Kahlan saß alleine in dem reich geschmückten Sessel der Mutter Konfessor, dem höchsten auf dem halbkreisförmigen Podium, unter dem reich geschmückten Fresko von Magda Searus, der ersten Mutter Konfessor, und ihrem Zauberer Merritt. Die beiden waren unter die Kuppel gemalt, die den gewaltigen Ratssaal krönte. Kahlan verfolgte, wie die Abgesandten sich ihr über die weite Marmorfläche näherten.
Magda Searus war von ihrem Ehrenplatz aus Zeuge jener langen Geschichte geworden, die der Bund der Midlands hinter sich gebracht hatte. Sie war auch Zeuge gewesen, als Richard ihn zerschlagen hatte. Kahlan betete, daß Magda Searus' Seele dies verstand und seine Beweggründe guthieß. Sie waren wohlmeinend, ungeachtet dessen, wie sein Handeln auf manche wirken mußte.
Cara stand hinter Kahlans rechter Schulter. Kahlan hatte geschwind eine Reihe von Verwaltern zusammengerufen, die sich um Staatsangelegenheiten wie die Unterzeichnung der Kapitulationsdokumente und Handelsverordnungen kümmern sollten, dazu mehrere d'Haranische Offiziere, die die Kommandoangelegenheiten überwachten. Sie alle warteten links hinter ihr.
Kahlan versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagen und tun mußte. Nach Richards Bemerkungen über den Tempel der Winde fiel es ihr allerdings schwer, an etwas anderes zu denken. Er war der Ansicht, der Tempel der Winde sei zu Empfindungen fähig. Die Winde machten Jagd auf Richard. Ja, der Tempel der Winde selbst jagte ihn. Diese Drohung erfüllte jeden dunklen Winkel ihres Herzens.
Die Schritte der Abgesandten und die Stiefeltritte der sie eskortierenden Soldaten hallten über die weiten Marmorflächen und rissen sie aus ihren trüben Gedanken. Die nahende Gruppe schritt durch gleißendes Sonnenlicht, das durch die Fenster am unteren Kuppelrand hereinfiel. Kahlan setzte ihre Konfessorenmiene auf, wie es ihre Mutter ihr beigebracht hatte, ein Gesicht, das nichts verriet und das verbarg, wie es in ihrem Inneren aussah.
Offene Rundbogen rings um den Saal verdeckten Treppen, die zu den mit Kolonnaden versehenen Balkonen mit den polierten Mahagonigeländern hinaufführten. An diesem Tag standen jedoch keine Besucher hinter dem Geländer.
Die von d'Haranischen Soldaten flankierte Gruppe kam vor dem prachtvollen, mit Schnitzereien verzierten Pult zum Stehen. Tristan Bashkar aus Jara und Leonora und Walter Cholbane aus Grennidon standen in vorderster Reihe. Hinter ihnen folgten die Botschafter Seidon aus Mardovia, Wexler aus Pendisan und Brumford aus Togressa.
Kahlan wußte, daß Jara und Grennidon, Länder von unermeßlichem Reichtum und mit großen stehenden Heeren, vermutlich als Gegenleistung für ihre Kapitulation am hartnäckigsten um den Erhalt ihres privilegierten Status kämpfen würden. Deren Selbstvertrauen mußte sie als erstes erschüttern. Da sie den größten Teil ihres Lebens in einer Stellung von Autorität und Macht gedient hatte, erst als Konfessor und später dann als Mutter Konfessor, wußte Kahlan sehr genau, was sie zu tun hatte. Sie kannte diese Leute und wußte, wie sie dachten. Eine Kapitulation war hinnehmbar, solange sie dem Rang nach weiter über gewissen Ländern stehen konnten und solange man ihnen uneingeschränkte Machtbefugnis in ihren inneren Angelegenheiten zubilligte.
Eine solche Haltung war nicht länger akzeptabel. Sie durfte nicht hingenommen werden, wenn sie alle eine Chance gegen die Imperiale Ordnung haben wollten. Kahlan mußte Richards Versprechen und die Bedingungen der Kapitulation mittragen. Davon hing die Zukunft jedes einzelnen Landes der Midlands ab.
Wenn dieser neue Bund gegen die Imperiale Ordnung Bestand haben wollte, durfte es keine eigenständigen Länder geben, die ihre eigenen Ziele verfolgten. Sie mußten jetzt zu einer Einheit werden, mußten einer einzigen Befehlsgewalt unterstehen und zusammenhalten wie ein Volk und nicht wie ein Bündnis, das im kritischen Augenblick auseinanderbrechen konnte und der Imperialen Ordnung dadurch vielleicht ermöglichte, ihnen allen die Freiheit zu rauben.
»Lord Rahl ist mit Angelegenheiten unserer gegenseitigen Sicherheit bei unserem Kampf befaßt. Ich bin an seiner Stelle gekommen, um mir Eure Entscheidung anzuhören. Man wird Eure Worte an ihn weiterleiten, so wie Ihr sie zu mir sprecht. Als Mutter Konfessor, Königin von Galea, Königin von Kelton und Verlobte des Herrschers von D'Hara habe ich die Machtbefugnis, im Namen des D'Haranischen Reiches zu sprechen. Mein Wort hat dieselbe Gültigkeit wie das von Lord Rahl.«
Die Worte waren gegen ihre Absicht hervorgesprudelt, aber genau das war es – das D'Haranische Reich. Richard war sein oberster Führer, seine oberste Autorität.
Die Abgesandten verneigten sich und bestätigten murmelnd, daß sie verstanden hatten.
Diese mächtigen Leute mußten begreifen, daß die Ordnung der Dinge nicht mehr so wie früher war, daher kehrte Kahlan die Reihenfolge, in der diese Angelegenheit verhandelt wurde, um.
»Botschafter Brumford, bitte tretet vor.«
Tristan Bashkar und Leonora Cholbane erhoben sofort die ersten Einwände. Es war noch nie vorgekommen, daß einem unbedeutenderen Land das Wort zuerst erteilt wurde.
Kahlans wütender Blick ließ sie verstummen. »Ihr erhaltet die Erlaubnis zu sprechen, wenn ich sie Euch erteile. Vorher nicht. Ein Land, das sich uns noch nicht durch Aufgabe seiner Eigenständigkeit angeschlossen hat, bekleidet in meinen Augen keinen Rang.
Erwartet nicht, daß man Euch diese Anmaßung durchgehen läßt, wie dies in der Vergangenheit im Bund der Midlands üblich war. Der Bund der Midlands existiert nicht mehr. Ihr seid jetzt ein Teil des D'Haranischen Reiches.«
Eisiges Schweigen senkte sich über den Saal.
Als sie zum ersten Mal davon erfuhr, daß Richard fast genau dieselben Worte in ebendiesen Räumen vor den Abgesandten der Midlands gesprochen hatte, war Kahlan am Boden zerstört gewesen. Am Ende hatte sie begriffen, daß es keinen anderen Ausweg gab.
Tristan Bashkar und die Cholbanes, denen ihre Worte gegolten hatten, standen mit rotem Gesicht, aber schweigend da. Als sie den Blick auf Botschafter Brumford richtete, fiel ihm ihre Aufforderung wieder ein, und er eilte nach vorn.
Der freundliche Botschafter Brumford raffte sein umfangreiches violettes Gewand mit einer Hand zusammen, senkte ein Knie auf den Marmorboden und machte eine tiefe Verbeugung.
»Mutter Konfessor«, begann er, indem er sich aufrichtete, »Togressa steht bereit, sich Euch und allen freien Menschen in unserem Bund gegen die Tyrannei anzuschließen.«
»Danke, Botschafter. Wir heißen Togressa als Mitglied des D'Haranischen Reiches willkommen. Das Volk von Togressa wird den gleichen Rang bekleiden wie alle anderen bei uns. Wir wissen, daß Euer Volk seinen Teil tun wird.«
»Das wird es. Danke, Mutter Konfessor. Bitte leitet meine Botschaft weiter an Lord Rahl, daß wir uns freuen, ein Teil D'Haras zu sein.«
Kahlans Lächeln kam aus tiefstem Inneren. »Lord Rahl und ich teilen Eure Freude, Botschafter Brumford.«
Er trat zur Seite, als Kahlan den muskulösen, untersetzten, feurig dreinblickenden Botschafter Wexler von Pendisan nach vorne rief.
»Mutter Konfessor«, sagte er, als er sich erhob und seinen ledernen Überwurf richtete, »Pendisan ist ein kleines Land mit einer kleinen Legion unter Waffen stehender Männer, aber wir sind leidenschaftliche Kämpfer, was jeder bezeugen kann.
Die Mutter Konfessor ist stets mit der gleichen Leidenschaft für uns eingetreten. Wir waren stets einer Meinung mit den Midlands und mit der Mutter Konfessor, daher messen wir Euren Worten große Bedeutung bei. Mit allergrößtem Respekt hören wir auf Euren Rat und schließen uns D'Hara an.
Wir senken unsere Schwerter vor Euch und vor Lord Rahl. Das Volk von Pendisan, sowohl jene von einfachem Fleisch und Blut als auch jene mit magischen Fähigkeiten, haben den Wunsch, in vorderster Front gegen die Horden von jenseits der Wildnis zu kämpfen, auf daß der Feind einen bitteren Vorgeschmack auf unsere Grausamkeit bekomme. Von diesem Tag an werden wir allen als die D'Haraner aus Pendisan bekannt sein, so dies Euch gefällt.«
Gerührt von seinen Worten, verneigte Kahlan sich vor ihm. Das Volk von Pendisan hatte zwar einen gewissen Hang zur Dramatik, aber deswegen war diese Bemerkung nicht weniger aufrichtig gemeint. So klein das Land auch war, man durfte das Volk nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die unumwundene Behauptung seines Botschafters über seine Grausamkeit war keine leere Prahlerei. Wenn seine Zahl nur so groß wäre wie sein Kampfesmut.
»Die vorderste Reihe kann ich Euch nicht versprechen, Botschafter Wexler, doch wird es uns eine Ehre sein, Euer Volk in unserem Kampf an unserer Seite zu wissen. Wir werden es achten, unabhängig davon, wo es kämpft.«
Mit sachlicher Miene wandte sie sich dem Botschafter von Mardovia zu. Auch die Mardovianer waren ein stolzes Volk und nicht weniger leidenschaftlich. Ihnen blieb auch gar nichts anderes übrig, wenn sie auf dem harten Boden der Wildnis überleben wollten. Allerdings handelte es sich ebenfalls um ein kleines Land.
»Botschafter Seidon, bitte tretet vor und verkündet die Entscheidung Mardovias.«
Botschafter Seidon kam leichten Schritts nach vorn, wobei er die anderen aufmerksam beobachtete. Er verneigte sich aus der Hüfte, wodurch sein weißes Haar über den Goldbesatz auf seinen Schultern seines roten Wappenrocks fiel.
»Mutter Konfessor. Der Rat der Sieben von Mardovia in unserer Mutterstadt Renwold hat mich mit der Pflicht der langen Reise nach Aydindril beauftragt, um seine Entscheidung zu überbringen. Der Rat der Sieben hat weder den Wunsch noch die Absicht, die Herrschaft über unser geliebtes Volk an Außenstehende abzutreten, seien sie nun D'Haraner oder die Imperiale Ordnung.
Euer Krieg gegen die Imperiale Ordnung ist nicht der unsere. Der Rat der Sieben hat beschlossen, daß Mardovia unabhängig und neutral bleiben wird.«
Ein Soldat hinter ihr hustete in die Stille hinein. Das Geräusch hallte durch den gesamten marmornen Ratssaal.
»Botschafter Seidon, Mardovia liegt mitten in der östlichen Wildnis, nicht weit von der Alten Welt. Dort seid Ihr verwundbar.«
»Die Mauern, Mutter Konfessor, die unsere Mutterstadt Renwold umgeben, haben allen Prüfungen der Zeit standgehalten. Wie Ihr sagt, liegen wir mitten zwischen den Völkern der Wildnis. In der Vergangenheit haben diese Völker uns oft überfallen. Keinem ist auch nur gelungen, eine Bresche in die Mauern zu schlagen, erst recht nicht, unsere unerschütterlichen Verteidiger zu besiegen. Statt dessen treiben die verschiedenen Völker der Wildnis jetzt Handel mit uns, und mit Renwold ist in der östlichen Wildnis der Midlands ein Handelszentrum entstanden, das von allen respektiert wird, die uns einst erobern wollten.«
Kahlan beugte sich vor. »Die Imperiale Ordnung ist nicht irgendein Stamm der Wildnis, Botschafter. Sie wird Euch vernichten. Besitzt der Rat der Sieben nicht genug Verstand, das zu erkennen?«
Botschafter Seidon lächelte nachsichtig. »Ich verstehe Eure Sorge, Mutter Konfessor, aber wie ich schon sagte, die Mauern von Renwold leisteten uns gute Dienste. Seid versichert, Renwold wird nicht an die Imperiale Ordnung fallen.« Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Es wird auch nicht an diesen neuen Bund fallen, den Ihr zusammen mit D'Hara bildet.
Große Zahlen bedeuten nicht viel gegen einen Felsbuckel in der Wildnis. Ein Eroberer wird es schnell leid werden, sich die Zähne an einem so winzigen Brocken auszubeißen. Unsere geringe Größe, unsere Lage und unsere Mauern sorgen dafür, daß sich die Mühe nicht einmal ansatzweise lohnt. Schlössen wir uns Euch an, wären wir verwundbar, denn dann stünden wir für Widerstand.
Unsere Neutralität bedeutet keinerlei feindselige Absicht. Wir sind bereit, mit Eurem Bund Handel zu treiben, so wie wir bereit sind, mit der Imperialen Ordnung Handel zu treiben. Wir wünschen niemandem etwas Schlechtes, aber verteidigen werden wir uns selbst.«
»Botschafter Seidon, Eure Frau und Eure Kinder befinden sich in Renwold. Begreift Ihr nicht, in welcher Gefahr Eure Familie schwebt?«
»Meine geliebte Frau und die Kinder sind hinter den Mauern von Renwold in Sicherheit, Mutter Konfessor. Ich habe keine Angst um sie.«
»Werden Eure Mauern auch gegen Magie standhalten? Die Imperiale Ordnung setzt Zauberer ein! Oder hat Euch die Vergangenheit so trunken gemacht, daß Ihr die Bedrohung Eurer Zukunft nicht erkennt?«
Sein Gesicht hatte sich gerötet. »Der Beschluß des Rates der Sieben ist endgültig. Wir haben keine Angst um unsere Sicherheit. Auch bei uns gibt es Menschen, die über Magie verfügen und die die Mauern vor Magie schützen. Neutralität hat nichts Bedrohliches. Vielleicht solltet Ihr die Guten Seelen um Gnade bitten, schließlich seid Ihr es, die den Krieg will. Nach den Gesetzen der Gewalt zu leben, heißt sie herausfordern.«
Kahlan trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte, während alles auf ihre Entgegnung wartete. Sie wußte, selbst wenn sie diesen Mann überzeugen konnte, würde dies nichts nützen. Der Rat der Sieben hatte seinen Beschluß gefaßt, und dieser Mann konnte ihn nicht abändern, selbst wenn er wollte.
»Botschafter Seidon, Ihr werdet Aydindril bis zum Ende des heutigen Tages verlassen haben. Ihr werdet zum Rat der Sieben in Renwold zurückkehren und ihm erklären, daß D'Hara Neutralität nicht anerkennt. In diesem Kampf geht es um unsere Welt – darum, ob sie im Licht gedeihen oder im Schatten der Tyrannei verdorren wird. Lord Rahl hat verfügt, daß niemand neutral bleiben kann. Ich habe verfügt, daß es für die Imperiale Ordnung keine Gnade geben wird. In diesem Punkt sind wir einer Meinung.
Ihr entscheidet Euch entweder für uns oder gegen uns. Die Imperiale Ordnung sieht das ebenso.
Erklärt dem Rat der Sieben, daß Mardovia von nun an gegen uns steht. Einer von uns beiden, entweder D'Hara oder die Imperiale Ordnung, wird Mardovia erobern. Weist den Rat an, zu den Guten Seelen zu beten und sie zu bitten, daß wir es sind, die Euch erobern und Renwold einnehmen, und nicht die Imperiale Ordnung. Wir werden für Euren Widerstand harte Sanktionen verhängen, doch Euer Volk wird überleben. Sollte die Imperiale Ordnung als erste über Euch herfallen, dann werden sie Eure Verteidiger vernichtend schlagen und Euer Volk versklaven. Mardovia wird nur noch Vergangenheit sein.«
Sein nachsichtiges Lächeln wurde breiter. »Seid unbesorgt, Mutter Konfessor. Renwold wird gegen jedes Land standhalten, selbst gegen die Imperiale Ordnung.«
Kahlan betrachtete ihn mit kalter Wut. »Ich habe mitten unter den Toten in den Mauern von Ebinissia gestanden. Ich habe mit angesehen, welches Gemetzel die Imperiale Ordnung angerichtet hat. Und mir entging nicht, was sie davor mit den Lebenden gemacht haben. Ich bete für die armen Menschen, die unter den Selbsttäuschungen des Rates der Sieben zu leiden haben werden.«
Verärgert gab Kahlan den Wachen ein Handzeichen, sie möchten den Mann aus dem Ratssaal hinausbegleiten. Was mit dem Volk von Mardovia geschehen würde, wenn die Imperiale Ordnung zuerst angriff, wußte sie. Und auch, daß Richard nicht das Leben von Verbündeten aufs Spiel setzen konnte, nur um Renwold zu dessen eigener Sicherheit einzunehmen. Das Land lag zu weit abseits. Sie würde ihm davon abraten, wie auch jeder seiner Generäle.
Mardovia war verloren, und seine Neutralität würde die Imperiale Ordnung anlocken, wie der Geruch von Blut die Wölfe.
Sie war durch die Tore in den mächtigen Mauern von Renwold gegangen. Die Mauern waren beeindruckend. Unbezwingbar waren sie nicht. Die Imperiale Ordnung verfügte über viele Zauberer wie Marlin. Dem Zaubererfeuer würden die Mauern nicht standhalten, trotz der Menschen mit magischen Fähigkeiten, die Renwold verteidigten.
Kahlan versuchte, das Schicksal Mardovias aus ihren Gedanken zu verbannen, und bat die beiden Mitglieder der königlichen Familie von Grennidon vorzutreten.
»Wo steht Grennidon?« knurrte sie.
Walter Cholbane räusperte sich. Seine Schwester war es, die das Wort ergriff.
»Grennidon, ein Land von großer Bedeutung, ein Land mit weiten Feldern, deren Erzeugnisse –«
Kahlan schnitt ihr das Wort ab. »Ich fragte, wo Grennidon steht.«
Leonora rieb sich die Hände und versuchte die Entschlossenheit in Kahlans Augen abzuschätzen.
»Die königliche Familie bietet ihre Kapitulation an, Mutter Konfessor.«
»Danke, Leonora. Wir freuen uns für Euch und Euer Volk. Bitte sorgt dafür, daß meinen Offizieren alles an Information gewährt wird, was sie benötigen, damit Eure Armee unter unser gemeinsames Oberkommando gestellt werden kann.«
»Ja, Mutter Konfessor«, stammelte sie. »Mutter Konfessor, sollen unsere Streitkräfte vor den Mauern von Renwold zur Ader gelassen werden, um diese niederzureißen?«
Grennidon lag im Norden von Mardovia und befand sich in der günstigsten Angriffsposition, Kahlan wußte aber, daß Grennidon keinen Gefallen daran finden würde, einen Handelspartner anzugreifen. Zudem hatten einige aus dem Rat der Sieben in die königliche Familie Cholbane eingeheiratet.
»Nein. Renwold ist eine Stadt der lebenden Toten. Die Geier werden an den Knochen ihrer Bewohner nagen. Bis dahin ist der Handel mit Mardovia untersagt. Wir treiben Handel nur mit denen, die sich uns anschließen.«
»Ja, Mutter Konfessor.«
»Mutter Konfessor«, warf Walter, ihr Bruder, ein, »wir möchten einige der Bedingungen mit Lord Rahl besprechen. Wir haben Wertvolles anzubieten, außerdem möchten wir ihn auf einige wichtige Punkte aufmerksam machen.«
»Die Kapitulation erfolgt bedingungslos. Es gibt nichts zu besprechen. Lord Rahl trug mir auf, Euch daran zu erinnern, daß es keinerlei Verhandlungen geben wird. Entweder entscheidet Ihr Euch für uns oder gegen uns. Also: Wollt Ihr nun Eure Kapitulation vor Unterzeichnung der Urkunden zurückziehen und statt dessen das Schicksal Mardovias teilen?«
Er atmete tief durch. »Nein, Mutter Konfessor.«
»Danke. Sobald Lord Rahl Zeit findet – wie ich hoffe, bald –, wird er sich gerne anhören, was Ihr als geschätztes Mitglied des D'Haranischen Reiches vorzubringen habt. Bedenkt bitte, daß Ihr von nun an Teil D'Haras seid, dessen Herrscher er ist.«
Sie hatte sie weniger respektvoll behandelt als die beiden kleineren Länder, die ihre Kapitulation angeboten hatten. Es nicht zu tun, wäre darauf hinausgelaufen, sie zu ermutigen und so Schwierigkeiten herauf zu beschwören. Die beiden gehörten zu denen, die stets die roten Gemächer verlangten.
Walter und Leonora wirkten gelöster, nachdem Kahlan ihre Zustimmung entgegengenommen hatte. Die Cholbanes konnten bis zum Ende zäh und hartnäckig sein, aber war erst einmal Einigung erzielt und hatten sie ihr Wort gegeben, blickten sie nicht mehr zurück, überlegten sie niemals, was gewesen wäre, wenn. Diese Eigenschaft machte die Verhandlungen mit ihnen erträglich.
»Wir haben verstanden, Mutter Konfessor«, sagte Walter.
»So ist es«, fügte seine Schwester hinzu. »Und wir freuen uns auf den Tag, an dem die Imperiale Ordnung für unser Volk keine Bedrohung mehr darstellt.«
»Ich danke Euch beiden. Ich weiß, dieses Verhalten muß Euch barsch erscheinen, aber Ihr sollt wissen, daß wir hocherfreut sind, Euch und Euer Volk zu uns zu zählen.«
Als sie sich entfernten, um die Dokumente zu unterzeichnen und sich mit den Offizieren zu besprechen, richtete Kahlan ihre Aufmerksamkeit auf Tristan Bashkar aus Jara.
»Gesandter Bashkar, wo steht Jara?«
Tristan Bashkar war ein Mitglied der königlichen Familie von Jara. Ein Gesandter bekleidete dort eine Position von hohem Rang und Vertrauen. Von den hier Versammelten war er der einzige mit genügend Machtbefugnis, um den Entschluß zur Übergabe seines Landes abzuändern, ohne zu Beratungen nach Hause zurückzukehren. Gab es seiner Meinung nach gute Gründe, konnte er von den Anweisungen der königlichen Familie abweichen und damit auch Jaras Standpunkt verändern.
Kaum den Dreißigern entwachsen, stand ihm sein Alter gut zu Gesicht. Zudem machte er sich sein Äußeres zunutze, um die Menschen von seinem regen Verstand abzulenken. Hatte er die Menschen erst einmal mit seinem gefälligen Lächeln, seinen hellbraunen Augen und seinen glattzüngigen Schmeicheleien entwaffnet, entlockte er ihnen Zugeständnisse, bevor sie etwas davon merkten.
Er strich sich eine dichte Haarsträhne aus der Stirn – eine zwanghafte Angewohnheit. Oder vielleicht eine Methode, die Aufmerksamkeit auf seine Augen zu lenken, von denen Menschen sich leicht ablenken ließen.
Er breitete rechtfertigend die Hände aus. »Ich fürchte, Mutter Konfessor, es ist nicht so einfach wie ein schlichtes Ja oder Nein, wenn ich Euch auch versichern möchte, daß wir uns in Übereinstimmung mit dem großen Reich D'Haras befinden und sowohl Lord Rahls als selbstverständlich auch Eure Weisheit bewundern. Wir haben den Rat der Mutter Konfessor stets über den aller anderen gestellt.«
Kahlan seufzte. »Tristan, ich bin nicht in Stimmung für Eure üblichen Spiele. Ihr und ich, wir haben uns in diesen Räumen häufiger, als ich mich erinnern kann, Dispute geliefert. Stellt mich heute nicht auf die Probe. Ich werde das nicht zulassen.«
Als Mitglied der königlichen Familie war er in allen Kriegskünsten gut ausgebildet und hatte in der Vergangenheit hervorragend gekämpft. Breitschultrig und groß, war er eine stattliche Erscheinung. Sein ungezwungenes Lächeln besaß etwas Spielerisches, das alles Bedrohliche überdeckte. Daher kehrte Kahlan Tristan Bashkar sozusagen nie den Rücken zu.
Beiläufig knöpfte er seinen dunkelblauen Rock auf und stemmte eine Hand auf die Hüfte. Durch diese kleine Geste wurde ein reich verziertes Messer sichtbar, das in einer Scheide an seinem Gürtel steckte. Kahlan hatte hinter vorgehaltener Hand flüstern hören, daß Tristan Bashkar, wenn er in die Schlacht ging, lieber sein Messer zog als das Schwert. Es ging auch das Gerücht, es bereite ihm ein sadistisches Vergnügen, seinen Feind in Stücke zu schneiden.
»Ich gestehe, Mutter Konfessor, daß ich in der Vergangenheit mit der Offenlegung unserer Haltung zurückhaltend war, weil ich dadurch unser Volk vor der Habgier anderer Völker beschützen wollte, doch diesmal liegen die Dinge anders. Seht Ihr, nach unserer Einschätzung der Situation –«
»Das interessiert mich nicht. Ich will nur wissen, ob Ihr auf unserer Stelle steht oder auf der unserer Feinde. Wenn Ihr auf der unserer Feinde steht, Tristan, dann gebe ich Euch mein Wort, daß wir morgen früh Truppen in den königlichen Palast in Sandilar einreiten lassen werden, und die Soldaten werden entweder mit der bedingungslosen Kapitulation zurückkehren oder mit den Köpfen der königlichen Familie.
General Baldwin steht mit einer keltonischen Streitmacht von beträchtlicher Größe hier in Aydindril. Ihn werde ich schicken – Keltonier lassen ihre Königin niemals im Stich. Ich bin jetzt Königin von Kelton. Wollt Ihr Streit mit General Baldwin?«
»Selbstverständlich nicht, Mutter Konfessor. Wir wollen keinen Streit, aber wenn Ihr mich nur zu Ende anhören würdet –«
Kahlan schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und brachte ihn damit zum Schweigen. »Als die Imperiale Ordnung Aydindril besetzt hielt, bevor Richard es befreite, saß Jara als Verbündeter der Imperialen Ordnung mit im Rat.«
»Wie damals auch D'Hara«, erinnerte er sie freundlich.
Kahlan funkelte ihn wütend an. »Ich wurde vor den Rat gestellt und eben jener Verbrechen für schuldig erklärt, die die Imperiale Ordnung begangen hatte. Zauberer Ranson beantragte die Todesstrafe. Das Ratsmitglied aus Jara saß an diesem Tisch und wollte mich enthaupten lassen.«
»Mutter Konfessor…«
Kahlan zeigte mit einem Finger nach rechts. »Genau dort hat er gesessen und meine Hinrichtung gefordert.«
Sie blickte Tristan wieder in die braunen Augen. »Wenn Ihr genau hinseht, dann werdet Ihr vermutlich immer noch den Fleck an der Vorderseite des Tisches dort drüben erkennen können. Richard hat diese verräterischen Ratsmitglieder im Zuge der Befreiung Aydindrils hingerichtet. Diesen Fleck hat das Ratsmitglied aus Jara hinterlassen. Wie ich hörte, hat Richard den Mann fast in zwei Hälften geteilt, so wütend war er über den Verrat an mir und an dem Volk der Midlands.«
Tristan stand höflich da und ließ sich seine Gefühle nicht anmerken. »Daß dieses Ratsmitglied für Jara sprach, war keine Entscheidung der königlichen Familie, Mutter Konfessor. Der Mann war eine Marionette der Imperialen Ordnung.«
»Dann schließt Euch uns an.«
»Das wollen wir, und das war auch unsere Absicht. Um es ganz offen auszusprechen, man hat mich mit der Befugnis hergeschickt, eben dies zu erreichen.«
»Was immer Ihr verlangt, Tristan, Ihr werdet es nicht bekommen. Wir machen allen das gleiche Angebot. Sonderregelungen gibt es für niemand.«
»Würde man es als Sonderregelung auslegen, Mutter Konfessor, wenn Ihr mich zu Ende anhörtet?«
Kahlan seufzte. »Faßt Euch kurz, und Vergeßt nicht, Tristan, Euer Lächeln hat keine Wirkung auf mich.«
Er lächelte trotzdem. »Als Mitglied der königlichen Familie habe ich die Machtbefugnis und den Auftrag, Jara zu übergeben und Euch anzuschließen. Vor die Wahl gestellt, ist dies unser Wunsch.«
»Dann tut es.«
»Der rote Mond steht diesem Vorhaben im Weg.«
Kahlan richtete sich auf. »Was hat das damit zu tun?«
»Javas Kedar, unser Sterndeuter, hat großen Einfluß auf die königliche Familie, Mutter Konfessor. Er hat die Sterne zu unserer Kapitulation befragt und die Ansicht geäußert, daß die Sterne diesem Vorhaben wohlgesinnt sind.
Vor meiner Abreise erklärte mir Javas Kedar, die Sterne würden ein Zeichen geben, sollten sich die Umstände ändern. Ich solle auf dieses Zeichen achten. Der rote Mond hat mich bei unserem Vorhaben zögern lassen.«
»Der Mond ist kein Stern.«
»Der Mond steht am Himmel, Mutter Konfessor. Javas Kedar berät auch anhand der Mondsymbole.«
Kahlan zwickte sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken und seufzte. »Wollt Ihr zulassen, Tristan, daß aufgrund dieses Aberglaubens Unheil über Euer Volk kommt?«
»Nein, Mutter Konfessor. Aber ich bin bei meiner Ehre dazu verpflichtet, den Glauben meines Volkes zu beherzigen. Lord Rahl hat gesagt, eine Kapitulation bedeute nicht, daß wir unsere Sitten und Gebräuche aufgeben müssen.«
»Tristan, Ihr habt die entnervende Angewohnheit, die Wahrheit zurechtzustutzen, bis sie Euch paßt. Richard sagte, ein Land müsse seine Gebräuche nicht aufgeben, solange diese niemandem schaden und sie keine für alle gültigen Gesetze brechen. Ihr überschreitet eine gefährliche Grenze.«
»Wir wollen unter keinen Umständen seine Vorschriften umgehen oder irgendwelche Grenzen überschreiten, Mutter Konfessor. Ich verlange nichts weiter als ein wenig Zeit.«
»Zeit. Zeit wozu?«
»Zeit, Mutter Konfessor, um mich zu vergewissern, ob der rote Mond ein Zeichen dafür ist, daß wir Grund haben, einen Zusammenschluß mit D'Hara zu fürchten. Ich kann jetzt einfach nach Jara zurückreisen und mich mit Javas Kedar beraten, oder ich kann hier eine Weile abwarten, wenn Euch das lieber ist, um mich davon zu überzeugen, daß der rote Mond kein Zeichen der Gefahr darstellt.«
Die Jaraner und besonders die königliche Familie, soviel wußte Kahlan, glaubten leidenschaftlich an die Unterweisung durch die Sterne. Wieviel Mühe Tristan auch darauf verwendete, Weiberröcken hinterherzujagen, böte eine schöne Frau ihm seine Reize an, liefe er vor ihr davon, wenn er der Überzeugung wäre, daß die Sterne dagegen waren.
Er würde mindestens einen Monat brauchen, um nach Jara zurückzukehren, den Sternendeuter zu Rate zu ziehen und nach Aydindril zurückzukehren.
»Wie lange müßtet Ihr in Aydindril warten, bis Ihr Euch sicher wärt und ruhigen Gewissens kapitulieren könntet?«
Er legte einen Augenblick lang nachdenklich die Stirn in Falten. »Wenn Aydindril einige Wochen lang sicher bliebe, würde ich das Zeichen ruhigen Gewissens nicht als böses Omen betrachten.«
Kahlan trommelte mit ihren Fingern auf den Tisch.
»Ihr habt zwei Wochen Zeit. Keinen Tag länger.«
»Danke, Mutter Konfessor. Ich werde dafür beten, daß wir den Zusammenschluß mit D'Hara in zwei Wochen vollziehen können.« Er verneigte sich. »Guten Tag, Mutter Konfessor. Ich sehe dem für uns günstigen Entschluß der Sterne mit Freude entgegen.«
Er entfernte sich einen Schritt, drehte sich aber noch einmal um. »Übrigens, wißt Ihr vielleicht einen Platz, wo ich solange wohnen könnte? Unser Palast wurde während Eures Kampfes mit dem Lebensborn niedergebrannt. Wegen der Zerstörungen in Aydindril ist es nicht einfach, eine Unterkunft zu finden.«
Sie wußte, worauf er hinauswollte – er wollte in der Nähe sein, damit er sehen konnte, ob die Sterne einen Schlag gegen die d'Haranische Führung führten. Der Mann hatte eine zu hohe Meinung von sich und hielt sich für klüger, als er war.
Kahlan lächelte. »Aber ja, ich weiß etwas. Ihr werdet gleich hier bleiben, wo wir ein Auge auf Euch halten können, bis die zwei Wochen vorüber sind.«
Er knöpfte seinen blauen Rock zu. »Vielen Dank für Eure Gastfreundschaft, Mutter Konfessor.«
»Noch etwas, Tristan. Solltet Ihr, solange Ihr Gast unter meinem Dach seid, eine der Frauen, die hier leben und arbeiten, auch nur mit einem Finger berühren, werde ich dafür sorgen, daß man Euch etwas ganz Bestimmtes abschneidet.«
Er lachte amüsiert. »Ich wußte gar nicht, daß Ihr dem Gerede über mich Glauben schenkt, Mutter Konfessor. Leider muß ich oft auf käufliche Reize zurückgreifen, wenn ich Gesellschaft will. Es schmeichelt mir jedoch, daß Ihr mich für so begabt im Gewinnen von jungen Damen haltet. Sollte ich Eure Regeln brechen, erwarte ich, daß man mich vor Gericht stellt und mich zu einer Strafe Eurer Wahl verurteilt.«
Vor Gericht.
Richard hatte erzählt, die Menschen, die der Tempel der Winde fortgeschickt hatte, seien vor Gericht gestellt worden. In der Burg der Zauberer existierten Aufzeichnungen sämtlicher dort abgehaltener Gerichtsverhandlungen. Sie hatte nie eines dieser Bücher gelesen, aber man hatte ihr davon berichtet. Vielleicht ließe sich anhand der Aufzeichnungen über die Gerichtsverhandlungen feststellen, was mit dem Tempel der Winde geschehen war.
Als Kahlan Tristan Bashkar hinter einem Wachenpaar verschwinden sah, mußte sie an Richard denken und fragte sich, was er wohl herausbekommen würde. Ob er abermals einen Bruder verlieren würde?
Kahlan kannte die meisten Frauen, die im Palast der Konfessoren arbeiteten. Sie respektierten Richard als einen ehrenvollen Mann. Die Vorstellung, daß sie einen Mann anbeteten, der sie dadurch zu gewinnen hoffte, indem er ihr Vertrauen in Richard ausnutzte, behagte ihr ganz und gar nicht.
Der Gedanke an Richard versetzte ihr einen schmerzlichen Stich. Er hoffte, Drefan würde sich als ein Bruder erweisen, auf den er stolz sein konnte. Hoffentlich wurde Drefan nicht zum Problem. Sie mußte daran denken, wie er Cara begrabscht hatte.
Kahlan wandte sich an die Mord-Sith. »Drei weitere Länder, die auf unserer Seite stehen, eines verloren und eines, das sich noch entscheiden muß.«
Cara lächelte verschwörerisch. »Eine Schwester des Strafers muß imstande sein, Angst in die Herzen der Menschen einzupflanzen. Der Strafer steht Euch gut, Mutter Konfessor. Ich meinte zu hören, wie einigen von ihnen auf dem Weg hierher die Knie geschlottert haben.«