27

Die Männer zu beiden Seiten des Käfigwagens waren mit einer Art Projektilwaffe ausgerüstet. Aus der Form des Schlosses leitete ich ab, daß damit ein langer, konischer, gasgetriebener Bolzen abgefeuert wurde. Die Waffe funktionierte im Prinzip wohl wie ein irdisches Gewehr, nur war das Schloß kein Metallstück, sondern ein Gebilde, das einem etwa sechs Zoll langen Pfeil glich. Die Waffen hatten gekrümmte Holzschäfte, die mich an eine Zeit erinnerten, da Gewehre noch von Waffenschmieden von Hand gefertigt wurden. Auf den Schäften zeigten sich exzentrische Verzierungen. Das Abfeuern würde anscheinend durch einen Knopf im vorderen Teil des Schafts bewirkt. An der linken Hüfte trug jeder Bewaffnete einen Beutel mit sich herum. Vermutlich befand sich darin neben anderen Ausrüstungsgegenständen ein Vorrat an Projektilen für die Waffe.

Ich umklammerte die Käfigstangen.

Der Wagen wurde von zwei Männern durch die Gänge gefahren, die sich von hinten gegen Griffe stemmten. Drusus, der ebenfalls ein Pfeilgewehr trug, bildete die Nachhut.

Ein hübsches, nacktes Sklavenmädchen mit einem zusammengebundenen Bündel Weinflaschen über der Schulter kniete seitlich des Ganges nieder. Sie senkte den Kopf. Von ihrem Kragen führte die Kette zu den Deckenschienen. Der Wächter links von mir hob die Kette über seinen Kopf, damit der Wagen problemlos passieren konnte. Hinter uns richtete sich das Mädchen wieder auf und eilte weiter.

»Halt!« sagte Karjuk.

Der Wagen blieb stehen.

»Sei gegrüßt, Mann aus dem Süden«, sagte er.

»Sei gegrüßt«, antwortete ich.

Karjuk war aus einer der Türen getreten, die den Korridor säumten. Er trug Fellhosen und Stiefel und etliche Halsbänder. Sein Oberkörper war entblößt. Ein Stirnband lag um seinen Kopf.

»Sieht so aus, als hätten wir dich in einem Käfig«, bemerkte er. »Dahin gehören wilde Tiere.«

Meine Hände verkrampften sich um die Gitterstäbe. Der Wagen bewegte sich auf acht Rädern, die einen Durchmesser von etwa vier Zoll hatten und mit Gummi bereift waren. Er hatte Gitterstäbe auf vier Seiten und war nach oben und unten mit Stahl abgeschlossen.

»Du hast dich leicht hereinlegen lassen«, sagte Karjuk.

»Vielleicht doch nicht ganz so leicht«, antwortete ich.

In der Tür, durch die Karjuk gekommen war, tauchte ein weißer Kur auf, ein großes Exemplar. In seinen Ohren schimmerten Goldringe. Die Lippen zogen sich von den Zähnen zurück – ein sicheres Zeichen, daß sich der Kur amüsierte.

»Dieser Kur ist mein Verbündeter«, sagte Karjuk. »Er griff deinen Freund Ram an, konnte seine Attacke aber nicht beenden, weil du ihn mit den Männern aus dem Dorf gestört hast. Du dachtest, ich hätte ihn umgebracht.«

»Nein«, sagte ich, »das hatte ich nicht vermutet.«

»Ach, nein?«

»Nein«, sagte ich. »Ich untersuchte den Kopf, den du ins Lager brachtest. Die Goldringe in den Ohren jenes Eis-Ungeheuers waren schmaler und breiter als die in den Ohren jenes Tiers dort. Außerdem waren sie frisch in die Ohren eingesetzt worden, das war zu erkennen. Ferner war der Kopf des Eis-Ungeheuers in einem Zustand, der mir verriet, daß es nicht erst kürzlich getötet worden war, sondern schon mindestens zwei oder drei Süd-Tage lang nicht mehr lebte. Im übrigen hatte das Eis-Ungeheuer, das Ram angriff, von seinem Schlitten-Sleen gefressen. Schnauze oder Zunge des Kopfes, den du mitbrachtest, wiesen aber keinerlei Blutspuren auf. Und schließlich war es nicht dasselbe Tier.«

Karjuk sah mich an.

»Glaubst du, ich kann einen Kur nicht vom anderen unterscheiden?« fragte ich.

Krieger werden früh darauf trainiert, genau zu beobachten, denn manchmal können unwichtig scheinende Details über Leben und Tod entscheiden.

»Du hast recht«, sagte Karjuk. »Es war der Kopf eines Eis-Ungeheuers, das schon früher ums Leben gekommen war und dem wir Goldringe in die Ohren gesteckt hatten.«

»Soweit mir deine Fähigkeiten auf dem Eis geschildert worden waren, erschien es mir auch nicht wahrscheinlich, daß sich ein Ungeheuer an dir vorbeigeschlichen haben sollte. Oder daß du, wenn es wirklich einmal vorkommen sollte, so lange brauchen würdest, das Tier zu erlegen.«

»Du tust mir viel Ehre an«, sagte Karjuk.

»In Anbetracht dieser Umstände und des offensichtlichen Betrugs um den abgetrennten Kopf, lag für mich auf der Hand, daß du im Lager der Kurii stehst und daß du mit dem ersten Ungeheuer vermutlich sogar zusammen unterwegs warst. Jedenfalls tauchtet ihr beide beinahe zur gleichen Zeit in der Nähe des Lagers auf.«

»Du bist klug«, bemerkte Karjuk.

»Im übrigen bemerkten Imnak und ich unterwegs zuweilen dieses Ungeheuer«, fuhr ich fort und deutete auf den weißen Kur. »Er folgte unserem Weg oder bewegte sich parallel dazu.«

Karjuk blickte mich an, ohne etwas zu sagen.

»Er hat sich sehr ungeschickt angestellt«, fuhr ich fort. Es interessierte mich zu wissen, wieviel der Kur von meinen Worten verstand. Ich sah, wie seine Augen aufblitzten und die Ohren sich flach am Kopf anlegten. Das Wesen verstand also die goreanische Sprache. Folglich war es kein degeneriertes Tier der Folgegenerationen, sondern ein Schiffs-Kur, darauf trainiert, sich auf die menschliche Sprechweise einzustellen. Er und Karjuk mußten eine Möglichkeit der Verständigung haben. Ich sah kein Übersetzungsgerät in der Nahe. Ich wußte nicht, ob die Kur-Technologie in der Lage war, solche Apparate hervorzubringen.

»Er war das Eis nicht gewöhnt«, sagte Karjuk entschuldigend. »Wie du sicher längst erraten hast, ist er kein Eis-Ungeheuer, sondern ein ganz anderer Typ von Kur, der von weither kommt.«

»Er ist ein Schiffs-Kur«, sagte ich.

Karjuk musterte mich ratlos. Vermutlich hatte er keine Ahnung von den im Raum ihre Bahn ziehenden Stahlwelten der Kurii.

»Er stammt aus Welten am Himmel«, sagte ich.

»Gibt es denn Welten am Himmel?« fragte er.

»Ja.«

»Sind sie weit von hier?«

»Nicht so weit, wie sie manche gern hätten«, antwortete ich.

»Wenn du so schlau bist, warum bist du mir dann in den Norden gefolgt?« wollte er wissen.

»Ich habe im Norden etwas zu erledigen«, sagte ich. »Ich habe eine Vereinbarung mit einem gewissen Zarendargar, auch Halb-Ohr genannt.«

»Niemand wird zu ihm vorgelassen«, sagte Karjuk.

»Du warst der Wächter«, sagte ich.

»Ich bin der Wächter.«

»Aber du hast deine Aufgabe verraten.«

»Ich erfülle meinen Posten auf meine Weise«, sagte er.

»Wo ist Imnak?« fragte ich.

»Auch er ist einer von uns.«

»Du lügst!«

»Wie hättet ihr sonst gefangengenommen werden können?«

»Lügner!« rief ich. Ich streckte die Hände aus, um sie um seine Kehle zu legen, doch er trat von den Gitterstäben zurück. »Lügner!« schrie ich. »Lügner!«

Der Wagen setzte sich wieder in Bewegung. »Lügner!« schrie ich. Ich drehte mich um und musterte den dünnen, mürrisch wirkenden Karjuk, der mit seinen Halsbändern im Korridor stand, neben sich den Kur. »Verräter! Lügner!« tobte ich.

Dann zogen sich die beiden in den Raum zurück, aus dem sie gekommen waren.

»Wenn ich mich nicht sehr irre«, sagte Drusus, der hinter dem Wagen ging, »kommt da dein Freund Imnak.«

Ich wirbelte herum und blickte nach vorn, in die Richtung, in die der Wagen geschoben wurde.

Imnak marschierte herbei. Grüßend hob er die Hand, obwohl er noch fünfzig Meter entfernt war.

»Imnak!« rief ich.

Wie Karjuk trug er Stiefel und Hose und war am Oberkörper nackt. Auch er hielt sich die Haare mit einem Stirnband aus dem Gesicht. Mehrere schwere Goldbänder hingen ihm um den Hals. Er kaute auf einem Vuloschinken. Begleitet war er von drei Mädchen in Vergnügungsseide, Poalu, Audrey und Barbara. Sie trugen vornehme Sklavenkragen und Arm- und Beinreifen aus Gold.

»Sei gegrüßt, Tarl, der mit mir jagt!« sagte Imnak und grinste breit.

»Du bist ebenfalls gefangengenommen worden«, sagte ich.

»Nein«, antwortete Imnak. »Du bist gefangengenommen worden.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Es ist zu warm hier drinnen«, sagte Imnak und biß in das Fleisch.

»Wie kommt es, daß du dich frei bewegen kannst?« fragte ich.

»Warum läßt man es hier so warm werden?«

»Du hattest Wache.«

»Ich hielt nach Karjuk Ausschau«, sagte er.

»Warum bist du dann nicht in einem Käfig wie ich?«

»Vielleicht bin ich schlauer als du.«

Ich schaute ihn an.

»Warum sollte ich in einem Käfig stecken?« erkundigte sich Imnak. »Ich verstehe deine Frage nicht.«

»Man will mir einreden, daß du mich verraten hättest, Imnak«, sagte ich.

»Und du glaubst das nicht?«

»Natürlich nicht.«

»Wenn ich du wäre, würde ich mich ernsthaft mit der Sache beschäftigen.«

»Nein«, sagte ich. »Nein!«

»Ich hoffe, du läßt nicht zu, daß dies unsere Freundschaft beeinträchtigt.« Imnak zeigte sich besorgt.

»Natürlich nicht.«

»Das ist gut.«

»Es ist seltsam, Imnak«, sagte ich. »Bei manchem anderen hätte ich jetzt zweifellos das Bedürfnis, ihn zu töten – bei dir jedoch fällt es mir schwer, überhaupt wütend zu sein.«

»Das liegt daran, daß ich so ein netter, liebenswürdiger Bursche bin«, sagte Imnak. »Da kannst du jeden im Lager fragen. Ich bin sehr beliebt. Nur singen kann ich nicht.«

»Aber du bist nicht loyal!«

»Natürlich bin ich loyal. Es ist nur die Frage, wem ich loyal verbunden bin.«

»So habe ich das noch nicht gesehen«, sagte ich. »Man kann wohl sagen, daß du Imnak loyal geblieben bist.«

»Er ist ein netter Bursche, dem kann man getrost loyal verbunden sein«, meinte Imnak.

»Ich hoffe, du bist stolz auf dich«, sagte ich.

Imnak zuckte die Achseln. »Es stimmt schon, daß ich vieles ganz gut hinbekomme.«

»Dazu gehört auch der Verrat?«

»Sei nicht verbittert, Tarl, der mit mir jagt«, sagte Imnak. »Ich habe mit Karjuk gesprochen. Es ist alles zum Besten.«

»Ich habe dir vertraut«, sagte ich.

»Hättest du das nicht getan, wäre für mich alles etwas schwieriger gewesen«, räumte Imnak ein.

Ich schaute Barbara an, die rote Seide trug. »Wir hatten uns Sorgen um dich gemacht«, sagte ich.

»Ich nicht«, warf Imnak ein.

»Ein Eis-Ungeheuer hat mich gefangengenommen«, sagte sie. »Oder ein ähnliches Wesen. Es hatte Ringe in den Ohren. Es scheint mit Karjuk verbündet zu sein. Ich wurde hierhergebracht. Als Imnak eintraf, wurde ich ihm zurückgegeben.«

»Du bist sehr schön«, sagte ich.

»Vielen Dank, Herr.«

»Du auch, Audrey«, sagte ich.

»Wir müssen weiter«, sagte Drusus.

»Ich wünsche dir alles Gute, Tarl, der mit mir jagt«, sagte Imnak und hob grüßend den gebratenen Vuloschinken.

Ich würdigte ihn keines Wortes mehr. Der Wagen wurde weitergeschoben. Ich schaute nicht zurück.

»Mit Gold läßt sich jeder kaufen«, sagte Drusus hinter dem Gefährt. Sein Schwert pendelte mit jedem Schritt an seiner Hüfte. In der rechten Hand hielt er die leichte, röhrenförmige Waffe mit dem Holzschaft. »Jeder«, sagte er. Ich antwortete nicht. Verbittert klammerte ich mich an den Stangen des Käfigwagens fest, der langsam durch den langen Stahlkorridor rollte.

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