Drefan schob ihr seine Hand unter den Arm und zog sie mit der Schulter an sich heran. Auf den weißen Rüschen seines Hemdes baumelten zwei rote Strafer.
»Wird es nicht langsam Zeit, daß du mit dieser Verstellung aufhörst, Weib? Solltest du nicht langsam deinen Begierden nachgeben und dir dein Verlangen nach mir eingestehen?«
Kahlan blickte ihm haßerfüllt in die blauen Darken-Rahl-Augen. »Bist du tatsächlich wahnsinnig, Drefan, oder tust du nur so? Ich habe der Ehe mit dir zugestimmt, um Menschenleben zu retten, und nicht, weil ich es so wollte. Wann wirst du dir das endlich eingestehen? Weder liebe ich dich, noch werde ich dich jemals lieben.«
»Liebe? Wann habe ich je von Liebe gesprochen? Ich spreche von Leidenschaft.«
»Du machst dir etwas vor, wenn du glaubst, ich würde je –«
»Das hast du bereits. Und du willst es wieder.«
Es tat ihr in der Seele weh, daß er so mühelos dahintergekommen war, was sich mit Richard zugetragen hatte. Ständig erinnerte er sie daran und verspottete sie deswegen. Es war ihre ewig währende Strafe für das, was sie getan hatte, ein Makel, den sie nicht mehr los wurde.
Ferner Donner rollte durch die Berge, während das Frühlingswetter, das so plötzlich aufgekommen war, weiterzog, fort von der Stadt. Die wilden Blitze hatten Kahlan an Richard erinnert. Sie hatte am Fenster gestanden, dem heftigen Lichtzucken zugesehen und sich dabei erinnert.
»Niemals.«
»Du bist meine Frau. Du hast einen Eid geschworen.«
»Richtig, Drefan. Ich habe einen Eid geschworen, und ich bin deine Frau. Ich werde zu meinem Wort stehen, aber die Seelen sind mit dem, was ich gegeben habe, bereits zufrieden. Mehr verlangen sie nicht, sonst hätte die Pest nicht aufgehört.« Sie riß ihren Arm los. »Wenn du mich haben willst, wirst du mich vergewaltigen müssen, denn ich werde weder freiwillig noch aus Bequemlichkeit in dein Bett steigen.«
Sein Lächeln konnte einen in den Wahnsinn treiben. »Ich kann warten, bis du endlich deiner Lust nachgibst. Du sollst Freude daran haben. Ich kann es kaum aushalten, bis du dir das endlich eingestehst und mich darum bittest.«
Er stolzierte davon, drehte sich aber noch einmal um, als sie seinen Namen rief.
»Was hast du mit Caras und Berdines Strafern zu schaffen?«
Einen Strafer zu berühren war nur dann schmerzhaft, wenn dieser zuvor gegen denjenigen benutzt worden war – wenn man Gefangener einer Mord-Sith gewesen war. Strafer waren lediglich in den Händen jener Mord-Sith eine Waffe, denen sie gehörten. Ohne die Bande zu einem echten Lord Rahl jedoch verloren sie ihre Wirkung. Für Drefan waren sie nur ein obszöner Schmuck.
Er nahm die roten Stäbe von seiner Brust und betrachtete sie. »Nun, ich dachte, jetzt, da ich Lord Rahl bin, sollte ich sie als Symbol meiner Machtbefugnis tragen. Schließlich hat Richard auch einen getragen. Du trägst ebenfalls einen.«
»Die Strafer, die wir tragen, sind keine Symbole irgendeiner Machtbefugnis. Sie sind ein Zeichen des Respekts für die Frauen, denen sie gehört haben.«
Achselzuckend ließ er sie zurückfallen. »In der Armee ist man ziemlich beeindruckt, wenn man sie sieht. Das reicht mir. Gute Nacht, meine Liebe. Schlaf gut.« Sein verschlagenes Lächeln kehrte zurück. »Ruf mich einfach, wenn du etwas brauchst.«
Einen leisen Fluch murmelnd, stemmte Kahlan die Tür zu ihren Gemächern mit der Schulter auf. Sie war erschöpft und wollte nichts weiter, als ins Bett fallen, doch sie wußte, daß ihr die ruhelosen Gedanken den Schlaf rauben würden.
Berdine erwartete sie.
»Ist er zu Bett gegangen?« fragte sie und meinte Drefan.
»Ja«, antwortete Kahlan. »Genau wie ich gleich auch.«
»Nein, das wird nicht gehen. Ihr müßt mich begleiten.«
Kahlan runzelte die Stirn angesichts des ernsten Ausdrucks auf Berdines Gesicht. »Wohin wollt Ihr mich bringen?«
»Wir müssen hinauf zur Burg der Zauberer.«
»Was ist geschehen? Handelt es sich um die Sliph? Hat jemand versucht durch sie hierherzukommen?«
Berdine machte eine wegwerfende Handbewegung und trat näher. »Nein, nein, es geht nicht um die Sliph.«
»Um was dann?«
»Ich will bloß, daß Ihr mit hinaufkommt, das ist alles. Ich hätte gerne ein wenig Gesellschaft.«
Kahlan legte der Frau die Hand auf die Schulter. »Ich weiß, wie einsam Ihr Euch fühlen müßt, Berdine, aber es ist spät, ich habe Kopfschmerzen, und ich bin müde. Ich war den ganzen Nachmittag und Abend über mit Drefan, General Kerson und einer Reihe von Offizieren in einer Besprechung. Drefan will die Truppen nach D'Hara zurückmarschieren lassen – er möchte, daß wir alle nach D'Hara zurückkehren. Die Midlands will er der Imperialen Ordnung überlassen und sich ganz auf die Verteidigung D'Haras konzentrieren. Ich habe mir den Mund zerredet, um ihn davon abzubringen.
Ich muß ins Bett und mich ein wenig ausruhen, damit ich morgen früh aus den Federn komme und ein weiteres Mal versuchen kann, ihnen Drefans unsinnigen Plan auszureden. Der General ist sich nicht ganz sicher, ob Drefan nicht vielleicht doch recht hat. Ich schon.«
»Schlafen könnt Ihr später. Jetzt kommt Ihr mit mir hinauf zur Burg.«
Kahlan blickte in ihre Mord-Sith-Augen. Denn genau das waren sie: Mord-Sith-Augen. Nicht Berdine sprach hier, sondern Herrin Berdine – so kalt und fordernd, wie eine Mord-Sith nur sein konnte.
»Erst wenn Ihr mir erklärt, warum«, entgegnete Kahlan ruhig.
Berdine packte Kahlans Arm. »Ihr werdet mich hinauf in die Burg begleiten. Entweder im Sattel sitzend oder quer darüber liegend – die Entscheidung liegt ganz bei Euch –, aber ihr werdet mitkommen, und zwar gleich.«
Kahlan hatte noch nie einen so entschlossenen Ausdruck in Berdines Augen gesehen. Er war beängstigend. Anders konnte man ihn nicht nennen: beängstigend.
»Also gut, reiten wir los, wenn Euch das so wichtig ist. Ich will nur den Grund wissen.«
Statt einer Antwort packte Berdine Kahlans Arm noch fester und schob sie gewaltsam zur Tür. Berdine öffnete die Tür einen Spaltbreit, linste hinaus, dann steckte sie den Kopf hindurch und sah sich um.
»Die Luft ist rein«, flüsterte sie. »Los.«
»Berdine, Ihr macht mir angst. Was ist passiert?«
Ohne eine Antwort stieß Berdine sie durch die Tür. Sie nahmen den Dienstbotenaufgang und vermieden die besser bewachten Gänge. Berdine mußte mit den Wachen gesprochen haben, auf die sie stießen, denn als ihnen zwei entgegenkamen, drehten sie ab und sahen zur Seite, als hätten sie niemanden bemerkt.
Zwei Pferde warteten, beides Armeepferde, große rotbraune Wallache.
Berdine warf Kahlan einen Soldatenumhang zu. »Hier, zieht das über, und verhüllt damit Euer weißes Kleid, damit die Menschen Euch nicht erkennen, sonst erfährt Drefan davon.«
»Wieso darf Drefan nicht erfahren, wohin wir reiten?«
Berdine packte Kahlans Ferse und stopfte ihren Fuß in den Steigbügel, der zu groß war und zu locker saß, da er für den Stiefel eines Mannes gemacht war. Berdine gab Kahlan einen Klaps auf den Hintern.
»Macht endlich, daß Ihr aufs Pferd kommt.«
Kahlan gab ihren Widerstand auf. Berdine hatte offenkundig nicht die Absicht, ihr zu verraten, was die Eile zu bedeuten hatte. Während des Ritts hinauf zur Burg der Zauberer schwiegen sie wie auch während des Marsches durch die menschenleeren Flure, Gänge und Säle.
Beim Einbiegen in den letzten steinernen Gang zur Sliph begegneten sie Cara, die vor einer Tür Wache hielt. Cara verhielt sich, während ihr die beiden entgegeneilten, in ihrem unnachgiebigen Gebaren ebenso rätselhaft wie Berdine.
An der Tür angekommen, packte Berdine den Riegel mit der einen und Kahlans Arm mit der anderen Hand.
Der Ausdruck in ihren Augen war unmißverständlich und nüchtern. »Wagt bloß nicht, mich zu enttäuschen, Mutter Konfessor, oder Ihr werdet am eigenen Leib erfahren, weshalb Mord-Sith so gefürchtet sind. Cara und ich werden bei der Sliph warten.«
Ohne sich umzusehen, machte Cara sich auf den Weg zur Sliph, während Berdine die Tür öffnete und Kahlan grob in den Raum hineinstieß. Kahlan stolperte und fing sich wieder, während sie sich umblickte und bemerkte, daß Berdine die Tür zuzog.
Kahlan drehte sich um und sah sich Richard gegenüber.
Ihr Herz schien ebenso auszusetzen wie ihre Atmung.
Ein halbes Dutzend Kerzen in einem eisernen Halter spiegelten sich als kleine Lichtpunkte in seinen grauen Augen wider. Er wirkte überlebensgroß. Jede Einzelheit war genauso, wie sie sich daran erinnerte. Nur das Schwert fehlte.
Der Widerstreit der Gefühle ließ ihr den Atem in den Lungen stocken.
Endlich fand sie die Sprache wieder. »Die Pest ist vorbei.«
»Ich weiß.«
Der Raum erschien ihr so winzig. Das Mauerwerk so finster. Die Luft so drückend. Sie hatte Mühe, Luft zu holen und ihren plötzlich schneller schlagenden Puls zu beruhigen.
Obwohl es in den unteren Gefilden der Burg der Zauberer kühl war, hatten sich auf seiner Stirn Schweißperlen gebildet. Ein Tropfen rollte über seinen Wangenknochen und hinterließ eine feuchte Spur.
»Was machst du dann hier? Was sollte das für einen Sinn haben? Ich bin verheiratet. Wir haben uns nichts zu sagen … nicht nachdem … nicht hier, so wie jetzt, alleine.«
Er wich ihrem Blick aus, als er den kühlen Unterton in ihrer Stimme vernahm.
Sie hatte gehofft, ihn damit zu zwingen, es auszusprechen.
Gütige Seelen, laßt ihn sagen, daß er mir verzeiht.
Statt dessen meinte er: »Ich habe Cara und Berdine gebeten, dich hierherzubringen, damit ich mit dir sprechen kann. Ich bin zurückgekommen, weil ich mit dir reden muß. Wirst du mir wenigstens das zugestehen?«
Kahlan wußte nicht, wohin mit ihren Händen.
»Natürlich, Richard.«
Er bedankte sich mit einem Nicken. Er schien Schmerzen zu haben. Er wirkte gequält. Seine Augen hatten den stumpfen Glanz eines Menschen, der leidet.
Nichts wünschte sie sich so sehr, als daß er sie um Verzeihung bäte. Das allein hätte ihr gebrochenes Herz wieder gesund gemacht. Das waren die einzigen Worte, die für sie eine Bedeutung gehabt hätten. Sie wollte, daß er es aussprach, doch er stand einfach da und hielt den Blick auf den kalten Stein der Mauer gerichtet.
Sie entschied, daß er es nur dann aussprechen, ihr nur dann verzeihen würde, wenn sie ihn dazu zwang.
»Du bist also gekommen, um mir zu verzeihen, Richard?«
Er sprach leise, aber mit großer Entschlossenheit.
»Nein, ich bin nicht hier, um dir zu verzeihen. Ich kann dir nicht verzeihen, Kahlan.«
Sie wandte sich ab. Endlich hatte sie einen Platz für ihre Hände gefunden. Sie preßte die geballten Fäuste gegen ihren Bauch.
»Verstehe.«
»Kahlan«, meinte er in ihrem Rücken, »ich kann dir nicht verzeihen, weil es verkehrt von mir wäre, herzukommen, um dir zu verzeihen.
Würdest du wollen, daß ich dir deine Menschlichkeit verzeihe? Soll ich dir verzeihen, daß du deinen Durst löschst? Das Essen verzeihen, wenn du hungrig bist? Dir das Gefühl der wärmenden Sonne auf deinem Gesicht verzeihen?«
Kahlan wischte sich über die Wangen und drehte sich zu ihm um. »Was redest du da?«
In seinem Gürtel steckte der Stiel einer Rose. »Die hat mir deine Mutter mitgegeben.«
»Meine Mutter?«
Richard nickte. »Sie fragte, ob ich Freude daran hätte, und als ich das bejahte, fragte sie mich, ob ich zu dir zurückkehren würde. Es hat lange gedauert, bis ich begriff, was sie meinte.«
»Und was?«
»Daß wir über die Fähigkeit verfügen, uns an solchen Dingen zu erfreuen. Ist es schlimm, wenn du dich am Anblick einer Rose erfreust, an ihrem Duft, auch wenn ich nicht derjenige war, der sie dir geschenkt hat? Muß ich dir das verzeihen?«
»Hier geht es um etwas völlig anderes als um die Freude am Duft einer Rose.«
Er ließ sich auf ein Knie fallen. Er preßte die geschlossene Faust auf seinen Unterleib. »Kahlan, ich war einmal einer Frau über mein Fleisch und Blut verbunden, so wie du deiner Mutter verbunden warst. Das ist die einzige fleischliche Verbindung, die wir in diesem Leben kennenlernen.«
Er legte die Faust auf seine Brust. »Danach verbinden wir uns ausschließlich hierüber. Nur im Herzen können wir miteinander verbunden sein. Dein Herz hast du ihm nicht geschenkt. Das gehörte mir und mir allein.
Die Winde, die Seelen, haben ihren Preis von dir gefordert. Sie haben dir nicht viel gelassen, und du hast dich entschlossen, das, was blieb, zu nehmen und weiterzuleben. Du hast eine menschliche Wahl getroffen. Es war ein Kampf ums Überleben. Du hast dich einfach an etwas erfreut, das dir zustand.
Du gehörst mir nicht. Du bist nicht meine Sklavin. Ich habe dir nichts zu verzeihen. In deinem Herzen hast du mich nicht betrogen. Es käme einer Anmaßung widerwärtigster Art gleich, wenn ich dir meine Vergebung anbieten würde, obwohl du mich in deinem Herzen nicht verraten hast.«
Beim Luftholen spürte Kahlan, wie sie zitterte.
»Du hast mich verletzt, Richard. Ich hatte geglaubt, mein Herz sei bei dir in sicheren Händen, für immer, ganz gleich, was auch geschieht – und du hast mich einfach stehenlassen. Du hattest es mir versprochen. Ich durfte es dir nicht einmal erklären.«
»Ich weiß«, sagte er leise.
Sein anderes Knie berührte den Boden, als er sich zu ihren Füßen verneigte. Er senkte das Haupt.
»Aus diesem Grund bin ich zurückgekehrt. Ich bin gekommen, um dich um Verzeihung zu bitten. Ich bin es, der versagt hat. Ich bin es, der den wahren Schmerz verursacht hat, der unsere Herzen verraten hat, nicht du. Das ist die schlimmste Sünde, derer ich mich schuldig machen konnte, und ich allein trage die Schuld daran.
Zu meiner Verteidigung kann ich nichts vorbringen. Dafür gibt es keine Entschuldigung.
Was ich dir angetan habe, tut mir leid, Kahlan. Ich kann meinen Fehler nicht ungeschehen machen. Ich habe dich zutiefst verletzt, und dafür werfe ich mich dir zu Füßen und bitte dich um Vergebung. Verdient habe ich sie nicht, aber wenigstens möchte ich dich darum bitten.«
Als er vor ihren Füßen kniete, ragte sie hoch über ihm auf.
»Wirst du mir verzeihen, Richard?«
»In meinem Herzen ist für nichts anderes Platz als für die Liebe zu dir, Kahlan, auch wenn wir nicht Zusammensein können. Ich bin zwar von meinem Schwur befreit, du dagegen bist an einen anderen gebunden, und das muß ich respektieren. Aber dennoch liebe ich keine andere als dich. Wenn du es von ganzem Herzen wünschst, dann werde ich dir verzeihen.
Bitte, Kahlan, alles, was ich mir in diesem Leben wünsche, ist, daß du mir verzeihst.«
Noch Augenblicke vorher hatte sie gezweifelt, war sie sich über ihre wahren Gefühle ihm gegenüber im unklaren gewesen. Jetzt überrollte sie die Gewißheit wie eine Lawine.
Kahlan sank vor ihm zu Boden. Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und zwang ihn, sie anzusehen.
»Ich vergebe dir, Richard. Ich liebe dich von ganzem Herzen, und ich vergebe dir.«
Er lächelte traurig. »Danke.«
Sie spürte die wundersame Gesundung ihres Herzens, die Freude, die in diese Leere hineinströmte, als kehrte das Leben selbst zurück.
»Während der Zeremonie, als ich mit Drefan verheiratet wurde, habe ich die Worte, die man von mir verlangte, laut gesprochen, in Gedanken jedoch, in meinem Herzen, habe ich dir den Eheschwur geleistet.«
Richard wischte ihr eine Träne vom Kinn. »So wie ich dir.«
Sie drückte seine Arme. »Was sollen wir jetzt nur tun, Richard?«
»Es gibt nichts zu tun. Du hast Drefan die Treue geschworen.«
Mit den Fingern berührte sie sein Gesicht. »Aber was wird aus dir? Was wird aus dir und mir?«
Sein Lächeln erlosch. Er schüttelte den Kopf. »Das spielt keine Rolle. Ich habe, was ich brauche – deshalb bin ich hergekommen. Du hast mir mein Herz zurückgegeben.«
»Aber wie können wir so weiterleben? Und nicht nur das, wir müssen schnellstmöglich etwas unternehmen. Drefan will die Truppen nach D'Hara zurückziehen und sich dort der Imperialen Ordnung entgegenstellen.«
In Richards Augen blitzte Wut auf. »Nein. Daran mußt du ihn unbedingt hindern, Kahlan. Wenn du zuläßt, daß Jagang die Neue Welt teilt, wird er sie sich Stück für Stück einverleiben, und ganz am Ende wird D'Hara fallen. Du darfst nicht zulassen, daß Drefan es so weit kommen läßt. Versprich mir, daß du das nicht zulassen wirst.«
»Das brauche ich dir nicht zu versprechen. Du bist Lord Rahl. Du kannst es sofort verhindern. Ich bin die Mutter Konfessor. Wir werden es gemeinsam verhindern.«
»Du mußt es tun, Kahlan. Ich kann dir nicht helfen.«
»Aber warum nicht? Du bist zurückgekehrt. Alles wird wieder gut werden. Wir werden uns etwas einfallen lassen – irgendeine Möglichkeit finden. Du bist der Sucher, du findest immer einen Weg.«
»Ich sterbe.«
Eine eisige Kälte durchzuckte ihren Körper. »Was? Was … meinst du damit, du stirbst? Du darfst nicht sterben, Richard, nicht jetzt. Nicht nachdem … Nein, Richard, nein, es ist alles wieder in Ordnung. Du bist wieder da. Alles wird gut werden.«
Dann sah sie es: das Gequälte in seinem Blick – und als er auf die Seite stürzte, wurde ihr klar, daß er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.
»Die Seelen haben einen Preis verlangt, damit ich zurückkehren konnte.«
Er hustete und wand sich vor Schmerzen. Sie klammerte sich an ihn.
»Wovon sprichst du? Welchen Preis?«
»Als ich dort war, im Tempel der Winde, konnte ich mir das gesamte Wissen aneignen und Gebrauch davon machen. Ich benutzte es dazu, die Pest aufzuhalten. Irgendwie gelang es mir, den Kraftfluß der Winde zu unterbrechen, über den das Buch der Magie in dieser Welt funktionierte.«
»Soll das heißen, du weißt jetzt nicht mehr, wie es geht? Soll das etwa heißen, daß die Pest erneut ausbrechen wird?«
Er hob eine Hand, um sie zu beruhigen. »Nein, die Pest nicht. Doch als Preis für meine Rückkehr in diese Welt durfte ich das Wissen der Winde nicht behalten. Ich mußte so zurückkehren, wie ich vorher war.«
»Aber … heißt das, daß du einfach wieder sterblich bist wie vorher auch?«
»Nein. Der Preis war wesentlich höher. Sie haben verlangt, wenn ich zurückkehren wollte, müßte ich die Magie des entwendeten Buches in mich aufnehmen, um sie von der übrigen Welt des Lebendigen fernzuhalten.«
»Was?« hauchte Kahlan mit aufgerissenen Augen. »Willst du etwa sagen –?«
»Ich habe die Pest.«
Sie faßte ihn mit einer Hand an der Schulter und legte ihm die andere auf die Stirn. Er glühte vor Fieber.
»Warum hast du mir das nicht früher gesagt, Richard?«
Er lächelte trotz seiner Schmerzen. »Vergebung war alles, was ich brauchte, alles, was ich wollte, aber ich mußte wissen, ob sie aufrichtig war und nicht bloß aus Mitleid gewährt wurde.«
»Du darfst nicht sterben, Richard. Nicht jetzt. Gütige Seelen, du darfst nicht sterben!«
»Die Guten Seelen haben nichts damit zu tun. Darken Rahl war es, der Drefan für dich ausgesucht hast, als Preis für den Pfad in die Winde, und er war es auch, der dies als Preis für meine Rückkehr verlangt hat.«
»Deine Rückkehr! Du willst mir doch nicht erzählen, daß du nur zum Sterben zurückgekehrt bist? Oh, Richard, wie konntest du nur so etwas Törichtes tun?«
»Wäre ich im Tempel der Winde geblieben, wäre ich allmählich auch gestorben, allerdings ohne daß du mir verziehen hättest. Statt dessen beschloß ich, dich aufzusuchen, in der Hoffnung, daß ein Teil von dir mich noch genügend liebt, um mir zu verzeihen, und daß ich wenigstens in der Gewißheit sterben könnte, deine Liebe zurückgewonnen zu haben. Als mir klar wurde, was ich dir angetan und welches Leid ich deinem Herzen zugefügt hatte, konnte ich nicht einfach weitermachen.«
»Glaubst du vielleicht, das zerreißt mir nicht das Herz? Irgend etwas müssen wir doch tun können, Richard? Aber was nur? Das mußt du doch gewußt haben – bitte!«
Richard kippte, sich den Bauch haltend, zur Seite um. »Tut mir leid, Kahlan. Es gibt keine Möglichkeit. Ich nehme die Magie des entwendeten Buches in mich auf. Wenn ich sterbe, stirbt diese Magie mit mir.«
Kahlan klammerte sich an ihn, als die Tränen sie überwältigten. »Bitte, Richard, tu das nicht! Bitte stirb nicht.«
»Tut mir leid, Kahlan, dagegen gibt es keine Hilfe. Ich war bereit, den Preis zu zahlen. Jetzt hat mein Herz seinen Frieden gefunden.« Er hob die Hand und berührte den Strafer an der Kette um ihren Hals. »Ich habe keinen Augenblick gezögert, nachdem ich begriffen hatte. Denna hat mir geholfen zu verstehen.«
Kahlan umarmte ihn, während er sich auf den Rücken wälzte. »Es muß einen Weg geben, Richard. Bevor sie dir das Wissen wieder genommen haben, hättest du bestimmt eine Lösung gewußt. Versuche dich zu erinnern. Bitte, Richard, versuch dich zu erinnern.«
Seine Lider senkten sich matt herab. »Ich brauche dringend … Ruhe. Tut mir leid. Ich bin mit meinen Kräften am Ende. Ich muß mich ein wenig ausruhen.«
Weinend ergriff Kahlan mit beiden Händen seine Hand. Das alles war zu niederschmetternd, um es zu ertragen – ihn wiederzuhaben, nur um ihn daraufhin abermals zu verlieren.
Sie öffnete seine schlaffe Hand, drückte sie an ihre Wange. Dabei fiel ihr etwas in seiner Handfläche auf. Sie bog seine Finger zurück und sah durch ihre Tränen hindurch die Schrift auf seiner Handfläche.
Dort stand: Finde das Buch, und zerstöre es für das Leben.
Kahlan beugte sich weit über seinen bewußtlosen Körper und griff nach seiner anderen Hand. Eine Prise weißen Zauberersand auf die dritte Seite. Dazu ein Korn schwarzen Zauberersand.
Dort standen noch drei weitere Worte, doch in ihrem Zustand völliger gedanklicher Verwirrung kam sie nicht darauf, wie sie ausgesprochen wurden.
Er hatte gewußt, daß er vergessen würde, und hatte, bevor es soweit war, sich selbst eine Nachricht hinterlassen. Er hatte sogar vergessen, daß er sie aufgeschrieben hatte.
Das Buch. Sie mußte das Buch finden.
Und dann rannte sie los und schrie aus Leibeskräften:
»Cara! Berdine! Helft mir! Cara! Berdine!«
Als sie Kahlan auf ihrem Weg ins Turmzimmer ihre Namen rufen hörten, kamen die beiden Frauen aus dem Raum der Sliph hervorgeschossen und traten hinaus auf den Rundgang neben dem tiefschwarzen Becken.
Kahlan packte sie an ihren roten Lederanzügen und versuchte, es ihnen zu erklären. Die beiden packten Kahlan rechts und links bei den Armen und drückten sie an die Wand.
»So beruhigt Euch doch«, sagte Berdine.
»Wir verstehen Euch nicht«, meinte Cara. »Tief durchatmen. Heult nicht herum, sondern atmet tief durch.«
»Richard –« Sie versuchte, irgendwohin zu zeigen, doch die beiden hielten ihre Arme fest. »Richard hat die Pest …. Ich brauche das Buch.«
Berdine beugte sich näher zu ihr vor. »Lord Rahl … hat die Pest?«
Kahlan nickte heftig. »Ich muß das Buch beschaffen. Das Buch, das aus dem Tempel der Winde entwendet wurde. Ich muß es beschaffen, sonst stirbt er.« Kahlan riß ihre Arme los. »Bitte, so helft mir doch. Richard hat die Pest.«
»Was müssen wir tun?« fragte Cara.
»Ich gehe in die Alte Welt. Beschützt ihn.«
»In die Alte Welt!« entfuhr es Berdine. »Wißt Ihr überhaupt, wo sich das Buch befindet? Hat er Euch gesagt, wo Ihr danach suchen müßt? Hat er Euch irgendeinen Hinweis gegeben?«
»Ich habe keine Ahnung, wo es sich befindet! Aber es ist seine einzige Chance! Er hat die Magie der Pest auf sich genommen, um in diese Welt zurückkehren zu können. Um mich um Vergebung zu bitten. Er wollte mir sagen, es tue ihm leid, daß er mich so verletzt hat. Wenn wir das Buch nicht vernichten, stirbt er – und das nur, weil er sich entschuldigen wollte. Er stirbt! Ich muß sofort los!«
»Aber Mutter Konfessor«, meinte Berdine, »die Alte Welt ist groß. Wenn Richard tatsächlich die Pest hat … wie könnt Ihr dann hoffen, das Buch zu finden?«
Rechtzeitig. Das war es, was sie meinte. Wie konnte sie hoffen, das Buch rechtzeitig zu finden? Bevor Richard starb.
Kahlan krallte ihre Hand in rotes Leder. »Ich muß es versuchen! Beschützt Richard. Drefan darf nicht erfahren, daß Richard wieder da ist. Ich weiß nicht, was er dann unternehmen würde. Verratet es ihm nicht!«
Cara schüttelte den Kopf. »Macht Euch deswegen keine Sorgen. Wir werden Drefan nichts verraten. Wir werden uns um Richard kümmern, solange Ihr fort seid. Wir werden ihn hier in der Burg der Zauberer verstecken. Aber beeilt Euch. Solltet Ihr es nicht finden, kommt bitte zurück, bevor –«
Kahlan stürzte in den Raum der Sliph und rannte zum Brunnen. Die Sliph lächelte, als sie die Mutter Konfessor erblickte.
»Möchtest du –«
»Reisen! Ich muß reisen! Sofort!«
»Wohin möchtest du reisen?«
»In die Alte Welt!«
»Wohin in der Alten Welt? Ich kenne dort eine Reihe von Orten. Wir können reisen, wohin du willst. Ich bringe dich hin. Du wirst zufrieden sein.«
Kahlan preßte sich die Hand auf den Kopf und stöhnte verzweifelt, als die Sliph sich anschickte, Orte aufzuzählen, von denen Kahlan noch nie gehört hatte.
»Ich will dorthin, wo du mit Richard warst, mit deinem Herrn und Meister, als er mich holen wollte! Als ich das erste Mal mit dir gereist bin!«
»Ich weiß, welchen Ort du meinst.«
Kahlan raffte ihr weißes Kleid und kletterte umständlich auf die Ummauerung des Brunnens. »Dahin will ich! Bring mich dahin! Beeil dich! Das Leben deines Herrn und Meisters steht auf dem Spiel!«
»Beschützt Richard!« rief sie Cara und Berdine zu.
»Was sollen wir Drefan sagen, wenn er fragt, wo Ihr seid?« rief Berdine ihr hinterher.
»Keine Ahnung. Ihr werdet Euch etwas einfallen lassen müssen.«
»Wir werden uns bis zu Eurer Rückkehr um Richard kümmern«, sagte Cara. »Mögen die Guten Seelen mit Euch sein.«
»Sagt ihm, ich liebe ihn!« rief sie noch, als der Silberarm der Sliph sie vom Mauerrand holte.
Ihre Stimme hallte noch von den Steinmauern wider, als Kahlan in die quecksilbrige Gischt gestürzt wurde. Keuchend sog sie die Sliph in sich hinein und betete zu den Guten Seelen, sie möchten ihr dabei helfen, das Buch zu finden. Unter wahnsinnigen Mühen durchschwamm sie, was zuvor stets ein Gefühl reinster Wonne gewesen war.
Jetzt war da nur noch finsteres Grauen.