17

»Aber ich habe das Ding noch nie gesehen«, sagte Imnak.

Er betrachtete die kleine Statue.

Es handelte sich um den Kopf eines Kur aus bläulichem Stein, ein Tier, dessen linkes Ohr halb abgerissen war. Ich hatte die Figur aus Port Kar mitgebracht. Ursprünglich hatte ich sie auf dem Sardar-Jahrmarkt erstanden, in der Bude des Andenkenhändlers.

»Ich dachte, du hättest sie dem Händler während des Jahrmarkts verkauft.«

»Ich habe Schnitzereien auf dem Jahrmarkt verkauft«, sagte Imnak, »aber nicht dieses Stück.«

»Das hatte ich angenommen.«

»Nein.«

»Dann muß er die Figur von jemand anders haben«, sagte ich.

Imnak zuckte die Achseln. »Sieht so aus.«

»Welcher Angehörige der Innuit ist außer dir dieses Jahr noch zum Jahrmarkt gereist?«

»Nur ich«, sagte Imnak.

»Bist du dir dessen sicher?«

»Einigermaßen«, meinte Imnak. »Zum Jahrmarkt ist es ein weiter Weg. Wenn außer mir noch jemand aufgebrochen wäre, hätte ich sicher davon gehört. So etwas wird in den Zelten erzählt.«

»Woher mag der Händler dann die Figur haben?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Imnak. »Es tut mir leid, Tarl, der mit mir jagt.«

»Verzeih mir, Imnak, der mit mir jagt«, gab ich zurück. »Es lag nicht in meiner Absicht, deine Ehrlichkeit in Zweifel zu ziehen.« Ich hatte ihn in dieser Angelegenheit zu sehr bedrängt. Er hatte mir gesagt, daß er die Figur vorher nicht gesehen hatte. Für einen rothäutigen Jäger war das genug.

»Kannst du am Stil, an der Art, wie das Messer benutzt wurde, den Künstler erkennen?«

Imnak untersuchte die Figur gründlich und drehte sie dabei mehrmals in den Händen. Mir war übel. Einzig und allein diese Figur hatte mich letztlich in den Norden geführt. Jetzt schien ich in eine Sackgasse geraten zu sein. Niedergeschlagen stellte ich mir die Weite des Polarbeckens vor. Im übrigen war der Sommer schon ziemlich weit fortgeschritten.

»Imnak?« fragte ich. »Hast du schon einmal von einem Berg gehört, der sich nicht bewegt?«

Er blickte mich an.

»Ich meine einen Eisberg im Polarmeer«, setzte ich nach.

»Nein«, antwortete Imnak.

»Hast du kein einzigesmal von einem solchen Berg erzählen hören?«

»Nein.«

Ich senkte den Blick auf die Matte. »Imnak, hast du schon einmal ein solches Tier gesehen, wie die Figur es darstellt?«

»Ja«, antwortete er.

Hastig hob ich den Kopf.

»Nördlich von Torvaldsland«, fuhr er fort, »habe ich einmal ein solches Wesen gesehen, vor vielen Jahren. Ich bedrohte es mit meiner Harpune, woraufhin es sich zurückzog.«

»War sein rechtes Ohr zerrissen?«

»Wir hatten Nacht. Ich habe das Geschöpf nicht besonders deutlich gesehen. Ich nehme es aber nicht an.«

»War es ein großes Tier?«

»Nicht besonders.«

»Wie nennt ihr solche Tiere?« fragte ich.

Er zuckte die Achseln. »Ungeheuer«, sagte er.

Ich seufzte. Vor mehreren Jahren hatte Imnak nördlich von Torvaldsland einen Kur gesehen, vermutlich ein junges Tier, einen Nachfahren der Schiffs-Kurii, die vor langer Zeit auf Gor gestrandet waren. Solche Tiere werden zuweilen ausgemacht, meistens in entlegenen Gebieten.

»Es war aber kein Eis-Ungeheuer«, fuhr er fort.

Ich verstand nicht, was er meinte.

»Es war nicht weiß«, erläuterte er.

»Oh«, sagte ich. »Gibt es denn solche Wesen im Norden?«

»Ja« sagte er, »da und dort auf dem Eis.«

Auch von diesen Geschöpfen nahm ich an, daß es sich um eingeborene Kurii handelte, um Überlebende gestrandeter Schiffs-Kurii, vor Generationen unfreiwillig auf diesem Planeten gelandet. Es gab verschiedene Kurii-Rassen, das war mir bekannt, auch wenn ich es für wenig sinnvoll hielt, Unterschiede zwischen ihnen zu machen. Es wurde berichtet, daß zwischen den verschiedenen Kur-Spezies Bruderkriege getobt hatten, denen schließlich ihre Heimatwelt zum Opfer gefallen war.

Imnak gab mir die Figur zurück.

Ich war ins Leere gestoßen. Ich hatte keine Fährte mehr. Meine Reise in den Norden hatte kein Ziel, ich wußte nicht mehr, wohin ich mich wenden sollte.

Ich war allein im Norden, ein isolierter Dummkopf.

»Wenn ich geschlafen habe«, sagte ich, »kehre ich in den Süden zurück.«

»In Ordnung«, sagte Imnak.

Ich schob die Schnitzarbeit in ihre Fellhülle und legte das Bündel in meinen Beutel.

»Karjuk hat das Ding geschnitzt«, sagte Imnak. Ich hob abrupt den Kopf.

»Ich dachte, du hättest vorhin gefragt, wer den Kopf gemacht hat«, sagte er.

»Ja!«

»Karjuk hat ihn gemacht.«

Ich umarmte ihn. »Du bist großartig, Imnak!« rief ich. »Es gab einmal einen Tag, da habe ich sechs Sleen getötet«, räumte er ein. »In Wirklichkeit bin ich aber ein schlechter Jäger.«

»Wo ist dieser Karjuk?« fragte ich. »Ich möchte mit ihm sprechen.«

»Er ist nicht hier.«

»Wo dann?«

»Im Norden.«

»Wo im Norden?«

»Im hohen Norden«, sagte Imnak. »Weiter nördlich als Karjuk lebt niemand.«

»Was ist Karjuk? Ein Jäger?«

»Er ist der Wächter.«

»Der Wächter?«

»Ja«, sagte Imnak, »er bewacht das Volk vor den Eis-Ungeheuern.«

»Wir müssen ihn finden.«

»Karjuk ist ein seltsamer Mann«, meinte Imnak. »Wenn die Eis-Ungeheuer ihn nicht finden können, wie sollte uns das gelingen?«

»Ich breche auf, sobald ich geschlafen habe.«

»Du reist in den Süden?« fragte er.

»Nein«, antwortete ich lachend. »Nach Norden.«

»Du hast im Norden etwas zu erledigen?« erkundigte sich Imnak höflich.

»Ja.«

»Aber die Tabuk sind noch nicht fett«, sagte er. »ihre Felle sind noch nicht dick und glatt.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Es ist noch nicht an der Zeit, in den Norden zu ziehen. Für alle Dinge gibt es eine richtige und eine falsche Zeit. Im Augenblick ist es angezeigt, Tabuk zu jagen.«

»Ich muß nach Norden ziehen«, sagte ich. »Ich kann nicht länger hierbleiben.«

»Dein Anliegen scheint dringend zu sein.«

»O ja. Ich suche einen Feind.«

»Im Norden braucht man Freunde, keine Feinde«, sagte er und musterte mich besorgt.

Ich lächelte ihn an.

»Das Ungeheuer?« fragte er. »Du suchst das Ungeheuer mit dem abgerissenen Ohr? Es ist dein Feind?«

»Ja.«

»Wollen wir hoffen, daß die Tabuk langsam fett werden«, sagte er und grinste.

»Wenn ich geschlafen habe, begebe ich mich nach Norden.«

»Ich begleite dich.«

»Aber die Tabuk sind noch nicht fett«, sagte ich.

»Was kann ich dafür, daß sie erst so spät auf die Tundra gekommen sind?« fragte Imnak und streckte den Kopf aus dem Zelt.

»Poalu!« rief er. »Wenn wir geschlafen haben, ziehen wir nach Norden!«

»Aber dazu ist jetzt nicht die Zeit!« rief sie entsetzt.

»Ich weiß, es ist verrückt«, sagte Imnak, »aber wir tun es.«

»Ja, Imnak, mein Herr«, sagte sie.

Imnak kehrte zu mir zurück.

»Wo finden wir Karjuk?« fragte ich.

Imnak zuckte die Achseln. »Wenn Karjuk nicht gefunden werden möchte, findet man ihn nicht«, sagte er. »Niemand kennt das Eis so gut wie Karjuk. Wir suchen das ständige Lager auf und erwarten ihn dort. Manchmal kommt er in das ständige Lager.«

»Und wo liegt das?«

»An der Meeresküste.«

»Aber wenn er nun nicht in das Lager kommt?« fragte ich.

»Dann können wir ihn allein nicht finden«, meinte Imnak. »Wenn die Eis-Ungeheuer Karjuk schon nicht finden, wie können wir damit rechnen?«

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