20

»Dort drüben«, sagte Imnak und deutete auf eine Stelle im Wasser.

»Ja«, sagte ich.

Ich legte das zweiblättrige Paddel auf das Leder des Kajaks hinter mir. Dann zog ich den Fäustling von der rechten Hand und hielt ihn mit den Zähnen fest. Ich griff nach dem Wurfbrett und der leichten Harpune und fügte den Harpunenschaft in die Kerbe am Wurfbrett. Die Harpune hatte einen knöchernen Vorderschaft mit einer Knochenspitze mit Widerhaken. In einer runden Senke unmittelbar vor mir auf dem Leder lag zusammengerollt eine mehrere Fuß lange Lederleine, die aus geflochtenen Tabuksehnen bestand; sie führte zur Harpune. Rechts von mir, entlang der Außenkante des Bootsrahmens, lag die lange Lanze.

»Dort«, flüsterte Imnak, der einige Fuß entfernt in seinem Kajak lauerte; mein Boot gehörte Akko.

Der schimmernde Kopf eines Sleen tauchte aus dem Wasser auf. Das Tier war ein mittelgroßer, ausgewachsener Meeres-Sleen, etwa acht Fuß lang und vierhundert Pfund schwer.

Ich hatte nun schon vier Sleen hintereinander verfehlt und war nicht gerade zufrieden mit mir selbst.

Ich legte mir einige Schlingen Leine locker über die behandschuhte Linke. Dann versuchte ich den Bug des Kajaks ungefähr auf das Tier im Wasser ausgerichtet zu halten. Ohne Paddel erreicht man das, indem man innerhalb des Bootsrahmens Beine und Körper bewegt.

Der Sleenkopf verschwand wieder unter dem Wasser. Ich legte Harpune und Wurfbrett aus der Hand, dann zog ich den Handschuh wieder an. Das Ding besaß zwei Daumen, damit ich es anziehen konnte, wie ich wollte.

»Letztesmal war ich zu schnell«, sagte ich.

»Ja«, sagte Imnak.

»Das Kajak war zu unruhig«, sagte ich.

»Du hättest es ruhig halten sollen«, meinte Imnak.

»Vielen Dank, Imnak. Darauf wäre ich allein nie gekommen.«

»Wozu hat man schließlich Freunde?« fragte Imnak.

»Imnak!« schrie ich auf. Sein Kajak hatte sich plötzlich umgedreht und schwamm nun mit dem Kiel nach oben im kalten Wasser. Im nächsten Augenblick schwamm es jedoch wieder richtig herum; Wasser strömte von dem Kajak und von Imnaks Felljacke. »Unter Wasser ist es zu dunkel«, sagte er. »Man sieht nichts.«

»Du hast das absichtlich getan«, sagte ich.

»Ja, hier ist jemand ein großer Angeber.« Er grinste. Seine Laune war gut. Er hatte zwei Sleen getötet, die unweit von uns im Wasser schwammen. Mit einer Röhre hatte er den toten Tieren Luft unter die Haut geblasen und mit Holzstücken die Wunden verschlossen. So bekamen die Tiere Auftrieb. Wenn wir zur Küste zurückkehrten, würde er sie hinter sich herziehen.

»Im Sitzen zu werfen ist nicht einfach«, sagte ich. »Ich bin das Wurfbrett nicht gewöhnt.«

»Ein Glück für die Sleen, daß du hier bist«, sagte Imnak. »Sonst lebten sie wohl sehr gefährlich.«

»Mit ermutigenden Worten, wie du sie mir spendest«, sagte ich, »werde ich wohl bald ein großer Meeres-Sleen-Jäger sein.«

»Vielleicht behandelst du die Meeres-Sleen nicht freundlich genug«, sagte Imnak. »Vielleicht glauben sie, du magst sie nicht.«

Es war mir bisher gar nicht in den Sinn gekommen, daß man Meeres-Sleen mögen könnte.

»Vielleicht ist das mein Problem«, sagte ich.

»Rede mit ihnen, sei freundlich«, sagte Imnak. »Locke sie an. Sie lassen sich gern locken.«

»Sie lassen sich gern von jemandem harpunieren, der sie nett behandelt?« fragte ich.

»Möchtest du von jemandem aufgespießt werden, der dein Feind ist?« fragte Imnak zurück.

»Nein, aber von einem Freund auch nicht.«

»Aber du bist kein Meeres-Sleen«, sagte Imnak.

»Das stimmt allerdings«, räumte ich ein.

»Komm schon, wenn du die Wahl hättest, sollte es doch lieber ein Freund sein, der dich harpuniert!«

»Ja, ja«, sagte ich. Manchmal konnte man mit Imnak nicht richtig diskutieren.

»Sei nett zu den Tieren«, sagte Imnak. »Sei nicht mürrisch. Sei nicht bedrückt. Rede positiv.«

»Hallo, Sleen!« rief ich.

»Gut«, sagte Imnak. »Das ist schon ein Anfang.«

»Wie macht man weiter?«

»Hör zu«, sagte Imnak und sprach auf das eiskalte Wasser hinaus. »Tal«, sagte er, »meine hübschen Brüder, meine gefährlichen Genossen! Wie schön und stark ihr seid! Wie schnell ihr schwimmt! Und euer Fleisch schmeckt in einer Suppe köstlich. Ich bin Imnak, ein armer Jäger. Ich möchte euch gern harpunieren. Ich habe hier eine kleine Harpune, die ich euch zeigen möchte. Ich würde es als große Ehre empfinden, wenn ihr euch von mir harpunieren ließet. Ich wäre euch sehr dankbar.«

»Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe«, sagte ich.

»Wie viele Sleen hast du heute schon harpuniert?« fragte er.

»Keinen«, sagte ich.

»Ich aber zwei«, entgegnete Imnak. »Versuch es mal!«

»Na schön.« Ich fragte mich, ob ich mich schon zu lange auf dem Wasser aufhielt. Manchmal gibt es da eine Überreizung für den Kajakfahrer, die allerdings nur an hellen Tagen auftritt, wenn das endlose Auf und Ab, das lange Warten, die Spiegelung des Wassers einen plötzlich jedes Gefühl für Zeit und Ort verlieren lassen und man sich im Nichts zu verlieren glaubt. Dann hat man das Gefühl singen oder schreien und mit dem Paddel auf das Wasser schlagen zu müssen, will man nicht den Verstand verlieren oder sterben, und dabei geht zuweilen auch der eigene Kajak in die Brüche.

Ich schaute über das Meer. »Sei gegrüßt, hübscher Sleen«, sagte ich. »Ich sitze hier schon lange und warte auf dich. Ich möchte einen von euch harpunieren. Wenn ihr euch dazu bereitfinden könntet, zu mir zu kommen und euch harpunieren zu lassen, würde ich das sehr zu schätzen wissen.«

»Nicht schlecht«, meinte Imnak.

»Arlene braucht etwas für die Suppe«, fuhr ich fort. »Ob ihr mir da vielleicht helfen könntet?«

»Du begreifst allmählich, worum es geht«, sagte Imnak.

»Ich bewundere euch sehr, ihr schlanken eleganten Wasserwesen«, sagte ich. »Ihr seid wunderschön stark und schwimmt wie der Blitz.« Ich blickte Imnak an. »Wie war das?« fragte ich.

»Großartig«, sagte Imnak und rief: »Paß auf!«

Der Sleen war unter dem Kajak aufgetaucht und hob es einen Meter hoch in die Luft. Das Boot rutschte von dem schimmernden Rücken des Säugetiers, prallte seitlich ins Meer. Ich warf mich zur Seite und richtete es wieder auf. Der Sleen schüttelte sich im Wasser und raste einige Meter weiter. Mein Gesicht fühlte sich von dem darauf gefrierenden Meereswasser starr an. Ich riß einen Handschuh herunter und rieb mir die Augen. Das Paddel hatte ich festgehalten, doch Harpune und Lanze schwammen im Wasser.

»Wie man sieht«, sagte Imnak, »begreifst du allmählich, worum es geht.«

Ich spuckte Wasser aus.

»Dort ist der Sleen«, sagte Imnak und deutete mit der Hand darauf.

Ich schaute über das Eiswasser auf die Stelle, die er meinte: ja, dort war der Kopf des Sleen zu sehen, ein Viertel aus dem Meer ragend, Augen und Nase in Höhe der Wasseroberfläche. Was ich von dem Kopf sehen konnte, kam mir sehr groß vor, achtzehn Zoll oder breiter. Ich zog den Handschuh wieder an. Meine Hand kribbelte vor Kälte.

»Ich glaube, er mag dich«, sagte Imnak.

Mit Hilfe der Leine, die am Kajak festgemacht war, zog ich die Harpune wieder heran.

»Beweg dich nicht zu schnell, damit er dich nicht angreift und umbringt«, rief mir Imnak zu.

»Nur gut, daß er mich nicht wirklich ablehnt«, sagte ich. »Dann wäre ich wohl wirklich in Gefahr.«

»Oh, oh«, sagte Imnak.

»Was ist los?«

»Vielleicht hättest du nicht zu dem Sleen sprechen sollen.«

»Warum nicht?«

»Ich glaube, wir haben da einen ganz wilden Sleen erwischt, einen Breitkopf, der im Herbst in dieser Gegend sehr selten ist. Außerdem hat er eine ganz graue Schnauze. Siehst du an der rechten Kopfseite die Narbe, dort, wo der Pelz gelichtet ist?«

»Ja.«

»Ich glaube, wir haben da einen Wildling. Schau doch, wie scharf er dich beobachtet! Man hat bestimmt schon einmal Jagd auf ihn gemacht.«

»Mag sein«, sagte ich. Es ist durchaus üblich, daß ein Sleen den Jäger beobachtet und dann bei Annäherung untertaucht. Dabei greift er wohl Objekte an, die sich im Wasser bewegen, zum Beispiel einen Schwimmer, nicht aber ein Boot, das wohl keinen anregenden Geruch verbreitet oder sonst einen Jagdinstinkt auslöst. Dieser Sleen jedoch schien uns nicht nur aufmerksam zu beobachten, in seinem Verhalten schien sogar etwas Drohendes zu liegen.

»Hallo, Sleen«, sagte ich.

»Sei kein Dummkopf!« schalt mich Imnak. »Das ist ein sehr gefährliches Tier!«

»Soll ich denn nicht mit ihm reden?« fragte ich. Ich hielt die Gelegenheit für gekommen, Imnak einen Tropfen seiner eigenen Medizin zu reichen.

»Man muß sich vorsehen, mit welchem Sleen man spricht«, sagte Imnak. »Es gibt eine Zeit für das Reden und Locken und eine Zeit für das Mundhalten.«

»Ich verstehe«, sagte ich lächelnd.

»Du kannst ruhig mit ihm reden«, fuhr Imnak fort, »aber an deiner Stelle würde ich es lieber nicht tun. Der Breitkopf da ist sehr gefährlich.«

»Man muß sich den Sleen aussuchen, mit dem man redet, ja?« fragte ich.

»Genau.«

Ich fischte mir die Lanze aus dem Wasser und war in meiner Bewaffnung jetzt wieder komplett.

»Arlene braucht etwas für unsere Suppe«, sagte ich zu dem Sleen. »Kannst du uns da aushelfen?«

»Halt den Mund!« flüsterte Imnak entsetzt.

»Ich dachte, du hättest gesagt, er mag mich.«

»Vielleicht tut er nur so«, sagte Imnak. »Wir warten einfach, bis er verschwindet, dann fahren wir ins Lager zurück.«

»Nein«, sagte ich.

»Wir haben zwei Sleen.«

»Du hast zwei Sleen«, betonte ich.

»Sei kein Dummkopf, Tarl, der mit mir jagt!«

»Ich bin überzeugt, er ist ein wirklich netter Bursche.«

»Paß auf!« rief Imnak. »Er kommt!«

Ich ließ die Harpune fallen, denn es wäre sehr schwierig gewesen, das Tier damit von vorn zu treffen. Die knöcherne Spitze hätte den dicken Schädel vermutlich nicht durchstoßen, und die schmale Vorderfront des Körpers unter Wasser zu treffen, wäre äußerst schwierig gewesen. Ich stieß die Lanzenspitze in das vorgestreckte, mit Zahn-Doppelreihen bewehrte Maul; es drang durch die Seite tief ein und spießte das Tier einen Meter weit auf. Der Angreifer bäumte sich dicht neben dem schwachen Boot sechs Fuß hoch aus dem Wasser. Beide Hände um den Speerschaft gelegt, drängte ich das zuckende Tier zur Seite, daß es nicht auf mein Boot fiel. Eine der riesigen Flossen traf mich, stieß mich zur Seite, wobei sich der Sleen von der Lanze löste. Er umschwamm mich, während heißes Blut aus dem Maul in das kalte Wasser strömte. Ich nutzte die Zeit, meine Harpune ein zweitesmal an der Leine aus dem Wasser zu ziehen, denn sie war mir erneut abhanden gekommen. Ich befestigte die leichte Harpune in der Kerbe des Wurfbretts, und ehe das Ungeheuer sich in meine Richtung wandte, ließ ich das Brett nach vorn und unten schnappen und brachte das Geschoß auf den Weg. Der Knochenwiderhaken verschwand im Widerrist des aufgebrachten Tiers, das sofort zu tauchen begann. Blasen und Blut stiegen an die Oberfläche. Sirrend entrollte sich die Leine aus ihrer Vertiefung und verschwand im Wasser. Kurze Zeit später tauchten der Harpunenschaft mit der Vorspitze an der Wasseroberfläche auf, während die eigentliche Harpunenspitze, an der die Leine festgemacht war, in der Wunde festsaß. Ich steuerte die Leine so gut ich konnte. Der Sleen war ein ausgewachsener, riesiger Breitschädel, achtzehn bis zwanzig Fuß lang und etwa tausend Pfund schwer. Sobald die Leine ganz ausgelassen war, mochte das Kajak mit unter Wasser gezogen werden. Imnak kam mir zu Hilfe; gemeinsam zerrten wir an der Leine, Beide Kajaks neigten sich nach vorn. »Er versucht zu fliehen«, sagte Imnak und ließ die Leine los. Mein Kajak wurde herumgezogen, und dann ging sein Bug nach unten; es wurde von dem See-Ungeheuer tief unter mir gezogen. »Kapp die Leine!« rief Imnak. »Er flieht unter das Eis!« Ich entdeckte weiter vorn eine Eisschicht. »Leine los!« rief Imnak. Doch ich gab meine Beute nicht frei. Ich war entschlossen, das Monstrum nicht freizugeben. Ich hielt die Leine um die linke Hand gewickelt und stieß mit der Lanze gegen das Eis. Doch die Lanze rutschte ab, die Leine glitt zur Seite, und ich wurde mitsamt dem Kajak auf das Eis gezerrt. Ich glitt darüber hin, kam davon frei und rutschte seitlich wieder ins Wasser. »Er flieht aufs Meer hinaus!« rief Imnak und folgte mir so schnell er konnte. Dann erschlaffte die Leine. »Er dreht«, sagte Imnak. »Sieh dich vor!« Nach wenigen Augenblicken sah ich den Körper des Sleen an die Oberfläche kommen. Die Entfernung betrug etwa sechzig Fuß. »Er ist nicht tot«, sagte Imnak. »Das weiß ich«, gab ich zurück. Deutlich war der Atem zu sehen, der aus seinen Nasenlöchern stieg und sich wie ein Nebel über das kalte Wasser ausbreitete. Das Wasser schien fettig zu schimmern, denn es hatte zu frieren begonnen. Rings um das Tier war es dunkel von Blut. Wir steuerten unsere Kajaks näher heran, um dem Tier mit den Lanzen den Rest zu geben. »Vorsicht!« warnte Imnak. »Er ist nicht tot.«

»Aber er hat viel Blut verloren«, sagte ich.

Wir näherten uns von beiden Seiten dem Tier.

»Es atmet nicht mehr«, stellte ich fest.

»Es ist aber schon einmal gejagt worden«, sagte Imnak. »Ich glaube, es wartet darauf, daß wir uns nähern. Glaube ja nicht, daß es uns nicht belauert.«

»Wir warten ab?«

»Ja«, sagte Imnak. »Der Sleen blutet. Die Zeit ist auf unserer Seite.« Nach einer Weile fuhr er fort: »Halte dich bereit. Ich habe gezählt. Gleich muß er atmen.«

Wir hielten unsere Lanzen bereit. Plötzlich sprang der Sleen mit einem explosiv wirkenden Laut, einem dröhnenden Luftschnappen in die Höhe. Als er am weitesten aus dem Wasser war, stießen wir mit den Lanzen zu. Das Tier löste sich von den Spitzen, atmete tief ein und tauchte. Wieder streckte sich die Harpunenleine in die Tiefe. »Wir haben ihn gut getroffen!« rief Imnak. »Paß auf!« Die Leine war erschlafft. Ich starrte ins Wasser hinab. Dann spürte ich den Druck des Wassers von unten, eine Bewegung, die sich durch das gespannte Leder des Kajaks deutlich fortpflanzte. Ich stieß die Lanze senkrecht nach unten und wurde halb aus dem Kajak geschleudert, als das kleine Boot seitlich von dem aus dem Wasser springenden Sleenkörper abglitt. Von der anderen Seite stach Imnak immer wieder zu. Der Sleen fiel ins Wasser. Ich zerrte die Lanze frei und stieß sie immer wieder tief in den feuchten, blutüberströmten Pelz. Der Sleen griff mit zuschnappenden Fängen erneut an, die ich mit der Lanze abwehrte. Imnak stach wieder zu. Das blutige Wesen bewegte sich zuckend im eiskalten Wasser. Der Sleen wandte sich Imnak zu, was mir Gelegenheit gab, die Lanze tief in seiner Flanke zu stoßen, hinter die rechte Vorderflosse. Wieder atmete der Sleen aus. Ich zog die Lanze zurück, um von neuem anzugreifen. Das Ungeheuer starrte mich an. Dann rollte es im Wasser zur Seite.

»Er ist tot«, sagte Imnak.

»Woher weißt du das?«

»Die Art und Tiefe deines Stiches lassen keinen Zweifel«, sagte Imnak. »Du hast das Herz getroffen.«

»Das Herz liegt ziemlich in der Mitte.«

»Schau dir das Blut an deiner Lanze an.«

Ich kam der Aufforderung nach. Gut dreißig Zoll lang war die Lanze mit frischem Blut bedeckt.

»Du bist sehr stark«, meinte Imnak.

Er steuerte sein Kajak zur Flanke des Tiers und begann mit Holzpflöcken die Wunden zu verschließen. Er wollte nicht, daß das Tier noch mehr Blut verlor. Gefrorenes Blut ist nahrhaft.

»Bläst du ihm Luft unter die Haut?« fragte ich.

»Erst wenn er zu sinken droht«, antwortete Imnak. »Wir fahren nach Hause.«

»Er wird sinken.«

»Hier«, sagte Imnak, »wir stützen ihn zwischen den Kajaks ab.«

Wir banden das mächtige Tier zwischen den beiden Kajaks fest und paddelten dann langsam in Richtung Lager.

»Ich habe dir gleich gesagt, daß der Sleen ein netter Bursche ist«, sagte ich.

»Davon war ich eine Weile nicht so überzeugt«, meinte Imnak.

»Du hast an ihm gezweifelt«, sagte ich.

»Das war falsch von mir«, räumte Imnak ein. »Aber er hat sich gut verstellt. Er hat mich eine Zeitlang hinters Licht geführt.«

»So sind Sleen nun einmal.«

»Ja, ziemlich verspielt. Du solltest dem Sleen noch danken, daß er sich von dir hat harpunieren lassen«, fuhr er fort. »Nicht jeder Sleen wäre dazu bereit gewesen.«

»Vielen Dank, Sleen«, sagte ich.

»Gut!« rief Imnak. »Das gehört sich einfach so. Sleen haben auch ihren Stolz.«

Wir erreichten die beiden Sleen, die wir im Wasser hatten schwimmen lassen. Imnak dankte den beiden Tieren, daß sie sich von ihm hatten töten lassen. Dann band er sie an seinem Boot fest, und wir nahmen Kurs auf die Felsküste.

»Wenn die Sleen tot sind, wie sollen sie dann merken, daß wir ihnen danken?« fragte ich.

»Das ist eine interessante und schwierige Frage«, sagte Imnak. »Ich weiß eigentlich nicht genau, wie die Sleen das machen. Das Volk glaubt aber daran, wir meinen, daß die Sleen gar nicht sterben, sondern nach einer Weile wiedergeboren werden.«

»Die Sleen sind unsterblich?« fragte ich.

»Ja«, sagte Imnak. »Und wenn so ein Tier zurückkehrt, ist es hoffentlich noch eher bereit, sich wieder harpunieren zu lassen, wenn man es gut behandelt hat.«

»Glaubt man auch, daß die Menschen unsterblich sind?«

»Ja«, antwortete Imnak.

»Ich kenne eine Welt, wo einige Leute die Menschen für unsterblich halten, nicht aber die Tiere.«

»Sie mögen Tiere nicht?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Vielleicht halten sich die Leute für unsterblich, weil sie sich als klug einschätzen und die Sleen nicht.«

»Manche Sleen sind ziemlich ausgefuchst«, sagte Imnak und überlegte einen Augenblick lang. »Wenn Sleen über dieses Problem sprächen, würden sie wahrscheinlich sagen, daß sie unsterblich sind, und die Menschen nicht, weil sie schließlich besser schwimmen können.«

»Mag sein«, sagte ich.

»Wer kann schon die Bedeutung des Lebens ergründen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Vielleicht hat es überhaupt keinen Sinn.«

»Das ist interessant«, meinte Imnak. »Aber dann wäre die Welt sehr einsam.«

»Vielleicht ist sie das auch.«

»Nein«, sagte Imnak und zog sein Kajak aus dem Wasser. »Die Welt kann nicht einsam sein, wenn es zwei Menschen gibt, die Freunde sind.«

Ich blickte zu den Sternen auf. »Du hast recht, Imnak«, sagte ich. »Wo es Schönheit und Freundschaft gibt, kann man von der Welt nicht mehr verlangen. Wie großartig und bedeutsam ist doch ein solcher Ort! Was für eine andere Daseinsberechtigung könnte er haben?«

»Hilf mir, das Fleisch an Land zu zerren!« sagte Imnak.

Ich half ihm. Andere Jäger eilten zum Wasser herab und halfen mit. Ich wußte nicht, was für ein Ort die Welt war, doch manchmal kam sie mir ganz großartig vor.

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