14

Marcian hatte das Dach des Palas erklommen, um zuzusehen, wie die letzten Schiffe den kleinen Hafen der Stadt verließen. Noch am Morgen hatte er mit Cindira gestritten, denn über Nacht war es ihr in den Sinn gekommen, doch lieber in der Stadt zu bleiben. Sie wolle sich verstecken, hatte sie ihm vorgesponnen. Es hatte ihn seine ganze Überredungskunst gekostet, sie dazu zu bringen, doch noch an Bord eines der Schiffe zu gehen.

»Ich gehe nur, weil es dein Wunsch ist«, waren ihre letzten Worte an ihn gewesen.

Marcian hatte einen Kloß im Hals, als er zu dem Schiff blickte, das nun am Ende des langen Konvois den Fluß hinabglitt. Cindira stand am Heck und blickte zur Stadt zurück. Ein dichter Pelzumhang lag um ihre Schultern, und ihr langes, schwarzes Haar flatterte schimmernd wie Rabenflügel im Wind.

Rahja allein wußte, wie schwer es ihm gefallen war, sich von ihr zu trennen. Bis zuletzt hatte sein Herz dagegen rebelliert. Wie gerne wäre er auf ihren Vorschlag eingegangen, sie bei sich zu behalten. Aber sie wäre in die Hände der Inquisition gefallen, wäre sie noch in der Stadt gewesen, wenn Greifenfurt befreit wurde. Nein, es reichte, wenn ihn allein dieses Schicksal ereilte. Er hatte ihr alles Gold gegeben, daß er besaß. Sie solle ihnen beiden damit ein Heim schaffen, hatte er ihr gesagt.

Marcian schluckte. Würde er sie jemals Wiedersehen?

»Jorinde, ich liebe dich! Bald sind wir wieder zusammen!« erklang eine dunkle Männerstimme.

Der Inquisitor zuckte zusammen. Welcher Dämon quälte ihn da? Wer kannte Jorinde, die er einst verraten hatte? Seine erste große Liebe ... Neben ihm stand Darrag und winkte mit beiden Armen. Doch welch bösen Streich spielte er ihm? Warum blickte er zu Cindira und rief Jorindes Namen? Und das jetzt, wo sie Abschied nahmen ...

Marcian packte den Schmied grob am Arm. »Was für ein Spiel treibst du mit mir?« Die Zornesröte war dem Inquisitor ins Gesicht gestiegen. Darrag blickte ihn fassungslos an. »Was meinst du?«

»Woher kennst du diesen Namen?«

Darrag riß sich los. »Ich nehme Abschied von meiner Tochter«, brummte er böse. »Sie steht dort unten auf dem Schiff, wie du es befohlen hast. Sieh doch hinab. Sie steht genau neben Cindira.«

Marcian klammerte sich an die Brüstung. Ihm war schwindelig. Welch seltsamen Weg nahm sein Schicksal? Jorinde und Cindira vereint ... Jetzt erst bemerkte er das kleine Mädchen. Cindira hatte es auf ihre Arme genommen, damit es besser sehen konnte. Jorinde winkte ihm zu.

Marcian hatte nie nach dem Namen von Darrags Tochter gefragt. Er hatte nach gar keinem Namen mehr in den letzten Monaten gefragt. Er wollte die Toten nicht kennen. Es reichte, die vertrauten Gesichter zu sehen. Er hatte nicht auch noch die Namen derer wissen wollen, die im Siechenhaus gestorben waren.

Der Inquisitor atmete tief ein. Er durfte diesen Gedanken keinen Raum lassen. Er mußte in diesem Augenblick leben und alles Vergangene hinter sich lassen.

In der Nacht war frischer Schnee gefallen und kleidete die Hügellandschaft entlang des Flusses in ein strahlend weißes Gewand. Der Himmel war klar. Nicht eine Wolke stand am Himmel, und doch trieben dunkle Schatten mit dem Wasser. An einigen Stellen waren schwarze Flecken an den Ufern zu sehen: Unrat, den der Fluß aus dem Norden mit sich gebracht hatte. Die vereisten Uferstreifen zeigten an, wie das Hochwasser langsam zurückging. Gleich flachen Dächern standen dünne Eisschollen von der Böschung ab, während der Wasserpegel schon um einen halben Schritt tiefer gesunken war.

Marcian hob den Arm und winkte. Der Südwind fegte ihm ins Gesicht. Obwohl das Praiosgestirn hoch am Himmel stand, war es eisig kalt. Keines der Schiffe hatte Segel gesetzt. Schwerfällig trieben die Lastkähne mit der Strömung. Immer mehr dunkle Flecken glitten den Strom hinab. Die kleinen Wellen trieben ihr Spiel mit ihnen, zogen sie in die Länge, rissen sie auseinander oder fügten verschiedene Flecken wieder zusammen. Der ganze Fluß schien damit bedeckt zu sein, und die Strömung trieb sie zwischen den Schiffen hindurch. Ein würziger Duft lag in der Luft. Was mochte das sein? Irgendwie war Marcian der Geruch vertraut, doch wußte er nicht zu sagen woher.

»Jorinde!« Noch immer stand Darrag winkend neben ihm. Überall auf den Zinnen der Garnison, im Hafen und auf der Stadtmauer standen Menschen zusammengedrängt, um Abschied zu nehmen.

Marcians Finger spielten nervös mit dem prächtigen Hörn an seinem Gürtel. Wie gern würde er hineinstoßen und sich gemeinsam mit Cindira in den Süden wünschen. Doch was hatte Scraan gesagt, als er ihm das Horn als Lechdan überließ? Selbstlos muß dein Anliegen sein. Nutzt du das Horn allein zu deinem Vorteil, werde ich mich gegen dich wenden.

Was war schon selbstlos? Wenn er sich wünschen würde, daß der Krieg beendet sei, so entsprach dies seinem innigsten Bedürfnis, also würde es nicht geschehen. Auch wenn er wünschte, die Schiffe seien in Sicherheit, wäre das nicht selbstlos. Was wohl geschehen mochte, wenn er einen solchen Wunsch aussprach?

Was für törichter Unsinn!

Marcian versuchte, die Gedanken an das Hörn zu verdrängen und blickte über das weite Land jenseits des Flusses. Wie ein erschlagenes Ungeheuer ragte die schwarze Ruine der verlorenen Bastion empor.

Plötzlich erhob sich nicht weit vom Turm eine Gestalt aus dem Schnee. Dann folgte eine zweite ... und noch eine ... Binnen weniger Atemzüge waren mehr als hundert Orks durch die unberührte Schneedecke gestoßen. Sie hatten sich unter Decken und Fellen verborgen, über Nacht einschneien lassen.

»Los an das Geschütz!« schrie Marcian die Wachsoldaten auf dem Dach an.

Auch auf den Schiffen war Alarm gegeben worden. Krieger eilten zu den Hornissen, die auf den Bordwänden befestigt waren, um das Ufer zu beschießen.

Marcian schirmte die Augen mit der Hand ab, um besser sehen zu können, was vor sich ging.

Etliche Schwarzpelze machten sich an kleinen Tongefäßen zu schaffen. Andere zogen Sehnen auf ihre Bögen.

»Feuertöpfe ...« Darrags Stimme klang tonlos. »Was, im Namen der Götter, hat das zu bedeuten?«

Schon stiegen die ersten Pfeile in den Himmel. Doch alle Geschosse verfehlten ihr Ziel. Nicht ein Schiff schien getroffen zu sein. Wie war es möglich, daß sie so große Ziele verfehlten? Oder wollten sie vielleicht gar nicht die Schiffe treffen?

Mehr und mehr Brandpfeile schwirrten durch die Luft, und dann geschah das Unfaßbare. Das Wasser des Flusses begann zu brennen. Zuerst war es nur ein kleiner Flammenreis, der gleich einer schwimmenden Insel über die Breite trieb, doch dann stiegen immer mehr Feuer aus den Fluten des Flusses.

Die dunklen Flecken ... Der vertraute Geruch. Hylailer Feuer! Marcian war, als hielte man ihm mit eiserner Faust die Kehle zu. Das konnte nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr sein!

Überall auf den Mauern erklang Geschrei. Die Flammen hatten nach einem der Schiffe gegriffen. Vom Wind angefacht erfaßte das Feuer die Takelage. Brennende Taue und Segelfetzen fielen an Deck. Etliche Inseln aus glühender Lohe lagen rings um den Rumpf und bestürmten das Schiff wie Belagerer eine Festung.

Wie konnte das sein? Woher hatten die Orks Hylailer Feuer? Das mußte ein Alptraum sein. Marcian konnte nicht glauben, was sich vor seinen Augen abspielte.

Mehr und mehr Schiffe wurden von dem treibenden Feuer erfaßt.

Verzweifelte Schreie gellten über das Wasser. Immer noch schickten die Orks Salve auf Salve in den Himmel, und Dutzende neuer Brände stiegen aus der Breite empor, bis der Fluß schließlich unter wogenden Flammen zu verschwinden schien. Dichte Schwaden aus weißem Rauch trieben über dem Wasser und verhüllten den Blick auf das, was sich weiter südlich abspielte.

Auch Cindiras Schiff war schon von Flammen umringt. Der Kapitän mußte den Befehl zum Wenden gegeben haben. Steuerbord stemmten sich alle Ruderer in die Riemen und langsam schwang der Bug herum gegen die Strömung.

Es schien, als versuchten sie den Hafen zu erreichen. Doch jeder Kampf gegen das Feuer war aussichtslos. Die Flammen krochen die langen, hölzernen Riemen entlang und nagten an den rußgeschwärzten Bordwänden. Das Schiff war gerade weit genug gekommen, so daß Marcian sehen konnte, was an Bord vor sich ging.

»Jorinde! Jorinde! Bitte nicht, du bist alles, was ich noch habe.« Darrag schlug mit seinen riesigen Fäusten auf die steinerne Brustwehr. »Bitte Efferd, verlösche dieses unheilige Feuer. Bitte ...«

Marcian war wie versteinert. Da fiel ihm wieder das Hörn ein. Unsicher tastete er nach seinem Gürtel und ließ die Finger über die Reliefs auf den goldenen Schmuckbändern gleiten. Er mußte den Greifen rufen. Allein er mochte die Macht besitzen, ein hundertfaches Sterben zu verhindern. Der Inquisitor riß das Horn von seinem Gürtel und wollte es an seine Lippen setzen, als eine innere Stimme ihn warnte.

»Tu das nicht, du forderst Dinge, die nicht in meiner Macht liegen!«

Warum? Marcian bebte vor Wut und Verzweiflung. »Warum kannst du nicht tun, was Hunderte so sehr herbeisehnen? Bitte, lösche die Flammen, und wenn dein Preis für diese Tat mein Leben ist, so will ich mich von dieser Mauer stürzen. Doch rette die Schiffe. Bitte ...«

Marcian bekam keine Antwort. Wütend schleuderte er das Horn beiseite, so daß es quer über das Flachdach des Palas schlitterte. Welcher grausame Gott verspottete ihn? Warum mußte sich sein Schicksal auf so schreckliche Weise wiederholen? Warum war es ihm noch einmal bestimmt, seine Geliebte im Feuer sterben zu sehen, ohne daß er auch nur das geringste zu ihrer Rettung tun konnte?

Der Mast von Cindiras Schiff, das jetzt wenig mehr als hundert Schritt von den Stadtmauern entfernt war, brannte wie eine Fackel. Männer, Frauen und Kinder sprangen über Bord. Doch das ließ sie nur einen schnelleren Tod finden.

Marcian konnte sehen, wie Cindira auf das langgestreckte Kajütendach floh. Sie hielt Darrags kleine Tochter in den Armen. Verzweifelt lief sie auf und ab, suchte Schutz vor den Flammen, doch es gab keinen Fluchtweg. Schließlich begann sie zu taumeln und sank auf die Knie. Den Kopf hoch erhoben blickte sie zur Stadtmauer empor. Sie mußte ihn sehen können. Mit der Rechten preßte sie noch immer Jorinde an sich. Das Mädchen rührte sich nicht mehr und lag wie leblos in Cindiras Arm. Die beiden waren völlig allein auf dem Kajütendach. Alle anderen hatten sich entweder ins Wasser gestürzt oder lagen tot auf dem tiefer gelegenen Deck. Cindira wurde jetzt von Hustenkrämpfen geschüttelte. Mit letzter Kraft hob sie ihren Arm und winkte ihm noch einmal ...

Dann stürzte die Rah vom Mast, und seine Geliebte verschwand hinter einer Wand aus Flammen.

Marcian fühlte sich wie tot. Er konnte zwar noch sehen und hören, was um ihn geschah, doch war er unfähig, auf irgend etwas zu reagieren.

»Nein! Nein. Ich werde dich holen.« Darrag war auf die Zinnen der Mauer geklettert.

»Packt ihn«, erklang irgendwo eine Stimme. »So haltet ihn doch fest, Kommandant.«

Marcian aber rührte sich nicht.

Der Schmied wollte in den Fluß springen. Im letzten Moment griffen ihn die Soldaten, die das Geschütz bedient hatten, bei den Beinen und zerrten ihn von der Mauer. Darrag schlug wie ein Besessener um sich. Fünf Krieger hatten Mühe, ihn im Zaum zu halten.

»Ich muß mein Kind holen. Laßt mich los ihr verdammten Bastarde. Jorinde! Ich ...«

Einer der Männer schlug den Schmied mit einer Keule nieder. Dann trugen sie ihn hinab in den Palas.

Noch immer starrte Marcian auf das brennende Schiff. Ich gehe nur, weil es dein Wunsch ist. Das waren Cindiras letzte Worte gewesen. Er hatte sie in den Tod geschickt. Er ganz allein! Warum hatte er nicht auf sie gehört?

Wieder hatte er sich dem Willen der Inquisition gefügt und der Frau, die er liebte, den Tod gebracht. Warum war ihm nicht die Kraft gegeben gewesen, gegen Anshelm aufzubegehren?

»Seht nur. Dort im Rauch.«

Rings umher hoben die Leute die Köpfe zum Himmel. Hoch über ihnen zeichnete sich eine Gestalt im Rauch ab. Eine große flügelbewehrte Kreatur.

»Ein Dämon!« erklang ein Ruf aus der Menge.

»Tu das nicht, du forderst Dinge, die nicht in meiner Macht liegen«, erklang eine höhnische Stimme in Marcians Kopf. »Hast du den Glauben an deinen Gott verloren?«

Jedes Wort traf den Inquisitor wie ein Schlag. »Nein«, murmelte er erst leise, und dann schrie er es laut hinaus. »Nein!«

Nicht der Greif hatte zu ihm gesprochen, als er in das Horn stoßen wollte, sondern Zerwas.

»So ist es!« Wie Donner hallten die Worte des Vampirs in ihm und zerrten an seinem Verstand. »Ich hoffe, du weißt, warum das hier geschieht!«

Der Vampir kreiste nun hoch über dem Palas. »Erinnerst du dich noch an Sartassa? Glaube mir, ich weiß sehr gut, was du jetzt fühlst. Doch wie sagen die Geweihten: Alles Böse, das du tust, fällt eines Tages auf dich zurück.«

Der Inquisitor trat von der Mauerbrüstung zurück und griff nach seinem Schwert. Er wollte das nicht hören!

»Das Licht deines Gottes hat Sartassa zu Asche verbrannt, weil du mich verraten hast. Du hast ihren Tod gewollt und den all der anderen Vampire, die ich erschaffen habe, um dir zu helfen, doch du hast mich hintergangen.«

»Schweig!«

»Nein, mich kannst du nicht zum Schweigen bringen. Du sollst wissen, daß Cindira gestorben ist, weil du Sartassa ermordet hast. Was glaubst du, wer den Orks das Hylailer Feuer gebracht hat?«

Marcian riß sein Schwert aus der Scheide. »Komm herunter und kämpf mit mir!«

»Du willst deine Demütigung vollkommen machen?« Zerwas flog einen weiten Bogen und schoß dann geradewegs auf das Dach des Palas hinab. Mit weit ausgebreiteten Flügeln landete er auf dem Flachdach, wenige Schritte von Marcian entfernt. Eine Gestalt von furchteinflößender Erhabenheit. Seine Haut war dunkelrot und schimmerte leicht, so als sei sie mit Öl eingerieben.

In seiner Dämonengestalt war der Vampir mehr als zwei Schritt groß und überragte den Inquisitor. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog Zerwas das lange Schwert, das von einem kunstvollen Geflecht aus Lederriemen zwischen den Flügeln auf dem Rücken gehalten wurde. In blinder Panik rannten Krieger und Bürger von dem großen Steindach, stiegen durch Bodenluken in den Palas hinab oder flüchteten sich auf die angrenzenden Wehrgänge. Ganz allein standen sich die beiden auf dem verschneiten Dach gegenüber.

Außer Marcian hatte niemand hören können, was der Vampir gesprochen hatte. Doch allen war klar, daß er in irgendeinem Zusammenhang mit dem Feuer auf dem Fluß stehen mußte, und jeder hatte hören können, wie der Inquisitor die dämonische Gestalt zum Kampf gefordert hatte.

»Laß es uns zu Ende bringen«, murmelte Marcian grimmig. Dann machte er einen überraschenden Ausfallschritt und versuchte dem Vampir sein Schwert in die Brust zu stoßen. Doch Zerwas wich mit tänzerischer Eleganz aus und schlug dem Inquisitor mit der flachen Seite seines Schwertes auf den Rücken, so daß er nach Luft ringend gegen die Zinnen taumelte. Zerwas war ihm in jeder Hinsicht überlegen, dachte Marcian, während er sich erneut dem Vampir zuwandte. Dieser Kampf würde nicht lange dauern.

»Richtig!« erklang es in seinem Inneren.

Marcian erschrak. Er hatte völlig vergessen, daß Zerwas in dieser Erscheinung jeden seiner Gedanken lesen konnte. So wußte der Vampir um jeden Schlag, den er führen würde, noch bevor er auch nur ausgeholt hatte. Der Inquisitor zögerte mit seinem Angriff. Lauernd umkreiste er Zerwas.

»Hast du dir nicht einmal gewünscht, das Schicksal deiner Geliebten zu teilen«, höhnte der Vampir. »Ich denke, du solltest nicht durch das Schwert fallen.«

Doch wie um seine Worte Lügen zu strafen, führte der Vampir einen Schwerthieb nach seiner Brust. Marcian konnte den Schlag im letzten Moment auffangen. Funkenstiebend krachten die Schwerter aufeinander. Die Wucht des Hiebes lahmte den Schwertarm des Inquisitors. Kaum war er noch in der Lage, seine Waffe zu halten. Ob Zerwas das beabsichtigte?

Erneut holte der Vampir zu einem mächtigen Schwerthieb aus. Wie ein schwarzer Blitz kam die dämonische Klinge auf ihn zugesaust. Marcian duckte sich, um der Attacke auszuweichen. Gleichzeitig schlug er sich selber mit der Linken auf seinen gepanzerten Schwertarm. Noch immer war sein rechter Arm taub vor Schmerzen.

Immer wieder wich Marcian den Attacken des Vampirs aus. Gleich hätte Zerwas ihn in die Ecke gedrängt. Nur noch wenige Schritt nach hinten, dann konnte er nicht weiter zurückweichen. Dann stand er mit dem Rükken gegen die Zinnen, und unter ihm lag der flammende Fluß.

Es mußte etwas geschehen! Aber er durfte nicht darüber nachdenken! Jeder Gedanke würde ihn verraten. Es gab keine Möglichkeit mehr, Zerwas zu entkommen. Es sei denn, er stürzte sich dem Vampir in die Klinge. So hätte er sein Ende wenigstens noch selber bestimmt. Mit gellendem Schrei stürmte er vor.

Der Vampir hatte auch diesen Angriff vorausgesehen. Mit einem kraftvollen Flügelschlag erhob er sich in die Luft und landete nicht einmal einen Atemzug später in Marcians Rücken. Gleichzeitig führte er einen Hieb mit der flachen Seite seiner Waffe gegen den weit vorgestreckten Schwertarm Marcians.

Der Schmerz raubte dem Inquisitor fast die Sinne. Er ließ die Waffe fallen und ging in die Knie. Lichtblitze tanzten vor seinen Augen. Er versuchte verzweifelt den Schmerz zu unterdrücken und nicht das Bewußtsein zu verlieren. Da traf ihn noch ein Hieb in den Rücken und warf ihn flach zu Boden.

Blut quoll aus seinem Mund. Stöhnend versuchte er sich umzudrehen, doch es gelang ihm nur den Kopf zu wenden. Zerwas hatte seinen Fuß auf seinen Rücken gestellt und sein mächtiges Schwert hoch in die Luft erhoben. Dann stieß der Vampir einen markerschütternden Schrei aus.

Für einen Moment wurde Marcian schwarz vor Augen. Als er wieder zu sich kam, hatte Zerwas ihn hochgehoben und schritt auf die Zinnen zu. Der Vampir wollte ihn in den brennenden Fluß werfen!

»Weiche von uns, Dämon und fürchte den Zorn des Praios«, erklang eine vertraute Stimme. Ein Schlag schien Zerwas getroffen zu haben. Der Vampir stöhnte und drehte sich dann um.

Einen Moment später konnte Marcian erkennen, wer es wagte, den schrecklichen Schwertdämonen anzugreifen. Anshelm, der Hochgeweihte, stand mit einem goldschimmernden Praioszepter vor Zerwas. Er schien nicht die mindeste Angst zu haben. Auch Oberst von Blautann und seine Gefährtin standen mit gezückten Schwertern auf dem Dach.

Zerwas machte einen Sprung zur Seite und ließ Marcian los. Gleichzeitig ertönte seine unheimliche Stimme im Geist des Inquisitors. »Sieh, wie deine Freunde sterben, bevor auch du zu Asche wirst.«

Mit lautem Schrei stürmte der Dämon auf den Geweihten und seine Mitstreiter zu.

Anshelm vermochte zwar den Schwerthieb des Vampirs zu parieren, doch wurde er wie ein Blatt im Herbstwind beiseite gefegt. Zerwas attackierte indessen die Freundin des Obristen. Während sie sich unter den schrecklichen Hieben duckte und den Vampir reizte, versuchte Alrik, ihm von der Seite seine Klinge in den Leib zu rammen. Die Hiebe des Ritters vermochten dem Vampir aber kaum etwas anzuhaben. Allein dort, wo Zerwas der Schlag des Praiosgeweihten getroffen hatte, prangte ein dunkles Mal auf seiner roten Haut, so als habe die Waffe ihn verbrannt.

Der Widerstand der Frau wurde immer schwächer. Marcian konnte sehen, wie Blut durch die Ringe ihres Kettenpanzers sickerte. Dann war Anshelm wieder auf den Beinen und griff Zerwas erneut im Rücken an. Mit einem Aufheulen, drehte sich der Vampir herum. Wieder hatte der Praiosgeweihte ihm mit seinem Streitkolben ein Brandmal beigebracht.

»Einen nach dem anderen werde ich sie töten. Zuerst wird dieser überhebliche Geweihte sterben. Sieh nur gut zu!« erklang es in Marcians Kopf. Anshelm war einem der Schläge des Vampirs zu spät ausgewichen. Ein breiter, roter Schnitt prangte nun in seiner goldenen Robe.

Und wieder traf ihn einer der Schläge des Vampirs. Der Hochgeweihte würde nicht mehr lange standhalten! Verzweifelt blickte sich Marcian um. Daß ihnen jemand im Kampf gegen Zerwas zu Hilfe eilen würde, war unwahrscheinlich. Die Tempelwachen und die Rondrageweihten, die es vielleicht gewagt hätten, ihre Klingen gegen den Dämon zu führen, waren in der Stadt. Bis sie eintreffen würde, wäre alles vorbei.

Anshelm schrie vor Schmerz. Schon wieder hatte ihn einer der Schläge von Zerwas getroffen. Es schien, als triebe der Vampir ein Spiel mit dem Geweihten.

Der Hochgeweihte blutete bereits aus mehreren Wunden, es hätte Zerwas ein leichtes sein müssen, ihn zu töten.

Nun, er hatte keinen Anlaß, Anshelm zu lieben, dachte Marcian bitter. Er war es gewesen, der darauf bestanden hatte, daß alle Bürger, die nicht mehr kämpfen konnten, aus der Stadt geschafft wurden, und er war auch dafür verantwortlich, daß man ihn von Cindira getrennt hatte. Anshelm trug genausoviel Schuld am Untergang der Flotte wie er selber.

Aber konnte er zusehen, wie der Geweihte niedergemacht wurde? Und danach Blautann und seine Gefährtin? Die drei waren auf das Dach gekommen, um ihm beizustehen. Mühsam zog sich Marcian an der Mauer hoch. Zumindest würde er nicht hier liegenbleiben und warten, bis ihn sein Schicksal ereilte.

Wenige Schritte entfernt lag das Horn aus der Kultstätte der Orks im Schnee. Hell glitzerten seine goldenen Beschläge im Licht der Wintersonne. Marcian stieß sich von der Mauer ab und taumelte auf das Hörn zu. Jeder Schritt war eine Qual. Blut tropfte ihm von den Lippen, die er sich im Kampf mit Zerwas zerbissen hatte. Hinter ihm tönte noch immer das helle Klingen der Schwerter. Blautann hatte wieder in den Kampf eingegriffen, doch würde auch der tapfere Oberst das Ende nur ein wenig hinauszögern können. Stöhnend ging Marcian in die Knie und griff mit zitternden Händen nach dem Horn im Schnee.

»Scraan, höre meinen Ruf und vernichte Zerwas«, flüsterte der Inquisitor. Dann setzte er das goldene Mundstück des Hörns an seine Lippen und blies es mit aller Kraft.

Der Hornstoß erklang nur schwach. Marcian hatte kaum den Atem, das kostbare Instrument erklingen zu lassen. Beim zweiten Signal war sein Ton nur wenig lauter.

Zerwas hatte indessen den Kampf am anderen Ende des Flachdachs abgebrochen und sich in die Luft geschwungen.

Marcian sog die eisige Winterluft in seine schmerzenden Lungen. Gelang es ihm nicht, noch ein drittes Mal ins Horn zu stoßen, wäre alles vergebens gewesen. Schon fiel der Schatten des Vampirs auf ihn, da erklang das Horn ein weiteres Mal.

Eine wohlige Wärme durchflutete den Inquisitor. Im gleichen Moment packte ihn Zerwas.

»Das wirst du büßen! Glaubst du vielleicht, du könntest mich so aufhalten.«

Der Vampir riß ihm das schön geschwungene Instrument aus der Hand und zerdrückte es mit seinen Krallen.

Aus dem Hof war ein ehrfürchtiges Raunen zu hören.

»Seht nur, Praios gebärt ein Kind!« rief eine Frauenstimme.

Marcian blickte zum Himmel. Direkt neben dem Praiosgestirn war ein leuchtender Funke entstanden, der langsam größer wurde.

»Ein Wunder!«

Zerwas trat einen Schritt zurück und hob seine Klauenhand vor das Gesicht, als würde er geblendet.

Der leuchtende Funke war mittlerweile auf die Größe einer Hand angewachsen und schien immer näher zu kommen. Schließlich konnte man deutlich ein geflügeltes Wesen inmitten des Lichts erkennen.

»Praios ich danke dir. Vergib mir meine Verfehlungen. Ich wollte immer nur deinem Ruhme dienen«, betete Marcian.

Scraan kehrte zurück!

Zerwas hatte sich in die Luft geschwungen und flog dem Praiosboten entgegen.

Marcian faltete seine Hände über der Brust und blickte ehrfürchtig zum Himmel. » ... tilge alles Übel und bringe uns das Licht der Gerechtigkeit zurück, so daß die, die gefehlt haben nunmehr den rechten Weg erkennen mögen.«

Ein Schrei, fast wie der Ruf eines Adlers, doch ungleich majestätischer klang vom Himmel. Scraans Gestalt war nun deutlich zu erkennen. Seine Federn schienen aus reinem Licht zu bestehen. Mächtige Muskeln spannten sich unter seinem Löwenfell. Die ganze Erscheinung des Greifen spiegelte Stolz und die Gewißheit der Unbesiegbarkeit.

Dann trafen die beiden in der Luft aufeinander. Marcian konnte sehen, wie die Adlerfänge des Greifen ein Loch in die Flügel des Vampirs rissen. Doch auch Zerwas’ Schwert hatte sein Ziel gefunden. Es schnitt in die körperlose Lichtgestalt seines Gegners, und für einen Atemzug lang schien es dem Inquisitor, als sei die Aura des Greifen ein wenig blasser geworden. Die beiden Kontrahenten hatten nun einander passiert und zogen weite Bogen, um sich für den nächsten Angriff in eine günstige Ausgangsposition zu bringen. Zerwas schwankte ein wenig im Flug. Deutlich konnte man ein schwarz gerändertes, mehr als faustgroßes Loch sehen, das in seine linke Schwinge gebrannt war. Scraan war es gelungen, weiter in den Himmel zu steigen, und nun stieß er, das Praiosgestirn im Rücken, erneut auf den Vampir herab. Diesmal schlugen seine Krallen in den Leib des Vampirs, und ein gellender Schrei hallte durch den Himmel. Dennoch war es auch Zerwas gelungen, einen Schlag zu landen. Er hatte sein Schwert durch die Brust der Lichtgestalt gerammt. Beide stürzten sich aufeinander und schienen zu Boden zu gleiten.

Erst kurz über dem Wasser der Breite trennten sich die zwei.

Diesmal war Zerwas es, der steil in den Himmel emporstieg. Unterdessen verschwand der Greif zwischen den Rauchschwaden über dem Fluß.

Während der Vampir weite Kreise am Himmel zog und nach seinem Gegner suchte, begannen die Flammen auf dem Fluß zu erlöschen. Als Rauch und Dunst sich gehoben hatten, konnte man erkennen, daß mindestens zehn Flußschiffe völlig ausgebrannt waren. Dem größeren Teil der Flotte aber war es gelungen, dem Feuer zu entkommen. Jetzt, wo sie die glühende Lohe nicht mehr mit der Strömung einholen konnte, waren diese Schiffe gerettet.

Weit im Süden stieg der Greif aus den öligen Rauchschwaden zum Himmel empor. Seine Aureole war fast verschwunden, so als habe ihn das Wunder, das er vollbrachte all seine Kraft gekostet.

Die Flügel angelegt stieß Zerwas vom Himmel herab, um Scraan erneut zu attackieren. Doch dem Greifen gelang es auszuweichen. Mit machtvollen Flügelschlägen gewann er an Höhe.

Der Vampir war indessen einen weiten Bogen geflogen und folgte dem Götterboten. Beide verschwanden in den dichten Rauchwolken, die immer weiter in den Himmel stiegen.

Zwei Schreie erklangen. Ein grelles Licht erschien für einen Augenblick inmitten der Rauchwolke. Dann herrschte unheimliche Stille über dem Schlachtfeld.

Marcian kniete noch immer auf dem Dach und betete.

Oberst von Blautann kam humpelnd zu ihm herüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. Schweigend starrten beide in den Himmel. Der Südwind trieb langsam die Rauchwolken auseinander.

Die Bogenschützen der Orks hatten es aufgegeben, entlang des Ufers der Flotte zu folgen, und zogen sich in das hügelige Hinterland zurück. Schiff um Schiff des langgezogenen Konvois verschwand am Horizont.

»Es ist vorbei«, flüsterte von Blautann.

Загрузка...