13

Burg Waichs erhob sich wie ein Stück geronnener Schwärze gegen den Nachthimmel. Es war genau dieses Bild, das Andrej beim Anblick der Burg durch den Kopf schoss. Kein Vergleich wäre in diesem Moment treffender gewesen. Der massige Turm reckte sich scheinbar endlos hoch über ihnen in den Himmel, eingebettet in das kantige Muster der Nebengebäude und Mauern. Sie sahen nur Schwärze, flache Dunkelheit ohne Details und Tiefe, als hätte sich die Nacht vor ihnen zu substanzloser Materie zusammengeballt. Andrej war nicht der Einzige, den der Anblick mit Unbehagen erfüllte. Auch Abu Dun war immer stiller geworden, je weiter sie sich Draculs Burg näherten. Selbst die Pferde waren unruhig. Ihre Ohren zuckten nervös, und manchmal tänzelten sie und versuchten auszubrechen, fast als spürten sie mit ihren feinen Instinkten eine Gefahr.

»Ab hier gehen wir besser zu Fuß weiter.« Obwohl sie noch gute fünfhundert Meter von der Burg entfernt sein mussten, hatte Vlad die Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Andrej versuchte, seine düsteren Gedanken zu verscheuchen. An der Burg war nichts Übernatürliches und die Schatten ringsum waren nicht mehr als Schatten. Das Einzige, wovor er sich in Acht nehmen mußte, war seine eigene Fanta sie, die ihn mit immer schlimmeren Trugbildern narrte. Sie hatten auf dem Weg hierher Dinge gesehen, die, ihn noch immer verfolgten und es wahrscheinlich auch noch lange Zeit tun würden. Draculs Heer hatte das türkische Lager vollkommen zerstört, und er war auf der Jagd nach Überlebenden äußerst erbarmungslos gewesen. Nun beschäftigte sich das Heer auf sein ganz spezielle Art mit den Gefangenen ... Trotz Vlads Ankündigung ritten sie noch ein gutes Stück weiter ehe der Roma ihnen endgültig das Zeichen zum Absitzen gab und sich als Erster aus dem Sattel schwang. S befanden sich auf der Rückseite der Burg. Der Wald der ansonsten sorgsam gerodet worden war, um einer anrückenden Feind keine Deckung zu bieten, reicht an dieser Stelle bis auf knapp fünfzig Meter an die Festungsmauern heran, was einem potentiellen Angreifer aber keinen Vorteil brachte. Vor ihnen lagen nur die gewaltigen Mauern des Donjons, die massiv genug aussahen, um selbst einem Beschuss aus Kanone Stand halten zu können. Das Gelände war hier jedoch so unwegsam, das Pferde kaum von der Stelle gekommen wären. Schweres Kriegsgerät auf diesem Weg herbeizuschaffen war vollkommen unmöglich. Tepesch Vorfahren, die diese Burg erbaut hatten, waren kluge Strategen gewesen. Waichs war nicht groß, aber ein Angreifer, der die Festung zu stürmen versuchte, würde auf zahlreiche Hindernisse stoßen.

»Wie kommen wir rein?«, fragte Abu Dun. Nachdem sie die Burg umgangen hatten, lag das Tor auf der anderen Seite, und Abu Dun konnte sich wohl ebenso wenig wie Andrej vorstellen, das es irgendwo einen zweiten, weniger gut bewachten Eingang gab.

»Es gibt einen Geheimgang.« Vlad zögerte fast unmerklich, bevor er diese Information preisgab.

»Einer von Tepeschs Ahnen hat ihn anlegen lassen, um die Burg im Falle einer Belagerung unbemerkt verlassen zu können. Er wurde nie benutzt, aber er existiert noch.«

»Und du weißt davon?« In Abu Duns Stimme war wieder eine hörbare Spur von Misstrauen.

»Ich bin Zigeuner«, antwortete Vlad verächtlich.

»Verborgene Wege und Geheimgänge sind unsere Welt. Wie könnten wir sonst so gut vom Stehlen leben?« Andrej brachte ihn mit einem mahnenden Blick zum Verstummen. Vlad warf dem Piraten noch einen ärgerlichen Blick zu, drehte sich dann aber ohne ein weiteres Wort weg und begann sich suchend umzublicken. Nach nur wenigen Augenblicken ließ er sich vor einem Busch auf die Knie sinken und bog mit spitzen Fingern die mit langen Dornen besetzten Zweige zur Seite.

»Hier ist der Einstieg. Der Gang ist nicht sehr hoch. Ihr werdet kriechen müssen. Aber er führt direkt in den Keller der Burg.«

»Ihr?«, fragte Abu Dun mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Ich kann nicht mit euch kommen«, sagte Vlad kopfschüttelnd.

»Tepesch hat mir befohlen, in der Burg auf ihn zu warten. Ich muss vorsichtig sein. Er ist sowieso schon misstrauisch.«

»Wohin genau führt dieser Gang?«, erkundigte sich Andrej. Auch ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, nicht zu wissen, was auf sie wartete.

»In einen kleinen Raum, der schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt wird«, antwortete Vlad.

»Wartet dort auf mich. Ich werde zu euch kommen, sobald es mir möglich ist.«

»In einer Woche oder zwei, vermute ich«, sagte Abu Dun. Vlad ignorierte ihn.

»Tepesch wird müde sein, wenn er zurückkommt. Menschen zu Tode zu quälen ist ein sehr anstrengendes Geschäft. Ich komme zu euch, sobald er eingeschlafen ist. Zu dem Geheimgang gehört eine verborgene Treppe, die direkt in sein Schlafgemach hinaufführt. Ich zeige sie euch. Und jetzt geht. Es wird bald hell.« Für Andrej und Abu Dun wurde es zuerst einmal dunkel. Und zwar vollkommen. Sie kletterten ein gutes Stück über uralte eiserne Griffstücke, die in den Fels getrieben worden waren, in eine absolute Finsternis hinab. Dann erreichten sie den Gang, von dem Vlad gesprochen hatte. Andrej kam schon bald zu dem Schluss, das Vlad zwar von diesem Gang gewusst, ihn aber wahrscheinlich niemals benutzt hatte. Er war so niedrig, das sie den größten Teil der Strecke kriechend zurücklegen mussten. Zweimal senkte sich die raue Decke so weit herab, das Andrej ernsthaft befürchtete, sie würden einfach stecken bleiben; eine grässliche Vorstellung, bei der sein Herz heftig zu schlagen begann. Abu Dun, der vorauskroch, fluchte fast ununterbrochen, sodass Andrej sich sorgte, die Wache oben auf den Mauern könne ihn hören. Als die drückende Enge endlich wich und der nasse, raue Fels in behauenen Stein überging, wurde es kein bisschen heller; trotzdem hatte Andrej das Gefühl, endlich wieder frei atmen zu können. Die Luft war hier beinahe noch schlechter als in dem niedrigen Gang und sie stank zusätzlich nach Fäulnis und Moder, als wäre etwas - oder jemand - hier drinnen gestorben. Abu Dun stolperte eine Weile lautstark durch die Dunkelheit, wobei er ununterbrochen irgendetwas umzustoßen und zu zerbrechen schien. Dann knurrte er:

»Die Tür ist verschlossen. Von außen.«

»Was hast du erwartet?« Andrej ließ sich mit untergeschlagenen Beinen nieder und lehnte Rücken und Hinterkopf gegen den kalten Stein. Etwas Kleines mit vielen Beinen huschte über sein Gesicht und er wischte es angeekelt fort.

»Nichts«, murrte Abu Dun. Andrej konnte hören, das er sich ebenfalls setzte.

»Wahrscheinlich sollte ich froh sein, das es überhaupt eine Tür gibt.«

»Du traust Vlad immer noch nicht.«

»Warum sollte ich?«

»Bisher hat er stets Wort gehalten«, erinnerte Andrej ihn.

»Ohne ihn wären wir wahrscheinlich gar nicht mehr am Leben. Zumindest nicht in Freiheit.«

»Das ist es ja gerade«, antwortete Abu Dun.

»Ich misstraue Leuten, die mir etwas schenken.« Es erschien Andrej viel zu mühsam, diesem Gedanken zu folgen. Er war müde. Wie lange war es her, das er das letzte Mal geschlafen hatte? Er schlief ein. Als er wieder erwachte - mit leichten Kopfschmerzen, einem schlechten Geschmack im Mund und einem Gefühl wie Blei in den Gliedern -, spürte er, das lange Zeit vergangen war. Er war nicht von selbst erwacht, sondern vom Poltern eines schweren Riegels hochgeschreckt worden. Noch bevor die Tür geöffnet wurde und flackerndes Licht hereinfiel, glitt seine Hand dorthin, wo er normalerweise das Schwert getragen hätte. Das rote Licht einer Fackel ließ ihn blinzeln. Vlad trat durch die Tür. Er kam nicht ganz herein, sondern ließ das rechte Bein und den Arm, der die Fackel hielt, draußen auf dem Gang. Mit der anderen Hand gestikulierte er unwirsch in ihre Richtung.

»Kommt«, sagte er.

»Schnell. Wir müssen uns beeilen.« Andrej und Abu Dun standen gehorsam auf, aber Andrej mußte einen hastigen Schritt zur Seite machen, um seine Balance zu halten. Er war so benommen, als hätte er Ewigkeiten geschlafen.

»Warum so eilig?«, fragte Abu Dun.

»Bis jetzt hattest du doch auch Zeit.«

»Vor allem nicht so laut«, sagte Vlad.

»Man könnte uns hören.« Abu Dun zog eine Grimasse.

»Wer? Ich denke, es kommt nie jemand hier herunter?«

»Tepesch ist zurück«, antwortete Vlad.

»Es sind eine Menge Gäste auf der Burg. Nicht alle sind freiwillig hier. Die Kerker quellen über. Es könnte sein, das dieser Raum gebraucht wird. Folgt mir. Und keinen Laut!« Er gab ihnen auch gar keine Gelegenheit, noch eine weitere Frage zu stellen, sondern trat rasch wieder auf den Gang hinaus und entfernte sich. Andrej und Abu Dun mussten ihm folgen, wollten sie nicht in der Dunkelheit zurückbleiben. So weit es die tanzenden Schatten und das flackernde, rote Licht zuließen, sahen sie sich neugierig um. Sehr viel gab es allerdings nicht zu entdecken. Der Gang war schmal und aus Felssteinen zusammengefügt. Die gewölbte Decke war so niedrig, das Vlads Fackel schwarze Rußspuren darauf hinterließ. Zwei weitere Türen zweigten davon ab, beide äußerst massiv, aber geschlossen, sodass sie nicht sehen konnten, was dahinter lag. Vlad blieb stehen, als sie die Treppe erreichten, und winkte mit seiner Fackel.

»Dort oben liegen die Kerker«, sagte er.

»Als ich gekommen bin, war keine Wache da, aber man kann nie wissen. Seid vorsichtig.« Sie gingen die Treppe hinauf, eine eng gewendelte, steinerne Schnecke, die sicher sechs oder sieben Meter weit nach oben führte, ehe sie in einen weiteren, aber ungleich größeren Kellerraum mündete. Der Keller ähnelte dem Sklavenquartier auf Abu Duns Schiff: Es war ein einziger, großer Raum, der von deckenhohen Gitterstäben in zahlreiche, kleine Käfige unterteilt wurde, zwischen denen nur ein schmaler Gang hindurchführte. In jedem dieser Käfige befanden sich mindestens zwei Gefangene, ausnahmslos türkische Krieger. Viele waren verletzt, ohne das sich jemand die Mühe gemacht hätte, ihre Wunden zu verbinden. Ein furchtbarer Gestank hing in der Luft, Stöhnen, Murmeln, auch etwas wie ein leises Schluchzen. Einige der Gefangenen schienen zu beten und nicht wenige sahen hoch und blickten in ihre Richtung, aber niemand sprach sie an. Vlad griff plötzlich nach Abu Duns Arm und stieß ihn so grob vor sich her, das er um ein Haar gestürzt wäre. Der Pirat spannte sich und Andrej hielt erschrocken die Luft an, als er sah, wie sich sein Gesicht vor Hass verzerrte, aber dann entdeckten sie den Posten, der auf einen Speer gestützt vor der Tür am anderen Ende des Ganges stand und neugierig in ihre Richtung sah.

»Beweg’ dich, Heide!«, herrschte Vlad ihn an.

»Und hab keine Angst. Diese Verliese sind nicht für dich. Mit dir habe ich etwas ganz Besonderes vor.« Abu Dun machte eine Bewegung, wie um sich zu widersetzen, und Andrej trat rasch an Vlads Seite und nahm eine drohende Haltung an. Der Posten am Ende des Ganges blickte jetzt sehr aufmerksam in ihre Richtung.

»Gib auf ihn Acht«, sagte Vlad, in seine Richtung gewandt.

»Er darf nicht verletzt werden. Wir wollen uns doch den besten Spaß nicht verderben.« Er machte eine drohende Bewegung mit der Fackel in Abu Duns Richtung. Hätte der Pirat nicht rasch den Kopf zur Seite gedreht, hätten die Flammen zweifellos sein Gesicht versengt. Abu Dun starrte Vlad noch einen Herzschlag lang wütend an, dann fuhr er herum und setzte sich in Bewegung. Andrej atmete auf, aber ihm war auch klar, das die Gefahr noch nicht vorüber war. Der Wächter hatte Vlad eindeutig erkannt und sah ihm respektvoll entgegen. Andrej hoffte, das er sich nicht fragte, warum sein Begleiter eigentlich keine Waffe trug und ihr riesenhaft gebauter Gefangener nicht einmal gefesselt war. Sie kamen an einem Gitterkäfig vorbei, der weitaus größer als die anderen Verschläge war. Es befanden sich keine Gefangenen darin, aber er enthielt eine Streckbank, Becken mit erkalteten Kohlen und noch zahlreiche andere Folterwerkzeuge. Es war nicht die erste Folterkammer, die Andrej sah, wohl aber das erste Mal, das er einen solchen Raum inmitten der Gefangenenquartiere erblickte. Tepesch wollte, das die Gefangenen sahen, was hier getan wurde, um sich noch zusätzlich an ihrer Angst weiden zu können. Seine Sorge, was den Wächter anging, erwies sich als unbegründet. Der Mann sah sie zwar sehr aufmerksam und aus wachen Augen an, trat aber gehorsam zur Seite, als Vlad eine befehlende Geste machte. Sie traten aus dem Verlies in einen weiteren Gang, der nach zwanzig Schritten vor einer steilen Treppe endete. An ihrem oberen Ende schimmerte blasses Licht. Andrej erwartete, das Vlad unverzüglich die Treppe ansteuern würde oder vielleicht auch die Türen, die rechts und links abzweigten, doch stattdessen blieb er stehen und sagte laut:

»Wache!« Der Mann, an dem sie gerade vorbeigegangen waren, folgte ihnen. Er wollte eine Frage stellen, aber Vlad kam ihm zuvor. »Halt das«, sagte er und hielt ihm die Fackel hin. Der Mann griff gehorsam zu und Vlad zog mit einer fast gemächlichen Bewegung einen Dolch aus dem Gürtel und schnitt ihm die Kehle durch.

»Allah!«, entfuhr es Abu Dun.

»Warum hast du das getan?« Die Wache sank röchelnd gegen die Wand, ließ die Fackel fallen und schlug beide Hände gegen den Hals. Vlad fing die Fackel auf, sah aber zu, wie der sterbende Mann in die Knie brach und dann zur Seite kippte.

»Aber ... warum?«, fragte nun auch Andrej. Statt zu antworten, drehte sich Vlad zu Abu Dun herum und hielt ihm die Fackel hin. »Halt das.« Abu Dun riss die Augen auf. Er rührte keinen Finger, um nach der Fackel zu greifen, und nach einem Moment drehte sich Vlad herum und hielt Andrej die Fackel entgegen. Andrej nahm sie entgegen und Vlad bückte sich, griff unter die Arme des Toten und schleifte ihn in den Keller zurück. Er legte ihn so neben der Tür ab, das er nicht sofort zu sehen war, wenn jemand hereinkam, und nahm ihm das Schwert ab. Als er zurückkam, tauschte er die Waffe gegen die Fackel, die Andrej in der Hand hielt.

»Ich habe dich gefragt, warum du das getan hast!«, herrschte Andrej ihn an. Er hielt das Schwert noch in der Hand.

»Das war unnötig.«

»Nein, das war es nicht«, antwortete Vlad.

»Helft mir!« Er trat an die Wand heran, tastete einen Moment mit spitzen Fingern darüber und winkte dann auffordernd. Sie stemmten sich zu dritt gegen die Wand. Andrej spürte ein Zittern, dann hörten sie das Scharren von Stein auf Stein und ein schmaler Teil der Wand drehte sich um seine Mittelachse und gab einen Spalt frei, durch den sich ein breit gebauter Mann wie Abu Dun nur mit Mühe hindurchzwängen konnte. Vlad leuchtete mit der Fackel hinein und sie erkannten eine schmale Wendeltreppe, die steil nach oben führte. Der geheime Weg in Tepeschs Schlafgemach.

»Er hätte uns aufgehalten«, sagte Vlad, obwohl eine Erklärung mittlerweile fast überflüssig war. Andrej steckte das Schwert ein und trat als Erster durch den Spalt. Die Luft dort war so trocken, das sie zum Husten reizte. Sie roch alt und auf den steinernen Stufen lag eine mindestens fünf Zentimeter dicke Staubschicht. Hier war seit einem Menschenalter niemand mehr gewesen. Vlad und Abu Dun folgten Andrej und schlossen die Tür. Die Fackel begann zu flackern. Trotz der schlechten Luft wirkte der Treppenschacht wie ein Kamin. Es war kalt.

»Draculs Schlafgemach liegt oben«, sagte Vlad.

»Die Treppe führt direkt dorthin. Wenn wir angekommen sind, muss alles sehr schnell gehen. Wenn er auch nur einen Schrei ausstoßen kann, ist es vorbei.«

»Wachen?«, fragte Abu Dun. Vlad schüttelte den Kopf.

»Dracul traut niemandem. Er würde keinen Mann mit einer Waffe in seiner Nähe dulden, solange er schläft. Mit Ausnahme deiner Brüder. Die beiden Vampyre.«

»Sie sind nicht meine Brüder«, sagte Andrej scharf.

»Nenn sie, wie du willst«, sagte Vlad gleichmütig.

»Ihr Zimmer liegt jedenfalls auf dem gleichen Flur. Wenn Tepesch um Hilfe schreit ...« Er hob die Schultern.

»Du hast selbst gesagt, das du ihnen an Stärke nicht ebenbürtig bist.«

»Nicht beiden zugleich«, berichtigte Andrej.

»Ein Grund mehr, schnell zu sein. Wir gehen hinein, du tötest ihn und wir gehen wieder hinaus.«

»Wenn es so einfach ist«, fragte Abu Dun, »warum hast du es dann nicht schon längst selbst getan?«

»Wir fliehen auf demselben Weg«, fuhr Vlad mit einem Blick in Abu Duns Richtung, aber ohne ihm zu antworten, fort.

»Falls sie den toten Wachmann bis dahin nicht gefunden haben.«

»Kaum«, antwortete Vlad. »Die Wachablösung ist gerade erst vorbei. Niemand kommt freiwillig dort hinunter.« Er machte eine ungeduldige Bewegung mit der Fackel. »Kommt jetzt!«

»Nicht so schnell«, sagte Abu Dun. »Die Gefangenen.«

»Unmöglich!«, sagte Vlad erschrocken.

»Es sind mehr als zweihundert! Du bräuchtest einen Tag, um sie durch den Geheimgang nach draußen zu schaffen. Und durch das Tor geht es nicht. Im Hof der Burg lagern über hundert bewaffnete Krieger.« Er zögerte einen Moment und fügte dann in schärferem Ton hinzu:

»Wir sind nicht hierher gekommen, um deine Landsleute zu befreien, Muselman! Sie sind immer noch unsere Feinde.«.

»Du ...«

»Er hat Recht, Abu Dun«, sagte Andrej rasch.

»Aber ihnen wird nichts geschehen. Wenn Tepesch tot ist, werden sie als Kriegsgefangene behandelt ... das ist doch so, Vlad? Oder?« Vlad nickte ein wenig zu schnell. Sie gingen weiter. Die Treppe endete vor einer schmalen, hölzernen Tür. Vlad bedeutete ihnen, still zu sein. Er wies auf ein schmales Guckloch, das in der Tür darin angebracht war. Andrej ließ sich auf die Knie sinken und spähte hindurch. Dahinter lag ein unerwartet geräumiges, nur von einigen Kerzen erhelltes Zimmer.

»Sein Bett liegt auf der rechten Seite, gleich neben der Tür«, flüsterte Vlad.

»Wenn du schnell genug bist, wird er nicht einmal spüren, was geschieht.« Andrej zog sein Schwert aus dem Gürtel.

»Frederic?«, flüsterte er.

»Er schläft im Nebenzimmer.« Vlad klang ungeduldig.

»Sobald alles vorüber ist, können wir ihn holen.«

»Ich werde Tepesch nicht im Schlaf erschlagen, Vlad«, sagte Andrej. »Ich töte ihn, aber auf meine Weise. Ich bin kein Mörder.«

»Du Narr!«, zischte Vlad.

»Willst du uns alle ...« Andrej hörte nicht mehr zu. Er machte sich nicht die Mühe, nach dem Griff oder irgendeinem verborgenen Öffnungsmechanismus zu suchen, sondern sprengte die Tür mit der Schulter auf und stürmte in den Raum. Nur ein Stück neben der Tür, die von dieser Seite aus nicht zu sehen, sondern Teil einer hölzernen Wandtäfelung war, stand ein übergroßes Bett mit einem gewaltigen, reich verzierten Baldachin und geschnitzten Säulen. Tepesch lag darin, aber er schlief keineswegs, wie Vlad behauptet hatte, sondern saß gemütlich an zwei große seidene Kissen gelehnt und hielt einen goldenen Trinkbecher in der Hand. Er wirkte kein bisschen überrascht.

»Das hat aber gedauert«, sagte er stirnrunzelnd.

»Ich fing schon an zu befürchten, du hättest es dir anders überlegt.« Andrej war verwirrt. Tepesch hatte ihn erwartet. Er hatte seinen bizarren Helm abgesetzt und neben sich aufs Bett gelegt, trug aber ansonsten noch immer seine Rüstung, bis hin zu den dornenbesetzten Handschuhen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Andrej.

»Zuerst einmal, das ich mich freue zu sehen, das du meine Gastfreundschaft offensichtlich hoch zu schätzen weißt, Andrej Deläny«, antwortete Tepesch.

»Sonst wärst du ja wohl kaum freiwillig zurückgekommen, oder?« Er stand auf. Es klirrte, als er die Beine aus dem Bett schwang und sich aufrichtete. Andrej drehte sich ganz langsam herum. Vlad und Abu Dun hatten hinter ihm den Raum betreten. Abu Dun wirkte alarmiert, während auf Vlads Gesicht nicht die mindeste Regung zu erkennen war.

»Warum?«, fragte Andrej leise. Bevor Vlad antworten konnte, tat Tepesch es.

»Du tust ihm Unrecht, Deläny. Er hat dich nicht verraten.« Andrej sah ihn zweifelnd an, aber Tepesch wiederholte sein Kopfschütteln und wandte sich direkt an Vlad.

»Wie lange bist du jetzt bei mir, mein Freund? Drei Jahre? Fünf? Wie auch immer, glaubst du wirklich, ich hätte nicht gewusst, das in dieser Zeit nicht ein Tag vergangen ist, an dem du mir nicht den Tod gewünscht hast? Ich wußte, das du der Versuchung nicht würdest widerstehen können.«

»Und du hast trotzdem in Ruhe abgewartet, das er mich hierher bringt?« Andrej hob sein Schwert.

»Das war sehr dumm, Tepesch. Ich werde dich töten.« Er begann um das Bett herumzugehen, und Tepesch stellte endlich den Trinkbecher aus der Hand und zog stattdessen sein Schwert, wich aber gleichzeitig um einige schnelle Schritte vor ihm zurück.

»Hast du Angst, Dracul?« Andrej lachte böse.

»Der Herr der Schmerzen, der Drache, hat Angst?«.

»Nein«, antwortete Tepesch.

»Nur scheint mir der Kampf ein wenig unfair. Ich kann dich nicht besiegen. Ich habe nichts gegen einen Kampf - aber dann sollte er auch wirklich fair sein!« Andrej sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln, wirbelte herum - und erstarrte für eine Sekunde vor Schrecken. Wie aus dem Nichts war eine riesige Gestalt in einem golden schimmernden Brustharnisch hinter ihm erschienen. Körber.

»Ihr hattet Recht, Fürst«, sagte der Vampyr, an Tepesch gewandt, aber ohne Andrej auch nur einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen.

»Er war tatsächlich dumm genug, hierher zu kommen.« Andrej bewegte sich vorsichtig ein paar Schritte rückwärts und versuchte, Tepesch und Körber dabei gleichzeitig im Auge zu behalten. Tepesch folgte ihm, wenn auch langsam und in respektvoller Distanz, aber Körber rührte sich nicht von der Stelle.

»Ich pflege meine Versprechen normalerweise zu halten«, sagte Dracul.

»So oder so.« Er griff so schnell an, das es ihm um ein Haar gelungen wäre, Andrej zu überrumpeln. Erst im letzten Moment brachte er sein Schwert hoch, parierte den Angriff des Drachenritters und schlug blitzschnell zurück. Er traf sogar, aber seine Waffe prallte Funken sprühend von der Rüstung des Ritters ab. Die pure Wucht des Schlages ließ Dracul zurücktaumeln, aber er war nicht verletzt. Andrej wirbelte herum. Sein Schwert vollzog die Bewegung am Ende eines glitzernden tödlichen Dreiviertelkreises nach und kam nur eine Handbreit vor Körbers Gesicht zum Stillstand. Der Vampyr hatte den Moment der Unaufmerksamkeit genutzt und stürmte heran. Kein anderer Gegner hätte schnell genug reagiert, um sich nicht selbst an Andrejs Klinge aufzuspießen, aber Körber schaffte es, sich mitten in der Bewegung zu stoppen. Er hätte fast das Gleichgewicht verloren, prallte gegen die Wand und rollte sich blitzschnell zur Seite. Andrejs Schwert schlug Funken in die Wand neben seinem Gesicht.

Körber warf sich mit einem Keuchen noch einmal herum und verlor endgültig die Balance. Er fiel nicht, sank aber auf die Knie und war für einen Moment hilflos. Andrej setzte ihm nach, rammte ihm das Knie ins Gesicht und registrierte voll grimmiger Befriedigung das spritzende Blut, als Körbers Nase brach. Der Vampyr mochte nahezu unsterblich sein, aber er war weder immun gegen Schmerz noch gegen die Gesetze der Physik. Er schrie auf, sein Hinterkopf prallte mit einein trockenen Laut gegen die Wand, und für eine kurze Zeit war er so benommen, das er das Schwert sinken ließ. Andrej sprang rasch einen halben Schritt zurück und hob sein Schwert, um den Vampyr zu enthaupten, aber ein dünner, blendend greller Schmerz bohrte sich zwischen seine Schulterblätter in seinen Rücken und ließ ihn vor Qual aufschreien. Haltlos taumelte er gegen die Wand, glitt daran herab und drehte sich halb herum. Er ahnte die Bewegung mehr, als er sie sah, warf instinktiv den Kopf zur Seite und die tödlichen Dornen auf Tepeschs Handschuhen, die diesmal nach seinen Augen zielten, rissen nur seine Schläfe auf.

Andrej griff instinktiv zu, verdrehte Draculs Arm und stieß ihn von sich. Einer der schrecklichen Dornen durchstieß seine Hand und peinigte ihn mit einem weiteren, lodernden Schmerz, aber er ignorierte ihn und stieß Tepesch mit so großer Wucht von sich, das er noch zwei Schritte haltlos rückwärts taumelte und dann mit einem gewaltigen Scheppern zu Boden fiel. Noch bevor er sich wieder hochstemmen konnte, waren Abu Dun und Vlad über ihm. Andrej blieb keine Zeit, den Kampf zu verfolgen. Körber hatte die winzige Atempause genutzt, um wieder auf die Beine zu kommen und seine Waffe aufzunehmen. Andrej hatte in den nächsten Sekunden genug damit zu tun, dem Hagel von Hieben und Stichen auszuweichen, den der Vampyr auf ihn niederprasseln ließ. Mit zwei fast ungezielten, aber wuchtigen Schlägen verschaffte er sich Luft, sprang ein paar Schritte zurück und suchte mit gespreizten Beinen nach festem Stand. Körber verzichtete jedoch darauf, ihm sofort nachzusetzen, sondern blieb stehen und schien sich zu sammeln. Bei jedem anderen Gegner wäre Andrej jetzt sicher gewesen, das dieser einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Nicht so bei Körber. Andrejs Arme und Schultermuskeln schmerzten noch immer. Körbers Schläge waren unglaublich hart gewesen. Der Vampyr war viel stärker als er, und er erholte sich auch deutlich schneller. Die Wunde in Andrejs Gesicht hatte sich schon wieder geschlossen, aber seine Hand blutete noch immer. Körbers zertrümmerte Nase war bereits wieder unversehrt. Der Vampyr schien über ungleich größere Kraftreserven zu verfügen. Spätestens in diesem Moment begriff Andrej, das er den Kampf verlieren würde. Er konnte es in Körbers Augen lesen. Der Vampyr war stärker als er, schneller, er war der bessere Schwertkämpfer und er war ungleich erfahrener. Und das Entsetzlichste von allem war vielleicht diese Erkenntnis: Er würde den Kampf selbst dann verlieren, wenn er ihn gewann.

Er sah eine Bewegung aus den Augenwinkeln und hörte einen Schrei und das helle Klirren von aufeinander prallendem Metall; Vlad oder Abu Dun, vielleicht auch beide, die mit Tepesch kämpften. Andrej widerstand dem Impuls, auch nur einen Blick in ihre Richtung zu werfen, aber schon die winzige Ablenkung, die dieser bloße Gedanke bedeutete, schien Körber zu genügen, um sich einen Vorteil auszurechnen. Möglicherweise zu Recht. Andrej sah den Angriff kommen, reagierte auf die Art, die ihm bei einem so starken und erfahrenen Gegner wie Körber angemessen schien: Er versuchte nicht, seinen Hieb aufzufangen oder auch nur zu parieren, sondern tänzelte leichtfüßig zur Seite und hob sein Schwert gerade weit genug, um Körbers Klinge an seiner eigenen entlanggleiten zu lassen, sodass die immense Kraft seines Hiebes einfach verpuffte. Im letzten Moment machte er eine kreiselnde Bewegung mit dem Schwert, die Körber eigentlich die Gewalt über seine Waffe verlieren lassen und ihm das Schwert aus der Hand prellen sollte. Körber schien jedoch auch dies vorausgesehen zu haben, denn er konterte mit einer ähnlichen, aber viel komplizierteren und schnelleren Bewegung, und plötzlich war es Andrej, der darum kämpfen mußte, nicht entwaffnet zu werden. Mit einem fast schon verzweifelten Satz brachte er sich in Sicherheit, konnte aber nicht verhindern, das Körber ihm eine lange, heftig blutende Schnittwunde am Unterarm beibrachte. Mit einem zweiten Schritt bewegte er sich vollends außer Reichweite des Vampyrs und wechselte das Schwert für einen Moment von der rechten in die linke Hand. Er kämpfte mit links beinahe ebenso gut wie mit rechts.

Die Wunde in seinem Arm verheilte bereits. Trotzdem war es ein weiterer, wenn auch vielleicht nur winziger Vorteil für Körber. Aber der Unsterbliche verzichtete darauf, ihn auszunutzen. Er trat ganz im Gegenteil zurück, senkte seine Waffe und wartete, bis sich der tiefe Schnitt in Andrejs Arm geschlossen hatte. Dann nickte er und machte eine auffordernde Geste. Es dauerte einen Moment, bis Andrej ihre Bedeutung begriff. Körber wollte, das er das Schwert wieder in die Rechte wechselte. Der Vampyr hatte seine Fähigkeiten bisher nur getestet und war sich nun seiner Überlegenheit sicher. Er spielte mit ihm. Der Gedanke versetzte Andrej in schiere Raserei. Er mußte er sich mit aller Gewalt beherrschen, um sich nicht einfach auf Körber zu werfen, was seinen sicheren Tod bedeutet hätte. Wenn er überhaupt eine Chance hatte, diesen uralten, so unendlich viel erfahreneren Krieger zu besiegen, dann nur, wenn er die Nerven behielt und auf eine Schwäche in seiner Verteidigung oder eine Unaufmerksamkeit hoffte. Körber offerierte ihm weder das eine noch das andere. Er griff wieder an, beschränkte sich aber diesmal auf wenige, blitzartige Attacken, die Andrej zu einem weiteren, hektischen Rückzug zwangen, ihn aber nicht ernsthaft in Gefahr brachten. Andrej wich weiter vor ihm zurück, brachte mit Glück selbst einen Treffer an und sah voller kalten Entsetzens, das sich die Wunde wieder schloss, noch bevor Körber ganz zurückgesprungen war. Körber konterte mit einer doppelten, blitzartig geführten Schlagkombination gegen seinen Kopf und seine Schultern, die Andrej zwar abfangen konnte, ohne verletzt zu werden, die aber neue Wellen von dumpf pulsierendem Schmerz durch seinen Arm und die Schultermuskeln sandte. Es fiel ihm immer schwerer, das Schwert zu heben. Seine Kräfte erlahmten jetzt rasch, während Körber auf unheimliche Weise beinahe Kraft aus jedem wuchtigen Hieb zu gewinnen schien, den er nach ihm führte.

Der Vampyr zermürbte ihn, langsam und gnadenlos, aber unaufhaltsam. Der Moment war abzusehen, in dem einer seiner mörderischen Schläge sein Ziel treffen würde. Er kam schneller, als er gefürchtet hatte. Körber täuschte einen weiteren Angriff vor und Andrej wich zurück, um ihn in eine Falle stolpern zu lassen. Statt seinen Angriff im allerletzten Moment abzubrechen, um Andrejs Parade ins Leere gehen zu lassen und ihn somit zum Opfer seiner eigenen Bewegung zu machen - womit Andrej gerechnet hatte -, verdoppelte Körber seine Wucht noch. Andrej, der bereits in einer fließenden Rückzugsbewegung begriffen war, hatte keine Chance. Er wurde gegen die Wand geworfen. Körbers Schwertknauf traf seine Waffenhand und brach sie, sodass er das Schwert fallen ließ. Die gepanzerte linke Hand des Ritters kam hoch, krachte unter sein Kinn und schmetterte seinen Hinterkopf mit solcher Wucht gegen die Wand, das ihm übel wurde. Das war das Ende. Seine Beine gaben nach. Hilflos sank er in die Knie. Körber ließ los, stieß Andrejs Schwert mit einem Fußtritt beiseite und versetzte ihm aus der gleichen Bewegung heraus einen fürchterlichen Tritt in die Rippen, der ihm endgültig den Atem nahm.

Dann warf er sich auf ihn. Körbers Knie krachten in Andrejs ohnehin gebrochene Rippen und verstärkten den Schmerz. Seine Zähne gruben sich in Andrejs Kehle, rissen sein Fleisch auf und suchten nach seiner Halsschlagader. Andrej bäumte sich auf und versuchte mit verzweifelter Anstrengung, den Vampyr von sich herunterzustoßen, aber seine Kraft reichte nicht aus. Körbers Zähne zerfetzten seinen Hals und Andrej spürte, wie sein Blut und noch etwas anderes, Unsichtbares, Verborgenes aus ihm herausgerissen wurde. Für einen zeitlosen, durch und durch grauenhaften Moment hatte er das Gefühl, nicht mehr in seinem eigenen Körper zu sein, sondern durch eine schwarze Unendlichkeit geschleudert zu werden, die von den Schreien tausend gepeinigter Seelen erfüllt war, dann griff eine unsichtbare, grausam starke Hand nach ihm und zerrte ihn zurück, aber nicht in seinen eigenen Körper, sondern ... Körber bäumte sich auf. Seine Lippen waren plötzlich nicht mehr an Andrejs Kehle. Er wankte, kippte zur Seite und stieß einen sonderbaren, gurgelnden Schrei aus, während er seine Hände gegen den Hals schlug. Zwischen seinen Fingern ragte die blutige Spitze eines Dolches hervor, den ihm Vlad in den Nacken gestoßen hatte. Andrej wollte sich aufrichten. Er mußte es. Vlads Eingreifen hatte ihm eine winzige Gnadenfrist verschafft, aber mehr nicht. Nicht einmal diese furchtbare Verletzung würde Körber töten. Er hatte gesehen, wie unvorstellbar schnell sich der Vampyr von Verletzungen erholte. Aber auch er war verwundet und Körber hatte ihm mehr gestohlen als ein wenig Blut. Er war schwach, unglaublich schwach. Körber versuchte, mit den Händen in seinen Nacken zu greifen, um den Dolch herauszuziehen, aber Vlad nahm ihm die Arbeit ab: Er riss den Dolch heraus, stieß Körber die Waffe zwischen die Schulterblätter und warf den Vampyr zu Boden. Dann war er mit einem Sprung über Andrej und zerrte ihn hoch. Andrej wußte nicht, was er vorhatte. Er versuchte ganz instinktiv, sich zu wehren, aber seine Kraft reichte nicht einmal aus, um diesen normalen Sterblichen davonzustoßen. Vlad zerrte ihn herum, warf ihn über Körber und presste sein Gesicht auf Körbers Hals.

»Trink!«, befahl er.

»Trink oder du stirbst! Willst du das?!« Andrej versuchte mit aller Gewalt, sich zu wehren; nicht nur gegen Vlads Griff, sondern viel mehr gegen die dunkle Gier, die in ihm erwachte, kaum das der erste Blutstropfen seine Lippen benetzt hatte. Es gelang ihm nicht. Vlads Griff war erbarmungslos und die Gier explodierte zu einem lodernden Höllenfeuer, das seinen Willen einfach beiseite fegte. Warmes, nach bitterem Kupfer schmeckendes Blut füllte seinen Mund, und dann war da noch etwas anderes. Es war nicht wie damals bei Malthus. Es war nicht wie gerade bei ihm. Körber war da, aber er mußte ihn nicht aus seinem Leib herausreißen, das Wesen des Vampyrs stürmte heran, seine Erinnerungen, seine Gedanken, seine Seele und all seine dunklen Gelüste und Wünsche, jede Sekunde seines schon Jahrhunderte währenden Lebens, eine schwarze Flamme, die sich in seine Seele brannte und alles, was Andrej einmal gewesen war, auszulöschen drohte. Er hatte geglaubt, Malthus zu überwinden wäre schwer gewesen, aber Körber war unendlich viel älter und tausendmal stärker. Der Geist des Vampyrs bedrängte ihn ebenso unerbittlich, wie es sein Körper gerade getan hatte. Der Kampf war nicht minder hart und er dauerte länger. Andrej verlor sein Zeitgefühl. Irgendwann spürte er, wie Körbers Leib unter ihm erschlaffte und das körperliche Leben aus ihm wich. Sein Körper war tot, aber der Geist des Vampyrs existierte weiter und nun begann das Ringen um den Besitz des einzigen Leibes, den sie noch hatten. Andrej schrie. Er krümmte sich am Boden, schlug mit Armen und Beinen um sich. Die Transformation fand statt, aber für lange, lange Zeit war nicht abzusehen, wer wen in sich aufsog. Und schließlich war es vorbei. Körbers Geist bäumte sich noch einmal auf - und verging. Die schwarze Flamme erlosch und zurück blieb nur eine gewaltige saugende Leere, in die Andrej hineinzustürzen drohte. Aber zugleich fühlte er sich auch von einer neuen, nie gekannten Kraft durchströmt. Körber war vergangen, aber trotzdem noch da, tief in ihm, zu einem Teil von ihm selbst geworden. Langsam richtete Andrej sich auf und hob die Hände vors Gesicht, um sie zu betrachten. Er wäre nicht erstaunt gewesen, statt seiner eigenen schlanken Finger nun die viel kräftigeren, plumpen Hände Körbers zu sehen. Aber sie hatten sich nicht verändert. Neben ihm erscholl ein ungläubiger Laut. Andrej wandte den Kopf, sah in Vlads Gesicht und begriff, das der Ausdruck puren Entsetzens in den Augen des Roma nicht ihm galt. Er sah in dieselbe Richtung. Körber ...

... verfiel.

Die Wunde in seinem Hals hatte sich wieder geschlossen, als erinnere sich sein Körper selbst nach seinem Tod noch an die unheimlichen Fähigkeiten, die er einst besessen hatte, aber seine Haut begann zu vergilben. Sie wurde trocken, bekam Risse und sank ein, als sich auch das darunter liegende Fleisch aufzulösen begann. Andrej war entsetzt, aber auch verwirrt. Als Malthus gestorben war, war das nicht geschehen.

»Großer Gott!«, flüsterte Vlad erschüttert.

»Er muss Jahrhunderte alt gewesen sein.« Vlad sah Andrej durchdringend an - und dann bückte er sich blitzschnell nach dem Schwert, das Körber fallen gelassen hatte. Noch bevor Andrej wirklich begriff, was er tat, hatte er die Waffe aufgehoben und setzte ihre Spitze auf Andrejs Herz.

»Was ... tust du?«, fragte Andrej verwirrt.

»Ich schneide dir das Herz aus dem Leib, wenn du auch nur mit der Wimper zuckst«, antwortete Vlad drohend.

»Vergangene Nacht. Wo seid ihr gewesen? Wo habt ihr euch versteckt?«

»In einer Ruine«, antwortete Andrej verständnislos.

»Das weißt du doch!«

»Wo genau?« Der Druck der Schwertspitze auf sein Herz verstärkte sich.

»Schnell!« Andrej warf einen Blick in Abu Duns Richtung. Der Pirat stand breitbeinig über Tepesch, der reglos und mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden lag. Abu Dun hatte ihn mit seinem eigenen Morgenstern niedergeschlagen. Er hielt die Waffe in der linken Hand und sah Andrej aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen an. Nicht sehr freundlich.

»Also gut«, sagte Andrej.

»In einer alten Mühle. Im Keller. Abu Dun ist die Treppe hinuntergefallen. Was zum Teufel soll das?« Die beiden letzten Worte hatte er fast geschrien. Weder Vlad noch Abu Dun zeigten sich davon sonderlich beeindruckt. Das Schwert blieb auf seinem Herzen.

»Auf meinem Schiff«, sagte Abu Dun.

»Ich habe dich kampfunfähig gemacht. Wie?«

»Mein Rücken«, antwortete Andrej.

»Du hast mir das Kreuz gebrochen.« Abu Dun nickte fast unmerklich in Vlads Richtung. Der Roma trat zurück, senkte das Schwert und atmete hörbar erleichtert auf.

»Darf ich jetzt aufstehen, oder werde ich geköpft?«, fragte Andrej böse.

»Verzeih«, sagte Vlad.

»Aber wir mussten sicher gehen, das du auch wirklich du bist.« Er lächelte nervös.

»Ich glaube, du bist es.«

»Ich hoffe es wenigstens.« Andrej stand auf.

»Eine Weile war ich nicht sicher, ob ich ihn überwinden kann. Er war furchtbar stark.« Schaudernd sah er noch einmal auf Körbers Leiche hinab - oder auf das, was davon noch übrig war; wenig mehr als ein Skelett, an dem noch einige pergamenttrockene Hautfetzen hingen.

»Wie hast du das gemeint: Er muss Jahrhunderte alt gewesen sein?«, fragte er.

»Die Natur hat sich zurückgeholt, was schwarze Magie ihr Jahrhunderte lang vorenthalten hat«, antwortete Vlad. Andrej spürte, das das die Wahrheit war. Körber war einfach gealtert; in wenigen Sekunden um die ungezählten Jahre, die er der Natur zuvor abgetrotzt hatte. Malthus mußte wesentlich jünger gewesen sein, ein Vampyr zwar, der aber trotzdem erst eine normale menschliche Lebensspanne hinter sich hatte. Er hob sein Schwert auf und schob es in den Gürtel, bevor er sich zu Vlad herumdrehte.

»Du weißt eine Menge über ...« Vampyre? Dämonen?

»... mich.« Vlad lächelte auf eine sonderbar wissende Art.

»Ich sagte dir: Ich kenne all die alten Legenden. Aber ich habe etwas Derartiges noch nie mit eigenen Augen gesehen.«

»Und?«, fragte Andrej.

»Habe ich den Test bestanden?«

»Die Legenden erzählen auch von Unsterblichen, die nicht böse sind«, fuhr Vlad unbeeindruckt fort.

»Woher sollte ich wissen, zu welcher Art du gehörst?« Andrej hätte viel dazu sagen können, aber er tat es nicht. Er ging zu Tepesch, drehte ihn auf den Rücken und schlug ihm zwei-, dreimal mit der flachen Hand ins Gesicht, bis der Drachenritter stöhnend die Augen öffnete. Abu Dun ließ den Morgenstern fallen, zerrte Tepesch hoch und drehte ihm den Arm auf den Rücken; aber nicht, ohne ihn vorher der schrecklichen Dornenhandschuhe beraubt zu haben. Tepesch keuchte vor Schmerz, aber der einzige Ausdruck, den Andrej in seinen Augen las, war purer Hass.

»Ihr kommt nicht davon«, sagte er gepresst.

»Ihr werdet alle sterben. Ich werde mir für euch eine ganz besondere ...« Er brach mit einem Schrei ab, als Abu Dun seinen Arm noch weiter verdrehte.

»Frederic!«, herrschte Andrej ihn an.

»Wo ist er?«

»Von mir erfahrt ihr nichts!«, antwortete Tepesch.

»Das ist nicht notwendig«, sagte Vlad.

»Ich kann euch hinführen.«

»Hast du Mitleid mit ihm?«, fragte Abu Dun.

»Nein. Aber wir haben keine Zeit. Töte ihn meinetwegen, aber tu es schnell.« Er machte eine entsprechende Kopfbewegung.

»Der junge muss in einem der benachbarten Zimmer sein. Alle seine Gäste sind hier oben untergebracht.«

»Fessele ihn.« Andrej gab Abu Dun einen Wink. Der Pirat hielt Tepesch ohne Mühe mit nur einer Hand fest und riss mit der anderen einen Stoffstreifen aus Draculs Bettwäsche, mit dem er seine Handgelenke auf dem Rücken zusammenband. Tepeschs Gesicht war grau vor Schmerz, aber er verbiss sich jeden Laut. Mit einem zweiten, etwas kürzeren Streifen knebelte Abu Dun ihn, dann versetzte er ihm einen Stoß, der ihn nach vorne stolpern und auf die Knie fallen ließ.

»Warum tötest du ihn nicht?«, fragte Vlad.

»Sind wir nicht deshalb hergekommen?«

»Später«, antwortete Andrej.

»Erst holen wir Frederic.« Vlad sah nicht überzeugt aus, aber er beließ es bei einem ärgerlichen Blick, packte Dracul bei den gefesselten Händen und stieß ihn grob vor sich her zur Tür. Abu Dun blieb, wo er war. Vlad und sein Gefangener hatten die Tür erreicht. Während er Tepesch grob gegen die Wand presste, zog er mit der linken Hand den Riegel zurück und öffnete die Tür. Draußen lag ein schmaler, nur von einer einzelnen Fackel erhellter Gang. Er war menschenleer. Andrej war erstaunt, aber auch alarmiert. Der Kampf zwischen Körber und ihm war alles andere als leise gewesen. Die Wände waren zwar sehr dick, aber die Schreie und das Klirren des aufeinander prallenden Stahls mussten selbst unten auf dem Burghof noch deutlich zu hören gewesen sein.

»Die zweite Tür«, flüsterte Vlad. Andrej nickte nur, sah sich noch einmal um, machte einen weiteren Schritt und blieb abermals stehen, um sich diesmal ganz herumzudrehen.

»Was ist los?«, fragte Vlad beunruhigt. Statt zu antworten, machte Andrej nur eine Kopfbewegung in das Zimmer hinter sich. Es war leer. Abu Dun war verschwunden..

»Dieser Narr!«, zischte Vlad.

»Er wird sich und alle, die er befreien will, umbringen! Draußen wimmelt es von Soldaten!« Andrej befürchtete, das er Recht hatte. Nach dem, was er unten im Kerker gesehen hatte, konnte er Abu Dun durchaus verstehen. Aber es blieb Wahnsinn. Selbst wenn es ihm gelang, gute zweihundert Mann von denen noch dazu etliche schwer verwundet waren - durch den Geheimgang aus der Burg zu schaffen ... wohin sollte er sie bringen? Tepeschs Soldaten machten gnadenlos Jagd auf jedes dunkle Gesicht, das sie sahen, und das nächste osmanische Heer war weit weg.

»Er wird es schon schaffen«, sagte er. Es war vollkommen sinnlos, Abu Dun zu folgen. Selbst wenn er ihn eingeholt hätte, wäre es vermutlich unmöglich, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Andrej war mittlerweile sicher, das der Pirat den Plan im gleichen Moment gefasst hatte, in dem er Draculs Folterkeller das erste Mal betreten hatte.

»Zuversicht.« Vlad schürzte die Lippen.

»Davon könnten wir auch ein wenig gebrauchen, scheint mir.« Vlad schob Tepesch wie ein lebendes Schutzschild vor sich her, wobei er ihn mit einem Dolch antrieb, dessen Spitze er durch einen schmalen Spalt in seiner Panzerung geschoben hatte. Andrej hoffte, das Vlad nicht ein wenig zu fest zustieß. Er war immer noch nicht bereit, einen Menschen kaltblütig zu ermorden, nicht einmal ein solches Monster wie Dracul. Es mochte durchaus sein, das sie ihn noch brauchten, wollten sie lebend hier herauskommen. Sie erreichten die Tür, die Vlad bezeichnet hatte. Andrej drehte sich noch einmal um und lauschte. Er hörte nichts und er sah nichts. Sie waren allein. Aber es roch geradezu nach einer Falle. Andrej schob seine Bedenken beiseite, öffnete die Tür und erkannte, das er Recht gehabt hatte. Frederic saß auf einem niedrigen Stuhl unter dem Fenster und sah ihn aus starren Augen an. Seine Arme und Beine waren an die Lehnen gefesselt und er trug einen Knebel im Mund, der ihn wahrscheinlich nur daran hindern sollte, Andrej eine Warnung zuzurufen. Biehler, der letzte der drei Unsterblichen, die in Vater Domenicus’ Dienst gestanden hatten, stand hoch aufgerichtet hinter ihm, und Vater Domenicus selbst saß in einem hochlehnigen Sessel und funkelte Andrej zornig an. Auch er war gefesselt: Ein grober Strick um seine Taille verhinderte, das er aus dem Stuhl fiel. Die Verletzung, die Frederic ihm in Constäntä zugefügt hatte, hatte ihn gezeichnet. Es erschien Andrej wie ein Wunder, das er überhaupt noch lebte. Im Raum waren außer ihnen acht Armbrustschützen, die mit ihren Waffen auf Andrej zielten. Vielleicht hätte er es trotzdem riskiert, sich zurückzuwerfen und eine Flucht zu versuchen, selbst auf die Gefahr hin, von einigen der Geschosse getroffen zu werden. Doch in diesem Moment traten Vlad und Tepesch hinter ihm ein. Andrej stolperte einen weiteren Schritt in den Raum hinein. Einer der Armbrustschützen verlor die Nerven und feuerte seine Waffe ab, ohne jedoch zu treffen. Der Bolzen fuhr mit einem dumpfen Laut unmittelbar neben Andrejs Schulter in den Türrahmen, doch Vater Domenicus riss die Hand in die Höhe und dröhnte scharf:

»Nein!« Die übrigen Männer schossen nicht, aber ihre Finger blieben auf den Abzügen, während ihr Kamerad hastig seine Waffe nachlud. Andrej erstarrte. Domenicus beugte sich in seinem Stuhl vor, so weit es der Strick um seine Taille zuließ.

»Das ist sehr klug von dir«, sagte er.

»Ich weiß, wie schnell du bist. Aber wie du siehst, beschützt mich nicht nur Gott der Herr, sondern auch eine Anzahl tapferer Männer. Sei versichert, das sie wissen, was sie zu tun haben.« Er starrte Andrej an und wartete ganz offensichtlich auf eine Antwort. Andrej tat ihm den Gefallen nicht, aber er erwiderte Domenicus’ Blick so fest, wie er konnte. Domenicus’ Augen flammten vor Hass, aber das war längst nicht alles, was Andrej darin las. Viel stärker war die Verbitterung und ein Zorn, der mindestens so groß war wie sein Hass. Domenicus’ Gesicht war von tiefen Linien zerfurcht, die Schmerz und Krankheit darin hinterlassen hatten. Seine Haut hatte einen ungesunden, talgigen Glanz. Der Mann litt schlimmer, als Andrej sich vielleicht vorstellen konnte..

»Du schweigst«, fuhr Domenicus fort. Es klang ein bisschen enttäuscht. Schließlich stemmte der Kirchenfürst sich in die Höhe, wobei er nur die Arme zu Hilfe nahm.

»Ihr hattet Recht, Fürst«, fuhr er in verändertem Ton, und nicht mehr an Andrej gewandt, fort.

»Ich muss wohl Abbitte leisten, das ich an Eurer Einschätzung gezweifelt habe. Ich hätte nicht gedacht, das er imstande wäre, Körber zu besiegen.«

»Ich erkenne einen Krieger, wenn ich ihn sehe.« Vlad trat einen Schritt zur Seite, durchtrennte Tepeschs Handfesseln mit einem schnellen Schnitt und bewegte sich hastig weiter, als ihm klar wurde, das er in direkter Schusslinie eines der Armbrustschützen stand. »Vlad?«, murmelte Andrej.

»Du bist ...«

»Fürst Vladimir Tepesch der Dritte Draculea«, sagte Vlad mit einer spöttischen Verbeugung. Tepesch - der falsche - riss mit einer zornigen Bewegung den Knebel herunter, holte aus und schlug Andrej den Handrücken ins Gesicht.

»Vlad!«, sagte Vlad Dracul scharf.

»Nicht jetzt. Du wirst Zeit und Gelegenheit genug bekommen, dir Genugtuung zu verschaffen, aber nicht jetzt.« Er machte eine befehlende Geste.

»Jetzt geh und suche nach diesem Sklavenjäger, bevor er am Ende noch wirklichen Schaden anrichtet.« Der falsche Drachenritter fuhr herum und verschwand. Tepesch sah ihm kopfschüttelnd nach, dann streckte er den Arm aus und nahm Andrej das Schwert aus den Händen.

»Du gestattest? Ich habe schließlich gesehen, was du damit anzurichten vermagst.« Andrej ließ es widerstandslos geschehen. Er hätte Tepesch selbst jetzt noch töten können, aber das hätte sein sofortiges Ende bedeutet wie auch das von Frederic.

»Es ist schade um Körber«, fuhr Vater Domenicus fort.

»Er hat mir lange und treu gedient. Gott der Herr wird sich seiner Seele annehmen. Er wird seinen gerechten Lohn bekommen.«

»Da bin ich sicher«, sagte Andrej.

»Falls es so etwas wie einen Gott gibt, werdet ihr beide bekommen, was euch zusteht.« Domenicus sah ihn aus glitzernden Augen an, aber die erwartete Reaktion blieb aus. Andrej sah, wie sich Biehler spannte, die Hände aber wieder sinken ließ.

»Du kannst den Namen des Herrn nicht beschmutzen«, sagte Domenicus.

»Eine Kreatur des Teufels wie du.«

»Hör mit dem Gerede auf, Domenicus«, sagte Andrej kalt.

»Was willst du? Mich töten? Dann tu es, aber erspare mir die Qual, mir vorher dein Geschwätz anhören zu müssen.«

»Töten?« Domenicus machte ein Gesicht, als käme ihm dieser Gedanke jetzt zum ersten Mal.

»Ja, das werde ich. Und sei versichert, das ich mich dieses Mal mit eigenen Augen davon überzeugen werde, das du tot bist. Du wirst brennen, Hexer.« Er deutete auf Frederic.

»Zusammen mit diesem vom Teufel besessenen Kind.«

»Nicht so schnell, Vater«, mischte sich Tepesch ein.

»Wir haben eine Vereinbarung.« In Domenicus’ Augen blitzte es auf.

»Eine Vereinbarung? Er hat einen meiner besten Männer getötet!«

»Zwei, um genau zu sein«, verbesserte ihn Tepesch.

»Und sie haben es verdient. Ein Krieger, der sich töten lässt, ist nichts wert. Ich habe Euch gewarnt.« Er schüttelte den Kopf.

»Deläny gehört mir!« Der Ausdruck in Domenicus’ Augen war blanker Hass.

»Ihr wisst nicht, mit wem Ihr sprecht!«

»Mit einem Vertreter der Heiligen Römischen Inquisition«, antwortete Tepesch mit einem spöttischen Kopfnicken.

»Aber Rom ist weit und die Kirche hat hier nur so viel Macht, wie ich es ihr zugestehe. Was würden Eure Brüder in Rom wohl sagen, wenn sie erführen, wen Ihr in Euren Diensten habt, Vater?«.

»Überspannt den Bogen nicht, Tepesch«, sagte Domenicus.

»Ich bin Euch zu Dank verpflichtet, aber jede Verpflichtung hat ihre Grenzen.«

»Ich habe nicht vor, Euch zu bedrohen«, antwortete Tepesch lächelnd.

»Ich erinnere nur an das Abkommen, das wir getroffen haben.« Er deutete auf Frederic, dann auf Andrej.

»Ihr bekommt den Jungen, ich ihn.«

»Lasst Frederic da raus«, sagte Andrej rasch.

»Das ist eine Sache zwischen dir und mir, Domenicus.«

»Keineswegs«, antwortete der Inquisitor.

»Das war es vielleicht - bevor mir dieses unschuldige Kind das Rückgrat zerstört hat.«

»Du willst also Rache«, sagte Andrej.

»Nein«, antwortete Domenicus.

»Der Junge ist vom Teufel besessen, genau wie du und eure ganze verruchte Sippe. Aber er ist noch ein Knabe. Das Böse hat seine Seele berührt, aber noch ist sie nicht vollends verloren. Ich werde ihn mit mir nehmen und mit dem Teufel um sein Seelenheil ringen.«

»Du sprichst vom Teufel?« Andrej hätte fast gelacht.

»Wie viele Menschen hasst du umbringen lassen - im Namen Gottes?«

»Das Böse ist stark geworden und Satan ist listig. Man muss ihn mit Stumpf und Stiel ausrotten.« Domenicus wedelte unwirsch mit der Hand.

»Schafft mir diesen Teufel aus den Augen. Und bringt mir meine Medizin, ich habe Schmerzen.«

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