GEJAGT

Als Pendor hinter dem Rand des Meeres verschwunden war, fühlte Ged, nach Osten schauend, wie der Schatten sich wieder in sein Herz schlich. Es war schwer, nach der handgreiflichen Gefahr, die der Drache dargestellt hatte, wieder diesem hoffnungslosen, körperlosen Grauen ausgeliefert zu sein. Er ließ den magischen Wind erschlaffen und segelte mit dem gewöhnlichen Wind weiter, denn nichts drängte ihn vorwärts. Was er nun tun sollte, wußte er nicht. Er mußte fliehen, wie der Drache gesagt hatte, aber wohin? Nach Rok? Dort wäre er jedenfalls geschützt, und vielleicht konnten ihm die Weisen einen Rat erteilen.

Zunächst aber mußte er zurück nach Untertorning und den Leuten der Insel berichten, was sich zugetragen hatte. Als bekannt wurde, daß er wieder zurückgekehrt sei, schon fünf Tage nach seiner Abfahrt kamen alle Männer und die halbe Stadt angerudert oder herbeigelaufen und standen und starrten, während sie ihm zuhörten. Er erzählte alles, genau wie es sich zugetragen hatte, und ein Mann meinte: »Aber wer kann uns denn bezeugen, daß dieses Wunder wirklich geschehen ist, daß Drachen wirklich getötet und ihre Pläne vereitelt wurden? Was machen wir, wenn…?«

»Sei still!« befahl ihm der Stadtälteste barsch, denn er und die meisten Leute dort wußten, daß ein Zauberer zwar auf listige Art wahr sprechen und doch die Wahrheit für sich behalten kann. Wenn aber ein Zauberer etwas behauptet, so ist es immer wahr. Zauberer besitzen diese Fertigkeit. Die Leute standen und staunten, und allmählich begriffen sie, daß sie nichts mehr zu fürchten hatten, und eine große Freude erfüllte sie. Sie umringten ihren jungen Zauberer und wollten alles noch einmal hören. Mehr Inselleute kamen herbeigelaufen, und Ged mußte alles noch einmal wiederholen. Aber als es Abend wurde, mußte er seine Geschichte nicht mehr erzählen. Sie konnten das jetzt viel besser als er. Der alte Liedermacher sang bereits das Sperberlied zu einer altbekannten Melodie. Freudenfeuer erhellten die Nacht, nicht nur in Untertorning, sondern auch in den Städten östlich und südlich davon. Fischer riefen sich die Neuigkeit von Boot zu Boot zu, und von Insel zu Insel hörte man es schallen: Kein Unheil droht mehr, nie wieder werden die Drachen von Pendor kommen!

Während dieser Nacht, dieser einzigen Nacht, war Ged glücklich. Kein Schatten würde es heute wagen, sich ihm zu nähern durch das Licht der hellen Dankesfeuer, die auf jedem Hügel und am Strand unten brannten, durch den Kreis der frohen und glücklichen Tänzer, die ihn umringten und sein Lob sangen und ihre Fackeln in der windigen Herbstnacht hin- und herschwangen, daß die Funken bündelweise aufstoben und vom Wind erfaßt kurz aufglühten.

Am nächsten Tag traf er Peckvarry, der sagte: »Ich wußte nicht, mein Herr, daß Sie solch große Macht haben.« Furcht lag in diesen Worten, daß er, Peckvarry, es gewagt hatte, sich mit Ged zu befreunden, aber auch ein leiser Vorwurf war darin enthalten. Ged, der Drachen töten konnte, hatte nicht vermocht, ein kleines Kind vor dem Tod zu bewahren. Nach diesem Zusammentreffen fühlte Ged wieder das Unbehagen und die Ungeduld, die ihn nach Pendor getrieben hatten und die ihn jetzt von Untertorning wegdrängten. Am nächsten Morgen verließ er sein Haus auf dem Hügel, obwohl man ihn in Untertorning gern bis an sein Lebensende behalten hätte, um ihn zu loben und zu preisen, aber auch, um ein bißchen mit ihm zu prahlen. Sein Gepäck bestand nur aus seinen Büchern, seinem Stab und dem Otak, der auf seiner Schulter ritt.

Einige junge Fischer von Untertorning rechneten es sich als Ehre an, seine Ruderer zu sein. Wo immer sie sich befanden, in den engen Kanälen im Osten der Neunzig Inseln, unter den Fenstern und Balkonen der Häuser, die über den Wasserstraßen fast zusammenstießen, entlang den Lagerhallen von Neschun, den stinkenden Ölschuppen von Geath oder den regennassen Weiden von Dromgau, die Kunde seiner Tat eilte ihm voraus. Sie pfiffen das Sperberlied, als er vorbeikam, und sie rissen sich darum, ihn als Gast über Nacht zu behalten, damit er ihnen seine Drachengeschichte erzähle. Aber schließlich gelangten sie doch nach Serd, und Ged bat einen Kapitän dort, ihn nach Rok mitzunehmen. Der verbeugte sich vor ihm und antwortete: »Es ist mir ein Vergnügen, mein Herr Zauberer, Sie mitzunehmen, und meinem Schiff widerfährt eine große Ehre!«

So geschah es, daß Ged den Neunzig Inseln den Rücken kehrte, aber bereits im Hafen von Serd, nachdem sie den Anker gelichtet und Segel gesetzt hatten, kam ein scharfer Ostwind auf und griff in die Takelung des Schiffes. Man war überrascht, denn der winterliche Himmel war klar, und die Wettervorhersage hatte auf »mäßig warm mit leichtem Wind« gelautet. Man störte sich nicht weiter daran, denn die Strecke zwischen Serd und Rok betrug nur etwa dreißig Meilen. Auch als der Wind an Stärke zunahm, wurde die Fahrt nicht unterbrochen. Wie die meisten Schiffe im Innenmeer, so hatte auch dieses kleine Schiff ein Toppsegel, das den Gegenwind auffangen konnte, und sein Kapitän war ein erfahrener Seemann, stolz auf sein Können im Segeln. Sie kreuzten hart am Wind und bewegten sich langsam, aber stetig in östlicher Richtung vorwärts. Bald fing es an zu regnen, und dunkle Wolken bedeckten den Himmel. Der Wind blies von der Seite und kam in so heftigen Böen, daß Gefahr bestand, das Boot könnte kentern. »Herr Sperber«, sagte der Kapitän zu dem jungen Mann, der neben ihm auf dem Ehrenplatz auf dem Vorderdeck stand, obwohl von würdigem Aussehen in diesem Wind und Regen, der sie durch ihre tropfnassen Umhänge bis auf die Haut durchnäßte, nicht die Rede sein konnte, »wäre es nicht möglich, daß Sie diesem Wind Einhalt gebieten?«

»Wie weit ist es noch bis Rok?«

»Wir haben noch nicht die Hälfte zurückgelegt, während der letzten Stunde kamen wir überhaupt nicht vom Fleck, mein Herr.«

Ged sprach zu dem Wind, und seine Stärke ließ nach, worauf sie eine ganze Weile recht gut vom Fleck kamen. Plötzlich aber erhoben sich heftige Windböen aus dem Süden, die sich kreischend gegen das Boot warfen und es zurück gegen Westen trieben. Die Wolken öffneten sich von neuem und ballten sich unheildrohend über ihnen zusammen. Der Kapitän rief voll Zorn: »Dieser idiotische Sturm bläst aus allen Ecken gleichzeitig. Nur ein magischer Wind kann uns jetzt noch weiterhelfen, mein Herr.«

Ged war nicht begeistert, aber er sah ein, daß Schiff und Besatzung sich seinetwegen in Gefahr begaben, und er füllte die Segel mit magischem Wind. Sofort begann das Schiff geradeaus nach Osten zu segeln, und die Miene des Kapitäns hellte sich zusehends auf. Aber der Wind begann abzunehmen, und obwohl Ged den Windbann aufrecht hielt, wurden die Segel allmählich schlaff. Das Schiff bewegte sich immer langsamer und blieb endlich einen Augenblick lang regungslos auf den Wellen liegen. Regen und Wind nahmen an Stärke zu, und plötzlich, wie ein Donnerschlag, schwang der Großbaum herum, und das Schiff sauste mit Blitzesschnelle nach Norden.

Ged hielt sich an der Reling fest, denn das Schiff lag fast auf dem Wasser, und rief: »Wenden Sie, zurück nach Serd, Kapitän!«

Der aber fluchte und brüllte, daß ihm das nicht einfiele. »Was, ein Zauberer an Bord, und ich soll umkehren, ich, der beste Seemann in der ganzen Zunft, und das hier das tüchtigste Schiff, mit dem ich je gesegelt bin — ich soll umkehren?«

Aber wieder wurde das Schiff gepackt und herumgeworfen, und der Kapitän selbst mußte sich am Mast festklammern, um nicht über Bord gefegt zu werden. Ged sagte zu ihm: »Setzen Sie mich in Serd ab, und dann können Sie segeln, wohin Sie wollen. Dieser Wind bläst nicht gegen Ihr Schiff, sondern gegen mich.«

»Gegen einen Zauberer von Rok?«

»Haben Sie noch nie vom Rokwind gehört, Kapitän?«

»Doch, natürlich; das ist der Wind, der alles Böse von der Insel der Weisen fernhält, aber was hat denn der Wind mit Ihnen, einem Drachenbezwinger, zu tun?«

»Das geht nur mich und meinen Schatten etwas an«, erwiderte Ged kurz, wie es Zauberer manchmal tun. Er sprach kein Wort mehr, als sie geschwind, mit anhaltendem Wind und unter einem sich aufhellenden Himmel nach Serd segelten.

Schwer war Geds Herz und mit heimlichem Grauen erfüllt, als er an den Lagerschuppen vorbei hinauf in die Stadt ging. Die Tage waren schon winterlich kurz, und Dämmerung umgab ihn bald. Mit dem Einbruch der Dunkelheit wuchs seine Bedrückung. Jedesmal, wenn die Straße eine Biegung machte, fühlte er sich bedroht, und er mußte seinen ganzen Willen aufbieten, um nicht zurückzuschauen, ob ihm etwas folge. Er ging zum Seeheim von Serd, wo Reisende und Kaufleute auf Kosten der Stadt ein Mahl erhalten und in dem großen Saal mit den mächtigen Dachbalken frei übernachten konnten. Ähnlich gastfreundliche Heime findet man auf all den blühenden Inseln im Innenmeer.

Ged hob ein bißchen von seinem Fleisch auf, und später, als er am Feuer saß, redete er seinem Otak zu, aus den Falten seiner Kapuze herauszukommen, in denen er sich den ganzen Tag lang versteckt hatte. Er versuchte ihn dazu zu bringen, etwas zu essen. Er flüsterte ihm zu: »Hög, Hög, mein kleiner, schweigsamer Gefährte…«, aber seine Bemühungen waren umsonst. Der Otak schlich zurück und verkroch sich in seiner Tasche. Das Verhalten des Tieres, seine eigene dumpfe Unsicherheit und die Schwärze in den Ecken des großen Saales bestätigten ihm, was er befürchtet hatte: der Schatten hielt sich irgendwo in der Nähe auf. Hier kannte ihn niemand. Die Gäste waren meist Durchreisende, die von anderen Inseln kamen, auf denen das Sperberlied noch nicht gesungen wurde. Keiner sprach ihn an. Schließlich erhob er sich und suchte eine Strohmatratze aus, auf die er sich niederlegte; aber die ganze Nacht über lag er mit offenen Augen unter den mächtigen Dachbalken zwischen all den Fremden. Er versuchte Pläne zu schmieden, wo er hingehen solle, was er unternehmen könne. Aber jeden Plan, jede Wahl verwarf er wieder, überall sah er nur Unheil drohen. Auf jedem Weg, den er erwog, lag ein dunkler Schatten. Nur Rok war frei davon. Aber nach Rok konnte er nicht gehen, die starken, dichtgewobenen, uralten Wälle, die das gefährdete Eiland von allem Bösen beschützten, ließen ihn nicht nahe kommen. Daß der Rokwind sich gegen ihn erhoben hatte, war Beweis dafür, daß sein Verfolger nicht mehr weit von ihm entfernt war.

Körperlos war dieses Wesen, blind bewegte es sich im Sonnenlicht. Es kam aus einer Tiefe, wo Zeit und Raum aufgehoben sind, wo ewige Finsternis herrscht. Unbeholfen quälte es sich durch die Tage und über die Meere dieser sonnenhellen Welt. Nur in Träumen und in der Dunkelheit war es als Schatten erkennbar. Noch hatte es keinen Körper, noch war es kein Wesen, das vom Licht der Sonne erfaßt werden konnte; wie es im Hodlied geschrieben steht:

»Der Tag begann und schuf Land und Meer, aus der Schattenwelt löste er Wesen und Dinge, Träume trieb er zurück in das Reich der Finsternis.«

Aber sollte es dem Schatten gelingen, ihn einzuholen, dann konnte er ihm seine Macht entwinden, dann konnte er ihm Wärme und Leben aus seinem Körper saugen und ihn zum willenlosen Werkzeug machen.

Am Ende jedes Pfades, den er einzuschlagen erwog, drohte ihm dieses Unheil, und Ged wußte auch, daß er in sein Verderben gelockt werden konnte; denn der Schatten wurde immer mächtiger, je mehr er sich ihm näherte, und war vielleicht jetzt schon stark genug, um unheilbringende Mächte oder böse Menschen in seine Dienste zu zwingen — indem er ihnen Falsches vorspiegelte oder durch die Stimme eines Freundes zu ihnen sprach. Es konnte sein, daß er schon jetzt, in diesem Augenblick, von einem der Männer Besitz ergriffen hatte, die in dem großen dunklen Saal des Seeheims schliefen; und dort, in irgendeiner finsteren Seele, wartete das Unding und beobachtete Ged und genoß seine Schwäche, seine Unsicherheit, seine Furcht.

Er konnte es nicht mehr aushalten. Er mußte dem Zufall vertrauen und fliehen, wohin er ihn auch treiben möge. Im ersten Morgengrauen erhob er sich und ging unter den verblassenden Sternen hinunter zum Anlegeplatz von Serd, entschlossen, mit dem ersten besten Schiff, das ihn aufnahm, abzufahren. Eine Galeere wurde gerade mit Turbieöl beladen und sollte bei Sonnenaufgang nach Havnor ablegen. Ged fragte den Kapitän, ob er ihn mitnehmen könne. Ein Zauberer ist auf den meisten Schiffen willkommen und erhält freie Fahrt. Gern nahm man Ged an Bord, und kurz darauf stach das Schiff in See. Beim ersten Heben der Ruder fühlte sich Ged schon erleichtert, und die Trommelschläge, die den Ruderrhythmus bestimmten, waren Musik in seinen Ohren und füllten sein Herz mit neuem Mut.

Doch was er in Havnor tun und wohin er von dort aus fliehen sollte, das wußte er nicht. Sich nördlich zu halten, schien ihm nicht das schlechteste zu sein. Er war selbst vom Norden, und vielleicht fand er ein Schiff, das nach Gont segelte, und er konnte Ogion besuchen. Vielleicht fand er auch ein Schiff, das in die Außenbereiche fuhr, so weit hinaus, daß der Schatten ihn verlieren würde und die Jagd aufsteckte. Außer diesen vagen Ideen hatte er keine Pläne, auch sah er keinen bestimmten Weg vor sich liegen. Er wußte nur, daß er fliehen mußte.

Vor Sonnenuntergang des nächsten Tages hatte das von vierzig Rudern getriebene Schiff hundertfünfzig Meilen über die winterliche See zurückgelegt. Im Hafen von Orrimy an der Ostküste von Hosk legten sie an, denn diese Handelsschiffe des Innenmeers bleiben in Küstennähe und legen gern, wenn es sich einrichten läßt, über Nacht in Häfen an. Ged ging an Land, und er wanderte ziellos und in Gedanken verloren durch die engen steilen Gassen der Hafenstadt.

Orrimy ist eine sehr alte Stadt mit wuchtigen, aus Stein und Backstein gebauten Häusern. Sie ist mit einer Stadtmauer umgeben, die Schutz gegen die raubgierigen Fürsten des Inlandes bietet. Die Lagerschuppen glichen Festungen, und die Häuser der Kaufleute haben ebenfalls Türme und Mauern. Für Ged jedoch, der planlos durch die Straßen wanderte, waren die monströsen Villen nur Schleier, hinter denen leeres Dunkel gähnte, und die geschäftigen Menschen, die ihm begegneten, schienen nicht aus Fleisch und Blut zu sein, sondern nur stumme Schatten in menschlicher Gestalt.

Als die Sonne untergegangen war, kehrte er zum Schiff zurück, und selbst dort, im roten Abendlicht und in der frischen abendlichen Brise, schien die Welt trübe und von dumpfer Lautlosigkeit zu sein.

»Wohin gehen Sie, Herr Zauberer?«

Die Worte wurden plötzlich von hinten an ihn gerichtet. Ged drehte sich um und sah einen graugekleideten Mann vor sich stehen, der einen Stab trug, aber es war kein Zauberstab. Das Gesicht des Fremden war gegen das rote Abendlicht mit der Kapuze bedeckt, aber Ged spürte, wie er in die unsichtbaren Augen des Fremden blickte. Er trat einen Schritt zurück und hob seinen Stab zwischen sich und dem Fremden hoch.

Der Mann fragte gütig: »Wovor fürchten Sie sich?«

»Vor dem, das mich verfolgt.«

»O ja? Aber ich bin nicht Ihr Schatten.«

Ged gab keine Antwort. Er wußte, daß dieser Mann bestimmt nicht das war, was er fürchtete. Er war weder ein Schatten noch ein Geist, noch ein Gebbethgeschöpf. Inmitten dieser Welt, die Ged lautlos und trübe umgab, hatte dieser Mann seine Stimme behalten, auch seine Gestalt schien feste Umrisse zu haben. Nun schlug er seine Kapuze zurück. Sein Haupt war seltsam kahl und zerfurcht, und sein Gesicht trug verwitterte Züge. Obgleich seine Stimme nicht alt geklungen hatte, sah er aus wie ein alter Mann.

»Ich kenne Sie nicht«, sprach der Mann in Grau, »doch vielleicht ist es kein Zufall, der uns zusammenführt. Ich hörte einst vom Schicksal eines jungen Mannes mit vernarbtem Gesicht, der durch die Dunkelheit gehen mußte, um ein großes Reich zu gewinnen, hoch ist er gestiegen. Ob es Ihre Geschichte ist, das weiß ich nicht. Aber das will ich Ihnen sagen: Gehen Sie an den Hof von Terrenon, wenn Sie ein Schwert brauchen, mit dem Sie gegen Schatten kämpfen können. Ein Stab aus Eibenholz wird Ihnen wenig nutzen.«

Hoffnung und Mißtrauen kämpften in Geds Seele, als er den Worten lauschte. Ein Zauberer lernt bald, daß er nur selten Leute aus Zufall trifft. Ein gutes oder böses Geschick hat meist die Hand im Spiel dabei.

»In welchem Land befindet sich der Hof von Terrenon?«

»In Osskil.«

Beim Klang dieses Namens sah Ged einen kurzen Augenblick lang vor seines Geistes Auge einen schwarzen Raben auf grünem Rasen hocken, der ihn aus blanken Augen von der Seite her ansah und zu ihm sprach. Die Worte jedoch konnte er nicht hören.

»Dies Land hat einen unheilvollen Namen«, sagte Ged, und den Mann unverwandt im Auge behaltend, versuchte er, ihn abzuschätzen. Es umgab ihn etwas, das auf einen Zauberer, selbst auf einen stabtragenden Zauberer, schließen ließ. Er sprach mit sicherer, fester Stimme, und doch lag etwas Gedrücktes, Unbestimmtes in seinem Wesen, fast wie ein Kranker sah er aus, oder wie ein Gefangener oder Sklave.

»Sie sind von Rok«, antwortete er. »Die Zauberer dort nennen alle Zaubereien, die nicht von ihnen kommen, unheilvoll.«

»Wer sind Sie?«

»Ein Reisender, ein Handelsvertreter aus Osskil. Ich bin geschäftlich hier«, sagte der Mann in Grau. Als Ged keine weiteren Fragen an ihn richtete, wünschte er ihm freundlich eine gute Nacht und stieg die Stufen der engen Gasse oberhalb der Piers hinauf.

Ged wandte sich um, unentschlossen, ob er dem Ratschlag folgen solle oder nicht. Er blickte nach Norden. Das rote Licht auf den Bergen und über der windigen See war erloschen. Graue Dämmerung hüllte alles ein, und die Nacht folgte ihr auf den Fersen.

Plötzlich entschlossen, lief Ged am Ufer entlang zu einem Fischer, der in seinem kleinen Boot stehend Netze zusammenlegte, und rief ihm zu: »Wissen Sie, ob hier im Hafen ein Schiff liegt, das nach Norden fahrt — nach Semel oder in die Enladen?«

»Das Langschiff dort drüben ist von Osskil, vielleicht hält es irgendwo in den Enladen an.«

Ged eilte weiter. Er rannte auf das Schiff zu, auf das der Fischer gezeigt hatte. Es war ein Langschiff mit sechzig Rudern und lag wie eine Schlange auf dem Wasser. Der hohe Bug war mit Schnitzereien und eingelegten Lotosmuscheln verziert; die Ruderluken waren rot gestrichen, und auf jeder war die Rune Sifl schwarz eingeritzt. Gefährlich und schnell sah es aus, abfahrbereit lag es am Kai, und die Mannschaft war schon an Bord. Ged suchte den Kapitän auf und fragte ihn, ob er nach Osskil mitfahren könne.

»Haben Sie Geld?«

»Ich bin im Wind- und Wettermachen bewandert.«

»Ich bin selbst Wettermacher. Haben Sie nichts? Kein Geld?«

Die Inselleute von Untertorning zahlten Ged, so gut sie es vermochten, mit den Elfenbeinmarken, die unter den Händlern des Inselreichs in Umlauf waren. Er hatte nur zehn davon genommen, obwohl sie ihm mehr geben wollten. Diese bot er nun dem Mann von Osskil an, aber der schüttelte den Kopf. »Diese Marken benutzen wir nicht. Wenn Sie nichts anderes zu zahlen haben, kann ich Sie nicht mitnehmen.«

»Brauchen Sie noch Ruderer? Ich habe Erfahrung, ich habe schon auf einem Schiff gerudert.«

»Ja, das ginge. Uns fehlen zwei Leute. Suchen Sie sich Ihren Platz auf der Bank«, sagte der Kapitän und kümmerte sich nicht weiter um Ged.

So kam es, daß Ged, nachdem er seinen Stab und seine Bücher unter dem Sitz verstaut hatte, zehn bittere Wintertage lang Ruderer auf diesem Schiff des Nordens wurde. Bei Tagesanbruch verließen sie Orrimy, und an diesem ersten Tag war Ged fast sicher, daß er den Anstrengungen nicht gewachsen sein würde. Sein linker Arm war von den alten Wunden in seiner Schulter noch etwas gelähmt, und obwohl er viel in den Kanälen von Untertorning herumgerudert war, so konnte man dieses Vergnügungsrudern doch kaum vergleichen mit dem anstrengenden, unaufhörlichen Ziehen an der langen Ruderstange zum gleichmäßigen Takt der Trommel. Alle zwei bis drei Stunden wurden sie von einer neuen Schicht abgelöst, aber das Ausruhen schien Ged gerade lang genug zu sein, um seine Muskeln völlig erstarren zu lassen, bevor es ans Weiterrudern ging. Der zweite Tag war fast noch schlimmer als der erste, aber dann gewöhnte er sich an die harte Arbeit, und sie fiel ihm etwas leichter.

Die Geselligkeit, die auf der Schatten die Fahrt nach Rok damals so unterhaltend gemacht hatte, fehlte auf diesem Schiff. Die Männer, die auf gontischen oder andradischen Schiffen arbeiten, sind am Gewinn beteiligt und arbeiten auf einen gemeinsamen Gewinn hin. Die Handelsschiffe von Osskil dagegen verwenden Sklaven oder Lehnsleute oder sie stellen Leute ein, denen sie ihre Löhne in kleinen Goldstücken auszahlen. Gold gilt nämlich als etwas ganz Besonderes in Osskil. Aber das Gold macht sie nicht froh, und es kommt nie eine Kameradschaftlichkeit unter ihnen auf, genausowenig wie unter den Drachen, die ja ebenso goldgierig sind. Da die Hälfte der Mannschaft aus Unfreien bestand, die zur Arbeit gezwungen wurden, waren die Vorgesetzten meist nichts anderes als Sklaventreiber, die sich keineswegs durch Milde auszeichneten. Ihre Peitschen vermieden zwar die Rücken der Leute, die für Besoldung ruderten, aber zwischen Menschen, die ausgepeitscht und solchen, die davor verschont werden, kann keine Freundschaft aufkommen. Sie redeten nur sehr wenig untereinander, und zu Ged sprachen sie überhaupt nicht. Die meisten kamen aus Osskil und sprachen kein reines Hardisch wie am Innenmeer, sondern hatten ihren eigenen Dialekt. Es waren meist mürrische Gesellen mit bleichen Gesichtern, dünnen, schwarzen Schnurrbärten und fettigem Haar. Ged nannten sie Kelub, übersetzt heißt das »der Rote«. Obwohl sie wußten, daß er ein Zauberer war, erwiesen sie ihm keinerlei Respekt, sondern waren eher auf eine heimtückische Weise gehässig. Ihm selbst lag nichts daran, Freunde zu gewinnen. Selbst wenn er auf der Bank saß und an dem gewaltigen Rhythmus des Ruderns teilnahm, einer unter sechzig, die das Schiff pfeilschnell über das öde graue Meer dahinjagten, selbst dann fühlte er sich seinem Schicksal schutzlos preisgegeben. Kamen sie abends in einen fremden Hafen, so wickelte er sich todmüde in seinen Umhang und versuchte zu schlafen, aber gequält von Träumen wachte er immer wieder auf. Es waren schlimme Träume, an die er sich, wenn er wach wurde, nicht mehr erinnern konnte, aber sie schienen mit dem Schiff und den Menschen auf dem Schiff zusammenzuhängen, so daß er jedermann gegenüber mißtrauisch war.

Die Freien auf Osskil trugen lange Messer an der Seite, und eines Tages, als Ged mit seiner Schicht zu Mittag aß, fragte ihn einer: »Was bist du, Sklave oder Eidbrüchiger?«

»Keines von beiden.«

»Warum hast du dann kein Messer? Bist du zu feige zum Kämpfen?« höhnte der Mann, der Skihor hieß.

»Nein.«

»Kämpft dein kleiner Hund für dich?«

»Otak«, sagte einer der Zuhörer, »ist nicht Hund, ist Otak.« Und er fügte etwas auf Osskilisch hinzu, worauf sich Skihors Gesicht verdunkelte und er sich zur Seite drehte. Als er sich abwandte, glaubte Ged in seinem Gesicht eine Veränderung wahrzunehmen, ein Verzerren und Verziehen der Miene, als ob etwas in ihm vor sich ginge, ihn lenke und aus seinen Augen Ged von der Seite her musterte. Aber gleich darauf sah Ged ihn wieder von vorne, und er sah genauso aus, wie er immer ausgesehen hatte, so daß Ged glaubte, seine eigene Furcht und sein eigenes Grauen in den Augen des andern gesehen zu haben. Aber in der folgenden Nacht träumte Ged wieder, und Skihor kam in diesen Träumen vor. Von nun an versuchte er, Skihor zu meiden, und es schien, als ob der sich um das Gleiche bemühte. Es kam zu keinem Wortwechsel mehr zwischen ihnen.

Die schneebedeckten, im Nebel des frühen Winters leicht verschwommenen Berge von Havnor versanken am südlichen Himmel hinter ihnen. Sie ruderten an der Mündung der Éasee vorbei, dort, wo vor vielen, vielen Jahren Elfarran ertrunken war, und sie passierten die enladische Inselgruppe. Zwei Tage verbrachten sie in Berila, der Elfenbeinstadt, die sich im Westen der sagenumwobenen Insel Enlad weißschimmernd über die Bucht erhebt. Die Mannschaft durfte in keinem der Häfen, an denen sie anlegten, an Land gehen. Als sich die rote Morgensonne erhob, ruderten sie hinaus auf das osskilische Meer gegen die Nordwinde, die, von keiner Insel behindert, ungestüm aus der endlosen Weite des Nordbereiches blasen. Aber sie brachten ihre Fracht unbeschädigt durch die stürmische See, und sie erreichten zwei Tage, nachdem sie Berila verlassen hatten, den Hafen von Neschun, der Handelsstadt von Ostosskil.

Ein starker Wind trieb den kalten Regen über flaches Küstenland. Eine graue Stadt drängte sich hinter der niedrigen, aus Steinen gebauten Hafenmauer, und dahinter erhoben sich kahle, baumlose Berge unter dunklen, schneebeladenen Wolken. Die Sonne des Innenmeeres lag weit hinter ihnen.

Die Hafenarbeiter der Schiffszunft von Neschun kamen an Bord und begannen die Ladung zu löschen. Sie bestand aus Gold, Silber, Geschmeide, wertvollen Seidenstoffen und Wandteppichen aus dem Süden, alles Dinge, die von den Fürsten auf Osskil gehortet werden. Die Freien unter der Mannschaft wurden entlassen. Ged hielt einen von ihnen an und fragte ihn nach dem Wege. Sein Mißtrauen gegenüber der Mannschaft war so groß gewesen, daß er bis jetzt noch keinem gesagt hatte, wo er hinwolle, aber jetzt, allein und auf fremdem Boden stehend, mußte er doch um Auskunft bitten. Der Mann aber zuckte nur ungeduldig die Achseln und sagte, ohne anzuhalten, daß er ihm nicht helfen könne, aber Skihor, der Geds Frage mitgehört hatte, antwortete: »Der Hof von Terrenon? Der liegt am Keksemtmoor, ich gehe auch in dieser Richtung.«

Skihor wäre der letzte gewesen, den Ged als Gefährten gewählt hätte, aber da er weder der Sprache noch des Weges kundig war, blieb Ged keine andere Wahl, als mit ihm zu gehen. Im Grunde war es ja auch egal, dachte er, denn es war nicht sein Entschluß gewesen, hierherzukommen. Etwas hatte ihn hierhergetrieben und trieb ihn nun weiter. Er zog seine Kapuze über den Kopf, griff nach Stab und Bündel und folgte dem Mann von Osskil durch die Straßen der Stadt hinauf in die schneebedeckten Hügel. Der kleine Otak hockte nicht auf seiner Schulter, sondern hatte sich in die Tasche seines Schafspelzwamses unter seinem Umhang verkrochen, was er immer tat, wenn es kalt war. Die Hügel verloren sich in dem düster und dunkel verhangenen Moor, das sich vor ihnen erstreckte, so weit das Auge reichte. Schweigend gingen sie den Pfad entlang, und schweigend lag das Land unter dem winterlichen Himmel.

»Wie weit ist es noch?« fragte Ged, nachdem sie einige Meilen zurückgelegt hatten, ohne ein Dorf oder ein Bauernhaus zu erblicken. Er war besorgt, denn sie hatten keine Nahrung bei sich. Skihor, seine Kapuze ebenfalls hochziehend, drehte sich kurz um und sagte: »Nicht weit.« Sein Gesicht war bleich und abstoßend häßlich, mit groben, rohen Zügen, aber Ged fürchtete sich vor keinem Menschen, höchstens vor dem Ort, an den ihn ein solcher Mensch führen konnte. Er nickte, und sie gingen weiter. Der Weg war wie eine Narbe in der dünnen Schneedecke zwischen den kahlen Büschen dieser Öde. Ab und zu sah man Spuren im Schnee, die ihren Pfad überquerten oder zur Seite abbogen. Da der aus den Schornsteinen von Neschun aufsteigende Rauch von den Hügeln verdeckt wurde, die im späten Licht des Nachmittags hinter ihnen verschwammen, gab es keinen Anhaltspunkt mehr, wohin der Weg führte und woher sie gekommen waren. Nur der Wind blies ständig aus dem Osten. Als sie mehrere Stunden gewandert waren, glaubte Ged weit in der Ferne auf den Hügeln, die gegen Nordwesten vor ihnen lagen, eine winzige Schramme, weiß wie ein Zahn, wahrzunehmen, die sich vom Himmel abhob. Aber die Tage waren schon kurz, und das Licht ließ rasch nach, und auf der nächsten Erhöhung sah Ged das Ding, ob Turm oder Baum oder sonstwas, nicht klarer als zuvor. »Gehen wir dorthin?« fragte er und deutete auf den fernen Punkt.

Aber Skihor antwortete nicht, sondern trottete weiter in seinem grobgewebten Umhang mit der spitzen, pelzbesetzten, typisch osskilischen Kapuze. Ged schritt an seiner Seite. Weit waren sie schon gelaufen, und Müdigkeit durchzog seine Glieder von dem stetigen Gehen und von der harten Arbeit, die er während der vergangenen zehn Tage auf dem Schiff hatte verrichten müssen. Es kam ihm vor, als sei er schon ewig neben diesem schweigsamen Wesen hergelaufen und als müsse er in alle Ewigkeit so weitergehen, in einem lautlosen Land, über das die Dunkelheit sich senkte. Seine Wachsamkeit erlahmte, der Zweck seiner Reise wurde unklar. Er ging wie in einem endlosen Traum, ohne Ziel.

Der Otak bewegte sich in seiner Tasche, und eine leichte, vage Furcht begann, sich in Ged zu regen. Er zwang sich zum Reden: »Dunkelheit kommt und Schnee. Wie weit noch, Skihor?«

Minuten verstrichen, dann antwortete der andere, ohne sich umzuwenden: »Nicht weit.«

Aber seine Stimme klang nicht menschlich, sondern wie die eines Tieres, das stimmlos und ohne Lippen versucht, Laute auszustoßen.

Ged blieb stehen. Ringsum dehnten sich die kahlen Hügel im späten, dämmrigen Licht des Tages. Schnee fiel spärlich, lautlos. »Skihor!« sagte er, und der andere hielt an und wandte sich ihm zu. Unter der spitzen Kapuze war kein Gesicht.

Bevor Ged ein Wort sprechen oder seine Macht sammeln konnte, sagte das Gebbeth in seiner tonlosen, rauhen, knurrenden Stimme: »Ged!«

Nun konnte der junge Mann keinen Verwandlungszauber mehr wirken, sondern war in seinem eigensten Wesen gefangen und dem Gebbeth schutzlos preisgegeben. Auch Hilfe konnte er in diesem unbekannten Land, wo ihm alles und alle fremd waren, nicht herbeirufen, keiner würde zu ihm kommen. Hier stand er, allein, und nur der Stab aus Eibenholz, den seine rechte Hand umklammert hielt, war zwischen ihm und seinem Feind.

Das Wesen, das Skihors Geist vernichtet und seinen Körper angenommen hatte, machte einen Schritt auf Ged zu; seine Arme streckten sich suchend nach ihm aus. Entsetzen und Wut füllten Ged, und er schwang seinen Stab in die Höhe und ließ ihn pfeifend auf die Kapuze, unter der das Schattenwesen verborgen war, heruntersausen. Kapuze und Umhang fielen unter diesem harten Schlag zusammen, als wären sie mit Wind gefüllt gewesen; sich krümmend und um sich schlagend, erhob es sich wieder. Der Körper eines Gebbeth besitzt keine greifbaren Substanzen, er ist nur eine Hülle oder ein Dunst in menschlicher Gestalt, ein unwirklicher Körper, der einen wirklichen Schatten umschließt. Ruckend und zuckend, wie vom Wind geschüttelt und aufgeblasen, breitete der Schatten seine Arme wieder aus und kam auf Ged zu, um ihn zu packen, wie er es damals auf dem Rokkogel getan hatte. Gelänge ihm das, dann würde er die Hülle von Skihor abwerfen und in Ged schlüpfen und ihn von innen heraus verschlingen, um ihn ganz zu besitzen, denn das war sein ausschließliches Trachten. Ged schlug wieder auf ihn ein mit dem schweren Stab, der Feuer gefangen hatte und glühte, und er trieb ihn zurück, aber er kam wieder vorwärts, und wiederum schlug ihn Ged, aber dann mußte er den lodernden, rauchenden Stab fallen lassen, denn seine Hand war durch Brandwunden verletzt. Ged trat zurück, dann drehte er sich blitzschnell um und rannte davon.

Er rannte, und nur ein paar Schritte hinter ihm rannte das Gebbeth, das ihn zwar nicht einholen, dem er aber auch nicht entkommen konnte. Ged blickte nicht einmal zurück. Er rannte unentwegt weiter durch das weite dämmernde Land, in dem es kein Versteck gab. Einmal hörte er, wie das Gebbeth ihn mit krächzender Stimme beim Namen rief, und er wußte, daß er diesem Ding gegenüber keine Zauberkräfte besaß. Das Gebbeth aber hatte keine Macht über seine körperlichen Kräfte und konnte ihn nicht zwingen, einzuhalten. Er rannte und rannte, und die Lunge brannte ihm in der Brust bei jedem Atemzug.

Die Nacht schloß sich um den Verfolgten und den Verfolger. Feiner Schnee deckte den Pfad zu, den Ged kaum mehr erkennen konnte. Sein Blut hämmerte hinter seinen Schläfen, sein Atem stach heiß in seiner Kehle, er konnte nicht mehr richtig laufen; er stolperte und strauchelte, doch sein unermüdlicher Feind schien nicht in der Lage zu sein, ihn einzuholen, er folgte ihm nur hart auf den Fersen. Das Gebbeth hatte angefangen, ihm zuzuflüstern und zuzuraunen. Es rief ihn zu sich, und jetzt wußte er, daß diese Stimme sein ganzes Leben lang in seinen Ohren gewesen war, daß sie gerade unterhalb der Grenze des Hörbaren gelegen hatte, aber jetzt konnte er sie vernehmen, und er mußte nachgeben, er mußte auf sie hören, er mußte anhalten. Aber er quälte sich weiter, er schleppte sich einen langen, kaum sichtbaren Hang hinauf. Dort, irgendwo vor ihm, glaubte er ein Licht wahrzunehmen, und es schien ihm, als riefe ihm eine Stimme zu von dort vorne, irgendwo über ihm: »Komm, komm!«

Er versuchte zu antworten, aber seine Stimme versagte ihm. Das schwache Licht wurde deutlicher, es fiel durch eine Toreinfahrt direkt vor ihm. Mauern konnte er nicht sehen, nur das Tor. Bei seinem Anblick hielt er an, und das Gebbeth riß seinen Umhang an sich und fingerte an seinen Seiten herum, um ihn von hinten zu packen. Ged raffte seine letzte Kraft zusammen und warf sich durch das schwach schimmernde Tor. Er versuchte noch, sich umzudrehen und das Tor hinter sich zuzuschlagen, damit das Gebbeth nicht hereinkomme, aber seine Kräfte verließen ihn. Er taumelte und griff nach einem Halt. Licht fiel auf ihn und verschwamm vor seinen Augen. Er fühlte, wie er hinfiel, und im Fallen merkte er noch, wie er aufgefangen wurde; aber er war völlig erschöpft, und seine Sinne schwanden ihm.

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