Kapitel Vierzehn

Hätte man Ben erzählt, daß dasselbe irgendeinem anderen passierte, so hätte er dem Betreffenden geraten, sich an einen Psychiater zu wenden. Weil es ihm nun aber selbst widerfuhr, weil er selbst es erlebte und wirklich fühlte, glaubte er daran.

Nachdem Judy gegangen war, rannte er in der Wohnung hin und her wie ein Mensch, der kurz davor ist, zu explodieren. Er brüllte unzusammenhängendes Zeug, häufig in Jiddisch, schlug sich mit der Faust in die Handfläche und schleuderte Bücher gegen die Wand.»Das kann noch nicht das Ende sein!«schrie er völlig außer sich.»Ich habe das nicht alles durchgemacht, habe das nicht alles erlitten, nur um am Schluß so hängengelassen zu werden! Das ist nicht fair! Das ist einfach nicht fair!«Kurz nach Mitternacht sank er erschöpft aufs Bett und verbrachte die Nacht in einer Art Dämmerzustand. Er hatte jeden Bezug zur Realität verloren. Unruhig warf er sich hin und her und kämpfte mit einer Abfolge von Alpträumen und Wahnvorstellungen. Die darin auftretenden Personen waren altvertraut: Rosa Messer, Solomon Liebowitz, David und Saul und Sara. Zweimal stand er auf und streifte, ohne sich dessen bewußt zu sein, durch die Wohnung, auf der Suche nach etwas, von dem er nicht wußte, was es war. Die dunklen Schatten verkörperten für ihn das Böse und das Entsetzen, die kalten, leeren Zimmer waren die Jahre seines Lebens. Wenn er sprach, so war es entweder auf Jiddisch, Aramäisch oder Hebräisch.

Das Gesicht zu einem hämischen Grinsen verzerrt, krümmte und wand er sich auf dem Bett, während an seinem Körper kleine Bäche von Schweiß herunterrannen. Oft waren seine Augen weit geöffnet, aber er vermochte nicht zu sehen. Oder wenn er sah, so waren es Bilder, die einer anderen Zeit angehörten. Nazaräer, die sich in einem niedrigen Raum versammelten, um auf die Rückkehr ihres Messias zu warten. Rosa Messer, die zum Sabbat eine schwache Glühlampe brennen ließ, während das übrige Haus traurig und bedrückend wirkte. Solomon Liebowitz, der sich an der rabbinischen Hochschule einschrieb. David Ben Jona, der oben auf dem Hügel stand und auf Sara wartete.

Als die Morgendämmerung anbrach und Tageslicht in die Wohnung fiel, das die Schatten und die Dunkelheit zerstreute, fühlte sich Ben, als hätte er hundert Folterqualen durchlebt. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte. Er hatte blaue Flecken an Armen und Beinen. Er entdeckte, daß er sich im Bett übergeben hatte und in seinem Erbrochenen liegen geblieben war.

Während er sich mühsam herumschleppte und schwer atmete, zwang sich Ben, seiner Wohnung wieder den Anschein einer gewissen Ordnung zu geben. Er hatte eine vage Vorstellung von dem, was er während der Nacht durchgemacht hatte. Winzige Bruchstücke der Alpträume blitzten in seinem

Gedächtnis auf, und er wußte, warum es geschehen war.

«Es kann jetzt nicht mehr aufgehalten werden«, murmelte er vor sich hin, als er das Bett frisch bezog.»Wenn ich weiter dagegen ankämpfe, wird es mich umbringen, und eines

Morgens werde ich tot aufwachen. Warum gebe ich nicht einfach nach und erspare mir damit den Schmerz und die Angst?«

Er sprach mehr im Interesse von David als in seinem eigenen, denn er wollte dem Juden mitteilen, zu welchem Schluß er gekommen war.»Ich bin dir nicht gewachsen«, gestand Ben.»Da du unsterblich bist, hast du Kräfte, die ich nicht bekämpfen kann. Wie etwa die Fähigkeit, meine Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken. Du warst es die ganze Zeit über, nicht wahr? Du hast mich dazu gebracht, mich zu erinnern. Sogar noch bevor du dich zeigtest, hast du die kleinen, unabwendbaren Greuel in mein Gedächtnis gepflanzt. Gott, bist du vielleicht heimtückisch, David Ben Jona!«

Danach beschloß Ben, einen Spaziergang zu machen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Der graue Morgen in West Los Angeles war kalt und schneidend. Trotzdem trug Ben keine Jacke, denn als er hinaustrat und auf dem Gehsteig stand, wandelte er in Gedanken auf einem staubigen Pfad, der sich zwischen alten Olivenbäumen hindurchschlängelte. Die Luft war warm und schwer, voller Staub und summenden Fliegen. Er fühlte sich wohl, weil der Pfad in die Stadt führte und weil er in der Stadt Ablenkung finden würde. Als er den Wilshire Boulevard hinunterlief, nickte Ben den Passanten, denen er begegnete, freundlich zu: Bauern auf dem Weg zum Marktplatz, Schriftgelehrte, die zum Tempel gingen, römische Soldaten, die immer zu zweit durch die Straßen patrouillierten, Gruppen von Kindern auf dem Schulweg. Hin und wieder blieb er stehen, um die Arbeiten von Kunsthandwerkern zu bewundern, die ihrem Broterwerb in überfüllten Werkstätten nachgingen, die sich nach der engen Straße öffneten. Er trat zur Seite, um die Sänfte eines wohlhabenden Bürgers durchzulassen. Es war ein so gutes Gefühl, die Stadt völlig unbeschwert nach Herzenslust zu durchwandern, auf einem Brunnenrand zu sitzen, Brot und Käse zu essen und die Waren eines Stoffhändlers nach einem kleinen Geschenk für Rebekka durchzusehen. Sein Anwesen war nun groß, und er hatte sein Geld auch weiterhin mit Verstand angelegt und dabei gute Gewinne gemacht. David fühlte sich in diesem Abschnitt seines Lebens sicher und zufrieden und wartete nur auf den Tag, da Rebekka ihm einen Sohn schenken würde. Dann wäre er der glücklichste Mann auf Erden. Und wenn dieser Tag kam, wollte er ein großes Fest unter den Olivenbäumen geben und so viele Leute einladen wie möglich und Musikanten holen, damit jedermann singen und tanzen konnte.

Nach einigen Stunden beschloß er, auf den Hof zurückzukehren und des Tages Arbeit zu begutachten. David konnte sich glücklich schätzen, daß er einen so vertrauenswürdigen Verwalter zur Aufsicht über die Sklaven hatte. Und er konnte auch froh sein, daß er den Griechen Salmonides hatte. Einen solchen ehrlichen Menschen zu finden, war in diesen Zeiten etwas sehr Ungewöhnliches.

David passierte das Stadttor und schlug den Weg nach Bethanien ein, von dem er ein wenig später auf den Pfad abbiegen mußte, der zu seinem Haus hinaufführte. Unterwegs sah er viele Menschen nach der Stadt strömen: Bauern und Handwerker mit Waren, die sie feilhalten wollten; Gruppen römischer Soldaten, die ihre Fahnen einrollten, auf daß das Bildnis Cäsars niemanden kränken würde; den stattlichen Hauptmann, der ihm von seinem hochbeinigen Pferd herab zuwinkte, da er in ihm einen einflußreichen Juden erblickte; und Fremde aus aller Herren Länder. David staunte immer wieder über das Aufgebot an Menschen, die Gott erschaffen hatte, jeder von ihnen verschieden, jeder mit seiner eigenen Sprache, jeder mit einer anderen farbenfrohen Tracht bekleidet. David wanderte auf dem Pfad bergauf und freute sich auf eine Tasse kühler Milch im Schatten eines Feigenbaumes. Vielleicht hatte Rebekka Honigkuchen gebacken. Es war ein schöner Tag gewesen. Als Ben durch seine Wohnungstür eintrat, war er augenblicklich verwirrt. Judy stand sofort von der Couch auf und ging zu ihm.»Ich habe mir Sorgen gemacht. Wo warst du?«

«Wo ich war.?«Ben legte die Stirn in Falten. Seine Augen drückten Bestürzung und Verwirrung aus.»Ich. weiß.

nicht. Was tue ich eigentlich hier? Ich war doch im Schlafzimmer.«

«Nein, dort warst du nicht. Du warst draußen. Ich habe mir selbst aufgemacht, als ich hier ankam. Deine Tür war nicht verschlossen. Ich warte schon seit drei Stunden.«

«Drei Stunden. «Er rieb sich die Stirn.»O je! Wie spät ist es?«

«Fast Mittag.«

Da begann er sich zu erinnern. Der kalte, graue Himmel kurz nach Tagesanbruch, die menschenleere Straße, eine Totenstille ringsumher. Und dann auf einmal das Getümmel in Jerusalem.»O Gott«, stöhnte er,»ich muß Stunden draußen verbracht haben!«

«Wohin bist du gegangen?«

«Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht einmal!«

«Komm hier herüber und setz dich. O Ben, du siehst fürchterlich aus! Wann hast du dich zum letztenmal rasiert?«Er fuhr mit der Hand über sein Kinn.»Ich. weiß. Judy! Judy, es ist etwas ganz Außergewöhnliches passiert!«

«He, beruhige dich erst einmal. Du zitterst ja. Ben, ich mache mir Sorgen um dich.«

«Hör zu, ich muß dir von heute morgen erzählen. Es ist wirklich unheimlich. «Seine Stimme erstarb zu einem Flüstern, während er mit ausdruckslosen Augen vor sich hin starrte.»Nun. ich muß auf der Straße herumgelaufen sein und mit mir selbst geredet haben. Himmel, hab ich ein Glück, daß sie mich nicht aufgegriffen haben!«

«Ben.«

«Ich werde einfach mit dem, was mir geschieht, nicht fertig.«

«Ben, hör mir zu. Ich möchte, daß du etwas ißt.«

«Später.«

«Nein! Du bist in keiner guten Verfassung. Schau dich nur an, blaß und zittrig. Tiefliegende Augen. Um Himmels willen, du siehst schrecklich aus.«

«Ich komme einfach nicht darüber hinweg.«

«Ben, gib mir nicht das Gefühl, daß ich gegen eine Wand rede. Schau, ich habe etwas mitgebracht, was ich dir zeigen will. «In ihrem verzweifelten Bemühen, ihn aus seiner Verwirrung herauszureißen, hielt Judy ihm die Zeitung hin, die sie ihm eigentlich erst später zeigen wollte. Doch es wirkte. Sowie er die Schlagzeile erblickte, kam Ben wieder zu sich. Er las die Überschrift.»Was zum Teufel.? Meinen sie das im Ernst?«

«Lies die Geschichte. Ich mache dir einen Kaffee. «Ben überflog die Titelgeschichte, betrachtete eingehend die Bilder von der Ausgrabungsstelle und warf die Zeitung dann angeekelt zu Boden.

«Ach komm, Judy! Das ist doch pure Auflagenschinderei! Du weißt, daß sie es nur darauf abgesehen haben!«Er ging hinüber zur Küche, lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete, wie sie die Kanne füllte und die Kaffeemaschine einsteckte.»Noch mehr Regenbogenjournalismus! Wie zum Teufel machen sie es nur, daß sie mit ihren Fragezeichen in der Überschrift immer ungestraft davonkommen?«Er warf einen Blick hinter sich auf die Zeitung, die ausgebreitet auf dem Boden lag. Von hier konnte er die Überschrift erkennen:

Q-SCHRIFTEN GEFUNDEN?

«Sie wollen wirklich nur Geld damit machen!«schrie er.»Wie kann Weatherby das zulassen?«

«Ich glaube nicht, daß er irgendeinen Einfluß darauf hat, Ben. «Er schüttelte voll Abscheu den Kopf. Die Überschrift nahm Bezug auf ein nicht existierendes Schriftstück, das nach der gängigen Meinung der Bibelkundler in der Zeit kurz nach Jesu Tod und noch vor der Niederschrift des ersten

Evangeliums verfaßt worden war. Auf Grund gewisser Hinweise bei Matthäus, Markus und Lukas war man zu der Annahme gelangt, daß eine andere Sammlung mit den Aussprüchen Jesu noch vor Erscheinen des MarkusEvangeliums unter Nazaräern im Umlauf gewesen sein mußte. Diese vermeintliche Spruchsammlung ist von deutschen Gelehrten im neunzehnten Jahrhundert als» Quelle «bezeichnet und in neuerer Zeit einfach mit Q abgekürzt worden. Keine Spur dieses Dokuments war je gefunden.»Glauben die Leute tatsächlich, daß es das ist, was Weatherby hat?«

«Nicht die Leute, Judy, sondern die Zeitungsschreiber. Und nicht einmal die glauben daran. Vielmehr ist es das, was sie die Leute glauben machen wollen, damit sie ihre verdammten Zeitungen verkaufen können. Nur weil David hin und wieder ein paar Zitate einstreute, die vielleicht beweisen, daß sie tatsächlich von Jesus stammen! Ich glaube kaum, daß die Schriftrollen von Magdala die Grundlage für Markus, Matthäus und Lukas waren!«

Judy lächelte verschmitzt. Sie war froh, in Ben wieder den analytischen Historiker zu erkennen.»Weißt du was«, meinte sie, als die Kaffeemaschine zu brodeln begann,»ich möchte sogar bezweifeln, daß David je etwas von der Unbefleckten Empfängnis oder der Geburt Christi gehört hat. «Ben verschränkte die Arme und lehnte sich gegen den Türrahmen.»Die mythische Verklärung kam erst viel später, und Jesus hatte keinerlei Absicht, die Heiden zu bekehren. Sogar Matthäus sagt uns das im fünften Vers des zehnten Kapitels. Wenn man David Ben Jona fragte, wüßte er nicht, was ein Christ ist, ja nicht einmal, was eine Kirche ist. Er und all die anderen, die auf die Rückkehr Jesu warteten, waren fromme Juden, die das Passah-Fest begingen, an Jom Kippur fasteten, den Verzehr von Schweinefleisch unterließen und sich selbst als Gottes auserwähltes Volk betrachteten. Die ganze

Mythologie und die Rituale kamen erst viel später, als die Heiden sich dem neuen Glauben anschlossen.«

Judy zog den Stecker der Kaffeemaschine heraus und füllte zwei Tassen mit dampfendem Kaffee.»Hier. Komm, wir wollen uns setzen. Ich wünschte wirklich, die letzte Rolle wäre nicht zerstört worden. Vielleicht hätte sie einige der Dinge klären können, von denen du gerade sprachst.«

Ben versetzte der Zeitung einen Tritt, bevor er sich setzte.»Q-Schriften, was ihr nicht sagt! Ein Haufen Scheiße! Was wißt ihr schon davon?«

Judy schlürfte ihren Kaffee langsam und genüßlich.»Als David von einem Kloster am Salzmeer sprach, meinte er doch Qumran, oder?«

«Die alte Bezeichnung für das Tote Meer war Salzmeer. Aller Wahrscheinlichkeit nach kannte er den Mann, der die Qumran-Handschriften in jenen Höhlen versteckte, sogar persönlich. «Judy schauderte unwillkürlich.»Gott, ist das Ganze einfach überwältigend. «Sie drehte sich zu Ben um.»Was willst du jetzt tun? Ein Buch schreiben?«Doch er hüllte sich in Schweigen. In seinem Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck, der Judy beunruhigte.»Noch ist es nicht vorbei«, sagte er abwesend.

«Was? Woher willst du das wissen?«

«Ich habe es im Gefühl. Judy, erinnerst du dich an gestern abend, als du in der Küche warst und ich plötzlich aufschrie? Und du kamst hereingerannt? Ich habe dir noch gar nicht gesagt, was mir da passierte. Es war das merkwürdigste. «Bens Augen umwölkten sich, als er sich an das unheimliche Gefühl erinnerte, in eine andere Zeit zurückversetzt zu werden.»Ich finde keine Worte, um es zu beschreiben. Es war einfach. überirdisch! Ich saß hier an meinem Schreibtisch und hatte die Hände über den Fotos ausgebreitet, als ich urplötzlich spürte, wie eine Veränderung über mich kam. Es war höchst absonderlich. Ich hatte keine Kontrolle darüber. Ich war wie angewurzelt und konnte mich nicht vom Fleck rühren. Und als ich so dasaß, da begann ich zu fühlen. zu fühlen.«

«Was zu fühlen, Ben?«

«Zu fühlen, wie die Luft sich um mich herum veränderte. Sie verwandelte sich in die Luft eines anderen Ortes und einer anderen Zeit. Dann sah ich Bilder vor meinen Augen, Dinge, die ich mir normalerweise nicht ausdenken würde. Sie flimmerten wie schlechtes Fernsehbild, bald verschwommen, bald scharf, bis ich plötzlich alles ganz klar und deutlich sah. Alles. Und da saß ich inmitten der wirklichen Düfte und Geräusche und Sehenswürdigkeiten von Jerusalem. Judy, für einen kurzen Augenblick war ich tatsächlich in Davids Jerusalem!«

Sie starrte ihn ungläubig an. Die Erregung spiegelte sich auf seinem Gesicht wider. Seine Augen standen wie in Flammen. Und die Worte, die er gerade gesprochen hatte. Judy wurde unruhig. Bens Stimmungen schlugen zu leicht um, er wurde immer unbeständiger.

«Du glaubst mir nicht«, stellte er mit ausdrucksloser Stimme fest.»Nein.«

«Aber was ich sah.«

«Du warst schon in Israel, Ben. Du hast Jerusalem viele Male gesehen. Und du hast Beschreibungen darüber gelesen, wie es früher dort aussah. Du hast dir das alles nur eingebildet!«

«Nein, das habe ich nicht. Und heute morgen bin ich fünf Stunden lang durch die Straßen von West Los Angeles gelaufen, und jede einzelne Sekunde habe ich im alten Jerusalem verbracht. Ich habe mir das nicht eingebildet!«

«Und was willst du mir damit sagen? Daß David versucht, dich mit sich nach Jerusalem zu nehmen?«

«Nein«, entgegnete Ben,»das will ich damit überhaupt nicht sagen. Letzte Nacht bin ich David Ben Jona mutig entgegengetreten und habe ihn angeschrien. Ich ballte meine Fäuste und forderte ihn heraus, sich von der Stelle zu rühren. Nun«, Ben blickte zu Judy auf,»David nahm meine Herausforderung an. Jetzt weiß ich, was er die ganze Zeit hier tat. Er war nicht hier, um dabeizustehen, während ich seine Schriftrollen übersetzte, wie ich anfangs dachte. Nein. David hatte einen anderen Grund, weshalb er herkam, sich neben mich stellte und mich beobachtete. Er wartete auf den Anblick, in dem ich zusammenbrechen würde, was ich letzte Nacht schließlich tat.«

«Warum? Was will er?«

«Er will mich, Judy. Oder vielmehr, er will meinen Körper. «Sie rückte unwillkürlich von ihm ab und starrte ihn aus großen, ungläubigen Augen an.»Nein!«flüsterte sie heiser.»Doch, es ist wahr. David schert sich einen Dreck um mich, Judy. Er will nur in meinen Körper schlüpfen, damit er nach Israel zurückkehren kann.«

«O Ben, das ist doch irrsinnig!«

«Verdammt noch mal, sag das nicht! Ich bin völlig in Ordnung!«Sie sah die Adern an seinem Hals hervortreten, sah, wie ihm beim Schreien Speichel aus dem Mund lief.»Hör zu, Ben, das kann unmöglich so sein«, meinte sie beschwichtigend.»David würde dir nicht weh tun. Er ist doch. dein Freund.«

«Oh, aber verstehst du nicht? Es tut überhaupt nicht weh. Es ist sogar sehr schön. «Ben lachte in sich hinein.»Er hat mir gezeigt, wie angenehm es sein kann, ins alte Jerusalem zurückzukehren. «Oh, lieber Gott, dachte Judy in panischem Schrecken.»Was willst du jetzt tun?«fragte sie mit erstickter Stimme.

«Ich weiß es nicht, Judy. Ich habe mir noch nicht so viele Gedanken darüber gemacht. Vielleicht werde ich David die Entscheidung überlassen.«»Meinst du. meinst du, du wirst es zulassen, daß er. dich beherrscht.«

«Warum nicht?«

Judy spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte.»Aber Ben, du bist doch dein eigener Herr! Was wird aus dir, wenn sich David auch deines Geistes bemächtigt? Was wird dann aus Benjamin Messer?«

«Benjamin Messer kann von mir aus zur Hölle fahren, zusammen mit seiner geistesgestörten Mutter und seinem heldenhaften Vater. Siehst du, ich habe letzte Nacht, nachdem du gegangen warst, eine Menge Veränderungen durchgemacht.«

«Und?«

«David zeigte mir, was für ein Mensch ich in Wirklichkeit war. Was für ein elender Tropf er eigentlich ist, dieser Ben Messer, der seine Mutter im Stich ließ und sich seines verstorbenen Vaters schämte. Ich war von Anfang an ein niederträchtiges Kind und ein noch schlechterer Jude.«

«Aber Ben, für das alles kannst du doch nichts. So, wie du aufgezogen wurdest.«

«Ich denke, ich werde mit David glücklicher sein. «Sie wandte sich von ihm ab und rang verzweifelt die Hände.»Und was wird aus mir?«

«Aus dir? Nun ja, ich werde dich natürlich mitnehmen. «Judy fuhr herum. Bens blaue Augen waren hell und durchdringend. Seine Züge entspannten sich, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein unbefangenes Lächeln. Er sah aus wie ein Mann, der ein Picknick auf dem Land organisiert.»Mich. mitnehmen.?«

«Aber sicher. Das wäre Davids Wunsch, und es ist auch ganz bestimmt der meine. «Ben griff nach ihrer Hand, drückte sie zart und sagte sanft.»Du hast doch nicht geglaubt, ich würde ohne dich gehen, oder?«

Völlig unbeherrscht schossen ihr Tränen in die Augen. Sie war nun schon eine ganze Weile in Ben verliebt, und es trieb sie zur Verzweiflung, zu sehen, was mit ihm geschehen war. Sie beschloß, ihm ab sofort nicht mehr von der Seite zu weichen. Sie würde in seine Wohnung ziehen und diese Sache bis zum Ende mit ihm durchstehen. Und wenn es kein Ende gäbe.

Genau in diesem Moment klopfte es an die Tür, und Ben sprang auf, um zu öffnen. Sie konnte die Person auf der anderen Seite nicht sehen, aber sie hörte eine Stimme:»Ein Telegramm aus Übersee für Dr. Messer. Normalerweise geben wir den Eingang eines Telegramms telefonisch durch, aber Ihr Telefon ist defekt. Wußten Sie das?«

«Ja, ja, danke. «Ben quittierte für das Telegramm, gab dem Boten ein Trinkgeld und schloß langsam die Tür.»Es ist von Weatherby«, verkündete er.

«Wahrscheinlich hat er versucht dich anzurufen, und es klappte nicht. Ich wette, er will wissen, warum du ihm keine Übersetzungen geschickt hast.«

«Ja, du hast recht. «Ohne es zu öffnen, warf Ben das Telegramm auf das Couchtischchen. Dann nahm er Judys leere Tasse.»Soll ich dir nachschenken?«

«Ja bitte. Tu diesmal viel Sahne hinein.«

Als Ben in der Küche verschwand, schaute Judy auf den zerknitterten braunen Umschlag auf dem Couchtischchen. Und eine frostige Vorahnung überkam sie. Nein, dachte sie traurig. Mit diesem Telegramm hat es mehr auf sich, als wir denken. Sonst hätte Weatherby wohl nur einen gewöhnlichen Brief geschickt.

Mit großer Besorgnis nahm sie den Umschlag und schlitzte ihn auf. Als sie die kürze Nachricht darinnen las, blieb ihr fast das Herz stehen.»O Gott!«flüsterte sie und begann zu zittern. Wieder einmal befand sie sich in einer verzwickten Lage. Sie wußte nicht, wie sie Ben die Neuigkeit beibringen sollte. Oder ob sie ihm überhaupt etwas davon sagen sollte. Aber auf der anderen Seite würde er ohnehin bald dahinterkommen, und es war besser für ihn, es von ihr zu erfahren.

Müde erhob sich Judy von der Couch. Sie war sich ihrer Gefühle in diesem Augenblick nicht sicher. Sie wußte nicht, ob sie über die Nachricht glücklich, traurig oder ärgerlich war. In gewisser Hinsicht war sie alles auf einmal.

Ben kam pfeifend ins Wohnzimmer, und als er Judys Miene sah, blieb er unvermittelt stehen.»Was ist los?«

«Es ist wegen Weatherby«, antwortete sie mit fester Stimme.»O Ben.«

Rasch stellte er die Tassen auf dem Couchtischchen ab und griff nach dem Telegramm.

Judy sagte:»Ich weiß nicht, ob ich schreien oder lachen oder weinen soll, Ben. Dr. Weatherby hat drei weitere Schriftrollen gefunden.«

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