete nicht auf Bolithos Gesichtsausdruck und setzte heiter hinzu:»Wie ich sehe, ist auch die Formidable hier, Sir. Ein großes schönes Schiff, kein Zweifel. Aber einem Admiral wie Rodney kommt ein so großes Schiff auch zu, nicht wahr?«Er wartete noch einen Augenblick neben dem Bett, auf dem seine Hand ruhte.»Sind Sie soweit, Sir?»

Bolitho gab nach.»Nun ja, aber bloß zwei Stunden. Keinesfalls länger.»

Er ließ sich von Stockdale in die Koje helfen und merkte, wie ihn die Müdigkeit von neuem übermannte. Stockdale langte nach den Schuhen und murmelte vor sich hin:»Sie bleiben schön liegen. Für den verdammten Admiral brauchen wir heute abend einen ausgeruhten Kapitän. «Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf das leere Gestell über dem Bett, und einen Moment fühlte er sich sehr unbehaglich. Der Säbel lag irgendwo im Wrack der Andiron. Wenn er ihn bloß wiederbekäme. Wenn er ihn bloß… Er betrachtete das im Schlaf entspannte Gesicht des Kapitäns. Und er wollte etwas für mich tun. Stockdale zog den Vorhang vor, damit die Sonnenreflexe nicht auf Bolithos Gesicht fielen, und schlich dann leise zur Tür.

Die hohe Steinmole warf willkommenen Schatten über den Kutter der Phalarope, der an der Treppe lag. Bootsführer Packwood blieb kurz auf den Stufen stehen und sah zu den Leuten hinunter, die es sich bequem machten.»Ihr könnt Pause machen. Aber niemand verläßt den Kutter, verstanden?»

Onslow hockte sich bequem auf das Schanzkleid und zog eine kurze Tonpfeife aus dem Hemd.»Klar, Mr. Packwood«, murmelte er unhörbar.»Wir machen die Arbeit, und Sie ziehen ab und lassen sich mit Rum vollaufen.»

Die meisten waren zu müde, um etwas zu erwidern. Den ganzen Tag war der Kutter zwischen dem Ufer und der Fregatte hin und her gependelt, und die erste Erregung, wieder in einem Hafen zu sein, war in unzufriedenes Murren umgeschlagen.

Packwood befehligte die Abteilung. Ein fähiger Mann, bekannt dafür, die Arbeit gerecht zu verteilen. Doch es mangelte ihm an Phantasie. Hätte er den Leuten gesagt, daß die Arbeit nicht nur für die Seetüchtigkeit der Phalarope, sondern in noch höherem Maß für das Wohlbefinden der Besatzung auf See notwendig war, hätte das die Verbitterung möglicherweise etwas gedämpft. Aber wie die Dinge lagen, diente Packwood schon zu lange in der Marine, um nach unnötigen Erklärungen zu suchen. Arbeit war Arbeit. Befehle wurden eben ausgeführt, jederzeit und ohne jede Diskussion.

Pook, Onslows ständiger Gefährte, stemmte sich hoch und spähte zu den fernen Häusern hinüber.»Mutter Gottes«, sagte er schwer atmend,»ich sehe Frauen.»

Onslow zog eine Grimasse.»Was hast du erwartet? Verdammte Priester?«Er beobachtete die Männer aus halbgeschlossenen Augen.»Die Offiziere sorgen schon für sich, ihr seht's ja, daß ich recht habe, Jungs. «Er spuckte über Bord.»Aber es sollte bloß mal einer von euch versuchen, einen Fuß an Land zu setzen, und ihr werdet sehn, was passiert. «Er deutete auf den rotröckigen Marinesoldaten, der sich zufrieden auf sein Gewehr stützte.»Der verdammte Ochse setzt euch glatt eine Kugel in die Stirn.»

John Allday saß über den Riemen gebeugt und musterte Onslow nachdenklich. Jedes Wort, das der Mann sprach, war sorgsam abgewogen. Er wandte sich um, als sich vom Bug her ein Seemann namens Ritchie hören ließ. Ritchie stammte aus Devon und sprach ebenso langsam, wie er dachte.»Warum bist du nicht abgehauen, als wir vor Nevis lagen, Onslow?«Das glitzernde Wasser blendete ihn, und er blinzelte.»Hättest massenhaft Zeit gehabt, dich deinen Rebellenfreunden anzuschließen.»

Allday beobachtete, ob Onslow etwa ärgerlich hochfuhr, aber der große Seemann sah Ritchie bloß mitleidig an.»Und was hätte das genutzt? Meinst du, wir sind besser dran, wenn wir zu den Rebellen überlaufen oder zu den Froschfressern?«Jetzt hörten alle aufmerksam zu.»Nein, Jungs, wir tauschen höchstens einen Herrn gegen den anderen ein. Eine neue Flagge. Aber irrt euch nicht, die Peitsche ist in jeder Marine die gleiche.»

Ritchie kratzte sich den Kopf.»Ich sehe noch immer nicht, worauf du hinaus willst.»

«Weil du dämlich bist, du großer Ochse du«, fauchte Pook.

«Ruhig, Jungs. «Onslow senkte die Stimme.»Ich meine es ernst. Hier draußen oder auf dem amerikanische Festland kann ein Mann gut leben. Ein neues Leben bringt die Chance, sich etwas zu schaffen. «Er lächelte leicht.»Aber zu einem richtigen Start gehört mehr als bloß Hoffnung. Dazu gehört auch Geld.»

Nick Pochin rutschte hin und her und sagte unbeholfen:»Wenn der Krieg aus ist und wir unsere Löhnung kriegen, können wir nach Hause zurückkehren.»

«Und wer kennt dich dort noch?«Onslow blickte ihn kalt an.»Du bist zu lange fort gewesen, wie wir alle. Für dich gibt's nur eins: auf den Straßen betteln gehn!»

«Ich war ein guter Pflüger«, beharrte Pochin.»Ich kann wieder pflügen.»

«Aye, vielleicht. «Onslow blickte ihn verächtlich an.»Du kannst für den Rest deines dämlichen Lebens Furchen ziehen, bis sie tief genug sind, daß dich irgendein fetter Grundbesitzer drin begräbt.»

Ein anderer forschte:»Was willst du eigentlich?»

«Ich werd's dir sagen. «Onslow glitt wie eine Katze vom Dollbord.»Bald sind wir wieder draußen auf See. Ihr seht die Flotte, die sie hier zusammengezogen haben. Für uns wird's keine Ruhe geben. Die Brüder brauchen immer neues Kanonenfutter. «Er deutete auf die sanft vor ihrem Anker schwojende Phalarope. »Da liegt unsere Chance, Jungs. Die Garantie für unsere Zukunft. «Er ließ die Stimme wieder sinken.»Wir können das Schiff übernehmen. «Er sprach sehr langsam, damit jedes Wort wirken konnte.»Dann können wir sie als Tauschobjekt benutzen zu unserem Preis. «Seine Augen wanderten von einem Gesicht zum anderen.»Stellt euch das vor! Wir können mit der anderen Seite verhandeln und den Preis nennen, den wir verlangen. Mit dem Geld und einer freien

Passage geht dann jeder seiner Wege und reicher, als er es je für möglich gehalten hätte.»

Pochin setzte sich mit einem Ruck auf.»Das ist Meuterei! Du verrückter Schuft, sie werden uns fangen und aufhängen.»

Onslow griente.»Nie! Wenn dieser Krieg aus ist, wer hat da noch Zeit, sich um uns zu kümmern?»

Pook setzte lebhaft hinzu:»Er hat recht, wir werden alle reich sein.»

«Und England nie wiedersehen«, sagte Allday.

«Wem macht das was aus?«Onslow warf den Kopf zurück.»Meinst du, so wie es jetzt ist, haben wir eine Chance? Hast du nicht gesehen, was sie mit Kirk gemacht haben? Du weißt ganz genau, daß jede Woche welche sterben, durch Krankheit oder unter der Peitsche, in der Schlacht, oder indem sie von oben kommen. Und wenn du dem entgehst, kommandieren sie dich auf ein anderes Schiff.»

Unruhe und Empörung liefen drohend durch das Boot, und Allday fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. Er sagte schnell:»Meinst du, Kapitän Bolitho wäre damit einverstanden?«Er sah von einem zum anderen.»Sicher, sie haben uns durch die Mühle gedreht, aber dem Kapitän vertraue ich. Er ist unerschrocken und gerecht. Er wird uns nicht im Stich lassen.»

Onslow zuckte mit den Schultern.»Wie du willst. «Er setzte böse hinzu:»Solange du deine Gedanken für dich behältst, Freundchen. Wenn etwas von dem, was ich gesagt habe, laut wird, wissen wir, hinter wem wir her sein müssen.»

Das zustimmende Gemurmel zeigte Allday, wie tief Onslows Rede bereits gewirkt hatte. Sonderbar, daß vorher niemand gemerkt hatte, mit welcher Beharrlichkeit Onslow die Männer zur Meuterei aufreizte. Vielleicht weil er seine Worte sorgsam abwog und nichts von der blinden Wut eines Matrosen hatte, dem Unrecht geschehen war. Allday dachte an Mathias' Tod im Laderaum und wie vorsichtig Onslow operiert hatte, damit Ferguson den Posten als Kapitänsschreiber bekam. Es ähnelte alles einer schleichenden, aber tödlichen Krankheit. Zeigten sich die Symptome, war der Fall bereits hoffnungslos.»Ich werde schon aufpassen, Onslow«, sagte er.»Aber sieh du dich lieber auch vor.»

«Achtung«, murmelte Pochin.»Er kommt zurück.»

Packwood tauchte oben an der Treppe auf. Er hatte getrunken, und der Schweiß stand ihm auf der Stirn.»Schön, meine Kleinen. Noch ein paar Fässer mehr. «Er schwenkte seinen Stock.»Und dann könnt ihr euch in euren Stall verziehn und euch den Dreck abschrubben. Der Admiral kommt euch heute abend besuchen!«Pook stieß seinen Freund an.»Dieser Allday, hält der dicht?«Onslow packte den Riemenschaft.»Bei Leuten wie dem muß sorgfältig taktiert werden. Darüber muß man nachdenken. «Seine Augen glitten über Alldays nackten Rücken.»Aber gemacht muß es werden!»

Pünktlich auf die Minute kam Vizeadmiral Sir Robert Napier das Fallreep der Phalarope herauf und zog den Hut, um die Ehrenbezeigungen entgegenzunehmen. Als das Trillern der Pfeifen verklang und die Ehrenwache der Marinesoldaten präsentierte, schlug der kleine Trommler der Fregatte, begleitet von zwei Pfeifen, dünn aber flott einen Marsch, und nach einem letzten Blick über das Oberdeck trat Bolitho vor, um den Admiral zu begrüßen.

Sir Robert nickte den versammelten Offizieren knapp zu, und während die Seesoldaten ihre Gewehre auf das Deck stießen, inspizierte er, Rennie und Kapitän Cope von der Cassius in gehörigem Abstand hinter sich, kurz und genau die angetretene Wache.

Aus dem Profil des Admirals versuchte Bolitho die Stimmung seines Gastes zu erkennen und den wahren Grund für diesen Besuch zu entdecken, aber Sir Robert Napiers verkniffenes Gesicht blieb sphinxgleich und unbewegt, wenn er gelegentlich Fragen abfeuerte oder zu Rennie etwas über die Haltung der Marinesoldaten bemerkte. Am Ende der Doppelreihe blieb er stehen und musterte das Hauptdeck.»Sie halten Ihr Schiff in Ordnung, Bolitho. «Aus dem trockenen Ton ließ sich nichts heraushören, weder Lob noch Tadel.

«Danke, Sir. «Bolitho wäre lieber mit dem Admiral allein in der großen Heckkajüte des Flaggschiffs gewesen. Dort hätte er mit allem fertigwerden können, was Sir Robert vorbrachte. Unter den jetzigen Umständen mußte jede Bemerkung formell und abgewogen sein. Er sah sich unsicher und gereizt um. Nun, was der Admiral auch von der Phalarope dachte, er selber war mit ihrem Aussehen zufrieden. Lange bevor ein Kurier über die

Aktivität an Bord des Flaggschiffs berichtet hatte und die Offiziersbarkasse längsseits kam, hatte Bolitho das ganze Schiff inspiziert, um absolut sicher zu sein, daß Sir Robert zumindest am Äußeren nichts auszusetzen fand.

Die Besatzung war angetreten, jedes Auge richtete sich auf die kleine, goldbetreßte Gestalt im Heck der Barkasse. Und jetzt, während der Admiral schweigend und nachdenklich dastand, herrschte eine Atmosphäre nervöser Erwartung, die sogar die Pfeifen und die Trommel auf dem Achterdeck nicht verdecken konnten.

«Sie können die Männer wegtreten lassen, Bolitho.»

Auf das Signal hin spritzten die Leute vom Hauptdeck, und die Marinesoldaten machten kehrt und verschwanden ebenfalls.

«Ich habe Ihren Bericht gelesen, Bolitho. Er enthält eine Menge. «Seine kühlen Augen flogen über Bolithos Gesicht, in dem sich kein Muskel regte.»Besonders hat mich der Teil über den Kapitän der Andiron interessiert. «Er bemerkte, daß Bolitho sich versteifte, und fuhr gelassen fort:»Nun, ich wußte vorher, um wen es sich handelte, aber ich hielt es trotzdem für das Beste, daß Sie die Aufgabe übernahmen. «Er zog die Schultern hoch, was ihm unter der schweren Uniform nicht leicht fiel.»Natürlich wußte ich nicht, daß Sie bereits sein Gefangener waren.»

«Und wenn Sie es gewußt hätten, Sir?«Bolitho bemühte sich, keine Erregung mitklingen zu lassen.

«Ich bin mir nicht sicher. Ihr Erster Offizier ist anscheinend in vieler Hinsicht ein fähiger Mann, aber ich fürchte, er wird immer zu jenen gehören, die Befehle brauchen. Ein geborener Untergebener.»

Aus dem Augenwinkel sah Bolitho, wie seine Offiziere Kapitän Cope nach unten geleiteten, und er wartete darauf, daß der Admiral fortfuhr. Er brauchte nicht lange zu warten.

«Die Andiron ist ausgeschaltet. Schon allein ihre Existenz war eine Herausforderung und Beleidigung für die ganze Flotte. Ich habe meine Ansicht über die Angelegenheit dem Oberbefehlshaber übermittelt und zweifle nicht, daß Ihre Verdienste gebührende Anerkennung finden werden. «Er blickte Bolitho fest an.»Gleichviel, die Tatsache, daß Ihr Bruder sie einst kommandiert hat und anscheinend noch am Leben ist, mag hier und da als eine Art stillschweigender Übereinkunft angesehen werden. «Er trat an die Reling und blickte zur Cassius hinüber.»Ich selbst sehe es nicht so, Bolitho. Ich übertrug Ihnen die Aufgabe nicht trotz, sondern wegen des Kapitäns der Andiron. Sie und Ihr Schiff haben sich gut gehalten. Ich habe das auch Sir George Rodney gegenüber betont. «Dann ließ er langsam die Worte folgen:»Doch wenn Ihr Bruder umgekommen wäre, wäre es für alle Beteiligten besser gewesen.«»Ich glaube, ich verstehe, Sir.»

«Natürlich verstehen Sie. «Die alte Gereiztheit des Admirals brach durch.»Tot sein, heißt vergessen sein. Fangen wir ihn, wird ihn nichts retten. Wir werden ihn öffentlich vor Gericht stellen und aufknüpfen. Und ich denke, Ihnen ist klar, daß solche Schande auf die ganze Familie fällt.»

«Ja, Sir.»

«Nun, genug davon. Sie haben Ihre Befehle ausgeführt, so gut Sie konnten. Das muß für den Augenblick genügen. Darüber hinaus haben Sie die Absichten des Feindes erkundet. Wenn die Meldung darüber zutrifft, wird das sehr zu Ihren Gunsten sprechen. «Er blickte zu der schwach schlagenden Flagge hinauf und murmelte:»Im Augenblick könnten wir ein bißchen Glück gut gebrauchen.»

Sir Robert schwieg, während Bolitho ihn in die Kapitänskajüte führte, wo die zehn Offiziere bereits versammelt waren. Sie saßen so dicht gedrängt um den in ganzer Länge ausgezogenen Tisch, daß keine Stecknadel zu Boden fallen konnte, und Bolitho fragte sich wieder, warum der Admiral sich herbemüht und dem vergleichsweisen Luxus seines eigenen Quartiers zeitweilig den Rücken gekehrt hatte. Die Offiziere erhoben sich und sanken erwartungsvoll auf ihre Stühle zurück, nachdem der Admiral und Bolitho sich zum Kopf des Tisches durchgezwängt hatten.

Zum ersten Mal, daß ich mit allen meinen Offizieren esse, ging es Bolitho durch den Sinn. Während Atwell und zwei eiligst abkommandierte Messeordonnanzen aufzutragen begann, sah er von einem zum anderen. Die vertrauten Gesichter wirkten verändert. Alle sahen irgendwie fremd und verlegen aus. Neben seinen Leutnants und Hauptmann Rennie waren auch die drei Fähnriche anwesend. Die Unteroffiziere waren durch Steuermann Proby und den Arzt Tobias Ellice vertreten, die beide, den Blick auf ihre Teller gerichtet, steif und unbehaglich dasaßen.

Der Admiral verhielt sich noch immer formell. Man aß in fast völligem Schweigen. Doch mit den Speisen kam der Wein, ausgeschenkt vom persönlichen Steward des Admirals, einem großen, hochmütigen Mann in scharlachfarbenem Rock. Zu diesem Zeitpunkt fing Bolitho an, die Absicht des Admirals zu begreifen. Denn zusammen mit der Spannung und der ungewohnt reichhaltigen und ausgezeichneten Mahlzeit tat der Wein bald seine Wirkung. Und als Bolitho bemerkte, daß der Admiral kaum etwas aß und an seinem Wein nur nippte, war ihm alles klar.

Die Stimmen wurden lauter, und indes Sir Robert stumm an Bolithos Seite saß, fingen die Offiziere an, freier zu reden. Bolitho war sich nicht klar darüber, was er stärker empfand, Ärger oder Bewunderung. Dem Admiral reichte der nackte Bericht, wie präzise auch immer, nicht aus. Er wollte mit eigenen Ohren hören, was sich abgespielt hatte, und zwar von den Leuten, die ihm bis dahin nur durch Bolithos Feder bekannt gewesen waren. Bolitho spürte, daß seine Anspannung etwas nachließ. Denn ob nun gut oder böse, gegen die verschlagenen Methoden des Admirals konnte er jetzt nichts mehr ausrichten.

Langsam entfaltete sich die Geschichte. Jede Phase kam zur Sprache und wurde von einem anderen Offizier beleuchtet. Die Attacke auf die Insel Mola und die Einnahme der Batterie. Die zungenfertigen Offiziere sprachen über den Plan in seiner Gesamtheit, die weniger beredten gaben sich damit zufrieden, die Einzelheiten des Bildes auszumalen. In einigen Beiträgen kam auch der Humor zu seinem Recht, etwa in der Geschichte des Steuermannsmaats Parker, der bei dem Angriff auf die Andiron die Jolle befehligt hatte. Die hochgehende See hatte ihn von den anderen Booten getrennt. Nicht nur, daß er zur Phalarope zurückkehren mußte, nein, um sein Mißbehagen noch zu steigern, wurde er vom Schiff durch Gewehrfeuer wachsamer Seesoldaten begrüßt. Und Humor lag auch in der Geschichte, wie Hauptmann Rennie den Rückzug von der Insel leitete, den Degen in der einen, eine halbe Geflügelpastete in der anderen Hand.

Doch bei solchen Erinnerungen blieb es nicht, denn Sir Robert fragte plötzlich scharf:»Und Sie, Mr. Farquhar, wurden mit dem spanischen Gefangenen zurückgelassen?»

Farquhar sah ihn wachsam an, und einen Augenblick kehrte die Spannung an den eng besetzten Tisch zurück. Doch Farquhar verlor nicht den Kopf. Selbst die wohlbekannte Tatsache, daß Sir Robert gewöhnlich niemanden unter Leutnantsrang anredete, brachte ihn nicht aus der Fassung.

«Ja, Sir. Ich stieß zum Kapitän, und wir gerieten zusammen in Gefangenschaft.»

Der Admiral wandte sich Okes zu, der bisher beinahe stumm dagesessen hatte.»Ihr Teil bei diesem Unternehmen hat Sie offenbar sehr in Atem gehalten, Mr. Okes?»

Der Leutnant blickte bestürzt hoch.»Hm, ja, Sir. Ich tat, was ich tun mußte. Es gab keinen anderen Weg.»

Sir Robert nippte an seinem Wein und musterte ihn kühl.»Für einen so ruhmreichen Offizier sind Sie außerordentlich zurückhaltend, Mr. Okes. Ein bißchen Bescheidenheit ist immer willkommen, aber nicht, wenn sie wie Schuld wirkt. «Seine kalten Augen lagen noch ein paar Sekunden auf Okes' bleichem Gesicht, dann lachte er. Ein humorloses Lachen, doch es half, das plötzliche und unbehagliche Schweigen zu brechen.

«Und Sie, Mr. Herrick?«Der Admiral beugte sich vor und blickte an seinem Kapitän vorbei über den Tisch.»Ihre Heldentaten bei Nevis scheinen ein wenig vom Zufall begünstigt gewesen zu sein. Aber dennoch erreichten Sie ohne Zweifel Ihr Ziel.»

Herrick grinste breit.»Kapitän Bolitho hat mich bereits auf die Fallgruben des Glücks hingewiesen, Sir.»

«So, in der Tat?«Der Admiral zog leicht die Brauen hoch.»Bin erfreut, es zu hören.»

Und so ging es in der gleichen Art weiter. Der Admiral fragte und hörte zu. Und falls das zu nichts führte, provozierte er den unglücklichen Offizier offen zu einer erregten und unbedachten Antwort. Der Treuetrinkspruch wurde von dem jüngsten anwesenden Offizier ausgebracht. Fähnrich Neale, auf der einen Seite von Proby, auf der anderen von Ellice überragt, quiekte:»Gentlemen, auf den König!«Danach lief er rot an und verfiel wieder in Schweigen.

Bolitho bemerkte, daß sich die rechte Hand des Admirals wie eine Klaue um das Glas klammerte. Der Admiral sah seinen Blick und sagte verdrossen:»Verdammter Rheumatismus. Habe ihn seit Jahren.»

Plötzlich schätzte Bolitho den Mann an seiner Seite. Nicht den Admiral mit seinen kleinlichen Schwächen und dem ungerechten Gebrauch von Vorrecht und Rang, sondern einfach den Mann. Er war alt, wahrscheinlich in den Sechzigern, und soviel Bolitho wußte, hatte er in den letzten zehn Jahren den Fuß nicht länger als ein paar Tage an Land gesetzt. Er hatte seine Flagge auf vielen Schiffen wehen lassen und sich mit Problemen und Strategien beschäftigt, die Bolitho sich nur undeutlich vorstellen konnte.

Der Admiral sah ihn fest an.»Fragen Sie sich noch immer, warum ich gekommen bin, Bolitho?«Er wartete eine Antwort nicht ab.»Vor vielen Jahren habe ich selber eine Fregatte befehligt. Das war meine schönste Zeit, der Einsatz nicht so hoch. «Das Gesicht verschloß sich wieder.»Ich bin hergekommen, weil ich sehen wollte, was Sie aus diesem Schiff gemacht haben. «Er faßte sich ans Kinn, als suche er nach einem Weg, ein Kompliment zu umgehen.»Was ich sehe, mißfällt mir nicht gänzlich. «Er sprach so leise, daß die von neuem erwachte Unterhaltung seine Worte fast verschluckte.»Die Mehrzahl Ihrer Offiziere scheint Sie sehr zu achten. Ich weiß aus Erfahrung, wie schwer Achtung zu erringen ist.»

Bolitho lächelte dünn.»Danke, Sir.»

«Ich schätze es, die Männer zu kennen, die unter meinem Kommando stehen. Sehe ich ein Segel am Horizont, interessiert mich nicht die Zahl der Kanonen und der Zustand des Anstrichs. Mir liegt daran, den Geist des Mannes zu kennen, der das Schiff kommandiert, verstehen Sie?«Er starrte über die Köpfe der Offiziere hinweg.»England kämpft um sein Leben. Zur Zeit führen wir einen Verteidigungskrieg. Der Angriff kommt später, vielleicht erst nach Jahren, wenn ich tot und begraben bin. Doch bis dahin ist England auf seine Schiffe angewiesen, vielleicht nur auf ein paar hundert Schiffe, die voll einsatzfähig sind. «Er klopfte auf den Tisch, so daß die anderen verstummten und sich ihm zuwandten, um zuzuhören.»Und diese Schiffe hängen von ihren Kapitänen ab.»

Bolitho wollte etwas einwerfen, doch der Admiral sagte gereizt:»Lassen Sie mich ausreden. Ich kenne jetzt Ihren Ruf. Sie sind in vieler Hinsicht ein Idealist. Sie hoffen auf bessere Bedingungen für Ihre Leute, so daß Sie auf See eine ehrenhafte Karriere machen können. «Er unterstrich seine Worte durch den erhobenen Zeigefinger.»Als ich jünger war, hatte ich auch solche Illusionen, und mehr noch. Aber der ist ein guter Kapitän, der die Schwierigkeiten nimmt, wie sie kommen, und dennoch ein tüchtiges Schiff führt, ein Schiff, das Ehre und Lob verdient. «Seine Augen wanderten von einem zum anderen.»Nun, meine Herren, bin ich verstanden worden?»

Bolitho folgte dem Blick des Admirals: Vibart, rot angelaufen, ohne jedes Lächeln. Herrick, vom voraufgegangenen Sarkasmus des Admirals unberührt, grinste noch immer. Rennie, steif aufgerichtet, aber mit völlig glasigen Augen, die nichts mehr wahrnahmen. Old Daniel Proby, verlegen, in solcher illustren Gesellschaft zu sein, doch plötzlich mit einem Ausdruck von Stolz auf dem Gesicht, als hätte er eine tiefere Bedeutung aus den Worten des Admirals herausgehört. Und Ellice, der Arzt, der seit Beginn der Mahlzeit unaufhörlich getrunken hatte. Bolitho bemitleidete Ellice. Schlecht bezahlt wie alle Schiffsärzte. Kein Wunder, wenn er eher Schlächter denn Arzt war. Ein Wettlauf, doch wer würde gewinnen, der Alkohol oder ein tödlicher Irrtum? Es war lediglich eine Frage der Zeit. Okes litt noch immer unter der scharfen Einschätzung des halbvergessenen Angriffs auf die Insel. Bolitho bemerkte, daß Okes immer wieder verstohlen und verzweifelt zu Farquhar hinübersah, der im Vergleich zu ihm ruhig und teilnahmslos wirkte und in Gedanken vielleicht weit weg war. Möglicherweise wieder unter der in die Luft gejagten Brücke, wo ihn der Mann, der ihn jetzt immer wieder ansah, zurückgelassen und damit dem Tod ausgesetzt hatte. Die Tatsache, daß Farquhar darüber keine Bemerkung gemacht hatte, mußte Okes mehr als alles andere mit Sorge erfüllen.

Und die beiden anderen Fähnriche, Maynard und Neale? Sie waren erregt, ohne aber das mitzubekommen, was hinter den Gesprächen und Gedanken lag. Bolitho sah plötzlich sehr klar, welche Verantwortung er für sie alle trug.

Der Admiral stand auf und hob sein Glas.»Ein Trinkspruch!«Seine blassen Augen blitzten.»Tod den Franzosen!»

Alle hoben ihr Glas, und die Stimmen ratterten die Antwort heraus:»Und Verderben unseren Feinden!»

«Zeit aufzubrechen, Cope«, sagte der Admiral zu seinem Kapitän.

Bolitho folgte ihm zum Oberdeck. Er hörte nur halb auf die hastenden Füße und das Knarren der Riemen längsseits. Bolitho wußte, daß das Schlimmste vorbei war. Die Phalarope war endlich frei von Schande.

Er lüftete den Hut, als der Admiral zum Fallreep schritt, und wartete, bis er in der Barkasse verschwunden war. Dann setzte er den Hut mit einem Ruck wieder auf und begann, die Hände auf dem Rücken verschränkt, auf dem verlassenen Achterdeck auf und ab zu gehen.

Der Admiral hatte außerdem auf seine Weise klargestellt, daß es die Aufgabe des Kapitäns war, das Schiff weiterhin frei von Schande zu halten. Er blickte zu den Ankerlaternen, deren Schein auf dem Wasser tanzten, und lauschte dem klagenden Kratzen einer Violine und dem wehmütigen Klang eines alten Shantys. Solange die Männer noch singen, dachte er, ist Hoffnung für uns alle.

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