Torian war ein schlanker, hochgewachsener Mann von erstaunlich jugendlichem Aussehen, der aber trotz allem schon den smaragd-roten Mantel eines Hethmanns der Veden trug. Skar fand ihn zusammen mit Del im Treppenvorraum des Turms, und obwohl es in ihm brodelte, sagte er erst einmal gar nichts, sondern erwiderte Dels Blick nur mit einem Nicken und hörte zu, was der Vede berichtete. Seine Geschichte deckte sich mit der des Reiters draußen auf dem Hof, aber er hatte sich ein wenig besser in der Gewalt und wählte seine Worte ruhiger und mit mehr Bedacht.
»Es war die einzige Chance, die wir hatten«, begründete er seine Entscheidung. Er sprach nicht im Ton einer Verteidigung, sondern brachte nur Fakten vor. »Draußen auf der Ebene hätten sie uns einfach niedergerannt.«
»Wer?« fragte Skar.
Torian blickte auf, runzelte die Stirn und sah Del fragend an. »Erzähl es noch einmal«, bat Del. »Das ist Skar. Er ist mein Freund. Und ein Hoher Satai wie ich.«
»Die Drachen«, antwortete Torian. »Es waren riesige Tiere, Skar. Groß wie ein Wal, aber zehnmal so wild. Wir haben mehr als tausend Mann verloren, ehe wir sie überwältigen konnten. Und es war nur ein Dutzend dieser Ungeheuer.«
»Und deshalb hast du befohlen, die Quorrl anzugreifen?« fragte Skar scharf.
Erstaunen glomm in Torians Augen auf, dann, nach weniger als einer Sekunde, fast so etwas wie Mitleid. »Nein«, stellte er richtig. »Nicht deshalb. Auch um euch zu retten. Und uns, natürlich.«
Skar wollte auffahren, aber Del machte eine rasche, beruhigende Geste, und er schwieg. Del hatte ausnahmsweise einmal recht - sie hatten nichts so wenig wie Zeit, aber im Moment bestand kein Grund, den Veden nicht wenigstens in Ruhe ausreden zu lassen. Durch die Tür drang noch immer das Lärmen der hereindrängenden Reiter, aber es würde noch Stunden dauern, bis der letzte Mann die Burg erreicht hatte und sie anfangen mußten, sich Sorgen über die Quorrl zu machen. Das Heer war zu groß, als daß Titchs Krieger es einfach niederrennen konnten. »Berichte«, bat Del. »Von Anfang an.«
Torian nickte, warf Del aber einen raschen, feindseligen Blick zu, ehe er begann: »Wir schlugen das Lager auf, unten in der Ebene, jenseits des Flusses. Die Männer waren müde - wir waren zwei Wochen unterwegs, und die letzten Tage waren hart. Das Tauwetter hat den Boden aufgeweicht, und wir haben viele Tiere und einen Teil unserer Ausrüstung verloren. Auch ein paar Männer, aber nicht sehr viele«, fügte er hinzu.
»Und?« fragte Skar, als er nicht sofort weitersprach.
»Sie kamen mit Einbruch der Dämmerung«, fuhr Torian fort. »Wir hatten Wachen aufgestellt, und die Ebene war weithin gut einzusehen, aber irgendwie haben sie es geschafft, uns zu überraschen. Ich weiß nicht, wie. Ich war in Garth' Zelt, als ich die ersten Schreie hörte. Und dann erblickte ich sie.«
»Die Quorrl?«
»Zuerst die Drachen«, antwortete Torian. Seine Augen wurden dunkel vor Furcht, als er sich an die schrecklichen Szenen erinnerte, die er gesehen haben mußte. In seinem Gesicht arbeitete es. »Sie sind einfach ins Lager gestürmt, wie... wie lebende Kampfmaschinen. Es war ungefähr ein Dutzend. Ich habe Tiere wie sie nie zuvor zu Gesicht bekommen, aber ich habe Drachen erlebt, und nicht einmal sie haben so wild gekämpft wie diese Bestien.«
»Aber ihr habt sie besiegt«, sagte Skar.
Torian nickte. »Ja. Aber frage mich jetzt nicht, wie. Ich weiß es nicht. Ich habe selbst gesehen, wie sich zwanzig meiner besten Männer gleichzeitig auf eines dieser Ungeheuer warfen. Keiner von ihnen hat überlebt. Aber irgendwie haben wir es geschafft, ja. Aber das war erst der Anfang.«
»Die Quorrl?« vermutete Del.
Torian schüttelte abgehackt den Kopf. »Sie kamen zusammen mit den Drachen«, antwortete er. »Und wir haben sie zusammen mit ihnen besiegt. Aber wir machten Gefangene. Nicht viele, aber zwei oder drei Fischgesichter fielen uns lebend in die Hände. Garth war tot, so daß ich das Kommando übernehmen mußte. Ich ließ die Quorrl verhören.«
»Verhören?« Skar gab sich keine Mühe, den Unglauben zu unterdrücken, mit dem ihn diese Behauptung erfüllte. »Einen Quorrl?«
»Ja, einen Quorrl!« antwortete Torian feindselig. »Ich habe von dir gehört, Skar. Du bist der beste Satai, aber du denkst wie alle anderen. Ihr habt die Allwissenheit nicht gepachtet, Satai.« Del hob rasch die Hand, als Skar auffahren wollte. »Bitte«, mahnte er beschwörend. »Wir haben wirklich andere Sorgen, als uns zu streiten. Du hast die Quorrl also verhört.«
Die Frage galt Torian, der sie mit einem Nicken beantwortete. »Nicht ich«, verbesserte er. »Jamaß, unser Ältester. Er ist ein großer Zauberer, Del. Es war schwer, aber schließlich gelang es ihm, die Zunge eines dieser Fischgesichter zu lockern.« Er machte eine Handbewegung, welche die gesamte Festung einschloß und zugleich müde wie auch zornig wirkte. »Diese ganze Burg hier ist eine Falle«, behauptete er. »Eine Falle für euch und uns. Und wir sind blind in sie hineingetappt.« Plötzlich wurde er zornig. »Verdammt, ich war von Anfang an dagegen, diesen Echsenköpfen zu trauen! Sie hassen uns mit jeder Faser ihrer Seele! Sie haben die ganze Zeit über nur darauf gewartet, uns endlich alle zusammen zu erwischen!«
Del tauschte einen bezeichnenden Blick mit Skar, sagte aber nichts, sondern bedeutete Torian mit einem Nicken weiterzureden.
»Was ich von dem Quorrl erfuhr, war folgendes«, fuhr Torian fort, jetzt wieder ruhig, fast monoton. »Es war geplant, uns und euch gleichzeitig anzugreifen, morgen früh, bei Sonnenaufgang. Warum dieser eine Trupp schon am Abend angriff, weiß ich nicht - vielleicht ein Fehler.«
»Ein Fehler?« zweifelte Skar. »Bei einer so wichtigen Sache?«
»Irrtümer kommen vor, oder?« schnappte Torian. »Manchmal entscheiden dumme Zufälle über das Schicksal der Welt, weißt du? Sie hatten jedenfalls vor, uns im Morgengrauen zu überrennen, und euch auch. Zweitausend Quorrl und an die hundert dieser Drachenbestien uns, und eure Verbündeten dort draußen euch.«
»Und das hast du geglaubt?« fragte Skar.
»Nein«, antwortete Torian mit erstaunlicher Offenheit. »Ich habe sie gesehen, Satai. Ich bin selbst zu der Stelle geritten, die uns der Quorrl genannt hat, und sie waren da. Mehr als hundert dieser Ungeheuer.« Er schüttelte sich. »Sie hätten uns einfach niedergeritten. Wir hatten keine Chance, gegen diese Bestien.«
»Warum habt ihr keinen Boten zu uns geschickt?« fragte Del. »Ich habe zehn Boten hierhergeschickt«, antwortete Torian trotzig. »Ist einer von ihnen angekommen?«
»Nein«, mußte Del verwirrt zugeben. »Aber ihr hättet eine Spiegelbotschaft schicken können.«
»Nachts?« Torian machte ein abfälliges Geräusch. »Außerdem blieb keine Zeit dazu. Die Quorrl müssen gemerkt haben, daß ihr Plan zu scheitern drohte. Sie verfolgten meine Begleiter und mich. Wir konnten entkommen, aber sie waren dicht hinter uns.« Plötzlich schrie er: »Verdammt, was hätte ich tun sollen? Wir hatten keine Chance, draußen in der Ebene! Die einzige Möglichkeit war dieser Durchbruch!«
»Und er war völlig umsonst«, bemerkte Skar leise. Torian starrte ihn voller neu aufflammender Wut an, Del war verwirrt. Skar machte eine erklärende Geste.
»Ich habe mit einem seiner Männer gesprochen, draußen auf dem Hof«, sagte er, an Del gewandt. »Er hat mir diese Drachen -« Er betonte das Wort auf eine Art, die nur Del verstand »-beschrieben. Es waren Skrot, Del. Die gleichen Tiere, welche die Errish ritten.« Er wandte sich an Torian. »Die Quorrl, die euch angriffen«, fragte er. »Ist dir irgend etwas an ihnen aufgefallen?«
»Aufgefallen? Was?«
»Eine Art Netz«, antwortete Skar. »So etwas wie ein Parasit. Ein dünnes Gewebe, das sie bedeckt - zum Beispiel.«
Torian nickte zögernd. »Ja«, überlegte er. »Da war etwas. Es sah so aus, wie du es beschreibst, aber -«
»Und das sagst du uns erst jetzt?!« brüllte Del. Er sprang auf und machte eine wütende Bewegung mit beiden Armen, die den Veden erschrocken zurückweichen ließ. »Du verdammter Narr hast -«
»Nicht, Del«, versuchte Skar ihn zu beruhigen. »Er kann es nicht wissen.«
»Ich kann was nicht wissen?« fragte Torian. »Zum Teufel, wovon sprecht ihr überhaupt? Was hat es mit diesem Netz auf sich?« Er wirkte plötzlich fast hilflos. »Verdammt, diese Tiere haben doch alle irgendwelche Krankheiten! Ich habe Läuse gesehen, so groß wie mein Daumennagel, und einen Quorrl, der -« Er brach ab, als er den Ausdruck auf Skars und Dels Gesichtern gewahrte. »Was ist es?« fragte er leise, fast beschwörend. Skar seufzte tief. »Nichts«, antwortete er. »Nichts, Torian. Nichts, was jetzt noch eine Rolle spielte. Aber in einem hattest du recht - diese Burg hier ist nichts anderes als eine einzige Falle.«
»So?« fragte Torian.
»Ja«, antwortete Del an Skars Stelle. »Und du selbst hast die Tür hinter uns zugeworfen.«
Es dauerte einen Moment, bis Torian begriff. Aber zu Skars Erstaunen zeigte sich auf seinem Gesicht weder Schrecken noch Bestürzung, sondern nur eine Mischung aus Zorn und Trotz. »-Ihr wollt damit sagen -«
»Daß Titchs Quorrl unsere wertvollsten Verbündeten sind«, unterbrach ihn Skar kalt. Torians Reaktion machte ihn innerlich fast rasend. »Oder besser gesagt, waren. Wahrscheinlich werden sie uns jetzt alle töten, Torian. Und selbst, wenn ein Wunder geschieht und Titch darauf verzichtet, diese Festung mit Mann und Maus niederzubrennen, werden sie wohl kaum noch Seite an Seite mit uns kämpfen.«
»Das ist nicht wahr!« fuhr Torian auf. »Verdammt, Satai - geh hinaus und sieh dir die Männer an, die diese Bestien niedergemetzelt haben! Und dann frag doch deine Quorrl-Freunde, warum sie es getan haben! Vielleicht war das alles ja nur ein kleiner Spaß!«
»Das waren keine Quorrl«, antwortete Del an Skars Stelle. Torian wollte aufbegehren, aber Del fuhr rasch fort: »Oder doch, sicher. Aber keine von Titchs Heer.«
»Als ob das einen Unterschied macht!« fauchte Torian. »Quorrl ist Quorrl. Ich habe diesen verdammten Tieren nie getraut, und ich hatte recht.«
»Ich verstehe das nicht«, murmelte Skar, an Del gewandt. »Der Zauberer der Veden hätte es erkennen müssen. Er zumindest.« Del schürzte die Lippen. »Er wurde getäuscht, wie wir alle. Und überhaupt - seit wann glaubst du an Zauberei?«
Skar wandte sich wieder an Torian, der ihrer kurzen Unterhaltung mißtrauisch, aber mit offenkundigem Unverständnis gefolgt war. »Ist dieser Mann hier?«
»Jamaß?« Torian nickte. »Ja. Er ritt direkt neben mir.«
»Dann hol ihn«, befahl Del. »Ich will ihn sehen. Sofort«, fügte er mit erhobener Stimme hinzu, als Torian widersprechen wollte. Der Vede starrte ihn einen Moment lang feindselig an, drehte sich dann aber gehorsam um und stürmte aus dem Raum. Für einen Moment, als er die Tür öffnete, drang der Lärm der Schlacht und der herauf drängenden Reiter überlaut in das kleine Zimmer. »Wahnsinn«, flüsterte Del. »Das ist alles Wahnsinn. Ich glaube es einfach nicht.«
»Was?« fragte Skar bitter. »Daß sie uns übertölpelt haben?«
»Daß ein einziger Narr den Verlauf der Geschichte ändern kann!« rief Del aufgebracht.
»O doch«, antwortete Skar. »Ich bin mir nur nicht ganz sicher, wer der Narr ist - dieser Vede oder ich.«
Del blickte ihn fragend an. »Verdammt, Del, wir haben es beide gesehen!« fuhr Skar fort. »Wir haben gesehen, was dieses Ding aus den Errish gemacht hat! Wieso haben wir uns eingebildet, es könnte dasselbe nicht auch bei den Quorrl erreichen - oder bei wem immer es will?«
»Aber das ergibt keinen Sinn!« widersprach Del. »Skar, dort draußen waren zwanzigtausend Männer! Sie können nicht alle getäuscht worden sein!«
»Das ist auch gar nicht nötig«, antwortete Skar. »Es reicht, ihre Führer zu narren, nicht wahr? Hier in der Burg hat es ja auch nicht jeden einzelnen Mann getäuscht.«
»Sondern nur mich«, fügte Del finster hinzu. »Das willst du doch sagen, oder?«
Skar wollte den Kopf schütteln, aber dann begriff er, wie albern das gewesen wäre. Dies war nicht mehr der Moment für Lügen. Er nickte. »Und mich«, gab er zu. »Ich glaube, der einzige, der die Wahrheit erkannt hat, ist Titch. Du hast mich gefragt, was wir unten an den Felsen gemacht haben, erinnerst du dich?«
Del nickte.
»Wir haben geredet«, fuhr Skar fort. »Ich habe Titch nicht geglaubt, aber er hatte recht. Er hat prophezeit, daß wir diesen Krieg verlieren werden, und er hatte recht. Wir sind vielleicht stärker als sie, aber ein starker Arm allein nutzt nichts.« Er seufzte. »Früher oder später wäre es wahrscheinlich sowieso so gekommen. Du hast Torian gehört. Und er ist nicht der einzige, der so denkt. Menschen und Quorrl zusammen, das geht nicht. Wir sind zu verschieden.«
»Unsinn«, widersprach Del, aber diesmal gab Skar nicht nach. »Sieh dich doch um!« forderte er. »Unser famoses Bündnis hat nicht einmal bis zur ersten Schlacht gehalten. Wir sind wie Feuer und Wasser, Del. Ein simples Täuschungsmanöver, das sich ein Kind hätte ausdenken können, und wir fallen übereinander her.« Er seufzte abermals. »Ich muß mit Titch sprechen. Vielleicht kann er diesem Wahnsinn ein Ende machen.«
Die Tür wurde aufgestoßen, und Torian kam zurück. In seiner Begleitung befand sich ein grauhaariger, vielleicht sechzigjähriger Mann mittlerer Größe und Statur, der wie der Hethmann einen scharlachroten Mantel trug, darunter jedoch keinen gepanzerten Harnisch, sondern eine gold- und silberbestickte Robe mit hohem Kragen, der unter sein Kinn drückte. Seine Hände staken in dünnen, ebenfalls goldfarbenen Handschuhen, und an seiner Seite hing ein dünnes Prachtschwert, nur zur Zierde, nicht zum Kämpfen gedacht.
Skar betrachtete das Gesicht des Ältesten genau, während Torian eine herrische Handbewegung machte. »Das ist Jamaß«, stellte er den Veden vor. »Und das da sind die Hohen Satai Del und Skar. Sie glauben, daß der Gefangene dich belogen hat, Jamaß.«
Der Älteste lächelte sanft, aber seine Augen blieben ernst, und etwas war in ihrem Blick, was Skar schaudern ließ. Er wußte, daß Jamaß nicht wirklich ein Zauberer war; ebensowenig, wie Bradburn einer gewesen war, oder Drask. Aber ebenso wie diese beiden war er ein Mann von großer Macht und noch größerem Wissen, dessen Fähigkeiten sicherlich ausreichten, den Eindruck echter Zauberei zu erwecken. Skar begann sich unter seinem Blick beinahe sofort unwohl zu fühlen. Er fragte sich, ob Jamaß seine Gedanken lesen konnte, wie Drask.
»Niemand kann mich belügen, Satai«, stellte Jamaß nach einer Weile fest. Seine Stimme war leise und angenehm, und er sprach mit der Ruhe eines Mannes, der den Geheimnissen der Schöpfung ein gutes Stück weiter auf die Spur gekommen war als die meisten anderen und wußte, wie wenig menschliches Tun und Hasten bedeutete. »Weißt du das nicht?«
»Man sagt es«, antwortete Skar ausweichend. »Aber man sagt auch, daß niemand eine Errish zwingen kann, Dinge zu tun, die sie nicht tun will. Oder einen Quorrl.«
Jamaß sah ihn fragend an, schwieg.
»Ihr seid getäuscht worden«, erklärte Del gepreßt. »Die Quorrl, die euch angriffen, gehörten nicht zu Titchs Heer. Und es gab auch niemals den Plan, euch und uns anzugreifen.« Jamaß lächelte, aber jetzt wirkte es ein ganz kleines bißchen unsicher. »Der gefangene Quorrl, den ich verhörte, behauptete das Gegenteil«, betonte er. »Und er hat nicht gelogen, Satai.«
»Natürlich nicht«, antwortete Del zornig. »Weil er nämlich glaubte, daß es so wäre. Weil ihn etwas gezwungen hat, das zu glauben. Begreifst du denn nicht, daß man euch getäuscht hat?«
»Du begreifst nicht, daß man mich nicht täuschen kann«, antwortete Jamaß, noch immer in seiner ruhigen, Skar allmählich auf die Nerven fallenden Art. Er lächelte. »Ihr seid es, die genarrt wurden, Satai. Die Quorrl haben sich in euer Vertrauen geschlichen, und ihr wollt einfach nicht zugeben, daß euch ein solcher Irrtum unterlaufen konnte.«
»Jamaß hat recht«, mischte sich Torian ein. »Zum Teufel, ich habe die Drachen gesehen, die hinter unserem Lager auf der Lauer lagen, Satai! Hör endlich auf, dieses widerwärtige Quorrl-Pack zu verteidigen! Sie schlachten dort draußen meine Leute ab, und du behauptest, sie wären unsere Verbündeten?« Skar ging langsam auf Torian und den Ältesten zu. Der Hethmann war voll und ganz damit beschäftigt, Del anzufunkeln, aber Jamaß' Blick folgte aufmerksam jeder seiner Bewegungen. Skar fühlte sich unsicher, aber gleichzeitig auch irgendwie alarmiert. Etwas an Jamaß war nicht so, wie er erwartet hatte. Er glaubte eine Feindseligkeit zu spüren, die über den uralten Zwist zwischen Veden und Satai hinausging, und ein Lauern, das nicht zu einem wissenden Mann wie ihm passen wollte. Er hörte kaum zu, wie Del antwortete und Torian und er sich weiterstritten, sondern ging dicht an Jamaß vorbei, tat so, als würde er einen Blick aus dem Fenster werfen und drehte sich dann wieder herum.
Jamaß vollzog die Bewegung nach, aber den Bruchteil einer Sekunde langsamer als er. Und für einen winzigen Augenblick glaubte Skar etwas Dunkles, Glitzerndes zu erkennen, das aus seinem Nackenhaar kroch und im hohen goldbestickten Kragen seiner Zaubererrobe verschwand. Er mußte sich mit aller Macht beherrschen, um ein erschrockenes Zusammenzucken zu unterdrücken.
Jamaß sah ihn an. Er runzelte die Stirn, und Skar fragte sich, ob er sein Erschrecken bemerkt hatte. Etwas Dunkles, Fremdes, glomm in seinen Augen auf. »Was hast du, Satai?« fragte er. Er hatte es gemerkt.
»Nichts«, antwortete Skar ausweichend. »Ich... ich frage mich nur, wie es diesem Quorrl gelingen konnte, einen Mann wie dich zu täuschen, Jamaß.«
»Das hat er nicht«, widersprach der Vede. »Ich verlange nicht von dir, daß du mir glaubst. Warte einfach ab, bis die Quorrl diese Festung stürmen und uns alle niedermachen, dann wirst du erkennen, wer recht hat.«
»Der Gedanke scheint dich nicht besonders zu stören«, meinte Skar.
Jamaß lächelte kalt. »Doch«, gab er zu. »Aber wir Veden haben eine andere Einstellung zum Tod als ihr. Es spielt keine Rolle, wie lange man lebt, Satai. Wichtig ist nur, wie du gelebt hast.«
»Ja«, bestätigte Skar und fügte im gleichen, fast beiläufigen Ton hinzu: »Sag, Jamaß - warst du mit dem Gefangenen allein?«
»Was soll diese Frage?« schnauzte Torian.
»Und hast du ihn berührt?« fuhr Skar unbeirrt fort, noch immer an den Ältesten gewandt. Jamaß antwortete auch jetzt nicht, aber in seinem Blick war etwas Neues. Er wirkte alarmiert. »Ich frage dich noch einmal - was soll das?« herrschte Torian ihn an. Er ließ Del einfach stehen und versuchte, sich zwischen Skar und Jamaß zu schieben.
Es blieb bei dem Versuch. Skar versetzte ihm einen Stoß, der ihn zurück und direkt in Dels Arme taumeln ließ. In der gleichen Bewegung zog er sein Schwert und richtete die Spitze auf Jamaßens Gesicht. Torian begann vor Wut zu brüllen, aber Del hatte verstanden, was Skars Frage bedeutete, und so schnell und wortlos reagiert, wie er es gewohnt war - der Vede zappelte in seinem Griff wie ein Kind in den Fäusten eines Riesen.
Auf Jamaß' Zügen war keine Furcht zu sehen. Ruhig, ja beinahe spöttisch, blickte er Skar an.
»Zieh den Mantel aus«, befahl Skar.
Jamaß zögerte, hob dann langsam die Hände und löste die goldene Spange, die das Kleidungsstück hielt, als Skar seiner Aufforderung mit einem sanften Schwertstoß Nachdruck verlieh. »Und jetzt?« fragte er ruhig.
Statt einer direkten Antwort senkte Skar das Tschekal um eine Winzigkeit und schlitzte mit der rasiermesserscharfen Klinge die goldbestickte Robe des Ältesten von der Schulter bis zur Hüfte auf. Torian kreischte, als würde ihm ein glühender Dolch in den Leib getrieben - und verstummte mit einem fast absurden, würgenden Geräusch, als sein Blick auf das fiel, was unter dem zerschnittenen Zauberergewand zum Vorschein kam.
»Großer Gott!« stöhnte Del.
Skar war nicht überrascht. Er war nicht einmal sehr erschrocken. Alles, was er fühlte, war eine tiefe Niedergeschlagenheit, eine mit Hilflosigkeit gepaarte Wut, die durch Jamaß' herablassendes Lächeln noch geschürt wurde.
»Es nützt euch nichts mehr«, triumphierte Jamaß - das Ding, das wie Jamaß aussah und sich seiner Stimme und seines Körpers bediente.
Skar versetzte ihm einen Stoß mit dem Schwert, der ihn gegen die Tür prallen ließ. Einen Moment lang kämpfte er mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Aber das Lächeln auf seinen Zügen erlosch nicht. »Ihr habt verloren, Satai«, fuhr er fort. »Niemand kann uns besiegen. Ihr hattet schon verloren, bevor ihr angefangen habt, gegen uns zu kämpfen.«
»Was ist das?« wimmerte Torian. Del hatte ihn losgelassen, aber er rührte sich trotzdem nicht von der Stelle. Aus hervorquellenden Augen starrte er auf das grobmaschige, schwarze Netzgewebe, das Jamaßens Körper unter dem Gewand fast zur Gänze einhüllte. Hier und da waren die dünnen pulsierenden Fäden in seine Haut eingedrungen. Dunkelbraun verschorftes Blut bedeckte seine Brust. Jamaß' Blick wandte sich ihm zu, und plötzlich geschah etwas Entsetzliches: Jegliches Menschsein in seinen Augen erlosch. Sein Gesicht wurde zu einer verzerrten, abstoßenden Fratze, und etwas Schwarzes, Dünnes wie Hunderte beweglicher Spinnenbeine begann aus seinem Haar und seinem Kragen zu kriechen und es einzuhüllen. Ein grauenhafter, durch und durch unmenschlicher Ton drang aus seiner Brust, ein Laut, wie ihn Skar noch nie zuvor gehört hatte. Langsam, unendlich langsam, wie es Skar schien, hob er die Arme und deutete mit den gespreizten Fingern auf Skar und Torian.
»Zurück!« schrie Del mit überschnappender Stimme. »Raus hier!« Gleichzeitig warf er sich vor, riß Skar einfach mit sich zu Boden und rollte zwei-, drei-, viermal herum. Skar sah aus den Augenwinkeln heraus, wie Jamaß' Finger sich aufzublähen begannen wie ein zu sehr gefüllter Wasserschlauch und dann platzten. Etwas streifte sein Bein, versuchte sich daran festzuhalten und fiel ab, als Del ihn auf die Füße und zurück zerrte.
Torian hatte weniger Glück. Er stand wie erstarrt da und starrte das Etwas an, in das sich Jamaß verwandelt hatte, und er machte nicht einmal einen Versuch zu entkommen. Ein Wust schwarzer, peitschender Fäden schoß aus Jamaßens geborstenen Fingern, hüllte sein Gesicht und seine Brust ein und wickelte sich wie ein Netz um seine halb erhobenen Arme. Torian begann zu schreien und um sich zu schlagen, aber gegen das entsetzliche Ding in Jamaß hatte er keine Chance. Der Älteste torkelte auf ihn zu, wie eine betrunkene Puppe hin und her wankend, dabei eine Spur aus Blut und schwarzem Schleim hinter sich herziehend, erreichte den wild um sich Fuchtelnden und umfing ihn mit tödlicher Umarmung. Torians Schreie wurden spitzer und hatten jetzt kaum mehr etwas Menschliches an sich.
»Helft mir!« kreischte er. »Bei allen Göttern, Satai - so helft mir doch!!«
Skar machte eine Bewegung auf ihn zu, aber Del hielt ihn zurück. Langsam, mit zitternden Händen und weit aufgerissenen, fast glasigen Augen zog er den Dolch aus dem Gürtel, holte aus und schleuderte die Waffe mit aller Kraft. Der Vede bäumte sich noch einmal auf, als der Dolch in seinen Nacken drang, und erschlaffte dann plötzlich in Jamaß' Armen.
Skar schloß stöhnend die Augen. Er wußte, daß Del das einzig Mögliche getan hatte - Torian war verloren gewesen, im gleichen Moment, in dem ihn das Netz berührte, und alles, was ihm noch bevorgestanden hatte, wären ein Leben als willenlose Puppe und ein langer und vermutlich qualvoller Tod gewesen. Dels Messerwurf war im Grunde nichts anderes als barmherzig - so weit der Tod eines Menschen überhaupt barmherzig sein konnte. Aber das änderte nichts daran, daß sich Skar für einen Moment so elend fühlte, als hätte er selbst dem Veden die Kehle durchgeschnitten.
Erst als Del ihn schmerzhaft am Arm packte, fuhr er wieder hoch und begriff, daß noch lange nicht alles vorbei war. Ganz im Gegenteil - Del und er befanden sich in höchster Gefahr. Jamaß war von Torians zusammenbrechendem Körper zu Boden gerissen worden, starrte ihn und Del aber weiter voller Haß an. Helle, jaulende Laute kamen aus dem zerfransten Loch, in das sich sein Mund verwandelt hatte, und urplötzlich löste sich einer der dünnen Fäden von seinem Arm, schoß mit einem peitschenden Laut auf Del zu und verfehlte ihn nur um Zentimeter, um mit einem hellen Klatschen gegen die Wand zu prallen. Aber er fiel nicht herab, sondern fraß sich an dem rauhen Stein fest, und sogleich zuckten ein zweiter und dritter und vierter dünner schwarzer Spinnfaden aus Jamaßens auseinanderbrechendem Körper, jagten auf die Wand und die Decke zu und saugten sich fest. Binnen weniger Augenblicke verwandelte sich der Bereich vor der Tür in ein schwarzes, pulsierendes Netz, wie das Netz einer ungeheuerlichen Spinne, in deren Mitte Jamaß und der tote Vede hockten. Gleichzeitig begann Jamaßens Körper in sich zusammenzufallen, als verbrauche sich seine Substanz rasend schnell, um dieses fürchterliche Netz zu schaffen.
»Ihr Götter!« keuchte Del. »Was -«
Rückwärts gehend wichen sie vor der entsetzlichen Erscheinung zurück, bis sie die Treppe erreichten. Das Netz wuchs weiter, aber es schleuderte keine Fäden mehr in ihre Richtung, als spüre das Ding in Jamaß ganz instinktiv, daß sie nicht mehr in seiner Reichweite waren.
»Urcôun«, sagte Del plötzlich.
Skar sah ihn verwirrt an, blickte aber sofort wieder zu Jamaß und dem Netz herab. Es wuchs noch immer, im gleichen Tempo, in dem es Jamaßens Körper aufzehrte. »Was meinst du damit?« fragte er.
»Ich... ich weiß es jetzt«, stammelte Del. »Skar - ich weiß jetzt, wo ich so etwas schon einmal gesehen habe - es war in Urcôun, in der Flußhöhle unter dem wandernden Wald!« Er hatte recht. Skar erinnerte sich im gleichen Augenblick, in dem Del die Worte aussprach, und plötzlich wußte er auch, woher dieses beunruhigende Gefühl gekommen war, dies alles schon einmal erlebt zu haben, wenn auch in ganz anderer Art. Es war in Urcôun gewesen, in jener zyklopischen finsteren Felsenhöhle, in der alles begonnen hatte, vor so vielen Jahren. Es war größer gewesen, unendlich viel größer, und nicht so tödlich wie dieses hier, aber es war das gleiche, auf unbeschreibliche Art lebendige Netz gewesen wie jetzt.
Skar machte einen Schritt die Treppe hinauf, blieb stehen und streckte die Hand nach einer der Fackeln aus, die neben dem Treppenschacht brannten. Del hielt ihn zurück und wies mit einer Kopfbewegung nach vorne, nicht auf Jamaß, sondern auf den toten Veden, der zu seinen Füßen lag. Skar erkannte sofort, was er meinte.
Das Netz, das bereits einen Teil von Torians Körper eingesponnen gehabt hatte, begann zu zucken. Dünne peitschende Schlangenärmchen griffen haltlos in die leere Luft, erschlafften wieder oder schlugen plötzlich wie in Agonie um sich. Jamaß hob mit einem röchelnden Keuchen die Arme und versuchte, seine Hände von Torians Körper zu lösen. Plötzlich war Angst auf seinem entstellten Gesicht.
Er schaffte es nicht.
Del und Skar konnten sehen, wie das Netz starb, nur Augenblicke nach Torian. Die Fäden verfärbten sich, wurden grau statt schwarz und schrumpelten zusammen wie ausgedörrte Wurzelstrünke. Jamaß bäumte sich auf, versuchte von dem Toten wegzukommen, und riß schließlich seine rechte Hand los. Blut und ein Schwall klarer, glitzernder Flüssigkeit sprudelten aus dem zerborstenen Stumpf seiner Hand und besudelten den toten Veden, und Jamaß begann zu schreien. Das Netz, das Torian einhüllte, war jetzt fast vollkommen abgestorben, aber der unheimliche Prozeß ging weiter. Wie graue Tinte auf Löschpapier breitete sich die bleiche Farbe im Leib des Parasiten aus, griff plötzlich auch auf Jamaß über und tötete auch hier das Netz. Der Vede begann zu toben, bäumte sich auf und versuchte noch einmal, sich von Torian loszureißen. Aber seine Kraft reichte nicht.
»Sieh dir das an«, murmelte Del fassungslos. »Es ... es stirbt mit seinem Träger!«
»Ja. Aber es versucht zu überleben.« Skar deutete auf den Boden. Ein Teil des schwarzen Geflechtes hatte sich von Jamaß gelöst und kroch wie ein Teppich ineinanderverknäulter glitzernder Würmer auf ihn und Del zu, nur noch durch eine dünne Nabelschnur mit den beiden Veden verbunden. Skar faßte erneut nach der Fackel, aber Del schüttelte abermals den Kopf. Seine Hand kroch zum Gürtel, öffnete eine verborgene Tasche und kam mit einem kleinen, fünfzackigen Shuriken wieder zum Vorschein.
Er schleuderte die Waffe mit solcher Kraft, daß sie fast zur Hälfte in Jamaßens Schädel eindrang und ihn auf der Stelle tötete. Das Netz erschlaffte. Seine verzweifelten Bewegungen wurden fahrig, verloren ihre Kraft und Zielgerichtetheit und hörten schließlich ganz auf. Nach kaum einer Minute hatte sich auch der letzte Ausläufer des tödlichen Parasiten grau gefärbt und war tot. Trotzdem wagten sie es nicht, dem Netz auch nur nahe zu kommen, sondern traten über die Treppe ins erste Stockwerk hinaus und stiegen aus dem Fenster, um an der Außenmauer des Turms wieder hinabzuklettern.