»Ich würde schon gerne wissen, wie du Admiral Sanin dazu gebracht hast, daß er uns seine Kajüte überlassen hat.«
Andra lächelte verschwörerisch. »Das muß wohl mein angeborener Charme sein.« Alrik hatte ihr bis zuletzt nicht glauben wollen, als sie ihm erzählt hatte, daß sie die Nacht vor dem zweiten Angriff auf die Orks in seiner Kapitänskajüte auf dem Flaggschiff Widder verbringen konnte.
»Ganz schön edel, wie so ein Großadmiral lebt. Überall an Bord herrscht drangvolle Enge, aber Markgraf Sanin versteht es, selbst unter diesen Umständen einen Hauch von Luxus um sich zu erhalten. Sieh dir nur diese kostbaren Kerzenhalter an den Wänden an.« Alrik drehte sich langsam im Kreis und musterte dabei die Kajüte.
»Schau dir lieber das Bett an. Für einen Seemann allein scheint mir das recht groß geraten zu sein.«
Andra hatte begonnen, ihre Kleider abzustreifen. Der Sekretär aus kostbarem Holz, die kleinen Ölgemälde an den Wänden und das prächtige, goldverzierte Bett, all das vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, daß es auch in der Kajüte nur wenig wärmer als draußen war.
Eilig verschwand die Jägerin unter der Decke. Selbst das Bettzeug war eisig und obendrein auch noch ein bißchen feucht.
»Findest du diese Kajüte interessanter als mich?« Noch immer stand Alrik mitten im Raum und schaute sich um. Andra wurde langsam wütend. »Seit wir das Lager in Ferdok verlassen haben, hatten wir keine Gelegenheit mehr allein zu sein. Und was machst du jetzt? Du starrst die Bilder hier an. Wenn dich das alles so sehr fesselt, sollte ich vielleicht gehen.«
Oberst von Blautann errötete. »Entschuldige ... es ist nur ... Ich war schon so lange nicht mehr in einem ...«
»Willst du mir jetzt erzählen, daß du, seit du dich mit Leriella amüsiert hast, in keinem richtigen Schlafgemach warst? Ist dir das drumherum denn so viel wichtiger, als deine Braut?«
Alrik hatte sich auf das Bett gesetzt und beugte sich zu Andra herab.
»Wenn du den Luxus so liebst, warum bist ...«
Der Oberst brachte die Jägerin mit einem leidenschaftlichen Kuß zum Schweigen.
Andra spürte, wie warme Wellen durch ihren Körper pulsierten. Alrik gegenüber würde sie das nie gestehen, doch sie hatte seine Nähe so sehr vermißt wie eine Nachtigall den Frühling. Die Kälte und die Entbehrungen der letzten Tage waren mit einem Schlag vergessen. Hastig öffnete sie die Lederschnallen an den Seiten von Alriks Küraß und knöpfte danach das dicke Wams darunter auf, während der Oberst sich abmühte, die schweren Reiterstiefel loszuwerden.
»Laß das«, stöhnte Andra lustvoll. »Ich will dich sofort.«
»Aber das Bett ...«
»Vergiß das Bett von diesem dummen Admiral. Wer weiß, wer von uns morgen bei Sonnenuntergang noch lebt. Ich will dich noch einmal lieben, alles andere ist unwichtig.«
Alriks Hände schlossen sich um ihre Brüste.
»Nur einmal willst du mich lieben?« Der Oberst grinste.
Statt einer Antwort zog Andra ihn zu sich hinab und küßte ihn hingebungsvoll. Sie wollte für ein paar Stunden alles vergessen. Den Krieg und den Winter, das gräßliche Gemetzel vom Vortag und die Schlacht, die in wenigen Stunden beginnen würde. Vielleicht blieben ihr schon jetzt nur noch weniger Atemzüge, als sie Sonnenaufgänge in ihrem Leben gesehen hatte. Ein Trompetensignal schreckte die Jägerin aus ihren Träumen. Verwirrt schaute sie sich um und betrachtete die kleinen Ölgemälde mit Schiffen und Küstenlandschaften.
Alrik stand schon vor dem Bett und gürtete sich sein Schwert um. »Komm, es ist Zeit ...«
Grausam schnell holte Andra die Erinnerung ein. Die letzten Stunden waren vergessen, dafür war das unangenehme Prickeln zurückgekommen. Die Angst. In der letzten Nacht hatte sie von ihrem Tod geträumt. Vielleicht war das nur eine Reaktion auf das, was sie vorher auf dem Schlachtfeld gesehen hatte, doch ihr Vater hatte Träumen immer große Bedeutung beigemessen, und auch ihr fiel es schwer, dieses böse Omen einfach zu verdrängen.
Alrik hatte sie nichts von alledem erzählt. Überhaupt gab es viel, was der junge Oberst nicht von ihr wußte. Doch das war auch besser so. Er liebte sie, so wie sie war. Wozu sollte sie ihn mit ihrer Herkunft belasten? Vielleicht würde er sie sogar verlassen, wenn er wüßte, daß das Blut, das in ihren Adern floß, nicht allein Menschenblut war.
»Beeil dich. Sie werden nicht auf uns warten.« Alrik war schon angezogen und ging unruhig auf und ab.
Mit einem Seufzer verließ die Jägerin die wohlige Wärme der dicken Wolldecken. In der Kajüte war es noch genauso eisig, wie am Abend zuvor. Hastig schlüpfte Andra in ihre Kleider. Plötzlich zog Alrik sie in seine Arme und küßte sie.
»Ich weiß, daß du Angst hast.«
Verlegen blickte Andra zu Boden, doch Alrik schob ihr sanft seine Hand unters Kinn und hob ihren Kopf, so daß sie ihm wieder in die Augen blikken mußte.
»Das ist nichts, weswegen man sich schämen müßte. Was glaubst du, wie viele stumme Gebete gerade in diesem Augenblick in unserem Lager gemurmelt werden? - Aber das ist nicht das, was ich dir sagen wollte. Bevor wir beide jetzt das Schiff verlassen, wollte ich, daß du weißt, daß ich dich liebe. Bedingungslos. Du bist die Frau, mit der ich den Rest meiner Tage verbringen möchte und ... und es wird nie mehr eine andere in meinem Leben geben. Egal, was gleich passieren wird ... Und wenn ich sterben sollte, dann werde ich selbst nach meinem Tod noch über dich wachen, ganz gleich, wo ich dann sein werde. Ich werde auf dich warten, denn nicht einmal der Tod wird über meine Liebe triumphieren.«
Andra schluckte. Noch nie hatte der junge Oberst so deutliche Worte für seine Liebe gefunden. Doch seine Todesphantasien erschreckten sie. Sie wollte keinen Toten lieben.
Alrik zog einen kleinen, aus verschlungenen Metallbändchen gefertigten Ring vom Finger und reicht ihn ihr.
»Das ist ein altes Familienerbstück. Man sagt, wer ihn trägt, wird immer zu dem zurückfinden, den er liebt. Nimm ihn. Er soll dich beschützen.«
Noch bevor sie sich bedanken konnte, hatte sich der Ritter auf dem Absatz umgedreht und die Kajütentür geöffnet.
Kalte Luft durchflutete den engen Raum und vertrieb endgültig alle Erinnerung an die letzte Nacht.
Zitternd warf sich Andra ihren schweren Umhang um die Schultern. Für einen kurzen Augenblick betrachtete sie noch einmal den Ring, den sie sich an den Mittelfinger der linken Hand gesteckt hatte. Der Oberst überquerte bereits die Laufplanke, die zum Ufer führte. Er hatte sich nicht einmal nach ihr umgedreht, nachdem er die Kajüte verlassen hatte.
Ärgerlich streifte Andra ihre schweren Stulpenhandschuhe über und verließ die Kajüte.
Obwohl es noch mehr als zwei Stunden dauern mochte, bis die Sonne aufgehen würde, waren bereits alle im Lager auf den Beinen. Die drei Schiffe des Thorwalers Phileasson glitten über das träge dahinfließende Wasser des Großen Flusses. Ab und an konnte Andra helle Eisschollen aufblitzen sehen.
Der harte Frost der letzten Tage hatte den Strom in den Quellregionen zufrieren lassen. Während der wärmeren Tagesstunden brach das Eis dann wieder auf und trieb flußabwärts. Doch die Schollen waren nicht groß genug, um den Schiffen gefährlich zu werden. Ganz im Gegensatz zu den Baumstämmen, die gelegentlich mit der Strömung trieben.
Andra drängte sich zu einem der dichtumlagerten Kessel, bei denen Suppe ausgegeben wurde.
Auf den Kanten alten Brots, den ihr der Fouragier anbot, verzichtete sie. Die dünne Fleischbrühe mußte reichen. Erst gestern noch hatte sie eine alte Kriegerin erzählen hören, daß es besser sei, hungrig in die Schlacht zu ziehen. Sollte man dann eine Bauchverletzung davontragen, wäre der Tod weniger qualvoll.
Gierig schlürfte die Jägerin die Suppe. Die Wärme tat gut.
Gestern hatte dichter Nebel über dem Fluß gelegen. Der günstige Südwind hatte schon nach wenigen Stunden wieder aufgehört zu wehen, und am Abend hatte dichter Schneefall eingesetzt. Die Schiffe auf dem Fluß sahen aus wie die schwimmenden Paläste des Winterkönigs aus den Kindermärchen. Armlange Eiszapfen von bizarrer Schönheit hingen in der Takelage. Ein wenig erinnerten sie an die Reißzähne von Seeschlangen oder noch schrecklicheren Ungeheuern, von denen die Matrosen nachts an den Lagerfeuern erzählten.
Andra lächelte. Ihre Phantasie ging mit ihr durch. Es war höchste Zeit sich um den Braunen zu kümmern. Sie stampfte durch den beinahe kniehoch gefallenen Schnee zur Uferböschung.
Zuviel Schnee, dachte sie sich. Eine Kavallerieattacke war nun nicht mehr möglich. Die Pferde würden nur noch langsam vorankommen. Vielleicht war das aber auch ein Glück? Vielleicht würden die Schwarzröcke unter diesen Bedingungen erst gar nicht mit einem Angriff rechnen.
Sie rutschte die Uferböschung herab und schritt die lange Reihe der angepflockten Pferde ab. Den meisten Tieren waren Decken übergeworfen worden, damit sie die Nacht überstanden. Überall wimmelte es von Rittern und Knechten, die sich um die Pferde kümmerten, sie mit Stroh abrieben und aufzäumten. Andras Brauner schnaubte erfreut und scharrte unruhig mit den Hufen, als ihm die Jägerin die schwere Decke abnahm. Daneben stand Alrik und kümmerte sich um seine große Stute.
Der Ritter vermied es, ihr in die Augen zu blicken.
»Was ist los?« Andra verstand sein Verhalten nicht. Seit sie die Kajüte verlassen hatte, war sie ihm nicht mehr begegnet.
»Ich habe wegen der letzten Nacht ein schlechtes Gewissen«, brummte der Ritter.
Andra war wie vor den Kopf geschlagen. »Tut es dir vielleicht leid? Du kannst gerne deinen Ring zurückhaben. Einen Mann der ...«
»Das ist es nicht.« Alrik hatte sich zu ihr umgedreht. »Ich war eben beim Generalstab. Achtzehn Krieger sind diese Nacht erfroren. Mehr als doppelt so viele werden Beine, Finger oder Füße verlieren, die ihnen erfroren sind. Und wie haben wir die Nacht verbracht? In Sanins warmem Bett, während die meisten draußen vor Kälte nicht schlafen konnten . Ich schäme mich.«
Alrik zog am Sattelgurt und klopfte seiner Stute auf den Nacken. »Ein Offizier sollte nicht besser dran sein als seine Leute, solange die Armee im Feld steht. Sonst wird er das Vertrauen seiner Krieger verlieren. Ich ...«
»Das ist traurig, aber wäre es dir wirklich lieber, die letzte Nacht hätte nicht stattgefunden?« Andra packte den Obristen an der Schulter und zog ihn zu sich herüber.
»Verstehe mich nicht falsch. Ich möchte keinen Augenblick missen, den ich mit dir verbracht habe, und trotzdem fühle ich mich, als hätte ich einen Verrat begangen.« Alrik riß sich los und schwang sich in den Sattel.
»Ich werde meine Schuld wieder abtragen. Ich werde der erste sein, der in das Lager der Orks eindringt, und wenn es mich mein Leben kostet. Egal, was passiert, bei dieser Attacke wird es für mich kein Zurück mehr geben.«
Der Ritter gab der Stute die Sporen und bahnte sich einen Weg durch das Getümmel am Fluß.
Andra war entsetzt. Was war das für ein Mensch? Wollte er sich tatsächlich selber umbringen, nur um diese eingebildete Schuld zu begleichen? Wem würde das nützen? War ihm ihre gemeinsame Zukunft denn völlig gleichgültig?
Andra säuberte ihren Sattel vom Schnee und wuchtete ihn auf den Pferderücken. Der Braune schaute sie mit traurigen, dunklen Augen an. Ob er verstanden hatte, was passiert war?
Die Jägerin griff in einen kleinen Beutel, den sie am Gürtel trug, und holte einige Haferflocken heraus. Vorsichtig fraß der Hengst ihr von der Hand.
»Wäre es nur genauso leicht, diesen Oberst glücklich zu machen ...« Andra murmelte vor sich hin, und der Hengst quittierte ihre Worte mit einem Schnauben. Dann zog die Jägerin den Sattelgurt fest und gesellte sich zu den anderen Reitern, die dem Fluß nach Süden folgten.
Zerwas ritt nur wenige Schritte vom Prinzen entfernt, als die Kavallerie sich vom Hauptlager entfernte. Aufgrund der untadeligen Herkunft des Ritters Rogers, in dessen Gestalt er geschlüpft war, vertraute man ihm blind, sein Wort hatte sogar einiges Gewicht, wie sich in der Offiziersversammlung vor zwei Tagen gezeigt hatte, als er energisch für einen Angriff auf die Stellungen der Orks plädierte.
Trotzdem war Zerwas überaus schlecht gelaunt. Seit dem fehlgeschlagenen Angriff hatte sich keine Gelegenheit mehr ergeben, das kaiserliche Heerlager zu verlassen. Brin hatte die Wachen verdreifachen lassen und Spähtrupps von zwanzig und mehr Kriegern verhinderten, daß die Schwarzpelze auch nur in die Nähe des Lagerplatzes gekommen waren.
Dabei war sein eigenes Spähunternehmen ein solcher Erfolg gewesen. Der Vampir lächelte grimmig und strich über das lange, in Leder eingeschlagene Schwert, das von seinem Sattel hing.
Seulaslintan hatte endlich wieder Blut zu trinken bekommen. Diese Toren, mit denen er auf Kundschaft geritten war, hatten es nicht anders verdient. Überhebliches Pack! Sie in einen Hinterhalt der Orks reiten zu lassen war eine Kleinigkeit gewesen. Während des Gefechts hatte er dann Dämonengestalt angenommen und seine eigenen Krieger niedergemäht. Die abergläubischen Schwarzpelze waren daraufhin laut schreiend davongerannt. Anschließend hatte er Sadrak Whassoi persönlich in seinem Lager aufgesucht. Der Marschall der Orks war der einzige gewesen, der es wagte, ihm die Stirn zu bieten. Nachdem Whassoi sich sicher gewesen war, daß er ihm nichts Böses wollte, hatte er bereitwillig seinen Geist geöffnet, und nun wußte der Ork alles, was es über die kaiserliche Ersatzarmee zu wissen gab.
Zerwas brummte zufrieden vor sich hin. Dieser Tag war wirklich ein Erfolg gewesen. Der Marschall kannte nun die Stärken der einzelnen Truppeneinheiten, er wußte über wie viele Geschütze die Flotte verfügte und an Bord welcher Schiffe sich Magier befanden.
Whassoi war allerdings auch ohne seine Hilfe schon gut auf die Ankunft der Kaiserlichen vorbereitet gewesen, wie er dem Prinzen noch am selben Tag demonstriert hatte. Die Orkstellungen am Fluß zu überwinden war fast unmöglich. Wenn da nicht dieser verfluchte Thorwaler wäre ... Die Reiterkolonne war schon mehr als zwei Meilen vom Lager entfernt, als ihr Ziel in Sicht kam. An einer Enge des Großen Flusses waren etliche Lastkähne aneinandergekettet worden und bildeten eine Schiffsbrücke, die am Vortag in aller Eile gebaut worden war. Zwischen den Kähnen war jeweils ein Abstand von ungefähr zehn Schritt - soweit das in der Finsternis der frühen Morgenstunden zu erkennen war.
Von Schiffsbug zu Schiffsbug führten improvisierte Stege aus frischgeschlagenen Baumstämmen. Die Brücke war so schmal, daß sie höchstens zwei Reiter nebeneinander passieren konnten. Die langgestreckten Kajüten der Flußboote hatten eine Brückenführung mittschiffs unmöglich gemacht. Die ganze Konstruktion wirkte zerbrechlich, und Zerwas bezweifelte, daß sie der bevorstehenden Belastung standhalten würde. Die so ungleich verteilte Last auf den ohnehin schon schwer beladenen Schiffen drückte den vorderen Teil der Rümpfe tief ins Wasser.
Der Prinz, der an der Spitze der Kolonne ritt, zügelte sein Pferd und hob die rechte Hand. Dann besprach er sich kurz mit den Offizieren in seiner Nähe und überquerte schließlich mit von Blautann und dem Praios-Geweihten Anshelm als erster die Schiffsbrücke.
Ihre Ankunft am anderen Ufer blieb in der Finsternis verborgen. Erst nach einer ganzen Weile ertönte von der anderen Seite des Flusses ein Hornsignal. Darauf setzte sich die nächste kleine Reitergruppe in Bewegung. Zerwas schien es unendlich lange zu dauern, bis er endlich an der Reihe war. Die Pferde seiner Gefährten schnaubten nervös, als sie die in der Strömung leicht schwankenden Schiffsbrücke betraten. Sein Hengst jedoch blieb völlig ruhig. Jedesmal bevor er ihn bestieg, mußte er dem Pferd von einem Knecht eine Handvoll Rauschkräuter geben lassen, weil kein Reittier Deres ihn freiwillig auf seinem Rücken dulden würde. Tiere fürchteten ihn und mieden seine Nähe. Sie schienen über Instinkte zu verfügen, die die Menschen schon lange verloren hatten, denn normale Sterbliche konnte er ohne Probleme mit seiner Maske blenden.
Mit sicherem Schritt passierte der Hengst den ersten Abschnitt der Brücke. Jeweils acht bis zehn Stämme waren zusammengebunden und führten von einem Schiff zum nächsten. Die Brücke, die so entstand, war etwas mehr als zwei Schritt breit. Für die Pferde lieferte sie allerdings keinen guten Untergrund, denn in der Eile war es unmöglich gewesen die Baumstämme zu bearbeiten. Es waren zwar alle Äste entfernt worden, doch die Rundungen der Stämme brachten die Reittiere immer wieder ins Rutschen. An einigen Stellen hatte man Erde auf die Brücke gestreut, um den Pferden so zu einem besseren Tritt zu verhelfen, doch diese Arbeiten waren bis zum Morgengrauen noch nicht abgeschlossen gewesen.
Der Vampir blickte auf den träge dahinfließenden, dunklen Fluß. Die Orks waren sich völlig sicher gewesen, daß die Kaiserlichen den Strom nicht überqueren konnten. »Nervös, Herr Roger?« ertönte hinter Zerwas die Stimme eines Ritters.
Der Vampir drehte sich um und musterte den Mann in der goldverzierten Rüstung, der hinter ihm ging. Den ganzen Morgen schon hatte sich dieser Ritter in beinahe aufdringlicher Art in seiner Nähe gehalten. Er gehörte zu den Tempelwachen aus Gareth, die den Praios-Geweihten Anshelm als Leibgarde begleiteten.
»Gäbe es einen Anlaß, nervös zu sein?« entgegnete der Vampir betont gelassen.
»Nun, man munkelt, daß Eure Anwesenheit Unglück bringt«, erwiderte der Ritter geheimnisvoll.
»Das wäre dann doch wohl eher das Problem meiner Begleitung.« Zerwas lächelte. Sie beide waren die letzten eines Vierertrupps. Die nächsten Reiter, die ihnen folgten, waren mehr als zehn Schritt entfernt und nur undeutlich in der Dunkelheit zu erkennen.
Vielleicht war das die Gelegenheit, einen dieser Verfluchten Praiosdiener zu seinem Gott zu schicken? Zerwas erinnerte sich wieder an den Jahrhunderte zurückliegenden Prozeß, der seine Geliebte das Leben gekostet und auch ihn beinahe auf immer in den finsteren Abgrund geführt hatte. Die Folterknechte der Inquisition hatten es verstanden, selbst ihm Qualen zu bereiten. Körperlichen Schmerz konnten sie ihm nicht zufügen, deshalb ließen sie ihn bei den Verhören seiner Geliebten beiwohnen. Hunde! Sie nannten sich die Diener des obersten Gottes, des Gottes der Gerechtigkeit, doch ausgerechnet sie waren es, die die Folter zur höchsten Perfektion gebracht hatten. Und Marcian? Dieser doppelzüngige Verräter! Wie hatte er ihm nur vertrauen können, obwohl er wußte, daß auch er ein Inquisitor war? Seine Dummheit hatte Sartassa das Leben gekostet.
»Ich wünschte, das Licht des Praios würde uns unseren Weg zeigen«, erklang es wieder in seinem Rücken. »Man sagt, das Böse vermag vor ihm nicht zu bestehen.«
»Und das glaubt Ihr?«
»Das weiß ich. Anshelm und uns, den Rittern, die ihn begleiten, ist es bestimmt, das Böse zu vernichten, das in Greifenfurt harrt. Praios hält seine schützende Hand über uns. Deshalb hat auch keiner von uns Schaden genommen, obwohl wir vorgestern alle in der vordersten Reihe geritten sind, die vom Beschuß der Orks am stärksten betroffen waren.«
»Und Ihr glaubt wirklich, daß es Euer Gott war, der Euch beschützte?«
»Was schwingt Ihr für Reden, Ritter Roger? Seid Ihr vielleicht ein Ketzer? Auch Anshelm ist schon aufgefallen, daß Ihr niemals bei den Feldgebeten zu Ehren von Praios und Rondra zugegen wart.«
In den Worten des Ordensritters klang ein Unterton, der Zerwas mißfiel. Was wußte er? Sollte Anshelm ahnen, wer sich hinter dem jungen Adeligen Roger verbarg. Er war Geweihter und mochte sich vielleicht durch ihn weniger leicht blenden lassen als gewöhnliche Sterbliche. Und dann dieser Ritter, der ihm schon den ganzen Morgen folgte. War das mehr als ein Zufall? Wurde er beobachtet?
»Was denkt Ihr denn, warum ein Ritter nicht zu einem Feldgebet erscheint?«
fragte der Vampir lauernd.
»Vielleicht, weil er die Nähe der Götter nicht ertragen kann?« Das Pferd des Ordensritters schnaubte unruhig. »Habt Ihr vielleicht etwas zu verbergen?«
Aus dem Tonfall des jungen Ritters war nicht zu erkennen, ob dies nur die Rede eines überzeugten Praiosanhängers war oder ob sich hinter den Worten mehr verbarg.
Zerwas spähte zum gegenüberliegenden Ufer. Nur ein Schiff lag noch vor ihnen. Vielleicht zwanzig Schritt, und sie hatten das westliche Ufer erreicht. Die beiden anderen Reiter ihrer Gruppe hatten ein gutes Stück Vorsprung gewonnen. Der Vampir hatte sein Pferd während des Gesprächs ein wenig langsamer gehen lassen, und die Brücke war zu schmal, als daß der Ordensritter mit seinem unruhigen Hengst an ihm hätte vorbeireiten können.
»Vielleicht solltet Ihr mit Anshelm über das reden, was Euch vom Gebet entrückt. Er ist ein guter Seelsorger, er kann Euch sicher helfen.«
»Mir kann niemand mehr helfen.« Zerwas drehte sich im Sattel um und entblößte seine Vampirzähne.
Das Pferd des Ordensritters wieherte entsetzt auf, und der Mann starrte ihn fassungslos an. Dann stieß Zerwas ein leises, bedrohliches Zischen aus, und der Hengst des Ritters stieg auf die Hinterbeine. Der Krieger verlor den Halt und stürzte aus dem Sattel. Nur sein rechter Fuß blieb im Steigbügel hängen, so daß auch das Pferd aus der Balance gerissen wurde. Verzweifelt versuchte das Tier auf den harten, glatten Baumstämmen sein Gleichgewicht wiederzufinden. Dann stürzte es unendlich langsam, so als versuche eine unsichtbare Hand es zu retten, von der Schiffsbrücke. Zerwas schrie in gespieltem Entsetzen um Hilfe und schwang sich vom Pferd, um über den Rand der Brücke in die dunklen Fluten zu starren. Einen Augenblick lang glaubte er, noch einen goldenen Lichtreflex zu erkennen, dann war nichts mehr zu sehen. Allein das eiskalte Wasser würde schon reichen, einen Mann in kürzester Zeit zu töten, doch in der schweren Rüstung hätte der Ritter auch unter günstigsten Bedingungen nicht überleben können. Sein Panzer würde ihn bis zum Grund des Großen Flusses hinabziehen, genau wie Zerwas es beabsichtigt hatte.
»Im Wasser scheint dein Gott wohl all seine Macht verloren zu haben«, höhnte er leise.
Dann trafen die ersten Bootsleute ein und bestürmten ihn mit Fragen, was denn passiert sei, doch für den Ordensritter kam jede Hilfe zu spät. Obwohl die Schiffer mit langen Stangen die Unglücksstelle absuchten, blieben Roß und Reiter verschwunden. Einige der Leute schlugen ein Götterzeichen oder murmelten ein kurzes Gebet. Andere schienen ihn verstohlen aus den Augenwinkeln zu beobachten.
Man munkelt, daß Eure Anwesenheit Unglück bringt, hatte ihm der Ordensritter gesagt. Nun, dieses Gerücht hatte jetzt wohl neue Nahrung erhalten.
Zerwas ging zu seinem Pferd zurück. Männer wie Frauen wichen seinem Blick aus. Mit Schwung sprang er in den Sattel.
Durch das Unglück und die Suche nach dem Ritter hatte sich der Marsch des Heeres über die schmale Brücke um mehr als eine halbe Stunde verzögert. Vielleicht würden sie jetzt erst im ersten Tageslicht die Orks angreifen können. So mochten die Schwarzröcke sie früh genug entdecken, um etwas gegen den Angriff zu unternehmen.
Phileasson stand direkt hinter der hochgewachsenen, rothaarigen Ragnild am Bug eines Schiffes. Es würde noch Stunden bis Tagesanbruch dauern, und die Finsternis war so dicht, daß die Sicht nur wenige Schritt weit reichte. Sein schlankes Schiff kam mit der schweren Ladung nur langsam vorwärts, obwohl sich die ganze Mannschaft an den Riemen abmühte. Etliche Klafter Holz türmten sich zwischen den Ruderbänken.
»Ich spüre die Nähe der Orks«, murmelte Ragnild leise.
»Wo?« Phileasson widmete seine ganze Aufmerksamkeit der jungen Frau aus Olport. Sie sollte die Schiffe sicher in die Mündung der Ange führen und mit ihren besonderen Fähigkeiten für das Gelingen seines tollkühnen Plans sorgen.
»Voraus liegt die Landzunge.«
Der Thorwaler kniff die Augen zusammen und spähte in die Finsternis, doch konnte er beim besten Willen nichts erkennen.
»Sie haben dort Erdwälle aufgeworfen, hinter denen Böcke und Rotzen verborgen stehen.«
»Welchen Kurs müssen wir nehmen?«
»Laß das Schiff leicht nach Backbord abfallen.«
Phileasson drehte sich um und winkte dem Jungen zu, der rittlings auf dem Holzstapel mittschiffs saß. Die Ladung versperrte die Sicht und durch Rufe zum Steuermann hätten sie sich verraten. Der Junge drehte sich um und gab Phileassons Zeichen weiter.
Augenblicke später durchlief ein Zittern die Otta. Das Schiff war in die stärkere Strömung der Ange gedreht.
»Wir kommen den Stellungen der Schwarzröcke immer näher«, flüsterte Ragnild. »Ich werde jetzt meinen Zauber weben.«
Die Olporterin murmelte einige Worte und formte ihre Hände zu einer flachen Schale, in die sie hineinbließ. Unmittelbar vor ihr bildete sich Nebel in der Finsternis.
Phileasson hatte Ragnild schon oft bei diesem Zauber zugesehen, doch war er jedesmal aufs neue beeindruckt. Nebel aus dem Nichts entstehen zu lassen, daß war äußerst praktisch, wenn es erforderlich war, ungesehen einen Hafen zu verlassen, was bei seinen Geschäften durchaus schon des öfteren vorgekommen war.
Nun blieb nur zu hoffen, daß die Schwarzpelze keinen Verdacht schöpften. Sollte ein Schamane unter den Wachen sein, mochte er vielleicht erkennen, was hier vor sich ging.
Das Schiff war unterdessen immer langsamer geworden. Männer wie Frauen stemmten sich mit aller Kraft gegen die langen Ruder und hatten Beißhölzer zwischen die Zähne geschoben. Würden die Orks jetzt das Feuer eröffnen, wäre es eine Kleinigkeit, seine Flottille aufzureiben. Jeder Fußgänger wäre schneller als die Ottas. Außerdem mochte die Entfernung zur Landzunge höchstens zwanzig Schritt betragen. Wahrscheinlich weniger. Selbst ein Husten konnte sie jetzt schon verraten. Dabei wäre es möglich, durch einen anderen Zauber auch alle Geräusche verstummen zu lassen. Doch Brin hatte nicht genug Magier in seiner Armee. Es hatte nur dazu gereicht, auch den beiden anderen Ottas Zauberkundige mitzugeben, die sich auf die Kunst verstanden, Nebel zu erschaffen.
Ein Felsen schrammte am dünnwandigen Schiffsrumpf entlang. Phileasson zuckte zusammen. Die Ange war wesentlich schmaler als die Breite und selbst bei Hochwasser im Grunde nicht für Schiffsverkehr geeignet. Die Strömung war reißend, und obwohl das Wasser jetzt mehr als drei Schritt höher stand als im Sommer, ragten überall Felsen aus dem Wasser.
»Nach Steuerbord«, raunte Ragnild.
Der Thorwaler gab das Zeichen nach hinten weiter.
Vernünftig war es nicht, seine Schiffe und das Leben seiner Leute bei diesem Unternehmen zu riskieren. Beute würden sie kaum machen, auch wenn der Prinz ihm alles versprochen hatte, was in dem Lager auf der Landzunge zu finden war. Die Orks hatten mit Sicherheit längst alles von Wert nach Khezzara geschickt.
Jetzt konnte auch Phileasson das weiß schäumende Wasser um den Felsen erkennen, dem sie mit dem Steuermanöver ausgewichen waren. Die Nachtsicht der Olporterin war ihm beinahe schon unheimlich. Wahrscheinlich erklärte sich diese Begabung daraus, daß in dieser nördlichsten Stadt Thorwals die Winter besonders lange dauerten und es an vielen Tagen erst gar nicht hell wurde. Oder sollte auch das außergewöhnliche Sehvermögen mit Ragnilds magischen Fähigkeiten zusammenhängen?
Phileasson beugte sich vor, um besser zu sehen. Die Landzunge steuerbord war noch immer hinter dem Nebel verborgen, und voraus tauchten erneut bedrohliche Klippen im Fluß auf.
Langsam wurde der Thorwaler nervös. Die Sonne war schon vor mehr als einer halben Stunde aufgegangen, und Ragnild wirkte immer erschöpfter. Lange würde sie ihren Zauber nicht mehr aufrecht erhalten können. Immer mehr Löcher klafften in der Nebelwand, die sie über den Fluß gelegt hatte. Mehr als zwei Stunden war es her, daß sie eine günstige Stelle hinter einer Flußbiegung gefunden hatten, wo sich ihr Plan verwirklichen ließ. Sie hatten die sperrigen Holzanker über Bord geworfen und die Schiffe so vertäut, daß es möglich war auch hier eine Schiffsbrücke zu bauen. Die Ange war an ihrem Ankerplatz nicht einmal zwanzig Schritt breit, und die Brücke aus den Baumstämmen, die sie geladen hatten, war in etwas mehr als einer Stunde fertig gewesen. Sicher kein Prachtbau, aber es würde ausreichen, um die Reiter den reißenden Fluß passieren zu lassen. Doch lange würde Phileasson hier nicht mehr bleiben. Sollte ein Spähtrupp der Orks von dem etwa zwei Meilen weiter südlich gelegenen Lager den Fluß hinauf ziehen, dann würden sie unweigerlich entdeckt werden.
Der Kapitän blickte zum Ostufer. Fünfzig vollbewaffnete Thorwaler standen dort, bereit einen etwaigen Angriff aufzufangen. Doch wie lange würden sie standhalten können? Selbst wenn die Orks nicht mehr Krieger hätten, wäre er wohl kaum in der Lage, ihre Geschützstellung zu erobern. Phileasson fluchte und spuckte in den gurgelnden Fluß.
Es war wieder eine halbe Stunde vergangen, als endlich einer der Posten auf dem westlichen Ufer einen Falkenruf imitierte und sich kurz aus denn Schnee erhob, und mit übertriebener Geste auf das Hinterland zeigte. Das mußten sie sein! Mit weit ausholenden Schritten rannte Phileasson über die schwankende Brücke, erklomm den Hügel am Ufer und warf sich neben dem Wachtposten flach in den Schnee, damit man ihn vom Lager der Orks aus möglichst schlecht sehen konnte.
Fast eine Meile entfernt war zwischen den verschneiten Hügeln ein eigenartiges Funkeln zu sehen. Sonnenlicht, das sich auf polierten Waffen spiegelt, ging es dem Thorwaler durch den Kopf. Doch es konnte auch ein Lichtreflex auf einem Eisblock sein.
Plötzlich war das Funkeln verschwunden, um wenige Atemzüge später an einer anderen Stelle erneut aufzutauchen.
»Sie sind es!« seufzte die Frau neben ihm erleichtert. »Endlich!«
Phileasson schirmte die Augen mit der Hand ab, um über die weißglänzende Schneelandschaft hinweg besser sehen zu können. Jetzt zeichneten sich dunkle Reiter ab, die einen Hügelkamm hinunterkamen. Erst waren es nur wenige, so als würden Späher vorausreiten, doch dann wurden es immer mehr, die wie eine riesige dunkle Welle über die Flanke des verschneiten Hügels galoppierten. Langsam arbeitete sich der Reitertrupp durch den tiefen Schnee Richtung Ange vor. Doch sie ritten zu weit nördlich. Wenn sie diese Richtung beibehielten, würden sie die Schiffsbrücken verfehlen, und es würde noch einmal kostbare Zeit verlorengehen. Der Kapitän drehte sich um und blickte in Richtung der Landzunge. Ein schmaler Waldstreifen lag nördlich der Stellungen der Orks. Von dort erklangen laute Hörnersignale. Vermutlich hatte Sanin nicht länger warten wollen und mit dem Angriff vom Fluß aus begonnen.
Ob er es wagen durfte, auch in sein Hörn zu stoßen, um den Reitern die richtige Richtung zu weisen?
Nein! Das ging auch anders. Phileasson erhob sich aus dem Schnee, in dem er gekauert hatte, und kletterte ein kleines Stück die Hügelflanke hinab, so daß er vom Lager der Orks oder von Spähern auf der anderen Flußseite keinesfalls mehr gesehen werden konnte. Dann zerrte er seinen weiten, blauen Umhang von den Schultern und schwang ihn hin und her.
Für einen kurzen Augenblick konnte er sehen, wie die Reiterkolonne ins Stocken kam. Dann änderten sie ihre Richtung und hielten auf die Behelfsbrücke zu.
Kolon brüllte vor Vergnügen. Es war bestimmt das zehnte Mal, daß er sich mit der Faust auf die linke Handfläche schlug und losjubelte. Diese Trottel hatten beschlossen, ihre Flotte Efferd zu opfern. Es war nicht zu fassen. Die Sonne mochte vielleicht eine halbe Stunde am Himmel stehen, als die gepanzerten Schiffe dicht gefolgt von drei Galeeren, den Strom hinaufkamen. Von den Reitern, die den ersten Angriff begleitet hatten, war nichts zu sehen. Nun, vermutlich war ihnen die fehlgeschlagene Attacke eine Lehre gewesen.
Langsam gewann der Zwerg seine Fassung wieder und brüllte Befehle durch das Lager. Alle Orks waren auf den Beinen, seit man das erste Schiff auf dem Fluß entdeckt hatte. Auch im Hauptquartier am anderen Ufer schien man eifrig damit beschäftigt zu sein, sich auf das Gefecht vorzubereiten.
»Los, facht die Feuer an und macht die ersten Kugeln bereit.«
Kolon lief auf dem breiten Erdwall auf und ab, der sich hoch über den Fluß erhob. Bei jedem Geschütz überprüfte er, ob es korrekt ausgerichtet war. Bedauerlicherweise würden die Schiffe nicht in Reichweite seiner Rotzen kommen, wenn sie nicht versuchten, direkt in die Mündung der Breite einzulaufen. Dafür konnte er sie aber mit fünf Katapulten beschießen lassen.
Zwischen den Geschützen auf dem Wall waren große Feuer entzündet worden. Hier sollten die eisernen und steinernen Geschosse der Katapulte bis zur Glut erhitzt werden. Über Hylailer Feuer verfügten sie zwar nicht, aber die glühenden Kugeln waren wenigstens ein kleiner Ersatz dafür. Außerdem waren Hunderte von Brandpfeilen vorbereitet.
Wieder klatschte Kolon vor Freude in die Hände. Er konnte kaum erwarten, daß die Schiffe auf Schußweite heran waren.
»Sie haben die erste Marke erreicht«, schrie ein Krieger.
»Holt jetzt die leichten Kugeln aus den Feuern!« übertönte Kolons Stimme den Lärm auf dem Erdwall.
Die Geschützbedienungen machten sich mit eisernen Zangen in den Flammen zu schaffen. Rötlich schimmernde Kugeln wurden auf die mit Eisenblech verkleideten Löffel der Katapulte gehoben.
Kolon überprüfte noch einmal die Ausrichtung des Geschützes an seiner Seite. Sorgfältig visierte er das vorderste Schiff an und hob den Arm. Gleich war es auf einer Höhe mit dem unauffälligen Busch am linken Ufer. Der Zwerg lächelte triumphierend. Vor zwei Wochen hatte es diesen Busch noch nicht gegeben. Er hatte die Ufer südlich der Geschützstellungen mit unauffälligen Entfernungsmarken bestückt, um den untalentierten Orks das Zielen zu erleichtern. Obwohl er die besten Geschütze und Krieger aus dem Lager vor Greifenfurt mitgenommen hatte, war er von der Qualität der Truppe alles andere als überzeugt. Wenn auf der anderen Seite nur halb so viele Zwerge stehen würden, wie er Orks hatte, würde man sie in Grund und Boden schießen. Aber dazu würde er es nicht kommen lassen. Jetzt war das erste Schiff auf einer Höhe mit dem kleinen Busch.
»Schießt!« ertönte das Kommando des Zwergen. Mit dumpfem Schlag krachte der Arm des Katapults gegen das lederne Auffangpolster. Fast im selben Augenblick wurden auch die anderen Geschütze abgefeuert. Rund um das vorderste Schiff stiegen Wasserfontänen auf. Ein Ton wie von einem riesigen Gong hallte über das Wasser. Mindestens eine Kugel hatte getroffen!
»Los, ladet nach. Und schlaft nicht bei eurer Arbeit ein.«
Während die Schwarzpelze die nächsten Kugeln aus den Feuern holten, versuchte Kolon zu erkennen, wo das Schiff getroffen worden war. Doch er konnte nicht den kleinsten Schaden ausmachen. Vermutlich waren die Flußschiffe noch zu weit entfernt, als daß man sie ernsthaft beschädigen konnte.
Der Zwerg schüttelte den Kopf. Diese Panzerung an den Schiffen hatte er noch nie gesehen. Vermutlich stammte die von seinen Brüdern aus den Koschbergen. Menschen wären zu so einer hervorragenden Metallarbeit jedenfalls nicht fähig.
»Die Böcke sind bereit.« Der Ork, der das Geschütz zu seiner Rechten befehligte, blickte ihn erwartungsvoll an.
Kolon zögerte. Sollte er vielleicht noch ein wenig warten. Nein! Munition hatten sie mehr als genug. Er würde den Gegner so oft beschießen wie möglich.
»Feuert!«
Wieder flogen die Steinkugeln in hohem Bogen über das Wasser. Diesmal gingen alle daneben. Kolon fluchte, doch insgeheim wußte er genau, wie schwierig es war, mit einem Katapult bewegliche Ziele zu treffen. Nun, das war gleichgültig. Diese schweren Schiffe würden eine Ewigkeit brauchen, um den Fluß hinaufzukommen. Sie hatten nur relativ wenige Ruder an den Seiten, und wenn er die Markierung am Flußufer anpeilte, konnte er erkennen, daß sie kaum mehr als zehn Schritt vorwärts gekommen waren.
»Alle Geschütze fertig!« ertönte es wieder an seiner Seite.
»Gut, schießt.«
Wieder stiegen rund um die Boote Wasserfontänen auf.
Diesmal hatte auch die Batterie auf dem anderen Ufer geschossen. Im selben Augenblick löste sich ein merkwürdiger, unförmiger Gegenstand vom Bug des vordersten Schiffes, flog ein Stück weit über das Wasser und schlug vielleicht zwanzig Schritt vor dem Schiff in den Fluß. Was war das? Kolon kratzte sich den Bart. Ein Leben lang beschäftigte er sich nun schon mit Geschützen, doch so etwas war ihm noch nicht begegnet. Dann verschossen auch die beiden anderen Schiffe ganz ähnliche Gegenstände.
Wie gebannt starrte der Zwerg auf den Fluß. Es schien, als würden Seile oder Ketten an den merkwürdigen Geschossen hängen. Jedenfalls waren sie mit irgend etwas an den Schiffsrümpfen befestigt.
Diesmal waren die Katapultmannschaften am anderen Ufer schneller gewesen. Ihre Salve erfolgte wenige Augenblicke, bevor Kolon den Befehl zu schießen gab. Mit leisem Pfeifen zogen die Steinkugeln steil in den Himmel, um sich dann bedrohlich in Richtung der Schiffe zu neigen.
Diesmal hatte es gleich mehrere Treffer gegeben.
Die Orks ringsherum grölten vor Freude. Einige stießen in ihre Hörner.
»Los, weitermachen! Feiern können wir heute nacht.« Kolon wußte nur zu gut, daß mit den paar Treffern die Schlacht noch lange nicht entschieden war.
Allmählich erwiderten die Schiffe das Feuer. Kugeln, die dünne Rauchfäden hinter sich herzogen, flogen auf seine Stellung zu. Unwillkürlich duckte sich der Zwerg hinter die Brüstung der Erdschanze. Fast im gleichen Moment wurde das Lager auch schon getroffen. Kolon konnte nicht überblicken, wie viele Geschosse ihr Ziel gefunden hatten. An zwei Stellen loderten zwischen den Lederzelten hohe Flammensäulen auf.
»Holt euch Erde und schüttet sie auf die Feuer. Zehn Mann pro Brand und nehmt kein Wasser!«
Der Zwerg hoffte, daß sich die undisziplinierten Orks an seine Befehle halten würden. Diese Feuer waren nicht durch Wasser zu löschen. Er kannte die Brandgeschosse der kaiserlichen Armee nur zu gut. Es waren Tonkugeln, gefüllt mit den berüchtigten Hylailer Feuer. An der Mündung des Kruges befestigte man eine glimmende Lunte, die den Brandsatz entfachte, sobald der Tonkrug zerschellte. Wasser vermochte diesem dämonischen Feuer nichts anzuhaben. Allein mit Erde konnte man es ersticken.
»Glotzt nicht wie die Ochsen im Schlachthof!« brüllte Kolon wütend und trieb die Krieger in seiner Nähe an die Geschütze zurück. Er mußte sie dazu bringen, stur weiterzumachen. Wenn sie zu sehr darüber nachdachten, mit was sie hier beschossen wurden, dann würden sie ihm am Ende noch weglaufen.
»Diesmal ziele ich!« Kolon stieß den Kommandanten des Geschützes neben ihm beiseite. Sorgfältig visierte er das vorderste Schiff an. Vermutlich war dort der Kommandant der Flottille.
»Los schießt!« Wieder ertönte das dumpfe Geräusch abgefeuerter Katapulte.
Drei Schuß gingen ins Wasser, einer traf. Kolon hatte sein Geschütz mit Bedacht noch nicht abgefeuert. Er wollte wissen, wie gut er selber noch war. Noch einmal überprüfte er die Entfernung zum Ziel und warf einen abschätzenden Blick auf die glühende Steinkugel im Löffel seines Katapults. Dann riß er den Sicherungshebel nach hinten. Zischend durchschnitt die Kugel die Luft. Dann senkte sie sich in einer steilen Kurve der Wasseroberfläche zu und schlug mit lautem Klang mitten auf dem vordersten Schiff ein.
»Hurra! Treffer! Wir werden es ihnen schon geben.« Kolon führte einen wahren Freudentanz rund um das Geschütz auf.
Statt nachzuladen, starrten ihn die Orks an, als hätten sie es mit einer Göttererscheinung zu tun. Kolon riß sich zusammen. Was hatte er eben noch gesagt? Gefeiert wird später!
»Los, ihr lausigen Schwarzpelze. Macht weiter und zeigt euren Ahnen mal, daß ihr Mumm in den Knochen habt.«
Die Krieger eilten zu den Geschützen, und bald war die Batterie erneut schußbereit.
»Admiral, das ist Wahnsinn, das stehen wir nicht durch!« Der Erste Offizier war am Rande der Hysterie, doch Sanin stand scheinbar gelassen auf dem Kajütendach der Widder und dirigierte die Geschützbedienung.
»Sorgt dafür, daß alle auf den Posten bleiben. Wie viele Tote haben wir?«
»Bislang einen Toten und zwei Verletzte. Wie es auf den anderen Schiffen steht, weiß ich nicht.«
»Gut, Navigator. Dann geht jetzt auf Euren Posten zurück und seid den anderen ein Vorbild. Vergeßt nicht, daß ein Offizier der kaiserlichen Marine niemals etwas von seinen Leuten fordern darf, was er nicht selbst zu geben bereit ist.«
Das Pfeifen einer neuen Salve klang immer lauter. Wie ein Donnerschlag traf eine Kugel die Außenwand der Kajüte. Der Navigator hatte sich hinter der Reling in Deckung geworfen, während Sanin kerzengerade stehengeblieben war. Ein wenig mitleidig blickte der Admiral auf den Mann hinab. Sich vor den Orks auf die Knie werfen - so weit käme es noch. Sanin lächelte bitter und gab dann den Bordschützen letzte Anweisungen. Der Erste Offizier war zwar ein altgedienter Seemann, doch hatte er noch nie im Gefecht gestanden. Er würde ihn mit Nachsicht behandeln.
»Navigator! Habt Ihr nicht etwas vergessen?« Der Offizier wollte die schmale Leiter zum Hauptdeck hinuntersteigen und schaute Sanin verblüfft an.
»Man salutiert vor einem Offizier, bevor man geht. Das gilt auch im Gefecht.«
Wieder schlug rund um das Schiff eine Salve der Orks ein. Wasserfontänen schossen in die Luft und überschütteten die Männer an Deck mit einem eisigen Schauer.
»Melde gehorsamst, daß ich mich auf meinen Gefechtsposten zurück begebe.« Der Navigator stand steif wie auf dem Paradeplatz der Marineakademie und salutierte.
»Danke, Navigator.« Der Admiral hob lässig seine Hand zum Gruß und widmete sich dann wieder der Geschützbedienung.
Die Zwerge, die den Bock auf dem Dach der Kajüte bedienten, grinsten einander an. Sie galten als die besten Schiffsschützen der kaiserlichen Marine und genossen mehr Privilegien als die meisten anderen Mannschaftsmitglieder.
»Wollen wir?« Die Geschützmeisterin ließ das zusammengerollte Blatt aus Mohaccotabak von einem Mundwinkel in den anderen rollen und blickte Sanin erwartungsvoll an. Ihre Backen waren rußverschmiert, und ihr wallendes Haar wurde von einem breiten, roten Stirntuch gebändigt. Auch ihre blaue Uniform zeigte einige Rußflecken. Die obersten Knöpfe ihrer knappen Jacke waren offen. »Nun?«
Wieder schlug eine Salve der Orks rund um das Schiff ein. »Schießt auf die Landzunge!« »Aber ...«
»Das ist ein Befehl«, knurrte Sanin gereizt. Die Geschützmeisterin nahm den glimmenden Tabakstengel aus dem Mundwinkel und hielt ihn an die Lunte der Tonkugel, die auf dem Löffel des Katapults lag. Einen Augenblick wartete sie, bis die Zündschnur in roter Glut aufleuchtete. Dann gab sie das Zeichen zum Feuern.
Augenblicke später stieg eine Flammensäule unmittelbar vor dem Erdwall auf der Landzunge auf.
»Guter Schuß, weiter so«, kommentierte Sanin. Nach Absprache mit dem Generalstab hätte das Geschützfeuer zwar auf die Stellung am rechten Ufer konzentriert werden sollen, doch das hatte sich in Sanins Augen erledigt. Nach dieser Absprache hätte der Prinz kurz nach Sonnenaufgang die Stellung auf der Landzunge angreifen müssen.
Als selbst eine halbe Stunde danach immer noch nichts passiert war, hatte Sanin beschlossen auf eigene Faust anzugreifen. Vermutlich war Brin von den Thorwalern verraten worden. Piratenpack! Er hatte Phileasson nie getraut.
Jetzt würde er Rache nehmen. Sie würden die Landzunge beschießen, bis sich dort nichts mehr regte, und dann würde er mit einigen Truppentransportern Krieger an Land bringen.
Wieder spritzten Fontänen von Wasser über Deck.
»Schießen erstaunlich gut die Schwarzröcke«, kommentierte die Geschützmeisterin die Salve. »Ich möchte nicht wissen, wie es aussieht, wenn wir ihnen erst mal so richtig nahe gekommen sind.«
»Diesem Schiff werden sie nichts anhaben.« Sanin war davon felsenfest überzeugt, obwohl solche mit Kupferplatten beschlagenen Schiffe sich noch niemals in einem Gefecht befunden hatten.
Wie um seine Worte zu unterstreichen donnerten gleich zwei Steinkugeln gegen den Rumpf.
Der Admiral beugte sich über die Reling und blickte auf das Vorderdeck. Gerade ließen dort einige Matrosen den zweiten Anker des Schiffes hinab. Der Navigator stand unter ihnen und beaufsichtigte die Arbeiten. Sobald der schwere Anker am Grund des Flusses sicheren Halt gefunden hatte, wurde der Hauptanker aufgenommen und unter Einsatz von fünfzehn Seeleuten auf die gewaltige Rotze gehoben, die im Bug stand. Vorsichtig wurde der Koloß auf dem schußbereiten Geschütz plaziert.
Noch einmal überprüfte der Navigator, ob die Kettenführung stimmte, und der Anker sich nirgendwo verkantet hatte, dann gab er den Befehl zum Schießen. In flacher Bahn flog der schwere Schiffsanker über das Wasser und verschwand nach etwas mehr als zwanzig Schritt in den grauen Fluten. Mit laut tönendem Rasseln rollte dabei eine schwere Eisenkette ab, die auf Deck lag.
Als der Anker versunken war, kontrollierte der Navigator noch einmal die Kette. Nachdem er mit dem Ergebnis offensichtlich zufrieden war, zog er sein Entermesser und klopfte mit dem Knauf dreimal aufs Deck. Dann brüllte er aus Leibeskräften: »Hol weg!«
Sanin konnte sehen, wie sich die Ankerkette noch straffer spannte und spürte, wie sich das Schiff ruckartig vorwärtsbewegte. Durch die Panzerplatten war das Schiff zu schwer geworden, um allein durch die Kraft der Ruderer gegen die Strömung den Fluß hinauf bewegt zu werden. Im Frachtraum unter dem Bug stand ein großes Ankerspill, über das die Kette ausgerollt wurde, so daß das Schiff sich trotz aller Widerstände langsam den Fluß hinaufarbeiten konnte.
Wieder stieg im Lager der Orks eine Flammensäule auf. Obwohl immer wieder Steinkugeln mit ohrenbetäubendem Getöse gegen die Bordwand krachten, arbeiteten die Zwerge mit unerschütterlicher Präzision. Schuß folgte auf Schuß, und je näher sie den Stellungen der Orks kamen, desto besser wurde die Trefferrate.
Plötzlich schlug neben Sanin eine glühende Felskugel auf die Reling. Die Kupferpanzerung wurde eingedrückt, Holz barst, und scharfe Steinsplitter sirrten durch die Luft. Einige der Zwerge schrien gellend auf.
Etwas traf Sanin am Bein. Für einen Augenblick taumelte der hochgewachsene Admiral. Im selben Moment schoß direkt neben dem Geschütz eine helle Stichflamme in die Höhe. Der Admiral spürte einen dumpfen Schmerz am Bein, und um ihn herum schien sich die Wirklichkeit in einen Alptraum zu verwandeln. Humpelnd stolperte er an das andere Ende des Kajütendachs, wo einige Eimer mit Sand standen. Durch die Speigatten lief ein Teil der brennenden Masse an den Kajütenwänden hinab.
»Feuer, Feuer!« gellten die Schreie der Matrosen vom Hauptdeck. Unterdessen versuchten die überlebenden Zwerge den Brand auf dem Dach unter Kontrolle zu bringen. Auch Sanin taumelte auf den Brandherd unmittelbar neben dem Geschütz zu und kippte seinen Eimer in die Flammen. Doch den Flammen schien der Sand nichts anzuhaben.
Wieder erbebte der Schiffsrumpf unter neuen Treffern.
Einige der Matrosen auf dem tiefergelegenen Deck sprangen in Panik in die eisigen Fluten.
Es roch nach ausgeglühtem Metall und verbranntem Fleisch.
Eimer auf Eimer wurde von den Zwergen in das Feuer geschüttet, bis die Flammen schließlich kleiner wurden und dann ganz erloschen. Doch noch immer brannte es auf dem unteren Deck. Auch rings um das Schiff trieben kleine Inseln der brennenden Masse auf dem Wasser. Sanin begutachtete die ausgeglühten Tonscherben neben dem Katapult. Einer der Splitter des glühenden Felsbrockens, der an der Reling zerschellt war, hatte eine der Kugeln mit dem Hylailer Feuer zerstört. Die ölige Masse war ausgelaufen und hatte Feuer gefangen. Das Geschütz jedoch war fast unbeschädigt geblieben.
»Los, schickt Munitionsträger hinunter.«
Die Geschützmeisterin zuckte mit den Schultern. »Glaubt Ihr nicht, daß das zu gefährlich ist?«
»Unsinn! Das war ein Glückstreffer. Das wird schon nicht wieder vorkommen. Außerdem hat uns auch in diesem Fall die Panzerung vor dem Schlimmsten bewahrt. Dieses Schiff trägt den rechten Namen. Unerschütterlich wie ein wilder Widder werden wir gegen die Stellungen der Orks anrennen, bis wir ihnen den Sieg abgerungen haben. Alles andere werde ich nicht dulden! Verstanden?«
Die Zwergin salutierte und schickte einige der Schiffsschützen die Stiegen hinunter, um aus dem Bauch des Widders neue Brandgeschosse an Deck zu holen.
Sanin klammerte sich an der Reling fest. Der Schmerz in seinem Bein wurde immer unerträglicher. Es war ein Pochen, so als säße ein böser Dämon in seinem Schenkel und versuchte, das Fleisch zu zerreissen.
»Admiral, Ihr braucht Hilfe.« Die Geschützmeisterin wollte ihn stützen.
»Zurück!« zischte er böse. »Kümmert Euch um die ernsthaft Verletzten und werft Seile aus, damit die Feiglinge, die ins Wasser gesprungen sind, nicht zu Efferd gehen.«
»Jawohl!« Die Zwergin machte sich an die Arbeit, doch ließ sie Sanin dabei nicht aus den Augen.
Dem Großadmiral wurde übel. Er hatte das Gefühl, als stände er auf dem Deck einer Kogge, die von schwerer See hin- und hergeworfen wurde. Dann begann sich alles um ihn herum zu drehen. Seine Hände glitten von der Reling, und er stürzte der Länge nach auf Deck.
Es hatte mehr als eine Stunde gedauert, die fünfhundert Reiter über die Schiffsbrücke der Thorwaler zu bringen. Die ganze Zeit über war der Lärm der Schlacht in der Ferne zu hören. Sanins verfrühter Angriff erwies sich als Vorteil. Die Schwarzpelze waren dadurch viel zu abgelenkt, um sich noch um das zu kümmern, was hinter ihren Linien geschah.
In eine lange Doppelreihe aufgefächert hatten die Reiter den kleinen Wald nördlich des Orklagers durchquert.
Zerwas wurde immer unruhiger. Nichts würde die Kaiserlichen jetzt mehr aufhalten können, außer vielleicht er selber. Der Vampir tastete nach dem in grobes Leder eingeschlagenem Schwert, das von seinem Sattelknauf hing. Eine unbändige Kraft pulsierte in der Waffe. Sie gierte nach Blut. Irgendwo in dem Wäldchen ertönte ein langgezogenes Hornsignal. Der Prinz riß sein Schwert hoch, und mit gewaltigem Donnern setzten sich die Reiter in Bewegung, um über die verschneite Ebene hinweg das Lager der Orks anzugreifen.
Auch im Lager der Schwarzröcke ertönten nun Schlachthörner. Eilig versuchte man die Geschütze auf dem hohen Erdwall zu drehen, um dem Angriff der Reiter zu begegnen.
»Rache für Greifenfurt!« übertönte der Schlachtruf des Prinzen das ohrenbetäubende Donnern der Pferdehufe, und hunderte von Männern und Frauen nahmen den Ruf auf.
Die Schwerter und Lanzen weit vorgestreckt, fegten die Reiter über die Ebene. Langsam zerriß die einheitliche Kette, die sie beim Anritt gebildet hatten. Die schnellsten hatten bald einen Vorsprung von einigen Pferdelängen, andere strauchelten in verborgenen Schneewehen. Dann schlugen die ersten Geschosse zwischen ihnen in den Schnee. Auch die Geschütze des Lagers auf der anderen Flußseite nahmen sie nun unter Feuer. Vielleicht zweihundert Schritt trennten sie noch von der Stellung auf der Landzunge. Nach hinten hatten sie keinerlei Verteidigungsanlagen. Die Orks mußten sich hier völlig sicher gefühlt haben. Ohne auf irgendwelche Hindernisse zu stoßen, könnten die Ritter sofort zwischen die flachen, runden Lederzelte galoppieren und dann den Erdwall im Sturm nehmen. Zerwas gab seinem Hengst die Sporen. Jetzt oder nie! Es lag allein bei ihm, diesem vernichtenden Angriff die Schlagkraft zu nehmen.
Das Pferd des Prinzen war in einer Schneewehe geraten und strauchelte. Beinahe stürzte Brin aus dem Sattel. Zerwas zog sein Schwert.
Dieser Mann hatte Marcian nach Greifenfurt geschickt. Er war die Hoffnung der Bürger auf Befreiung, und er war auch am Tod Sartassas schuld. Wäre er, wie versprochen, noch im Spätsommer mit seinem Heer vor Greifenfurt erschienen, wäre alles ganz anders verlaufen.
Zerwas fühlte sich wie in einem Rausch. Immer wieder schrie er den Namen Sartassas. Nur wenige Schritt trennten ihn noch vom Prinzen. Die Welt um ihn herum begann zu verschwimmen, und er sah nichts mehr, nur das wettergegerbte Gesicht des jungen Monarchen.
Dann war er an Brins Seite und holte zum tödlichen Schlag aus, doch noch bevor das Schwert sein Ziel treffen konnte, riß es Zerwas die Waffe aus der Hand.
In hohem Bogen segelte Seulaslintan durch die Luft. Sein rechter Arm war zu einer blutigen Masse zermalmt. Der Schmerz raubte ihm beinahe den Verstand. Zerwas preßte den Arm gegen die Brust.
»Verräter!« hörte er jemanden rufen. Reiter umringten ihn. Der Prinz war nicht mehr zu sehen.
Noch immer versuchte der Vampir zu fassen, was geschehen war. Ein Geschoß der Orks mußte seinen Schwertarm getroffen haben.
»Packt den Verräter, wir werden ihn richten!«
Zerwas konnte nicht ganz klar sehen. Vor Schmerz standen ihm Tränen in den Augen. Vage erkannte er die weißen Roben von Rondra-Geweihten. Dazwischen schimmerte es golden. Von dort schien auch die Stimme auszugehen.
Er mußte fort von hier. Er spürte zwar, wie die schreckliche Wunde an seinem Arm schon zu heilen begann, doch konnte er sich noch nicht wehren. Zerwas knurrte wie ein Raubtier und entblößte seine langen Vampirfänge. So würde er nicht zu Grunde gehen!
»Vorsicht, hinter Roger verbirgt sich ein Dämon!« rief eine Frau. Der Kreis um ihn wurde ein wenig weiter.
»Weiche von uns, unseeliger Dämon, und verlasse den Leib, den du geraubt hast, um deine Untaten zu begehen. Gib uns ...«
Der Mann in Gold hatte mit der Litanei einer Dämonenaustreibung begonnen. Zerwas vermochte sein Gegenüber genauer auszumachen. Es war Anshelm. Der Praios-Geweihte hatte sein Sonnenzepter ausgestreckt und intonierte eine alte Abschwörungsformel.
»Geh aus der Seele in das Mark, das da wohnt im Innersten des Gebeins! Geh aus dem Mark ins Bein und aus dem Bein in das lüsterne Fleisch, daß sich dir zum Opfer geboten hat. Und dann verlasse das Fleisch, denn die Macht der Praios gebietet es dir! Verlasse diesen Körper! Und möge er fortan rein und unschuldig sein, so wie er das Licht Deres erblickte. Dich aber möge die Macht meines Gottes in die Finsternis zurückschleudern, aus der du gekommen bist. Gehe jetzt!«
Schauer von Schmerz durchliefen Zerwas’ Körper. Verzweifelt wendete er sein Pferd, doch um ihn hatten Ordensritter einen weiten Kreis gebildet. Er brauchte das Schwert. Nur die Waffe allein könnte ihn retten. Sein Arm begann wieder zu bluten. Seine Kräfte wichen von ihm, sogar das Licht der Sonne, gegen das er immer gefeit gewesen war, brannte jetzt schmerzhaft auf seiner Haut.
Verzweifelt ließ Zerwas sein Pferd steigen. Die Hufe des Hengstes schmetterten gegen das Pferd eines Ordensritters, und beide Reiter stürzten zu Boden.
»O allmächtiger Praios, tilge dieses Übel vom Angesicht Deres!« erklang Anshelms Stimme.
Zerwas war als erster wieder auf den Beinen und taumelte durch den hohen Schnee. Die Reiter folgten ihm. Schon hatten ihn einige überholt. In wenigen Augenblicken wäre er wieder in einem Kreis gefangen.
Sie würden ihn gnadenlos niedermachen, wenn seine Kräfte weiter von ihm wichen.
Noch immer ertönte der Singsang des Praiosdieners. Wie glühende Nadeln stießen die Worte nach ihm. Bohrten sich in sein Hirn, verwirrten seinen Verstand. Doch da war noch eine andere Stimme.
»Hier bin ich. Greif in den Schnee.«
Zerwas warf sich auf die Knie. Das Sonnenlicht hatte ihn fast blind gemacht. Wie besessen durchwühlte er den eisigen Schnee. Ein schwerer Schlag traf ihn von hinten, und er stürzte nach vorn. Im selben Moment ertastete er etwas Vertrautes. Seulsaslintan! Mit einem gellenden Schrei riß er die Waffe hoch.
Jetzt konnte er auch wieder sehen. Seine Angreifer waren ein wenig zurückgewichen. Einige Pferde scheuten, und die Ritter hatten alle Mühe, die Tiere in ihrer Gewalt zu halten.
Zerwas preßte das Heft des Schwertes an seine Stirn. »Gib mir Kraft«, murmelte er mit spröden Lippen. Noch immer hing sein rechter Arm kraftlos herab.
»Tötet den Dämon, Praios will es so!« rief Anshelm.
Der Vampir spürte, wie er sich zu verändern begann. Sein Leib begann zu schwellen. Die Riemen des Brustpanzers, der ihn in der Gestalt Rogers geschützt hatte, war zerrissen und der Küraß fiel in den Schnee.
»Los, tötet ihn!« Anshelm trieb sein Pferd näher.
Alles Menschliche war nun aus den Zügen des Vampirs verschwunden. Sein Rücken platzte auf und mächtige rote Lederschwingen wölbten sich über seinen Schultern.
Anshelms Pferd bäumte sich auf und wieherte in Panik.
Mit der Linken führte der Vampir einen Schwerthieb gegen den Hengst des Geweihten. Die Klinge trennte dem Tier beide Vorderhufe ab.
Noch immer fühlte sich Zerwas schwach. Irgend etwas schützte Anshelm und verhinderte, daß der Vampir seine vollen Kräfte wiedererlangte. Die Ordensritter sprangen von ihren Pferden und eilten dem Praios-Geweihten zu Hilfe, dessen Pferd zusammengebrochen war. Mit einem Bein war Anshelm unter dem Leib des Hengstes eingeklemmt.
Zerwas wich ein Stück zurück und entfaltete seine Flügel. Es war Zeit zu gehen. Er würde wiederkommen, wenn er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war.
Seine Gedanken tasteten nach dem Geweihten. Er sollte nicht glauben, schon über ihn triumphiert zu haben.
»Fürchte den Tag, an dem du mich wiedersiehst, Anshelm! Dann werde ich dich zu meinem Diener machen und auf immer in den Schlund der Finsternis stürzen.«
Mit einem gellenden Schrei stieß sich Zerwas vom Boden ab.
Es bereitete ihm mehr Mühe als sonst, an Höhe zu gewinnen.
Tief unter ihm tobte der Kampf um das Lager der Orks.
Der Prinz stürmte als einer der ersten auf die Erdschanze mit den Geschützen.
Der Vampir drehte eine weite Schleife und flog dann nach Norden.
Das erste was Sanin sah, waren leuchtende Öllampen, die von einer hölzernen Decke hingen. Dann drang ein vielstimmiges Stöhnen in sein Bewußtsein.
Der Admiral versuchte, sich aufzurichten, doch seine Glieder waren wie taub.
»Für Euch ist die Schlacht entschieden, Admiral, Ihr bleibt besser liegen.«
Die Stimme erklang irgendwo in seinem Rücken. Sanin versuchte, den Kopf zu drehen, um zu erkennen, wer mit ihm sprach. Langsam wurde ihm bewußt, wo er war. Er lag in einem schmalen Feldbett. Eine dünne Decke mit dunklen Flecken reichte ihm bis zur Brust. Er befand sich in der Kammer der Schiffsheilerin.
Ein Mann begann zu schreien. Abgehackte Worte drangen an sein Ohr.
»... gebt ihm mehr Branntwein ... festhalten ... das Beißholz ...«
Ein sägendes Geräusch war zu hören und dann wieder Schreie.
»Steck ihm das Holz in den Mund, sonst beißt er sich noch die Zunge ab.«
Sanin liefen Schauer über den Rücken. Er hatte es bislang immer vermieden, während eines Gefechtes in eines der engen Lazarette zu kommen, in denen die Bordheiler arbeiteten. Nicht daß er Angst vor dem Tod gehabt hätte, aber der Geruch nach Blut, Schweiß und Eiter war ihm unerträglich. Er blickte zu den anderen Feldbetten. Blasse Männer und Frauen lagen mit schweißüberströmten Gesichtern dort. Einige waren bewußtlos, andere starrten vor sich hin, und manche weinten. Seine Befehle hatten sie zu dem gemacht, was sie jetzt waren. Zu Krüppeln, die, nachdem ihr Sold ausgegeben war, auf der Landstraße ihr Zuhause finden würden.
»... gebt mir jetzt ein paar Blatt Wirselkraut, um die Blutung zu stoppen. — Gut. Leg du hier den Verband an, Bador.«
Ein von blonden Locken gerahmtes Gesicht tauchte über ihm auf. »Nun, Herr Großadmiral, geht’s Euch besser?«
»Ich muß aufs Deck zurück. Wie steht die Schlacht?«
Die Heilerin blickte ihn streng an. »Für Euch ist die Schlacht vorbei. Und wie die Schlacht steht ... Schaut Euch doch einmal um. Bedenkt aber, daß wir hier nur die wirklich schweren Fälle haben.«
Die Heilerin hatte ihm bei ihren Worten unter die Arme gegriffen, und Sanin auf seinem Lager aufgerichtet. In der Mitte der engen Schiffskabine stand ein großer, blutverschmierter Tisch, den ein bärtiger Mann mit einem schmutzigen Tuch notdürftig säuberte.
Überall drängten sich Feldbetten. Es war so eng, daß man sich kaum bewegen konnte. Männer und Frauen lagen in dem Durchgang, der auf das Oberdeck führte. Von der Decke hingen inmitten eines Gewirrs von trocknenden Kräutern und kleinen Tuchbeuteln, die die seltsamsten Gerüche verströmten, etliche Öllampen aus poliertem Messing.
Der Bärtige war mit seiner Arbeit am Tisch fertig und packte eine junge Frau, die am Boden lag. Er nahm ihren Körper auf beide Arme und trug sie quer durch den Raum, um sie in der hintersten Ecke auf einem grausigen Haufen aus verstümmelten Leibern und verrenkten Gliedern abzuladen. Der Tod hatte die Gesichter zu Masken aus klaffenden Mündern und weit aufgerissenen Augen werden lassen. Dann erkannte der Admiral das Gesicht seiner Steuerfrau. Sie hatte ihn schon begleitet, als er noch mit der Seeadler das Perlenmeer durchquerte. Sanin wandte seinen Blick ab.
»Denen war nicht mehr zu helfen. Das Hylailer Feuer hat sie erwischt. Dieses klebrige Zeug haftet an der Haut und läßt sich nicht löschen. Wußtet Ihr, daß Verbrennungen die schmerzhaftesten Wunden sind?«
Sanin hatte das Gefühl, hier unten zu ersticken. »Ich glaube, ich bin nicht schwer verletzt. Ich möchte das Bett für jemanden freimachen, der es dringender braucht.«
»Wer hier geht, bestimme immer noch ich!« versetzte die Heilerin ärgerlich. »Ihr seid gar nicht mehr in der Lage, dieses Bett zu verlassen. Ein Splitter hat eine große Ader in Eurem Bein zerrissen. Ihr habt sehr viel Blut verloren. Hört auf mich und bleibt liegen.«
Sanins Hände krampften sich um den Bettrand. »Ich muß wieder an Deck... Los, helft mir.«
Die Heilerin lächelte mitleidig. »Ihr mögt Kommandant dieser Flotte sein, aber vor meiner Tür endet Eure Macht. Solltet Ihr in der Lage sein, diesen Raum zu verlassen, dann mögt Ihr gehen, wohin Ihr wollt.«
»Ich laß dich kielholen. Wirst du wohl den Befehlen deines Admirals gehorchen!«
Das Lächeln der Heilerin war zu einer Maske erstarrt. »Ihr kennt das kaiserliche Seekriegsrecht mit Sicherheit besser als ich, Admiral. Also wißt Ihr, daß ich nicht Eurer Befehlsgewalt unterstehe. Außerdem habe ich wichtigere Dinge zu tun, als mit Euch zu streiten.«
Ohne ein weiteres Wort drehte die Frau ihm den Rücken zu und kümmerte sich um einen neuen Verwundeten, der vor ein paar Momenten hereingetragen worden war.
Sanin schlug die Decke zurück. Er mußte hier raus! Sein rechtes Bein war bandagiert. Den Stiefel hatte man aufgeschnitten und weggeworfen. Vorsichtig schwang er das verletzte Bein über die Bettkante. Wieder wurde ihm schwindelig. Der Raum begann um ihn zu tanzen, die Lichter an der Decke schienen immer heller zu werden.
Langsam belastete er das rechte Bein. Es schmerzte kaum. Vermutlich hatten die Heilkräuter unter dem Verband auch eine betäubende Wirkung. Dafür war ihm wieder schwindelig, kaum daß er die Augen öffnete. Egal! Er mußte zurück auf Deck, mußte wissen, wie es um sie stand und ob der Prinz erfolgreich gewesen war.
Taumelnd kam Sanin auf die Beine und machte den ersten Schritt.
»Legt Euch sofort wieder hin!« erscholl die Stimme der Heilerin. Geh zu Boron, du Hexe, dachte Sanin bei sich, machte noch zwei Schritt vorwärts und stützte sich dann schwer auf den Tisch, auf dem ein Verwundeter zur Notoperation bereit lag.
Jemand packte ihn am Arm. Sanin blickte auf. Der bärtige Helfer der Heilerin stand vor ihm.
»Laß mich sofort los, du Bastard«, zischte der Admiral.
»Du kommst vors Kriegsgericht, wenn du mich daran hinderst, nach oben zu gehen.«
Der Mann tauschte einen Blick mit der blonden Frau, dann ließ er ihn los.
»Gut so«, brummte Sanin und stieß sich von dem Tisch ab. Er durfte nicht zusammenbrechen! Wenn er schlappmachte, würden die beiden ihn wieder ins Bett zerren und ihm vermutlich noch einen Schlaftrunk einflößen, damit er Ruhe gab.
Der Admiral trat auf irgendeinen weichen Gegenstand. Ein Mann schrie auf. Nur noch zwei Schritt dachte Sanin. Noch einer ...
Zwei Gestalten mit einer Trage kamen die steile Treppe vom Oberdeck herab. Die Männer starrten ihn verwundert an.
»Los, schafft mich an Deck. Das ist ein Befehl!«
Sanin klammerte sich an den Türrahmen. Wieder wurde ihm für einen Moment schwarz vor Augen. Dann spürte er, wie ihn starke Arme packten.
»Holt mir einen Stuhl aus meiner Kajüte. Macht schon!« Der Admiral biß sich auf die Unterlippe. Er zitterte am ganzen Körper. Die wenigen Schritte bis zur Tür hatten ihn all seine Kräfte gekostet.
Im Süden türmten sich dunkle Wolkengebirge am Himmel. Ein frischer Wind blies den Großen Fluß hinauf. Der Admiral sog gierig die kalte Luft ein. Er saß in einem hölzernen Lehnstuhl auf dem Kajütendach des Widders und lenkte von dort aus das Gefecht. Der Südwind trieb beißenden Rauch über das Deck. Eine der Flußgaleeren aus Havena war in Brand geraten und trieb steuerlos flußabwärts. Vermutlich hatte es auch dort einen Unfall mit dem Hylailer Feuer gegeben.
»Mistzeug«, brummte Sanin vor sich hin. Und doch war es zur entscheidenden Waffe geworden. Das Hauptlager der Orks stand in Flammen. Seit der Prinz die Stellung auf der Landzunge angegriffen hatte, konzentrierte die Flotte das Feuer aller Geschütze auf das Hauptlager, um nicht Gefahr zu laufen, auch die eigenen Truppen zu beschießen.
Das wird ein kalter Winter für die Schwarzröcke werden, dachte der Admiral. Sie hatten durch die Brände einen großen Teil ihrer Zelte verloren. Eine Garnison oder irgendein festes Lager, in das sie sich zurückziehen konnten, gab es seines Wissens nicht.
Auf dem Erdwall an der Landzunge war die Fahne des Kaiserreichs aufgesteckt worden. Dort schienen noch immer einige Orks Widerstand zu leisten. Doch mehr und mehr der blutroten Fahnen, die die Schwarzpelze führten, fielen zu Boden. Der Greif, das Wappentier des Reiches, triumphierte über Tairach.
Es war an der Zeit, die letzte Phase der Schlacht einzuleiten. »Navigator!«
Der Mann, der dicht neben dem Katapult der Zwerge gestanden hatte, drehte sich ruckartig um. »Laßt den blaugoldenen Wimpel setzen.«
Der hochgewachsene Mann starrte ihn einen Moment mit offenem Mund an. Dann stammelte er: » ... aber Admiral. Parallel zum Fluß stehen immer noch jede Menge intakte Geschütze. Wenn wir jetzt der Flotte Befehl geben, in die Mündung der Breite einzulaufen, dann ist das schon fast so, als würden wir uns selbst versenken. Außerdem zieht ein Sturm auf.«
»Genau deshalb will ich die Schiffe jetzt durchbringen. Mit dem Wind im Rücken werden die schweren Pötte wenigstens vernünftig Fahrt machen. Das Schneetreiben, das mit dem Sturm einsetzen dürfte, wird den Orks die Sicht nehmen, und wir können uns mit den gepanzerten Schiffen bis dicht ans Ostufer wagen. Dann werden sie uns beschießen und nicht die Schiffe mit dem kostbaren Nachschub.«
»Aber ...« Der Navigator blickte entsetzt auf den Admiral herab, der in eine Decke gehüllt auf seinem Stuhl thronte.
»Unser Auftrag lautet, dafür zu sorgen, daß die Versorgungsschiffe bis Greifenfurt kommen. Nur deshalb sind wir hier. Wir müssen den Sieg des Prinzen nutzen und jetzt alles auf eine Karte setzen. Los, laß endlich den Wimpel setzen.«
»Aye, Admiral.«
Der Navigator machte sich an einer kleinen Kiste neben, dem Mast zu schaffen und holte ein blaugoldenes Stück Stoff heraus. Dann knüpfte er den Wimpel an ein Seil und zog es am Mast hinauf, bis es hoch über dem Krähennest leise knatternd im Wind stand. Die goldene Scheibe auf blauem Grund war eines der ältesten Symbole des Praios. Ein Zeichen dafür, daß der oberste der Zwölfgötter und seine Diener über alle Widrigkeiten triumphierten.
Sanin drehte sich um und blickte den Fluß zurück. Es begann jetzt schnell dunkler zu werden. Die Wolkenberge hatten sich näher herangeschoben und verfinsterten schon den ganzen südlichen Himmel. Auch die vier anderen Schiffe hißten den blaugoldenen Wimpel. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Flotte beim Hauptlager ihre Anker hievte.
Die Kapitäne hatten den Auftrag gehabt, sofort nachdem die Reiter aufgebrochen waren, das Hauptlager abzubrechen und alle verbliebenen Männer an Bord zu nehmen, um für einen schnellen Aufbruch bereit zu sein. Ein wenig besorgt blickte Sanin auf den beinahe schon schwarzen Himmel im Süden. Hoffentlich war die Schiffsbrücke schon abgebrochen. Ein Sturm würde sie auseinanderreißen wie ein Spielzeug und die Schiffe kentern lassen.
Völlig erschöpft und durchgefroren zog sich Kolon das Ufer hinauf. Er hatte sich an einer der Baumsperren, die dicht unter der Wasseroberfläche verborgen lagen, durch den Fluß gezogen. Das war wohl das letzte, was die Flotte noch aufhalten mochte. Unweit der Ufer hatte er im seichten Wasser mächtige Pfähle ins Flußbett rammen lassen. Sie dienten als Anker für drei Reihen von aneinandergeketteten Baumstämmen. Diese Barriere würde dafür sorgen, daß die kaiserlichen Schiffe genau unterhalb der Geschütze des Haupt-Jägers zum Stehen kamen. Aber was nutzte ihm die Gewißheit dieses letzten Triumphs? Er hatte sein Lager verloren. Mehr als zweihundert Krieger, die Sadrak Whassoi ihm anvertraut hatte, waren tot.
Kolon war verantwortlich für die Planung der Lager und dafür, daß kein Schiff die Breite hinauf segeln konnte. Und er hatte versagt. Der Zwerg wußte nur zu gut, was das bedeutete. Ihm würde es nun nicht besser gehen als Sharraz Garthai, über den er falsches Zeugnis abgelegt hatte. Er hatte den Orkgeneral in ein möglichst schlechtes Licht gerückt, als Uigar Kai ihn nach den Leistungen von Sharraz ausgefragt hatte, und ihm war klar gewesen, welche Konsequenzen das haben würde.
Und jetzt hatte er selber direkt unter den Augen des Schwarzen Marschalls versagt.
Kolon hatte sich aufgeplagt und spähte vorsichtig die Uferböschung hinauf. Ein Sturm zog auf. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er losbrach. Wenn er nicht erfrieren wollte, mußte er bis dahin trockene Kleider haben. Schon war sein Bart voller Eiskristalle, und die nassen Kleider begannen steif zu werden. Er würde das Lager umgehen und einen der Vorposten niederstechen.
Zitternd streifte der Zwerg die Kleider ab. Das Spiel war aus. Er konnte dem Marschall nicht mehr unter die Augen treten. Nur zu gut wußte er, was die Orks mit Verbündeten machten, die versagt hatten. Er war selber schon dabei gewesen, wie man Männer und Frauen gepfählt hatte. Eine bestialische Art zu sterben. Manchmal dauerte es mehr als einen Tag, bis ein Gepfählter an den inneren Verletzungen gestorben war. So lange hing er auf dem Speer oder der zugespitzten Holzstange und litt unerträgliche Qualen. Selbst die härtesten Krieger begannen da um Gnade zu winseln. Kolon hatte alle Kleider abgestreift und schlich geduckt am Ufer entlang. Im eisigen Wind tanzten die ersten Schneeflocken. Der Zwerg fluchte. All das Gold, das er in der Zeit zusammengetragen hatte, als er der Geschützmeister des schwarzen Marschalls gewesen war, mußte er nun auf seinem Packpferd im Lager zurücklassen. Nichts war ihm geblieben. Nur der Dolch, den er mit rotgefrorenen Fingern umklammerte und die Kleider, die er dem Wächter abnehmen würde, der sein Opfer werden sollte. Angrosch mußte ihn verlassen haben, und selbst Kor, der Gott der Söldner, dem er schon so lange huldigte, schien ihm nun seine Gunst entzogen zu haben.
Aber er würde daraus lernen. Vor allem würde er in eine Gegend aufbrechen, in der es nicht so kalt war wie hier und wo es keine Orks gab. Vielleicht würde er in Al’Anfa oder Mengbilla als Söldner unterkommen? Ein guter Geschützmeister konnte in diesen Zeiten fast überall sein Brot verdienen.
Als Kolon sich vom Uferstreifen abwandte und begann, die flache Böschung zu erklimmen, fing es an zu schneien. Wie tausend Nadeln stachen die Schneeflocken in die Haut des nackten Zwerges. Er mußte sich nun beeilen. Lange würde er in der Kälte nicht mehr überleben.
Im dichten Schneetreiben waren die Uferstreifen beinahe nicht mehr zu erkennen. Admiral Sanin hatte eine dicke Wolldecke um die Schultern geschlungen und versuchte, im Zwielicht die Bewegungen der Orks auszumachen.
Ein Stück vor ihm standen frierend die Zwerge, die das Katapult auf dem Kajütendach zu bedienen hatten. Immer wieder schlugen sie sich mit den Armen gegen die Brust oder stampften mit den Füßen auf. Seitdem sie ihr Katapult aus der Verankerung am Deck gelöst und es so gedreht hatten, daß sie nun zur Seite hin das Ufer beschießen konnten, war für sie nichts mehr zu tun gewesen. Sanin hatte an alle Schiffe den Befehl gegeben, mit Anbruch des Schneetreibens das Feuer einzustellen, damit die Orks nicht erkennen konnten, wo sich die Flotte befand. Wahrscheinlich wäre es schon dunkel, bevor die ersten Lastschiffe die Flußmündung erreichten. Alle Bordlichter waren gelöscht worden, und nicht einmal Hornsignale durften mehr gegeben werden. Das Schicksal der Schiffe hing nun allein vom Geschick ihrer Lotsen ab.
Sanin war sich sehr wohl der Gefahr bewußt, daß es unter solchen Bedingungen leicht zu Kollisionen kommen konnte, doch dieses Risiko schien ihm geringer zu sein, als nur Zielscheibe der Orks zu werden. Erst wenn die Orks erkannt hatten, daß die Flotte in die Breite einlief, würde man zumindest an Bord der gepanzerten Schiffe wieder Lichter anstecken. Sie sollten dann das ganze Feuer der Geschütze auf sich ziehen.
Seitlich an der Reling drängten sich etliche Armbrustschützen. Das Schiff würde sich dem Lager der Orks so weit nähern, daß auch Schußwaffen mit geringer Reichweite zum Einsatz kommen konnten. Auch die Magier der Flotte, die sich samt und sonders auf den drei von Meister Leonardo entworfenen Schiffen befanden und bislang unter Deck in Sicherheit gewesen waren, mochten auf diese kurze Entfernung ihre tödlichen Künste entfalten.
Plötzlich durchlief ein Zittern das Schiff. Dutzende Seemänner und Soldaten riß es von den Beinen. Überall war leises Fluchen zu hören.
Ob sie eine Sandbank gestreift hatten? Sanin spielte unruhig mit den Fingern auf den Stuhllehnen. Aber was war das? Die Widder machte eine Drehung nach Steuerbord. Gleich würde das Schiff quer zur Strömung liegen!
Der Navigator kam die Stiege zum Kajütendach hinaufgehetzt. »Ein Hindernis ...« stammelte er atemlos. »Wir sind auf eine Sperre aufgelaufen, die sich quer durch den Fluß zieht.«
»Was für eine Sperre?«
Der schlaksige Mann zuckte mit den Schultern. »Das wissen wir noch nicht. Sie liegt knapp unterhalb der Wasseroberfläche. In dem Schneetreiben ist nichts zu erkennen. Ich werde ein paar Männer an Seilen an der Bordwand herablassen, die sollen überprüfen, womit wir es zu tun haben und dann...«
Mitten im Satz wurde der Navigator von den Beinen gerissen und gegen die Bordwand geschleudert. Reglos blieb er liegen. Mit dumpfen Schlägen donnerten Gesteinsbrocken gegen die Wand. Überall auf dem Schiff waren Schreie zu hören.
Besorgt blickte Sanin auf ein Loch in der Wand. Die Panzerung hatte dem Schuß nicht standgehalten. Sie lagen zu nahe bei den Geschützen der Orks. Nun galt es, schnell zu handeln.
»Macht den Kran achtern einsatzbereit! Holt das Segel ein und erwidert endlich das Feuer dieser verlausten Schwarzpelze, oder wollt ihr seelenruhig zusehen, wie sie unser Schiff in Trümmer schießen?«
Endlich kam Bewegung in die Leute. Achtern war das laute Knirschen vom hölzernen Ausleger des Krans zu hören. Die Geschützmeisterin hatte sich an einer Lunte eine neue Zigarre angezündet und überprüfte noch einmal ihr Katapult.
Wieder schlugen einige Steinkugeln donnernd gegen die Schiffswand. Diese Hunde haben dazugelernt, dachte Sanin, während er versuchte, das andere Ufer zu erkennen. Nicht ein Feuer schien im Lager der Orks zu brennen, und es war unmöglich, in dem dichten Schneetreiben auszumachen, wo genau die Geschütze der Feinde standen. Worauf die Geschützmeisterin wohl zielen mochte?
»Wir haben ein Leck zwei Hand oberhalb der Wasserlinie!« erklang eine Stimme von unten. Im selben Moment wurde das Katapult abgefeuert und die Tonkugel stieg leise zischend in den Himmel.
»Zehn Freiwillige sollen mit dem Schiffszimmermann unter Deck gehen«, brüllte Sanin gegen das Sturmgeheul an. »Und macht mir endlich das Geschütz im Bug klar! Wieso wird da noch nicht zurückgeschossen?«
Pfeifend zog eine Salve vom Ufer dicht über das Schiff hinweg.
»Setzt Laternen auf der Rückseite der Kajüte auf. Wenn wir unsere Position nicht kennzeichnen, wird uns noch eine der Galeeren mittschiffs rammen. Wir wollen den Orks doch wohl nicht die Freude machen, uns vor ihren Augen selbst zu versenken, oder?«
Am Ufer stieg eine Feuersäule empor. Es war unmöglich zu erkennen, ob der Treffer einen Schaden angerichtet hatte, doch diente er wenigstens zur Orientierung, denn mittlerweile war es fast vollständig dunkel geworden. Trommelschlag hallte über das Wasser und Fetzen eines eigenartigen Singsangs drangen durch den Sturmwind.
Hoffentlich sind die Magier an Bord vorbereitet, dachte Sanin nervös. Bald würden sie die Macht der Schamanen zu spüren bekommen.
Mittlerweile waren eine ganze Reihe von Feuersäulen am Ufer zu sehen, so daß man auch undeutlich den Erdwall erkennen konnte, auf dem die Geschütze der Schwarzpelze standen. Was sich da im Dunkel zeigte, behagte dem Admiral allerdings gar nicht. Bislang hatten alle seine Schiffe zu weit geschossen. Die Brände mußten im Lager der Orks liegen.
Einige Pfeile schlugen mit metallischem Klang an Deck. Zu zielen war bei dem Sturm unmöglich. Die Bogenschützen mußten blind in die Finsternis geschossen haben und dabei gehofft haben, daß es hin und wieder einen Glückstreffer geben könnte.
Eine ganze Reihe von Brandkugeln schlug entlang der Uferböschung ein. Diesmal hatten die Schiffsgeschütze zu kurz gezielt. Achteraus war lautes Rufen zu hören. Einer der schweren Flußkähne glitt knapp am Heck der Widder vorbei und lief auf die Sperrkette aus Baumstämmen auf.
Sanin fluchte. Diese elenden Süßwasserkapitäne schienen noch immer nicht begriffen zu haben, was hier vor sich ging. Wieder wurden Schreie laut. Ein weiteres Handelsschiff tauchte aus der Finsternis auf. Einen Augenblick lang stand Sanin die Schreckensvision vor Augen, wie ein Schiff nach dem anderen sich an der Sperrkette verfangen würde und sie sich gegenseitig manövrierunfähig machten.
»Hornist, zu mir!«
»Admiral!« Eine junge Frau kam auf das Kajütendach gestiegen.
»Gib Signal zum Ankern. Und stoß so mächtig wie du nur kannst in dein Horn.«
»Aye, Admiral!« Die Frau setzte das Hörn an die Lippen, doch noch bevor sie den ersten Ton herausbrachte, war backbord ein lautes Krachen zu hören, gefolgt von dem Geräusch splitternden Holzes.
Schwach klangen Schreie und Flüche durch den Sturmwind. Die erste Havarie! Schwach klang das Signal der Hornistin in die Nacht.
Wieder glitt ein Schatten auf das Schiff zu.
Doch diesmal erklang ein Antwortsignal. Erleichtert hörte Sanin das Rattern einer Ankerkette.
Zumindest diese Gefahr war gebannt.
»Schießt, schießt! Haltet es auf!« tönte es vom tiefer gelegenen Deck, während man nun überall in der Finsternis das Klirren von Ankerketten hören konnte.
»Admiral, was ist das?« Die Geschützmeisterin hatte das Katapult verlassen und deutete mit ausgestrecktem Arm nach Osten.
Das Schneetreiben war lichter geworden, so daß man jetzt etwas deutlicher das Lager am Ufer erkennen konnte. Dort ging eine unheimliche Veränderung mit den Bränden vor sich. Die Feuersäulen wurden dünner und stiegen dafür immer höher in den Nachthimmel, um sich schließlich in einem einzigen Punkt weit über dem Lager zu vereinen. Dort entstand eine sich ständig verändernde, gespenstische Gestalt aus Feuer. Mal erschien sie wie ein flammender Hengst, dann ähnelte sie einem vielarmigen Menschen, und schließlich formte sich die Kreatur zu einem riesigen Vogel mit Flügeln wie feurige Kometenschweife.
Mit einem Mal erloschen alle Feuer im Lager der Orks. Nur der Vogel hoch am Himmel blieb bestehen und flog mit bedächtigen Flügelschlägen auf die Widder zu.
»Angrosch beschütze mich und lösche dieses unheilige Feuer«, betete die Geschützmeisterin.
Sanin hatte sich von seinem Sitz erhoben, klammerte sich mit der Rechten an der Reling fest und schlug mit der anderen Hand ein Schutzzeichen gegen böse Geister.
Im Feuerschein des riesigen Vogels war nun die Flotte in der Flußmündung zu sehen. Ein ganzer Wald von Masten, und noch immer kamen von Süden Schiffe nach. Mindestens zwanzig Lastkähne lagen im Moment genau unterhalb der Geschütze, die die Orks auf den Fluß ausgerichtet hatten. Wer immer sich diese Falle ausgedacht hatte, mußte ein fleischgewordener Dämon sein.
Wie ein Greifvogel, der seine Beute schlagen will, stürzte die Flammengestalt nun vom Himmel herab auf das Flaggschiff zu. Sanin warf sich auf den Boden. Einige Männer sprangen kreischend über Bord. Dann war der Feuervogel über ihnen. Die riesigen Schwingen schlossen das ganze Schiff in lodernde Flammen ein, doch noch bevor die erste Feuerzunge das Deck berührte, zuckte ein Gitterwerk bläulicher Blitze rund um das Schiff auf. Die Flammengestalt stieß einen langanhaltenden Schrei aus, dann zog sie sich in den Himmel zurück, um erneut zu einem Sturzflug anzusetzen. Sanin preßte sich die Hände auf die Ohren, während er voller Angst den zweiten Angriff erwartete.
Wieder stand das leuchtende Gitter rund um das Schiff, und der Feuervogel schien kleiner zu werden, während er flügelschlagend versuchte, den magischen Schutz zu durchbrechen. Und dann erloschen plötzlich die Blitze, und mit schrillem Kreischen senkte sich die Flammengestalt, die nun nur wenig größer als ein hochgewachsener Mann war, auf das Vordeck der Widder.
Fast im selben Augenblick entzündeten sich die Tonkrüge mit dem Hylailer Feuer, die dicht neben der schweren Rotze an Deck lagen. Flüssiges Feuer rann über das kupferne Deck. Seeleute wurden zu lebenden Fackeln und stolperten über Bord.
Als würden die Flammen ihm neue Kraft geben, begann der Vogel zu wachsen.
»Weiche von uns, lebende Lohe!« schrie ein Mann in dunkler Robe, der zum Bug des Schiffes rannte.
Sanin beugte sich über die Reling, um besser zu sehen, was geschah. Jetzt erkannte er den Mann. Es war Hakon, einer der neuen Magier, die am Morgen an Bord gegangen waren. Wo mochten seine Kameraden stecken?
Hakon hatte seinen Zauberstab über den Kopf erhoben und ließ ihn einmal um seine Achse rotieren. Für einen Moment schien die Feuergestalt verwirrt zu sein, dann schlug sie mit einem ihrer flammenden Flügel nach dem Zauberer. Doch bevor ihn das Feuer erreichte, zuckte ein Blitz auf, und der Vogel zog sich ein wenig zurück.
Sanin atmete auf. Sollte es möglich sein, daß ein einziger mutiger Mann diese Kreatur aufhalten konnte?
Der Vogel kauerte genau über dem Geschütz am Bug, das in lichten Flammen stand.
Der Admiral spürte die Hitze des Feuers bis zum Kajütendeck, und das obwohl er mehr als zehn Schritt von der Kreatur entfernt war. Auch die mit Kupferblech beschlagene Reling begann sich langsam zu erwärmen. Wenn nicht bald etwas geschah, würde das Schiff in Flammen aufgehen. Inzwischen war die Feuergestalt weiter gewachsen. Mit weit ausgebreiteten Flügeln versuchte sie, Hakon zu umfangen. Rund um den Magier erschien wieder das Muster aus Blitzen, das ihn bisher geschützt hatte. Doch das blaue Leuchten wurde immer schwächer, bis es schließlich ganz von Flammen umfangen war.
Entsetzt wich Sanin von der Reling zurück. Durch das lange Stehen pochte die Wunde an seinem Bein.
Ein gellender Schrei ertönte vom Bug her.
Sanin stürzte. Verzweifelt versuchte er, weiter nach hinten zu kriechen und die Treppe zu erreichen, die vom Kajütendach auf die achtern gelegene Hälfte des Decks führte.
Roter Feuerschein fiel auf ihn und wurde auf unheimliche Art von den Kupferplatten des Schiffes zurückgeworfen.
Voller Angst blickte der Admiral über die Schulter. »Praios schütze mich! Praios schütze mich!« murmelte er unablässig. Die Flammengestalt erhob sich jetzt über den vorderen Teil des Kajütendachs. Ihre Schwingen streiften die letzten drei Tonkrüge mit Hylailer Feuer, die neben dem Katapult lagen.
Die Krüge glühten kurz auf und sprühten dann Feuerfontänen.
Immer höher wuchs der unheimliche Vogel in den Himmel. Sanin fühlte sich wie gelähmt. Seine Glieder gehorchten nicht mehr seinem Willen. Er wollte fort. Wollte die Treppe erreichen, sich ins Wasser stürzen. Leben! Doch alle Kraft war von ihm gewichen. Wie gebannt hob er seinen Kopf, um den gewaltigen Vogel zu betrachten.
Augen, hell wie das Praiosgestirn an einem Sommernachmittag, musterten ihn. Ein Blick, der ausreichte, Menschen zu Asche werden zu lassen. Sanin hatte das Gefühl, sein Innerstes habe Feuer gefangen. Nur ein Augenblick blieb ihm noch zu leben, dann würde eine Flamme aus seinem Körper schlagen und alles vernichten, was er war und einmal sein sollte.
»Praois schütze mich!« murmelte er noch einmal, dann gab er es auf, Widerstand zu leisten.
Doch er verbrannte nicht. Statt dessen stiegen rings um das Schiff Schlangenarme, lang wie Schiffsmasten aus dem dunklen Wasser.
Der Vogel stieß einen schrillen Schrei aus, und Wolken weißen Dampfes stiegen auf, wo die dunklen Arme sein glühendes Gefieder berührten. Wieder hallte ein gellender Schrei über das Wasser. Der Feuervogel versuchte, sich in die Luft zu erheben, doch von allen Seiten schlugen die mächtigen Arme auf ihn ein, und mit jedem Treffer verlor sein rotes Glühen an Kraft. Immer kleiner wurde die Feuergestalt, bis sie schließlich nur noch die Größe einer Taube hatte.
Verzweifelt versuchte der Vogel in den Himmel zu entkommen, so als verhieße ihm das ferne Licht der Sterne Sicherheit. Doch eine schäumende Fontäne erstickte auch den letzten Funken dieses unheimlichen Feuerwesens.
Sanin atmete erleichtert auf. Die gewaltigen Schlangenarme waren wieder verschwunden. Auf dem Fluß herrschte völlige Finsternis. Selbst die Signallampen auf der Rückseite der Widder waren verloschen. Nicht das geringste war zu erkennen. Nicht einmal die Reling, an der er sich jetzt wieder aufstützte, konnte Sanin sehen. Schritte kamen die Treppe hinauf. Dann schien jemand unmittelbar vor ihm stehen zu bleiben. Sanin rieb sich die Augen, doch durch das helle Feuer des Vogels war er geblendet.
»Alle Geschütze an Bord sind zerstört. Was sollen wir jetzt tun?« erklang die Stimme der Geschützmeisterin.
»Stütz mich, und hilf mir zu meinem Stuhl zurück«, entgegnete Sanin schwach.
Die Zwergin nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu dem Lehnstuhl. Noch immer konnte der Admiral nicht sehen. Ob er erblindet war? Hätte er der Feuergestalt nur nicht in die Augen gesehen!
»Bleib bei mir.« Sanin hielt die Geschützmeisterin noch immer am Ärmel.
»Du mußt jetzt für mich sehen.«
»Aye, Admiral.«
Sanin war froh, daß die Zwergin keine Fragen stellte.
»Was geht auf dem Achterdeck vor sich? Ich höre dort Geräusche.«
»Wir haben Trossen um die Sperre im Fluß gezurrt und versuchen sie jetzt mit dem Kran über die Wasseroberfläche zu ziehen. Meine Männer stehen schon bereit, um die Barriere zu zerschlagen, sobald sie hochgehievt wird.«
»Und wie sieht es mit den anderen Schiffen aus?«
»Soweit ich erkennen kann, gibt es keine schweren Schäden. Hier auf der Widder haben wir mit Abstand am meisten abbekommen.«
»Gut, dann laß Signal geben, daß die beiden anderen gepanzerten Schiffe hierbleiben, um den Durchbruch zu decken. Wir werden an der Spitze des Konvois den Fluß hinauf segeln. Ohne Geschütze ist die Widder hier nutzlos.« Sanins letzte Worte klangen bitter. Ein Admiral, der nicht mehr sehen kann, nutzt niemandem etwas, dachte er bei sich.
Pfeifend zog ein Felsbrocken über das Kajütendach.
»Die Orks haben das Feuer wieder eröffnet«, kommentierte die Geschützmeisterin.
Vielleicht würde ihn ja noch vor Tagesanbruch ein Pfeil oder ein anderes Geschoß treffen. Dann würde er in die lange Reihe der kaiserlichen Admiräle eingehen, die im Gefecht den Heldentod gefunden hatten, und es bliebe ihm erspart, vom Dienst suspendiert zu werden und womöglich noch auf Jahre als Gefangener in einer Welt der Finsternis zu leben.