IV Das Signal

Bolitho stützte das Fernrohr in die Luvnetze und wartete, bis ihm das andere Schiff ins Blickfeld kam. Während der Zeit, die er gebraucht hatte, um aus seiner Kajüte auf das Achterdeck zu gelangen und Herricks erregte Meldung entgegenzunehmen, war die Sonne langsam über den Horizont heraufgekommen. Die kurzen steilen Wellen lagen nun nicht mehr im Schatten der Nacht, sondern ein blasses Gold filterte über die endlose Weite der weißen Kämme.

Mit den steilen Pyramiden der Segel und dem geschlossenen Gischtschleier, der den hohen Bug umsprühte, bot das andere Schiff in dem kräftiger werdenden Licht einen schönen Anblick. Es segelte schnell, die Masttopps schimmerten in dem weichen Frühlicht wie Kruzifixe.

«Sie haben einen guten Ausguck, Mr. Herrick. Mein Kompliment, daß er die Fregatte so zeitig gesichtet hat«, rief er über die Schulter.

Selbst für einen erfahrenen Seemann war es keine Kleinigkeit, bei Dunkelheit oder Dämmerung ein Schiff auszumachen und zu identifizieren. Dies war ganz gewiß ein Engländer. Und irgendwie kam Bolitho der Umriß sogar vertraut vor.

Hinter sich hörte er die Rufe der Maate und das schrille Trillern der Pfeifen.

«Alle Mann an Deck! Alle Mann an Deck! Nehmt die Beine in die Hand!»

Während von vorn die üblichen Gerüche aus der Kombüse drangen, stellte er sich vor, wie die schlaftrunkenen Männer stöhnend und schimpfend aus den Hängematten kletterten. Ein neuer Tag auf See, doch dieser war nicht wie jeder andere. Die See war nicht länger leer und feindlich. Das andere Schiff erinnerte die Männer womöglich daran, daß sie Teil von etwas Wirklichem und Wichtigem waren.

Bolitho bemerkte, daß die großen Rahen der Fregatte gebraßt wurden, und hörte Herrick sagen:»Sie halst, Sir. Wir werden bald auf gleicher Höhe liegen.»

Bolitho nickte abwesend. Das fremde Schiff würde halsen, um mit ihnen parallel zu laufen, wobei es die Phalarope in Lee lassen würde. Wie Herrick vermutet hatte, konnte das gut und gern neue Befehle bedeuten.

Bolitho kletterte aus den Wanten an Deck zurück. Er fühlte sich plötzlich müde. Ihn fröstelte. Das Spritzwasser hatte sein Hemd durchnäßt. Es klebte ihm am Leib, und an den Wangen spürte er sein feuchtes Haar. Sein Schiff hatte sich von neuem verändert. Auf dem Achterdeck schienen sich die Menschen geradezu zu drängen. Die Offiziere hielten sich auf der Leeseite und beobachteten die andere Fregatte durch ihre Gläser. Fähnrich Maynard sah aufgeregt zu dem fremden Schiff hinüber. Durch sein großes Fernrohr versuchte er so viel wie möglich zu erkennen. Da er Signalfähnrich war, wußte er, daß Bolitho ihn nicht aus den Augen ließ.

Auf dem Hauptdeck drängten sich die aus dem Schlaf gerissenen Leute, und die Bootsleute mußten ihre Tampen häufiger als sonst gebrauchen, um jene vom Schanzwerk zu treiben, die über das Wasser spähten. Erregt und schwatzend verstauten sie ihre Hängematten in die Kästen. Während sie sich dem Niedergang zur Kombüse zubewegten, starrten sie noch immer auf das fremde Schiff.

Bolitho hob das Glas ans Auge, als kleine schwarze Bälle zu den Rahen des anderen Schiffs hochstiegen und sich im Wind entrollten.

Vibart lehnte sich an das Kompaßhaus und knurrte Maynard an:»Los, entschlüsseln Sie.»

Maynard blinzelte und blätterte hastig im Signalbuch.»Sie hat ihre Nummer gesetzt, Sir: achtunddreißig. Es ist die Andiron, unter Kapitän Masterman.»

Bolitho schob das Fernrohr mit einem Ruck zusammen. Natürlich. Er hätte sie sofort erkennen müssen. Als er noch auf der Sparrow war, hatte er die Andiron häufig genug zur Patrouillenfahrt vor der amerikanischen Küste auslaufen sehen. Masterman war schon lange bei der Marine und ein bewährter

Kapitän. Viele Erfolge gegen den Feind standen für ihn zu

Buch.

Die Andiron hatte ihr Manöver beendet und lief jetzt mit der Phalarope auf gleichem Kurs. Der weite Bogen hatte sie hinter die Phalarope gebracht, aber als sich ihre Segel blähten und füllten, kam sie schnell luvwärts auf.

Maynards Signalgasten setzten das Unterscheidungssignal der Phalarope. Bolitho fragte sich, was Mastermann sagen würde, wenn er ihn als Kommandanten vorfand. Das Signalbuch wies noch Pomfret als Kapitän aus.

«Signal, Sir«, rief Maynard. »Andiron an Phalarope. Drehen Sie bei. Haben Botschaften an Bord.»

Die Sonnenstrahlen fuhren glitzernd über die geschlossenen Stückpforten der Andiron, als sie leicht auf die Phalarope zuschwang.

«Sie braucht kein Boot zu fieren, Sir«, sagte Herrick.»Sie könnten einen Steg rüberlegen. «Er rieb sich die Hände.»Ob sie frisches Gemüse an Bord hat?»

Bolitho lächelte. Auf so etwas hatte er gehofft. Eine Zerstreuung. Das würde die Männer von ihren Sorgen ablenken, wenn auch nur vorübergehend.

«Machen Sie weiter, Mr. Vibart. Lassen Sie bitte beidrehen.»

Vibart hob das Sprachrohr.»Braßt die Großmarsrah! Bewegung, Leute!»

Stockdale tauchte neben Bolitho auf. Er brachte den blauen Rock und den Hut des Kapitäns. Er blinzelte zu dem anderen Schiff hinüber und grinste.»Wie in alten Zeiten, Kapitän. «Er blickte nach vorn, als Quintal, der Bootsmann, eine Flut von Flüchen und Obszönitäten losließ. Die Männer hatten auf die plötzlichen Befehle nur langsam reagiert. Auf dem überfüllten Deck herrschte bereits ein Chaos. Die Leute der Freiwache rannten unaufhörlich in jene Männer hinein, die sich mit den verquollenen Brassen abquälten.

«Signal, Sir«, sagte Maynard heiser. Seine Lippen buchstabierten langsam:»Haben Sie Nachricht von Hoods Geschwader?»

Quintal hatte seine Leute endlich an den Stationen, und mit schlagenden und donnernden Segeln drehte sich die Phalarope schwer in den Wind.

Bolitho, mit den Armen schon halb im Rock, stieß Stockdale beiseite, als ihm bewußt wurde, was die Frage bedeutete. Masterman hätte das nie und nimmer gefragt. Selbst wenn er die Verbindung zum Geschwader verloren hatte, mußte er wissen, daß die Phalarope in diesen Gewässern fremd war. Während seine Gedanken wild durcheinander wirbelten, verfolgte er hypnotisiert, wie die Phalarope weiter herumschwang, bis der Bugsprit der Andiron fast im rechten Winkel zu dem seines eigenen Schiffes stand.

Vibart drehte sich verblüfft und verwirrt um, als Bolitho schrie:»Kommando zurück, Mr. Vibart! Klar zum Wenden!»

Bolitho ignorierte die bestürzten Gesichter und die Unruhe, die der neue Befehl hervorrief, und konzentrierte seine Gedanken auf das andere Schiff. Angenommen, er hatte sich geirrt? Jetzt war es zu spät. Vielleicht war es schon von dem Augenblick an zu spät gewesen, als die Andiron auftauchte.

Der Bug der anderen Fregatte schwang weiter herum. Die Rahen drehten sich gleichzeitig. Die Andiron schoß auf die hilflose Phalarope zu. Noch ein paar Sekunden, und, unbedroht und allmächtig, hätte die Andiron das ungeschützte Heck der Phalarope gekreuzt.

Doch Bolitho merkte, wie sein Schiff sich durch den Wind arbeitete. Er verschloß die Ohren gegen die Schreie und Flüche seiner Offiziere und Männer. Die Wochen des Segeldrills bei jedem Wetter machten sich jetzt bezahlt. Wie Marionetten zogen die Seeleute an Fallen und Brassen, vom Verhalten des Kapitäns zu verwirrt, um zu verstehen, was vorging.

«Mein Gott, Sir«, rief Vibart.»Wir kollidieren. «Er starrte an Bolitho vorbei auf die heranbrausende Andiron. Die Phalarope schlingerte noch immer in ihrer Drehbewegung. Ihr Bug folgte dem anderen Schiff wie eine Kompaßnadel.

«Kurs Südost!«befahl Bolitho.»Zweites Reff ausschütteln!«Er achtete nicht auf die Wiederholung und Weitergabe seiner Befehle, sondern ging entschlossen zu dem rotröckigen Trommelbuben neben der Kajütenluke.

«Rühr die Trommel. Klarschiff zum Gefecht!»

Der Ausdruck des Jungen schlug von Stumpfheit in Schrecken um. Doch Ausbildung und Disziplin behielten wiederum die Oberhand, und als die Trommel das Alarmsignal gab, wogte die Flut der Männer auf dem Hauptdeck nur einen Moment zögernd hin und her, ehe sie zerstob, als die

Geschützbedienungen an die Kanonen rannten.

«Ihre Stückpforten öffnen sich«, keuchte Vibart.»Mein Gott, sie zeigt ihre Farben!»

Bolitho sah, wie die gestreifte amerikanische Flagge vom Wind entrollt wurde, während sich die Stückpforten der Andiron öffneten und die dahinter verborgenen Rohre herausstieß und wie das Gebiß eines Raubtiers zu ihnen herüberbleckten.

«Klar zum Gefecht, Mr. Vibart!«sagte Bolitho rauh.»Lassen Sie sofort laden und ausrennen. «Er rechnete nach, als Vibart zur Reling hastete.»Sie werden zehn Minuten benötigen. Ich will versuchen, Ihnen so viel Zeit zu verschaffen.»

Das Deck neigte sich, als die Phalarope von der anderen Fregatte abdrehte. Doch die Andiron schlug bereits den gleichen Bogen. Ihre Segel killten, als sie durch den Wind drehte, um den Abstand zu verringern. Die neue amerikanische Flagge leuchtete in hellen Farben vor den braunen Segeln, und Bolitho mußte sich mit Gewalt in die Gegenwart zurückrufen, um nicht mehr daran zu denken, was geschehen wäre, hätte die Andiron nicht dieses eine, törichte Signal gesetzt.

Dann hätte die Andiron nämlich das unbewehrte Heck der Phalarope gekreuzt, und ihre bislang hinter dem Schanzkleid und den geschlossenen Pforten verborgenen Kanoniere hätten eine Salve nach der anderen durch die großen Kajütfenster gejagt. Die pfeifenden Kugeln hätten sein Kommandozentrum zerfetzt. Und da sich die Hälfte seiner Männer noch hilflos und unvorbereitet unter Deck aufgehalten hätte, wäre alles innerhalb weniger Minuten zu Ende gewesen.

Selbst jetzt mochte es zu spät sein. Die Andiron war größer, ihr tiefer Kiel eignete sich besser für solche Manöver. Sie schnitt bereits das Heck der Phalarope und versuchte, so schnell wie möglich in Luvposition zu kommen, um den schon einmal errungenen Vorteil zurückzugewinnen. In einer Viertelstunde würde sie das Manöver wiederholen oder sich damit zufriedengeben, den Abstand von Backbord aus zu verringern. Da der Wind für sie günstiger stand, konnte ein Kampf nicht vermieden werden.

Bolitho trat zur Heckreling und blickte zu dem anderen Schiff zurück. Die Andiron hatte das Doppelspiel aufgegeben. Er sah die kauernden Kanoniere und die Offiziere auf dem schräg liegenden Achterdeck. Was war Masterman zugestoßen? Besser, er war tot, als daß er wußte, was aus seiner stolzen Andiron geworden war.

Er drehte dem dunklen Rumpf den Rücken und ließ die Blicke über sein eigenes Schiff gleiten. Kein Chaos mehr. Für unerfahrene Augen sah die Phalarope kampfbereit und kampftüchtig aus.

Beiderseits waren die Kanonen ausgefahren. Die Stückmeister prüften die Abzugsleinen und erteilten ihren Leuten heiser Befehle. Schiffsjungen rannten über das Deck und streuten Sand, damit die Füße der Kanoniere Halt fanden, wenn es soweit war. Andere eilten mit Eimern von Geschütz zu Geschütz. Sie schleppten Wasser heran, um die Kanonenwischer feucht zu halten und möglicherweise ausbrechende Brände zu löschen.

Vibart stand unterhalb des Achterdecks.»Alles klar zum Gefecht, Sir«, rief er.»Alle Kanonen mit Kettenkugeln oder Kartätschen geladen.»

«Gut, Mr. Vibart. «Bolitho ging zur Reling und ließ seine Blicke über die Backbordgeschütze wandern. Sie würden zuerst in Aktion treten müssen. Nicht alles war mustergültig. Besorgt bemerkte er manche Mängel.

An einem Geschütz mußte der Stückmeister einem seiner Männer sogar die Seiltalje in die Hand geben, da der arme Kerl vergessen hatte, was er tun sollte. Doch der Mann fürchtete sich zu sehr, und die heraufkommende Fregatte mit ihrer Reihe drohender Kanonen hypnotisierte ihn zu stark, als daß er darauf achtete, was der Maat ihm sagte. An jedem Geschütz gab es solche Männer. Bei so vielen neuen Leuten, von friedlicher Arbeit an Land gewaltsam weggeholt, war das unvermeidlich.

Hätte er nur genügend Zeit gehabt, dann hätte jeder einzelne besser ausgebildet werden können. Bolitho schlug mit der Faust langsam auf die Reling. Nun, jetzt mußte es so gehen. Die Andiron war nicht nur zahlenmäßig stärker bestückt. Ihre Kanonen waren Achtzehnpfünder, die der Phalarope aber nur Zwölfpfünder. Die Mehrzahl der Andiron-Besatzung bestand zweifellos aus englischen Deserteuren und kampferfahrenen Matrosen, denen eine Seeschlacht nicht fremd war. Eine Mannschaft, die Kapitän Masterman die Andiron genommen hatte, war eine Macht, die man fürchten mußte.

Hauptmann Rennie stand gelassen neben den Schutznetzen. Sein Degen hing mit einer goldenen Kordel an seinem Handgelenk. Er beobachtete, wie Sergeant Garwood seine Leute zu ordentlichen roten Reihen formierte. Die Marinesoldaten gaben zusätzliche Sicherheit, dachte Bolitho grimmig, aber gegen Achtzehnpfünder würden ihre Gewehre nicht viel nützen.

Die Zerknirschung und Verzweiflung, die er spürte, seit die Andiron das verräterische Signal gesetzt hatte, schlug auf einmal in wilde Wut um. Er hatte sein Schiff und seine Männer in diese Lage gebracht. Er allein trug die Verantwortung. Er hatte die Falle der Amerikaner gerade noch rechtzeitig genug erkannt, um die Phalarope vor dem ersten Schlag zu bewahren. Aber er hätte sie früher durchschauen müssen.

Er trat an die Querreling und rief:»Leute, in wenigen Augenblicken wird es zum Kampf kommen. «Er sah, daß ihn alle anblickten, doch die Gesichter hatten bereits jede Eigenbedeutung und Individualität verloren. Sie waren zu einer Mannschaft verschmolzen, zu einer guten oder schlechten, würde die Zeit erweisen. Aber es war wichtig, daß ihm alle vertrauten.

«Laßt euch nicht aus der Ruhe bringen, Leute, und gehorcht den Befehlen, ganz gleich, was um euch herum geschieht. Jede Kanone ist mit dem neuen Steinschloß ausgerüstet, aber haltet die Lunte bereit, falls es versagt.»

Er bemerkte, wie Okes von der Steuerbordbatterie zu Herrick hinüberblickte, der neben seinen Geschützen stand. Ein schneller Austausch von Blicken, der alles beinhalten konnte.

Bolitho spürte, daß Stockdale ihm den Rock über die Schultern streifte und den Degengurt umschnallte. Er beobachtete, wie die machtvolle Fregatte auf das Backbordlogis zuhielt, und schätzte Schnelligkeit und Entfernung ab.

«Noch etwas, Leute. «Er beugte sich vor, als wollte er sie zwingen, ihm zuzuhören.»Die Phalarope ist ein Schiff des Königs. Die Flagge streicht sie nicht.»

Er verschränkte die Hände unter den Rockschößen und ging langsam zur Luvreling. Es würde nicht mehr lange dauern. Zu Proby, der neben dem Rad stand, sagte er:»Wir luven gleich an, Mr. Proby. «Er hörte ihn murmeln und fragte sich, was der Steuermann von dem angekündigten Befehl denken mochte.

Der amerikanische Kapitän würde wahrscheinlich annehmen, daß die kleinere Phalarope versuchen wollte, wieder mit dem Wind abzulaufen. Doch sobald sie abdrehte, würde er ihr Heck mit der vollen Backbordbreitseite überschütten, wie er es von Anfang an beabsichtigt hatte. Doch Bolithos Manöver würde die Phalarope auf die Andiron zudrehen lassen, und mit etwas Glück mußte Herrick in der Lage sein, die erste Salve abzufeuern.

Auf dem Achterdeck der Andiron funkelte ein Fernrohr in der Sonne auf, und Bolitho wußte, daß der andere Kapitän ihn beobachtete.

«Achtung, Mr. Proby!«Bolitho schwenkte den Hut und rief über das Hauptdeck:»Jetzt, Jungs! Eine Breitseite für Old England!»

Knarrend schwangen die Rahen herum. Die Segel donnerten. Bolitho wurde der Mund trocken, sein Gesicht erstarrte zu einer Maske.

Das war der entscheidende Augenblick.

John Allday kauerte neben der zweiten Kanone der Steuerbordbatterie und starrte gebannt durch die offene Stückpforte. Trotz der kühlen Morgenbrise schwitzte er, und sein Herz schlug wie eine Trommel.

Er fühlte sich als das hilflose Opfer eines Alptraums. Jede Einzelheit war deutlich und klar, schon bevor sie sich ereignete. Irgendwie bildete er sich ein, diesmal würde es anders sein, aber es war dasselbe. Er hätte genausogut zum erstenmal in die Schlacht segeln können, neu und unerfahren, von quälender Spannung fast in Stücke gerissen.

Er löste die Augen von dem Wasserviereck, das er durch die Stückpforte sehen konnte, und blickte über die Schulter zurück. Die gleichen Männer, die Ferguson verspottet oder Evans in drohendem Schweigen umringt hatten, standen oder kauerten jetzt nicht anders als er, Sklaven ihrer Kanonen, die Gesichter nackt und voller Furcht. Ein Stück entfernt von der Batterie, den Rücken am Vormast, stand Leutnant Herrick. Er sah zum Achterdeck hinauf, die Finger umschlossen den Degengriff. Seine blauen Augen, die nicht eine Sekunde blinzelten, verrieten nichts.

Allday folgte den Blicken des Offiziers und bemerkte den Kapitän an der Achterdeckreling. Die Hände auf dem glatten Holz, beobachtete er mit leicht vorgerecktem Kopf die andere

Fregatte. Das hohe Schanzkleid, die Gangway und die anderen Kanonen versperrten Allday den Blick auf die Andiron. Immerhin sah er ihre Masttopps und geblähten Segel, als sie auf das Achterdeck zuhielt, bis sie wie eine Klippe über der Phalarope zu hängen schien.

Pryce, der Stückmeister, band sich das Pulverhorn um die Hüfte und hockte sich neben die Lafette, die Abzugsleine in Händen.»Hört zu, Jungs«, sagte er mit einer Stimme, die fremd und gepreßt klang.»Wir feuern zuerst eine Breitseite ab. «Er blickte von einem zum anderen, ohne die Kanoniere an der nächsten Stückpforte zu beachten.»Danach hängt alles davon ab, wie schnell wir nachladen und wieder ausrennen. Also muß jeder Handgriff sitzen. Und wie der Kapitän gesagt hat, achtet nicht darauf, was um euch vorgeht, verstanden?»

Ferguson umkrampfte die Stücktalje und keuchte:»Ich halte das nicht aus. Bei Gott, dieses Warten halte ich nicht aus.»

Von gegenüber höhnte Pochin:»Was ich gesagt habe: Hübsche Kleider allein machen aus Leuten wie dir noch lange keine Männer. «Er riß wild an der Talje.»Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe, würdest du sterben vor Angst, Mann. «Und zu den anderen:»Ich habe gesehen, wie sich ganze Flotten ineinander verbissen. «Er ließ seine Worte wirken.»Die ganze See nur Masten, wie ein Wald.»

Pryce zischte:»Halt's Maul!»

Er hob den Kopf, als Herrick rief:»Geschützführer! Sobald wir auf Backbord gefeuert haben, die besten Leute zur Verstärkung an die andere Batterie unter Mr. Okes!»

Die Geschützführer hoben bestätigend die Hände und richteten ihr Augenmerk dann wieder auf die leere See.

Allday schaute zu Okes hinüber. Das Gesicht des Offiziers glänzte vor Schweiß. Er sah bleich aus. Als wäre er bereits eine Leiche, dachte Allday.

Durch das Sprachrohr erklang hohl Vibarts Stimme.»An die Brassen! Klar zum Wenden.»

Alldays Finger glitten über das kalte Verschlußstück.»Los doch! Kommt endlich rum«, murmelte er inbrünstig. Die Phalarope war der Andiron an Größe und Stückzahl unterlegen, selbst er konnte das sehen. Und da schon jetzt die Hälfte ihrer Besatzung vor Angst und Schrecken kaum noch denken konnte, war es lediglich eine Frage der Zeit, wann ihre Farben sinken würden. Er blickte an seinen Beinen hinunter und fühlte, wie ihn die kalte Furcht überlief. Sie verließ ihn nie, auch die Jahre auf den stillen Hügeln von Cornwall hatten sie nicht vertrieben: die Furcht, verkrüppelt zu werden, und der Schrecken vor dem, was dann kam.

Von der Nachbarkanone rief Old Strachan herüber:»Hört her, Burschen. «Er wartete, bis seine Worte die neuen Leute wirklich erreichten.»Bindet euch die Halstücher über die Ohren, ehe wir feuern. Sonst platzt euch das Trommelfell.»

Allday nickte. Diese Lektion hatte er vergessen. Wenn sie nur vorbereitet und darauf eingestellt gewesen wären! Statt dessen waren sie aus den Hängematten gestolpert, und der Alptraum hatte fast unverzüglich begonnen. Zuerst die Aufregung über ein befreundetes Schiff. Dann das Alarmsignal des Trommlers, das die Männer keuchend und mit entsetzten Augen an die Stationen jagte. Jetzt stand der kleine Trommelbube neben einem Glied Marinesoldaten und starrte zum Kapitän hinüber, als könne er von dessen Gesicht sein Schicksal ablesen.

Pryce murmelte:»So ein Gefecht habe ich noch nie mitgemacht. «Er schaute in die prallen Segel hinauf.»Zu viel Wind. Da heißt es zuschlagen und abhauen, denkt an meine Worte.»

Stahl klirrte, als Herrick seinen Degen zog. Er hob ihn über den Kopf. Die Klinge funkelte in der Sonne.

«Backbordbatterie klar zum Gefecht!»

«Oh, Grace«, stöhnte Ferguson leise.»Wo bist du, Grace?»

«Ruder mittschiffs!«bellte Vibart.»Über vorn!»

Alle spürten, wie sich das Deck noch stärker neigte, als die Matrosen die Schoten der Vorsegel fierten und die stampfende Fregatte wild mit dem Bug durch den Wind ging.

Allday schluckte schwer, als sich seine Stückpforte plötzlich verdunkelte und ihm der Bug der anderen Fregatte den Blick nahm. Ihre Kanonen und ihr gischtfeuchter Rumpf neigten sich in einem Winkel, als wollte sie ausholen und die Phalarope zerquetschen, die frech auf sie zuschwang.

Herrick ließ den Degen herabsausen.»Feuer!»

Die Stückmeister rissen an den Leinen, und die ganze Welt schien in einer ungleichmäßigen Breitseite zu explodieren. Rauch wogte zum Ersticken dicht durch die Pforten zurück, reizte die Lungen und füllte die Augen, als die Kanonen zurückrollten. Es war die Hölle, zu schrecklich, um begriffen zu werden.

Doch die Geschützführer brüllten bereits wie die Teufel und schlugen auf ihre betäubten Kanoniere ein, während die Pulveräffchen frische Kartuschen heranschleppten und neue, glänzende Kugeln von den Gestellen gehoben wurden.

Pryce schlug den Arm eines Mannes beiseite und brüllte:»Naß auswischen, du Bastard. Hast du vergessen, was ich dir beigebracht habe? Du sprengst uns alle in die Luft, wenn du eine heiße Kanone nachlädst. «Der Mann murmelte benommen und gehorchte wie in Trance.

«Nachladen!«rief Herrick.»Munter, Jungs.»

Allday wartete eine Minute, ehe er sich vor die Talje spannte. Quietschend rumpelten die Blockräder der Lafette wieder vorwärts.

Jede Mündung wollte zuerst draußen sein.

Aber die Phalarope war fast vor dem Bug der Andiron. Es konnte sich nur noch um ein paar Fuß handeln, bis beide Schiffe zusammenstießen, um ihren Kampf auf Tod und Leben ineinander verhakt auszufechten.

«Feuer!»

Wieder das wüste Donnern einer Breitseite. Durch den Rückstoß kippte das Deck unter ihnen weg. Doch diesmal war die Salve stotternder und weniger gut gezielt. Durch das Klirren der Wanten und die ächzenden Spieren hörte Allday, wie drüben einige Kugeln einschlugen, und er sah, daß Fähnrich Maynard in den Rauchschwaden den Hut schwenkte und etwas in den Himmel hinaufrief, konnte aber wegen des Geschützdonners die Worte nicht verstehen.

Die Andiron mußte gleichzeitig mit der Phalarope gefeuert haben. Der allgemeine Lärm hatte das Krachen ihrer Geschütze verschluckt. Allday spürte den Abschuß mehr, als er ihn hörte, etwa wie einen heißen Wind oder wie Sand, der über eine ausgedörrte Wüste weht. Er blickte nach oben, wo die Segel wie in Agonie schlugen und sich vertörnten. Überall klafften Löcher in der Leinwand, und von oben kamen einige Fallen und Spieren. Ein Block knallte klirrend auf ein Verschlußstück. Pryce, der an der Zündung hantierte, sagte ohne aufzusehen:»Die Bastarde haben zu schnell erwidert. Ihre Breitseite ist hoch über unsere Köpfe hinweggegangen.»

Allday spähte durch die Geschützpforte. Er war noch benommen, verstand aber endlich, was Bolitho getan hatte. Die Phalarope hatte sich nicht zur Flucht gewandt, hatte ihr Heck nicht als Ziel dargeboten. Daß sie plötzlich zum Angriff überging, hatte den Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht. Um einer sinnlosen Kollision zu entgehen, hatte die Andiron angeluvt. Daher war ihre erste Breitseite mehr oder minder ins Leere gegangen.

Allday hörte, wie Herrick zu Leutnant Okes hinüberrief:»Bei Gott, Matthew, das ging um Haaresbreite. «Dann, wilder:»Da, der Wimpel! Der Wind dreht.»

Es war wie im Tollhaus, als die feindliche Fregatte schnell der angreifenden Phalarope auswich. Dem Kapitän der Andiron mußte die Attacke so unvermutet gekommen sein, daß ihm entgangen war, was Bolitho bemerkt haben mußte: das Umspringen des Windes.

Anstatt anluven zu können, bekam die Andiron nun den Wind voll von vorn und war manövrierunfähig.

Herrick sprang vor Aufregung auf und ab:»Sie hat sich festgesegelt! Bei Gott, das hat sie!»

Die Männer riefen sich die Nachricht von Geschütz zu Geschütz zu. Eingerahmt von einer Pulverwolke, rollte die Andiron hilflos im Wind, unfähig, nach dieser oder jener Seite zu wenden. Männer kletterten auf die Rahen hinaus, und auf der Phalarope konnte man die durch ein Sprachrohr gebrüllten Befehle hören.

Herrick nahm sich zusammen.»Hinüber zur Steuerbordbatterie. Schnell!«Pryce stieß die Leute an, die er benötigte, und rannte über das

Deck.

Von achtern erscholl der Ruf:»Klar zum Wenden. An die Brassen.»

Allday warf sich neben der Kanone zu Boden und bleckte die Zähne.

Old Strachan krächzte:»Bei Gott, der Kapitän weiß mit dem Schiff umzugehen. «Okes rief:»Ruhe da!»

Herrick ging zur Decksmitte und beobachtete Zimmermann und Bootsmann, die hastig dabei waren, Schäden zu reparieren. Männer kletterten bereits in die Takelage, um die zerrissenen

Taue zu spleißen. Andere spannten oberhalb des Hauptdecks endlich die Gefechtsnetze, um die Leute an Deck vor herabfallenden Blöcken oder Spieren zu schützen.

Die Rahen kamen von neuem herum. Segel donnerten, Brassen kreischten durch die Blöcke. Die Männer rannten wie die Wiesel, um den unaufhörlichen Kommandos vom Achterdeck nachzukommen.

Den Leuten kam alles unwahrscheinlich vor. Eben noch überrascht und bedroht, griffen sie jetzt nicht nur an, sondern versetzten dem Feind einen Schlag nach dem anderen.

Bolitho mußte sich alles ausgerechnet haben. Er mußte es geplant und entworfen haben, während er auf dem nachtdunklen Deck einsam hin und her gegangen war.

Herrick blickte zu ihm hinüber. Gelassen und aufgerichtet stand der Kapitän an der Reling. Die Hände auf dem Rücken, beobachtete er das andere Schiff. Während des Abwartens hatte Herrick bemerkt, wie Bolitho sich mit der Hand über die Stirn fuhr und dabei einen Moment die dunkle Locke beiseite schob, so daß die tiefe, furchtbare Narbe sichtbar wurde. Bolitho hatte gespürt, daß Herrick ihn beobachtete, und zornig seinen Hut in die Stirn gezogen.

Herrick ließ den Blick über die Kanonen gleiten. Die Leute waren erschöpft. Sie schenkten dem Feind keine Beachtung, als die Phalarope herum kam, um den Abstand zu verringern. Er hatte Pochins bittere Bemerkung gehört und gesehen, wie Allday sich ins Zeug gelegt hatte, um den neuen Leuten zu helfen. Es war merkwürdig, wie sie angesichts wirklicher Gefahr alle eigenen Sorgen und Fehden vergaßen.

Es stimmte, unter Bolitho war das Schiff anders. Und die Veränderung ging tiefer, sie war nicht nur durch die Uniformen gekennzeichnet, die auf Bolithos Befehl die fleckigen Lumpen ersetzt hatten, die zu Pomfrets Zeit üblich gewesen waren. Statt der verdrossenen Hinnahme herrschte nun diese heftige Unruhe, die den Eindruck erweckte, als wollten die Männer zusammenstehen, um mit dem Enthusiasmus ihres jungen Kapitäns Schritt zu halten, aber noch nicht wüßten, was sie dazu tun mußten.

«Sie hat wieder Ruderdruck«, sagte Okes scharf.»Sie kommt herum.»

Die Segel der Andiron schlugen, aber Herrick bemerkte ihre veränderte Position und den neuen Winkel ihrer Rahen.

Bolithos Stimme schnitt durch ihre Spekulationen.»Noch eine Salve, Leute. Ehe sie herum ist.»

Herrick atmete scharf aus.»Er will hinter ihr Heck kommen. Das schafft er nie. In ein paar Minuten liegen wir uns Breitseite zu Breitseite gegenüber.»

Das unbegrenzte Vertrauen, das ihm die erfolgreiche Attacke geschenkt hatte, wich fröstelnder Unsicherheit, als die Phalarope Fahrt aufnahm und ihre Masten und Spieren unter dem Druck der Segel bebten. Er faßte seinen Degen fester, als die Bramsegel der Andiron von neuem über den Netzen auftauchten. Ihre Masten standen nicht mehr in einer Linie, sie schwang schnell und gut herum. Es blieb nichts anderes übrig, als das Unvermeidliche abzuwarten.

Okes starrte mit offenem Mund auf das sich nähernde Schiff, während sich die Spanne des aufgewühlten Wassers zwischen den Fregatten immer mehr verringerte. Er hob den Degen.»Steuerbordbatterie feuerklar!«Doch seine Stimme ging in einer wilden Kanonade unter. Von achtern bis vorn bellte jedes Geschütz der Andiron und spie Feuer und Rauch aus.

Diesmal saßen die Schüsse.

Herrick spürte, wie der Rumpf unter seinen Füßen erbebte, und taumelte gegen den Vormast. Rauch vernebelte das Deck, und zersplittertes Holz und zerfetzte Teile der Takelage regneten herab. Die Luft zitterte vom Krachen der Abschüsse und vom Kreischen der Kugeln, die wie Boten der Hölle durch den Rauch peitschten.

In das Heulen der Kugeln mischten sich nähere, schauerlichere Geräusche, als Splitter in die dicht gedrängten Kanoniere flog. Blut strömte über die glatten Decks. Herrick mußte sich auf die Lippen beißen, um nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Er hatte schon früher Leute bluten sehen, bei einem gelegentlichen Scharmützel und unter der neunschwänzigen Katze, nach einem Sturz oder bei einem Unfall. Doch dies war anders. Das Blut war überall, als hätte ein Verrückter das Schiff angemalt. Herrick bemerkte Blutflecken auf seinen weißen Hosen. Er blickte zu der benachbarten Kanone hinüber. Sie stand hochkam, und einer der Kanoniere war zu einer roten Masse zerquetscht worden. Ein Mann, der noch immer eine Handspake umkrampfte, lag ohne Beine da, und zwei seiner Kameraden klammerten sich schreiend aneinander.

Die feindliche Fregatte mußte sofort nachgeladen haben, denn eine neue, unregelmäßige Salve donnerte krachend in die Bordwand der Phalarope.

Männer schrien und brüllten, fluchten und tappten blind durch den erstickenden Qualm, während herabstürzendes Tauwerk und geborstene Hölzer in die wie verrückt zuckenden Netze prasselten.

Ein Pulveräffchen rannte weinend zum Magazin, nur um von einem Seesoldaten fortgestoßen zu werden. Der Junge hatte seinen Kartuschenkorb fortgeworfen und wollte nach unten in die Sicherheit der Dunkelheit flüchten. Doch die Wache brüllte ihn an und schlug mit dem Gewehr nach ihm. Der Junge taumelte zurück und kam wieder zu sich. Wimmernd hob er seinen Korb auf und hastete zur nächstgelegenen Kanone.

Ein Geschoß heulte heran. Herrick hatte Mühe, sich nicht zu übergeben, als die Kanonenkugel den Jungen in zwei Hälften zerriß. Kopf und Oberkörper hielten sich einige Sekunden aufrecht auf den Planken. Ehe Herrick sich abwandte, sah er noch, daß der Junge aus aufgerissenen Augen starrte.

Herrick stolperte gegen Okes, der noch immer mit erhobenem Degen dastand und mit glasigen Augen auf die Reste seiner Batterie stierte.

Herrick brüllte:»Feuer, Matthew! Gib endlich den Befehl!»

Okes ließ den Degen nach unten sausen. Da und dort fügte eine Kanone der Phalarope ihre Stimme der fürchterlichen Symphonie hinzu und rumpelte dann zurück.

«Wir sind erledigt«, sagte Okes.»Wir müssen die Flagge streichen.»

«Die Flagge streichen?«Herrick starrte Okes an. Unvermittelt war die Wirklichkeit wieder da, grausam und persönlich. Tod und Übergabe waren bisher nur Worte gewesen, eine mögliche, aber unwahrscheinliche Alternative zum Sieg. Er sah Bolitho auf dem Achterdeck, dahinter die Seesoldaten. Sie feuerten schon seit einiger Zeit aus ihren Gewehren, ohne daß Herrick es bemerkt hatte. Er sah, wie Sergeant Garwood seinen Leuten Befehle zurief. Sie luden nach und feuerten eine Salve in den Rauch. Hauptmann Rennie stand mit dem Rücken zum Feind und starrte über die andere Reling, als sähe er das Meer zum erstenmal.

Pryce, der Stückmeister, schrie auf und sackte zusammen. Ein langer Splitter, aus dem Deck gefetzt, hatte sich ihm in die Schulter gebohrt. Wie ein Zahn ragte der dicke, gezackte Holzstumpf heraus. Herrick sah es und wußte, daß das andere Ende tief im Fleisch steckte. Die Splitter waren das Gefährlichste und mußten in einem Stück herausgeschnitten werden.

Herrick winkte den Männern am Hauptniedergang.»Bringt ihn nach unten zum Arzt. «Sie hatten auf einen zerfetzten Leib neben der Luke gestarrt. Herricks rauher Ton gab ihnen Kraft, den Bann abzuschütteln.

Pryce begann zu schreien.»Nein! Laßt mich hier beim Geschütz. Bringt mich nicht hinunter!»

«Tapferer Kerl«, flüsterte einer der Männer.»Er will auf seiner Station bleiben.»

Pochin spuckte auf die Kanone. Sein Speichel zischte auf dem heißen Eisen.»Quatsch! Er will lieber hier oben sterben als unten unter das Messer kommen.»

In der Takelage splitterte etwas mit lautem Krachen. Herrick schielte durch den treibenden Pulverqualm. Die Bramstenge des Großmastes wankte, und als der Wind an der befreiten Leinwand zerrte, neigte sie sich nach vorn.

Herrick formte die Hände zum Sprachrohr.»Schnell, Leute. Nach oben. Kappt die Wanten. Sonst geht auch der Vormast zum Teufel!»

Er verfolgte, wie Quintal und ein paar andere hinaufkletterten, und fuhr zurück, als eine Kanonenkugel vor ihm über das Deck pflügte und neben dem Schanzkleid in zwei verwundete Kanoniere schmetterte. Er blickte weg, weil sich ihm der Magen umdrehte, und hörte Vibart rufen:»Deckung! Die Stenge kommt runter!»

Unter mißtönendem Krachen stürzte die lange Stenge quer über das Schanzkleid, wo sie sich in einem Gewirr zerfetzter Stagen und Pardunen verfing. Das zerrissene Segel blähte sich neben dem Schiffsrumpf im Wasser und hemmte die Fregatte wie ein Treibanker.

Ein anderer Anblick setzte dem Schrecken die Krone auf: Betts, der Mann, der die feindliche Fregatte gesichtet hatte, strampelte in der verhedderten, nachschleppenden Takelage wie ein Insekt in einem Spinnennetz.

«Mit der Axt ran!«brüllte Vibart.»Klariert das Zeug!»

Betts starrte aus glasigen Augen zur Fregatte hinauf.»Helft mir, Jungs! Laßt mich nicht ersaufen!»

Aber die Äxte waren bereits am Werk. Die Männer, halb außer sich durch den Wirrwarr, waren zu betäubt, um sich um das Leiden eines einzelnen zu kümmern.

Okes packte Herrick beim Arm.»Warum streicht er nicht die Flagge? Um Jesu willen, sieh, was er uns antut!»

Herrick konnte kaum noch klar denken. Aber er sah, was Okes ihm zeigen wollte. Die Männer hatten den Mut sinken lassen. Sie duckten sich wimmernd, als die feindlichen Kugeln ihnen um die Ohren pfiffen. Nur gelegentlich erwiderte ein vereinzeltes Geschütz das Feuer: das Werk einer Handvoll Männer, geführt von einem erfahrenen, hingebungsvollen Geschützführer, der ein einseitiges Duell mit dem Feind aufrechthielt.

Herrick schloß sich gegen das Schreien der Verwundeten ab, die unter Deck geschleppt wurden. Er wollte nichts sehen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich nur auf jenen Fleck des Achterdecks, wo Bolitho allein an der Reling stand. Der Kapitän trug keinen Hut mehr, und sein Rock war mit Pulver-und Spritzwasserflecken übersät. Ein Läufer, der auf ihn zueilte, sank im Musketenfeuer zusammen. Musketenkugeln hämmerten gegen die Backskisten und pfiffen über das Deck, doch Bolitho rührte sich nicht von der Stelle, und sein Gesicht zeigte nach wie vor den Ausdruck ruhiger Entschlossenheit. Nur ein einziges Mal blickte er auf, und zwar um nach der großen, scharlachroten Flagge zu spähen, die an der Gaffel flatterte. Wollte er sich vergewissern, daß sie noch wehte?

Herrick schüttelte den Kopf.»Er streicht die Flagge nie. Eher läßt er uns mit Mann und Maus untergehen.»

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