2.7

»Nein!«, schrie der Nahrak und sprang in seinen Waffenarm. Die Bewegung kam so überraschend, dass Skar ganz automatisch reagierte. Er riss seinen Arm blitzschnell an sich heran und stieß ihn dann samt Kama mit aller Kraft von sich. Kama wurde abkatapultiert wie eine Heuschrecke, die die volle Energie in ihre Sprungbeine gelegt hatte. Er flog auf die Wand zu, sauste direkt auf eine der Kiina-Kreaturen zu, die wie alle anderen zu eigenständigem Leben zu erwachen schien, zog noch im Flug die Beine an und riss den Arm nach oben - und doch war seine Reaktion zu langsam. Er konnte nicht verhindern, dass er direkt ins schwarz zuckende Netz prallte und in das, was es einhüllte. Der Effekt hätte nicht gewaltiger sein können, wenn ein Staubdrache aus vollem Flug in eine Menschengruppe gestürzt wäre. Mit einem Knall, einem Bersten und Krachen wurde die Nische auseinander gesprengt, explodierte das Netz, spritzten dunkle Klumpen und Knotenstellen durch die Höhle, faserten Fäden auf, barst zerquetschte Gewebemasse auseinander. Gleichzeitig verschlang eine fürchterlich saugende Dunkelheit die ohnehin schon gedämpfte, weißgrüne Helligkeit, die zuvor von überall und nirgendwo gekommen war; eine Dunkelheit, die jeden Ton und jedes Licht zu verschlingen schien, je gewaltiger sich die Schockwelle der Explosion ausbreitete, sodass nach dem ersten Donnern eine fast gespenstische Stille einkehrte.

Skar sprang automatisch einen Schritt zurück, riss Esanna mit sich, in den zweifelhaften Schutz seines Tschekals, das er in Kampfhaltung vor sich hielt, absolut sicher, dass ein Angriff erfolgen würde, aber genauso ungewiss, aus welcher Richtung er erfolgen würde.

Er brauchte nicht lange zu warten. Es war nicht nur die Nische, in die der bedauernswerte Nahrak gestürzt war, die nun widernatürliches Leben ausspuckte, es waren alle Nischen. Mit abgehackten, bedrohlich wirkenden Bewegungen, die in der nun fast vollkommenen Dunkelheit mehr zu erahnen als zu sehen waren, brach eine Kiina nach der anderen aus ihrem Gefängnis hervor. Skar war nicht überrascht zu sehen, dass sie allesamt auf ihn und Esanna zuhielten.

Hektisch sah er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um - sofern das im verbliebenen Restlicht möglich war. Hinter ihm lockte der abgrundtiefe Schlund, als böte er einen Ausweg aus all diesem Wahnsinn, in den er gestolpert war, nachdem er auf so mysteriöse Weise halb tot an Land gespült worden war. Um dieses gigantische Loch herum führte ein relativ schmaler Streifen ins unbekannte Höhleninnere. Wie weit die Reihe der Nischen reichte, wusste er nicht; wenn er Pech hatte, zogen sie sich wie Wachposten komplett um den Schlund herum. Einziger einigermaßen sicherer Fluchtweg blieb der Tunnel zu seiner Rechten, durch den sie die Höhle betreten hatten.

Der Haken an der Sache war, dass er sich dann an den schwarzen Schatten vorbeikämpfen musste (hatte er tatsächlich noch vor wenigen Augenblicken nicht ausgeschlossen, dass eines dieser Monster seine Tochter sein konnte?), die ihn mit plumpen, aber zielstrebigen Bewegungen einzukesseln versuchten, wohl um jede Gelegenheit für einen Ausbruch schon im Ansatz zu ersticken.

So weit wollte es Skar nicht kommen lassen. Er hatte zwar keine Ahnung, von welcher Hilfe Kama gesprochen und wo dieser ominöse Treffpunkt sein sollte, aber er wusste plötzlich mit instinktiver Sicherheit, dass es nicht der Tunnel sein konnte. Ansonsten blieben nur noch zwei Möglichkeiten: links oder rechts am Schlund vorbei, egal, was sich ihnen entgegenstellen wollte.

»Lauf!«, schrie er Esanna zu und versetzte ihr einen Schubs, der sie nach hinten, auf den Schlund zustolpern ließ. Er selbst sprang im selben Moment und keine Sekunde zu früh los: Eines der Monster mit dem schwarzen Schattenriss Kiinas setzte ihm mit einem Fauchen nach und etwas, das wie eine groteske Mischung zwischen einem menschlichen Arm und der Klaue eines zu groß geratenen Käfers aussah, ratschte dicht an ihm vorbei.

Esannas Hand krallte sich schmerzhaft in Skars Arm und dicht nebeneinander hetzten sie weiter, nur weg von den Kreaturen. Es war zu dunkel, um mehr als ein paar Schritte weit sehen zu können und es war mehr als fraglich, ob er noch rechtzeitig den Rand des Abgrunds sehen würde, bevor sie in ihrem selbstmörderischen Tempo über ihn und in die nahezu unendliche Tiefe stürzen würden. Aber sie hatten keine andere Wahl. Die schwarzen Schatten hetzten von allen Seiten auf sie zu.

Es wurde in doppeltem Sinne ein Wettlauf mit dem Tod. Wenn sie zu langsam waren, würden sie eher früher als später ein Opfer der Monster werden, waren sie aber zu schnell, konnte das den Absturz in den sicheren Tod bedeuten. Obwohl Skar wusste, dass sie eine unbedachte Richtungsänderung in die unmittelbare Nähe des unermesslichen Lochs inmitten des Höhlenbodens bringen konnte, schlug er einen wilden Haken, als eine schwarz glänzende Kiina auf ihn zuzischelte. Sein ausgemergelter, überanstrengter Körper gehorchte ihm trotz der Strapazen der letzten Stunden und der vielen Verletzungen mit erstaunlicher Präzision, und war dennoch einen entscheidenden Sekundenbruchteil zu langsam.

Die Kreatur erwischte ihn an der Brust. Skar fühlte sich hochgehoben und zurückgeschleudert; mit wild rudernden Armen kämpfte er einen Moment um sein Gleichgewicht, da erwischte ihn ein zweiter Schlag und er ging endgültig zu Boden. Obwohl er im Fallen noch versuchte sich zur Seite zu drehen, schaffte er es nicht mehr ganz; er landete mit seinem vollen Gewicht auf Esanna und rammte sie damit geradezu in den Boden.

Dummerweise wurde nicht nur Esanna Opfer seines plumpen Sturzes, sondern auch sein rechter Arm; sein Handgelenk knickte ab und die Klinge seines Tschekals schrammte dicht an Esannas Oberschenkel vorbei auf den harten Boden. Wäre sein Schwert nicht aus spezialgehärtetem Sternenstahl, wäre es zweifellos bei dem Aufprall geborsten. Doch auch so nutzte ihm die Waffe nichts mehr; bevor er sich auch nur halb von Esanna und seinem Schwert gerollt hatte, war die Kreatur schon heran. Ein Schlangenschädel beugte sich über ihn, veränderte sich wie eine lebendig gewordene Halluzination eines Wahnsinnigen, halb Kiina und halb Monster, halb Mensch und halb unbegreiflich fließende Bewegung. Esanna stöhnte auf, gleichermaßen aus Benommenheit wie aus Panik, und Skar versuchte sich an einer Sprungtechnik, mit der es jeder halbwegs vernünftig ausgebildete Satai schaffen sollte, blitzschnell aus einer liegenden in eine stehende Position zu wechseln.

Daran gemessen versagte Skar kläglich. Er kam gerade halb hoch, da patschte die Klaue der Kiina-Kreatur auch schon wieder auf seine Brust und schleuderte ihn erneut auf das Mädchen herab. Esanna gab einen röchelnden, erstickten Laut von sich und zuckte einmal auf, um gleich darauf wie erstarrt unter ihm liegen zu bleiben. Skar hatte keine Zeit sich darum zu kümmern.

Als sich das Monster mit einem schmatzenden Geräusch auf ihn stürzen wollte, ließ er das durch den nur halb missglückten Sprung wieder freigekommene Tschekal einen präzisen und mit aller Kraft geführten Halbkreis beschreiben, der zu seiner eigenen grenzenlosen Verblüffung das Monster im ersten Ansatz sauber durchtrennte.

Der Torso der Kreatur blieb schwankend über ihm stehen, während der Oberkörper mit dem schlangengleichen Gesicht Kiinas direkt neben Skar auf den Boden krachte. Einen fürchterlichen Augenblick starrte Skar dabei in Kiinas gebrochene Augen, die so täuschend echt aussahen, dass er das Gefühl hatte, ein eiskalter Dolch durchstoße sein Herz. Dann schwappte eine ekelhafte, klebrige Brühe über ihn und der Torso stürzte auf ihn.

Skar zog die Knie an und traf den abscheulichen Unterleib mit einem gewaltigen Tritt im oberen Drittel; seine Hände zitterten dabei so stark, dass er kaum noch das Schwert halten konnte. Bevor der Torso in hohem Bogen davonschleuderte, wurden er und Esanna über und über mit der schwarzen, stinkenden Flüssigkeit besudelt, die zäh wie Blut an ihnen klebte. Obwohl er wusste, dass es Unsinn war, schrie ihm eine innere Stimme zu, dass er soeben sein eigen Fleisch und Blut, seine eigene Tochter umgebracht hatte. Das nächste Kiina-Monster, das in diesem Moment auf ihn zustürmte, belehrte ihn eines Besseren. Ein Schlangenschädel beugte sich über ihn, als er sich erheben wollte, und krabbenähnliche Scherenarme pfiffen wütend an seinem Gesicht vorbei. Skar rammte dem Monster über sich den Griff seines Tschekals an die Stelle, bei denen bei Menschen der Magen gewesen wäre und das Kiina-Monster torkelte zurück.

Er musste aufpassen, sich durch ihr Aussehen nicht täuschen zu lassen. Als die Kreatur erneut auf ihn zustürmte, empfing er sie mit einer Achterkombination, die ihr in einer kreisenden Bewegung zuerst beide Klauen vom Leib trennte und dann tief die Klinge seines Schwertes in ihren Leib versenkte; merkwürdig und überraschend leicht auch diesmal. Mit einem fast menschlicherstaunten Gesichtsausdruck taumelte die Kreatur auf ihn zu und riss die Armstümpfe empor, als wollte sie ihn damit angreifen. Der Laut, mit dem sie dann schließlich auf den Boden prallte, ließ ihn innerlich erschauern.

»Weg hier«, schrie jemand und Skar starrte mit weit aufgerissenen Augen und vollkommen fassungslos auf Kama, der mit grotesk großen Sprüngen auf ihn zugestürmt kam. Er hatte den Nahrak für tot gehalten, zerschmettert von der Explosion, den sein Sturz in die Nische ausgelöst hatte. »Sie werden schon stärker«, brüllte ihm Kama ins Ohr, während er ihn am Arm packte und herumwirbelte.

Skar schüttelte seinen Arm ab und beugte sich zu Esanna herunter. Das Mädchen stöhnte leise und versuchte ihn abzuwehren, als er ihren Oberkörper packte, sie nach oben riss und sie sich ohne viel Federlesens über die Schulter warf. Es war schon zum zweiten Mal, dass er sie auf diese Weise aus einer drohenden Gefahrenzone zu retten versuchte; das erste Mal war im Digger-Dorf gewesen, inmitten des Gemetzels, das die Quorrl unter der Dorfbevölkerung veranstaltet hatten. Im Gegensatz zu dem Kampf gegen diese Monster in dieser vollkommen übersteigerten Höhle - und nur ein paar Schritte entfernt von dem ins unendliche Nichts hinabstürzenden Sog unfassbarer Tiefe - kam ihm der Kampf der Quorrl gegen die Digger allerdings eher wie ein harmloser Spaziergang vor.

Er hatte sich gerade wieder aufgerichtet und wollte Kama hinterherstürzen, als er begriff, was der Nahrak mit Sie werden stärker gemeint hatte. Das Monster, das aus der Dunkelheit auf ihn zuraste, war nicht nur schneller; seine Bewegungen wirkten auch deutlich koordinierter als die der beiden Kreaturen, die er mit Leichtigkeit hatte töten können. Ein schwarzer Scherenarm jagte auf ihn zu und er musste sein Tschekal blitzschnell hochreißen, um nicht schon im ersten Ansturm schwer getroffen zu werden. Nur mit Mühe konnte er den Schlag auffangen, ohne allerdings seinem Gegner eine ernsthafte Verletzung zufügen zu können. Die Schlagenergie der Kiina-Kreatur stand der eines Quorrl in keiner Weise nach und es gelang ihm nur mit Mühe, mit einem Seitwärtsschritt den größten Teil der tödlichen Wucht wirkungslos verpuffen zu lassen.

Der Schock der Erkenntnis traf ihn erst den Bruchteil einer Sekunde später: Dieser schwarze Scherenarm, der sich mit seinem Tschekal gekreuzt hatte, musste fast so hart sein wie Sternenstahl; er stocherte, nahezu unverletzt, schon wieder vor seinem Gesicht herum, kaum dass Skar mit einem weiteren Ausfallschritt aus seiner Reichweite hatte entkommen wollen. Die Veränderung der Monster zu schier unbesiegbaren Kampfmaschinen besiegelte seinen und ihrer aller Untergang - wenn er sich nicht ganz schnell etwas einfallen ließ und es vor allem vermied, sich auf einen längeren Kampf mit seinem Angreifer einzulassen. Bis die Kreatur Verstärkung bekam, konnte es nicht mehr lange dauern, und sich gegen mehrere der schwarzen Schattenwesen zu verteidigen würde bedeuten das Ende allerhöchstens noch ein paar Minuten hinauszuschieben, bis er unweigerlich unter einer wütenden Attacke zu Boden gehen würde.

In einer einzigen Drehung explodierte seine gesamte Energie. Sein Fuß sauste wie ein eigenständiges Wesen herum, getrieben von dem absoluten Willen zur Vernichtung, wie ihn außer einem Satai nur wenige Menschen mobilisieren konnten. Mit ungestümer Gewalt traf er den verformten Hals des Monsters.

Skar hatte das Gefühl, gegen puren Fels getreten zu haben. Und trotzdem hatte der Tritt Erfolg. Das Ungeheuer stieß einen kläglichen Laut aus, torkelte einen halben Schritt an Skar vorbei und fiel dann wimmernd zu Boden. Das Skar zugewandte Profil ähnelte immer noch in erschreckender Weise dem Kiinas; sogar einzelne Haarsträhnen waren noch erkennbar, allerdings liefen sie in grün verklumpten Hautfetzen aus.

Ein eisiger Schauer überlief Skar, als er erkannte, wie sich das Wesen verändert hatte, das er für seine Tochter gehalten hatte. Dicht unter einer merkwürdig eckigen Körperöffnung, die wohl eher ein Maul als ein Mund war, sah er entsetzliche Beißzangen, die aus dem Unterkiefer wucherten. Sie sahen kräftig genug aus, um einem Mann den Oberschenkel durchzubeißen. Als wäre das noch nicht genug, verfügte die Kreatur über ein ganzes Arsenal weiterer widerlicher Auswüchse - von den mit spitzen Widerhaken versehenen Höckern auf seinem Rücken über gewaltige, dornenbewehrte Sprungbeine bis hin zu ein paar Dutzend dolchspitzer Stacheln auf seinen Armen, die vorne zu krabbenähnlichen Scheren ausliefen.

»Schnell!«, schrie Kama und in seiner Stimme schwang eine für ihn ganz ungewohnte Panik mit. »Wenn die Verwandlung abgeschlossen ist, wir sein verloren.«

Skar riss sich von dem morbiden Anblick los. Gerade noch rechtzeitig, denn das Monster rappelte sich schon wieder auf. Eine sichelförmige Klaue hackte nach Skars Bein, dann war er schon an ihm vorbei und jagte, Esanna eng an sich geklammert, dem Nahrak hinterher.

»Hier lang«, keuchte Kama, ohne sich umzusehen.

Skar hatte Mühe ihm zu folgen; der Nahrak gab ein unglaubliches Tempo vor und Skar war noch immer zu angeschlagen, um längere Zeit die geheimen Kraftreserven zu mobilisieren, über die jeder Mensch verfügte, die aber die wenigsten bewusst zu nutzen verstanden. Er hoffte nur, dass Kama wusste, was er tat, denn er selber hatte mittlerweile vollkommen die Orientierung verloren.

Die Kiina-Kreaturen schienen sie für den Moment abgehängt zu haben, doch es bestand kein Grund sich bereits in Sicherheit zu wähnen. Etwas Großes, Glitzerndes bewegte sich in dem verschwommenen Halbdunkel vor ihnen, ein heller, schleifender Laut war zu hören und plötzlich schien die Höhle selbst zu erwachen und sich mit tausendfach krabbelnden und wimmelnden Bewegungen über sie hermachen zu wollen. In Skar flammte die noch frische und schmerzende Erinnerung an die Höhle auf, die zusammengekracht war, nachdem die Wände selbst lebendig geworden waren und er fragte sich verzweifelt, ob denn dieser Wahnsinn nie ein Ende haben würde.

Im Moment zumindest nicht. Was oder wer auch immer ihre Angreifer koordinierte, schien sich jetzt wieder vollkommen auf sie eingeschossen zu haben. Noch waren es eher kleinere Wesen, die auf sie zuhielten, abscheuliche Gliedmaßen ausformten und Schlangenarme mit dünnen, nadelscharf auslaufenden Horndolchen nach ihnen ausstreckten. Es war ein Zittern und Beben in diesen Kreaturen, als seien sie dabei, sich zu sammeln, und ihre Angriffe wirkten eher zufällig und keineswegs so zielgerichtet wie die der Khtaám, die sie in der oberen Höhle überrascht hatten. Dennoch fiel es Skar bereits schwer, sich der vielfältigen Attacken der Nachtmahre zu erwehren, die mit ihren Stachel- und zackenbewehrten Auswüchsen und Gliedmaßen nach ihm hackten, wann immer er in ihre Nähe kam, und er ahnte, dass sie ihre Offensive nur deshalb nicht mit aller Entschlossenheit vorantrieben, weil sie sich ihrer Opfer absolut sicher wähnten.

Wie von einer unsichtbaren Hand nach vorne geschoben, wogte eine Flut undefinierbarer Kreaturen auf die Stelle zu, auf die sie gerade zuhielten, und Skar fragte sich besorgt, ob der Nahrak wirklich wusste, was er tat. Zu allem Überfluss blieb Kama auch noch in genau diesem Moment stehen. »Da ist er«, schrie er, während er sich zu Skar umdrehte, der ihn fast in vollem Lauf niedergerannt hätte. »Wir müssen nur noch kurz durchhalten.«

Das war leichter gesagt als getan - Skars Stiefel fegten in schneller Folge dutzende der hartnäckigen Angreifer weg, ohne dass der flutartige Angriff auch nur eine Sekunde abebbte - und außerdem hatte er überhaupt keine Ahnung, wen oder was Kama meinte. Aber dann begriff er es. Es war eine unglaubliche Szene. Ein dumpfes Grollen erklang vor ihnen, das aus der Tiefe des Berges zu kommen schien und einen fürchterlichen Augenblick lang fürchtete Skar, dass sich der Boden vor ihnen auftun würde, um hunderte der Khtaám-Larven auszuspucken. Doch dann erkannte er seinen Irrtum; das Grollen kam nicht von unten, sondern von oben. Etwas Monströses bewegte sich dort mit gigantischem Schwingenschlag auf sie zu, etwas, was Skar gleichzeitig vollkommen unbekannt vorkam und gleichermaßen vertraut erschien. Es konnte doch nicht sein ... Er kam nicht dazu, den Gedanken weiterzuverfolgen.

»Vorsicht!«, schrie Esanna, die sich eng um seinen Oberkörper gewunden hatte, bei Bewusstsein zwar, aber offensichtlich nicht willens, hinab in die krabbelnde Flut zu springen. Immerhin verfügte Skar durch sie über das zweite Augenpaar, das er sich schon so oft im Kampf gewünscht hatte - und gerade jetzt war das von unschätzbarem Vorteil. Er wirbelte herum. Nicht weit entfernt zeichneten sich die im Halbdunkel kaum erkennbaren Schemen der Kreaturen ab, die inzwischen kaum mehr Ähnlichkeiten mit einem Menschen hatten und ihn dennoch vor kurzem mit ihrer täuschend echten Imitation Kiinas genarrt hatten. Sie glitten langsam näher, fast lautlos, und als Skar über den Absatz einmal um seine eigene Achse glitt, erkannte er, dass sie einen nahezu perfekten Kreis bildeten, der sich rasch enger zog.

Es war eine Situation wie aus einem strategischen Lehrbuch. Wenn er noch eine Chance hatte, dann nur die eines sofortigen Ausbruchversuchs, in den er seine ganze Energie steckte.

Doch dazu kam es nicht mehr.

Ein greller Blitz schoss ihm entgegen, glitt so dicht über ihn hinweg, dass er die Feuersäule in seinem Rücken spüren konnte. Zwei, drei Monster hinter ihm verwandelten sich in grelle Fackeln; ihr schrilles Kreischen übertönte ein paar Herzschläge lang jedes andere Geräusch und hätte Skar einen Schauder über den Rücken gejagt, wenn er nicht immer noch gleichermaßen fasziniert wie kampfbereit dem Biest entgegengeblickt hätte, das dort auf sie herabschoss. Es war ein Anblick, der ihm in einer anderen Situation das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. Aus der alles verschlingenden Dunkelheit schob sich der hellere Schatten eines Drachens hervor, absurd groß und mit einer solch gewaltigen Spannweite, dass er wohl in jeder anderen als dieser überdimensionierten Höhle nahezu manövrierunfähig gewesen wäre. Zuerst glaubte Skar eine Daktyle auf sich zufliegen zu sehen, auf der eine mit einer Scannerwaffe ausgerüstete Errish hockte. Aber er braucht nicht lange, um seinen Irrtum zu bemerken. Es war keine Daktyle und es war auch keine Reiterin auf dem fliegenden Ungeheuer zu sehen.

Für ein paar Sekunden schien die Zeit stehen zu bleiben. Skar hatte sich nur selten Gedanken um die Panzerechsen gemacht, die auf Enwor beheimatet waren, und lange Zeit hatte er geglaubt, die Drachen der mächtigen Errish wären die einzigen Geschöpfe dieser Art in den Grenzen seiner Welt. Später erst hatte er erfahren, dass es neben den Daktylen noch andere Echsen gab, nämlich die Tyrr, die als einfache Flugtiere Verwendung fanden, während die Daktylen eine tiefe Symbiose mit ihren Reiterinnen eingingen. Diese Drachen waren auf unverständliche Art und Weise mehr als nur Tiere gewesen, in tiefer Verbundenheit für ein Leben lang verschmolzen mit ihrer Reiterin, auf geradezu selbstvergessene Art an ihre Errish gebunden und doch gleichzeitig so stolz und unbeugsam wie kaum ein anderes Wesen auf Enwor. »Einen Drachen kannst du nicht beherrschen«, hatte ihm einst eine Errish erklärt, »du musst seine Freundschaft gewinnen oder er wird dich töten.«

Der Frarr, der auf ihn zugesaust kam, den er bislang lediglich auf einem Gemälde in Besh-Ikne gesehen hatte, ohne zu ahnen, dass es dieses abscheuliche Geschöpf wirklich gab, war nichts von alledem. Dieser hässliche, mörderische Drache hatte nichts mit den mächtigen Riesenechsen gemein, die vor langer Zeit den Errish gedient hatten, und er ähnelte auch nicht den Tyrr. Er war nicht stolz, sondern höchstens verschlagen, und das heimtückische Funkeln in seinen Augen versprach nicht Freundschaft, sondern Tod. Doch das alles war Skar im Augenblick egal. Es ging einzig und allein darum, hier rauszukommen. Möglicherweise bot dieser mörderische Koloss dazu eine einmalige Chance - denn wen sonst hätte Kama als Hilfe bezeichnen können? - und wenn der Frarr in diese Höhle hereingekommen war, würde er auch wieder herauskommen. Die Frage war nur, wie Esanna, Kama und er auf seinen Rücken kommen würden; ihre Angreifer schienen jedenfalls nicht willens das zuzulassen.

Bevor er irgendetwas unternehmen konnte, tat der Frarr das, was Skar befürchtet hatte: Er setzte zur Landung an. Seine mächtigen Schwingen wischten ein paar ihrer Angreifer zur Seite, die so unvorsichtig gewesen war, nicht rechtzeitig zur Seite zu springen. Wenn er weiter mit so mörderischer Geschwindigkeit auf den Boden zuhielt, würde er nicht nur die Khtaám erwischen, sondern auch sie selbst; allen voran Kama, der dem Drachen entgegensprang, irgendetwas in der Hand haltend, das ein schwaches, irisierendes Licht ausstrahlte.

Ungeachtet des Sturzflugs des Drachens explodierte der Bereich um sie herum plötzlich vor hektischer Aktivität und Angriffslust. Wenn Skar jemals begriffen hatte, dass es nicht viele Khtaám gab, sondern nur einen Khtaám mit vielen Erscheinungsformen, dann in diesem Moment. Das unbegreifliche Wesen hatte erfasst, was der Drache wollte, und es wehrte sich auf die ihm eigene Weise, indem es alles in die Schlacht schmiss, was ihm zur Verfügung stand.

Von einer Sekunde auf die andere fühlte sich Skar von dutzenden kleiner Monster bedrängt, die dem Alptraum eines unter einer Rattenphobie leidenden Menschen entsprungen zu sein schienen. Während aber auch die aggressivsten Ratten im Vergleich zu den Khtaám-Manifestationen wie harmlose Schoßtierchen wirkten, glichen diese mit Krallen, Stacheln, dornenbewehrten Sprungbeinen und winzigen, aber mörderischen Reißzähnen ausgestatteten Angreifer wahren Ausgeburten der Höhle.

Als sich die ersten dieser Viecher in seine nackten Beine verbeißen wollten, federte Skar mit einem Riesensatz nach oben, drehte sich einmal um die eigene Achse, erschlug mit dem Tschekal eines der kleinen Monster, das sich in seiner Wade verkrallt hatte, und kam dann zwei, drei Schritte hinter der Angriffsweile wieder auf dem Boden auf.

Es war sinnlos. Statt einer Flut kleinerer Monster sah er sich jetzt mehreren Kreaturen gegenüber, die die Nischen ausgespien hatten; mit Kiina hatten sie mittlerweile keine Ähnlichkeit mehr. Esanna, die sich nach wie vor an seinen Rücken klammerte, fing wild an zu strampeln und schrie irgendetwas, aber Skar konnte sich nicht um sie kümmern - obwohl er den Grund ihrer Panik ahnte; wahrscheinlich hatte auch sie eine Klette in Form einer wahren Scheußlichkeit von Khtaám an ihren Beinen hängen.

Als die beiden ersten Monster mit ihren vorgestreckten, krabbenähnlichen Klauen auf ihn zurasten, getrieben von ihren gewaltigen, dornenbewehrten Sprungbeinen, versuchte Skar nicht auszuweichen, sondern glitt stattdessen in den elastischen Falam-Stand, der es ihm ermöglichte, fast die gesamte Energie eines Angreifers aufzunehmen und auf ihn zurückzulenken. Der erste Klauenarm sauste auf ihn zu und Skar ließ ihn ohne Widerstand seine Bahn verfolgen. Er gestattete es ihm sogar, seinen Harnisch leicht zu touchieren, bevor er sich seitlich und rückwärts drehte und der Kreatur mit einem mit voller Wucht geführten Schlag seines Tschekals in den Rücken dazu verhalf, wie von einem Katapult fortgerissen in eine Gruppe seiner Artgenossen zu sausen. Diese von der lebenden Bombe getroffenen Monster, die rücklings versucht hatten Skar einzukreisen, purzelten nun wie ein Haufen überraschter Schulkinder durcheinander.

Skar blieb keine Zeit sich seines Erfolgs zu erfreuen. Der zweite Angreifer war im letzten Moment seinem Ausweichmanöver gefolgt und schien nicht bereit zu sein, auf die gleiche Finte wie sein Artgenosse hereinzufallen. Er bediente sich einer genauso brutalen wie einfachen Taktik: Er wollte Skar schlicht und einfach überrennen. So nah wie er heran war und dank seiner hohen Geschwindigkeit konnte das aus seiner Sicht eigentlich kein Problem sein. Doch Skar wäre nicht er selbst gewesen, wenn er es dabei belassen hätte.

Mit Esanna auf dem Rücken konnte er weder unter dem Angreifer durchtauchen noch ihn überspringen; für einen Seitwärtsschritt war es aber bereits zu spät. Also sprang Skar nach hinten, packte Esanna mit der linken Hand und riss sie wie eine Puppe hoch. Mit einer gewaltigen Bewegung schleuderte er sie genau in dem Moment der Kreatur entgegen, als sie auch schon heran war, riss den Kopf nach hinten, sodass sich sein Oberkörper durchbeugte, weg von den gefährlichen Scheren, und ließ sich nach unten plumpsen.

Ein untrainierter Mann wäre zweifelsohne mit dem Hinterkopf auf dem harten Felsen aufgeschlagen und hätte sich zudem den Rücken verstaucht. Skar dagegen verspürte nichts weiter als einen harten Ruck, dem er durch eine elastische Ausweichbewegung die vernichtende Wucht nahm. Dann war die Kreatur auch schon über ihm und die mit spitzen Widerhaken versehenen Beinsicheln der Kreatur schrammten an seiner Wange vorbei.

Hinter ihm raste der verdutzte Angreifer in seine Artgenossen, die sich gerade wieder aufgerappelt hatten, und riss sie erneut zu Boden. Auch Skar war nicht gerade glücklich dran: Esanna, die er hochgeschleudert hatte und deren Flugbahn durch eine unsanfte, wenn auch nicht allzu heftige Begegnung mit einer der Scheren des Angreifers abgelenkt worden war, sauste mit voller Wucht auf ihn hinab und rammte ihn in den Boden.

Skar wurde die Luft aus den Lungen gepresst und vor seinen Augen begannen graue Schatten zu treiben. Er versuchte sie wegzublinzeln, aber es wurde nur noch schlimmer. Die auf ihm liegende Esanna schien vor ihm zu verschwimmen und der ganze sichtbare Bereich der Höhle begann sich um ihn zu drehen, als würde er plötzlich nicht mehr den normalen Naturgesetzen gehorchen. Dumpfe Übelkeit stieg aus seinem Magen empor und seine Arme und Beine fühlten sich mit einem Mal taub und schwer an. Dabei durfte er sich gerade jetzt keine Schwäche leisten: Die nächste Welle der kleineren Khtaám-Monster wimmelte bereits heran und würde ihn und Esanna bei lebendigem Leib zerstückeln, wenn er nicht sofort etwas zu ihrer Rettung unternahm.

Doch dann passierte das, was er die ganze Zeit über gehofft hatte, ohne die geringste Chance zur Realisierung zu sehen: Ein anderer nahm ihm den Kampf gegen die Monster ab. Es war der mittlerweile gelandete Frarr, der sich auf seine ganz eigene Art in den Kampf mischte. Eine gigantische Feuerwalze schlug den schwarzen Nachtmahren entgegen und brannte sich in ihre Leiber ein. Die Luft war schlagartig erfüllt von einem unbeschreiblichen Gestank nach verbrannter Körpersubstanz und verschmorten Weichteilen, einer Ausdünstung des Todes, seltsam süßlich und herb zugleich, aber dabei so penetrant, dass sie jeden Atemzug zur Qual werden ließ. Das Verblüffendste aber war: Wie Feuerfackeln fingen selbst jene Kreaturen sofort an zu brennen, die die Flammen nicht voll getroffen, sondern nur gestreift hatten; so als hätte sie der Odem der Höhle entflammt. Die Dunkelheit wurde durchbrochen von diesen lebendigen Fackeln, ein zerrissenes, gespenstisches Licht, das sich in den Weiten der Höhle verlor, aber gleichzeitig mit erschreckender Deutlichkeit erkennen ließ, wie viele Monster der Khtaám aufgeboten hatte, um sie zu vernichten; so weit das Auge reichte, brandete die Woge der Kreaturen heran, unterschiedliche Formen und Gestalten, von denen sich einige überraschend schnell und andere erstaunlich langsam bewegten.

Ein leichter Schwenk des Drachenkopfes schob eine wabernde Feuerwand und gleißende Hitze genau in seine und Esannas Richtung und ließ Skar ganz schnell vergessen, wie schwach und übel er sich gerade noch gefühlt hatte; er hatte das Gefühl, bei lebendigem Leibe gegrillt zu werden und die tosende Hitze durchbrach den Schutzpanzer der ansonsten in diesem verdammten Höhlensystem herrschenden Kälte, um ihn innerhalb weniger Sekunden auszudörren.

Das war, endlich, das Signal für Esanna, sich so schnell wie möglich hochzustemmen - nein, schon eher hochzuschießen -, und damit war auch Skar endlich in der Lage sich aufzurappeln, wenn auch zuerst nur auf alle viere, und sich vor dem Flammenmeer zu retten, das sich jetzt bereits von selber ausbreitete, wütende Nahrung in den Nachtmähren fand, die ihm offensichtlich nicht den geringsten Widerstand entgegensetzen konnten. Es kroch, krabbelte und quirlte, nur weg, raus aus der Gefahrenzone; wie eine durchgehende Pferdeherde jagten die größeren Kreaturen über die kleineren Khtaám-Erscheinungen hinweg, offenbar getrieben von unendlicher Panik, nur weg, weg, weg vom Schauplatz des Entsetzens ...

Und damit auch von Skar, Esanna und dem Nahrak.

Während sich Skar fassungslos aufrichtete, auf das Schauspiel starrte und ein paar Schritte zurückstolperte, jagten sich seine Gedanken. Wenn er das gewusst hätte ... wenn er nur geahnt hätte, mit welcher Panik die Khtaám auf Feuer reagierten ... aber jetzt begriff er auch, warum sie ihn so umständlich vom Feuerplatz weggelockt hatten, statt ihn und Esanna gleich an Ort und Stelle zu überfallen.

Der Drache spuckte den fliehenden Monstern eine letzte Feuerwalze hinterher, die wie eine sengende Verdammnis über sie hinwegglitt und rauchende, vor Hitze knackende Vernichtung über sie brachte; es sah aus, als wäre der Zorn wütender Götter über die Khtaám und die ganze Höhle gekommen, um sie für ihr verdammenswertes Treiben abzustrafen. Die Kreaturen stießen schrille, unmenschliche Laute aus bei dem Versuch, noch in letzter Sekunde der drohenden Vernichtung zu entkommen, doch etliche von ihnen schafften es nicht mehr, wurden zu flammenden, Hitze abstrahlenden Säulen. Die Luft war voll beißenden Rauchs und schmeckte nach Feuer, und der lodernde Feuerschein erhellte die gigantische Kuppel der Höhle, brach und reflektierte sich in dunklem, wie poliert wirkendem Gestein in Schwindel erregender Höhe; ein unvorstellbarer Lärm, Schreie, das Krachen berstender Kreaturen, das Prasseln von Feuer, das die kleineren Khtaám ergriffen hatte und über sie hinwegwogte und ein schrilles, in den Ohren schmerzendes Heulen und Kreischen riss an ihren Nerven ...

Nachdem der Frarr sein Vernichtungswerk beendet hatte, schnappte das gigantische Maul mit ein paar fürchterlichen Beißbewegungen in Skars und Esannas Richtung und ein tiefes Grollen entrang sich seiner Brust. Es war ein Anblick, der einem weniger beherzten Mann als Skar das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen. Das riesige, mit rasiermesserscharfen Alligatorzähnen bewehrte Echsenmaul war groß genug, um einen Mann mit einem einzigen Biss zu zerteilen. Die Bestie war grün, von einem so kranken, widerwärtigen Grün, wie er es nie zuvor gesehen hatte, und ihr Rumpf erinnerte bei genauerem Hinsehen an einen ins Groteske vergrößerten Leib einer Riesenschlange, der zu allem Überfluss auch noch mit einem zackenbewehrten Wulst ausgestattet war.

Skar starrte wie gebannt auf das Wesen, sich nur zu bewusst, dass die nächsten Sekunden darüber entscheiden würden, ob der Drache auch sie angreifen würde oder nicht. Die Bösartigkeit und Erbarmungslosigkeit dieser Riesenechse war beinahe körperlich spürbar. Das ganze Wesen wirkte irgendwie missgestaltet, zumindest im Vergleich zu einer Daktyle. Sein langer, lanzenförmiger Schwanz diente offenbar dazu, seinen Flug zu steuern und gleichzeitig sein Gleichgewicht auszubalancieren, war aber darüber hinaus auch eine fürchterliche Waffe, die sicherlich mühelos eine ganze Menschengruppe beiseite wischen konnte. Seine Füße waren groß und fünfzehig wie die von Menschen, doch wirkten sie eher wie Klauen, die reißen und zerstören wollten. Am grässlichsten jedoch war der Schädel mit seiner höhnischen Mundpartie, den gefährlichen Reißzähnen und dem arglistigen Blick aus dunkel schimmernden Echsenaugen. Skar konnte nicht gerade behaupten, dass es ihn beruhigte, einen solchen Kampfgefährten zu haben. Er warf einen besorgten Blick zu Kama herüber, der immer noch mit diesem merkwürdigen Teil in seiner Hand hantierte, dessen schwacher Lichtschein allerdings nicht mehr zu sehen war - wahrscheinlich ganz einfach deshalb, weil er in der tobenden Feuersbrunst verendender Kreaturen unterging. Kama erwiderte seinen Blick und machte dann mit dem Kopf eine Bewegung, die wohl bedeuten sollte, dass er und Esanna zu ihm herüberkommen sollten. Skar legte seine Hand auf die Schulter des Mädchens, das ganz selbstverständlich zu ihm gerannt war und sich nun schluchzend an ihn presste. Er spürte das Zittern und Beben ihres Körpers und er konnte sie nur zu gut verstehen. Was in den letzten Stunden passiert war, hätte selbst dann an Aufregung für ein ganzes Leben gereicht, wenn ihnen jetzt die Konfrontation mit dem Drachen erspart geblieben wäre.

»Das ist... grauenvoll«, stieß Esanna so leise hervor, dass er sie kaum verstand.

Skar nickte, unsicher ob er etwas sagen oder tun konnte, was sie beruhigte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sie so im Arm zu halten, fast tröstlich angesichts des unglaublichen Chaos um sie herum und doch gleichzeitig seltsam unwirklich angesichts der Lebensgefahr, in der sie sich nach wie vor befanden.

»Los!«, rief Kama besorgt zu ihnen herüber, während er langsam und vorsichtig auf den gigantischen Frarr zuging, ohne das Teil in seinen Händen auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. »Bevor die sich was Neues ausdenken!«

Skar löste sich so behutsam wie möglich von Esanna und schob mit seinem Stiefel den Überrest eines brennenden Khtaám zur Seite. »Komm jetzt«, sagte er, während seine Augen wachsam über die vielfachen lodernden Brände in der Höhle glitten. »Wir müssen gehen.«

Esanna schüttelte entsetzt den Kopf und warf einen verzweifelten Blick auf das gigantische Untier, das ihre gemeinsamen Feinde vertrieben hatte - zumindest für den Moment. »Ich ... du ... du willst doch nicht... mit diesem Ding ...« Die heimtückischen Augen des Frarr schienen sich in die seinen festzubrennen und Skar fragte sich besorgt, ob er vielleicht verstand, was hier vorging. Aber das war eine müßige Frage. Er war sich sogar ganz sicher, dass dieser Feuer speiende Drache sehr genau über das im Bild war, was geschah, wenn auch vielleicht nicht auf der bewussten Ebene eines Menschen. Und er war sich auch sicher, dass diese monströse Flugechse alles andere als begeistert von seiner Rolle als Rettungsengel war; dass sie überhaupt gekommen war, konnte nichts mit ihren natürlichen Impulsen zu tun haben, sondern nur mit einem speziellen Lockruf, der wahrscheinlich auf das Ding zurückzuführen war, das Kama nach wie vor in den Händen hielt.

So fahrig, wie sich der Nahrak verhielt, schien er sich allerdings selber nicht ganz sicher zu sein, ob er den Frarr wirklich noch lange kontrollieren konnte.

»Es ist unsere einzige Chance«, versuchte Skar das aufgeregte Mädchen zu beruhigen. »Wir werden jetzt da rübergehen und genau das tun, was Kama von uns verlangt. Er weiß, was er tut.«

»Dieses ... dieses Vieh auch«, stotterte Esanna. »Es hasst uns. Ich kann es spüren.«

»Der Frarr hat uns gerettet«, stellte Skar fest. »Und selbst wenn er uns nicht mag: Er hat uns geholfen und wird es auch weiter tun - wenn wir ihn nur lassen.«

»Der will uns doch gar nicht helfen«, sagte Esanna verzweifelt. »Der will doch etwas ganz anderes.«

»Vielleicht ist er nicht ganz freiwillig hier«, korrigierte sie Skar. »Aber das macht keinen Unterschied ...«

»Los jetzt«, unterbrach ihn Kama. »Ich weiß nicht, wie lange ich ihn hier noch kontrollieren können. Diese Höhle... zu gefährlich.«

Skar stöhnte. Es fehlte ihm noch, dass der Nahrak das sowieso schon vollkommen überforderte und panische Mädchen zusätzlich verängstigte. »Wenn du nicht freiwillig mitkommst, werde ich dich rübertragen«, sagte er mühsam beherrscht. »Aber vielleicht schaffst du es ja auch alleine - diesmal.«

Esanna warf ihm einen so verzweifelten Blick zu, dass Skar in diesem Moment alles getan hätte, um sie zu beruhigen. Oder besser gesagt: fast alles oder zumindest das, was er auch für Kiina zu tun bereit gewesen wäre in dieser gleichzeitig abstrusen und bedrohlichen Situation. Wider die Vernunft zu handeln konnte er sich allerdings nicht leisten, und das musste auch das bockige Mädchen einsehen.

»Jetzt los!« Kama wirkte so aufgeregt, wie ihn Skar noch nie erlebt hatte. »Das Opfer darf nicht umsonst sein.« Skar hatte keine Ahnung, von welchem Opfer der Nahrak sprach. Aber in der Sache als solcher konnte er ihm nur zustimmen. Er packte Esannas Arm, eindeutig grob diesmal, und zerrte sie mit.

»Lass mich los, du Idiot!«, schrie Esanna und kratzte ihm mit scharfen Fingernägeln blutige Striemen auf den Handrücken.

»Nicht den Frarr anschreien«, sagte Kama besorgt. »Er sein nervös.«

»Das ist Esanna auch«, knurrte Skar, während er gleichzeitig Esannas Hand packte und recht unsanft zusammendrückte, um sie von weiteren Kratzattacken abzubringen. »Und wenn ich ehrlich bin: ich auch.«

Sie waren jetzt bei Kama angekommen, nur zwei Schritte von einem der mächtigen Säulenbeine der Flugechse entfernt; kein unbedingt beruhigender Anblick. Das einzig Positive war, dass sie sich jetzt nicht im Sichtfeld der gereizten Echse befanden.

»Wir müssen aufsteigen«, sagte Kama.

»Oh nein!«, kreischte Esanna. »Das kommt doch gar nicht infrage! Und überhaupt - wie sollte ich denn da hochkommen?«

Der Frarr stieß einen tiefen, knurrenden Laut aus, so als hätte er das Gespräch bislang aufmerksam verfolgt und sei die lächerlichen Einwände dieser winzigen Menschlinge nun leid.

»Hier, hier«, stieß Kama aufgeregt hervor und ruckelte an etwas, das Skar erst durch diese Bewegung als eine schmale grüne Strickleiter erkannte, die fast bis auf den Boden reichte. »Ich haben schon alles vorbereitet.« Er schluckte krampfhaft. »Ich gehen als Erster. Du dann kommen mit dem Mädchen nach. Klar, Skar?«

»Klar, Kama«, sagte Skar wenig überzeugt.

In diesem Moment bemerkte er aus den Augenwinkeln ein Aufbäumen, einen Flammenwirbel, der aus einem der brennenden Müllhaufen der Khtaám auf sie zuschoss. Es waren fast nur Flammen erkennbar, aber in ihrer Mitte war etwas, etwas Schwarzes, Dunkles, absolut Bösartiges, das keinesfalls gewillt zu sein schien, ihre Flucht mithilfe des Drachen zuzulassen. Skar blieb kein einziger Augenblick, um sich die Frage zu beantworten, wie überhaupt irgendetwas in dieser brennenden Fackel zu existieren vermochte. Ihm blieb gerade noch Zeit, sein Tschekal mit einer schnellen, aber schlecht gezielten Bewegung nach oben zu bringen und sich dem Monster entgegenzustellen.

Eine Atem raubende Hitzewelle schlug ihm entgegen. Es war nichts Lebendiges, was ihm da entgegenschoss, jedenfalls nicht in herkömmlichem Sinne; es war eine von Vernichtungswillen beseelte Kreatur, zu nichts anderem geschaffen, als zu töten und auszulöschen, und vielleicht war sie sogar erst in diesem einen Moment ins Leben gerufen worden, von dem Khtaám, der von der Feuerwalze zurückgeschlagen aber keinesfalls ernsthaft getroffen worden war. Im allerletzten Augenblick änderte Skar seine Strategie. Er hatte vorgehabt sich dem Monster entgegenzuwerfen, doch das war Wahnsinn angesichts der brutalen Gewalt der Kreatur, die über ihn hinwegfegen würde wie eine Flutwelle über einen ungesicherten Küstenstrich. Mit einem Aufschrei stieß sich Skar ab und sprang hoch, mehr als zwei Mannslängen, wirbelte mit einer Rolle über die lebendige Feuersbrunst hinweg und kam hinter ihr wieder auf die Füße. Die lodernde Kreatur hielt auf Esanna zu und einen fürchterlichen Sekundenbruchteil lang sah Skar sie schon unter dem Flammenwirbel verschwinden; doch dann änderte die brennende Ausgeburt ihre Richtung, so mühelos und schnell wie ein Vogel, der aus einem Sturzflug heraus wieder hochzieht. Offenbar wollte der Khtaám erst ihn vernichten, bevor er sich Esanna und den Nahrak vornahm.

Plötzlich packte Skar eine rasende, fast unbezwingbare Wut. Nach all der Gewalt und dem Leiden, nach allem, was Esanna mitgemacht hatte, ohne zusammenzubrechen wie die meisten Menschen, die noch nie mit einem unfassbaren Schrecken konfrontiert gewesen waren, nach allen Anstrengungen, die Kama und seine Nahrak unternommen hatten, um ihn hier rauszuhauen, durfte doch nicht alles umsonst gewesen sein. In diesem Moment war sich Skar ganz sicher, dass das alles nur geschah, um ihn davon abzuhalten, sich in den Konflikt zwischen Satai und Quorrl einzumischen - aber doch waren seine Gedanken fast ausschließlich bei Esanna und nicht bei den tausenden von Menschen und geschuppten Reptilienwesen, die einem sinnlosen Gemetzel zum Opfer fallen würden, wenn er versagte.

Der Sternenstahl in seinen Händen schien zu eigenem Leben zu erwachen, und als er das Tschekal mit aller seiner Kraft, unter Einsatz aller Energiereserven dem nun wieder auf ihn zustürmenden Flammenwirbel entgegenschleuderte, legte er seinen ganzen Hass, seinen ganzen Vernichtungswillen, seinen Wunsch zu töten, töten, töten in diese eine Bewegung...

Das Monster kreischte auf und versuchte in letzter Sekunde dem schwirrenden Sternenstahl auszuweichen - aber dafür war es zu langsam. Das spezialgehärtete Material fraß sich durch die Flammen, bohrte sich in das unbegreifliche Etwas, das sich dahinter verbarg, durchschlug, durch seine verrückt hohe Geschwindigkeit getrieben, gnadenlos die unfassbare Art der Panzerung der Kreatur und trat auf der anderen Seite mit fast unverminderter Wucht wieder aus.

Ein Zittern ging durch das Wesen, der Aufschrei einer gequälten Kreatur zerriss die Luft; etwas streckte sich Skar entgegen, keine Arme, Hände oder Klauen, sondern irgendetwas anderes; und dann brachen die Wirbel in sich zusammen, erloschen die Flammen wie durch Sauerstoffentzug erstickt - und das Wesen stürzte mit einer grotesk langsamen Bewegung in sich zusammen.

Aber der Kampf war noch nicht vorüber. Das Monster stürzte zwar und blieb auch einen Moment wie benommen liegen, aber dann sah er inmitten der schwirrenden Wirbel einen monströsen, missgestalteten Schatten, der rasend schnell seine Form zu ändern schien, von einem fließenden zu einem äußerst kompakten Umriss wurde; inmitten kalten, grünen Feuers verwandelte es sich in etwas, das nichts glich, was er je zuvor gesehen hatte, nichts, was ein menschlicher Geist je ersinnen könnte, und sei er noch so krank. Das unglaubliche Bündel von Gliedmaßen und tödlichen Klauen und etwas ständig Fließendem, Waberndem war mit schier unglaublicher Geschwindigkeit wieder auf den Beinen und griff an.

Aber diesmal galt die Attacke des Unfassbaren nicht Skar oder Esanna, sondern Kama, den es als seinen wichtigsten - und vielleicht einzigen ernst zu nehmenden - Gegner erkannt zu haben schien. Denn er lenkte den Drachen und ohne ihn würde die Flugechse wieder zu dem werden, was sie war: ein primitives, mordlüsternes Wesen, das sich eher gegen sie wenden würde, statt ihnen zu helfen.

Dem substanzlosen, wabernden und doch gleichzeitig mörderisch kraftstrotzenden Etwas hatte Skar nichts mehr entgegenzusetzen. Er packte dennoch sein Tschekal mit festem Griff und sprang nach vorne, um Kama zu schützen, mitten hinein in die Bewegung eines Gegners, der ständig vor ihm zu verschwimmen schien und doch so real war, dass alles in ihm aufschrie voller Entsetzen; ein riesiges, pupillenloses Auge schien ihn voll abgrundtiefer Bosheit anzustarren und er spürte einen Hass, der so alt wie Enwor war, einen unauslöschlichen, mörderischen Hass auf alles, was sich ihm entgegenstellte.

Ein dünner, grellroter Blitz zuckte aus der Mitte dieses Auges hervor und gleichzeitig fühlte sich Skar zurückgeschleudert wie vom Prankenhieb eines Bären. Etwas Blitzschnelles, Gigantisches zuckte an ihm vorbei und er wartete auf den alles vernichtenden Schlag, der ihn endgültig zu Boden schmettern würde, um sein Bewusstsein für immer und alle Zeiten auszulöschen, und danach Kama und Esanna...

Es kam nicht dazu. Es war nicht das unfassbare Wesen gewesen, dessen schnelle Bewegung er gesehen hatte, sondern die des Frarr, der während des Angriffs erstaunlich ruhig geblieben war, jetzt aber gezielt seinen gefährlichen Peitschenschwanz hatte vorschnellen lassen. Mit unglaublicher Wucht und Präzision sauste der Schwanz so nah an Skar vorbei, dass er von dem begleitenden Luftwirbel zur Seite gedrückt wurde und um sein Gleichgewicht kämpfen musste; dann hatte er sein Ziel gefunden. Mit mörderischer Gewalt riss er die angreifende Kreatur von den Füßen und zerschmetterte sie mit einer so beiläufigen Bewegung, wie Menschen Ungeziefer zerquetschten. Das unbegreifliche Etwas wurde auseinander gerissen und zerstob in einer abscheulichen Wolke unbeschreiblicher, giftig schwarzer, ätzender Flüssigkeit, und dann war plötzlich alles voller Rauch und Flammen und Hitze an der Stelle, an der es einen Sekundenbruchteil zuvor noch zu einem alles vernichtenden Schlag ausgeholt hatte.

Der Frarr ließ seinen Schwanz sofort wieder zurückschnellen, zuckte danach aber mit der Schwanzspitze ähnlich wie eine gereizte Katze und stieß ein bedrohliches Grollen aus. Skar schüttelte einen Moment ungläubig den Kopf. Es war unglaublich, wie leicht der Drache mit dem Angreifer fertig geworden war. Doch dann fürchtete er einen Herzschlag lang, dass er sich nach der erfolgreichen Abwehr des Angreifers gegen die drei Menschen wenden würde, die sich erdreisteten auf seinem Rücken aus der Höhle fliehen zu wollen.

»Rauf jetzt«, schrie er Kama zu und versetzte dem kleinen Mann einen Stoß, der ihn nach vorne in Richtung der grünen Strickleiter taumeln ließ. »Verschwinden wir.« Der Nahrak ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit affenartiger Geschicklichkeit kletterte er die schmale, schwankende Leiter nach oben und sprang, ohne zu zögern, auf den Rücken des Frarr, der als Begrüßung ein drohendes Knurren ausstieß und mit einem fast wütenden Ruck seinen gewaltigen Schädel in Kamas Richtung wandte, als wollte er ihn mit einem Bissen verspeisen.

Skar kümmerte sich nicht darum. Wenn der Drache Schwierigkeiten machte oder sie sogar angriff, waren sie sowieso verloren; so wie er mit der unfassbaren Khtaám Mutation fertig geworden war, musste es für ihn kaum mehr als ein Lidzucken bedeuten, Skar und die beiden anderen auszulöschen. Jede verdammte Sekunde aber, die sie noch länger hier zubrachten, brachte sie der nächsten Attacke der Khtaám näher - und er ahnte, dass sie beim nächsten Mal noch weitaus erbarmungsloser ausfallen würde als bislang.

Er packte Esanna und zerrte sie mit sich, auf die schmale Strickleiter zu. Das Mädchen wehrte sich nicht. Ganz im Gegenteil, der letzte Angriff schien sie überzeugt zu haben und sie beeilte sich, als er sie förmlich auf die schwankenden Sprossen der Leiter warf, sich anzuklammern und mit schnellen Bewegungen nach oben zu ziehen.

Der Drache bewegte sich unruhig und einen Moment lang sah es aus, als wollte er sich auf drastische Weise von seiner Last befreien. Kama drehte sich zu Skar um und schrie irgendetwas Unverständliches; sein Gesicht war eine angstverzerrte Maske. Er fuchtelte mit dem leuchtenden Stab vor seinem Gesicht hin und her und Skar hatte den verrückten Eindruck, dass er versuchte mit diesem hektischen Gezappel den Drachen zu beruhigen; aber dann veränderte sich das Licht, das von dem Stab ausging, nahm einen rötlichen Schimmer an und Kama wurde schlagartig ruhiger - und der Drache auch. Sein gewaltiger Echsenfuß, den er schon ein Stück weit gelüftet hatte, glitt geradezu sanft wieder in seine Ausgangsstellung zurück und sein massiver, grün geschuppter Leib kam mit einem letzten Zittern zur Ruhe. Skar hatte keine Ahnung, wie lange diese Ruhepause währen würde. Und dennoch - er hatte noch etwas zu tun, bevor er Esanna folgen konnte. Mit raschen, von Panik getriebenen Schritten war er dort, wo das Tschekal niedergegangen war. Seine Stiefel quetschten ein paar verkohlte Überreste ausgebrannter Monster beiseite, dann bückte er sich rasch, um das Schwert aufzunehmen. Als seine Finger die Waffe berührten, wären sie fast wieder zurückgeschnellt: Der Sternenstahl war so heiß, als hätte er stundenlang in einem Schmiedefeuer gelegen. Skar wusste, dass der Schmelzpunkt dieses speziellen Materials so hoch lag, dass ihm mit normalem Feuer nicht beizukommen war. Trotzdem glaubte er geringfügige Verfärbungen auf dem Material zu erkennen.

Es war nicht der rechte Zeitpunkt, auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, was mit der Klinge geschehen sein könnte. Er packte sie mit spitzen Fingern und schob sie so schnell wie möglich in den Schwertgurt zurück, bevor er aufsprang und wieder zum Drachen eilte. Keinen Augenblick zu früh, denn irgendwo im Hintergrund der Höhle grummelte und zuckte es bereits wieder, so als würden sich die Khtaám auf den nächsten Angriff vorbereiten; ein Angriff, dessen war er sich sicher, den sie kaum überstehen konnten, wenn ihnen der Frarr nicht beistand. Mit fliegenden Bewegungen packte Skar die Strickleiter und zog sich nach oben.

Er kam nicht weit.

Der Drache - oder vielleicht auch Kama, der den Drachen lenkte - wartete nicht darauf, bis er es sich auf seinem Rücken bequem gemacht hatte. Skar hatte gerade mit zwei Zügen die halbe Strecke überwunden, als ein Zittern durch den mächtigen Körper lief und die Echse ihre ledrigen Flügel wie gewaltige Sensen in Bewegung setzte. Der Wind, den die gewaltigen Schwingen verursachten, packte mit zahllosen ungestümen Klauen zu und drohte Skar hinabzustoßen.

»Halt dich fest«, brüllte er Esanna zu, die sich zu ihm hinabgebeugt hatte, vielleicht, um ihm zu helfen, vielleicht aber auch, um im letzten Augenblick doch noch vom Rücken der Flugechse zu springen.

Dabei wusste er selber nicht, ob er sich noch lange würde halten können; das Beben des Drachens schüttelte ihn durch und eine ungestüme Seitwärtsbewegung fegte die leichte Strickleiter zur Seite, an die er sich verzweifelt klammerte. Wenn dieser verdammte Drache glaubte ihn abschüttelten zu können, hatte er sich getäuscht. Allerdings bestand die Gefahr, dass die dünnen, aus einem leichten geflochten Material bestehenden Sprossen bei den ruckhaften Bewegungen durchrissen und er dann nur noch an zwei brüchigen Seilen hing ...

Dann sah er einen entsetzlichen Sprühregen durch die Luft spritzen und hörte, wie sein eigenes, von Grauen und bersekerhaftem Zorn erfülltes Brüllen im Fauchen des Drachens unterging. Vor seinen Augen wirbelte alles mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durcheinander. Etwas traf ihn mit vernichtender Wucht am Hals, schleuderte ihn herum; er schlug mit dem Hinterkopf gegen den Drachen und es war, als wenn er versucht hätte mit dem Kopf eine Mauer einzuschlagen: Die Schuppen des Viechs waren massiver als sein eigener Brustharnisch.

Die Sprossen der Strickleiter hielten, aber der Schlag gegen seinen Kopf machte ihn so benommen, dass er Mühe hatte sich weiter an ihr festzuhalten. Zudem begann die Leiter wild hin und her zu schlagen und sich dann zu drehen, als der Drache in einem wilden Flugmanöver spiralförmig in Richtung Höhlendecke aufstieg. Voller Grauen erkannte er, dass der Abflug des Giganten nur zu berechtigt war: Von überall her schossen jetzt Khtaám auf die Flugechse zu; schwarze, handgroße Nachtmahre mit viel zu vielen Reißzähnen und ekelhaften, tentakelähnlichen Auswüchsen, Monster, die sie schon beim ersten Mal niedergemacht hätten, hätten ihnen nicht die Nahrak vollkommen überraschend beigestanden.

Skar fürchtete, dass sie selbst der Riesenechse gefährlich werden konnten. Doch offensichtlich war der Frarr ein überaus ungewöhnlicher Drache. Soweit Skar wusste, vermochte keiner seiner weitläufigen Artgenossen Feuer zu spucken. Und er kannte auch keine andere Flugechse, die trotz ihrer Masse so schnell und wendig war wie der Frarr. Ein paar Khtaám klatschen dennoch gegen seinen Bauch, aber er schüttelte sie ab, wie ein Hund ein paar lästige Flöhe loswerden würde.

Sein rasantes Flugmanöver, seine Kraft und seine blitzschnelle und konsequente Abwehr waren von Vorteil, um die ihnen nachjagenden Khtaám auf Distanz zu halten. Aber sie waren ein echter Nachteil für jemanden, der sich verzweifelt in die dünnen Seile einer Strickleiter klammerte, die nur als Notbehelf gedacht war, um auf den Rücken eines der gewaltigsten Wesens Enwors zu klettern. Skar ahnte, dass seine verkrampften Finger nicht mehr lange die Last seines Körpers tragen würden, zumal er bei jedem unerwarteten Flugmanöver erbarmungslos durchgeschüttelt wurde. Es musste etwas geschehen, was ihn aus dieser unangenehmen Lage befreite oder er würde früher oder später den Halt verlieren und in das stürzen, was die ganze Zeit über schon eine morbide Anziehungskraft auf ihn ausgeübt hatte.

Als sie in Schwindel erregende Höhe aufgestiegen waren, drehte der Frarr in einer atemberaubenden Kurve ab, legte sich wie ein Segelflieger in den Aufwind und gab damit Skar die Gelegenheit zu fühlen, was passierte, wenn Arme, an denen ein ganzes Körpergewicht hing, erbarmungslos überdehnt wurden. Die Luft rauschte hörbar an ihnen vorbei und überdeckte den erstickten Laut, mit dem Skar seine letzten Kraftreserven mobilisierte, um sich endgültig hochzuziehen.

Kaum auf dem Rücken des fliegenden Ungeheuers angekommen, kämpfte er einen verzweifelten Moment lang um sein Gleichgewicht. Die glatten Schuppen des Drachen boten ihm kaum Halt und seine Stiefel rutschten ab, als er sich von der an einer Zacke befestigten Strickleiter auf den Rücken zu schwingen versuchte. Einen fürchterlichen Augenblick hing er fast frei in der Luft, zwischen Höhlendach und dem Schlund tief unter ihnen. Ein Sturz aus dieser Höhe würde absolut tödlich sein, doch die Vorstellung, in das schwarze Gewimmel unter ihnen hinabzustürzen, erschien ihm noch erschreckender.

Schließlich schaffte er es, sich auszubalancieren und sein rechtes Bein so weit zu überdehnen, dass er hinter dem Digger-Mädchen in einen Spalt zwischen zwei der scharfen Zacken auf dem Wulst des fliegenden Ungeheuers rutschen konnte. Esanna hatte sich mittlerweile so weit wie möglich nach vorne gelehnt und krallte sich bebend und zitternd in den Drachenschuppen fest; offenbar vermied sie es krampfhaft, in die Tiefe zu schauen. Bei Skar hingegen siegte die Neugier. Er legte Esanna beruhigend eine Hand auf die Schulter und starrte über die giftgrün glänzenden Drachenschuppen hinab in die Unendlichkeit.

Sie waren jetzt genau über dem Schlund. Für einen Moment nur hatte Skar freie Sicht in die schier unermessliche Tiefe des senkrecht nach unten verlaufenden Lochs, das wie ein gewaltiger Krater das Zentrum der Höhle ausfüllte. Aus dieser Höhe konnte er nicht das hektische Treiben auf den kreuz und quer laufenden Steinadern beobachten, aber er hatte dafür freien Blick in das Zentrum des Khtaám. Zuerst verstand er nicht, was er da sah; dann stieg ein leises Flüstern in ihm hervor und wurde immer lauter, bis er seine Botschaft verstand: Es sah aus wie das Auge eines Zyklopen, ein gigantisches, ovales Gebilde viele Meilen unter ihm, das ihn geradewegs zu beobachten und zu durchbohren schien. In seiner Mitte glitzerte es schwarz und böse, während es zum Rand hin heller und verwaschener wurde.

Aber es war kein Auge. Es war Wasser. Ein verfluchtes unterirdisches Meer, ein Strudel, der sich in wahnsinniger Geschwindigkeit drehte, Gischt schlagend am Rand und vom Sog im Zentrum in die Tiefe gedrückt; ein wie verrückt kreisendes Ding, aufgeputscht von Gewalten, die er nicht verstand, aufgewühlt von Strömungen, die er nicht sah - und doch war er sich sicher: Dieses Ding beobachtete ihn, dieses Etwas kreiste von Sekunde zu Sekunde schneller, voller Schmerz und Entsetzen, dass ihm sein sicher geglaubtes Opfer im letzten Moment entwischte.

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