10.

Die Sonne war untergegangen, während sie in Bradburns unterirdischem Refugium gewesen waren, und mit der Nacht war die Kälte wieder in die Burg gekrochen und erinnerte ihre Bewohner nachhaltig daran, daß außerhalb der zyklopischen Mauern hoch immer Winter herrschte. Der Hof hatte sich wieder in das zurückverwandelt, was er seit einer guten Woche war: ein improvisiertes Heerlager, in dem Menschen und Quorrl in scheinbarer Eintracht miteinander lebten. Skar ging fröstelnd zwischen den Zelten und Lagerfeuern hindurch. Blicke trafen ihn und wurden hastig wieder abgewandt, wenn er sie erwiderte, und mindestens einmal war er sicher, seinen Namen in den geraunten Gesprächen der Männer zu hören. Eine riesige, schuppige Gestalt trat ihm in den Weg und wandte sich hastig wieder um, als sie ihn erkannte, und einer der schwarzen Kampfhunde lief ihm knurrend ein Stück nach und trollte sich, als Skar nach ihm schlug. Er mochte Hunde, Tiere überhaupt, aber er verabscheute diese Hunde. Es war noch nicht lange her, daß ihn eine dieser schwarzen Bestien um ein Haar umgebracht hätte. Das Lager war voll von ihnen - sie wurden von Menschen gezüchtet und aufgezogen, aber von Quorrl abgerichtet, und das Ergebnis war eine Mischung aus menschlicher Heimtücke, animalischem Mut und quorrlscher Wildheit, die wahrscheinlich auf ganz Enwor ihr Ebenbild suchte. Aber irgendwie waren diese Hunde typisch für Dels zusammengewürfelte Armee aus Quorrl-Kriegern und menschlichem Abschaum, der sich Satai nannte.

Skar erschrak ein wenig über seine eigenen Gedanken. Sie waren - sachlich - richtig, aber er spürte auch die sonderbar befremdliche Wut, die sie in ihm auslösten. Warum war er so aggressiv?

Er atmete innerlich auf, als er den Hof überquert hatte und ihn die Dunkelheit und Wärme der Burg auf der anderen Seite wieder aufnahm. Der Posten neben der Tür nickte ihm grüßend zu und stützte sich wieder auf seinen Speer, um weiterzudösen, noch ehe er vorüber war. Skar erwiderte seinen Gruß, schlug den Mantel zurück und lief die Treppe zu seinem Quartier hinauf, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Es war noch früh; trotz der zeitig hereingebrochenen Dunkelheit hatte der Abend nicht einmal richtig begonnen, aber er war müde, und er hatte keine Lust, über vieles nachzudenken. Zum Beispiel über die Frage, ob er am nächsten Morgen mit Bradburn zu den Felsen hinunterreiten oder die Burg vielleicht vorher verlassen sollte.

Eine Gestalt vertrat ihm den Weg, als er die Hand nach der Tür ausstreckte. Skar schrak zusammen, ehe er ihr langes, an einer Seite angesengtes blondes Haar und die spöttischen Augen erkannte, schalt sich selbst in Gedanken einen Narren und runzelte die Stirn.

»Du solltest einen Satai niemals erschrecken, Kind«, warnte er lächelnd. »Das könnte dein letzter Fehler sein, weißt du?« Kiina machte eine ärgerliche Handbewegung, aber er merkte, daß sie dennoch ein wenig zusammenfuhr. »Ich möchte mit dir reden«, sagte sie. »Hast du einen Moment Zeit?«

»Nein«, antwortete Skar. »Aber komm trotzdem mit herein.« Er öffnete die Tür, machte eine einladende Geste und schüttelte ungeduldig den Kopf, als Kiina zögerte, seiner Aufforderung zu folgen. »Wir können die Tür offen lassen, wenn du Angst hast, daß ich dich auffresse«, beruhigte er sie spöttelnd. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er an ihr vorbei ins Zimmer, tastete sich im Dunkeln zum Tisch und suchte ungeduldig nach den Feuersteinen, die darauf lagen. Er fand sie nicht, aber dafür stieß er den Wasserkrug um, der vom Tisch rollte und klirrend zerbrach. Skar unterdrückte einen Fluch, bückte sich nach den Scherben und schnitt sich in den Daumen.

Hinter ihm erscholl ein leises Lachen, das Zorn aus seinem Ärger machte. Er fuhr hoch, setzte zu einer wütenden Antwort an - und blinzelte, als zwischen Kiinas Händen eine kleine, gelbe Flamme aufglomm, die sich rasch zum ruhigen Feuer der Öllampe vergrößerte. Verwirrt registrierte er, daß die Feuersteine ziemlich genau dort lagen, wo er sie mit seiner ungeschickten Bewegung gesucht hatte. Kiina hatte sie nicht einmal angerührt. »Ein alter Trick der Errish«, erklärte sie, als sie seinen fragenden Blick sah. »Du wärst erstaunt, wenn du wüßtest, wie simpel er ist. Aber ich werde ihn dir nicht verraten.«

»Dann laß es«, knurrte Skar. Ärgerlich steckte er den Daumen in den Mund und sog so lange an der kleinen Wunde, bis sie zu bluten aufhörte. Kiina beobachtete ihn neugierig.

»Ist das die Art der Satai, Wunden zu heilen?« fragte sie. »Nein«, fauchte Skar. Er nahm den Daumen aus dem Mund und wischte ihn an der Hose trocken. »Ich brauche ab und zu frisches Blut, weißt du? Hat man dir nicht gesagt, daß ich Blut trinke und am liebsten lebendes Fleisch esse?«

»Man hat mir berichtet, daß du ein sehr harter Mann bist, Satai«, antwortete Kiina ruhig. »Nicht, daß es dir Spaß macht, den Wilden zu spielen.«

»Da hat man dir etwas Falsches erzählt«, erwiderte Skar und versetzte den Tonscherben zu seinen Füßen einen Tritt, der sie im ganzen Zimmer herumfliegen ließ. Mit einem Male verspürte er eine geradezu unbändige Lust, irgend etwas zu packen und zu zerschlagen. »Was willst du von mir?« fuhr er Kiina an. »Bist du nur hierhergekommen, um dich über mich lustig zu machen?«

»Nein«, antwortete Kiina. Sie schob trotzig die Unterlippe vor und funkelte ihn an. »Ich bin eigentlich gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen. Aber ich glaube, ich hätte mir den Weg sparen können. Verzeiht, daß ich Euch gestört habe, Herr.« Sie wandte sich brüsk um und wollte gehen, aber Skar hielt sie zurück.

»Warte«, sagte er. »Ich... es tut mir leid. Bleib - bitte.« Er ließ ihren Arm los, lächelte entschuldigend und fuhr sich mit der anderen Hand über das Gesicht. Sein grober Ton tat ihm leid; er schämte sich, wenn auch mehr vor sich selbst als Kiina gegenüber. »Bleib«, bat er noch einmal.

Er hätte seine Bitte gar nicht zu wiederholen brauchen. Kiinas Zorn war so schnell verflogen, wie er gekommen war; sie schien nicht einmal mehr verärgert, sondern sah ihn nur noch mit einer Art vorsichtigem Interesse an - auf genau die Art, dachte Skar, auf die man ein Tier betrachten mochte, von dem man wußte, daß es gefährlich war, aber nicht angreifen würde, solange man es nicht provozierte.

»Es tut mir leid, daß ich so grob zu dir war«, entschuldigte er sich. »Heute nachmittag, meine ich.«

»Hehe«, entgegnete Kiina. »Ich bin es, die um Verzeihung bitten wollte. Verdirb mir doch nicht den ganzen Spaß, Satai.« Skar blickte irritiert auf sie hinab, aber dann gewahrte er das spöttische Glitzern in ihren Augen, und plötzlich lachten sie beide. Aber Kiina wurde sehr rasch wieder ernst.

»Ich habe mit dem Hohen Satai gesprochen«, fuhr sie fort. »Und mit Bradburn. Ich ... habe mich ziemlich dumm benommen, glaube ich. Aber ich wußte nicht, daß den Satai ihre Kleider heilig sind.«

»Nicht ihre Kleider«, antwortete Skar. »Das, was sie symbolisieren.« Er machte eine bewußt übertrieben wegwerfende Handbewegung. »Aber du hast recht - du wußtest es nicht. Ich hätte es berücksichtigen müssen. Es tut mir leid.«

»Ja«, antwortete Kiina. »Und wenn wir damit fertig sind, uns unentwegt beieinander zu entschuldigen, dann können wir vielleicht damit anfangen, miteinander zu reden.«

Skar blieb ernst, obwohl Kiinas Blick ihn zu einem neuerlichen Lachen herausforderte. »Ich kenne die Frage, die du mir stellen willst«, sagte er leise. »Und du die Antwort. Wir können nicht nach Elay gehen. Weder dieses Heer noch du und ich.«

Kiina schwieg eine Weile. Sie hatte sich gut in der Gewalt, stellte Skar anerkennend fest; gut genug, um zu verheimlichen, wie weh ihr seine Worte taten. Dabei mußte sie die Antwort so wie er gekannt haben, noch bevor sie hierher kam.

Aus einem plötzlichen Gefühl von Mitleid heraus trat Skar auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter, aber etwas Seltsames geschah. Skar hatte sie kaum berührt, als ihn Erinnerungen und Gefühle von selten gekannter Stärke überfluteten: Er spürte eine sonderbare, gleichzeitig unangenehme wie wohltuende Wärme, das viel, viel zu lange vermißte Empfinden, einem Menschen gegenüberzustehen, der nicht sein Feind war und der nichts weiter wollte als er selbst, nämlich ein wenig Verständnis und Freundschaft, aber zugleich glaubte er sich auch zurückversetzt in eine andere Zeit, aber denselben Ort. Es war mehr als nur ein Gefühl, viel mehr als bloße Erinnerung, sondern ein Empfinden von der Kraft und Eindringlichkeit einer Vision: Er hatte schon einmal in dieser Burg gestanden und ein Mädchen in den Armen gehalten, das dasselbe gewollt hatte wie Kiina. Es war ein anderes Zimmer gewesen, eine andere Zeit, und es geschah unter anderen Voraussetzungen, aber wenige Sekunden, nachdem er sie berührt hatte, war sie in seinen Armen gestorben, und er hatte sich nie so klar an das fassungslose Entsetzen jenes Augenblickes erinnert wie jetzt. Obwohl er mit aller Macht dagegen anzukämpfen versuchte, stieß er Kiina so grob von sich, daß sie das Gleichgewicht verlor und sich am Tisch festhalten mußte, um nicht zu stürzen. Skar griff blitzschnell zu und fing sie auf, zog die Hand aber sofort wieder zurück.

Kiina starrte ihn fassungslos an. »Was -?«

»Verzeih«, sagte er hastig. »Das... das wollte ich nicht.«

»Warum hast du es dann getan?« fragte Kiina verstört.

Es war eine Frage, wie sie wohl nur ein Kind stellen konnte, und vielleicht traf sie ihn deshalb so sehr. Er suchte einen Moment vergeblich nach einer Antwort, zuckte schließlich fast hilflos mit den Schultern und sah weg. »Es galt nicht dir«, versicherte er. »Es tut mir leid. Ich bin nervös.«

Kiina legte den Kopf auf die Seite und blickte ihn sehr nachdenklich an. »Hast du Angst vor dem Quorrl?« fragte sie. Skar war überrascht. Es dauerte Sekunden, bis er überhaupt begriff, was sie meinte. »Titch?«

»So heißt er wohl, ja«, erwiderte Kiina. »Du hattest Streit mit ihm. Ich... habe gesehen, was passiert ist.«

»Wer hat das eigentlich nicht?« murmelte Skar. Lauter und als Antwort fügte er hinzu: »Es sah schlimmer aus, als es war. Titch ist ein Quorrl. Man kann einen Quorrl nicht beleidigen.«

»Bist du sicher?«

»Vollkommen«, antwortete Skar, und er meinte seine Worte in diesem Augenblick wirklich so, wie er sie sagte. »Ein Quorrl bringt dich entweder sofort um oder gar nicht. Es ist nicht Titch. Ich ... bin nervös, das ist alles.«

»Das scheinen hier alle zu sein«, seufzte Kiina. »Diese Burg macht mir Angst, Skar. Sie ist böse.«

Skar lächelte verständnisvoll. Kiina war ein Kind, das Kind einer Errish dazu, deren Lebensinhalt das Lindern und Heilen war, so wie der der Satai der Kampf. Was anderes als Furcht und Unbehagen sollte sie empfinden, an einem Ort wie diesem? »Erzähl mir von deiner Mutter«, bat er - nicht nur deshalb, um sie auf andere Gedanken zu bringen, wie er sich selbst einzureden versuchte.

»Von ... meiner Mutter?« Für einen Moment war auch Kiina über sein Anliegen überrascht, und für einen noch kürzeren Augenblick - vielleicht lag es am Licht, vielleicht am Blickwinkel, vielleicht war es auch nur da, weil er es sehen wollte - schien sie ihrer Mutter zu gleichen wie eine zwanzig Jahre jüngere Zwillingsschwester: das gleiche sanfte und doch energische Gesicht, die gleichen verwundbaren Augen, die verletzend und spöttisch, aber auch liebenswert und hilflos zugleich blicken konnten, derselbe, energische Mund... selbst die furchtbare Zweiteilung ihres Gesichtes war da, wenn es bei Kiina auch nur das Haar war, welches das Höllenfeuer des Scanners verbrannt hatte, und nicht Gowennas Gesicht, vom Atem des Drachen berührt.

Dann war der Moment vorüber, Kiina bewegte sich und wurde wieder zu dem, was sie war, und Skar schalt sich in Gedanken einen romantischen Narren, der sich wohl immer noch weigerte zu begreifen, daß es die Welt, nach der er sich zurücksehnte, nicht mehr gab.

»Aber warum?« fragte sie.

Skar lächelte. »Bist du nicht hergekommen, um mit mir zu reden?«

»Doch«, antwortete Kiina. »Aber es gibt... Wichtigeres.«

»Zum Beispiel?«

Kiina hob vage ihre Hände. »Der Krieg. Die Lage in Elay. Die Pläne der Sternengeborenen...«

»Ich bin sicher, nach all diesen Dingen haben dich Del und Bradburn schon zur Genüge befragt«, antwortete Skar. »Sie hätten es mir gesagt, wären wirklich wichtige Neuigkeiten dabei.« Kiina blickte ihn halb verwirrt, halb aber auch zornig an. »Ist die Vernichtung eures Heeres nicht wichtig genug?« fragte sie irritiert.

Skar machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie zu beschließen und dann auszuführen sind zwei verschiedene Dinge, weißt du?« Er ließ sich auf die Kante seines Bettes sinken, verschränkte die Hände hinter dem Nacken und deutete mit dem Fuß auf einen freien Stuhl. Kiina setzte sich gehorsam, wurde aber unter seinem Blick immer nervöser.

»Erzähl mir von ihr«, wiederholte Skar noch einmal seine Bitte.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, antwortete Kiina zögernd. Das war halb die Wahrheit, halb aber auch nicht, wie Skar ganz genau spürte. Plötzlich war er es, der irritiert war. »Ich habe sie kaum gekannt, weißt du?« fügte sie mit einem fast entschuldigenden Lächeln hinzu.

»Du bist nicht von ihr erzogen worden«, vermutete Skar - natürlich: Gowenna war die Margoi der Ehrwürdigen Frauen gewesen, Königin, Mutter und - fast - Göttin in einer Person. Aber Kiina schüttelte den Kopf.

»Doch«, sagte sie. »Ich habe bei ihr gelebt, wenn du das meinst, und sie hat alle Zeit mit mir verbracht, die sie erübrigen konnte. Später habe ich erfahren, daß ihre Beraterinnen immer darauf gedrängt haben, mich fortzuschicken - nach Ikne oder Denwar, oder auch zum Berg der Götter, um mich von den Hohen Satai unterrichten zu lassen.«

Skar sah sie zweifelnd an. Kiina hatte keinen Grund zu lügen - aber eine Frau auf den Verbotenen Inseln? Das war unvorstellbar.

Er sprach seine Zweifel laut aus, und Kiina nickte zustimmend. »Ich weiß. Aber es gab den Plan, die Satai und die Errish zu vereinen. Nicht für lange Zeit, und auch nicht sehr ernsthaft, aber er wurde erwogen. Du weißt nichts davon?«

Skar schüttelte den Kopf. Es gab eine Menge Dinge, von denen er nichts wußte. »Deine Mutter bestand also darauf, daß du bei ihr bleibst«, nahm er den Faden auf, um an ihre unterbrochene Erzählung anzuknüpfen.

Kiina nickte. »Ja. Ich... sie hat sich um mich gekümmert, wenn du das meinst. Sie hat alles getan, mir eine gute Mutter zu sein.« Sie starrte an ihm vorbei gegen die Wand, und etwas Neues, sehr Sonderbares trat in ihren Blick - ein Ausdruck irgendwo zwischen Trauer, Schmerz und verstehendem Vergeben, den Skar nicht genau einordnen konnte. Er war verwirrt, denn was er in Kiinas Augen zu lesen glaubte, das paßte nicht zu einem Kind von sechzehn oder siebzehn Jahren.

»Sie hat es versucht«, fuhr sie nach einer sehr langen Pause fort. »Aber Mutter und Göttin zugleich kann wohl niemand sein. Aber sie hat oft von dir gesprochen.« Sie sah ihn an, als erwarte sie eine ganz bestimmte Reaktion von ihm, und Skar tat ihr den Gefallen, fragend die Brauen zusammenzuziehen.

»Sie muß dich sehr geliebt haben«, erinnerte sich Kiina. »Sie hat es nie zugegeben, aber ich habe es gespürt, mit jedem Wort, das ich hörte. Ich glaube, du warst der einzige Mann, den sie je geliebt hat. Sie war nicht sehr glücklich.« Kiina seufzte, fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht und begann, die Scherben des zerbrochenen Kruges aufzuheben, während sie weitersprach. »Niemand, der das Amt der Margoi innehat, ist glücklich, Skar. Wußtest du das? Ich glaube, es ist die Verantwortung und all dieses Wissen, das sie auffrißt, innerlich. Wirklich glücklich war sie nur, wenn sie von dir gesprochen hat - und von den Abenteuern, die ihr zusammen erlebt habt.« Sie sah ihn an, und plötzlich war sie wieder ganz begeistertes Kind. Ihre Augen begannen zu leuchten. »Du mußt mir davon erzählen. Von eurem Kampf gegen Vela und den Dronte, und von eurer Reise über die Ebenen von Tuan.«

Skar lächelte. »Ich habe den Eindruck, daß du bereits alles weißt, was es darüber zu wissen gibt«, wich er aus.

»Sie hat mir alles erzählt, ja«, bestätigte Kiina aufgeregt. »Hundertmal. Wir haben ganze Nächte zusammengesessen, und ich habe ihren Worten gelauscht. Aber das war etwas anderes. Ich möchte es von dir hören. Mit deinen Worten.«

»Und du denkst, sie sind anders?«

»Du bist anders«, stellte Kiina richtig. »Anders, als ich dich mir vorgestellt habe.«

»So?« fragte Skar belustigt. »Wie hast du mich dir denn vorgestellt?«

»Älter«, antwortete Kiina. »Ruhiger.« Sie lächelte, plötzlich verlegen. »Oder eigentlich nicht. Wenn... wenn meine Mutter von dir erzählt hat, dann habe ich dich manchmal vor mir gesehen, weißt du? Ganz genau so, wie du bist. Aber das ist über zwanzig Jahre her. Du mußt sehr jung gewesen sein, damals. Nicht viel älter, als ich heute bin.«

Skar schwieg ein paar Augenblicke. Kiina wußte nichts von seinem zwanzig Jahre dauernden Schlaf, so, wie die allerwenigsten wirklich davon Kenntnis hatten. Es gab Gerüchte, Vermutungen und wahrscheinlich bereits die haarsträubendsten Geschichten, aber für die allermeisten Menschen war er irgendwann vor zwanzig Jahren einfach verschwunden und vor wenigen Wochen wieder aufgetaucht. Del und er waren übereingekommen, es auch vorerst dabei zu belassen.

»Ich bin sehr viel älter, als du glaubst«, versicherte er ausweichend. »Ich habe mich gut gehalten, das ist alles.«

Kiinas Gesichtsausdruck machte deutlich, wie wenig sie sich mit dieser Antwort zufrieden gab, und Skar fuhr rasch fort: »Ein alter Satai-Trick. Du wärst erstaunt, wenn du wüßtest, wie einfach er ist. Aber ich werde ihn dir nicht verraten.«

Kiina lächelte pflichtschuldig, aber Skar gab ihr auch jetzt noch keine Gelegenheit, eine Frage zu stellen. »Wer war dein Vater?« erkundigte er sich.

Kiina zuckte mit den Achseln. »Ein Krieger«, antwortete sie. »Ein Satai, wie du - glaube ich. Ich habe ihn nie kennengelernt. Er wurde eines Tages nach Elay gebracht, mehr tot als lebendig, und meine Mutter und einige andere Errish pflegten ihn, bis er wieder gesund war.«

»Und in dieser Zeit hat er dich gezeugt?« fragte Skar zweifelnd. Kiina zuckte abermals mit den Schultern. »Warum nicht? Auch Errish sind normale Frauen mit normalen Bedürfnissen, oder? Niemand verpflichtet sie zur Keuschheit. Habt ihr Satai ein entsprechendes Gelübde abgelegt?«

Skar lachte. »Nein. Aber Satai bekommen äußerst selten Kinder, weißt du?«

»So wie Errish«, bestätigte Kiina. »Die meisten von ihnen sind steril, durch den dauernden Umgang mit Drogen und den häufigen Kontakt mit ihren Drachen. Aber nicht alle. Etwas ist... nicht richtig gewesen. Die Droge, die Errish normalerweise nehmen, um nicht schwanger zu werden, hat versagt - vielleicht hat meine Mutter auch vergessen, sie zu nehmen.« Sie lächelte schwach. »Das ist die offizielle Version. Aber ich glaube, daß sie mich wollte.«

»Hat sie dir das erzählt?«

»Nein. Aber als klar wurde, daß sie ein Kind erwartete, hat sie die Schwangerschaft nicht abgebrochen, wie es üblich gewesen wäre. Ich glaube, sie war die erste Margoi in der Geschichte Elays, die ein Kind bekam.«

Ihre Worte machten Skar betroffen, und plötzlich - so absurd es war -, bedauerte er nichts so sehr wie die Tatsache, daß nicht doch er ihr Vater war. Er begriff aus dem Wenigen, was er gehört hatte, daß Gowenna dieses Kind im Grunde seinetwegen bekommen hatte, und plötzlich war er auch sehr sicher, daß nicht einmal die Person ihres Vaters zufällig gewählt gewesen war. Der Mann mußte ihm sehr ähnlich gewesen sein.

»Aber jetzt bist du dran!« forderte Kiina aufgeregt. »Erzähl mir von euren Abenteuern, Skar. Erzähl mir von eurer Flucht vor dem Dronte, und wie ihr ihn schließlich doch besiegt habt.« Skar warf einen Blick aus dem Fenster. Die Nacht war vollends hereingebrochen, aber es war noch zu früh, und er wußte, daß er trotz seiner Erschöpfung so oder so noch lange keinen Schlaf finden würde - warum also nicht? Und plötzlich wollte er es sogar.

Er ließ sich bequemer auf dem Bett zurücksinken, wartete, bis auch Kiina in eine angenehmere Position gerutscht war, und begann mit leiser Stimme zu erzählen ...

Загрузка...