Fünfzehntes Kapitel

In dem mit abgenutzten Wandteppichen behängten Raum standen vier Stühle mit hoher Lehne. Ich nahm auf einem Platz und bemühte mich, aufrecht zu sitzen, wie es sich für einen Prinzen gehörte. Achill war sichtlich aufgewühlt, sein Hals gerötet.

»Ihr habt mich überrumpelt«, sagte er vorwurfsvoll.

Odysseus blieb ungerührt. »Du warst so schlau, dich zu verkleiden. Wir mussten schlauer sein, um dich zu finden.«

Achill zog eine Braue in die Stirn und gab sich hochmütig. »Na schön. Ihr habt mich gefunden. Was wollt ihr?«

»Wir wollen, dass du mit nach Troja kommst«, antwortete Odysseus.

»Und wenn ich nicht mitkommen möchte?«

»Dann werden wir das hier bekannt machen.« Diomedes hob das von Achill abgelegte Gewand in die Höhe.

Achill errötete wie nach einem Schlag ins Gesicht. Dass er sich hatte verkleiden müssen, war schlimm genug, schlimmer jedoch war die Vorstellung, alle Welt erführe davon. Für Männer, die sich als Frauen ausgaben, hatte unser Volk die hässlichsten Bezeichnungen. Von einer solchen Schmach betroffen, war schon mancher zu Grunde gegangen.

Odysseus hob eine beschwichtigende Hand. »Dazu muss es nicht kommen. Schließlich sind wir alle von edler Gesinnung. Ich hoffe, wir können dir bessere Gründe liefern. Zum Beispiel die Aussicht auf Ruhm. Der wird dir sicher sein, wenn du für uns kämpfst.«

»Es wird andere Kriege geben.«

»Aber keinen wie diesen«, sagte Diomedes. »Daran wird man sich auf alle Zeit in Legenden und Liedern erinnern. Ein Narr, der die Gelegenheit versäumt, dabei gewesen zu sein.«

»Um einen gehörnten Gatten zu rächen und Agamemnons Gier zu stillen?«

»Du bist blind. Was wäre heldenhafter, als um die Ehre der schönsten Frau der Welt zu kämpfen und es mit der mächtigsten Stadt im Osten aufzunehmen? Mit einer vergleichbaren Tat können sich nicht einmal Perseus oder Jason rühmen. Für eine solche Chance würde Herakles seine Frau ein zweites Mal erschlagen. Wir werden über ganz Anatolien bis nach Arabien hinein herrschen und in die Geschichte eingehen.«

»Habt ihr nicht gesagt, es würde ein leichter Feldzug sein, und wir wären im nächsten Herbst schon wieder zu Hause?«, ließ ich von mir hören, weil ich dem Wortwechsel etwas hinzufügen wollte.

»Das war gelogen«, gestand Odysseus achselzuckend. »Tatsächlich kann niemand sagen, wie lange der Krieg dauern wird. Er würde sich jedenfalls verkürzen, wenn du daran teilnimmst.« Er schaute Achill an. Seine dunklen Augen hatten den Sog einer starken Strömung, gegen die man nicht ankommen konnte. »Trojas Söhne sind bekannt für ihre Kampfeskraft. Wer sie zu Fall bringt, wird selbst Unsterblichkeit erlangen. Wenn du dir diese Gelegenheit entgehen lässt, bleibst du namenlos zurück und gerätst in Vergessenheit.«

Achill krauste die Stirn. »Das kannst du nicht wissen.«

»Oh doch, das kann ich«, antwortete Odysseus und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Glücklicherweise habe ich Anteil am Wissen der Götter.« Er lächelte wie in Erinnerung an einen himmlischen Scherz. »Und die Götter haben es für richtig befunden, mich einen Blick in deine Zukunft werfen zu lassen.«

Ich hätte mir denken können, dass Odysseus mehr zu bieten hatte als schnöde Erpressung. Man nannte ihn auch Polytropos, den Listenreichen. Mir wurde angst und bange.

»Und was siehst du?«, fragte Achill vorsichtig.

»Dass, wenn du nicht mit nach Troja ziehst, deine Göttlichkeit ungenutzt in dir versiegt. Deine Kraft wird abnehmen und dein Schicksal dem des Lykomedes gleichen, der nur mit einer Tochter als Erbin auf dieser entlegenen Insel verkümmert. Du weißt so gut wie ich, dass Skyros schon bald von einem benachbarten Staat erobert wird. Und dann wird er seine letzten Jahre in Einsamkeit fristen und Brotrinde essen, die man für ihn einweichen muss. Wenn er stirbt, wird man fragen: Wer war das?«

Seine Worte hallten durch den Raum und verdünnten die Luft, bis wir kaum mehr atmen konnten. Ein solches Leben war entsetzlich.

Unerbittlich fuhr Odysseus fort. »Er ist heute nur noch deshalb bekannt, weil sich seine Geschichte mit der deinen überschneidet. Wenn du nach Troja ziehst, wird selbst der Geringste, auch wenn er dir nur einen Becher zu trinken gereicht hat, in den Legenden, die sich um dich ranken, mit Namen genannt sein. Du wirst –«

Mit lautem Gepolter und stiebenden Splittern brach plötzlich die Tür auf. Auf der Schwelle stand Thetis, hell wie eine lodernde Flamme und so heiß, dass die zerborstenen Türflügel verkohlten. Ich duckte mich und spürte, wie mir die Hitze ins Mark fuhr und meine Adern auszutrocknen drohte.

Odysseus’ dunkler Bart war mit dem Staub der aufgebrochenen Tür überzogen. Er stand auf. »Zum Gruße, Thetis.«

Sie starrte ihn an wie eine Schlange ihr Opfer. Ihre Haut glühte, und die Luft schien zu flimmern. Diomedes rutschte auf den Knien zurück. Ich kniff die Augen zu, weil ich fürchtete, ein Blitz könnte auf uns niederfahren.

Nach einer Weile, in der es vollkommen still blieb, wagte ich es, die Augen zu öffnen. Odysseus war unverletzt. Thetis hatte die Fäuste geballt. Ihr Anblick brannte nun nicht mehr in den Augen.

»Die helläugige Jungfrau ist mir hold«, sagte Odysseus fast wie zur Entschuldigung. »Sie weiß, warum ich hier bin, und segnet, was mir am Herzen liegt.«

Mir war, als hätte ich einen Teil seiner Rede nicht mitbekommen. Ich versuchte zu folgen. Mit der helläugigen Jungfrau meinte er wohl die Göttin der Weisheit und des Kampfes. Es hieß, dass sie Klugheit über alles schätzte.

»Athene hat kein Kind zu verlieren.« Thetis’ Worte hingen in der Luft.

Ohne weiter auf sie einzugehen, wandte sich Odysseus an Achill und sagte: »Frag deine Mutter, was sie weiß.«

Achill schluckte hörbar in der stillen Kammer. Er schaute seiner Mutter in die schwarzen Augen. »Ist es wahr, was er sagt?«

Inzwischen war die Glut, die sie ausgestrahlt hatte, erloschen. Übrig blieb nur der Anschein von Marmor. »Ja, es ist wahr, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Da ist noch etwas, was er nicht auszusprechen wagt«, antwortete sie tonlos und wie aus dem Mund einer steinernen Statue. »Wenn du nach Troja gehst, wirst du nicht zurückkehren, sondern als junger Mann dort sterben.«

Achill erbleichte. »Ist das gewiss?«

Alle Sterblichen stellten diese Frage, ungläubig und entsetzt. Gibt es für mich keine Ausnahme? »Ja, es ist gewiss.«

Wenn er mich in diesem Moment angesehen hätte, wäre ich in Tränen ausgebrochen. Doch sein Blick blieb auf seine Mutter gerichtet. »Was soll ich tun?«, flüsterte er.

Ein leichtes Zittern zeigte sich auf ihrem Gesicht wie auf glatter Wasseroberfläche. »Das darfst du mich nicht fragen«, entgegnete sie und verschwand.

Ich weiß nicht mehr, was noch zwischen den beiden Besuchern und uns gesagt wurde oder wie wir zurück in unsere Kammer gelangten. Ich erinnere mich aber an Achills verstörte Miene und die tiefen Schatten unter seinen Augen. Seine Schultern, sonst immer gestrafft, hingen schlaff herab. Ich selbst drohte an meinem Kummer zu ersticken. Bei dem Gedanken, er könnte sterben, war mir, als stürzte ich in einen schwarzen Abgrund.

Du darfst nicht gehen. Tausendfach lag mir dieser Satz auf der Zunge, doch anstatt ihn auszusprechen, hielt ich seine Hände umfasst. Sie waren kalt und rührten sich nicht.

»Ich würde es nicht ertragen«, sagte er schließlich. Er hatte die Augen geschlossen, und ich wusste, dass er nicht seinen Tod meinte, sondern den von Odysseus entsponnenen Alptraum, den Verlust seiner Herrlichkeit und Anmut. Ich wusste um seine Freude über die eigenen Fähigkeiten, seine wundersame Kampfkraft und Vitalität. Was würde von ihm übrig bleiben, wenn es damit vorbei wäre? Was, wenn er seiner Bestimmung zum Ruhm nicht nachkäme?

»Es wäre mir nicht wichtig«, flüsterte ich. »Was immer mit dir geschähe, es würde für mich keinen Unterschied machen. Wir wären zusammen.«

»Ich weiß«, entgegnete er leise, ohne mich anzusehen.

Doch dieses Wissen reichte ihm nicht, und umso größer war mein Schmerz. Wenn er stürbe, würde alles, was schnell, schön und hell war, mit ihm begraben werden. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er hatte bereits einen Entschluss gefasst.

»Ich gehe«, sagte er. »Ich werde nach Troja gehen.«

Seine Lippen schimmerten rosig, die grünen Augen leuchteten. Kein einziges Fältchen verunzierte sein Gesicht. Er war wie der Frühling, golden und heiter. Der neidische Tod würde durch ihn wieder jung werden.

Er betrachtete mich eindringlich.

»Wirst du mich begleiten?«, fragte er.

Der nie endende Schmerz der Liebe. In einem anderen Leben hätte ich mich vielleicht entziehen und ihn seinem Schicksal allein überlassen können. Aber nicht in diesem. Ich würde mit ihm nach Troja ziehen, und sei es in den Tod. Ja, flüsterte ich. Ja.

Erleichterung spiegelte sich in seinem Gesicht und er drückte mich fest an sich.

Tränen strömten. Über uns kreisten die Gestirne, und der Mond schleppte sich müde auf seiner Bahn voran. Verzweifelt und schlaflos verbrachten wir die Nacht.

Als der Morgen dämmerte, stand er auf und sagte: »Ich muss meiner Mutter Bescheid geben.« Er war bleich und wirkte um Jahre gealtert. Ich geriet in Panik. Geh nicht, wollte ich sagen. Doch er streifte schon ein Hemd über und war gleich darauf verschwunden.

Ich lehnte mich zurück und versuchte, an nichts zu denken. Gestern noch hatten wir alle Zeit der Welt gehabt, jetzt zerrann sie uns zwischen den Fingern.

Es wurde hell. Das Bett war kalt und viel zu groß ohne ihn. Kein Laut war zu hören. Die Stille machte mir Angst. Wie in einer Grabkammer. Ich stand auf und schüttelte mich, weil ich fürchtete, den Verstand zu verlieren. So wird es sein ohne ihn, Tag für Tag. Mir schnürte sich die Brust zusammen. Tag für Tag, ohne ihn.

Ich verließ die Burg in der verzweifelten Hoffnung, dem Kummer entfliehen zu können, suchte die hohen Klippen am Meeresufer auf und begann zu klettern. Der Wind rüttelte an mir, und der Fels war glitschig, doch die Gefahr machte mich achtsam, und so stieg ich immer höher, dem tückischen Gipfel entgegen, den zu erklimmen ich mich bislang nicht getraut hatte. Ich schürfte mir am scharfen Gestein Hände und Füße auf, doch die Schmerzen waren mir willkommen. Sie zu ertragen war geradezu lachhaft einfach.

Ich stieg bis ganz nach oben, richtete mich auf dem Felsgrat auf und setzte in die Tat um, was mir unterwegs in den Sinn gekommen war, ein Einfall so grimmig und unbesonnen, wie ich mich fühlte.

»Thetis!«, brüllte ich gegen den Wind an, den Blick auf das Meer gerichtet. »Thetis!« Die Sonne stand hoch. Das Treffen von Mutter und Sohn musste längst beendet sein. Ich holte Luft, um ein drittes Mal zu rufen.

»Sprich nie wieder meinen Namen aus.«

Herumwirbelnd verlor ich fast das Gleichgewicht. Die Steine unter meinen Füßen fingen zu rutschen an, und der Wind zerrte an mir, doch es gelang mir, auf den Beinen zu bleiben.

Ihr Gesicht war noch fahler als sonst, wie mit Reif bedeckt. Sie bleckte die Zähne.

»Du bist ein Narr«, sagte sie. »Steig wieder nach unten. Dein armseliger Tod wird ihn nicht retten.«

Ich hatte doch mehr Angst als angenommen und schreckte vor ihrer Boshaftigkeit zurück. Trotzdem zwang ich mich zu der Frage, auf die ich eine Antwort wissen wollte. »Wie lange wird er noch leben?«

Sie gab ein kehliges Geräusch von sich, das wie das Bellen eines Seehundes klang. Es dauerte eine Weile, bis ich gewahr wurde, dass sie lachte. »Warum fragst du? Willst du dich darauf gefasst machen? Oder etwa seinen Tod verhindern?« Ihr Gesicht war voller Verachtung.

»Ja«, antwortete ich. »Wenn ich es kann.«

Wieder ließ sie dieses unheimliche Geräusch verlauten.

»Bitte.« Ich kniete nieder. »Bitte, sag es mir.«

Vielleicht lag es an meinem Kniefall. Sie verstummte jedenfalls und betrachtete mich einen Moment. »Zuerst wird Hektor sterben«, erwiderte sie. »Das ist alles, was ich weiß.«

Hektor. »Danke«, sagte ich.

Ihre Augen wurden zu Schlitzen, und die Stimme zischte, wie wenn Wasser auf heiße Kohlen trifft. »Untersteh dich, mir zu danken. Ich bin aus einem anderen Grund gekommen.«

Ich wartete.

»Es wird nicht so einfach sein, wie er glaubt. Die Moiren versprechen Ruhm, aber wie viel? Er muss auf seine Ehre achtgeben und ist doch zu vertrauensselig. Die Männer Griechenlands«, sie spuckte die Worte aus, »sind wie Hunde, die um einen Knochen kämpfen. Sie gönnen einander keinen Vorrang. Ich werde tun, was ich kann. Und du –« Sie betrachtete mich geringschätzig vom Scheitel bis zur Sohle. »Bring keine Schande über ihn. Verstanden?«

Verstanden?


»Ja«, antwortete ich. Ich verstand sehr wohl. Wenn er mit dem Leben dafür zahlte, musste sein Ruhm über die Maßen groß sein. Ein Lufthauch setzte den Saum ihres Gewandes in Bewegung, und ich wusste, dass sie gleich verschwinden und in ihre Meeresgrotte zurückkehren würde.

»Ist Hektor ein guter Kämpfer?«, fragte ich mit dem Mut der Verzweiflung.

»Der beste«, antwortete sie. »Nach meinem Sohn.«

Sie schaute zur Seite, wo die Klippe senkrecht abfiel. »Er kommt«, sagte sie.

Achill kletterte über den Rand und setzte sich zu mir. Er schaute mir ins Gesicht und musterte meine aufgeschürften Hände und Füße. »Ich habe dich reden hören«, sagte er.

»Ich sprach mit deiner Mutter«, entgegnete ich.

Er kniete sich vor mich hin und legte meinen Fuß in seinen Schoß, zupfte vorsichtig die Steinsplitter aus den Wunden und wischte den Schmutz ab. Dann riss er ein Stück Stoff aus dem Saum seines Rocks und legte einen Verband an.

Meine Hand schloss sich um seine. »Du darfst Hektor nicht töten«, sagte ich.

Er schaute mich an. Sein schönes Gesicht war gerahmt von goldenen Haaren. »Meine Mutter hat dir gesagt, was prophezeit wurde.«

»Ja, das hat sie.«

»Und du meinst, dass niemand außer mir Hektor töten kann?«

»Ja«, antwortete ich.

»Du glaubst, dass man dem Schicksal Zeit stehlen kann?«

»Ja.«

»Aha.« Er schmunzelte durchtrieben. »Warum sollte ich ihn töten? Er hat mir schließlich nichts getan.«

Zum ersten Mal seit langem keimte Hoffnung in mir auf.

Am Nachmittag brachen wir auf. Es gab keinen Grund, länger zu verweilen. Lykomedes verabschiedete uns in aller Form, wie es seine Art war, und wir standen eine Weile betreten beieinander. Odysseus und Diomedes waren schon vorausgegangen. Sie wollten uns nach Phthia zurückbringen, damit Achill dort seine eigenen Truppen aufstellen konnte.

Es galt noch etwas auf der Insel in Ordnung zu bringen. Ich wusste, dass Achill sich dabei nicht sehr wohl fühlte.

»Lykomedes, meine Mutter lässt dir einen Wunsch ausrichten.«

Die Lippen des Alten fingen zu zittern an, aber er hielt dem Blick seines Schwiegersohnes stand. »Bezüglich des Kindes«, sagte er.

»Ja.«

»Und was wünscht sie?«, fragte der König.

»Dass sie es ist, die ihn aufzieht. Sie –« Achill stockte angesichts der Miene des Alten. »Das Kind wird ein Junge sein, sagt sie. Sie will ihn an sich nehmen, sobald er entwöhnt ist.«

Schweigen. Lykomedes schloss die Augen. Ich wusste, er dachte an seine Tochter, die nicht nur auf den Mann, sondern auch auf ihr Kind würde verzichten müssen. »Ich wünschte, du wärst nie zu uns gekommen«, sagte er.

»Es tut mir leid«, erwiderte Achill.

»Geht«, flüsterte der Alte. Wir gehorchten.

Das Schiff, mit dem wir segelten, war wendig und schnell, seine Mannschaft bestens ausgebildet. Die Leinen schienen gerade erst gedreht worden zu sein, die Masten waren so frisch wie lebendiges Holz. Der weit über das Wasser hinausragende Steven hatte die Gestalt einer Frau, deren Hände wie in Anbetung vor der Brust aneinandergelegt waren. Sie war wunderschön mit ihrem ebenmäßigen Gesicht und dem schlanken Hals, der unter fliegenden schwarzen Haaren zum Vorschein kam, zudem prächtig bemalt in fein aufeinander abgestimmten Farbtönen.

»Wie ich sehe, bewunderst du meine Frau.« Odysseus war zu uns an die Reling getreten und stützte sich auf seinen muskulösen Unterarmen ab. »Sie war dagegen und hat sich geweigert, dem Künstler Modell zu stehen. Er musste sie heimlich abbilden, doch das Ergebnis ist, wie ich finde, gut gelungen.«

Eine Vermählung aus Liebe war in unseren Breiten so selten wie Zedern im Osten des Landes. Fast hätte ich ihn deswegen gemocht. In letzter Zeit allerdings lächelte er für meinen Geschmack zu häufig.

»Wie ist ihr Name?«, erkundigte sich Achill höflich.

»Penelope«, antwortete er.

»Ist das Schiff neu?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

»Ganz und gar, bis zum letzten Balken. Übrigens aus dem besten Holz, das Ithaka zu bieten hat.« Mit seiner großen Hand tätschelte er die Reling wie die Flanke eines Pferdes.

»Na, gibst du wieder an mit deinem neuen Kahn?« Diomedes hatte sich zu uns gesellt. Seine Haare waren mit einem Lederband im Nacken zusammengefasst, was seine Gesichtszüge noch schärfer wirken ließ.

»Du hast mich ertappt.«

Diomedes spuckte ins Wasser.

»Der König von Argos ist heute ungewöhnlich beredt«, kommentierte Odysseus.

Im Unterschied zu mir kannte Achill die Sticheleien der beiden noch nicht. Irritiert blickte er von einem zum anderen und verzog dann den Mund zu einem Schmunzeln.

»Wie erklärt sich eigentlich, dass du so überaus gewitzt bist?«, setzte Odysseus nach. »Liegt’s womöglich daran, dass dein Vater das Gehirn eines Mannes gegessen hat?«

»Wie bitte?« Achill schien seinen Ohren nicht zu trauen.

»Kennst du etwa nicht die Geschichte des mächtigen Tydeus, bekannt auch als Verzehrer von Menschenhirn?«

»Ich habe von ihm gehört. Aber dass er Gehirne …«

»Ich spiele mit dem Gedanken, unsere Teller mit einer Abbildung dieser Szene zu schmücken«, sagte Diomedes.

Noch in der Burg hatte ich Diomedes für Odysseus’ Schoßhund gehalten. Doch der spitzzüngige Schlagabtausch und die Art, wie die beiden miteinander umgingen, konnten so nur zwischen Gleichgestellten stattfinden. Außerdem erinnerte ich mich, dass Diomedes angeblich auch ein Liebling von Athene war.

Odysseus verzog das Gesicht. »Lade mich bitte nie nach Argos zum Essen ein.«

Diomedes lachte, was alles andere als angenehm klang.

Den beiden war offenbar danach zumute, miteinander zu plaudern, und so erzählten sie eine Geschichte nach der anderen: von Seereisen, Kriegen und lange zurückliegenden Wettkämpfen. Achill war ein aufmerksamer Zuhörer und stellte immer wieder Fragen.

»Wie ist es dazu gekommen?«, wollte er wissen und deutete auf die Narbe auf Odysseus’ Wade.

»Tja«, sagte der und rieb sich die Hände, »das ist eine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt. Allerdings sollte ich vorher ein paar Worte mit dem Schiffsführer wechseln.« Er deutete auf die Sonne, die schon tief über dem Horizont stand. »Wir werden bald vor Anker gehen.«

»Ich gehe.« Diomedes stieß sich von der Reling ab. »Diese leidige Geschichte habe ich mindestens schon ebenso oft gehört wie die mit dem Bett.«

»Dein Pech, dass du sie dir nicht noch einmal anhörst«, rief ihm Odysseus nach. »Ihr dürft ihm nichts verübeln«, sagte er, an uns gerichtet. »Seine Frau ist ein Schreckgespenst und macht aus jedem Mann einen Griesgram. Meine Frau hingegen –«

»Ich schwöre«, brüllte Diomedes über die gesamte Länge des Decks hinweg, »wenn du noch ein Wort hinzufügst, werfe ich dich über Bord, und du kannst nach Troja schwimmen.«

»Seht ihr?« Odysseus schüttelte den Kopf. »Ein Griesgram.« Achill lachte. Er hatte Gefallen an den beiden und schien ihnen seine Demaskierung verziehen zu haben.

»Was wollte ich noch erzählen?«

»Wie es zu der Narbe gekommen ist«, sagte Achill.

»Ah ja, die Narbe. Ich war dreizehn Jahre alt –«

Die Sonne senkte sich auf den Horizont, und das Schiff glitt in den Schatten einer Landzunge, wo wir die Nacht verbringen wollten. Der Anker wurde gesetzt und ein Lager am Strand errichtet.

Als unser Zelt aufgebaut und ein kleines Feuer entzündet war, kam Odysseus und erkundigte sich, ob alles zum Besten stehe.

»Durchaus«, sagte Achill und lächelte auf seine freimütige, ehrliche Art. »Danke der Nachfrage.«

Auch Odysseus lächelte und zeigte weiße Zähne hinter seinem dunklen Bart. »Ausgezeichnet. Dass eine Zelt reicht euch hoffentlich. Ihr scheint alles miteinander zu teilen, Tisch und Bett, wie man hört.«

Mir schoss das Blut ins Gesicht, und ich hörte, wie meinem Freund der Atem stockte.

»Dafür braucht ihr euch doch nicht zu schämen. Unter jungen Burschen ist das häufig der Fall.« Er kratzte sich nachdenklich am Bart. »Nun ja, von jungen Burschen kann bei euch ja eigentlich nicht mehr die Rede sein. Wie alt seid ihr?«

»Das ist nicht wahr«, erwiderte ich hitzig und überlaut.

Odysseus krauste die Stirn. »Wahr ist, was gemeinhin angenommen wird. Aber vielleicht irren sich die Leute, die das von euch behaupten. Wenn euch die Gerüchte stören, lasst sie einfach hinter euch zurück, wenn wir in den Krieg ziehen.«

Achill entgegnete gereizt: »Kümmere dich um deine eigenen Belange, Prinz von Ithaka.«

Odysseus hob beide Hände. »Verzeiht, wenn ich euch brüskiert habe. Ich wollte euch nur eine gute Nacht wünschen und mich versichern, dass alles zu eurer Zufriedenheit bestellt ist. Prinz Achill. Patroklos.« Er verbeugte sich und kehrte zu seinem eigenen Zelt zurück.

Es blieb lange still zwischen Achill und mir. Ich hatte mich schon oft gefragt, wann es zu solchen Anspielungen wie der von Odysseus kommen würde. Er hatte recht: Es war nicht selten der Fall, dass junge Burschen einander liebten. Doch damit hatte es meist mit dem Älterwerden ein Ende, es sei denn, man nahm sich Sklaven oder bezahlte dafür. Unsere Männer waren auf Eroberung aus und schätzten den, der sich selbst erobern ließ, gering.

Bring keine Schande über ihn, hatte die Göttin gesagt, und ich würde gut daran tun, sie beim Wort zu nehmen.

»Vielleicht hat er recht«, sagte ich.

Achill hob den Kopf und kniff die Brauen zusammen. »Das meinst du doch nicht wirklich, oder?«

»Nicht, dass ich –« Ich verknotete meine Finger. »Wie auch immer, ich könnte draußen schlafen, damit es nicht so sehr auffällt, dass …«

»Nein. Dem Volk von Phthia ist es einerlei. Und alle anderen können lästern, wie sie wollen, denn ich bin und bleibe der Aristos Achaion.« Der beste der Griechen.

»Es könnte ein Schatten auf dich fallen.«

»Na und?«, sagte er und reckte sein Kinn trotzig nach vorn. »Sie wären Dummköpfe, wenn sie mich zuerst rühmen und dann deswegen verhöhnen.«

»Aber Odysseus –«

Seine Augen, grün wie Frühlingslaub, richteten sich auf mein Gesicht. »Patroklos. Ich habe ihnen schon genug gegeben. Das lasse ich mir nicht nehmen.«

Danach gab es nichts mehr zu sagen.

Am nächsten Tag – wir segelten vor südlichem Wind – fanden wir Odysseus im Vorschiff.

»Prinz von Ithaka«, sagte Achill. Sein Tonfall war förmlich und ließ nichts von seinem jungenhaften Lächeln anklingen, das er noch am Vortag gezeigt hatte. »Ich würde gerne mehr über Agamemnon und die anderen Könige erfahren, damit ich weiß, welchen Männern ich mich anschließe, und auch über die Prinzessin, für die ich kämpfen soll.«

»Sehr weise, Prinz Achill.« Falls Odysseus etwas von der Veränderung in Achills Auftreten bemerkt hatte, ließ er sie unkommentiert. Er führte uns zu einer Bank am Fuß des Mastes unter dem dickbäuchigen Segel. »Wo soll ich anfangen?« In Gedanken versunken massierte er seine Narbe am Bein. Bei Tageslicht fiel sie noch stärker ins Auge, haarlos und runzlig, wie sie war. »Da wäre zum einen Menelaos, der seine Gemahlin zurückhaben möchte. Nachdem sich Helena für ihn entschieden hatte – Patroklos kann dir mehr darüber erzählen –, wurde er zum König von Sparta ernannt. Man kennt ihn als einen guten Mann, furchtlos im Kampf und beliebt beim Volk. Viele Könige haben sich seiner Sache angeschlossen, wohlgemerkt nicht nur diejenigen, die durch den Eid an ihn gebunden sind.«

»Als da wären?«, fragte Achill.

Odysseus zählte sie an den Fingern seiner großen, kräftigen Hände ab. »Meriones, Idomeneus, Philoktetes und Ajax der Große wie auch Ajax der Kleine.« Einen der genannten Männer hatte ich in Tyndareos’ Halle gesehen, jenen Riesen mit dem mächtigen Schild. Die anderen waren mir unbekannt.

»Und auch Nestor, der alte König von Pylos, wird mit uns ziehen.« Von ihm hatte ich schon gehört; er war in seiner Jugend mit Jason übers Meer gesegelt, um das Goldene Vlies zu finden. Als Greis würde er selbst wohl nicht mehr kämpfen, und doch nahm er offenbar am Feldzug teil, um seine Söhne zu begleiten und als Berater zu fungieren.

Achill hörte gespannt zu. »Und wer steht auf der Seite der Trojaner?«

»Allen voran natürlich Priamos, der König Trojas. Er soll nicht weniger als fünfzig Söhne haben, die allesamt mit einem Schwert in der Hand aufgewachsen sind.«

»Fünfzig Söhne?«

»Und fünfzig Töchter. Es heißt, er sei ein frommer Mann und ein Liebling der Götter. Jeder seiner Söhne hat einen großen Namen. Paris zum Beispiel, der die besondere Gunst Aphrodites genießt und wegen seiner Schönheit gerühmt wird. Selbst der jüngste, kaum zehn Jahre alt, soll ein verwegener Kämpfer sein. Troilos heißt er, wenn ich mich nicht irre. Außerdem kämpft Äneas an ihrer Seite; er ist ihr Vetter und der Sohn von Aphrodite, also ein Halbgott.«

»Und was ist mit Hektor?« Achill ließ Odysseus nicht aus den Augen.

»Priamos’ ältester Sohn und Erbe, ein Liebling des Gottes Apoll und Trojas mächtigster Verteidiger.«

»Wie sieht er aus?«

Odysseus zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht. Es heißt, er sei großgewachsen, aber das wird ja von den meisten Helden behauptet. Du wirst ihm wahrscheinlich eher begegnen als ich und kannst mir hinterher Bericht erstatten.«

Achill kniff die Brauen zusammen. »Warum sagst du das?«

Odysseus grinste. »Ich glaube, Diomedes wird mir recht geben: Ich bin ein durchaus tüchtiger Soldat, aber mehr nicht. Meine eigentlichen Talente liegen auf anderen Gebieten. Wenn ich Hektor im Kampf gegenüberstünde, käme ich nicht mit guter Nachricht zurück. In deinem Fall wird es anders verlaufen. Du wirst durch seinen Tod höchsten Ruhm erringen.«

Ich fröstelte.

»Mag sein, aber ich sehe keinen Grund, warum ich ihn töten sollte«, entgegnete Achill kühl. »Er hat mir nichts getan.«

Odysseus lachte leise wie über einen Scherz. »Wenn ein Soldat nur solche Gegner töten würde, mit denen er eine persönliche Rechnung offen hat, gäbe es keine Kriege.« Er zog eine Braue in die Stirn. »Keine schlechte Vorstellung. In einer solchen Welt wäre vielleicht ich der Aristos Achaion

Achill antwortete nicht. Er hatte sich abgewandt und schaute über das Wasser. Von der Sonne angestrahlt, schien seine Wange zu glühen. »Du hast mir noch nichts von Agamemnon erzählt«, sagte er.

»Ja, unser mächtiger König von Mykene.« Odysseus lehnte sich zurück. »Der stolze Spross des Hauses von Atreus. Sein Urgroßvater Tantalos war ein Sohn des Zeus. Ich bin sicher, ihr kennt seine Geschichte.«

Jeder wusste um dessen ewige Qualen. Weil er die Macht der Götter verachtete, hatten sie ihn in den tiefsten Abgrund der Unterwelt verbannt, wo er auf ewig Durst und Hunger leiden musste, obwohl Nahrung und Trank stets knapp außerhalb seiner Reichweite waren.

»Ich habe von ihm gehört«, sagte Achill. »Ich wusste allerdings nie, worin sein Vergehen bestand.«

»Nun. In den Tagen von König Tantalos waren unsere Königreiche alle gleich groß und die Könige lebten in Frieden. Tantalos aber wollte sich mit seinem Anteil nicht zufriedengeben und nahm Gebiete der Nachbarn mit Gewalt. Er verdoppelte und verdreifachte seine Besitztümer, konnte aber nicht genug bekommen. Seine Erfolge machten ihn stolz, und nachdem er alle Rivalen übertroffen hatte, legte er sich auch noch mit den Göttern an. Nicht mit Waffen wollte er sie schlagen, sondern mit List hintergehen. Er wollte beweisen, dass die Götter entgegen ihrer Behauptung nicht allwissend sind.

Also rief er seinen Sohn Pelops zu sich und fragte ihn, ob er ihm bei der Zubereitung eines festlichen Mahls helfen wolle. ›Natürlich‹, sagte Pelops, worauf sein Vater lächelnd das Schwert zog und ihm mit einem Hieb die Kehle aufschlitzte. Dann schnitt er dessen Leib in Stücke und briet sie am Spieß über dem Feuer.«

Mir wurde übel bei dem Gedanken an das aufgespießte Fleisch des toten Jungen.

»Anschließend wandte sich Tantalos an seinen Vater Zeus im Olymp. ›Ich habe dir und den Deinen zu Ehren ein Festmahl bereitet. Beeilt euch, das Fleisch ist noch frisch und zart.‹ Die Götter liebten es zu speisen und eilten in Tantalos’ Halle. Dort angekommen, rochen sie den Braten, und Zeus ahnte sogleich, was geschehen war. Er ergriff Tantalos bei den Beinen und schleuderte ihn in den Tartaros, damit er dort auf ewig für seine Tat sühnt.«

Der Himmel war hell, und es wehte ein frischer Wind. Aber im Bann der Geschichte, die Odysseus vortrug, wähnte ich mich an einem Lagerfeuer in tiefer Nacht.

»Zeus setzte die Stücke des Jungen wieder zusammen und hauchte ihm ein zweites Leben ein. Pelops, obwohl noch jung an Jahren, wurde König von Mykene. Er war ein guter König, fromm und weise, hatte aber als Herrscher eine unglückliche Hand. Es heißt, dass nicht nur Tantalos für seine Tat büßen musste, sondern auch sein ganzes Geschlecht, das immer wieder von Gewalt und Katastrophen heimgesucht wurde. Pelops’ Söhne Atreus und Thyestes kamen mit dem Ehrgeiz ihres Großvaters zur Welt und begingen Verbrechen, die so dunkel und blutig waren wie die des Frevlers. Eine Tochter wurde vom Vater missbraucht, ein Sohn gekocht und gegessen, und das alles geschah in bitterer Rivalität um den Thron.

Erst mit Agamemnon und Menelaos wendete sich das Los der Familie. Die Tage der Bürgerkriege waren vorüber, und Mykene blühte unter der Herrschaft Agamemnons auf. Sein Ruhm gründet nicht nur auf seiner Kampfkraft, sondern vor allem auf seiner besonnenen Regentschaft. Wir können uns glücklich schätzen, ihn als Oberbefehlshaber an der Spitze unseres Heers zu wissen.«

Ich hatte gedacht, dass Achill nicht mehr zuhörte. Doch er drehte sich nun um und legte die Stirn in Falten. »Oberbefehlshaber? Ich bin’s, der meinen Truppen voransteht, und kein anderer.«

»Selbstverständlich«, pflichtete ihm Odysseus bei. »Aber wir kämpfen doch alle für dieselbe Sache, nicht wahr? Zwei Dutzend Generäle auf einem Schlachtfeld würden Chaos und Niederlagen hervorrufen.« Er schmunzelte. »Du weißt doch, wie das ist. Am Ende würden wir uns womöglich gegenseitig umbringen und den Feind verschonen. Ein solcher Krieg kann nur dann erfolgreich geführt werden, wenn alle an einem Strang ziehen, oder anders ausgedrückt: wenn sie die ganze Wucht ihrer Streitkraft in einen einzigen Speer legen, anstatt mit tausend Nadeln zu stechen. Du führst die Männer von Phthia, ich meine aus Ithaka, aber es muss jemanden geben, der unsere Kräfte bündelt.« Und als Kompliment fügte er hinzu: »Auch wenn der eine den anderen weit überragt.«

Achill verzog keine Miene. Sein Gesicht lag im Schatten der untergehenden Sonne. »Ich kämpfe aus freien Stücken und werde Agamemnons Rat annehmen, nicht aber seine Befehle. Damit das klar ist.«

Odysseus schüttelte den Kopf. »Die Götter mögen uns vor uns selbst beschützen. Der Kampf hat noch nicht begonnen und wir streiten schon um die Ehren.«

»Du hast mich nicht verstanden –«

Odysseus winkte mit der Hand ab. »Glaub mir, Agamemnon weiß um deinen großen Wert für seine Sache. Er war der Erste, der den Wunsch geäußert hat, dich zu gewinnen. Du wirst in unserem Heer mit so viel Pomp willkommen geheißen, wie du es dir nur wünschen kannst.«

Achill hatte etwas anderes gemeint. Ich war jedoch froh, als jemand übers Deck rief, dass Land in Sicht sei.

Nach dem Abendessen legte sich Achill aufs Bett. »Was hältst du von den Männern, die wir treffen werden?«

»Ich weiß nicht.«

»Zum Glück ist Diomedes nicht mehr in der Nähe.«

Wir hatten ihn im Norden von Euböa zurückgelassen, wo er auf seine Männer aus Argos warten wollte. »Ja, darüber bin ich auch froh«, entgegnete ich. »Ich traue ihnen nicht.«

»Ich nehme an, wir werden früh genug erfahren, wie sie sind«, sagte er.

Es blieb eine Weile still zwischen uns. Es hatte zu regnen angefangen, und wir hörten erste Tropfen auf die Zeltplane fallen.

»Wenn Odysseus recht hat, zieht in der Nacht ein Unwetter auf.«

Ägäische Stürme brachen urplötzlich aus, legten sich aber auch rasch wieder. Unser Schiff war sicher festgemacht, und am Morgen würde der Himmel wahrscheinlich wieder heiter sein.

Achill sah mich an. »Deine Haare sind wohl nicht zu bändigen.« Er berührte meinen Kopf gleich hinterm Ohr. »Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr mir das gefällt?«

Meine Kopfhaut kribbelte unter seinen Fingern. »Nein.«

»Das hätte ich längst tun sollen.« Er fuhr mit der Hand in die Kuhle unter meinem Kehlkopf und erspürte meinen Pulsschlag. »Und wie ist es damit? Habe ich dir schon gesagt, wie ich diese Stelle finde?«

»Nein«, antwortete ich.

Er strich über die Muskeln auf meiner Brust. »Aber dazu werde ich doch wohl schon etwas gesagt haben, oder?«

»Ja.« Ich hielt die Luft an.

»Auch dazu?« Er hatte die Hand auf meine Hüfte gelegt und ließ sie über den Schenkel gleiten. »War davon die Rede?«

»Ja.«

»Und diese Stelle hier werde ich doch bestimmt nicht vergessen haben, oder?« Er schmunzelte. »Sag es.«

»Du hast sie nicht vergessen.«

Seine Hand stand nicht still. »Auch das hier nicht, da bin ich mir sicher.«

Ich schloss die Augen. »Sag es nochmal«, flüsterte ich.


Später liegt Achill neben mir und schläft. Der von Odysseus vorausgesagte Gewittersturm ist gekommen und zerrt mit aller Gewalt an der Leinwand unseres Zelts. Ich höre das Donnern der Brandung am Ufer. Achill rührt sich und mit ihm die Luft, die seinen süßen Duft trägt. Ich denke: Das werde ich missen. Ich denke: Lieber sterbe ich, als das missen zu müssen. Ich denke: Wie viel Zeit bleibt uns noch?

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