Fünf

Ihr Assistent Mehmet Togo meldete sich schließlich, als Icenis Kreuzer wieder in einen Orbit um den Planeten einschwenkte. »Es hat eine Weile gedauert, die Sperren in den Systemen zu überwinden, die vom ISD installiert worden sind«, erklärte er.

»Haben es irgendwelche Schlangen bis in meinen Bürokomplex geschafft?«

»Nein, Madam CEO. Mehrere Schlangen näherten sich gerade dem Eingang, als ihnen Bodenstreitkräfte entgegentraten.« Togo lächelte nicht, aber seine Augen ließen Schadenfreude erkennen. »Weiter sind die Schlangen dann auch nicht gekommen.«

»Befinden sich irgendwelche Bodenstreitkräfte in meinem Bürokomplex oder unmittelbar davor?«

»Die nächsten Bodenstreitkräfte sind draußen auf der Straße unterwegs. Sie sind damit beschäftigt, die Menschenmengen unter Kontrolle zu halten«, antwortete Togo. Wären Soldaten bei ihm gewesen, die außerhalb des von der Kamera erfassten Bereichs standen und ihre Waffen auf ihn richteten, hätte er einen Code verwendet und den Satz »Es ist alles in bester Ordnung« verwendet. Doch dieser Satz war nicht gefallen, schließlich war unter normalen Umständen niemals alles in Ordnung, denn es gab immer irgendein Problem.

»In weniger als einer halben Stunde komme ich mit einem Shuttle runter. Vor meinem Eintreffen will ich einen umfassenden Bericht über alles haben, was CEO Drakon treibt. Und ich will die Gewissheit haben, dass wir den gleichen umfassenden Zugriff auf alle Überwachungs- und Lautsprecheranlagen haben wie er.«

»Ja, Madam CEO.«

»Ich sende Ihnen ein paar Dateien von unserem Gefecht hier oben, bei dem wir CEO Kolanis Streitmacht geschlagen haben. Sorgen Sie dafür, dass die Bevölkerung diese Aufzeichnungen zu sehen bekommt und davon erfährt, dass meine Streitmacht ein orbitales Bombardement verhindert hat. Die Bürger sollen nach oben sehen und wissen, dass sie mir zu verdanken haben, dass die in diesem System verbleibenden Kriegsschiffe hier sind, um sie zu beschützen, nicht um sie zu bedrohen.«

»Eine gute Formulierung, Madam CEO. Ich werde sicherstellen, dass diese Nachricht von jedem gehört werden kann, noch bevor Ihr Shuttle gelandet ist.«

Iceni verzog missmutig den Mund. Es war ein langer Tag gewesen, und er war noch längst nicht vorbei. Es gab zu viele Variablen, die sie in Erwägung ziehen musste, gleichzeitig aber auch zu viele unbekannte Faktoren. Wenigstens lebte Togo noch, und Drakons Soldaten hatten sich nicht in ihrem Büro eingenistet. Falls Drakon tatsächlich vorhatte, die ganze Macht an sich zu reißen, dann ging er derzeit nicht allzu offensichtlich und forsch vor.

Vielleicht sollte sie noch mit ihm reden, bevor sie auf die Planetenoberfläche zurückkehrte, wo sie für Drakons Soldaten greifbar sein würde. Iceni wollte eben nach ihren Kontrollen greifen, da meldete sich endlich die C-625 von ihrer Position nahe dem Gasriesen.

Die Frau, die die Nachricht übermittelte, war nicht die Befehlshaberin der C-625, und sie trug den gleichen Anzug wie die verhassten Schlangen. Zwei böse Omen, deren gravierende Konsequenzen sich gleich darauf bestätigen sollten. »Hier spricht die ISD-Executive Jillan, ich wende mich an die Verräterin Iceni. Die vormalige Befehlshaberin dieser mobilen Streitkräfte sowie mehrere ihrer Executives wurden wegen Verrats hingerichtet. Der ISD hat die vorübergehende direkte Kontrolle über diese Einheit übernommen und wird nur auf Befehle von CEO Hardrad und CEO Kolani reagieren. Für das Volk. Jillan, Ende.«

Verdammt. Entweder waren die Schlangen an Bord der C-625 besonders wachsam und bereit zum sofortigen Zuschlagen gewesen, oder aber die Befehlshaberin und die Executives hatten zu lange gebraucht, um sich zu entscheiden. Iceni tippte die Befehlstaste, um auf die Nachricht zu antworten. »An die ISD-Executive Jillan und an das gesamte Personal an Bord der C-625 sowie an die übrigen mobilen Streitkräfte in der Zentraleinrichtung der mobilen Streitkräfte: Hier spricht CEO Iceni. CEO Hardrad und CEO Kolani sind tot. Sämtliches ISD-Personal in diesem Sternensystem ist ebenfalls tot. Ich habe die alleinige Kontrolle über die verbliebenen mobilen Streitkräfte, und mein Verbündeter CEO Drakon hat die vollständige Kontrolle über die Oberfläche des bewohnten Planeten. Dieses Sternensystem ist jetzt unabhängig von den Syndikatwelten, sodass der ISD hier keine Autorität mehr besitzt. Ich fordere Sie zur Kapitulation auf. Wenn Sie dieser Forderung nachkommen, werde ich garantieren, dass sämtliches ISD-Personal an Bord der C-625 und der begleitenden Einheiten unbehelligt dieses Sternensystem verlassen darf. Ich erwarte eine umgehende Antwort. Für das Volk. Iceni, Ende.«

Akiri fragte zwar nichts, aber sie war sich sicher, dass er und Marphissa sich unabhängig voneinander diese Nachricht angehört hatten, um zu wissen, wie ihre Vorgesetzten vorzugehen gedachten.

Iceni wandte sich ihnen zu und sagte in einem Tonfall, der den Eindruck erwecken sollte, als wüsste sie nicht, dass die beiden sehr wahrscheinlich längst eingeweiht waren: »Die Schlangen kontrollieren die C-625.«

»Sollen wir einen Abfangkurs berechnen?«, fragte Marphissa.

Sofort schüttelte Akiri den Kopf. »So weit, wie sie noch von uns entfernt sind, können sie uns bequem ausweichen, und dann bekommen wir sie nie zu fassen.«

»Irgendwelche anderen Optionen?«, fragte Iceni.

Akiri hielt kurz inne, dann sah er zu Marphissa, die gleich darauf mit einer hilflosen Geste reagierte. »Wir können sie nicht zu fassen bekommen«, stimmte sie zu. »Es sei denn, sie beschließen, sich einen Kampf mit uns zu liefern. Aber das ist sehr unwahrscheinlich. Das ISD-Personal an Bord der C-625 besitzt keinerlei Gefechtserfahrung. Die wissen nicht mal, wie man diesen Kreuzer richtig steuert.«

»Sie könnten die Steuerung und die Feuerbefehle von den automatischen Systemen des Schiffs erledigen lassen«, meinte Akiri. »Ihnen muss klar sein, dass ein solcher Angriff einem Selbstmord gleichkommt, aber wir können nicht davon ausgehen, dass ihnen auch klar ist, wie sinnlos so etwas wäre.«

Iceni nickte bedächtig. »Ein gutes Argument. Ich habe sie zur Kapitulation aufgefordert, aber darauf werden sie nicht eingehen. Sie werden Kurs auf das Hypernet-Portal nehmen.« Sowohl Marphissa als auch Akiri schauten sie überrascht an. »Die Schlangen, die die Kontrolle über die C-625 erlangt haben, sind nicht so wie CEO Kolani. Sie trugen keine Verantwortung für die Kontrolle dieses ganzen Sternensystems. Ihre Verantwortung ist die Kontrolle über die C-625, und die haben sie ja. Sie können nach Prime zur Zentralregierung zurückkehren und von ihrem persönlichen Triumph berichten, wie auch vom Scheitern ihrer Vorgesetzten. Und genau das werden sie tun.«

Akiri gab Daten in die Steuersysteme ein. »Wenn sie Kurs auf das Hypernet-Portal nehmen, können wir sie trotzdem nicht aufhalten. Dafür ist ihr Vorsprung viel zu groß. Der zivile Transporter zu dem Portal, der als Kurier zur Verfügung steht, kann gegen den Kreuzer auch nichts ausrichten. Sie könnten die Verteidigungseinheiten rund um das Hypernet-Portal anweisen, sich der C-625 in den Weg zu stellen, wenn sie nahe genug ist. Aber dann besteht die Gefahr, dass man das Feuer auf sie eröffnet und dabei das Portal beschädigt.«

Nachdem sie sich die Situation kurz durch den Kopf hatte gehen lassen, zuckte Iceni mit den Schultern. »Das ist es nicht wert, dafür das Risiko einzugehen, dass das Portal Schaden erleidet. Sagen Sie dem Handelsschiff, es soll sich von der C-625 fernhalten, falls sie tatsächlich Kurs auf das Portal nimmt. Wir haben nichts davon, wenn wir das Schiff verlieren.«

»Können wir wirklich davon ausgehen«, warf Marphissa ein, »dass die Schlangen an Bord der C-625 nicht auch noch versuchen werden, den Planeten zu bombardieren? Ein einzelner Schwerer Kreuzer hat zwar nicht allzu viele Projektile an Bord, aber es genügt immer noch, um auf dem Planeten einigen Schaden anzurichten.«

Iceni dachte wieder nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Schlangen folgen strenger Disziplin, die sie dazu anhält, exakt das zu tun, was von ihnen verlangt wird, aber kein bisschen mehr. Sie haben keinen Befehl erhalten, Städte auf dem Planeten zu bombardieren. Es könnte genau das Verkehrte sein, weite Teile dieser Welt zu verwüsten. Und da sie niemanden haben, der ihnen sagt, dass sie ein Bombardement beginnen sollen, werden sie vorsichtshalber gar nichts tun und stattdessen nach Prime zurückkehren, um diese Entscheidung ihren Vorgesetzten zu überlassen.«

Die Art, wie Marphissa die Mundwinkel verzog, verriet Iceni, dass sie genau wusste, dass sich dieses Konzept der strikten Disziplin nicht auf die Schlangen beschränkte. Allerdings war sie auch klug genug, den Mund zu halten.

»Geben Sie mir Bescheid, sobald C-625 die Einrichtung der mobilen Streitkräfte verlässt«, befahl Iceni und widmete ihr Interesse einer bestimmten Mailbox, die sich als unverändert leer entpuppte. Ihre Quelle in Drakons Nähe wusste nichts zu berichten, oder aber es war ihr angesichts der sich überstürzenden Ereignisse nicht möglich, sich durch die zahlreichen, komplexen Schritte zu arbeiten, die notwendig waren, um etwas an die Mailbox zu schicken, ohne dass sich nachvollziehen ließ, wer der Absender war. Oder aber ihre Quelle war enttarnt und von Drakon sprichwörtlich trockengelegt worden. Keine Nachrichten konnte bedeuten, dass es nichts zu befürchten gab, aber das genaue Gegenteil davon konnte ebenso gut der Fall sein.

Sie nahm Kontakt zu Drakon auf.

Drakons Rückmeldung benötigte aufreizend lange, aber dann meldete er sich endlich bei ihr. Er trug immer noch seinen Gefechtspanzer. Wollte er ihr damit irgendeine Botschaft übermitteln?

»Schön, dass es Sie auch noch gibt«, sagte er.

»Nett von Ihnen, das so zu formulieren. Es freut mich, dass Sie noch Zeit für mich finden, wo Sie doch so sehr damit beschäftigt sind, überall Ihre Kontrolle über den Planeten zu demonstrieren.«

Drakon lächelte flüchtig. »Es gab Angelegenheiten, um die wir uns kümmern mussten. Ich habe gehört, Sie haben ebenfalls gesiegt. Was ist mit Kolani?«

»Tot.«

»Das macht alles etwas einfacher.«

»Ja«, pflichtete sie ihm bei. »Da Hardrad auch tot ist, haben wir die Zahl der CEOs in diesem Sternensystem halbieren können.«

Seine Miene nahm einen härteren Ausdruck an. »Wollen Sie damit andeuten, dass es ein nochmaliges Halbieren geben sollte?«

»Das ist nicht mein Wunsch.«

»Mir ist durchaus bewusst, dass Sie mich jetzt nicht mehr brauchen, nachdem der Planet von den Schlangen befreit worden ist. Sie haben die Vereinbarung mit Black Jack getroffen, und Sie kontrollieren die mobilen Streitkräfte. Ich kann Ihnen nichts tun, aber Sie können mir den ganzen Tag lang Steine auf den Kopf werfen. Tun wir bitte nicht so, als würde es sich anders verhalten.«

Sekundenlang musterte sie Drakons Gesicht, ehe sie entgegnete: »Jeder von uns hatte seine eigenen Gründe für diese Rebellion gegen die Syndikatwelten.«

»Wir hatten keine andere Wahl, nachdem der Befehl für Hardrad eingegangen war, er solle unsere Loyalität überprüfen. Wir mussten zusammenarbeiten, sonst wäre es in diesem Sternensystem genauso zu einem Bürgerkrieg gekommen wie in so vielen anderen Systemen. Wir konnten nur von Glück reden, dass wir mit unserer Planung so weit fortgeschritten waren.«

»Die Bedeutung des Glücks habe ich nie unterschätzt«, sagte Iceni. »Ich unterschätze auch nicht den Wert der Leute, die mich nicht verraten, obwohl sie die Gelegenheit dazu haben.«

Drakon lachte auf. »Wenn es einem von uns darauf angekommen wäre, hätte jeder von uns mehr als genug gegen den anderen in der Hand gehabt.«

»Ich hätte Ihnen nichts nachweisen können, das auch nur annähernd so gravierend war wie meine Vereinbarung mit Black Jack.«

»Ja«, stimmte er ihr zu. »Ein Handel mit der Allianz hätte den Schlangen ganz sicher nicht gefallen.«

»Den Handel habe ich mit Black Jack geschlossen, nicht mit der Allianz«, stellte sie klar.

»Wo ist da der Unterschied?«

»Das weiß ich momentan selbst nicht so genau«, musste Iceni eingestehen. »Auf jeden Fall war die Abmachung das Risiko wert. Wir mussten Gewissheit haben, dass Black Jack nicht auf einmal hereinplatzt und die Haltung der Syndikatwelten unterstützt. Außerdem musste ich andeuten können, dass unser Handeln seinen Rückhalt genießt. Es ist von unschätzbarem Wert, erklären zu können, dass Black Jack weiß, was wir tun, dass er sich nicht einmischen wird und auch eine Einmischung Dritter nicht dulden wird.«

»Ist das exakt das, womit Black Jack sich einverstanden erklärt hat?«, wollte Drakon wissen.

Ohne zu zögern lächelte sie und antwortete: »Natürlich.«

»Das sind ziemlich gewichtige Zugeständnisse, die er da gemacht hat. Ich frage mich, warum er so schnell dazu bereit war.«

Dieses Mal hob sie die Schultern. Sie hatte nicht vor, Drakon zu verraten, dass sie in ganz erheblichem Maß übertrieben hatte, was Black Jacks Rückhalt ihrer Aktionen anging. »Vielleicht hatte er ja diesen Mechanismus wirklich so dringend nötig, um zu verhindern, dass irgendwelche Hypernet-Portale kollabieren. Vielleicht wollte er auch nur für spätere Zeiten etwas gegen uns in der Hand haben. Damit können wir uns immer noch befassen, wenn es notwendig wird. Erst mal haben wir uns unserer Herren und Meister entledigt. Egal, was die Regierung auf Prime plant, es wird eine Weile dauern, bis wir eine Reaktion zu sehen bekommen. Das verschafft uns jetzt erst einmal Luft.«

»Das tut es ganz sicher nicht«, widersprach er und deutete mit einer vagen Geste auf das, was sich draußen abspielte. »Momentan sind die Bürger zufrieden und glücklich, aber ich hatte verdammt viel Arbeit damit, zu verhindern, dass die öffentliche Ordnung zusammenbricht. Unsere eigene Bevölkerung droht, sich gegen uns zu erheben, wenn wir nicht richtig mit ihr umgehen. Dass wir die Rebellion selbst in die Hand genommen haben, war unsere einzige Chance, aber ich glaube, das Prinzip ›gleiche Führer, gleiche Regeln, andere Titel‹ wird nicht lange durchhalten, weil die Bürger dieses Spiel im Handumdrehen durchschauen werden.«

Iceni zog die Brauen zusammen. »Wir haben die Werkzeuge und die Taktiken, die die Schlangen zurückgelassen haben. Wir können jeden eliminieren, der versuchen sollte, die Bevölkerung gegen uns aufzuhetzen.«

»Damit sind die Schlangen und die Syndikatwelten lange Zeit gut gefahren, bis dann auf einmal Schluss war«, betonte Drakon. »Ich kann jeden Unruhestifter identifizieren. Mit der Überwachungssoftware ist es ein Kinderspiel, jeden Rädelsführer anhand seiner Kommunikationsmuster ausfindig zu machen. Und ich werde diese Leute dingfest machen, sobald sie irgendwo auftauchen. Aber sie werden dazulernen. Wie viele verschiedene Methoden kennen Sie und ich, mit denen wir uns der Überwachung durch die Schlangen entzogen haben?«

»Zu viele.«

»Sie und ich, wir beide wissen, wie viele Aktivitäten sich im Untergrund abspielen. Wir wissen, es existiert für alles und jedes ein Schwarzmarkt. Wenn sich ein Widerstand bildet, der sich dieser Techniken bedient, dann wird es verdammt schwer werden, diese Leute aufzuspüren. Wir benötigen zumindest die passive Unterstützung der Mehrheit der Bürger, damit eine Rebellion gegen uns keinen Zulauf erfährt.«

»Wir haben die Kriegsschiffe«, warf Iceni ein. »Die sind der Hammer, mit dem wir zuschlagen können, um die Kontrolle über dieses Sternensystem zu behalten.«

»Ein großer, breiter Hammer. Mit den Kriegsschiffen können wir ganze Städte auslöschen, wenn die Situation außer Kontrolle gerät, aber eine solche Methode sorgt nicht für Begeisterung bei der Bevölkerung, und außerdem gehen uns irgendwann die Städte aus.« Er deutete auf ein Display an einer Wand des Raums, in dem er saß. Es zeigte Bilder von einem Berg nahe einem See auf einem sehr entfernten Planeten. »Das ist aus dem Baldur-Sternensystem.«

»Davon habe ich gehört, aber ich war noch nie dort. Die Schönheit dieser Welt soll atemberaubend sein.«

»Das ist richtig«, sagte Drakon. »Aber wenn ich jetzt dieses Bild ansehe, dann frage ich mich, ob dieser Berg und der See noch existieren oder ob das alles durch ein orbitales Bombardement in eine tote Kraterlandschaft verwandelt worden ist. Wir wissen: Das System des Syndikats ist fehlgeschlagen. Das konnte sich jeder denken, als die Allianz-Flotte auf einmal dieses Sternensystem durchquerte und uns wissen ließ, dass der Krieg vorüber war.« Er schnaubte verächtlich. »Unsere eigene Regierung, diese ach so großartigen Syndikatwelten, konnte uns nicht sagen, dass sie verloren hatte. Nein, da musste erst der Feind herkommen und uns das erzählen. Und dann vernichtete dieser Feind auch noch gleich ein paar von diesen Enigma-Schiffen, die uns unverwundbar vorkamen, obwohl wir Jahrzehnte damit verbrachten, irgendetwas über diese Enigmas herauszufinden. Die Allianz benötigte nur ein paar Monate, um dahinterzukommen, wie man die Aliens in die Flucht schlagen kann.«

»Die Allianz hat Geary«, wandte Iceni mit sanfter Stimme ein. »Black Jack.«

»Black Jack.« Drakon schüttelte den Kopf. »Ich hatte nie an diese Berichte glauben können, er sei von den Toten zurückgekehrt.«

»Aber er ist zurückgekehrt«, sagte sie. »Ich habe mit ihm gesprochen. Es ist kein Trick. Vielleicht hat er uns einen Gefallen getan.«

»Indem er der Regierung der Syndikatwelten den Boden unter den Füßen weggezogen hat? Ja, vielleicht. Diese Unternehmensautokratie hat ihre Existenz immer damit gerechtfertigt, dass sie allen anderen Systemen überlegen ist, vor allem dem mangelhaften System der Allianz.« Drakon warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Ich bin gespannt, welche Argumente die Überreste der Regierung vorbringen werden, warum wir einen hundert Jahre andauernden Krieg nicht gewinnen konnten und wieso jemand, der seit hundert Jahren für tot gehalten wurde, uns im Handumdrehen den Krieg verlieren lässt. Sind Sie sich ganz sicher, dass Black Jack nicht hierher zurückkehren und versuchen wird, uns seinem Imperium einzuverleiben?«

Iceni senkte für einen Moment den Blick und dachte zurück an die Mitteilungen, die sie von Black Jack erhalten hatte. »Sicher kann ich mir natürlich nicht sein, aber er machte auf mich einen authentischen Eindruck. Ein Offizier des Militärs, der einfach seinen Job erledigt. Entweder ist er das auch, oder er ist der beste Betrüger, den ich je erlebt habe.«

»Er muss doch irgendwelche Absichten verfolgen.«

»Wäre er einer von uns, würde ich das auch annehmen.« Sie sah Drakon wieder an. »Apropos ›einer von uns‹. Falls ich das noch nicht deutlich gemacht habe, wir brauchen uns nach wie vor gegenseitig. Wenn Sie versuchen sollten, mich zu hintergehen, dann könnte Ihnen das zwar möglicherweise gelingen, aber auch wenn die Schlangen nicht mehr da sind, werden Sie mit mir untergehen. Nur damit Sie das wissen.«

Drakon lächelte, doch sein Tonfall und sein Mienenspiel verrieten nichts darüber, was in dem Mann vor sich ging. »Zu der Erkenntnis bin ich auch gelangt. Ich habe die Kontrolle über die Bodenstreitkräfte hier und überall sonst im System, und Sie kontrollieren die mobilen Streitkräfte.« Dabei beschrieb er mit einer Hand eine Geste, als würde er mit einer Waffe auf ihren Kopf zielen.

Sie ahmte die Geste nach und erwiderte: »Dann wollen wir hoffen, dass keiner von uns so dumm ist, den anderen dazu zu zwingen, dass er den Abzug betätigt.«

»Welches Versprechen muss ich Ihnen geben, damit Sie sich sicher genug fühlen, um auf die Oberfläche zurückzukehren?«

»Ihre Versprechen bedeuten gar nichts.« Wieder musterte sie Drakon und wünschte, sie wüsste mehr über den Mann. »Aber ich habe die Kontrolle über die mobilen Streitkräfte, und ich sage Ihnen, wenn mir etwas zustößt, wird ein Totmannschalter aktiviert, und der löst automatisch ein Programm aus, damit alle an Bord befindlichen kinetischen Projektile auf den Planeten abgeworfen werden.«

»Das würde mir gar nicht gefallen.«

Sie konnte Drakon nicht anmerken, ob er ihr glaubte oder nicht. Tatsache war, dass sie noch keine Gelegenheit gehabt hatte, ein solches Programm zu installieren. Aber es genügte, dass Drakon es glaubte oder zumindest nicht mit Gewissheit sagen konnte, dass eine solche Vorsichtsmaßnahme nicht existierte, mit der ihr Tod vergolten werden sollte. »Mir auch nicht. Ich bin froh, dass wir uns verstehen. Ich denke, wir sollten schnellstens eine Besprechung unter vier Augen an einem sicheren Ort abhalten. Wo können wir uns treffen?«

Drakon überlegte einen Moment lang. Sie wusste, was ihm so zu denken gab. Wenn er in ihr Büro kam, würde es den Eindruck erwecken, dass sie höherrangig war als er. Aber wenn sie sich in sein Hauptquartier begab, um mit ihm zu reden, dann würde man meinen, er habe das Sagen.

»Zwischen Ihrem Büro und meinem Hauptquartier existieren etliche sichere Konferenzräume, die von den Schlangen eingerichtet wurden«, entgegnete er schließlich. »Wir haben uns da bereits umgesehen, ob sich irgendwo Schlangen versteckt halten, aber ich werde veranlassen, dass sie noch einmal nach Spionageausrüstung der Schlangen und nach Sprengfallen durchsucht werden. Wäre das für Sie annehmbar?«

Es bedeutete zwar, sich darauf verlassen zu müssen, dass Drakons Leute auch wirklich ordentlich arbeiteten, aber sie würde sich von ihren Leibwächtern begleiten lassen, die alle verborgene Ausrüstung bei sich trugen, mit der sich vielerlei Gefahren entdecken ließen. Sie dachte sekundenlang darüber nach und nickte schließlich. »Also gut, ich werde Ihnen Bescheid geben, wenn ich gelandet bin.«

Als Iceni das Shuttle verließ, erblickte sie Togo und einige ihrer Leibwächter, die am Fuß der Rampe standen. Deutlich weiter entfernt sah sie Soldaten und Militärfahrzeuge, die den Landeplatz umgaben. »Warum sind die hier?«, fragte sie.

Togo zuckte mit den Schultern. »Die dienen der Sicherheit und sollen die Menschenmengen zurückhalten. Sagen sie jedenfalls. Bislang haben sie uns in keiner Weise behindert.«

»Mal sehen, ob das so bleibt.« Zumindest war Drakon so rücksichtsvoll gewesen, seine Leute weit genug vom Shuttle entfernt zu postieren, dass nicht der Eindruck entstand, die Soldaten wären hier, um sie zu kontrollieren.

Sie ging auf ihre Offiziere zu. »Wie sieht es aus?«

Hätte Togo Es ist alles in bester Ordnung sagen wollen, wäre das die ideale Gelegenheit dafür gewesen. »Es könnte schlimmer sein.«

Da ein paar der Barrieren rund um den Landeplatz zur Seite geräumt wurden, konnte Iceni die Menschenmassen sehen, die immer noch die Straßen bevölkerten. Den von ihnen ausgehenden Lärm hatte Iceni bis dahin nur als ein Summen im Hintergrund wahrgenommen. In dem Moment, da die Leute Iceni sehen konnten, schwoll er an. Nach einem Augenblick nervöser Anspannung fiel ihr auf, dass sie Jubelrufe hörte. »Meinetwegen?«

»Sie gehören zu den Befreiern, CEO Iceni«, erwiderte Togo mit todernster Miene. »Die Bürger freuen sich, weil sie es Ihnen zu verdanken haben, dass die mobilen Streitkräfte nicht länger eine Bedrohung darstellen, sondern jetzt über ihre Sicherheit wachen.«

Von einem albernen Impuls angetrieben hob Iceni eine Hand und winkte der Menge zu, woraufhin der Jubel noch lauter wurde. Es tat gut, aber es hatte auch etwas Beängstigendes. »Drakon nennt sich inzwischen General. Ich benötige auch einen neuen Titel. Mit einem CEO verbindet man zu viel Schlechtes, und es klingt nach den Syndikatwelten.«

Togo zog sein Handpad hervor, während sie losgingen. Die Leibwächter folgten mit dezentem Abstand. Er tippte eine Anfrage ein und stutzte, als er das Ergebnis sah. »Es gibt viele denkbare Alternativen. Königin?«

»Eine gute Stellenbeschreibung, aber die könnte von den Bürgern als etwas zu autokratisch aufgefasst werden.«

»Es ist nicht nötig, mit dem Titel auch gleich Ihre Absichten zu vermitteln«, stimmte Togo ihr zu. »Gouverneur?«

»Klingt zu sehr nach einem Untergebenen.«

»Premierminister?«

»Der Minister, der über anderen Ministern steht? Nein, ich stehe allein da, nicht über anderen.«

Togo schaute wieder aufsein Pad. »Der Boss.«

»Was?«, fragte sie.

»Der Boss. Archaisch. Sehr archaisch sogar.«

»Und eindeutig nicht ich«, ergänzte sie.

»Der Obermacker … der große Kahuna …«

»Erfinden Sie das gerade alles, oder steht das wirklich da?«

»Ich lese nur vor, was hier steht, Madam CEO. Wie wäre es mit Zarin? Kaiserin? Cäsar? Die beiden ersten leiten sich vom letzten ab.« Er zog die Stirn in Falten. »Alles steht für einen absoluten Herrscher. Führer, Khan, Scheich, Pascha, Sultan, ›Die, der Gehorsam gebührt‹ …«

»Das Letztere gefällt mir.«

»Und es passt«, pflichtete Togo ihr bei. »Aber die Bürger könnten dann glauben, dass Sie nur Ihre Bezeichnung geändert haben, aber eigentlich planen, so weiter zu herrschen wie bislang als CEO.«

»Das sollen sie natürlich nicht glauben, nicht wahr?«, fragte sie.

»Wie wäre es mit Präsidentin? Oder Erste Bürgerin?«

»Ersteres könnte eine Möglichkeit sein. Wie wird man Präsidentin?«

Togo rief die Definition auf. »Präsident beschreibt eine herausragende Position, die keinen Rückschluss auf die Quelle der Autorität zulässt. Der Titel wird für Führungspersönlichkeiten verwendet, die über totale Diktaturen ebenso herrschen wie über so populistische Gesellschaften, dass sie nur noch einen Schritt von völliger Anarchie entfernt sind. Präsidentin könnte ein guter Titel für Sie sein.«

»Präsidentin Iceni«, sprach sie den Titel laut aus. »Oder einfach nur ›die Präsidentin‹, da es ja keine anderen gibt. Das gefällt mir.«

»Darf ich Ihnen als Erster zu Ihrem Titel gratulieren, Präsidentin Iceni?«, gab Togo zurück. »Ja, das dürfen Sie. Kommen Sie, wir gehen zu General Drakon.«

Die gesicherten Konferenzräume befanden sich in einem unscheinbaren Bürogebäude, hinter dessen nichtssagender Fassade der ISD aktiv gewesen war. Am Eingang gab es nur eine Hausnummer, aber kein Türschild, das auf den ISD hinwies, sodass auch tausend andere Unternehmen hier ihren Verwaltungssitz unterhalten könnten. Nach außen hin hatte sich der ISD schon immer so zwiegespalten präsentiert. Da waren auf der einen Seite die allgegenwärtigen und für jeden sichtbaren Überwachungssysteme, die Hauptquartiere und die regionalen Kommandozentren, deren immense Dimensionen ein deutlich sichtbares Symbol für die Macht und Präsenz der Schlangen waren. Auf der anderen Seite wurden untergeordnete Einrichtungen irgendwo versteckt, wo niemand mit ihnen rechnete, und es gab andere Überwachungssysteme, die sich nur mit der neuesten und besten Ausrüstung aufspüren ließen. Die Bürger der Syndikatwelten hatten immer gewusst, dass der ISD unter ihnen war, aber wo genau, das hatte keiner von ihnen sagen können; und genau daraus war die so wirkungsvolle Kombination aus berechtigter Angst und purer Paranoia entstanden.

In den Büros selbst hatten die Schlangen dagegen an nichts gespart. Iceni ging an der Plüschgarnitur vorbei und blieb vor einem von der Decke bis zum Boden reichenden virtuellen Fenster stehen, das den Ausblick auf einen traumhaften Sandstrand erlaubte. Es kam ihr so vor, als begänne tatsächlich nur einen Schritt von ihr entfernt der Strand, während sie von der anderen Seite durch ein reales Fenster das gedämpfte rhythmische Meeresrauschen hörte. Die Primärwelt des Midway-Sternensystems, üblicherweise ebenfalls Midway genannt, besaß viele Strände, jedoch war der nächstgelegene immer noch über zwanzig Kilometer von diesem Gebäude entfernt. Iceni bezweifelte, dass dieses virtuelle Fenster tatsächlich jenen Küstenstreifen zeigen sollte. Der Stand der Sonne schien um rund eine Stunde verschoben, zudem hatte der Küstenstrich etwas von einem Archipel, einem von vielen, die die Oberfläche von ganz Midway überzogen. Vielleicht handelte es sich ja um ein Bild jener Inselketten, die vom ISD zur verbotenen Zone erklärt worden waren, damit die Schlangen dort ungestört Urlaub machen und unter sich sein konnten. Der kleine Kontinent, auf dem sich die Stadt befand und der die einzige andere Landmasse auf dem Planeten darstellte, verfügte über etliche schöne Strände. Die wurden aber fast immer von Touristen bevölkert, da sie eines der wenigen Erholungsgebiete für die einfachen Bürger darstellten, bei denen die Syndikatwelten keine Möglichkeit gefunden hatten, den Zugang zu beschränken.

Die Tür ging auf, und Drakon trat ein, ihm folgten zwei Soldaten. Togo, der bereits an dem glänzenden Konferenztisch saß, raunte subvokal etwas in ein Mikrofon, was Iceni auf ihrem eigenen Empfänger deutlich hören konnte. »Bran Malin und Roh Morgan. General Drakon hat ihren Dienstgrad vom Sub-CEO in den eines Colonels verändert. Sie sind seine engsten und vertrauenswürdigsten Berater.«

Drakon nickte Iceni zu. »Alle Leibwächter sind draußen geblieben? Gut. Haben Sie etwas gegen die Anwesenheit meiner beiden Adjutanten einzuwenden?«

»Nicht, wenn Sie mit meinem Assistenten als Teilnehmer einverstanden sind«, erwiderte Iceni, kehrte zum Tisch zurück und setzte sich zu Togo. Verstohlen musterte sie Drakons Adjutanten. Im Gegensatz zu Togo, der sich körperlich in Bestform befand und mit seinen fünfzig Standardjahren sehr erfahren war, kamen ihr Malin und Morgan deutlich jünger vor; vielleicht Ende zwanzig, höchstens Anfang dreißig. Auf jeden Fall wirkten beide etwa gleich alt, ihre selbstbewusste Ausstrahlung war die von Leuten, die ihren Job zu erledigen verstanden, aber das nicht an die große Glocke hängten.

Die Tür schloss sich hinter Drakon, darüber erwachte eine Reihe von blinkenden grünen Lichtern zum Leben, die anzeigten, dass alle Sicherheitssysteme aktiviert worden waren, die ein Eindringen ebenso verhinderten wie ein heimliches Mithören. Er setzte sich Iceni gegenüber hin, seine Colonels nahmen links und rechts von ihm Platz.

»Das ist der aktuelle Stand der Dinge«, begann er ohne irgendwelche Vorrede. »Ich habe die Oberfläche unter Kontrolle, außerdem wurde mir die Kontrolle über sämtliche wichtigen Einrichtungen außerhalb des Planeten bestätigt. Meine Leute führen immer noch Durchsuchungen durch, um sicherzustellen, dass sich auf den Inseln nicht noch irgendwo Schlangen versteckt halten. Bis wir damit fertig sind und bis wir Gewissheit haben, dass die Bevölkerung sich beruhigt hat, kann ich nicht viele Leute erübrigen. Die Haupteinrichtung der mobilen Streitkräfte nahe dem Gasriesen untersteht meiner Kontrolle, aber da wagt sich niemand zu rühren, weil sie der Meinung sind, dass die mobilen Streitkräfte noch immer von den Schlangen kontrolliert werden.«

»Das passt zu den Nachrichten, die ich vom Schweren Kreuzer C-625 empfangen hatte«, gab Iceni zurück. »Es ist möglich, dass die dortigen Kriegsschiffe, also ein Leichter Kreuzer und drei Jäger, immer noch von ihren eigenen Offizieren befehligt werden. Aber die Schlangen werden jetzt wachsam sein, und es dürfte nicht leicht sein, sie zu überwältigen.«

»Werden sie die Einrichtung ausschalten?«

»Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Sie ist für jeden, der dieses Sternensystem kontrolliert, sehr wertvoll, außerdem haben sie von keinem Vorgesetzten einen solchen Befehl erhalten. Meiner Meinung nach werden sie sich in Kürze auf den Weg zum Hypernet-Portal machen, um der Regierung auf Prime davon zu berichten, was sich hier abspielt.«

Drakon verzog unzufrieden den Mund. »Und Sie haben auch noch zwei Kreuzer verloren?«

Dieser Stich schmerzte. »Ich habe einen Kreuzer verloren, Kolanis Flaggschiff C-990. Sie hatte das Schiff sabotiert. Die C-818 hat schwere Schäden am Hauptantrieb davongetragen, aber es sind bereits Einheiten unterwegs, die das Schiff abschleppen sollen, damit es repariert werden kann. Wir werden also vier Schwere Kreuzer zur Verteidigung dieses Sternensystems haben.« Erst als sie diese Worte ausgesprochen hatte, wurde Iceni bewusst, wie armselig sich das doch anhörte.

Aber bevor sie oder sonst jemand reagieren konnte, merkte Colonel Malin an: »Das ist zwar nicht viel, doch wenn man es ins Verhältnis zu allem setzt, was hier draußen sonst noch verfügbar ist, dann ist es beim Kampf gegen die Regierung auf Prime schon eine beträchtliche Streitmacht.«

»Den letzten Kreuzer können Sie nicht irgendwie zu fassen bekommen, oder? Ich meine die C-625«, fragte Drakon.

»Die C-625 steht eineinhalb Lichtminuten von uns entfernt, General«, erwiderte sie. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Milliarden Kilometer das sind?«

»Ich bin genug Kilometer gelaufen, um zu wissen, wie lange ein einzelner Kilometer ist«, konterte Drakon in einem etwas schneidenderen Tonfall. »Das richtige Manöver ist nur eine Frage der Planung und der eigenen Fähigkeiten, den Gegner zu überlisten.«

Iceni lächelte ihn humorlos an. »Ich wünschte, Gefechte im All wären genauso simpel wie ein Bodenkampf.«

»Simpel?« Sieh mal an, sie hatte offenbar einen wunden Punkt angesprochen, da er ihr unverhohlen einen zornigen Blick zuwarf. »Ich bin davon überzeugt, dass im All alles immer ganz sauber und steril ist, schließlich können Sie da Ihren Gegner unter Beschuss nehmen, ohne jemals sein Gesicht zu erblicken, vom Blut und von den Leichen einfach mal abgesehen. Aber im Morast ist es anders … und schwieriger.«

Bilder vom Albtraum an Bord der C-990 zuckten vor Icenis geistigem Auge vorbei. Zu ihrem Erstaunen blieb ihre Stimme dennoch recht ruhig, als sie konterte: »Es ist gut möglich, dass Sie die Wirkung eines Kriegs in der Lautlosigkeit ganz erheblich unterschätzen.«

Etwas in ihrem Tonfall ließ Drakon aufmerksam werden. Er schraubte seinen Ärger spürbar zurück, während er Iceni eindringlich musterte. »Haben Sie da oben viele Leute verloren?«

»Nein, ausgenommen die auf der C-990.«

In neutralem Tonfall warf Togo ein: »An Bord der C-990 gab es keine Überlebenden. Alle sind bei internen Kämpfen ums Leben gekommen.«

»Interne Kämpfe?« Drakon nickte bedächtig. »Das muss sehr hässlich gewesen sein. Na gut. Wir haben also vier Schwere Kreuzer und einige leichtere Einheiten. Ich habe genügend Streitkräfte, um den Planeten zu kontrollieren, und das wird sich noch bessern, wenn ich erst einmal alle lokalen Truppen auf den neuesten Stand gebracht habe. Das kann ich jetzt ja alles machen, ohne befürchten zu müssen, ich könnte irgendwelche hundert Lichtjahre entfernten CEOs vor den Kopf stoßen.«

Iceni bekam sich wieder in den Griff und aktivierte eine Darstellung der um Midway gelegenen Region des Alls. »Laut unseren neuesten Informationen gibt es in einigen umliegenden Sternensystemen noch ein paar mobile Streitkräfte. Ich werde einzelne Jäger in diese Systeme schicken, damit sie diesen Kriegsschiffen eine Einladung aussprechen, sich uns anzuschließen. Nach dem neuesten Stand finden sich solche Einheiten in den Systemen Taroa, Kahiki und Lono.«

»Nichts bei Kane, Laka, Maui oder Iwa?«, ergänzte Drakon die restlichen vier Syndikat-Systeme, die von den Sprungpunkten bei Midway zu erreichen waren. Eben die von hier aus direkt ansteuerbare große Zahl an Sternen hatte dem System den Namen Midway gegeben.

Drakon musste nicht nach dem achten Stern fragen, der auch noch in Sprungreichweite lag, denn Pele war vor langer Zeit der fremdartigen Enigma-Rasse überlassen worden. Jedes Syndikat-Schiff, das seitdem Kurs auf das System genommen hatte, galt inzwischen offiziell als verschollen.

»Nicht, dass uns darüber etwas bekannt wäre«, antwortete sie. »Die Kriegsschiffe, die wir nach Taroa, Kahiki und Lono schicken, werden uns Bericht erstatten, wie die Lage in diesen drei Systemen ist und was man dort über andere Systeme weiß. Sobald sie zurückgekehrt sind, schicke ich sie zu den übrigen benachbarten Sternensystemen.«

»Ein guter Plan«, urteilte Drakon.

Iceni sah ihn an und dachte über ihren nächsten Zug nach. Auch wenn sie gemeinsam der Rebellion den Weg geebnet hatten, wusste keiner von ihnen viel Persönliches über den jeweils anderen. Die Abstimmung hatte aufgrund der widrigen Umstände so knapp wie möglich ausfallen müssen, wobei sie bei jeder Kommunikation und den seltenen persönlichen Treffen im Rahmen ihrer von der Syndikat-Regierung auferlegten Pflichten den Anschein hatten erwecken müssen, dass alles rein dienstlich war. Jede andere Verhaltensweise hätte ihre heimliche Zusammenarbeit erkennbar und die stets wachsamen Schlangen auf ihre Pläne aufmerksam machen können. Die offiziellen Aufzeichnungen kannten sie selbst nur zu gut, doch alles Inoffizielle war zweideutig gewesen. Sie kannte Drakons Gesicht, aber was in seinem Kopf vor sich gehen mochte, das war ein ganz anderes Thema. Und zweifellos erging es ihm mit ihr ganz genauso.

Daraufhin entschied sie, auf ein besonders heikles Thema zu sprechen zu kommen. Sie beugte sich vor und sagte zu Drakon: »Nachdem Sie meinen Vorschlägen für die mobilen Streitkräfte zugestimmt haben, würde ich gern etwas mehr darüber erfahren, was Ihre Leute derzeit machen. Wenn ich das richtig verstanden habe, werden die Familien der Schlangen in ihren Häusern von den Soldaten bewacht.«

»Das ist richtig.« Drakon sah sie ungerührt an. »Die Schlangen sind aus allen Komplexen entfernt worden, übrig sind nur ihre Angehörigen.«

»Was haben Sie mit ihnen vor, General?«

Drakon schwieg ein paar Sekunden lang, dann atmete er frustriert aus. »Darüber denke ich momentan noch nach.«

Colonel Morgan zu seiner Linken ließ keinen Zweifel an ihrer Missbilligung, obwohl sie weder mit der Wimper zuckte noch einen Ton von sich gab.

Schließlich setzte Togo dem Schweigen ein Ende. »Diese Familien werden hier im Sternensystem nirgendwo willkommen und damit auch nirgends ihres Lebens sicher sein.«

Einmal mehr war Drakons unterschwellige Verärgerung zu spüren. »Und was schlagen Sie vor?«

»Nun, es ist auf jeden Fall zu spät, um die Angelegenheit von den Bürgern für uns erledigen zu lassen …«

»Ich lasse Angelegenheiten nicht von einem anderen erledigen, nur damit ich mich nicht darum kümmern muss«, herrschte Drakon den Assistenten an.

Iceni ließ sich äußerlich keine Regung anmerken, während sie Drakon beobachtete. »Hierbleiben können sie nicht, und keiner von uns beiden ist bereit, einen Massenmord an Familien zu begehen. Damit bleibt nur ein Ausweg. Wir setzen sie in ein Schiff und schicken sie woandershin. Zum Beispiel nach Prime.«

Nun meldete sich Morgan zu Wort: »Dafür sollen wir ein Schiff vergeuden? Das Schiff sehen wir doch niemals wieder!«

»Das ist anzunehmen«, sagte Togo. »Dieser Weg ist für uns mit Kosten verbunden.«

»Die werden sich alle rächen wollen«, beharrte Morgan. »Wenn man ein Schlangennest vernichtet, dann tötet man alle Schlangen, sonst werden sich die Jungen und andere Überlebende eines Tages an einen heranschleichen, um Vergeltung zu üben.«

»Diesen Weg werden wir nicht in Erwägung ziehen«, widersprach Drakon.

Iceni nickte. »Das sehe ich auch so.«

»General …«, setzte Morgan erneut an.

»Das wäre dann alles!«, unterbrach Drakon sie energisch.

Als Morgan sich zurücklehnte, war ihr Gesicht ausdruckslos. Colonel Malin beugte sich leicht zu Iceni vor. »Ich glaube, der Vorschlag mit dem Schiff ist unsere beste Option, vor allem wenn wir die Angehörigen der Schlangen vor ihrer Abreise noch mit unserer militärischen Stärke beeindrucken. Die C-625 wird die Nachricht von den Verhältnissen hier im System mitnehmen. Wenn wir warten, bis der Kreuzer sich tatsächlich auf den Weg gemacht hat, könnten wir bei den Familien den Eindruck erwecken, dass unsere mobilen Streitkräfte bereits Verstärkung erhalten haben und dass wir viel stärker und schlagkräftiger als die anderen sind. Wenn sie diese Informationen mitbringen, wird man sie auf Prime glauben.«

»Gezielte Fehlinformationen?«, fragte Iceni. »Unter dem Deckmantel einer humanitären Hilfsaktion? Mir gefällt Ihre Denkweise, Colonel.«

Togo machte eine zustimmende Geste. »Ein Handelsschiff wäre ein vertretbarer Preis dafür, die Regierung des Syndikats in die Irre zu führen.«

Unausgesprochen blieb eine Tatsache, die ihnen allen bewusst war. Da sich so viele Sternensysteme gleichzeitig lossagten, musste die Regierung auf Prime Prioritäten setzen, und auf der Liste der Systeme, die es zurückzuerobern galt, stand Midway mit dem Hypernet-Portal und den Sprungpunkten zu so vielen anderen Systemen sowie mit der Verbindung zum von der Enigma-Rasse besetzten Territorium sehr weit oben. Die Frage war nicht, ob Prime eine Streitmacht herschicken würde, um das System wieder einnehmen, es war vielmehr nur eine Frage der Zeit.

»Klingt so, als wären wir uns dann einig. Arbeiten Sie mit dem Stab von CEO Iceni zusammen den Plan aus«, wies Drakon Malin an.

»Präsidentin Iceni«, korrigierte sie ihn lächelnd.

»Präsidentin?«, wiederholte Drakon und musste selbst ebenfalls lächeln. »Was genau bedeutet das?«

»Was immer ich will, dass es bedeutet.«

»Gut«, sagte er und machte einen erfreuten Eindruck. »Hauptsache, wir lassen aus der Zeit des Syndikats so viel wie möglich hinter uns.«

Colonel Malin stützte sich auf dem Tisch ab, dann sah er zwischen Iceni und Drakon hin und her. »Das bringt uns zu einem Thema, über das wir jetzt reden sollten, bevor wir in Zugzwang geraten. Wir haben alle die Menschenmengen gesehen. Momentan sind die Leute alle in Feierlaune. Die von uns ergriffenen Maßnahmen haben die Ordnung gewahrt. Aber morgen werden diese Leute verkatert aufwachen, in die Sonne blinzeln und sich die Frage stellen, was sich denn nun eigentlich verändert hat.«

Morgan demonstrierte erneut Missfallen, und auch jetzt musste sie dafür weder eine Miene verziehen noch einen Laut von sich geben.

»Was schlagen Sie vor?«, wollte Iceni wissen.

Mit einer ausholenden Geste deutete er auf die Menschenmengen, die draußen auf den Straßen unterwegs waren. »Wir alle wissen, wie schlecht es uns unter der Regierung der Syndikatwelten ergangen ist. Nur diejenigen, die ganz oben waren, konnten davon profitieren. Die breite Masse der Bürger kannte das Gefühl nicht, Kontrolle über das eigene Leben zu haben. Der Wunsch nach Sicherheit war der vorrangige Grund, warum man sich der Regierung unterworfen hat. Aber selbst das ging nur so weit, wie es unbedingt nötig war. Muss ich die geschätzten Zahlen für Verluste durch Korruption und Verschwendung zitieren? Muss ich darauf hinweisen, wie ineffizient und unproduktiv viele unserer Fabriken sind? Wenn dieses Sternensystem profitabel werden soll, dann müssen wir die Bürger davon überzeugen, dass sie an diesem Profit teilhaben werden.«

Iceni lächelte ihn höflich, aber frostig an. »Ich habe nicht vor, dem Mob die Macht zu überlassen.« Daraufhin ließ Colonel Morgan Zustimmung erkennen, aber auch diesmal wieder dermaßen unterschwellig, dass es fast nicht zu bemerken war.

»Wir müssen die Kontrolle behalten«, stimmte Malin ihr zu. »Aber unter uns befinden sich noch etliche Ebenen. Ganz unten sind die Wachoffiziere, die Ratsmitglieder und die Bürgermeister. Wir könnten ihnen anbieten, diese Posten durch echte Wahlen besetzen zu lassen.«

Drakon wirkte unschlüssig, was Iceni ihrerseits davon hielt.

»Ich habe die Macht der Massen gespürt«, warf Togo ein. »Sie werden nicht einfach zum Tagesgeschäft übergehen. Wir müssen ihnen einen Knochen hinwerfen, aber einen, an dem noch richtiges Fleisch hängt. Oder einen synthetischen Ersatz, den sie für richtiges Fleisch halten.«

»Wir sollen ihnen Posten auf den unteren Ebenen anbieten?«, fragte Drakon.

»Und wo soll das aufhören?«, wollte Morgan wissen. »Lassen wir sie ihre Ratsmitglieder wählen, dann wollen sie auch ihre Bürgermeister wählen, und dann ihre regionalen Regierungsvertreter, ihre Generäle und schließlich ihren Präsidenten! Wollen wir wirklich zulassen, dass die Bürger in die alten Akten sehen und erfahren, was wir in der Vergangenheit alles angerichtet haben?«

»Wir können nicht ausschließlich auf Gewalt setzen, um die Massen zu kontrollieren …«, setzte Malin zum Widerspruch an.

»Ich schon! Autorisieren Sie mich und geben Sie mir die Truppen, dann werde ich die Straßen räumen und noch vor Sonnenaufgang jeden Bürger dazu bringen, dass er sich sogar bei mir dafür bedankt, so behandelt worden zu sein.«

Nach einer langen Pause, während der Iceni sich zwingen musste, Morgan nicht anzustarren, sagte General Drakon: »Das wäre natürlich eine Möglichkeit, aber sie ist mit vielen Nachteilen verbunden. Unter anderem können wir unsere Truppen für nichts anderes mehr einsetzen, wenn sie alle damit beschäftigt sind, die Bürger zu bewachen.«

Im Gegensatz zu anderen Argumenten drang dieses offenbar zu Colonel Morgan durch. »Das stimmt. Aber wir könnten in die gleiche Lage gedrängt werden, wenn den Bürgern zu viele Freiheiten gelassen werden und sie zu der Ansicht gelangen, dass sie nicht zu tun brauchen, was man ihnen sagt.«

»Ja, das ist ein Problem. Wie können wir ihnen etwas geben, damit sie zufrieden sind, ohne Gefahr zu laufen, dass sie gleich darauf glauben, sie könnten noch weitere Forderungen an uns stellen?«

»Wir können nicht jeden Bürger zufriedenstellen«, antwortete Malin. »Einige von ihnen werden morgen früh verlangen, dass sofort die totale Demokratie Einzug hält. Wir können auf die Schwierigkeiten hinweisen, die so etwas nach sich ziehen würde, und ihnen zugleich gerade genügend Veränderungen anbieten, mit der die große Mehrheit zufrieden sein wird.«

»Gerade genügend Veränderungen?«, fragte Togo.

»Und wie legen wir fest, was ›gerade genügend‹ ist?«, wollte Morgan wissen. »Geben wir ihnen ihrer Meinung nach zu wenig, werden sie mehr verlangen. Geben wir ihnen mehr, werden sie noch mehr haben wollen.«

So blutrünstig Morgan auch sein mochte, brachte sie doch einige gute Argumente vor. Iceni sah zu Togo. »General Drakon hat das Argument der Sicherheit bereits ins Spiel gebracht. Die Leute sollen auf ihr Zuhause und ihre Kinder achten, dass nichts passiert. Was können wir noch nehmen, um das Verlangen der Bürger nach mehr Eigenverantwortung zu bändigen?«

Gedankenverloren sah Togo zur Decke, schließlich sagte er: »Teile und herrsche. Eine sehr alte, aber sehr wirkungsvolle Taktik. Was geschieht, wenn die Bürger darüber abstimmen können, was sie wollen? Werden die Städte alles für sich nehmen wollen, weil sie mehr Wähler haben? Wird man den Städten ihre Wünsche verweigern, weil Machtblöcke anderer Wähler die Kontrolle über mehr Positionen erlangen, als ihnen eigentlich zustehen würden? Veränderungen müssen behutsam erfolgen, damit man sicherstellen kann, dass niemand ernsthaft benachteiligt wird. Indem wir die höheren Positionen mit Leuten besetzen, die von Präsidentin Iceni bestimmt werden, sofern General Drakons Ratschläge berücksichtigt wurden und seine Zustimmung eingeholt wurde, können wir sicherstellen, dass die Interessen aller Gruppen geschützt sind. Immerhin werden die Leute dem Urteil von Präsidentin Iceni und General Drakon vertrauen, weil die beiden Midway von den Schlangen befreit haben.«

Drakon setzte ein schiefes Grinsen auf. »Verdammt noch mal, fast hätte ich Ihnen abgenommen, dass das Ihr Ernst ist.«

»Die beste Propaganda enthält immer ein Körnchen Wahrheit, das Halt bietet und die Illusion erzeugt, dass die auf diesem Körnchen basierenden Argumente legitim sind.«

Diesmal war sogar Morgan beeindruckt.

»Allerdings«, fügte Drakon an, »möchte ich eine gerechte Verteilung bei der Benennung der Kandidaten. Präsidentin Iceni nominiert eine Hälfte, bei der ich berate und zustimme, ich nominiere die andere Hälfte, dabei gibt sie mir Ratschläge und stimmt meinen Vorschlägen zu.«

»Gerecht verteilt«, fand Iceni.

»Der Wahlprozess für die unteren Ebenen wird einiges an Vorbereitungen erfordern«, fuhr Togo fort. »Die Software muss als zuverlässig bestätigt werden, damit gewährleistet ist, dass tatsächlich die Stimmen gezählt werden und nicht bloß ein gewünschtes Ergebnis erzielt wird. Es muss verhindert werden, dass irgendwelche Hintertüren geöffnet werden können, damit es nicht zu Manipulationen kommen kann. Ausgenommen natürlich solche Hintertüren, die von Präsidentin Iceni und General Drakon ausdrücklich gewünscht sind. Kandidaten müssen gesucht und Wahlkampagnen in Gang gesetzt werden. So etwas darf man nicht überstürzen, weil man sonst Gefahr läuft, einzelnen Kandidaten die Teilnahme an der Wahl zu versagen, nur weil sie nicht schnell genug waren. Das alles wird ein langwieriger Prozess werden.«

Iceni nickte und fragte sich zugleich, warum sie von einem Gefühl der Unzufriedenheit erfasst wurde. Ist das denn nicht die Lösung, die ich haben wollte? Eigentlich doch. Aber das Syndikat-System hat Schiffbruch erlitten, und es könnte sein, dass dies hier nur ein Versuch ist, genau das beizubehalten, oder nicht?

Ich brauche Zeit zum Nachdenken. Togos Lösung wird mir diese Zeit geben.

Sie schaute zu Drakon. Spiegelte sich in seinen Augen die gleiche Unzufriedenheit wider? Oder bildete sie sich das nur ein? »Dann an die Arbeit«, sagte sie schließlich. Niemand widersprach ihr.

Als er in sein Hauptquartier zurückkehrte, konnte Drakon sich zum ersten Mal seit langer Zeit richtig entspannen. Hinter ihm lag ein harter Tag, aber er hatte es geschafft. Er und Iceni hatten es geschafft.

Und er hatte etwas mehr über sie in Erfahrung gebracht. Sofern Iceni keine besonders begabte Schauspielerin war, hatten die Verluste bei den mobilen Streitkräften sie wirklich erschüttert. Das war ermutigend, denn Anführer, die menschliche Verluste als Preis des Kriegs abschrieben, waren nach Drakons Erfahrung auch dazu fähig, Verbündete auf die gleiche Weise abzuschreiben.

Er war sich noch nicht im Klaren, ob er später noch einmal Kontakt aufnehmen sollte, um unter vier Augen mit ihr über jene vier Schlangen-Wachposten und deren Familien zu reden, die neue Identitäten und andere Wohnungen erhielten. Eigentlich konnte er sich nicht vorstellen, dass Iceni deren Tod fordern würde, aber so genau ließ sich das nicht sagen. Die Alternative war, sie in den gleichen Transporter zu setzen, mit dem die anderen Familien von hier weggebracht werden sollten. Aber wie sollten diese vier Schlangen erklären, dass sie noch lebten, während all ihre Kameraden tot waren? Nein, damit würde er sein eigenes Versprechen hintergehen. Ohne deren Hilfe hätte er es nie bis zum Hauptüberwachungsknotenpunkt geschafft. Er war ihnen etwas schuldig.

Was bedeutete, dass er auch Iceni etwas schuldig war, aber es war wohl besser, das nicht so deutlich auszusprechen. Immerhin konnte sie ja auf den Gedanken kommen, dieses Geständnis zu nutzen, um ihn von ihr abhängig zu machen.

Malins Komm-Einheit summte ungeduldig. Malin nahm die Mitteilung entgegen und wurde bleich, als er den Text las. »General.«

»Was ist?«, fragte Drakon und ahnte bereits, dass er sich die längste Zeit hatte entspannen können.

»Wir werden korrigieren müssen, was wir Präsidentin Iceni dazu gesagt haben, dass alle wichtigen Einrichtungen außerhalb des Planeten von Ihnen kontrolliert werden.«

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