IFFISCH

Ged verbrachte drei Tage in dem Dorf auf der Westhand und erholte sich, während er ein Boot, diesmal nicht aus Treibholz und Zauberworten, sondern aus gutem Holz, zurechtzimmerte, das fest gefugt und abgedichtet war, das einen starken Mast mit einem Segel aus echter Leinwand hatte, das sich leicht segeln ließ und in dem er, wenn es nottat, auch schlafen konnte. Wie fast alle Boote des Nordens war es klinkergebaut, mit sich überlappenden Planken, die dem Boot Stärke verliehen, so daß es auch auf hoher See gesegelt werden konnte; alles an dem Boot war gut und sorgfältig gezimmert. Ged verstärkte es mit magischen Worten, die er tief ins Holz einwob, denn er vermutete, daß er weit darin würde segeln müssen. Es war groß genug für zwei oder drei Erwachsene, und der frühere Besitzer erzählte, daß das Boot ihn und seine Brüder auf hoher See und durch schwere Stürme sicher getragen hatte.

Ganz im Gegensatz zu dem habgierigen Fischer auf Gont hatte dieser alte Mann, aus Ehrfurcht vor Geds Zauberkunst, ihm das Boot geschenkt. Doch Ged entschädigte ihn auf des Zauberers eigene Weise: er heilte ihn vom grauen Star, der ihm schon viel von seinem Sehvermögen geraubt hatte. Der alte Mann, dankbar und hocherfreut, sagte zu Ged: »Wir tauften das Boot Sonderling, Sie aber müssen es Weitblick nennen und zwei Augen an den Bug, auf jede Seite eins, malen, und mein Dank wird aus dem blinden Holz aufs Meer blicken und wird Sie vor Fels und Riff bewahren. Denn ich habe ganz vergessen, wie hell und licht die Welt ist, und Ihnen habe ich es zu verdanken, daß mir das Licht wieder geschenkt wurde.«

Als Ged seine Macht wieder zurückkehren fühlte, vollbrachte er noch andere magische Werke in dem Dorf, das am Fuße des steil ansteigenden Waldes der Insel lag. Diesen Menschenschlag kannte er: sie waren nicht viel anders als die Leute des Nordtales in Gont, unter denen er aufgewachsen war, nur vielleicht noch ärmer. Er fühlte sich wohl unter ihnen, wohler als er sich wohl je an den Höfen der Reichen fühlen würde. Er wußte, wo sie der Schuh drückte, er brauchte nicht viel zu fragen. Über die Siechen und die kranken Kinder wob er die Formel des Heilens und des Schutzes, die kümmerlichen Schaf- und Ziegenherden bedachte er mit magischen Worten des Vermehrens, den Spinnrädern und Webstühlen, den Rudern und anderen Werkzeugen gab er die Rune Simm, damit sie ihre Arbeit gut verrichteten, in die Dachbalken der Hütten ritzte er die Rune Pin, die das Haus und seine Bewohner vor Feuer, Wind und Wahnsinn schützt.

Als sein Boot Weitblick bereit lag und mit Wasser und geräuchertem Fisch wohl versehen war, blieb er noch einen Extratag, um dem jungen Dorfsänger die Taten von Morred und die Havnor-Lieder beizubringen. Es kam selten vor, daß ein Schiff des Inselreiches an den Händen anlegte: Lieder, die vor hundert Jahren gedichtet worden waren, waren den Dorfbewohnern neu, und sie waren begierig, von Heldentaten zu hören. Wäre Ged frei gewesen, so hätte er gerne eine Woche oder einen Monat unter ihnen geweilt und ihnen alles vorgesungen, was er kannte, damit die berühmten Gesänge auf einer neuen Insel heimisch würden. Aber er war ja nicht frei, und am folgenden Morgen zog er sein Segel hoch und verließ die Insel in südlicher Richtung. Er begab sich hinaus auf das weite, leere Meer des Außenbereiches, denn der Schatten war nach Süden geflohen. Er bedurfte keiner Findeformel, er war sich dessen so gewiß, als spule sich eine Schnur ab zwischen ihnen, die sie beide verband, egal wie viele Meilen, welche Länder und Meere zwischen ihnen lagen. So segelte er dahin, ohne Eile und ohne Hoffnung, auf einem Weg, den er nicht vermeiden konnte, und der Winterwind trug ihn nach Süden.

Einen Tag und eine Nacht lang segelte er über das einsame Meer. Am zweiten Tag kam er an eine kleine Insel, die von den Einwohnern dort Vemisch genannt wurde. Die Leute am Hafen betrachteten ihn argwöhnisch, und ihr Zauberer kam eilenden Schrittes herbeigelaufen. Er sah Ged prüfend an, dann verneigte er sich und sagte in anmaßendem und zugleich bittendem Ton: »Mein Herr Zauberer! Verzeihen Sie mir die kühnen Worte, aber tun Sie uns den Gefallen, und nehmen Sie, was wir Ihnen zu bieten haben — Nahrung, Trank, Leintuch, Seile —, meine Tochter ist gerade unterwegs und wird Ihnen ein paar gebratene Hühner ins Boot legen, doch ich erachte es für weise, wenn Sie gleich, sobald es Ihnen genehm ist, weitersegeln. Die Leute hier sind etwas in Aufruhr, denn vor kurzem, vorgestern, genauer gesagt, beobachteten einige unter ihnen, wie ein Mensch unsere Insel von Norden nach Süden zu Fuß überquerte. Sie sahen kein Boot, das ihn hierherbrachte und auch keines, das ihn wieder fortführte, und man will gesehen haben, daß er keinen Schatten warf. Und diejenigen, die ihn sahen, fanden, daß er Ihnen ähnlich sah.«

Als er dies vernahm, senkte Ged sein Haupt, kehrte um und ging zurück zu den Piers von Vemisch und segelte davon, ohne zurückzublicken. Es war nicht nötig, die Inselbewohner noch mehr zu erschrecken und sich ihren Zauberer zum Feind zu machen. Lieber verbrachte er die Nacht auf See und dachte darüber nach, was der Zauberer ihm gesagt hatte, denn diese Nachricht war ihm selbst ein großes Rätsel.

Der Tag endete, und die Nacht brachte einen kalten Regen, der leise wispernd ins Wasser fiel und den beginnenden Morgen in graues Dämmerlicht hüllte. Noch immer blies der Wind sachte aus dem Norden und trug Weitblick weiter nach Süden. Am Nachmittag hörte es auf zu regnen, der Nebel verflüchtigte sich, und sie Sonne schien ab und zu zwischen den Wolken. Am Spätnachmittag sah Ged rechts von seinem Kurs die niedrigen blauen Berge einer großen Insel liegen, die im wechselnden Licht der Wintersonne lag. Der blaugraue Rauch zahlreicher Herdfeuer schlängelte sich über die Schieferdächer der kleinen Städte, die zwischen den Hügeln lagen, ein friedlich-fröhliches Bild in der endlosen Monotonie des weiten Meeres.

Ged folgte einer Fischerflottille in den Hafen, und als er im goldenen Abendlicht die Straßen in die Stadt hinauf stieg, fand er eine Wirtschaft »Zum Herreki«, wo ein lustig flackerndes Feuer, Bier und geröstete Lammrippchen sein Herz und seinen Körper erwärmten. An den Tischen saßen Reisende, Kaufleute und Händler des Ostbereiches, aber die meisten Männer waren in der Stadt ansässig und kamen hierher, um ihr Bier zu trinken und Neuigkeiten auszutauschen. Sie waren nicht rauh und schüchtern, wie die Inselbewohner der Hände, sondern ebenso aufgeweckte wie bedächtige Bürger. Zweifellos hatten sie Ged als einen Zauberer erkannt, aber niemand sprach ihn daraufhin an. Nur der Besitzer erwähnte beiläufig (er redete unaufhörlich), daß diese Stadt hier, die im übrigen Ismay hieße, unvergleichliches Glück habe, denn sie besäße einen Schatz, den sie allerdings mit den anderen Städten auf der Insel teilen müßte, und zwar hätte sie einen wirklich hervorragenden Zauberer, der auf der Insel der Weisen, auf Rok selbst, ausgebildet worden wäre und der seinen Stab vom Erzmagier persönlich erhalten hätte, der zwar zur Zeit nicht in der Stadt sei, aber sonst hier in Ismay wohne, in einem Haus, das schon lange im Besitz der Familie sei, daß die Stadt also bereits wohlversorgt und für einen, der auch in den Hohen Künsten bewandert sei, nicht der richtige Ort wäre. »Wie man so sagt, zwei Stäbe streiten stetig in einer Stadt, habʹ ich nicht recht?« sagte der Wirt freundlich lächelnd. Jetzt wußte Ged, daß er als wandernder Zauberer, der von Ort zu Ort ziehend sich seinen Unterhalt durch Zaubereien und Kunststücke verdiente, hier nicht erwünscht war. In Vemisch hatte man ihn ziemlich unumwunden abgewiesen, und hier in Ismay ging es ihm nicht viel besser. Er begann an der sprichwörtlichen Gastfreundschaft des Ostbereiches zu zweifeln. Die Insel hieß Iffisch, und Vetsch, sein Freund, war hier geboren. Aber so gastfrei, wie er sie beschrieben hatte, schienen die Einwohner der Insel doch nicht zu sein.

Als er um sich blickte, mußte er jedoch feststellen, daß die Gesichter im allgemeinen freundlich und gutmütig aussahen. Aber sie spürten, was er mit Gewißheit wußte: er stand abseits von ihnen, er gehörte nicht zu ihnen, Unheil lastete auf ihm, und er folgte einer dunklen Macht. Er war wie ein kalter Wind, der diesen vom Feuer erwärmten Raum abkühlte, er war der schwarze Vogel, den ein Sturm aus fremden Landen hierher verschlagen hatte. Je früher er weiterzog und sein dunkles Schicksal mit sich nahm, desto besser für die Leute hier.

»Ich bin auf der Suche nach etwas«, sagte er zu dem Wirt. »Ich bleibe nur ein oder zwei Nächte hier.« Seine Stimme klang niedergeschlagen. Der Wirt verstummte und warf einen Blick auf den großen Stab, der in der Ecke des Raumes lehnte. Dann füllte er Geds Glas mit dem braunen Bier, bis der Schaum überlief.

Ged wußte, daß er nicht länger als eine Nacht in Ismay bleiben konnte. Er war hier nicht willkommen, nirgends war er willkommen. Dorthin mußte er gehen, wohin sein Schicksal ihn trieb. Aber er hatte genug von der kalten, leeren See, von der Stille, in der es keine Stimmen gab, die mit ihm sprachen.

Er nahm sich vor, einen Tag auf Ismay zu bleiben, morgen würde er weiterziehen. Er stand nicht sofort auf, als er aufwachte. Draußen schneite es leicht, und er wanderte ziellos durch die Straßen und über die Plätze der Stadt, er sah den Leuten zu, die geschäftig bei der Arbeit waren, er beobachtete Kinder, die in pelzgefütterten Umhängen steckten und Schneeberge und Schneemänner bauten, er hörte, wie die Hausfrauen, unter ihren Türen stehend, sich über die Straße miteinander unterhielten, er sah einem Bronzeschmied zu, der über der Schmelzgrube arbeitete, während ein kleiner Junge, hochrot im Gesicht und schwitzend vor Anstrengung, den Blasebalg bediente. Durch die Fenster, die in der frühen Dämmerung von innen beleuchtet, wie rötliches Gold glänzten, sah er Frauen in der Wärme ihrer anheimelnden Stuben an ihren Spinnrocken sitzen, die ab und zu lächelnd einen Blick auf Mann und Kind warfen oder mit ihnen sprachen. All dies sah er, ausgeschlossen und allein draußen in der Kälte stehend, und sein Herz wurde ihm schwer, doch er wollte nicht zugeben, daß er traurig war. Es wurde Nacht, und noch immer wanderte er durch die Straßen und schob seine Rückkehr ins Wirtshaus hinaus. Er hörte einen Mann und ein Mädchen miteinander scherzen und an ihm vorbei auf den Marktplatz zugehen, und plötzlich drehte er sich um, denn er hatte die Stimme des Mannes erkannt.

Er ging den beiden nach, um sie einzuholen, und bald war er neben ihnen. Im späten Dämmerlicht war er nur schwach von entfernten Laternen beleuchtet. Das Mädchen wich einen Schritt zurück, aber der Mann starrte ihn an, dann riß er den Stab hoch und hielt ihn zwischen sich und den Fremden, als Schranke gegen das Böse und um Unheilvolles abzuwehren. Das war mehr, als Ged ertrug, seine Stimme brach, als er sagte: »Ich dachte, du würdest mich erkennen, Vetsch.«

Selbst jetzt zögerte Vetsch noch einen Augenblick.

»Gewiß kenne ich dich«, sagte er und senkte seinen Stab, dann ergriff er Geds Hände und legte seinen Arm um Geds Schulter, »…natürlich kenne ich dich! Willkommen, mein Freund, willkommen! Was für ein schlechter Empfang, als ob du ein Geist wärst, der sich von hinten heranschleicht — und ich habe auf dich gewartet und habe so nach dir Ausschau gehalten…«

»Dann bist du also der Zauberer, auf den sie hier so stolz sind in Ismay? Ich habe mich gewundert…«

»O ja, ich bin ihr Zauberer, aber hör mir erst zu, ich will dir erzählen, warum ich dich nicht gleich erkannte, mein Junge. Vielleicht habe ich zu sehr auf dich gewartet und nach dir Ausschau gehalten. Vor drei Tagen — warst du vor drei Tagen in Iffisch?«

»Ich bin gestern gekommen.«

»Vor drei Tagen habe ich dich in Quor, das ist ein Dorf in den Bergen da oben, gesehen. Das heißt, es war eine Gestalt, die deiner ähnlich war, vielleicht dein Doppelgänger. Er lief vor mir her, aus dem Dorf hinaus, und er bog gerade in eine Straße ein, als ich ihn sah. Ich rief, doch er antwortete nicht, ich ging ihm nach, doch ich fand niemanden, ich sah auch keine Spuren, aber der Grund war gefroren. Es war ganz seltsam, und als ich dich jetzt so aus dem Schatten hervortreten sah, dachte ich, daß es wieder ein Trick sein könnte. Verzeih, Ged, es tut mir leid!« Er redete Ged mit seinem wahren Namen an, aber so leise, daß das Mädchen, das ein wenig abseits stand, ihn nicht hören konnte.

Ged antwortete, ebenso leise, weil er den wahren Namen seines Freundes aussprach: »Das macht nichts, Estarriol. Aber das hier bin ich, und ich bin froh, dich wiederzusehen.«

Vetsch hörte in seiner Stimme mehr als nur die Freude über ihr Wiedersehen. Er hielt Ged noch immer an der Schulter fest und sagte jetzt in der Ursprache: »Mit Sorgen und aus der Dunkelheit kamst du, Ged, doch dein Kommen bringt Freude in mein Herz.« Dann fuhr er in Hardisch, mit seinem Ostbereichakzent, fort: »Komm, komm mit uns, wir sind auf dem Heimweg, es wird Zeit, daß wir aus der Dunkelheit herauskommen! — Das ist meine Schwester, die Jüngste in der Familie, hübscher als ich, wie du selbst sehen kannst, dafür weniger klug: sie heißt Jarro. Jarro, das ist der Sperber, der beste von uns allen und mein Freund.«

»Herr Zauberer«, sagte das Mädchen und begrüßte ihn, indem sie höflich den Kopf neigte und ihre Augen mit den Händen bedeckte, wie es Sitte ist unter den Frauen des Ostbereiches. Als sie ihre Hände hob, sah sie Ged aus hellen Augen schüchtern und auch etwas neugierig an. Sie mußte ungefähr vierzehn Jahre alt sein; sie war so dunkel wie ihr Bruder, nur viel schmaler und zierlicher. Auf ihrem Ärmel hielt sich ein geflügelter Drache, nicht länger als eine Hand, mit seinen Krallen fest.

Zusammen gingen sie im Dämmerlicht die Straße hinunter, und Ged sagte, als sie nebeneinander herschritten: »Von den Frauen in Gont sagt man, daß sie mutig seien, aber ich habe dort noch kein Mädchen gesehen, das einen Drachen als Armband trug.«

Jarro mußte daraufhin lachen, und sie antwortete: »Das ist doch nur ein Harreki, gibt es auf Gont keine Harrekis?« Dann wurde sie wieder schüchtern und bedeckte ihre Augen.

»Nein, aber es gibt auch keine Drachen. Ist dies Geschöpf denn kein Drache?«

»Nur ein kleiner, der in Eichen wohnt und Wespen und Würmer und Spatzeneier frißt — aber er wird nie größer werden. Oh, mein Bruder hat mir oft von dem kleinen wilden Tier erzählt, das Sie hatten, von dem Otak — haben Sie ihn noch?«

»Nein, ich habe ihn nicht mehr.«

Vetsch schaute ihn fragend an, aber er sagte nichts, erst viel später erfuhr er es, als sie beide allein an der aus Steinen gebauten Feuerstelle in Vetschens Haus saßen.

Obgleich er der oberste Zauberer auf der ganzen Insel Iffisch war, zog es Vetsch vor, hier in Ismay, in dieser kleinen Stadt, wo er geboren war, zusammen mit seinem jüngeren Bruder und seiner Schwester zu wohnen. Sein Vater war ein wohlhabender Überseekaufmann gewesen, und das Haus war geräumig, aus starken Balken gebaut, und man sah den Wohlstand an den feinen Töpferwaren, den schönen gewebten Behängen und Decken, den Behältern aus Bronze und Messing, die auf geschnitzten Brettern und Truhen standen. In einer Ecke des großen Raumes stand eine mächtige taonische Harfe, und in einer anderen Ecke stand Jarros Webstuhl, dessen hoher Rahmen mit Elfenbein eingelegt war. Man merkte, daß Vetsch trotz seines einfachen, biederen Wesens ein gar mächtiger Zauberer und Herr über einen stattlichen Haushalt war. Außer ihm gab es ein paar ältere Bedienstete, denen man ansah, daß es ihnen in diesem Haus wohl erging; dann waren noch sein jüngerer Bruder, ein munterer Knabe, und Jarro da, die sie flink und schweigsam wie ein kleiner Fisch beim Abendessen bedient hatte und auch mit ihnen gegessen hatte; sie war ihrer Unterhaltung aufmerksam gefolgt, später aber war sie in ihr eigenes Zimmer verschwunden. Alles hier war gediegen und friedlich und sicher. Ged blickte in dem vom Feuer erhellten Raum umher und seufzte: »So sollte man leben.«

»Ja, das ist eine Art zu leben, es gibt auch andere. Aber jetzt, mein Junge, erzähl mir, was du erlebt hast, seit wir uns das letzte Mal — zwei Jahre sind es jetzt schon her — gesehen haben, und was dich hierher geführt hat. Und sag mir, warum du herumfahren mußt, denn ich merke wohl, daß du nicht lange hier verweilen wirst.«

Ged erzählte ihm alles, und als er geendet hatte, blieb Vetsch lange nachdenklich sitzen, ohne zu reden. Dann sagte er: »Ich werde dich begleiten, Ged.«

»Nein.«

»Doch, ich komme mit.«

»Nein, Estarriol, nicht über dir hängt dieses Unheil, nicht dir ist es auferlegt. Ich werde es allein vollenden, ich will nicht, daß ein anderer dadurch zu Schaden kommt — und du am allerwenigsten, denn du warst es, der damals, ganz am Anfang, versucht hatte, meiner Hand Einhalt zu gebieten, Estarriol…«

»Stolz war schon seit jeher dein vorherrschendstes Merkmal«, sagte sein Freund lächelnd, als handle es sich um eine Kleinigkeit. »Denk so: Es ist dein Schicksal, deine Aufgabe. Das steht fest, aber wenn es mißlingt, sollte dann nicht einer dasein, der die Botschaft ins Inselreich trägt? Denn der Schatten wäre dann eine furchtbare Bedrohung. Und wenn du dieses Unding bezwingst, sollte nicht ein Zeuge dasein, der es im Inselreich verbreiten kann, damit dieser Tag gewürdigt und besungen wird? Ich weiß, daß ich dir nicht helfen kann, aber ich glaube, daß ich mitgehen sollte.«

Vetsch redete so überzeugend, daß Ged schließlich nachgab, aber er sagte: »Ich hätte heute nicht hierbleiben sollen. Ich habe es geahnt, aber ich blieb trotzdem.«

»Zauberer treffen sich nicht durch Zufall, mein Junge«, sagte Vetsch. »Und überhaupt, du hast es ja selbst gesagt, ich war ganz am Anfang dabei, und deswegen ist es nicht mehr als recht und billig, daß ich auch am Ende dabei bin.« Er legte neues Holz auf, und beide saßen und blickten in die Flammen.

»Von einem habe ich seit jener Nacht auf dem Rokkogel nie mehr gehört, und es hat mir der Mut gefehlt, jemanden nach ihm zu fragen: ich meine Jasper.«

»Er hat nie den Stab erworben. Er hat im gleichen Sommer noch Rok verlassen und ging nach der Insel O als Zauberer des fürstlichen Haushalts von O-Tokne. Mehr weiß ich auch nicht.«

Wieder schwiegen sie, schauten in die Flammen und waren um die Wärme an ihren Beinen und Gesichtern froh, denn draußen war es bitterkalt. Sie rückten auf der breiten Steineinfassung noch näher ans Feuer, so daß ihre Füße fast die glimmenden Scheite berührten.

Schließlich sprach Ged leise: »Etwas fürchte ich, Estarriol. Ich fürchte es sogar noch mehr, wenn du mitgehst, als wenn ich allein ginge. Dort, in den Händen, in der schmalen Bucht, als ich mich dem Schatten zuwandte, war er nur eine Armeslänge weit weg von mir, und ich packte ihn — oder versuchte ihn zu packen. Und da war nichts, was ich halten konnte. Ich konnte ihn nicht überwältigen. Er floh, ich folgte. Und das kann wieder passieren, und immer wieder. Ich habe keine Macht über das Wesen. Und vielleicht ist am Ende kein Tod, kein Sieg, vielleicht gibt es nichts, was man besiegen kann, vielleicht gibt es kein Ende, vielleicht muß ich bis an mein Lebensende von Meer zu Meer, von Insel zu Insel eilen, auf einer ewigen, nutzlosen Jagd, auf der Jagd nach einem Phantom.«

»Wende!« sagte Vetsch, während seine linke Hand die Geste des Abwehrens durchführte. Trotz des Ernstes der Situation mußte Ged insgeheim lächeln. Unter Kindern war diese Geste beliebt, erwachsene Zauberer bedienten sich ihrer selten, aber Vetsch hatte schon immer etwas Einfaches, Kindliches an sich gehabt, und doch war er klug und gewitzt und traf immer den Nagel auf den Kopf. Jetzt sagte er: »Das ist ein schlimmer Gedanke und hoffentlich ein falscher. Ich glaube eher, daß ich auch das Ende von dem sehen werde, dessen Anfang ich sah. Irgendwie wirst du herausfinden, was es ist, sein Wesen, seine Art. Und dann kannst du es festhalten und überwinden. Doch es wird schwierig sein, herauszubekommen, was es ist… Aber etwas verstehe ich nicht, und es macht mir Sorgen. Es scheint, daß der Schatten jetzt in deiner Gestalt umhergeht oder zumindest in einer dir ähnlichen Gestalt. In Vemisch haben sie es gesehen, und ich habe es hier auf Iffisch ja selbst gesehen. Wie ist das möglich, und warum hat er das damals, als ihr noch im Inselreich wart, nicht getan?«

»Wie man so sagt: In Außenbereichen gelten andere Gesetze.«

»Das stimmt, da ist viel Wahres dran, das kann ich dir sagen. Auf Rok habe ich manch gute Formel gelernt, die hier überhaupt nicht wirkt, und andere gehen schief, und dann gibt es hier wieder Formeln, von denen ich auf Rok nie etwas gehört habe. Jedes Land hat seine eigenen Mächte, und je weiter man sich von den Ländern des Innenmeeres entfernt, desto schwerer wird es, herauszufinden, welcher Macht sie entspringen. Aber ich glaube nicht, daß dies der einzige Grund ist, der diese Änderung des Schattens bewirkt.«

»Ich glaube es auch nicht. Seit ich nicht mehr versuche, ihm zu entfliehen, und seit ich ihn verfolge und ihm meinen Willen aufzwinge, seither fängt er an, in meiner Gestalt einherzugehen; gleichzeitig ist er aber auch verhindert, mir meine Macht zu entwinden. Alles, was ich tue, findet sein Echo in ihm: er ist mein Geschöpf.«

»In Osskil hat er dich bei deinem Namen gerufen, und damit hat er dir jegliche Zauberkraft ihm gegenüber genommen. Warum hat er das denn nicht wieder getan, als ihr euch in den Händen begegnet seid?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht kann er nur Kraft zum Reden schöpfen, wenn ich schwach bin. Er hat fast meine Stimme, meine Sprache, wenn er redet: aber woher weiß er meinen Namen? Ich habe mir das Gehirn zermartert, seit ich Gont verlassen habe und über die Meere segelte, und die Antwort darauf weiß ich immer noch nicht. Vielleicht kann er in seiner eigenen Form oder Formlosigkeit gar nicht reden, sondern nur, wenn er ein Gebbeth ist. Ich weiß es nicht.«

»Dann mußt du dich hüten, ihn wieder als Gebbeth zu treffen.«

»Ich glaube«, sagte Ged und streckte seine Hände gegen die glühenden Scheite, als fröre ihn von innen heraus, »ich glaube, die Gefahr besteht nicht mehr. Er ist jetzt an mich gebunden, genau wie ich an ihn gebunden bin. Jetzt kann er sich nicht mehr so weit freimachen, daß er eines anderen Menschen Wille und Sinn entwenden kann, wie er es mit Skihor getan hat. Er kann aber von mir Besitz ergreifen, sobald ich schwach werde und versuche, ihm zu entfliehen und das Band zu zerreißen. Aber als ich versuchte, ihn mit meinen Händen zu halten, so fest ich konnte, hat er sich wie Rauch verflüchtigt und entfloh… Und das kann sich wiederholen, und trotzdem kann er mir nicht wirklich entfliehen, denn ich werde ihn immer finden. Ich bin an das grausame Scheusal gebunden und werde es ewig sein, außer ich finde das Wort, das mich erlösen kann: seinen Namen.«

Sein Freund saß ihm grübelnd gegenüber. »Gibt es überhaupt Namen in den dunklen Bereichen?«

»Erzmagier Genscher sagte, es gäbe keine, mein Meister Ogion sagte, es gäbe Namen.«

»Immer wird es Kontroversen zwischen Magiern geben«, zitierte Vetsch und lächelte resigniert.

»Diejenige, die der Urmacht auf Osskil diente, schwor, daß mir der Stein den Namen des Schattens sagen könne, aber ihren Worten traue ich wenig. Aber um mich loszuwerden, hat mir der Drache angeboten, mir den Namen des Schattens zu sagen, wenn ich den seinen nicht gebrauche. Ich dachte oft daran, daß Drachen weise sind, vielleicht gerade in Dingen, über die sich Magier streiten.«

»Weise, ja, aber auch herzlos. Aber von welchem Drachen redest du? Das hast du mir nicht erzählt, daß du dich, seit wir uns das letzte Mal sahen, mit Drachen unterhalten hast.«

Sie blieben bis spät in die Nacht hinein sitzen und redeten miteinander, und obwohl sie immer wieder auf das Schwere, das vor Ged lag, zurückkamen, so wog die Freude, endlich wieder beisammen zu sein, doch alles auf, denn ihre Freundschaft war tief und stark. Zeit und Umstände konnten ihr nichts anhaben.

Ged wachte im Haus seines Freundes auf, und während er noch schlaftrunken war, fühlte er in sich ein Wohlbehagen, als befände er sich an einem sicheren, geschützten Ort, dem sich nichts Böses oder Übles nähern konnte. Den ganzen Tag über blieb etwas von diesem Traumgefühl an ihm haften, und er betrachtete es nicht als gutes Omen, sondern als ein Geschenk. Sehr wahrscheinlich würde er beim Abschied von hier den letzten, sicheren Hafen verlassen, und er wollte diesen Traum genießen, solange er anhielt.

Vetsch mußte vor seiner Abreise noch einige Angelegenheiten in anderen Dörfern der Insel in Ordnung bringen. Er verließ Iffisch mit dem Jungen, der als Zauberlehrling bei ihm arbeitete. Ged blieb bei Jarro und ihrem Bruder Murre, der im Alter zwischen Vetsch und Jarro stand. Murre, der weder Gabe noch Geißel einer magischen Macht in sich spürte, führte ein sorgloses Leben; er war noch nicht weit herumgekommen, außer Iffisch kannte er nur Tok und Holp. Ged beobachtete ihn mit Staunen und auch ein bißchen Neid, und die gleichen Gefühle bewegten Murre, wenn er Ged betrachtete. Beiden kam es seltsam vor, daß sie so verschieden sein konnten, da sie doch beide gleich alt waren, nämlich neunzehn Jahre. Ged schien es unfaßbar, daß jemand, der neunzehn Jahre lang gelebt hatte, so sorglos sein konnte. Murres offenes, hübsches Gesicht gefiel ihm, und er selbst kam sich linkisch und ungehobelt vor. Er wußte nicht, daß ihn Murre um die Narben in seinem Gesicht beneidete. Murre glaubte, daß sie von Drachenklauen herrührten, und sie waren ihm Rune und Siegel eines Helden.

Die beiden jungen Männer waren aus diesem Grund etwas gehemmt im Umgang miteinander, doch Jarro verlor bald alle Scheu vor Ged. Hier war sie daheim und Herrin des Hauses. Ged war sehr freundlich zu ihr, und sie stellte viele Fragen, denn Vetsch, sagte sie, gäbe ihr nie richtig Auskunft. Während der zwei Tage war sie sehr geschäftig. Sie buk Weizenfladen für die Reisenden und wickelte getrocknete Fische und Fleisch und allen möglichen Proviant ein, bis Ged ihr Einhalt gebot, denn er hatte nicht vor, ohne anzuhalten bis nach Selidor zu segeln.

»Wo liegt Selidor?« wollte sie wissen.

»Ganz weit draußen im Westbereich, wo Drachen so zahlreich sind wie Mäuse.«

»Dann bleibt besser hier im Osten. Unsere Drachen sind so klein wie Mäuse. Das ist alles Fleisch, aber sind Sie sicher, daß es genug ist? Etwas verstehe ich ja nicht. Sie und Vetsch, Sie sind beide mächtige Zauberer, Sie müssen nur Ihre Hand bewegen, etwas murmeln, und schon ist es da. Warum werden Sie denn dann überhaupt hungrig? Wenn es Zeit zum Essen ist, warum sagen Sie denn nicht ganz einfach Fleischpastete, und dann kommt die Pastete, und Sie brauchen sie nur zu essen?«

»Das könnten wir schon tun. Aber wer schluckt schon gerne sein eigenes Gerede hinunter? Fleischpastete ist schließlich nur ein Wort… Wir könnten sie wohlriechend, gewürzt und sogar sättigend machen, aber deswegen bleibt es doch ein Wort. Es narrt den Magen und verleiht dem hungrigen Mann letztlich keine Kraft.«

»Zauberer sind also keine Köche«, sagte Murre, der an der anderen Seite des Herdes saß und an einem Stück weichem Holz herumschnitzte. Er hatte gelernt, Holz zu bearbeiten, aber er war kein allzu fleißiger Geselle.

»Und Köche sind leider keine Zauberer«, sagte Jarro, die vor dem Ofen kniete und nachschaute, ob das letzte Blech voll Weizenkuchen durchgebacken war. »Aber es ist mir immer noch schleierhaft, Sperber. Ich habe zugeschaut, wie mein Bruder, und selbst sein Lehrling, in einem dunklen Raum Licht gemacht haben. Ein Wort hatte genügt, und ein Licht, kein Wort, ist erschienen, und es war so hell, daß man dabei wirklich sehen konnte.«

»Ja«, sagte Ged, »Licht ist eine Macht. Licht gibt uns Leben, aber es existiert nicht nur um unseretwillen. Es ist ein Ding, das für sich selbst da ist. Sonnen- und Sternenlicht ist Zeit, und Zeit ist Licht. Im Sonnenlicht, in den Tagen und Jahren, ist das Leben beschlossen. In der Dunkelheit kann ein lebendiges Wesen Licht herbeirufen, wenn es den Namen des Lichtes nennt. Aber im allgemeinen, wenn Sie einem Zauberer zuschauen, der etwas — irgend etwas — herbeiruft, dann ist das nicht das gleiche. Er ruft keine Macht herbei, die größer ist als seine eigene, und was erscheint, ist bloß Illusion. Will man etwas herbeirufen, das nicht da ist, dann ruft man es bei seinem wahren Namen — das ist eine große Kunst und nur im äußersten Falle zu gebrauchen, bestimmt nicht um des Hungers willen. Jarro, Ihr kleiner Drache hat ein Küchlein stibitzt.«

Jarro hatte so aufmerksam zugehört und Ged nicht aus den Augen gelassen, daß sie nicht bemerkt hatte, wie der Harreki sich vom Kesselhaken über dem Herd, an dem er gewöhnlich baumelte, herunter geschlängelt und sich ein Küchlein geschnappt hatte, das größer war als er selbst. Sie nahm das kleine schuppige Geschöpf auf ihre Knie und fütterte es mit dem Küchlein krümelweise, während sie über Geds Worte nachdachte.

»Also deshalb würden Sie keine Fleischpastete bei ihrem wahren Namen herbeirufen, denn sonst würden Sie das durcheinanderbringen, worüber mein Bruder immer redet — ich habe vergessen, wie es heißt…«

»Das innere Gleichgewicht der Welt«, antwortete Ged ernsthaft, denn Jarro blickte ihn aufmerksam an.

»Aber als Sie Schiffbruch erlitten hatten, sind Sie in einem Boot gefahren, das fast nur aus Zauberformeln bestand, und es hat kein Wasser geleckt. War das auch Illusion?«

»Na, teilweise schon, denn ich wollte einfach nicht das Meer durch die Löcher im Boot sehen, deswegen habe ich sie zugezaubert. Aber die Stärke des Bootes war nicht Illusion, auch kein Gebieten war dabei, sondern das war eine andere Kunst, eine Bindeformel hielt es zusammen. Das Holz wurde zu einer Einheit, zu einem Etwas, zu einem Boot, denn schließlich, was ist ein Boot? Ein Etwas, das kein Wasser durchläßt.«

»Ich habe schon in manchem Boot geschöpft, das ganz schön Wasser durchließ«, sagte Murre.

»Oh, meines hat auch geleckt, wenn ich vergaß, die Zauberformel zu erneuern.« Er beugte sich von seinem Eckplatz hinunter und nahm ein Küchlein von den Backsteinen und balancierte es auf seiner Hand. »Ich habe auch eins gestohlen.«

»Dann werden Sie sich die Finger verbrennen. Und wenn Sie auf dem Meer weit draußen bei den Fernen Inseln sind, werden Sie an dieses Küchlein denken und sagen: Oh, hätte ich doch damals das Küchlein nicht gestohlen, dann hätte ich jetzt etwas zu essen, o weh! — Na, dann werde ich eben das Küchlein meines Bruders essen, und Sie können dann zusammen hungern.«

»Und damit wird das Gleichgewicht wieder hergestellt«, bemerkte Ged, während sie sich die heißen, braungebackenen Küchlein schmecken ließen. Jarro mußte kichern und verschluckte sich. Aber bald blickte sie wieder ernst drein und sagte: »Ich wollte, ich könnte alles ganz richtig verstehen, was Sie mir sagen. Ich bin zu dumm.«

»Die Schuld liegt bei mir, kleine Schwester«, sagte Ged. »Ich kann nicht gut erklären. Wenn wir mehr Zeit hätten…«

»Wir werden mehr Zeit haben«, sagte Jarro. »Wenn mein Bruder wieder zurückkommt, dann kommen Sie auch mit und bleiben wenigstens eine Weile hier, nicht wahr?«

»Wenn ich kann«, antwortete er leise.

Eine Pause trat ein, dann fragte Jarro, während sie dem Harreki zuschaute, wie er wieder hinauf auf seinen Beobachtungsposten kletterte. »Sagen Sie mir nur noch eines, wenn es kein Geheimnis ist. Welche anderen großen Mächte, außer dem Licht, gibt es?«

»Das ist kein Geheimnis. Alle Kräfte, vom Ursprung bis ans Ende, beruhen auf einer Macht, glaube ich. Jahre und Entfernungen, Sterne und Kerzen, Wasser, Wind und Weisheit des Magiers, die Geschicklichkeit der Menschenhand und das Geheimnis einer Baumwurzel: alle haben einen gemeinsamen Ursprung. Mein Name und Ihr Name, der wahre Name der Sonne oder des Quellwassers oder der eines ungeborenen Kindes, alles sind nur Silben eines einzigen Wortes, das ganz langsam im Funkeln der Sterne gesprochen wird. Es gibt keine andere Macht, keine anderen Namen.«

Murre hielt mit Schnitzen inne und fragte: »Und was ist der Tod?«

»Wird ein Wort gesprochen«, sagte Ged langsam, »so muß zuvor und danach Stille herrschen.« Dann erhob er sich plötzlich und sagte: »Ich habe kein Recht, über diese Dinge zu reden. Das Wort, das ich hätte sprechen sollen, habe ich falsch gesprochen. Es ist besser, wenn ich den Mund halte, ich werde nicht mehr weiterreden. Vielleicht gibt es keine wahre Macht — außer der Dunkelheit.« Und er verließ das Herdfeuer und die warme Küche, nahm seinen Umhang und ging hinaus auf die Straße, hinaus in den kalten Winterregen.

»Eine Verwünschung liegt auf ihm«, sagte Murre, der ihm etwas angstvoll nachschaute.

»Ich glaube, daß diese Fahrt, die er unternimmt, zu seinem Tod führt«, sagte das Mädchen. »Er befürchtet das auch und geht trotzdem.« Sie hob den Kopf und schaute in die roten Flammen, als sähe sie ein Boot drinnen, das einsam und allein über die winterliche See in die weite Ferne fremder Meere fuhr. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie sagte nichts.

Am nächsten Tag kam Vetsch zurück und verabschiedete sich von den Stadtvätern von Ismay, denen es nicht paßte, daß ihr Zauberer mitten im Winter aufs Meer hinaus wollte und sich auf ein Unternehmen, bei dem es um Leben und Tod ging, einließ, das ihn im Grunde gar nichts anging. Aber sie konnten ihn nicht abhalten. Er wurde ihrer ständigen Vorhaltungen müde und sagte: »Ich bin euch verpflichtet, durch meine Familie, durch Sitte und die Abmachung, die ich mit euch getroffen habe. Ich bin euer Zauberer. Aber es wird Zeit, daß ihr lernt, in mir zwar einen Diener, aber nicht euren Diener zu sehen. Wenn ich wieder frei bin, werde ich zurückkommen. Bis dahin — lebt wohl!«

Bei Tagesanbruch, als das graue Licht sich über das Meer ausbreitete, hißten die beiden jungen Männer das braune, aus kräftigem Garn gewebte Segel der Weitblick. Der Nordwind füllte es und führte sie hinaus aus dem Hafen von Ismay. Jarro stand am Pier, wie es Frauen und Schwestern an allen Küsten der Erdsee tun. Sie stehen, ohne zu winken und zu rufen, in graue oder braune Umhänge gehüllt, mit den Kapuzen über dem Kopf. So stand sie und schaute ihnen nach, und die Küste wurde immer kleiner hinter ihnen, während das Wasser dazwischen immer weiter und breiter wurde.

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