16

Er ritt direkt nach Osten. Auf dem ersten Stück bewegte er sich sehr rasch, denn er zweifelte nicht daran, das Tepesch nicht sonderlich viel Zeit verstreichen lassen würde, bevor er zur Jagd auf ihn blies. Das war auch der Grund, aus dem er sich in östliche Richtung wandte. Hier war das Gelände offen und es gab kaum Möglichkeiten für einen Hinterhalt oder eine Falle. Allerdings näherte er sich auf diese Weise in direkter Linie dem Schlachtfeld. Obwohl seit dem Kampf Zeit verstrichen war, bestand durchaus noch die Gefahr, auf Männer des Drachenritters zu stoßen. Erst, als er sich dem Schlachtfeld weit genug genähert und der Wind den ersten Hauch von süßlichem Leichengestank zu ihm tragen konnte, wurde ihm klar, das er diese Richtung keineswegs zufällig eingeschlagen hatte. Sein Tempo war gesunken. Andrej war nicht gutberaten gewesen, seinem Zorn nachzugeben und sich auf das erstbeste Pferd zu schwingen, das sich ihm dargeboten hatte. Das Tier war in keinem guten Zustand. Seine Kräfte erlahmten rasch. Einen langen Ritt oder gar eine Verfolgungsjagd würde es niemals aushalten. Er würde kämpfen müssen, wahrscheinlich früher, als er erwartete, und so hart wie noch niemals zuvor in seinem Leben. Biehlers Schicksal hatte ihm deutlich vor Augen geführt, das Tepesch nicht den Fehler beging, seine Art zu unterschätzen. Die Männer, die er hinter ihm herschicken würde, würden wissen, wie gefährlich er war. Und wie sie ihn töten konnten. Andrej hatte keine Angst. Er hatte in seinem Lebe, schon so viele Kämpfe ausgefochten, das er längst aufgehört hatte, sie zu zählen. So mancher davon war scheinbar aussichtslos gewesen. Und seit gestern Nacht war etwas ... mit ihm geschehen.

Andrej konnte selbst nicht sagen, was es war, aber es war eine sehr große, tief greifende Veränderung, und sie schien noch lange nicht abgeschlossen zu sein. Als er Körbers Blut getrunken hatte, da war noch etwas in ihn eingedrungen gen; ein Teil der unmenschlichen Kraft und Schnelligkeit des Vampyrs, und vielleicht etwas von seiner Erfahrung. Körber war tot, unwiderruflich, aber etwas von ihm lebte in Andrej weiter. Er hatte einen weiteren Teil des Geheimnisses gelüftet, das seine Existenz umgab. Als er Malthus getötet hatte, seinen ersten Unsterblichen war es nicht so gewesen. Aber Malthus, das hatte er längst begriffen, war noch sehr jung gewesen, alt für menschliche Begriffe, aber jung und möglicherweise unerfahren fair einen Vampyr. Andrej erinnerte sich gut an das Gefühl flüchtiger Überraschung, kurz bevor sich sein Geist endgültig aufgelöst hatte, aber da war nichts von der abgrundtiefen Bosheit und Starke Körbers gewesen. Der zweite Vampyr hätte ihn überwältigt, nicht nur körperlich, sondern auch und vor allein und mit noch viel größerer Leichtigkeit geistig, hätte Tepesch nicht im letzten Moment eingegriffen Nun aber hatte sich Körbers Kraft zu seiner eigenen gesellt. Die Krieger, die Tepesch hinter ihm hergeschickt hatte, würden möglicherweise eine tödliche Überraschung erleben. Aber zuerst brauchte er eine Waffe. Sein Pferd trabte über einen letzten, flachen Hügel, dann lag das Schlachtfeld unter ihm. Der Gestank war grässlich, aber der Anblick war nicht einmal so schlimm, wie er erwartet hatte. Überall lagen Leichen, Menschen und Pferde, in einem wirren Durcheinander, Tausende, wie es schien. Doch nirgends bemerkte er eine Bewegung, abgesehen von einigen Krähen, die sich an dem Fleisch gütlich taten. Es gab keine Soldaten, die auf ihn warteten, und auch keine Plünderer.

Er ritt noch ein kurzes Stück weiter, dann stieg er ab und begann die Toten zu durchsuchen. Während er es tat, kam ihm zu Bewusstsein, das er sich nicht anders benahm als die Plündere, für die er nur Verachtung übrig hatte. Aber er hatte keine andere Wahl. Obwohl Tepeschs Soldaten reichlich Zeit gehabt hatten, alles Brauchbare an sich zu nehmen, fand er eine reiche Auswahl an Waffen. Er wählte ein Schwert, das perfekt in der Hand lag und sich fast wie eine natürliche Verlängerung seines Armes anfühlte, dazu einen runden, sehr leichten Schild und, nach kurzem Zögern, auch Helm und Harnisch eines Toten, der ungefähr seine Größe gehabt hatte. Normalerweise bevorzugte es Andrej, ohne Rüstung zu kämpfen. Durch ihr Gewicht behinderte sie mehr, als sie schützte, und nahm ihm viel von seiner Schnelligkeit, die vielleicht seine größte Waffe war. Aber dieser Kampf würde nicht nur mit Schwert und Schild ausgefochten werden. Zuvor bedeutete selbst ein Pfeil oder ein Armbrustbolzen für ihn keine ernsthafte Gefahr, aber Korbers Schicksal hatte auf dramatische Weis, bewiesen, das selbst für ihn Angriffe tödlich sein konnten. Nachdem Andrej seine Ausrüstung noch mit zwei Dolchen vervollständigt hatte, von denen er einen in seinen Gürtel und den anderen in den rechten Stiefel schob, wandte er sich der Mitte des Heerlagers zu. Bisher hatte er es vermieden, in diese Richtung zu sehen, aber nun mußte er es. Obwohl er gewusst hatte, was ihn erwartete, war er vor Grauen wie gelähmt. Wo Selics Zelt gestanden hatte, erhob sielt nun ein wahrer Wald von Pfählen. Dreißig, fünfzig, vielleicht hundert oder mehr. Tepesch hatte den Schmerz bis in nie gekannte Tiefen erforscht, nachdem die Schlacht vorüber gewesen war. Es kostete Andrej unendliche Überwindung, weiterzugehen. Aber er mußte es. Es gab noch, etwas, was getan werden mußte.

Andrej schritt methodisch Pfahl für Pfahl ab. Die meisten Opfer waren längst tot, während der grausamen Prozedur oder gleich danach gestorben, aber einige wenige Unglückliche lebten tatsächlich noch. Andrej erlöste sie mit einem raschen Stich ins Herz von ihren Qualen, und bei jedem Einzelnen hasste er sich mehr dafür, Tepesch nicht getötet zu haben, als er die Gelegenheit dazu hatte, ganz gleich, was danach mit ihm geschehen wäre. Er war vollkommen erschöpft, als er seine Aufgabe beendet hatte. Er war Krieger. Sein Handwerk war der Tod und er hatte geglaubt, das es nichts mehr geben würde was ihn noch entsetzen konnte, aber das stimmte nicht. Es gab immer eine Steigerung. Unweit der Stelle, an der Selics Zelt gestanden hatte, ließ er sich zu Boden sinken und lehnte Rücken und Kopf an einen der schrecklichen Pfähle. Er schloss die Augen. Das Schwert in seiner Hand schien von unglaublichem Gewicht zu sein. Wären seine Verfolger in diesem Moment aufgetaucht, er hätte sich wahrscheinlich nicht einmal gewehrt. Stattdessen hörte er Schritte, und noch bevor er die Stimme hörte, wußte er, das es Abu Dun war, der auf leisen Sohlen hinter ihm erschien. Ach wußte, das du hierher kommen würdest, Hexenmeister Ohne die Augen zu öffnen, antwortete Andrej: »Nenn mich nicht so, Pirat.« Abu Dun lachte leise, kam näher und ließ sich mit untergeschlagenen Beinen neben ihn sinken. Erst dann öffnete Andrej die Augen und drehte den Kopf, um den Sklavenhändler anzusehen. Abu Dun wirkte erschöpft, aber er sah überraschend sauber aus, bedachte man, was er hinter sich hatte. Erst danach fiel Andrej auf, das er auch andere Kleider trug: Einen schwarzen Kaftan unter einem gleichfarbenen Mantel und einem ebensolchen Turban. Das Einzige, was nicht schwarz an ihm war, waren seine Zähne und das Weiß seiner Augen. Andrej drehte den Kopf ein kleines Stück weiter und sah, das Abu Dun nicht allein gekommen war. In vielleicht zwanzig Schritten Entfernung war eine Anzahl Krieger erschienen. Männer mit dunklen Gesichtern und schmalen Bärten, die fremdländische Kleidung, Krummsäbel und schimmernde runde Schilde trugen. Er war offenbar nicht der Einzige gewesen, der das Schlachtfeld genutzt hatte, um sich reue Waffen zu besorgen..

»Was tust du noch hier, Pirat?«, fragte ermüde.

»Du hattest wirklich Zeit genug. Du könntest bereits eine Tagesreise weit weg sein.«

»Das war ich, Hexenmeister«, antwortete Abu Dun.

»Ich bin zurückgekommen.«

»Dann bist du dumm.«

»Deinetwegen.«

»Dann bist du doppelt dumm«, sagte Andrej.

»Verschwinde, solange du es noch kannst. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Tepeschs Häscher hier sind.«

»Das waren sie bereits«, antwortete Abu Dun.

»Acht Mann, mit Büchsen und Armbrüsten bewaffnet Sie haben auf dich gewartet.« Er fuhr sielt mit der flachen Hand über die Kehle.

»Sie sind tot«

»Anscheinend habe ich ihn schon wieder unterschätzt«, sagte Andrej.

»Aber bevor du mich für einen kompletten Narren hältst, ich habe keinen Moment lang geglaubt, das er mich wirklich gehen lässt.«

»Was mich zu einer Frage bringt, die nicht nur ich mir stelle.«

»Warum ich noch lebe und hier bin, statt auf Tepeschs Folterbank?« Abu Dun nickte und Andrej erzählte ihm, was geschehen war. Abu Dun hörte schweigend zu, aber sein Gesicht verdüsterte sich mit jedem Wort, das er hörte.

»Dieses dumme Kind«, sagte er schließlich.

»Dracul wird ihn umbringen, sobald er hat, was er von ihm will.«

»Oder begreift, das er es nicht bekommen kann«, bestätigte Andrej. »Ich muss zurück, Abu Dun. Ich muss Frederic retten.«

»Das wäre nicht besonders klug«, sagte Ahn Dun. Er machte eine Kopfbewegung zu den Männern, die mit ihm gekommen waren. »Sultan Mehmed hat mir diese Krieger mitgegeben, damit wir die Lage erkunden. Aber sie sind mm die Vorhut. Sein gesamtes Heer ist auf dem Weg hierher. Mehr als dreitausend Mann. Petershausen wird brennen. Und danach Burg Waichs.«

»Mehmed?« Andrej dachte einen Moment nach, aber er hatte diesen Namen noch nie gehört.

»Sein Heer war auf dem Weg nach Westen, doch als er hörte, was hier geschehen ist, hat er kehrtgemacht. Diese Gräueltat wird nicht ungesühnt bleiben.«

»Die Menschen in Petershausen können nichts dafür«, sagte Andrej. »Sie hassen Tepesch genauso wie du. Oder ich.«

»Ich weiß«, antwortete Abu Dun.

»Aber der Angriffsbefehl ist bereits gegeben. Jeder einzelne Mann in Mehmeds Heer hat Vlad Dracul den Tod geschworen Und wer es noch nicht getan har, der wird es tun, Wenn er das hier sieht.« Andrej ahnte, wie sinnlos jedes weitere Wort war. Aber er mußte es wenigstens versuchen.

»Noch mehr Tote«, murmelte er.

»Es werden wieder Menschen sterben. Hunderte auf beiden Seiten.«

»So ist nun einmal der Krieg«, sagte Abu Dun.

»Das hier ist kein Krieg!«, widersprach Andrej. »,Es geht nur um einen einzelnen Mann!«

»Und um ein Mädchen und einen Knaben?«, fragte Abu Dun. »Wie meinst du das?« Abu Dun schwieg einen kurzen Moment.

»Wenn Mehmeds Krieger Waichs stürmen, dann werden auch sie sterben«, sagte er.

»Du weißt, wie es in solchen Momenten ist. Niemand wird überleben. Ich kann nichts tun, um Mehmed davon abzubringen. Er hat einen heiligen Eid geschworen, nicht eher zu ruhen, bis Tepeschs Kopf auf einem Speer vor seinen Zelt steckt.«.

»Du kennst diesen Mehmed?«

»Ich habe mit ihm gesprochen«, bestätigt, Ahn Dun.

»Mehr nicht. Er ist ein aufrechter Mann, aber auch sehr hart. Tepesch wird sterben. Sein Heer wird noch heute hier eintreffen.« Andrej überlegte. Es gab keine andere Möglichkeit.

»Und wenn Tepesch bis dahin tot wäre?«

»Ich habe befürchtet, das du das fragst«, seufzte Abu Dun. Aber Andrej wußte, das das nicht ganz die Wahrheit war. Er hatte es nicht befürchtet. Er hatte es gehofft.

»Das ist keine Antwort.«

»Ich kann sie dir auch nicht geben«, sagte Abu Dun. »Ich kann nicht für Mehmed sprechen. Ich lebe nur noch, weil er mich braucht.«

»Du?« Abu Dun lachte auf.

»Meinst du, wir wären ganz selbstverständlich Brüder, nur weil mein Gesicht schwarz ist und ich einen Turban trage? Bist du hier willkommen, weil dein Gesicht weiß ist?«

»Nein, aber...«

»Mehmed ist Soldat« fuhr Abu Dun fort.

»Er ist hierher gekommen, um dieses Land zu erobern. Aber ich glaube nicht, das er Krieg gegen Frauen und Kinder führt.« Er bewegte nachdenklich den Kopf.

»Weißt du, warum du noch lebst?«

»Weil nicht einmal der Teufel meine Seele will?«, vermutete Andrej.

»Die Männer wollten dich töten«, sagte Abu Dun ernst. »Sie haben dich am Leben gelassen, als sie sahen, was du getan hast« Er blickte auf das blutige Schwert hinab, das Andrej noch immer in der Hand hielt und lachte erneut auf diese fast Angst machende Art.

»Es ist schon erstaunlich, das ein Mann, den alle für einen Abgesandten des Teufels halten, barmherziger ist als einer, der von sich behauptet, in Gottes Auftrag zu handeln.« Er seufzte tief.

»Hast du den Mut, in Mehmeds Lager zu reiten und ihm gegenüberzutreten? Überlege dir deine Antwort gut. Es könnte dich das Leben kosten.« Andrej lachte.

»Das ist etwas, woran ich mich allmählich schon fast gewöhnt habe«, sagte er. Er stand auf.

»Habt ihr ein überzähliges Pferd für mich? Als Dieb bin ich anscheinend nicht sehr talentiert. Ich habe das schlechteste Tier erwischt, das es auf Tepeschs Burg gab.« Mehmed war ein sehr großer, schlanker Mann mit heller Haut und beinah abendländischen Gesichtszügen. Seine Augen waren schwärzer als eine mondlose Nacht. Er sprach nicht viel, aber wenn, dann tat er es in knappen Sätzen und fast ohne Akzent. Sie hatten fast den halben Tag gebraucht, um sein Heer zu erreichen, das aus einer gewaltigen Anzahl ausnahmslos berittener Krieger und einer beinahe noch größeren Zahl von Packpferden und Wagen bestand. Wie sich zeigte, war Abu Duns Warnung nicht übertrieben gewesen. Andrej wurde zwar nicht angegriffen, aber die Blicke, die die Männer ihm zuwarfen, waren nicht freundlich. Es war blanker Hass, der ihm entgegenschlug. Tepeschs Gräueltat hatte sich offenbar in Windeseile unter den Kriegern herumgesprochen, und Andrej fragte sich, was geschehen würde, wenn sich die aufgestaute Wut dieser Männer entlud. Es würde ein zweites, noch viel schrecklicheres Gemetzel geben, und diesmal würde es deutlich mehr abendländisches Blut sein, das floss, als muslimisches. Er hatte sowohl die Verteidigungsanlagen Petershausens als auch die von Burg Waichs gesehen. Beide würden dem Ansturm dieses Heeres nicht standhalten.

Durch Abu Duns Vermittlung wurde er zwar zu Mehmed vorgelassen, mußte jedoch seine gerade erst gewonnenen Waffen und Rüstungsteile abgeben. In mitten Tausender von Kriegern brauchte der Sultan ihn nicht zu fürchten. Was er wirklich war, wußte Mehmed nicht. Mehmed ritt auf einem gewaltigen weißen Araberhengst im vorderen Drittel seines Heeres, umgeben von einem halben Dutzend schwer bewaffneter Krieger, die offensichtlich seine Leibwache darstellten. Die Männer waren deutlich prachtvoller und auch Ehrfurcht gebietender gekleidet als er. Mehmed selbst trug nur ein einfaches weißes Gewand und einen schlichten Turban. Er war nicht einmal bewaffnet. Sie hielten nicht an. Andrej lenkte sein Pferd neben das des Sultans, nachdem er seine Waffen abgegeben hatte. Abu Dun und Mehmed führten den ersten Teil des Gespräches auf Arabisch und obwohl Andrej kein Wort verstand, entging ihm doch nicht, das in zum Teil sehr heftigem Tonfall gesprochen wurde. Mindestens einmal deutete Mehmed mit zornigen Gesten auf ihn, und schließlich brachte er Abu Dun mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen und wandte sich direkt an Andrej.

»Du willst also, das ich den Angriff abbreche«, sagte er.

»Warum?« Andrej überlegte sich seine Antwort sehr genau.

»Weil es ein unnötiges Blutvergießen wäre«, sagte er.

»Viele Menschen würden sterben. Nicht nur meine Leute. Auch deine.«

»So ist nun einmal der Krieg.«

»Das hier hat nichts mit dem Krieg zu tun«, antwortete Andrej.

»Es geht nur um einen einzelnen Mann.«

»Den Drachenritter.« Mehmed nickte.

»Was bedeutet er dir?«

»Tepesch? Er ist ein Teufel. Ich habe ihm den Tod geschworen.«

»Und trotzdem willst du, das ich seine Burg nicht angreife? Warum?« Andrej entschied, Mehmed die Wahrheit zu sagen. Der Araber war ein Mann, den man besser nicht belog.

»Es gibt jemanden in der Burg, der mir sehr viel bedeutet«, sagte er ehrlich.

»Meinen Sohn ... und eine Frau. Wenn du Waichs angreifst, werden sie wahrscheinlich getötet.«

»Wahrscheinlich«, bestätigte Mehmed.

»So wie Vlad Tepesch und alle seine Krieger. Und die beiden Teufel, die an seiner Seite reiten.«

»Und wie viele von deinen Männern?«

»Was kümmert es dich?«, fragte Mehmed.

»Jeder Krieger, der heute fällt, wird in den nächsten Schlachten gegen euch verdammte Christenbrut fehlen. Du solltest dich freuen.«

»Der Tod von Menschen freut mich nie«, antwortete Andrej. Er sah in Mehmeds Gesicht, das das nicht die Antwort war, die er hatte hören wollen. Nach kurzem Schweigen fuhr er fort:

»Es ist nicht mein Krieg. Und es ist auch nicht mein Land. Dieses Land hat meine ganze Familie ausgelöscht. Brenne es nieder, wenn du willst. Mich interessieren nur der junge und die Frau.« Mehmed dachte eine ganze Weile über diese Antwort nach.

»Und die beiden Teufel?«, fragte er schließlich.

»Sie sind bereits tot«, antwortete Andrej.

»Einen habe ich getötet. Den anderen hat Tepesch selbst hinrichten lassen.« Abu Dun warf ihm einen überraschten Blick zu und Andrej fügte hinzu:

»Er hat sie selbst gefürchtet. Wer einen Pakt mit dem Teufel eingeht, der muss damit rechnen, das schlechtere Geschäft zu machen.«

»Und womit muss ich rechnen?«, fragte Mehmed.

»Sag den Angriff auf Waichs ab und du bekommst Tepesch«, antwortete Andrej. Mehmed verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln.

»Das ist ein schlechtes Angebot«, sagte er.

»Ich müsste dir trauen, und warum sollte ich das? Nur weil du es sagst? Oder auf das Wort eines Piraten hin, der selbst in seiner Heimat mehr Feinde als Freunde hat?«

»Was hast du zu verlieren?«, fragte Andrej.

»Gib mir einen Tag. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin und dir Tepeschs Kopf liefere, kannst du Waichs meinetwegen bis auf die Grundmauern niederbrennen.«.

»Was für ein großzügiges Angebot«, sagte Mehmed spöttisch. Er schüttelte den Kopf.

»Nein. Meine Männer würden mir den Gehorsam verweigern. Sie schreien nach Rache. Diese Bluttat muss gerächt werden.«

»Aber ...«

»Ich gebe dir zwanzig von meinen Männern mit«, fuhr Mehmed fort.

»Das Heer wird weiter ziehen. Wir werden unseren Vormarsch nicht verlangsamen, aber auch nicht beschleunigen. Ihr allein seid schneller als wir. Du hast einen guten Vorsprung. Übergibst du mir Tepesch, lasse ich Petershausen ungeschoren und auch Burg Waichs - vorausgesetzt, seine Bewohner liefern alle ihre Waffen ab. Wenn nicht, brenne ich beides nieder.«

»Ich reite allein«, sagte Andrej.

»Deine Männer würden mich nur behindern.«

»Wir reiten allein«, verbesserte ihn Abu Dun. Mehmed schüttelte den Kopf.

»Stell meine Geduld nicht auf die Probe, Ungläubiger«, sagte er.

»Ich könnte auf den Gedanken kommen, das der Drachenritter dich geschickt hat, um meine Truppen abzulenken oder gleich in eine Falle zu locken.«

»Ich kann nur allein in die Burg kommen«, gab Andrej zu bedenken.

»Meine Männer werden euch begleiten«, sagte Mehmed bestimmt. »Bringst du Tepesch heraus, lasse ich Stadt und Burg unversehrt. Kommst du ohne ihn, stirbst du.« Er sah erst Abu Dun, dann Andrej ernst und durchdringend an.

»Morgen bei Sonnenaufgang wird ein abgeschlagener Kopf meine Zeltstange zieren. Es liegt bei dir, ob es der des Drachenritters oder dein eigener ist.« Er wartete auf eine Antwort, dann wandte er sich, ohne Andrejs Blick loszulassen, an einen der Männer in seiner Begleitung.

»Gebt diesen beiden frische Pferde. Und du, Pirat ...« Er sah Abu Dun an.

»Bist du sicher, das du ihn begleiten willst? Noch bist du ein freier Mann, aber wenn du mit ihm davonreitest, dann gehst du dasselbe Risiko ein wie er. Es könnte sein, das dein Kopf morgen früh neben seinem auf einem Speer steckt.«

»Ich habe nichts zu verlieren«, sagte Abu Dun.

»Außer deinem Kopf.« Mehmed seufzte.

»Gut, es ist deine Entscheidung. Also geht. Und ... Deläny.«

»Ja?«, fragte Andrej.

»Tepesch«, sagte Mehmed.

»Ich will ihn lebend.« Obwohl der Weg zurück nach Waichs nicht lang war, kam er Andrej weit und anstrengend vor. Sie hatten die Pferde geschunden, bis sie beinahe zusammenbrachen, und drei der zwanzig Männer, die Mehmed ihnen mitgegeben hatte, fielen unterwegs zurück und verloren schließlich ganz den Anschluss. Der Rest folgte ihnen in geringem Abstand; nicht nahe genug, um ihnen das Gefühl zu geben, Gefangene zu sein, aber auch nicht weit genug, um den Gedanken an eine Flucht aufkommen zu lassen. Andrej mußte gestehen, das er ihm mehr als einmal gekommen war. Seine Aussichten, unbemerkt in die Burg einzudringen, Frederic und Maria zu befreien und Tepesch nicht nur zu überwältigen, sondern ihn auch noch lebend aus der Burg und in Mehmeds Lager zu bringen, waren klein. Dafür war die Möglichkeit, ihrer Eskorte zu entkommen, nicht einmal so schlecht; auf jeden Fall besser, als das Unmögliche zu versuchen und den Drachen in seinem eigenen Bau zu besiegen. Aber er würde es nicht tun. Er mußte zurück, selbst wenn es seinen sicheren Tod bedeutete. Wenn er es nicht tat und die einzigen Menschen verriet, die ihm noch etwas bedeuteten, dann war er nicht besser als die beiden Vampyre, die er getötet hatte. Sie ritten bis weit in den Nachmittag hinein, ohne mehr als eine einzige, kurze Rast einzulegen, während der sie die Pferde tränkten und sich selbst von den Vorräten stärkten, die Mehmed ihnen mitgegeben hatte. Andrej hatte sich Sorgen gemacht, was geschehen würde, wenn sie auf Soldaten trafen, doch sie blieben unbehelligt. Tepeschs Heer schien sich ebenso rasch aufgelöst zu haben, wie er es zusammengepresst hatte. Erst, als sie sich Burg Waichs schon fast bis auf Sichtweite genähert hatten, brach Abu Dun das ungute Schweigen, das im Laufe des Nachmittags zwischen ihnen geherrscht hatte. Andrej vermutete, das er seinen Entschluss, ihn zu begleiten, schon längst bereute.

»Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wie du in die Burg hineingelangen willst?«, fragte er.

»Nein«, antwortete Andrej. Er hob die Schultern.

»Ich werde mir etwas ausdenken müssen.«

»Ein kluger Plan«, sagte Abu Dun spöttisch.

»Sicherlich wird er Tepesch vollkommen überraschen.«

»Das will ich doch hoffen«, antwortete Andrej.

»Was erwartest du? Ich habe dich nicht aufgefordert, mich zu begleiten.«

»Eigentlich schon«, behauptete Abu Dun.

»Mir ist selten ein solcher Narr wie du untergekommen. Ich möchte zu gerne sehen, wie die Geschichte ausgeht.«

»Das wirst du«, sagte Andrej.

»Aber wenn du Pech hast, von der Höhe einer Zeltstange aus.« Abu Dun zog eine Grimasse.

»Um das zu verhindern, frage ich, was du vorhast«, sagte er.

»Du musst doch einen Plan haben.«

»Nein«, antwortete Andrej - in einem Ton, von dem er hoffte, das er ihm diesmal glaubte.

»Ich muss in die Burg kommen, das ist alles, was ich weiß.«

»Du könntest ans Tor klopfen«, schlug Abu Dun vor. Andrej schenkte ihm einen erzürnten Blick, aber Abu Dun hob rasch die Hand und fuhr fort:

»Das ist vielleicht kein so schlechter Plan. Wir könnten uns für Männer des Fürsten ausgeben und dich als Gefangenen in die Burg zurückbringen.« Andrej dachte einen Moment ernsthaft über diesen Vorschlag nach, schüttelte aber dann den Kopf.

»Das würde nicht funktionieren«, sagte er.

»Du könntest dir Flügel wachsen lassen«, sagte Abu Dun düster, »und über die Mauer fliegen. Was ist mit dem Geheimgang?«

»Nachdem Tepesch ihn uns selbst gezeigt hat und du ihn mit zwanzig Gefangenen als Fluchtweg benutzt hast?« Andrej schüttelte heftig den Kopf.

»Ich werde über die Idee mit dem Fliegen nachdenken.« Abu Dun schwieg, und auch Andrej zog es vor, das Gespräch nicht fortzusetzen. Mit jeder Idee, die sie erwogen und wieder verwarfen, wurde ihm die Ausweglosigkeit ihrer Situation klarer. Sie ritten weiter, bis sie der Burg sehr nahe waren, dann wurde Andrej langsamer und hielt schließlich an. Die bewaldete Ebene, auf der Waichs lag, schien menschenleer, aber zwischen den Bäumen konnte sich eine ganze Armee verbergen. Und selbst wenn dem nicht so war, würden die Wachen auf den Burgmauern sie sehen, sobald sie auch nur einen Fuß über die letzte Hügelkette gesetzt hatten.

»Wir rasten hier«, bestimmte Andrej, »und warten.« Abu Dun hatte Mühe, sein Pferd ruhig zu halten. Das Tier tänzelte vor Erschöpfung. Flockiger weißer Schaum troff von seinen Nüstern.

»Warten? Worauf?«

»Das es dunkel wird«, antwortete Andrej.

»Wusstest du nicht, das wir uns nur bei Dunkelheit in Fledermäuse verwandeln können?« Abu Duns Pferd tänzelte unruhiger. Er hatte große Mühe, es auf der Stelle zu halten, machte aber trotzdem keine Anstalten abzusteigen.

»Ihr bleibt hier«, bestimmte Andrej.

»Ihr? Und du?«

»Ich warte, bis die Dämmerung hereinbricht«, antwortete Andrej. »Sobald es dunkel ist, steige ich über die Mauer und versuche, Frederic und Maria zu finden. Ihr wartet auf mich.«.

»Das werden unsere Freunde nicht gerne hören.« Abu Dun deutete auf die türkischen Krieger. Auch sie hatten angehalten, hielten aber noch immer einen gewissen Abstand ein.

»Und ich auch nicht. In der Burg sind zu viele Soldaten.«

»Ich habe nicht vor, mein Schwert zu ziehen und Waichs zu stürmen«, antwortet Andrej. Er hob die Stimme und drehte sich zu den Türken herum.

»Versteht einer von euch unsere Sprache?« Einer der Männer stieg aus dem Sattel und kam steifbeinig näher. Der Gewaltritt war auch an diesem Krieger nicht spurlos vorübergegangen. Er sah Andrej aufmerksam in die Augen und nickte.

»Von hier aus gehe ich allein weiter«, sagte er.

»Ihr wartet, bis die Sonne untergegangen ist, dann folgt ihr mir. Aber seid vorsichtig. Tepesch hat mit Sicherheit Wachen aufgestellt.« Der Mann schwieg eine geraume Weile und als Andrej kaum noch damit rechnete, antwortete er schleppend und mit einem Dialekt, der seine Worte bis zu den Grenzen der Unverständlichkeit verzerrte:

»Wir kommen mit. Der Sultan hat es befohlen.«

»Das weiß ich«, antwortete Andrej.

»Aber ich brauche euch hier draußen. Nur ein Mann allein hat eine Chance, unbemerkt in die Burg zu kommen. Aber ich brauche möglicherweise jemanden, der meinen Rücken deckt.« Er war nicht ganz sicher, ob der Mann verstand, was er sagte, aber er widersprach nicht sofort, sodass er mit einer deutenden Geste fortfuhr: »Es gibt einen geheimen Weg in die Burg hinein. Abu Dun kennt ihn. Er wird euch dorthin bringen.«

»Hast du nicht gerade selbst gesagt, das wir diesen Weg nicht mehr nehmen können?«, fragte Abu Dun.

»Nicht hinein«, antwortete Andrej.

»Aber vielleicht hinaus.« Er zuckte mit den Schultern.

»Irgendeinen Treffpunkt brauchen wir schließlich, oder? Du erinnerst dich an den Platz, den Tepesch uns gezeigt hat?« Abu Dun nickte.

»Dann treffen wir uns dort, nach Sonnenuntergang. Wenn ich bis Mitternacht nicht zurück bin, dann braucht ihr nicht mehr auf mich zu warten.«

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