Kapitel Sieben

Ich trat meine Lehrzeit bei Eleasar mit großer Sorge an. Nicht daß ich die vor mir liegenden Jahre voller Mühsal und Verzicht fürchtete. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich würdig genug war, ein Jünger zu sein. Rabbi Eleasar Ben Azariah war einer der wahrhaftig großen Autoritäten des Gesetzes, und er war ein berühmter Lehrer. Außerdem war er Mitglied des Hohen Rats der Juden, ein Pharisäer und frommer Mann. Eleasar lebte einfach und anspruchslos und arbeitete in seinem Handwerk als Käsemacher, um sich und seine Familie zu ernähren. Er kleidete sich in das Gewand eines bescheidenen Mannes und trug keine breiteren Gebetsriemen als seine Nachbarn. Anders als manche seiner Kollegen, die laut betend durch die Straßen gingen, war Eleasar ein ruhiger Mann, der mit seinem Herzen zu Gott sprach. Er kannte den Wortlaut des Gesetzes besser als irgendein anderer, und er praktizierte den Geist des Gesetzes durch seine Weisheit und seine tägliche Lebensführung. Und dieser Mann sollte nun mein Lehrer werden. Wie die meisten Rabbis hatte auch Eleasar stets zwölf Jünger um sich geschart. Wir zwei waren die jüngsten. Saul und mir wurde ein ungenutzter Schuppen hinter seinem Haus als Schlafstätte zugewiesen, so daß wir ständig in seiner Nähe sein konnten. Von den anderen zehn lebten drei in den Häusern ihrer Väter, drei wohnten bei Verwandten und vier waren in den oberen Räumen von Eleasars Haus untergebracht. Eleasars Frau Ruth nährte und kleidete uns als Gegenleistung für unsere Arbeit. Da sie keine Töchter hatte, fiel mir die unwürdige Aufgabe zu, täglich die Wasserbehälter am Brunnen aufzufüllen. Sauls Pflicht war es, das alte Haus in gutem Zustand zu halten. Die anderen vier Schüler halfen Eleasar in seinem Käseladen, wenn wir nicht gerade im Tempel weilten. Wir mußten lange Jahre dieser Knechtschaft erdulden, in denen wir als bescheidenste Diener ohne Lohn lebten, denn dies war der Preis, wenn man ein Mann des Gesetzes werden wollte.

Am Anfang meiner Lehrzeit, als ich auf meiner Matte lag und in das Dunkel unserer winzigen Kammer starrte, ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Eine große Finsternis breitete sich vor mir aus, ein so weiter, unendlicher, furchterregender Abgrund, daß meine Kinderseele laut aufschrie:»Bin ich würdig genug, Herr?«Und ich hatte Heimweh nach Magdala. Ich träumte vom Haus meines Vaters am Seeufer; davon, wie ich ihm half, seine Netze unter der heißen Sonne aufzuspannen, und im Traum hörte ich sein rauhes Lachen. Ich vermißte die Umarmung meiner Mutter, den süßen Duft nach Honig und Gerste, der sie stets umgab; die Art, wie ihr die Tränen kamen, wenn sie zu sehr lachte. Ich hatte Sehnsucht nach den Sommernächten, in denen wir alle draußen vor dem Haus saßen, gebratenen Fisch und Schrotbrot aßen und dazu die Milch unserer einzigen Ziege tranken. Das Feuer der Kochstellen erhellte jedes lächelnde Gesicht. Die Männer unterhielten sich leise, und die Frauen summten in ruhiger Zufriedenheit vor sich hin. Vor uns lag der schwarze See Genezareth, der unser ganzes Leben bestimmte. Und hinter uns erstreckten sich die westlichen Hügel bis zu einem Gewässer, das so riesig war, daß man es das» Große Meer «nannte, und jenseits davon — das Ende der Welt.

Während Saul auf seiner Matte schlummerte, schluchzte ich wie ein Kind vor Einsamkeit.»Vater«, rief ich ihm über die Entfernung hinweg zu,»warum hast du mich hierher geschickt?«Doch es stand mir nicht zu, die Entscheidungen meines Vaters in Zweifel zu ziehen. Ich hatte demütig zu sein und von Eleasar das Gesetz des heiligen Bundes zu lernen. Mit weniger wollte ich mich nicht begnügen. Ich würde eines Tages ein großer Rabbi werden und die Thora aus dem Gedächtnis zitieren. Ich würde werden wie Eleasar.

Jerusalem schien kleiner zu werden, je älter ich wurde. Als ich mit elf Jahren im Haus meiner Schwester zum erstenmal die Stadt sah, überwältigte sie mich. Doch je mehr ich körperlich und geistig heranwuchs, desto mehr schien Jerusalem zu schrumpfen. Warum dies so war, wußte ich nicht. Doch Du hast Jerusalem gesehen, mein Sohn, und Du weißt, was ich meine, wenn ich sage, es ist der Mittelpunkt der Welt. Du hast die Geschäftigkeit seines Marktplatzes erlebt, den Lärm der vielen Menschen vernommen und den mannigfaltigen Gestank seiner Rinnsteine eingeatmet. Du warst auch Zeuge seiner Pracht und fühltest die Gegenwart des Herrn, wo immer du auch gingst.

Vom ersten Tag an standen Saul und ich vor dem Morgengrauen auf, verrichteten unsere Gebete, steckten uns Brot und Käse in unsere Gürtel und brachen mit Rabbi Eleasar zum Tempel auf. Den ganzen Tag über sprach er mit uns. Während ein Großteil der Stadt noch im Schlafe lag, wanderten wir, fest in unsere Umhänge gehüllt, durch jene kalten Straßen und erörterten das Gesetz. Wenn wir in Eleasars Gesellschaft waren, gab es nie einen Augenblick, in dem wir nicht über das Gesetz sprachen. Und er prüfte uns ständig. Wenn wir bei einer Antwort zögerten, war er streng mit uns. Wenn wir richtig antworteten, lächelte er zustimmend. An der Vorhalle des Tempels erspähte ich oft andere Knaben, die uns neidisch beobachteten. Als Eleasar Saul und mich aufgenommen hatte, hatte er zugleich siebenunddreißig andere abgewiesen. Ich versuchte, deshalb nicht hochmütig zu werden, auch wenn es mir ziemlich schwerfiel. Mein Lehrer wußte mehr über das Gesetz als irgend jemand anders, und eines Tages würde ich sein wie er. Saul und ich waren ihm nicht gleichgültig, obwohl es uns vielleicht anfangs so vorkam. Die anderen Knaben waren weiter fortgeschritten als wir und schienen häufiger mit seinem Lächeln bedacht zu werden. Doch wie in der Parabel von dem verlorenen Schaf wandte sich Eleasar oftmals von den anderen Knaben ab, um uns gesondert zu unterweisen.

Mit der Zeit verlor ich meine Ängste und weinte nicht mehr. Statt dessen versah ich mein Amt mit großer Entschlossenheit. Die Aufgabe, am Brunnen Wasser zu schöpfen, war meine einzige Schmach. Und ich fühlte, daß man mich damit auf die Probe stellen wollte. Wenn ich in einem Punkt schwach war, dann in diesem. Hätte ich es jedoch gezeigt, so hätte Eleasar mich weggeschickt. So peinlich es auch war, eine Frauenarbeit zu verrichten, so führte ich sie doch genau aus und verdiente mir dadurch ein klein wenig von Eleasars Respekt.

Und dies war auch alles, was wir verdienen konnten, denn da der Rabbi uns Unterkunft und Verpflegung gewährte, brauchten wir kein Geld. Und dennoch gab es da einen Fall, in dem ich Geld benötigte, und zwar als ich mich zum erstenmal mit meinem Vater in Verbindung setzen wollte. Ich war bereits seit sechs Monaten im Hause des Rabbis und hatte das dringende Bedürfnis, meinem Vater in meinen eigenen Worten zu schildern, wie mein neues Leben sich anließ.

Wie sollte ich indessen einen Brief schreiben, wenn ich weder Papyrus noch Tinte besaß und auch nichts hatte, um einen Boten zu bezahlen? Ich suchte nach einer Möglichkeit. Unsere Wasserbehälter wurden jeden Nachmittag kurz vor Sonnenuntergang aufgefüllt, so daß Eleasars Frau Ruth genügend Wasser zum Kochen und Waschen hatte. Eines Tages fiel mir ein, daß ich dieselbe Besorgung auch für eine andere Person verrichten und mir dabei vielleicht ein kleines Trinkgeld verdienen könnte. Mein Problem war folgendes: Alle mir zur Verfügung stehende Zeit war dem Studium des

Gesetzes gewidmet. Der übrige Tag war mit Beten, Essen und Schlafen ausgefüllt — alles unter Eleasars wachsamem Auge. Und so konnte sich eine günstige Gelegenheit nur am Brunnen ergeben, was eines Tages auch geschah. Als ich meinen Tonkrug eintauchte und hochzog, beobachtete ich die mühevollen Anstrengungen einer alten Witwe, die ich schon vorher des öfteren gesehen hatte. Ich wußte, daß sie eine alleinstehende Frau ohne Angehörige oder Freunde war, und obgleich sie nicht arm war, konnte sie sich keine Diener leisten. So trat ich zu ihr hin und sagte ihr dies:»Wenn ich einen Monat lang für Euch Wasser tragen und Euch damit die Mühsal ersparen würde, würdet Ihr mir dann einen Schekel bezahlen?«

Zu meinem großen Erstaunen nahm die Witwe freudig an. Ihr Rücken schmerzte sie, und ihre Gelenke waren steif, und dennoch gab es niemanden, der für sie Wasser schöpfte. Und so kamen wir rasch über ein.

Ab sofort hatte ich sowohl die Wasserbehälter meines eigenen Hauses als auch die ihren in derselben Zeit zu füllen. Denn Rabbi Eleasar hätte es nicht gebilligt, wenn mir für das Studium des göttlichen Gesetzes auch nur ein Moment verlorengegangen wäre. So tat ich folgendes: Ich lief doppelt so schnell und trug doppelt soviel Wasser. In der Zeit, die ich benötigt hatte, um unsere eigenen Wasservorräte aufzufüllen, füllte ich nun auch die der Witwe auf. Zuerst ermüdete ich rasch, und meine Muskeln schmerzten furchtbar. Und das Hinken, das mir aus meiner Kindheit geblieben war, stellte zunächst eine wahre Behinderung dar. Doch allmählich paßte sich mein Körper den neuen Umständen an, und ich fand die Arbeit gar nicht mehr so hart.

Doch schon damals — ich hätte es nicht für möglich gehalten hatte Eleasar bereits Verdacht geschöpft.

Nach einem Monat bezahlte mir die Witwe nicht einen Schekel, sondern zwei, und als ich mich an diesem Abend auf meine Matte zum Schlafen niederlegen wollte, fand ich darauf ein frisches Blatt Papyrus.

Nach einem weiteren Monat gab sie mir wieder zwei Schekel, und ich fand ein Schreibrohr auf meinem Lager. Am Ende des dritten Monats wieder zwei Schekel und ein schwarzer Tintenstein auf meiner Matte.

So schrieb ich den Brief bei Mondschein und übergab ihn am darauffolgenden Nachmittag einem Boten, den ich schon oft in der Nähe des Brunnens gesehen hatte. An diesem Abend nahm mich Rabbi Eleasar nach dem Abendessen und nach unseren Gebeten zu einem Gespräch unter vier Augen beiseite. Es beunruhigte mich, denn er hatte dergleichen noch nie zuvor getan. Er sprach:»David Ben Jona, hast du den Brief an deinen Vater heute abgeschickt?«Ich antwortete überrascht:»Ja, Meister.«

«Dachtest du etwa, ich wüßte nichts von deinen Plänen? Daß die Witwe mir nichts davon erzählt hätte? Daß ich die Entwicklung deiner Armmuskeln nicht bemerkt hätte?«

«Ja, Meister«, gestand ich schüchtern.

«Und sage mir, David Ben Jona, wer hat deiner Meinung nach den Papyrus, das Schreibrohr und die Tinte auf deine Matte gelegt?«Meine einzige Antwort war:»Seid Ihr böse auf mich, Rabbi?«Ich glaube, Eleasar war verblüfft.»Böse auf dich? Warum, David Ben Jona, sollte ich böse auf dich sein, wo du doch der einzige unter all meinen Schülern bist, der so sehr bemüht war, das heilige fünfte Gebot des Herrn einzuhalten? Du hast deinen Vater und deine Mutter wohl geehrt.«

Nun legte Eleasar seine Hände schwer auf meine Schultern, und ich sah eine tiefe Zuneigung in seinen Augen.»Und um diese löbliche Tat zu vollbringen«, fuhr er fort,»hast du das Studium des Gesetzes nicht einen Moment vernachlässigt.«

Ich schöpfte auch weiterhin Wasser für die Witwe und versteckte meine Schekel an einem sicheren Ort. Als wir in unser zweites und drittes Jahr bei Eleasar kamen und vom Schuppen ins oberste Stockwerk umzogen, erhielten wir jeden Monat ein kleines Taschengeld. Wir benötigten jetzt neue Sandalen und neue Umhänge und hatten wenig Gelegenheit, zu sparen.

Als wir heranreiften und das Knabenalter hinter uns ließen, wurde die Freundschaft zwischen Saul und mir noch enger, noch inniger und noch kostbarer. Wir schliefen zusammen, aßen zusammen und studierten das Gesetz zusammen. Ich kannte jeden seiner Gedanken, und er kannte die meinen. Und dennoch bemerkten die Leute oft, daß wir so verschieden seien wie Tag und Nacht. Mit sechzehn war Saul der größte Mann, den ich kannte, und überragte die Köpfe der Priester und Schriftgelehrten, wenn wir uns im Tempel versammelten. Er hatte breite Schultern und eine massige Brust, kräftige Arme und Hände von unglaublicher Stärke. Sein dunkelbraunes Haar war drahtig und gelockt, und sein Bart war noch dicker und voller als der von Eleasar. Viele hielten Saul für viel älter, als er in Wirklichkeit war.

Ich dagegen war von leichterem Körperbau, wenn auch keinesfalls schwach. Meine Arme waren schlank, aber durch das Wassertragen kräftig geworden. Mein Körper war ebenso schlank und dennoch kräftig, und ich belehrte viele, die mich wegen meines Hinkens für einen Schwächling hielten, eines Besseren. Mein Haar war schwarz, schwärzer als der Boden eines Brunnens, und ebenso dunkel waren meine Augen. Eleasar bemerkte einmal, ich habe die großen, melancholischen Augen eines Propheten oder Dichters. Und gleich darauf schüttelte er traurig den Kopf, als wüßte er etwas, das ich nicht wußte. Mein Kopfhaar war lang und gewellt und fiel mir auf die Schultern hinab. Das Haar in meinem Gesicht war dagegen spärlich, und wenn ich es mit Sauls Bart verglich, fürchtete ich, daß es wohl niemals so eindrucksvoll würde. Eleasars Frau Ruth hatte oft von uns als ihren tüchtigen Jungen gesprochen, und ich glaube, sie mochte uns auf eine ganz besondere Weise. Saul und mich sah man niemals getrennt; ihn, den Lauten und Lachenden, mich, den Stillen und in sich Gekehrten. Sie verglich uns mit den Königen Saul und David und meinte, daß der Tag kommen werde, an dem Prinzessinnen um unsere Gunst wetteiferten.

Diese Bemerkung machte mich verlegen, denn anders als Saul, der schon ein offenes Auge für die Mädchen hatte, war ich zu schüchtern, um auch nur zu einem weiblichen Wesen aufzusehen. Wenn wir am Morgen oder am späten Nachmittag durch die Straßen liefen, kamen wir regelmäßig an Gruppen von jungen Frauen vorbei, die auf dem Markt ihre Einkäufe verrichteten. Sie lächelten uns zu und schlugen dann sittsam die Augen nieder. Trotzdem ertappte ich jedesmal die eine oder andere von ihnen dabei, wie sie Saul bewundernd anschaute.

Es kam die Zeit, da ich nicht länger Wasser vom Brunnen holen mußte. Ich war erleichtert und traurig zugleich, denn obgleich ich nicht mehr diese erniedrigende Frauenarbeit erdulden mußte, so blieb mir nichtsdestoweniger meine kleine Einnahmequelle von nun an versagt.

Saul schien sich nichts aus Geld zu machen und auch keines zu benötigen. So sparte er seine paar Schekel nie. Ich dagegen erkannte in Geld Sicherheit und war davon überzeugt, daß der Tag käme, da sich meine Genügsamkeit bezahlt machen würde. Dieser Charakterzug stand natürlich in direktem Zusammenhang mit dem, was später geschehen sollte, und wäre ich nicht von einer solchen Denkweise durchdrungen gewesen, so wäre meine Geschichte möglicherweise ganz anders verlaufen. Und ich würde heute nicht hier in Magdala sitzen und dies für Dich niederschreiben, mein Sohn. Doch so war ich nun einmal, und so mußte mich der Lauf meines Schicksals zu der Stunde führen, über die ich Dir berichten muß.

Doch laß mich zuvor noch einmal die süßen Tage meiner Jugend in Jerusalem durchleben.

Über meine Sparsamkeit sagte Eleasar einmal zu mir:»David Ben Jona, würde ich dich in die Straßen hinausschicken, um den Mist von Pferden und Eseln mit einer Schaufel einzusammeln, so würdest du einen Weg finden, es zu einem einträglichen Geschäft zu machen. «Er sagte dies halb im Spaß, halb ernst.»Du bist einer meiner besten Schüler des Gesetzes«, fuhr er fort,»mit deinem scharfen Verstand und deiner Klugheit. Und doch frage ich mich zuweilen, ob du für Israel kein größerer Gewinn wärst, wenn du Geldverleiher würdest oder einem anderen Gewerbe nachgingest. «Diese Betrachtung hatte mich so sehr entsetzt, daß ich ebenso niedergeschlagen war, als hätte er mich gezüchtigt.»Verzeihe mir, David«, sprach er weiter,»aber du solltest das nicht als Beleidigung, sondern als Kompliment auffassen. Wenn ich dir einen Schmerz zufüge, so geschieht dies unabsichtlich. Doch sei stets eingedenk, mein Sohn, daß es auch noch andere Arten gibt, Gott zu dienen, als sein Gesetz zu hüten. Nicht alle Menschen sind zu Schriftgelehrten geboren, ebensowenig wie alle Menschen zu Fischern geboren sind. Und doch dient jeder Mensch Gott auf seine Weise, so wie er es am besten versteht. Du wirst ein Gelehrter der Heiligen Schrift werden und Gottes Gesetz gegen die verheerenden Auswirkungen des Zeitenwandels schützen. «Er legte an dieser Stelle eine Pause ein und sah mich lange an.»Und trotzdem.«, sagte er. Aber er führte seinen Gedanken niemals zu Ende.

So hatte ich mir in einem Versteck ein wenig Silbergeld angespart. Stets trug ich meine Sandalen, bis sie gänzlich durchgelaufen waren, und besserte meinen Umhang aus, wie es nur eine Frau getan hätte. Als Saul sich sein drittes Paar Sandalen erstand, nahm ich seine alten abgelegten und trug sie noch weitere sechs Monate. Er lachte mich deswegen aus, aber ich glaube, daß er mich insgeheim um meine Fähigkeit, Geld zu sparen, beneidete. Ich war siebzehn Jahre alt, als ich zum erstenmal Rebekka begegnete.

Die meisten anderen jungen Männer waren in diesem Alter schon verheiratet oder verlobt, doch für uns Rabbinerschüler, die wir uns keine Minute vom Studium des Gesetzes freimachen durften, konnte dies nicht gelten. Folglich machten wir uns übers Heiraten nur wenig Gedanken. Die Zeit würde kommen, da unser Lehrer uns für reif genug erachten würde, auf eigenen Füßen zu stehen und selbst Lehrer zu sein. Und wenn diese Zeit käme, würden wir eine begehrenswerte Frau finden und sie heiraten. Doch genausowenig, wie wir wußten, wann unser Lehrer uns freigeben würde, konnten wir voraussehen, wann wir in der Lage wären zu heiraten. Deshalb dachten wir wenig darüber nach.

Zumindest verhielt ich mich so, bis ich Rebekka traf. Sie war die Tochter von Eleasars Bruder, der als Zeltmacher in Jerusalem arbeitete. In den ersten drei Jahren, die ich im Hause des Rabbis wohnte, war ich nie mit diesem Mädchen zusammengetroffen. Doch eines Tages wurde Eleasars Frau Ruth krank und war für viele Wochen ans Bett gefesselt. Der Bruder des Rabbis schickte zwei seiner Töchter, um Eleasar zu helfen, denn er selbst hatte keine. Der Tag, an dem ich Rebekka traf, war der Tag vor dem Sabbat. Sie und ihre Schwester kamen ins Haus, um die Mahlzeiten zuzubereiten, die wir am nächsten Tag verzehren sollten. Ich werde diesen Nachmittag nie vergessen.

Wir alle kamen früh mit Eleasar vom Tempel: Saul und ich und die vier anderen Knaben, die bei uns wohnten. Rebekka und Rahel waren emsig beim Kochen und beeilten sich, um vor Sonnenuntergang fertig zu werden. Ich ging sofort hinauf, um mich zu waschen und mich für die Gebete vorzubereiten. Da bemerkte ich, daß Saul mir nicht folgte. Nach kurzem Warten stieg ich wieder hinunter und fand ihn zu meiner Überraschung in der Küche. Rebekka hatte ungewöhnlich rotes Haar und blaßgrüne Augen. Ich werde niemals die Art und Weise vergessen, wie sie errötete, als Saul uns miteinander bekanntmachte. Rahel, die vier Jahre älter und wenig hübsch war, nickte mir zu und fuhr mit der Arbeit fort. Saul und ich machten Rebekka so gut wir konnten den Hof, wobei wir natürlich durch unser linkisches Auftreten und unsere Unerfahrenheit behindert wurden. Sie war sechzehn, ein Jahr jünger als wir.

Eleasar schien nichts dagegen zu haben, daß wir dem Madchen mit ausgesuchter Höflichkeit begegneten, und war, wie ich glaube, belustigt. Sie blieb zum Essen bei uns, mußte danach aber ins Haus ihres Vaters zurückkehren, während Rahel dablieb, um Ruth zu pflegen.

Eleasar wählte mich, um Rebekka zu begleiten. Ich habe mich nie in meinem Leben — weder zuvor noch danach — zugleich so unbehaglich und so glücklich gefühlt. Rebekka war ein reizendes Mädchen, schüchtern und doch gefällig, mit einem lustigen Lachen, das ich gerne hörte. Wir sprachen wenig, als wir durch die dunklen Straßen liefen; dennoch war unser Schweigen weniger verlegen als erwartungsvoll.

An ihrem Haus angelangt, das voller Kinder und hell erleuchtet war, stellte sie mich ihrem Vater vor, der tief beeindruckt war, einen Schüler des Gesetzes vor sich zu haben. Er lud mich ein, zu bleiben, aber ich bestand darauf, heimzugehen — so sehr es mich auch betrübte, Rebekka zu verlassen —, denn ich wollte die Abendstudien mit Eleasar nicht versäumen.

Rahel blieb während der ganzen Zeit, in der Ruth krank war, bei uns, und ich sah Rebekka noch viele Male danach.

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