Die Mannschaft der Gig pullte mit gleichmäßigem Schlag auf die steinerne Anlegestelle zu. Die Männer waren erleichtert, als Stockdale den Befehl» Riemen ein «knurrte, und der Bugsgast mit dem Bootshaken nach einem Ringbolzen angelte.
Bolithos Blick ging zur Fregatte zurück. Die Phalarope lag in der Falmouth Bay sicher vor Anker. Ihr glatter Umriß hob sich schwarz und scharf gegen die See und die Sonne ab, die schließlich doch durch die treibenden Wolkenfetzen gebrochen war. Das Schiff hatte sich der Landspitze nur langsam genähert, und er hegte keinerlei Zweifel, daß seine Anwesenheit längst gemeldet worden war und jeder gesunde Mann der Stadt die rechtzeitige Warnung genutzt hatte, um vor dem gefürchteten Preßkommando zu fliehen.
Leutnant Thomas Herrick saß stumm neben ihm. Er hatte sich in seinen Mantel gehüllt und spähte zu den regennassen Bergen hinter der Stadt und auf die grauen Mauern der Zitadelle oberhalb Carrick Roads. In der Geborgenheit der Reede lagen mehrere kleine Schiffe vor Anker. Küstenfahrzeuge und dickbäuchige Fischerboote erfreuten sich des Schutzes, den dieser Ankerplatz bot.
«Ein Spaziergang wird uns guttun, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Könnte für eine Weile die letzte Möglichkeit dazu sein. «Er stieg steif aus dem Boot und wartete, bis Herrick ihm die ausgetretenen Stufen hinauf gefolgt war. Ein alter Seemann mit grauem Bart rief:»Willkommen, Kapitän. Feines Schiff, das Sie da draußen haben.»
Bolitho nickte. Er stammte selbst aus Cornwall, war in Falmouth geboren. Daher wußte er nur zu gut, daß kein jüngerer Mann es wagen würde, sich hier aufzubauen und einem Offizier des Königs mit müßigen Bemerkungen zu kommen. Fregatten waren zu beschäftigt, um einen Hafen anzulaufen, es sei denn, sie wollten Leute ausheben. Genau das hatte Vibart geltend gemacht, während die Phalarope mit im Wind donnernden Segeln durch die Nacht schoß. Doch als Bolitho seinen Plan darlegte, schwieg sogar er.
In seiner Jugend hatte Bolitho häufig Kriegsschiffe in die Bucht einlaufen sehen. Und er hatte gehört, wie die Nachricht durch die engen Straßen gerufen wurde. Wie ein Alarmsignal ging der Ruf von einem Haus zum anderen. Die jungen Männer warfen dann ihre Arbeit hin, verabschiedeten sich hastig von ihren Familien und Freunden und zogen sich in die Sicherheit der Berge zurück. Von dort konnten sie alles beobachten und warten, bis das Schiff wieder Segel setzte und unter dem Horizont verschwand.
Über die Hügel lief eine schlechte Küstenstraße von Falmouth in nordöstlicher Richtung nach Gerrans Bay und St. Austell. Kein Preßkommando würde sich die Mühe machen, die Leute bis dort zu verfolgen. Die Männer der Preßkommandos wußten nur zu gut, daß sie durch ihre Waffen so behindert waren, daß alle Anstrengungen vergeblich bleiben mußten. So konzentrierten sie sich auf die wenigen Leute, die langsam oder dumm genug waren, den Männern des Königs einen leichten Fang zu erlauben.
In pechschwarzer Nacht hatte Bolitho das Schiff unter Land gebracht und beigedreht, wobei es durch den steifen Wind und die schnelle ablandige Strömung gefährlich krängte. Old Proby hatte zuerst gezweifelt, dann aber seine Bewunderung offen gezeigt. Hier gab es keine Leuchtfeuer, und bis auf einen nebelhaften Schatten bewies nichts, daß Bolitho genau den Punkt unterhalb Gerrans Bay getroffen hatte, an dem die Karte einen winzigen, halbmondförmigen Streifen Strand auswies.
Bald nachdem Portsmouth hinter ihnen lag, war ein Landungskommando zusammengestellt worden. Die ausgewählten Leute, deren Gesichter im Licht einer Blendlaterne bleich schimmerten, hatten unterhalb des Achterdecks Bolithos Instruktionen entgegengenommen.
«Ich setze euch in zwei Kuttern an Land. Es werden zwei Gruppen gebildet. Mr. Vibart und Mr. Maynard führen die eine, und Mr. Farquhar führt die andere. «Bolitho suchte das ernste Gesicht von Brock, dem ersten Stückmeister.»Mr. Brock gehört ebenfalls zur zweiten Gruppe. «Sich selbst überlassen, wäre Farquhar womöglich zu draufgängerisch. Brocks Erfahrung würde ein guter Ausgleich sein.
«Wie ich Falmouth kenne, werden sich die Männer, hinter denen wir her sind, so schnell wie möglich über die Küstenstraße davongemacht haben. Wenn die beiden Kommandos auf der Straße von Pendower Beach herauf ein gutes Marschtempo vorlegen, werden ihnen die Leute direkt in die Arme laufen. Das macht uns die Auswahl leichter, denke ich. «Bolitho bemerkte, daß Brock anerkennend nickte.»Die Boote kehren zum Schiff zurück, und die Kommandos marschieren mit den Leuten direkt nach Falmouth. «Einige Männer seufzten, und Bolitho fügte ruhig hinzu:»Es sind nur fünf Meilen. Immer noch besser, als für nichts und wieder nichts die ganze Stadt zu durchkämmen.»
So hatten seine Befehle gelautet. Und jetzt ging er mit Herrick die ansteigende Straße zu den sauberen Häusern hinauf, wobei er auf dem Kopfsteinpflaster, an das er sich so gut erinnerte, ab und zu ausglitt. Zu diesem Zeitpunkt mußte Vibart bereits einige Leute aufgebracht haben. Wenn das nicht der Fall war, wenn ihm, Bolitho, eine Fehlkalkulation unterlaufen war, würde das die Spannungen auf der Phalarope nur noch steigern.
Leutnant Okes war an Bord geblieben. Bis zu Bolithos Rückkehr trug er die Verantwortung für das Schiff; Hauptmann Rennies Seesoldaten sollten in der Lage sein, jeden aufzuhalten, der noch immer zu desertieren hoffte. Selbst ein Verzweifelter würde es sich zweimal überlegen, bei der bewegten See von der Fregatte bis zum Land zu schwimmen.
Er sah Herrick flüchtig an.»Sie sind zwei Jahre an Bord, glaube ich?«fragte er unvermittelt. Herricks Blick wurde sofort mißtrauisch. Der Leutnant hatte ein offenes, angenehmes Gesicht, und doch verriet es von einer Sekunde zur anderen jene Zurückhaltung und Vorsicht, welche die Haltung der ganzen Besatzung kennzeichnete.»Dem Logbuch nach waren Sie Wachoffizier, als die Unruhe ausbrach?»
Herrick preßte die Lippen zusammen.»Ja, Sir. Wir kreuzten von Lorient herauf. Es war während der Mittelwache und ruhig für die Jahreszeit.»
Bolitho bemerkte Herricks Unsicherheit und spürte einen Anflug von Mitleid. Es war nicht einfach, der Dritte Offizier eines Kriegsschiffs zu sein. Ohne Glück oder Einfluß wurde man nur schwer und langsam befördert. Er erinnerte sich an seine erste Chance. Wie leicht hätte alles anders kommen können, aber mehrere glückliche Zufälle trafen zusammen. Zur Zeit der amerikanischen Rebellion fuhr er als Leutnant auf einem Linien- schiff. Man übertrug ihm das Prisenkommando einer gekaperten Brigg. Während er nach Antigua segelte, stieß er auf einen Freibeuter. Er täuschte den gegnerischen Kapitän, der die Brigg noch immer für einen Verbündeten hielt. Seine Leute enterten das Schiff, ein schneller und wilder Waffengang, und die Prise war sein. Bei der Ankunft in Antigua hieß ihn der Oberbefehlshaber wie einen Helden willkommen, denn Siege waren selten, Niederlagen hingegen nur zu häufig.
So übertrug man ihm mit zweiundzwanzig Jahren des Kommando der Sparrow. Wieder war Glück im Spiel. Der Kapitän der Korvette war an Fieber gestorben, und ihr Erster Leutnant war für den begehrten Posten zu jung gewesen.
Er unterdrückte die aufkeimende Teilnahme.»Wie viele Männer waren an der Meuterei beteiligt?»
«Nicht mehr als zehn«, antwortete Herrick bitter.»Sie versuchten, einen Matrosen namens Fisher zu befreien. Kapitän
Pomfret hatte ihn am Tag zuvor wegen Insubordination auspeitschen lassen, weil er sich über das schlechte Essen beschwerte.»
Bolitho nickte.»Das ist nicht ungewöhnlich.»
«Aber dem Kapitän reichte es noch nicht. «Herricks Worte überschlugen sich jetzt.»Er ließ ihn an den Bugspriet binden, ohne dem Wundarzt zu erlauben, den Rücken des Mannes zu behandeln. «Herrick schauderte zusammen.»Es geschah in der Biskaya, die Takelage war vereist, aber er ließ den Mann, der nur noch ein Klumpen blutiges Fleisch war, da draußen festgebunden hängen. «Herrick gewann mit Mühe die Fassung zurück und murmelte:»Entschuldigen Sie, Sir, aber es steht mir noch immer vor Augen.»
Bolitho dachte an Pomfrets glatte, nüchterne Eintragung im Logbuch. Danach waren die aufbegehrenden Seeleute aufs Achterdeck gedrungen und hatten den Steuermann und den Steuermannsmaat überwältigt. Nur Herrick, der offensichtlich die Beschwerden als berechtigt ansah, stand zwischen ihnen und einer totalen Meuterei. Auf irgendeine Weise war es ihm gelungen, sie zu beschwichtigen. Er befahl ihnen, aufs Vorderdeck zurückzugehen, und sie gehorchten, weil sie ihm vertrauten. Am folgenden Tag brach Pomfrets Rache über das Schiff herein, eine Woge von Grausamkeit. Zwanzig Leute wurden ausgepeitscht, zwei gehenkt. Pomfret wartete damit nicht, bis die Phalarope wieder Anschluß an das Geschwader gewann, wo ein Vorgesetzter den Fall zu beurteilen gehabt hätte. Herricks Bitterkeit war offenbar begründet. Oder doch nicht? Formal gesehen, hatte Pomfret recht gehandelt. Herrick hätte die drohende Gefahr vorhersehen und auf die Meuterer schießen lassen müssen. Er hätte die Achterwache rufen, ja, falls notwendig, sein Leben einsetzen müssen. Bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn Herrick ebenfalls überwältigt worden wäre, während er mit den aufgebrachten Seeleuten verhandelte, überlief Bolitho ein Schauder. Die schlafenden Offiziere wären abgeschlachtet worden, und auf dem Schiff wäre, mitten im feindlichen Gewässer, das Chaos ausgebrochen.
«Und später, als Sie vor Brest zur Flotte stießen und es mit den französischen Schiffen zum Kampf kam, warum hat da die Phalarope nicht eingegriffen?»
Wieder gaben Herricks Züge seine Gemütsbewegungen preis, seine Unsicherheit und seinen Zorn. Und da ging Bolitho ein Licht auf. Herrick fürchtete ihn beinahe ebensosehr, wie er Pomfret gefürchtet hatte. Bolitho war der Kapitän, er hatte das Schiff übernommen, auf dem Herricks Elend wie ein Gespenst zwischen den Decks hin und her glitt. Daher sagte er verhalten:»Ich nehme an, daß die Mannschaft auf ihre Art protestierte?»
Herrick ließ das Kinn in die Halsbinde sinken.»Ja, Sir. Sie leistete passiven Widerstand. Segel wurden schlecht gesetzt. Die Geschützbedienungen reagierten langsam. «Herrick lachte böse.»Aber sie hätten es sich sparen können. «Er blickte Bolitho von der Seite her an, in seinen Augen funkelte flüchtig Trotz auf.»Pomfret mied sowieso den Kampf, wenn es sich einrichten ließ.»
Bolitho blickte beiseite. Was bist du für ein Narr, Dick, dachte er ärgerlich. Du hast diesem Mann gestattet, wie ein Verschwörer zu reden. Du solltest ihm Schweigen gebieten, jetzt, ehe jemand an Bord weiß, daß du ohne geringsten Widerspruch eine offene Kritik an Kapitän Pomfret hingenommen hast.
«Wenn Sie ein eigenes Kommando haben«, sagte er ruhig,»werden Sie anders denken, Herrick. Die richtige Handlungsweise ist nicht immer die leichteste. «Er erinnerte sich an Vibarts Feindseligkeit und fragte sich, was der Erste während der Meuterei getan hatte.»Ich weiß, daß sich jeder Offizier die Ergebenheit seiner Männer erst verdienen muß. «Sein Ton wurde schärfer.»Aber ein Kapitän hat das Recht auf die Ergebenheit seiner Offiziere. Habe ich mich klar ausgedrückt?»
Herrick sah starr geradeaus.»Aye, aye, Sir. «Er war von neuem auf der Hut, hatte seine Züge wieder unter Kontrolle, und sein Gesicht trug einen versteinerten Ausdruck.
Bolitho blieb unterhalb der Kirche stehen und sah die an der Kirchhofsmauer entlangführende, ihm wohlbekannte Straße hinauf. An ihrem oberen Ende erhob sich, rechteckig und wenig einladend, das Haus der Bolithos. Der vertraute graue Stein war so dauerhaft wie seine Erinnerungen an die Heimat.
Er stand da, sah zu dem Haus hinauf und war plötzlich so nervös wie ein Eindringling. Er sagte:»Machen Sie weiter, Mr. Herrick. Suchen Sie den Offizier des Flottenproviantamtes auf. Sehen Sie zu, daß so viel frische Eier und Butter, wie Sie nur bekommen können, aufs Schiff geschickt werden. «Herrick musterte das große Haus nachdenklich.»Ihr Heim,
Sir?»
«Ja. «Bolitho begann, Herrick in einem anderen Licht zu sehen. Hier auf der regennassen Straße, nicht verankert in der Disziplin der Fregatte, wirkte Herrick fast hilflos. Bolitho hatte die Mannschaftspapiere aufmerksam studiert. Daher wußte er, daß Herrick aus Kent stammte, Sohn einer armen Familie der Mittelklasse war. Sein Vater war Angestellter. Aus diesem Grunde würde er nicht über irgendwelchen Einfluß verfügen, wenn er ihn am dringendsten brauchte. Und wenn er sich im Kampf nicht sehr auszeichnete, waren seine Beförderungsaussichten gering.
Doch der Anblick seines Vaterhauses, das Durcheinander seiner Meinungen und Gedanken reizten ihn, und er sagte kurz:»Würden Sie, wenn alles erledigt ist, vielleicht noch ein Glas Wein mit mir trinken, bevor wir segeln, Mr. Herrick?«Er deutete die Straße hinauf.»Mein Vater wird Sie gern willkommen heißen.»
Herrick öffnete den Mund, doch die Ablehnung blieb ihm im Halse stecken. Er zupfte an seinem Gürtel und sagte verlegen:»Danke, Sir!«Er führte die Hand an den Hut, als sich Bolitho abwandte und zum Haus hinaufging.
Er rührte sich nicht, bis Bolitho das Tor erreicht hatte. Dann ging er, das Kinn auf die Brust gesenkt und die Stirn tief gefurcht, auf die Zitadelle zu.
Leutnant Giles Vibart fluchte, als er auf den losen Steinen ausrutschte und ein Matrose gegen ihn prallte. Die graue Morgendämmerung ließ erkennen, was der Nachtwind angerichtet hatte. Das lange Gras und der Stechginster lagen an die Erde gedrückt und glänzten vor Nässe. Er tastete nach seiner Uhr und hob dann die Hand.
«Wir machen einen Augenblick halt. «Er hörte, daß sein Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wurde, und wartete, bis die Leute sich neben dem holprigen Pfad niedergelassen hatten, ehe er sich den beiden Fähnrichen und dem Stückmeister zuwandte.
«Lassen wir den Faulpelzen zehn Minuten zum Ausruhen. Dann marschieren wir weiter. «Er blickte sich um, als ein schwacher Sonnenstrahl seine Wange traf.»Sie gehen mit Ihrer Gruppe landeinwärts, Mr. Farquhar, um etwaigen Nachzüglern den Rückweg abzuschneiden.»
Farquhar zuckte mit den Schultern und stieß nach einem Stein.»Und wenn niemand kommt, Sir?»
Vibart fuhr ihn an:»Tun Sie, was Ihnen befohlen wird!»
Maynard, der andere Fähnrich, schob seinen Dolch zurecht und musterte besorgt die lagernden Seeleute.»Hoffentlich desertiert keiner von ihnen. Das würde dem Kapitän wenig behagen.»
Der Stückmeister grinste träge:»Ich hab sie selber ausgewählt. Alles alte Teerjacken. «Er riß einen Grashalm aus und kaute darauf herum.»Alles gepreßte Leute. Für einen solchen Auftrag sind sie viel besser geeignet als Freiwillige.»
Vibart nickte.»Völlig richtig, Mr. Brock. Kein Matrose schätzt den Gedanken, daß es anderen besser gehen soll als ihm selbst.»
Brock runzelte die Stirn.»Und warum auch? Es wäre ungerecht, von der Flotte zu erwarten, daß sie blutige Seeschlachten schlagen und das Land vor den Froschfressern bewahren soll, ohne daß diese faulen und verwöhnten Zivilisten dabei mithelfen! Sie scheffeln Geld und leben glücklich und zufrieden mit ihren Frauen, während wir die harte Arbeit erledigen. «Er spie den Grashalm aus.»Zur Hölle mit ihnen, das ist meine Meinung.»
Vibart ging zum Rand der Klippe und sah zu dem felsigen Strand hinunter. Der Wind pfiff durch das verfilzte Gras, und er mußte von neuem daran denken, wie die Fregatte durch die Nacht gestürmt war. So wäre Pomfret nie gesegelt. Pomfret schätzte ein seetüchtiges Schiff, das schon. Aber er betrachtete es doch mehr als ein Besitztum, denn als Waffe. Pomfret saß in seiner prächtig ausstaffierten Kajüte, schlürfte seinen Lieblingswein und schwelgte in gutem Essen, während er, Vibart, das Schiff führte und alle seemännische Arbeit verrichtete, zu der der Kapitän nicht imstande war. Ruhelos trat er von einem Fuß auf den anderen, während ihm die Galle hochstieg und er voller Wut an die Ungerechtigkeit dachte, die ihm widerfahren war.
Was hatte Pomfret ihm nicht alles versprochen! Ein Wort am richtigen Ort, und sein Erster Leutnant würde befördert werden. Bis dahin brauche Vibart nichts anderes zu tun, als das Schiff richtig zu führen und die Disziplin aufrechtzuerhalten. Er, Pomfret, würde dann alles Weitere regeln.
Der Kapitän war an Prisengeld nicht interessiert. Er war reich, weit über Vibarts Vorstellung hinaus. Und auch Ruhm war ihm gleichgültig. Ja, seine Unfähigkeit hielt seiner Feigheit die Waage. Vibart hatte Pomfrets Schwächen überdecken und seine Leidenschaften lenken können — bis auf eine. Wie viele Feiglinge, war Pomfret brutal und sadistisch. Harte Disziplin betrachtete Vibart als Notwendigkeit, aber sinnlose Grausamkeit schien ihm zwecklos.
Doch Vibart war nur Leutnant, ein Leutnant von schon dreiunddreißig Jahren. Die meisten Offiziere waren bereits als Knaben zur Marine gekommen, er nicht. Aber seine Laufbahn war nicht weniger hart gewesen. Auf Handelsschiffen hatte er die ganze Welt umsegelt. Die letzten drei Jahre war er als Erster gefahren, auf einem Sklavenschiff. Dort hatte er schnell begriffen, daß sinnlose Brutalität sich nicht auszahlte, wenn man am Ende der Fahrt die Laderäume nicht voll nutzloser Leichen haben wollte.
Vibart drehte sich verärgert um und rief:» Auf, es geht weiter!«Aus brütenden Augen verfolgte er, wie die Männer nach ihren Waffen griffen und den Pfad entlangtrotteten, während dieser arrogante junge Esel Farquhar über den Hügel hinauf ins Binnenland abzog. Typisch, schoß es Vibart durch den Kopf: achtzehn Jahre alt, verwöhnt und von guter Abkunft. Und ein einflußreicher Admiral wachte über sein Fortkommen wie ein Kindermädchen. Sein Blick ruhte flüchtig auf dem schmächtigen Maynard.»Halten Sie nicht Maulaffen feil! Setzen Sie sich an die Spitze der Abteilung!»
Nun, trotz ihres Vorsprungs an Herkommen und Einfluß hatte er es ihnen gezeigt. Der Gedanke daran wärmte sein Inneres wie Rum. Ihm war seinerzeit schnell klargeworden, daß es gegen Pomfrets Schwächen keine Abhilfe gab. Und nicht weniger gut hatte er bald begriffen, daß jeder Widerstand gegen den Kapitän alle seine Hoffnungen auf Beförderung begraben hätte.
An Bord der unglückseligen Fregatte hatte er einen Verbündeten besessen, David Evans, den Proviantmeister, der ihn über alle Vorgänge in den Decks informierte. Evans war ein Teufel. Sobald das Schiff an die Küste kam, ging er an Land und handelte Vorräte und Proviant ein. Dabei nutzte er seinen hellen Verstand und seine flinke Zunge, um das Allerschlechteste einzukaufen, das ranzigste, widerlichste Zeug, das er auftreiben konnte. Das ersparte Geld steckte er in die eigene Tasche. Als Erster Offizier durchschaute Vibart den Trick, gebrauchte sein Wissen aber zum eigenen Vorteil. Evans verfügte in den Zwischendecks über ergebene Speichellecker, verläßliche Männer, die gegen kleine Entlohnung ihre Kameraden bereitwillig verrieten.
So hatte Vibart denn die Mannschaft sorgfältig und methodisch mehr und mehr unter Druck gesetzt. Doch alle Auspeitschungen erfolgten im Namen des Kapitäns, nie in seinem. Was auch geschehen mochte, falls die Männer je gegen die Schikanen aufbegehren sollten, er, Vibart, mußte sicherstellen, daß er im kritischen Moment zur Stelle war und daß er aus jeder Untersuchung ohne Tadel hervorging.
Evans hatte ihm von der beabsichtigten Meuterei berichtet. Es war Vibart klargewesen, daß der Augenblick endlich gekommen war. Als er Pomfret vorschlug, den ausgepeitschten Fisher wie eine gehäutete Galionsfigur an den Bugspriet zu binden, wußte er genau, daß das die Wut steigern und die Flammen der Meuterei anfachen mußte. Als letzter Anstoß sozusagen.
Die Anführer der Meuterei hatten den Zeitpunkt gut gewählt, das mußte er zugeben. Hätte Okes die Wache gehabt, wäre er vielleicht in Panik geraten und hätte einen Lärm geschlagen, den selbst der vom Alkohol betäubte Pomfret in seiner Koje gehört hätte. Mit Herrick war es anders. Der dachte nach, überlegte. Es stand zu erwarten, daß er mit den Männern reden würde, daß er eher versuchen würde, einen Aufstand zu verhindern, als ihn durch brutale Gewalt zu zerschlagen.
Vibart wußte alles, selbst den Zeitpunkt. Atemlos wartete er in seiner Kabine, mit den Seesoldaten, deren Sergeant einer seiner willigen Helfer war, an seiner Seite. Der Plan war so einfach, daß Vibart am liebsten gelacht hätte.
Die Meuterer würden das Achterdeck stürmen und die Wache überwältigen. Statt Alarm zu schlagen und so Pomfret den Vorwand für eine neue blutige Raserei zu geben, würde Herrick versuchen, die Leute zu beruhigen, indem er sich ihre Beschwerden anhörte. Aber die Meuterer würden ihn töten, und dann konnte Vibart hinaufstürmen und das Achterdeck mit
Musketenfeuer freifegen.
Bei der Verhandlung vor dem Kriegsgericht würde selbst der voreingenommenste Admiral erkennen müssen, daß Vibart das Schiff gerettet hatte, als einer der Offiziere mit seiner Wache bereits niedergemacht war und der Kapitän betrunken in seiner Koje schlief.
Selbst jetzt, auf dem feuchten Abhang, konnte sich Vibart an das Geräusch seines Atems in der Kajüte erinnern. Hörte nochmals, wie die Meuterer verstohlen heranschlichen, gerade als es am Bug zwei Glasen schlug. Doch es gab keine Schüsse, keine Schreie. Weder das Klirren von Stahl, noch Herricks Todesröcheln.
Als er schließlich, unfähig, seiner Besorgnis länger Herr zu werden, an Deck kroch, fand er Herrick auf seinem Posten und das Hauptdeck öde und leer.
Der junge Leutnant hatte ihm von dem Vorfall berichtet: eine» Deputation «aus Besorgnis wegen des sterbenden Fisher. Das war alles. Vibart drang weiter in ihn, doch Herrick blieb fest, und sein Zorn schlug in Verachtung um, als seine Blicke auf Vibarts geladene Pistolen und den Sergeanten der Seesoldaten an der Kajütentür fielen.
Am nächsten Morgen raste Pomfret, als wäre tatsächlich eine Meuterei ausgebrochen.»Beschwerden?«hatte er Vibart quer durch die breite Kajüte angebrüllt.»Die Kerle wagen es, sich zu beschweren?«Ohne daß ihm etwas eingeblasen werden mußte, betrachtete er das Verhalten der Männer als Anschlag auf seine Autorität.
Schließlich wurde die Fregatte zur kriegsgerichtlichen Untersuchung nach Portsmouth beordert, und Vibart schöpfte neue Hoffnung. Alles ging sehr schnell. Die Unruhestifter wurden vom Schiff geholt und die Fregatte für einen langen Einsatz ausgerüstet. Pomfret war in seiner Kajüte geblieben. Mürrisch hatte er vor sich hingebrütet, bis man ihn abkommandierte. Aber für ihn, Vibart, war kein Beförderungsschreiben eingetroffen. Kein eigenes Kommando, weder über die Phalarope noch über ein anderes Schiff.
Er stand wieder genau da, wo er gestanden hatte, als er zu Pomfret auf die Fregatte kam. Nur daß Bolitho, der neue Kapitän, eine völlig andere Persönlichkeit als Pomfret war.
Er schüttelte die Gedanken ab, als Maynard atemlos rief:»Sir,
Signal vom Hügel!»
Vibart zog seinen Degen und hieb damit in einen kleinen Busch.
«Hat der Kapitän also richtig vermutet. «Er schwenkte den Arm in einem Halbkreis.»Vorwärts, Leute. Pflanzt euch beiderseits der Straße auf und wartet, bis Mr. Farquhars Abteilung ihnen den Rückweg verlegt hat. Ich möchte nicht, daß einer entwischt. «Die Männer nickten und stolperten auf die Büsche zu. Sie schwangen ihre Knüppel und rückten die Gürtel mit den Entermessern zurecht.
Das eigentliche Zusammentreffen überraschte selbst Vibart. Die Leute kamen wie sorglose Spaziergänger dahergeschlendert und nicht wie Männer, die der Zwangsrekrutierung entwischen wollten. Es waren ungefähr fünfzig. Dicht beisammen kamen sie den schmalen Weg entlang. Sie plauderten, manche sangen sogar, während sie sich ohne bestimmtes Ziel von Falmouth und dem Meer entfernten. Farquhars schlanke Silhouette zeichnete sich gegen den Himmel ab, und Vibart trat aus dem Gebüsch. Er hob den Degen, und seine Leute sperrten hinter ihm die Straße.
«Im Namen des Königs! Zur Musterung in Reihe antreten!»
Seine Stimme löste die Erstarrung. Einige machten kehrt und rannten die Straße zurück, nur um beim Anblick Farquhars und seiner Männer, die die Musketen auf sie richteten, keuchend stehen zu bleiben. Einer versuchte, den Hügel hinauf zu entkommen, doch Josling, ein Bootsmannsmaat, holte mit dem Knüppel aus. Der Mann schrie auf, rollte den Abhang hinunter in eine Pfütze und umklammerte mit der Hand sein Knie. Josling drehte ihn mit dem Fuß um, betastete kurz das blutende Bein des Mannes und meldete Vibart dann beiläufig:»Nichts weiter passiert, Sir.»
Tief erschrocken ließen sich die Leute widerstandslos auf der Straße in Reih und Glied aufstellen. Vibart betrachtete die Reihe abschätzend. Alles war so einfach verlaufen, daß er am liebsten gegrinst hätte.
Brock sagte:»Zweiundfünfzig, Sir. Alle gesund.»
Einer der Aufgegriffenen stürzte vor, sank auf die Knie und wimmerte.»Bitte, Sir, bitte. Mich nicht!«Tränen liefen ihm über das Gesicht, und Vibart fragte rauh:»Und warum nicht?»
«Wegen meiner Frau, Sir. Sie ist krank. Sie braucht mich!«Er rutschte auf den Knien ein Stück vor.»Ohne meine
Unterstützung stirbt sie, Sir, so wahr mir Gott helfe. Sie stirbt.»
«Stellt den Mann auf die Füße«, befahl Vibart angeekelt,»er macht mich krank.»
Am Ende der Reihe sagte ein anderer gepreßt:»Ich bin Schäfer und vom Dienst freigestellt. «Er blickte sich suchend um, bis seine Augen an Brock hängenblieben.»Fragen Sie ihn, Sir. Der Stückmeister wird es bestätigen.»
Brock ging lässig auf ihn zu und hob seinen Stock.»Roll den Ärmel hoch!«Es klang gelangweilt, ja gleichgültig. Mehrere vergaßen ihr Elend und beugten sich vor, um die Szene zu beobachten.
Der Mann trat einen halben Schritt zurück, aber nicht schnell genug. Brocks Hand packte sein grobes Hemd wie eine Stahlklaue und riß den Ärmel auf. Eine Tätowierung aus ineinanderverflochtenen Fahnen und Kanonen wurde sichtbar. Brock trat einen Schritt zurück und wiegte sich auf den Hacken.»Nur ein Seemann hat eine solche Tätowierung. «Er sprach langsam und ruhig.»Nur ein Mann, der auf einem Schiff des Königs gedient hat, konnte mich als Stückmeister erkennen.»
Ohne Warnung sauste sein Stock durch das trübe Sonnenlicht. Als er wieder neben ihm baumelte, blutete das Gesicht des Mannes, wo der Hieb es beinahe bis zum Knochen aufgerissen hatte. Der Stückmeister sah ihn gerade an.»Am meisten mißfällt es mir, wenn man mich für einen Dummkopf hält. «Er drehte sich um und dachte nicht mehr an den Mann.
Ein Matrose brüllte:»Wieder ein Signal vom Hügel, Sir. Noch eine Gruppe.»
Vibart steckte den Degen in die Scheide.»Sehr gut. «Seine Blicke glitten kalt über die zitternde Reihe.»Ihr nehmt einen ehrenhaften Dienst auf. Die erste Lektion habt ihr eben gelernt. Seht zu, daß ich euch keine zweite beibringen muß.»
Maynard trat zu ihm, sein Gesicht war bekümmert.»Ein Jammer, daß es keinen anderen Weg gibt, Sir.»
Vibart würdigte ihn keiner Antwort, wie schon den Mann, der wegen seiner Frau gebettelt hatte. Solche Äußerungen hatten weder Sinn noch Bedeutung.
Von nun ab zählte für diese Leute nur noch das Leben auf dem Schiff.
Bolitho nippte an seinem Portwein und wartete, bis das Mädchen den Tisch abgeräumt hatte. Er war seit so langem an magere und schlecht zubereitete Schiffskost gewöhnt, daß ihm der gute Lammbraten schwer im Magen lag.
An der gegenüberliegenden Tischseite trommelte sein Vater, James Bolitho, mit den Fingern ungeduldig auf die polierte Platte, ehe er einen langen Schluck trank. Er wirkte gezwungen, ja sogar nervös, seit sein Sohn das Haus betreten hatte. Bolitho betrachtete ihn schweigend.
Sein Vater hatte sich sehr verändert. Er hatte ihn in seiner Kindheit selten zu Gesicht bekommen und seitdem auch nicht oft. Eigentlich nur bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er von fernen Kriegen und aus entlegenen Ländern nach Hause gekommen war, von Unternehmungen, über die die Kinder nur Vermutungen anstellen konnten. Dachte Bolitho an ihn, so hatte er einen hochgewachsenen und ernsten Mann in Marineuniform vor Augen, dessen Selbstdisziplin den Raum füllte, sobald er durch die vertraute Tür zwischen den Ahnenporträts trat: Männer wie er, wie sein Sohn, in erster Linie Seeleute.
Während Bolitho unter Sir Henry Langford als Midshipman fuhr, hörte er von der Verwundung seines Vaters. Es war in Indien geschehen, im Kampf um die sich rasch entwickelnden Kolonien. Er fand ihn alt und verbittert wieder. Aus der Stammrolle der Marine gestrichen zu sein, wie ehrenhaft auch immer, bedeutete für ihn mehr als der Verlust eines Armes. Es war, als habe man ihn des Lebens beraubt.
In Falmouth wurde er als aufrechter und gerechter Richter geachtet. Bolitho wußte jedoch nur zu genau, daß das Herz seines Vaters noch immer der See gehörte, den Schiffen, die mit den Gezeiten kamen und gingen.
Bolitho hatte einen Bruder und zwei Schwestern. Beide Schwestern waren nun verheiratet, eine mit einem Grundbesitzer, die andere mit einem Offizier der Garnison. Über Hugh, seinen älteren Bruder, hatten sie bis jetzt noch kein Wort gewechselt. Bolitho wartete, daß sein Vater sich äußern würde, denn wie er vermutete, war es Hugh, um den seine Gedanken vor allem kreisten.
«Ich habe dein Schiff einlaufen sehen, Richard. «Die Finger trommelten auf dem Tisch.»Eine feine Fregatte, und in Westindien wirst du für die Familie zweifelsohne Ehre einlegen. «Er schüttelte sorgenvoll den Kopf.»England braucht jetzt alle seine Söhne. Wir haben die ganze Welt zum Feind.»
Das Haus war totenstill. Nach dem Schwanken des Decks und dem Knarren der Rahen wirkte es wie eine andere Welt. Selbst die Gerüche waren anders. Es fehlten die Ausdünstungen zusammengepferchter Leiber, die Gerüche von Teer und Salz, von Kochdunst und Nässe.
Und es wirkte einsam. Bolitho dachte an seine Mutter. Jung und lebhaft, so stand sie ihm vor Augen. Er war auf See gewesen, als eine kurze, aber tödliche Krankheit sie hinraffte.
Sein Vater stand auf und trat an den Kamin. Über die Schulter sagte er schroff:»Das mit deinem Bruder hast du wohl schon gehört?»
Bolitho straffte sich.»Nein. Ist er denn nicht auf See?»
«Auf See?«Sein Vater schüttelte den Kopf.»Nun ja, ich habe es dir nicht mitgeteilt. Vermutlich hätte ich es dir schreiben sollen, aber im tiefsten Herzen hoffte ich noch immer, daß er seine Haltung ändern würde. Niemand hätte dann davon erfahren.»
Bolitho wartete. Sein Bruder Hugh war stets der Augapfel seines Vaters gewesen. Als sie sich das letztemal begegneten, war er Leutnant der Kanalflotte gewesen und Anwärter auf dieses Haus und das Familienerbe. Bolitho hatte seinem Bruder nie besonders nahe gestanden und es auf ganz natürlichen Geschwisterneid zurückgeführt. Jetzt war er sich dessen nicht so sicher.
«Ich hatte große Hoffnungen auf Hugh gesetzt. «Sein Vater sprach in das Kaminfeuer.»Ich bin nur froh, daß seine Mutter nicht mehr erleben muß, was aus ihm geworden ist.»
«Kann ich auf irgendeine Weise helfen?«Bolitho sah, wie die Schultern seines Vaters bebten, als er seine Stimme zu beherrschen suchte.
«Nein. Hugh ist nicht mehr bei der Marine. Er hat Spielschulden gemacht. Er hatte ja immer einen Hang zum Spieltisch, das weißt du. Aber diesmal geriet er in ernste Schwierigkeiten. Es kam zu einem Duell mit einem anderen Offizier. Er tötete ihn.»
Bolitho begann klarer zu sehen. Deshalb die geringe Dienerschaft. Deshalb war die Hälfte des zum Haus gehörenden Landes an einen Bauern verkauft worden.
«Du hast seine Schulden beglichen?«Er sprach so gelassen wie möglich.»Ich habe etwas Prisengeld. Wenn damit. .»
Sein Vater hob die Hand.»Nicht nötig. Es war meine Schuld. Ich war blind, habe den Jungen falsch erzogen. Dafür muß ich eben zahlen. «Und matter setzte er hinzu:»Er hat der Marine den Rücken gekehrt, obwohl er wußte, wie sehr sein Verhalten mich schmerzen mußte. Nun ist er fort.»
Bolitho fuhr hoch.»Fort?»
«Ja, nach Amerika. Seit zwei Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehört. Es liegt mir auch nichts daran. «Er wandte sich um. Der Ausdruck seiner Augen strafte die zuletzt geäußerten Worte Lügen.»Nicht zufrieden damit, seiner Familie Schande gemacht zu haben, mußte er auch noch seine Heimat verraten.»
Bolitho dachte an das Chaos und die vielen Toten bei der Katastrophe von Philadelphia und sagte langsam:»Vielleicht hat ihn der Ausbruch der Rebellion an der Rückkehr gehindert.»
«Du kennst deinen Bruder, Richard. Hältst du das für wahrscheinlich? Er mußte immer recht haben, stets die Trumpfkarten in der Hand halten. Nein, ich kann ihn mir nicht in einem Gefangenenlager vorstellen, nicht ihn.»
Das Mädchen kam herein und knickste ungeschickt.»Verzeihung, Sir. Ein Offizier ist draußen und möchte Sie sprechen.»
«Das wird Herrick sein, mein Dritter Leutnant«, sagte Bolitho schnell.»Ich bat ihn, ein Glas mit uns zu trinken. Ich werde ihn wegschicken, wenn es dir nicht recht ist.»
Doch sein Vater richtete sich gerade auf und zog seinen Rock zurecht.»Nein, mein Junge. Laß ihn hereinkommen. Meine Scham darf nicht den Stolz auf den mir gebliebenen Sohn mindern.»
«Es tut mir sehr leid, Vater«, sagte Bolitho leise.»Das wenigstens sollst du wissen.»
«Danke. Ja, ich weiß es. Und dabei dachte ich immer: Der Kleine wird nie seinen Weg in der Marine machen. Du bist stets der Träumer gewesen, der, bei dem man nie etwas vorhersagen konnte. Ich fürchte, ich habe dich Hughs wegen vernachlässigt. «Er seufzte.»Nun ist es zu spät. «Man hörte Schritte auf dem Flur, und er setzte eilig hinzu:»Vielleicht sehen wir uns nie wieder, mein Junge. Aber ich möchte dir etwas geben. «Er schluckte.»Hugh sollte ihn bei seiner Beförderung zum Kapitän bekommen. «Er holte einen Degen aus dem Schrank. Er war alt und mit Patina überzogen, doch Bolitho wußte, daß er kostbarer war als jeder glänzende Stahl und alle Vergoldung.
Bolitho zögerte.»Deines Vaters Degen? Du hast ihn immer getragen.»
James Bolitho nickte. Er drehte den Degen behutsam in den Händen.»Ja, ich habe ihn immer getragen. Er war ein guter Freund. «Er reichte die Waffe seinem Sohn.»Nimm ihn. «Er lächelte plötzlich.»Und dann wollen wir gemeinsam deinen Dritten begrüßen.»
Als Herrick unsicher das große Zimmer betrat, sah er nur seinen lächelnden Gastgeber und seinen neuen Kapitän, der eine dem anderen wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch Bolitho sah den Schmerz in den Augen seines Vaters und war bewegt.
Sonderbar. Wie stets war er nach Haus gekommen, um Trost und Rat zu finden. Und doch hatte er weder die Schwierigkeiten noch die Gefahren seines neuen Kommandos erwähnt, auch nicht die große Verantwortung, die ihm wie ein Schwert über dem Haupt hing.
Diesmal war er derjenige gewesen, der Trost und Rat spenden sollte, und er schämte sich, weil er keine Antwort geben konnte.
In der Morgendämmerung des folgenden Tages lichtete die Phalarope den Anker und setzte Segel. Nicht Hochrufe begleiteten ihre Abfahrt, sondern die Tränen und Flüche der Frauen und alten Männer, die von der Mole aus dem Schiff nachblickten.
Die Luft ging scharf und frisch. Und als die Rahen kreischend herumschwangen und das Schiff krängend von Land ablief, stand Bolitho an der Heckreling. Sein Teleskop wanderte langsam über die grünen Hügel und Hänge und die an ihrem Fuß zusammengedrängte Stadt.
Er hatte jetzt eine vollzählige Besatzung. Die Zeit würde die neuen Leute zu Matrosen machen. Mit ein wenig Geduld und Verständnis würden vielleicht Männer aus ihnen werden, auf die ihr Land stolz sein konnte.
Das Leuchtfeuer von St. Anthony's blieb achtern zurück, der alte Leuchtturm, der dem heimkehrenden Seemann den ersten heimatlichen Gruß entbot. Bolitho fragte sich, wann er ihn wiedersehen würde, und ob überhaupt. Er dachte auch an seinen
Vater, der allein in dem alten Haus mit seinen Erinnerungen und enttäuschten Hoffnungen saß.
Bolitho wandte sich um. Sein Blick fiel auf einen der Schiffsjungen, ein Kind von etwa zwölf Jahren. Der Junge schluchzte hemmungslos und winkte zum Land zurück, das im Dunst verschwamm.»Weißt du, daß ich nicht älter war als du, als ich zur See ging?«fragte Bolitho.
Der Junge rieb sich mit der schmutzigen Hand die Nase und starrte den Kapitän aus weit aufgerissenen Augen an.
«Du wirst England wiedersehen«, setzte Bolitho hinzu.»Sei unbesorgt. «Er wand sich hastig ab, um dem Jungen die eigene Ungewißheit zu verbergen.
Am Rad sang Proby aus:»Kurs Südsüdwest. Voll und bei!»
Dann, wie um die Langeweile der Reise abzukürzen, ging er zur Leereling und spuckte ins Meer.