Der Angriff der Quorrl begann pünktlich auf die Minute. Titch hatte sein Heer zum Ufer des Flusses zurückgezogen, wie er es Skar zugesagt hatte, und schon eine Stunde zuvor hatten sich die Quorrl in Schlachtformation aufgestellt; vier hintereinandergestaffelte, immer um das Doppelte größer werdende Blöcke aus gepanzerten grünen Leibern, die reglos auf einen Gegner warteten, der nicht kam. Titch wußte es, und wahrscheinlich wußte es auch jeder einzelne Mann seines Heeres, aber die Quorrl hielten Wort. Bis zur Mittagsstunde rührte sich nichts dort unten im Tal, und Titch hatte sogar die Krieger zurückgerufen, die das Tor und den Weg belagerten, so daß Del Männer ausschicken konnte, die das Schlachtfeld nach Verwundeten absuchten und sie in die Festung trugen; nur ein kleiner Kundschaftertrupp war zurückgeblieben, der aber keinen Versuch machte, Dels Satai an ihrem Tun zu hindern. Die Ruhe, die sich über dem Flußufer und der Burg ausbreitete, war fast unheimlich.
Aber die Sonne hatte ihren höchsten Stand kaum erreicht, als sich das Rechteckmuster aus Quorrl unten am Fluß änderte. Skar, der neben Del und zweien ihrer Hauptleute auf der Mauer über dem Tor stand, dem Punkt, an dem der erste und wuchtigste Angriff der Quorrl zu erwarten war, hörte weder ein Trompetensignal, noch sah er irgend etwas - aber die ungeheuerliche Heeresmasse dort unten geriet von einer Sekunde zur anderen in rasend schnelle, kochende Bewegung. Aus dem ersten der vier gewaltigen Quader wurde ein langer, pulsierender Wurm, einer stachelgespickten grünen Schlange gleich, die sich mit täuschender Langsamkeit auf den Berg und den Beginn des Serpentinenweges zuwälzte. Zehn Minuten, schätzte Skar. Die Quorrl rannten, so schnell sie konnten. Wenn sie dieses Tempo beibehielten, würden sie das Tor in zehn Minuten erreicht haben.
Er hob die Hand und winkte den Bogenschützen zu, die sich beiderseits des Weges auf den Felsen postiert hatten; gleichzeitig gab Del ein anderes Zeichen, und überall hinter der Brüstung glommen die kleinen Kohlenfeuer heller auf. Sie mußten sparsam sein, mit allem. Kohle und Holz waren knapp. Sie hatten die Pechkessel nur so sehr befeuert, daß ihr Inhalt gerade noch flüssig blieb. Aber zehn Minuten würden reichen, den Quorrl einen heißen Empfang zu bereiten, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie warteten. Der Kopf der grünen Schlange aus Quorrl kam außer Sicht, als die Krieger um die erste Wegbiegung verschwanden, und Skar glaubte, ein dumpfes Dröhnen zu hören: die Schreie aus Tausenden und Tausenden und Tausenden rauher Quorrl-Kehlen. Nervös, aber trotzdem äußerlich ruhig, sah er sich um. Sie hatten etwa fünfhundert Mann auf der Mauer zusammengezogen, ein Nichts gegen die Lawine aus Quorrl, die sich auf die Burg zubewegte, aber trotzdem schon fast mehr, als der Wehrgang zu fassen vermochte. Alle zehn oder zwölf Schritte erhoben sich schwarze Pechkessel, unter denen die Feuer jetzt heller und heller loderten. Pfeile, Bolzen und Lanzen standen in sorgsam aufgereihten Bündeln an der Wand, bereit, auf die Angreifer hinabgeschleudert zu werden. Es war sehr still. Kaum jemand sprach. Sein Blick wanderte weiter, tastete über den Hof, den Dels Männer in den letzten drei Stunden in ein Labyrinth von Fallen verwandelt hatten, und glitt weiter über die Leitern und Stricke, die zur nächsten, höher gelegenen Mauer hinaufführten, dem zweiten von insgesamt fünf Wällen, die den Ansturm der Quorrl brechen sollten. Es waren nicht sehr viele Leitern. Aber es würden auch nicht sehr viele Männer sein, die sie benutzten. Aus dem Hof drang das rasende Schlagen großer Hämmer herauf, und der Lärm der Sägen. Skar hoffte inständig, daß den Männern Zeit genug blieb, ihre Arbeit zu beenden. Ihr ganzer Plan beruhte darauf, dem Ansturm der Quorrl schon an dieser ersten Mauer genug Schwung zu nehmen.
»Sie kommen«, rief Del.
Skar fuhr herum, blickte einen Moment lang auf den Weg hinab und nickte dann. Er konnte die Quorrl noch nicht sehen, aber er hörte sie - und vor allem: Er spürte sie. In den Chor gutturaler Schreie hatte sich ein dumpfes Dröhnen und Hallen gemischt, und Skar war jetzt sicher, sich das Zittern der Mauer unter seinen Füßen nicht einzubilden. Die Erde begann unter dem Stampfen der Quorrl zu zittern. Sie werden uns einfach überrennen, dachte er fast hysterisch. Ihr Götter, sie werden einfach durch die Mauer hindurchbrechen!
Natürlich war das Unsinn, und der logische Teil seines Denkens wußte das auch. Aber Logik nutzte ihm nicht mehr viel, in diesem Moment. Wie fast immer, wenn er sich auf einen Kampf vorbereitete, war Skars Denken und Fühlen seltsam zweigeteilt - auf der einen Seite war er nur noch Satai, kaum noch Mensch, sondern ein Krieger, der sein Handwerk perfekt beherrschte und für den all das, was kommen mochte, eine eher intellektuelle Herausforderung war als alles andere. Ein anderer Teil seines Denkens bestand aus Angst, und das war neu. Del stülpte seinen Helm über, befestigte den Kinnriemen mit übertriebener Sorgfalt und überzeugte sich pedantisch vom festen Sitz des Visiers, ehe er daranging, die schweren, metallverstärkten Handschuhe überzustreifen. In der gewaltigen Rüstung sah er fast so finster und bedrohlich aus wie Titch, dachte Skar, und nicht einmal sehr viel kleiner. Statt des Tschekals, das in seinem Gürtel hing, hatte er sich mit einem gewaltigen Zweihänder ausgestattet, einer Waffe mit fast mannslanger Klinge, die nur ein Riese wie er wirklich führen konnte.
Skar selbst hatte auf jeglichen Schutz verzichtet, mit Ausnahme des schwarzen, eng anliegenden Harnisches aus steinhartem Leder und eines eisernen Unterarmschutzes, den er anstelle eines Schildes am linken Arm trug. Seine Hand glitt über den rubingeschmückten Griff des Tschekal an seiner Seite, während er sich wieder der Brüstung zuwandte und auf den Weg hinabsah. Er dachte an Kiina. Von allem war vielleicht der Gedanke, sie niemals wiederzusehen, der schlimmste. Er fragte sich, ob er dieses Mädchen liebte - nicht wie ein Mann eine Frau, sondern wie ein Vater seine Tochter. Er fragte sich, ob sie seine Tochter war. Sie kamen.
Die Schatten an der unteren Biegung des Weges wurden lebendig, und plötzlich waren die Quorrl da, Hunderte, Tausende, Hunderttausende, wie es ihm schien.
Del riß den Arm in die Höhe, und eine Sekunde später begannen die Bogenschützen oben auf den Felsen zu schießen. Sie waren zu weit entfernt, als daß sie Einzelheiten erkennen konnten, aber Skar sah die Wirkung ihres verzweifelten Pfeilregens - mehr und mehr Quorrl taumelten, stürzten zu Boden oder wurden von ihren nachdrängenden Kameraden einfach niedergetrampelt. Sie hatten hundert Mann auf den Felsen postiert, hundert Freiwillige, von denen jeder einzelne gewußt hatte, daß er nicht zurückkehren würde, und schon ihre allererste Salve forderte einen ungeheuerlichen Blutzoll von den heranstürmenden Quorrl. Fast jeder einzelne Pfeil traf sein Ziel, denn die Quorrl stürmten so dichtgedrängt heran, daß ein Vorbeischießen kaum möglich war, und die Männer schossen schnell und ohne Pause. Aber für jeden Quorrl, der getroffen zu Boden sank, schienen zehn neue heranzurennen. Sie fielen, wurden umgerissen oder von den Nachfolgenden einfach in den Boden gestampft, und der Kopf des gewaltigen Heerwurmes raste weiter. Wahnsinn! dachte Skar. Das ist Wahnsinn! Sie kämpfen nicht! Sie stürmen einfach vor! Die Quorrl machten sich nicht einmal die Mühe, sich unter ihre Schilde zu ducken, sondern rannten blind in den tödlichen Hagel aus Pfeilen und Armbrustbolzen hinein.
Und hindurch. Der Ansturm der Schuppenkrieger verlor nicht einmal an Schwung.
»Bogenschützen!« befahl Del. »Jetzt!«
Auch auf der Mauer begannen die Sehnen mit ihrem peitschenden Lied, als die Spitze des Quorrl-Heeres in Reichweite war. Die vorderste Reihe der Quorrl fiel komplett, jeder einzelne Krieger von drei, vier, fünf Geschossen gleichzeitig getroffen, und auch die unmittelbar dahinter Vordringenden überlebten ihre Kameraden kaum um Sekunden. Dels Satai - und vor allem Torians Veden, wie Skar feststellte - schossen mit unheimlicher Präzision. Die dritte und vierte Kampfreihe der Quorrl mußte über die Leiber ihrer gefallenen Kameraden hinwegsteigen, ehe auch sie in den tödlichen Hagel geriet und starb.
Die Quorrl stürmten weiter.
Skar hob die linke Hand, spreizte die Finger, ballte sie ganz langsam zur Faust - und ließ den Arm ruckartig fallen. Fünfzig Manneslängen über ihm, auf den Plattformen der beiden Türme, erschollen helle, peitschende Laute, als sich die Katapulte entluden. Ein halbes Dutzend unförmiger dunkler Geschosse torkelte über den Hof hinweg, dünne zerrissene Bahnen aus grauem Rauch und Funken hinter sich herziehend.
Einer der Säcke explodierte zwanzig Meter über den Köpfen der Quorrl und überschüttete sie mit brennendem Öl, während die anderen inmitten ihrer Reihen aufschlugen und auseinanderplatzten, ehe die Flüssigkeit Feuer fing. Fast ein Drittel der Quorrl-Front verschwand hinter einem brüllenden Vorhang aus Feuer.
Die Quorrl rasten weiter.
Skar sah, daß viele von ihnen verwundet waren. Manche brannten lichterloh, aber sie stürmten weiter, schreiend vor Schmerz und Wut, aber unaufhaltsam wie lodernde Dämonen, bis sie schließlich zusammenbrachen. Und hinter ihnen kamen immer mehr und mehr und mehr Quorrl herangestürmt.
Skar löste seinen Blick kurz von dem Kampfgeschehen und versuchte, durch Flammen und Rauch hindurch einen Blick zum Fluß hinunter zu werfen. Dort unten begann sich der zweite Quader aus grünen Schuppen aufzulösen und zu einer Schlange zu formieren. Er war doppelt so groß wie der erste. Sie hatten keine Chance.
Dann erreichten die ersten Quorrl die Mauer. Tief unter Skars Füßen dröhnte das bronzene Tor wie eine gewaltige Glocke, als die Krieger dagegenprallten, und von einem Augenblick auf den anderen löste sich der Heereszug der Quorrl vollends auf; das Plateau vor dem Tor verwandelte sich in einen tobenden Hexenkessel aus schuppiger grüner Bewegung und Schreien und Waffengeklirr. Ein zweiter, noch härterer Stoß ließ das Tor erzittern, als die Krieger ihre mitgebrachten Rammen einsetzten, um es aufzusprengen, und plötzlich erhob sich ein ganzes Gewirr von Sturmleitern und langen, mit Steighaken versehenen Balken an der Mauer. Die grüne Flut brandete gegen den Fuß der Mauer und begann zu steigen. Skar sah, daß sich etliche Quorrl anschickten, an der Wand hinaufzuklettern, so schnell, daß man den Eindruck haben konnte, sie liefen einfach an ihr in die Höhe. Kochendes Pech und breite Ströme aus geschmolzenem Blei ergossen sich von der Mauerkrone auf die Angreifer hinab, aber nicht einmal das vermochte sie wirklich aufzuhalten.
Nur eine Armeslänge neben Skar erschien plötzlich das Ende einer hastig zusammengezimmerten Leiter über der Brüstung. Skar griff sich eine der Stangen, die für diesen Zweck bereitstanden, spreizte die Beine und versuchte, die Leiter von der Wand wegzustoßen, aber sie war zu schwer. Zwei, drei weitere Krieger sprangen ihm zu Hilfe, aber selbst mit vereinten Kräften gelang es ihnen kaum, die Leiter umzuwerfen. Und sie hatten es kaum geschafft, da prallte eine zweite, dritte und vierte Kletterstange gegen die Wand. Plötzlich waren da schuppige, flache grüne Gesichter unter wuchtigen Lederhelmen. Der Mann neben Skar brach mit einem gefiederten Bolzen in der Schläfe zusammen. Etwas flog wirbelnd und sich ununterbrochen überschlagend auf Skar zu, prallte von seinem Harnisch ab und brachte ihn für Augenblicke aus dem Gleichgewicht. Für eine Sekunde drohte er die Orientierung zu verlieren, nahm nur noch wirbelnde schattenhafte Bewegung und den apokalyptischen Lärm der Schlacht wahr. Jemand schlug nach ihm. Skar parierte den Schwerthieb blind, stach den Angreifer nieder und setzte mit einem Sprung über den zusammenbrechenden Quorrl hinweg. Del schrie irgend etwas; Worte, die ihm galten, denn er hörte seinen Namen selbst über den Lärm des Kampfes hinweg, aber ihm blieb keine Zeit, darauf zu reagieren, denn plötzlich war die Mauer voller riesenhafter grüner Krieger, tobende Kolosse, die wie aus dem Nichts aufzutauchen schienen und auf die Verteidiger eindrangen.
Vor Skar ragten plötzlich gleich drei der grüngrauen Giganten in die Höhe, das Gesicht des einen zerstört, von einer tödlichen Wunde gezeichnet, die ihn trotzdem nicht daran hinderte weiterzukämpfen, solange noch Leben in ihm war.
Skar duckte sich unter einem fürchterlichen Schwerthieb des ersten Quorrl hinweg, führte seine eigene Klinge schräg und blitzartig nach oben und zerschmetterte die Waffe des Quorrl; samt der Hand, die sie hielt. Der Quorrl taumelte zurück. Skar setzte ihm nach, packte sein Tschekal mit beiden Händen und schwang die Klinge zu einem wütenden, mit aller Gewalt geführten Hieb. Sein Schwert spaltete den Schild des zweiten Angreifers, prallte federnd zurück und grub noch in der gleichen Bewegung eine tiefe, blutige Furche in die Brust eines weiteren Quorrl. Etwas traf seinen Harnisch. Eine riesige, dreifingrige Klaue krallte sich in seinen Arm und versuchte ihn zurückzuzerren, aber Skar stemmte sich nicht gegen die Bewegung, sondern sprang im Gegenteil auf den Quorrl zu, rammte ihm die Schulter in den Leib und drehte sich dann blitzschnell zur Seite. Der Quorrl taumelte. Skar ließ sein Schwert fallen, packte den sieben Fuß großen Giganten mit beiden Händen an den Unterarmen und ließ sich selbst nach hinten kippen. Der Quorrl keuchte vor Überraschung, als er plötzlich den Boden unter den Füßen verlor und in hohem Bogen über Skar hinwegflog. Eine halbe Sekunde später durchbrach er die hölzerne Brüstung auf der Innenseite des Wehrganges und stürzte schreiend in den Hof hinab. Skar rollte herum, riß seine Waffe wieder an sich und streckte noch im Aufspringen einen weiteren Quorrl nieder.
Es war ein Alptraum. Der Kampf dauerte nur wenige Minuten, aber Skar konnte sich nicht erinnern, jemals inmitten eines solch unerbittlichen Ringens gestanden zu sein. Er begriff plötzlich, was Titch gemeint hatte, als er sagte, alle seine Krieger wären bereits tot, denn die Quorrl griffen erbarmungslos an, mit der Rücksichtslosigkeit von Maschinen, die keine Furcht, keinen Schmerz und keinen Tod kannten. Der Kampf wogte mit entsetzlicher Verbissenheit hin und her, und mehr als nur einmal war Skar davon überzeugt, daß sie bereits diesem ersten Ansturm erliegen würden. Es war gar kein wirklicher Kampf, sondern bald nur noch ein blindwütiges Gemetzel. Die Zahl der Quorrl schien kein Ende zu nehmen. Egal, wie viele sie erschlugen, es tauchten immer neue und neue Gegner über der Mauerkrone auf. Die Pech- und Bleikessel waren längst geleert oder ihre Besatzung erschlagen, und wahrscheinlich war der einzige Grund, warum sie dem Ansturm der Barbarenkrieger überhaupt noch widerstanden, der, daß gar nicht so viele Quorrl auf den schmalen Wehrgang paßten, wie von unten heraufdrängten. Mehr und mehr Verteidiger fielen, und für jeden getöteten Satai oder Veden tauchten drei Quorrl über der Mauerkrone auf. Skar sah Del unweit von sich inmitten der grünen Giganten, einen schreienden Riesen, der in seiner blutbesudelten Rüstung wie ein leibhaftiger Rachedämon wirkte, der unter die Quorrl gefahren war, und auch er selbst kämpfte wie ein Berserker; er focht längst nicht mehr, sondern schlug und hackte und stach nur noch blind auf die heran wogende Flut grüner Schuppen ein. Vor und neben und hinter ihm starben Männer und Quorrl, und auch er selbst wurde getroffen, aber er spürte keinen Schmerz, keine Schwäche. Und irgendwie schafften sie es. Skar wußte hinterher selbst nicht mehr, wie es ihnen gelungen war, und wie lange es gedauert hatte, aber irgendwann wurde der Strom grüner Giganten schwächer, der über die Mauer flutete. Und dann, von einer Sekunde auf die andere, hörte es auf. Ein letzter Quorrl erschien links von ihm zwischen den Zinnen, riß sein Schwert hoch und starb, von einer geschleuderten Lanze durchbohrt. Aber als sein Todesschrei verhallt war, breitete sich eine fast unheimliche Ruhe über der Burg aus. Es war vorbei.
Skar ließ erschöpft sein Schwert sinken, stützte sich einen Moment schwer auf den rubingeschmückten Griff der Klinge und schloß die Augen. Ihm wurde schwindelig. Mit einem Male spürte er all die kleinen und größeren Verwundungen, die er davongetragen hatte. Die Festung begann sich um ihn herum zu drehen.
Er drängte den Schwächeanfall mit Macht zurück, taumelte zur Mauer und blickte in die Tiefe. Nichts bewegte sich mehr dort unten. Ein paar verletzte Quorrl versuchten von den Mauern wegzukriegen, hier und da brannte es noch; Schreie wehten zu ihm herauf, seltsam dünn und unwirklich in der rauchgeschwängerten Luft, aber der Angriff war vorüber. Es gab niemanden mehr, der die Leitern hätte hinaufstürmen können. Die Quorrl hatten die Festung bis auf den letzten Mann berannt.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Skar drehte sich herum, nickte automatisch und schrak sichtlich zusammen, als er Del erkannte. Der Satai taumelte vor Schwäche, wie er selbst, aber er wirkte in seiner blutbesudelten Rüstung noch immer wie ein Alptraumwesen, der Gott einer blutigen Vision ohne Handlung, ohne Sinn, die nur aus Gewalt und sinnlosem Töten bestand.
»Nein«, sagte er schweratmend. »Das ist Wahnsinn, Del. Wir müssen ... den Kampf abbrechen.«
Del antwortete gar nicht. Sie wußten beide, daß dies nicht mehr in ihrer Macht stand, daß dieser apokalyptische Kampf nicht einmal das Vorspiel zu dem gewesen war, was kommen würde. Es waren drei- oder viertausend Quorrl gewesen, die sie angegriffen hatten. Die nächste Gruppe würde doppelt so groß sein. Und eine Verteidigung gab es praktisch nicht mehr. Nur einer von fünf Männern, die mit ihnen hier heraufgekommen waren, lebte noch. Die Pechkessel waren geleert oder umgeworfen, und die Bogenschützen draußen auf den Felsen hatten längst aufgehört zu schießen. Wahnsinn, dachte Skar. Das ist Wahnsinn! Wir sind Verbündete, und wir bekämpfen einander!
Und für einen Moment, einen ganz kurzen Moment, zu flüchtig, als daß er sicher sein konnte, daß es wirklich geschehen war, glaubte er, ein tiefes, dunkles Lachen in sich zu hören und einen Schatten zu sehen, den Umriß von etwas Kleinem, Schwarzem, Gesichtslosem, das ihn anstarrte.
»Sie kommen«, rief Del.
Skar drehte sich müde herum und sah in die Richtung, in die seine ausgestreckte Hand wies. Die zweite Welle der Quorrl stürmte den Weg hinauf. Sie würden nicht einmal Zeit haben, die Toten vom Wehrgang herunterzuschaffen; geschweige denn, so etwas wie eine neue Verteidigung zu organisieren. Del hob die Hand und machte eine befehlende Geste nach oben, zur zweiten Mauer hin. Auf den Leitern erschienen Männer, große, klobige Krüge und prall gefüllte Schläuche mit sich schleppend, die sie in regelmäßigen Abständen auf der Mauer zu verteilen begannen. Andere versuchten, die Verwundeten zu bergen, die zwischen den Toten lagen, aber Skar wußte, daß sie es nicht schaffen würden. Nicht alle.
Besorgt sah er den näherkommenden Quorrl entgegen. Der Ansturm dieser zweiten Gruppe war etwas weniger schnell. Hinter der ersten, zehnfach gestaffelten Kampfreihe bewegte sich ein Trupp von gut hundert Quorrl, der eine geradezu gigantische Ramme mit sich führte; einen gut hundert Fuß langen, mehr als mannsdicken Baumstamm, mit großen Streifen aus Stahl verstärkt und einem bronzenen Drachenschädel an einem Ende, der das Tor durchstoßen mußte wie ein Blatt Papier. Auch sie würden sterben, dachte Skar. Und es war so sinnlos.
»Schnell jetzt«, befahl Del. »Zurück.«
Skar gehorchte. So schnell sie konnten, liefen sie zum Ende der Mauer zurück und begannen, die Leiter hinaufzusteigen, die zum zweiten, nächsthöher gelegenen Verteidigungswall hinaufführte, gefolgt von den Überlebenden des Kampfes, die noch aus eigener Kraft gehen konnten, und anderen, die von ihren Kameraden gestützt werden mußten.
Sie schafften es nicht alle. Das Tor erbebte unter dem ersten, ungeheuerlichen Anprall von Titchs Riesenramme, kaum daß Skar die Mauerkrone überstiegen hatte, und als er sich umdrehte und in den Hof hinabblickte, sah er, daß schon dieser erste Treffer genügt hatte, einen der dreißig Fuß hohen Bronzeflügel in voller Länge zu spalten. Über der Mauerkrone erschienen neue Leitern und Sturmbalken.
»Schießt!« befahl Del.
Bogensehnen sirrten. Die Luft über dem Hof war plötzlich erfüllt von Funken und langen, auseinandergerissenen Rauchfahnen, und dann glomm ein kleines, böses weißes Licht auf dem Wehrgang auf, dort, wo die Krieger einen der ölgefüllten Säcke abgelegt hatten, wuchs zu einer brüllenden Flamme heran und explodierte. Skar schloß geblendet die Augen, als mehr und mehr Pfeile ihr Ziel trafen. Die Mauerkrone verwandelte sich in eine einzige, brüllende Barriere aus weißglühendem Feuer und unablässig aufzuckenden Explosionen. Die Hitze war selbst hier oben fast unerträglich, und das Licht grausam. Nur verschwommen nahm er wahr, wie das Tor unter dem zweiten Anprall der Ramme auseinanderbrach und nach innen stürzte.
Die Quorrl stürmten den Hof. Von der Mauerkrone floß brennendes Öl auf sie herab, und auch zwischen ihnen glommen plötzlich die weißen und orangeroten Feuerbälle immer neuer Explosionen auf, als Dels Bogenschützen ihr Feuer auf den Hof verlagerten und auf die großen Ölkrüge, die sie dort unten aufgestellt hatten. Aber Titchs Krieger stürmten einfach weiter. Es war, dachte Skar schaudernd, als wollten sie das Feuer einfach mit ihren Leibern ersticken. Tief unter ihm erreichten die Krieger mit der inzwischen lichterloh brennenden Ramme das innere Tor und versuchten es aufzusprengen.
»JETZT!« schrie Del, so laut er konnte. »Die Mauer!«
Zum dritten Mal begannen die Bogensehnen zu sirren. Ein ganzer Hagel brennender Pfeile regnete auf den Hof hinab und klatschte in den schmalen, ölgefüllten Graben, den die Männer vor der äußeren Mauer ausgehoben hatten.
Es ging rasend schnell. Zu der weißglühenden Feuerlinie auf der Mauerkrone gesellte sich eine zweite, die an ihrem Fuß nagte. Die Stützbalken, die anstelle des herausgebrochenen Mauerwerkes eingesetzt worden waren, fingen Feuer und verbrannten wie Stroh, wurden schwarz, zerbrachen unter dem Gewicht der auf ihnen lastenden Felsmassen. Die Mauer begann zu wanken. Tonnenschwere Steinbrocken brachen aus ihrer Krone und stürzten in den Hof hinab, und plötzlich begann die gesamte Wand zu zucken, schien sich wie ein lebendes Wesen zu winden und hin und her zu werfen, wie um sich noch einmal mit letzter Kraft gegen das Unvermeidliche zu wehren - und neigte sich nach innen. Sie begrub den Hof, die Flammen und jedes lebende Wesen, das sich noch dazwischen bewegt hatte, unter sich.