5

»Das Spiel«, sagte ich, »war ausgezeichnet.«

Samos erhob sich zornschnaubend. »Während du dich auf dem Markt vergnügtest, hat es hier in Port Kar eine Katastrophe gegeben.«

Ich hatte die Flammen im Hafenarsenal gesehen, als mein Tarn zur Landung ansetzte.

»Er hat den Verstand verloren«, sagte ich. »Das weißt du so gut wie ich.«

»Nur er hätte sich dem Schiff nähern können, nur er hat das tun können!« rief Samos.

»Vielleicht war er mit dem Entwurf nicht zufrieden«, meinte ich. »Vielleicht hat er Angst davor, dem Schiff die Augen aufzumalen, vielleicht wagte er nicht, seinen Traum der Realität des Thassa auszuliefern.«

Samos setzte sich mit untergeschlagenen Beinen hinter den Tisch in seinem riesigen Empfangsraum. Er weinte. Heftig schlug er mit der Faust auf den Tisch.

»Bist du sicher, daß er es war?« wollte ich wissen.

»Ja«, sagte Samos verbittert.

»Aber warum?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«

»Wo ist er jetzt?«

»Er ist verschwunden«, gab Samos Auskunft. »Sicher hat er sich in einen Kanal gestürzt.«

»Das Schiff hat ihm soviel bedeutet«, sagte ich. »Ich verstehe das alles nicht. Hier haben wir es mit einem Rätsel zu tun.«

»Er hat sich von Agenten der Kurii bestechen lassen.«

»Nein. Tersites ließ sich seine Träume nicht mit Gold abkaufen.«

»Das Schiff ist zerstört«, sagte Samos bedrückt.

»Restlos?«

»Nur noch Asche ist übrig, verkohlte Streben.«

»Und die Pläne.«

»Ja«, sagte er, »die Pläne.«

»Dann könnten wir das Schiff ja neu bauen«, sagte ich.

»Du mußt die Dorna nehmen. Oder die Tesephone.«

»Ich begreife einfach nicht«, sagte ich, »daß Tersites sein Schiff in Brand steckte.«

»Unsere Hoffnungen sind in Flammen aufgegangen. Nun werden wir Halb-Ohr am Ende der Welt nicht gegenübertreten.«

»Darüber haben wir ja schon gesprochen«, sagte ich.

»Ja«, sagte Samos mürrisch. »Ich habe die Figur gesehen. Begreifst du nicht, daß das eine List ist, um dich in den Norden zu locken, damit die Kurii ihre gefährlichen Pläne am Ende der Welt ungefährdet fortsetzen können?«

»Das mag sein«, sagte ich. »Aber ich fühle, daß eine gewisse Ehrlichkeit in der Botschaft steckt, eine Art grausame Sportlichkeit im Kriege. Ich glaube, ich kann mir vorstellen, was für ein Wesen dieser Zarendargar ist.«

»Die Kurii kennen keine Ehre.«

»Es gibt eine gewisse Verbundenheit unter Berufssoldaten«, gab ich zurück, »die wohl auch die Grenzen zwischen den Rassen überbrückt.«

»Wir haben nur eine Möglichkeit«, sagte Samos. »Du mußt ein anderes Schiff nehmen, die Dorna oder die Telephone. Wenn du willst, kannst du auch mein Flaggschiff besteigen, die Thassa Ubara.«

»Aber die Hoffnung, daß solche Schiffe das Ende der Welt erreichen, ist gering.«

»Kein solches Schiff hat diese Reise bisher unternommen – oder hätte sie unternommen und wäre zurückgekehrt.« Samos blickte mich an. »Ich kann dir natürlich nicht befehlen, die Fahrt anzutreten.«

Ich nickte. »Wegen des Schiffes tut es mir leid«, sagte ich, »und ich begreife nicht, was da geschehen ist. Unabhängig davon, mein lieber Samos, war ich schon vorher entschlossen, nicht nach Westen, sondern in den Norden zu reisen.«

Samos blickte mich ärgerlich an.

»Natürlich hoffe ich eines Tages festzustellen, was da im Arsenal geschehen ist«, fuhr ich fort.

»Da du den Priesterkönigen treu ergeben bist, kann ich dir befehlen, in Port Kar zu bleiben.«

»Ich bin auf meine Weise ein Söldner«, bemerkte ich. »Ich unterstehe meinem eigenen Kommando. Ich suche mir meine Kämpfe selbst aus. Ich bestimme auch selbst, wem meine Treue gelten soll.«

»Würdest du die Priesterkönige im Stich lassen?«

»Ich werde ihnen auf meine Weise treu bleiben.«

»Ich befehle dir, in Port Kar zu bleiben!« sagte Samos barsch.

Ich lächelte ihn an. »Das ist ein Befehl, zu dem du keine Vollmacht hast«, sagte ich. »Ich bin ein freier Soldat.«

»Du bist ein Brigant und Abenteurer!« rief er.

»Es interessiert mich eben, den Norden zu besuchen.«

»Vielleicht hat Tersites im Auftrag der Kurii das Schiff nur deswegen vernichtet«, sagte Samos heftig, »um zu verhindern, daß du das Ende der Welt erreichst.«

»Möglich«, räumte ich ein.

»Dort wartet Zarendargar auf dich!«

»Wir gehen davon aus, daß das Ende der Welt zwischen Tyros und Cos liegt, am Ende von hundert Horizonten«, sagte ich. »Wer soll aber wissen, wo für einen Kur das Ende der Welt ist?« Ich stand auf und schritt über das große Mosaik des Bodens der weiten Halle. »Dort«, sagte ich. »Vielleicht ist dies die Gegend, die für einen Kur das Ende der Welt darstellt.« Ich deutete auf den kalten Norden, auf das Polarmeer, auf das Eis über dem entlegenen Pol. »Ist das nicht auch ein Ende der Welt?« fragte ich.

»Dort können doch nur rothäutige Jäger leben«, flüsterte Samos.

»Und Kurii?«

»Vielleicht.«

»Und nicht auch andere?«

»Vielleicht hast du recht.«

»Ich bin davon überzeugt, daß Zarendargar im Norden auf mich wartet.«

»Nein«, sagte Samos. »Die Figur ist ein Trick. Sie soll dich vom Schauplatz des eigentlichen Geschehens weglocken, der am wahren Ende der Welt liegt, dort.« Er deutete auf das westliche Ende der Landkarte.

»Das ist deine Ansicht«, sagte ich. »Und ich habe meine Meinung geäußert.«

»Die Entscheidung treffe ich«, sagte Samos. »Ich befehle dir, in Port Kar zu bleiben.«

»Aber ich stehe nicht unter deinem Kommando«, sagte ich. Ich bin freier Kapitän. Du solltest dich mit den entsprechenden Vorschriften des Rates der Kapitäne vertraut machen.« Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging zur Tür.

»Haltet ihn auf!« befahl Samos.

Die beiden Wächter legten die Speere überkreuz und versperrten mir damit den Weg. Ich drehte mich um und betrachtete Samos.

»Es tut mir leid, mein Freund«, sagte er, »aber du bist mir zu wertvoll, als daß du im Norden dein Leben riskieren darfst.«

»Heißt das, du willst mich mit Gewalt daran hindern, dein Haus zu verlassen?« fragte ich.

»Ich verlasse mich gern auf dein Wort, daß du in Port Kar bleiben wirst.«

»Dieses Wort gebe ich dir natürlich nicht«, sagte ich lächelnd.

»Dann muß ich dich in Arrest nehmen. Es tut mir leid. Ich werde dafür sorgen, daß die Unterbringung deinem Status als Kapitän entspricht.«

»Ich gehe davon aus«, bemerkte ich, »daß du meinen Männern deine wohlmeinenden Motive begreiflich machen kannst.«

»Sollte dieses Haus bestürmt werden, so wird es sich gebührend zu verteidigen wissen«, antwortete Samos. »Ich möchte allerdings hoffen, daß du es unter diesen Umständen vorziehst, keine unnötigen Auseinandersetzungen zu fördern. Wir sind doch beide stolz auf unsere Männer.«

»Da hast du recht«, sagte ich. »Sicher gäbe es für sie besseres zu tun, als auf deinen Mauern zu sterben.«

»Gib mir dein Wort, Kapitän!«

»Da habe ich wohl kaum eine andere Wahl.«

»Verzeih mir, Kapitän.«

Ich drehte mich um, ergriff die gekreuzten Speere der Türwächter und zerrte sie mit einem Ruck in meine Richtung. Die beiden Männer reagierten nicht schnell genug und ließen los. Einen Speer ließ ich zu Boden fallen, mit dem anderen huschte ich zwischen den beiden Männern hindurch in den Korridor.

»Halt!« rief Samos.

Ich schloß den Durchgang hinter mir, indem ich den Speerschaft durch die Türgriffe schob. Sofort wurde heftig gegen das Holz gehämmert. Ich griff nach dem Schlegel eines Alarmgongs, der im Korridor hing, und hämmerte energisch darauf ein. Das metallene Dröhnen übertönte alle anderen Geräusche. Schritte hallten durch die Gänge, ich hörte Waffengeklirr. Ich eilte durch den Korridor und bediente dort einen weiteren Alarmgong.

Ein Wächter erschien. »Dort!« rief ich. »Im großen Saal! Beeilt euch!« Vier weitere Männer tauchten auf.

»Kommt!« rief der erste Wächter. Die Gruppe stürmte los.

Immer mehr Wächter eilten herbei. »Zum großen Saal!« rief ich, und sie hasteten weiter.

Gleich darauf hatte ich das Doppelportal erreicht das ins Freie führte.

»Was ist denn los, Kapitän?« fragte einer der Wächter.

»Ich glaube, es ist nichts Besonderes«, antwortete ich. »Ein neuer Wächter hat sich von einem Schatten ins Bockshorn jagen lassen und Alarm gegeben.«

»Dann ist also nichts passiert?«

»Ich glaube nicht.«

»Vielleicht ist ein Sleen ausgebrochen«, meinte ein anderer Mann.

»Das wäre schlimm«, sagte ich.

»Vielleicht sollten wir helfen gehen.«

»Ich finde, ihr solltet auf eurem Posten bleiben.«

»Er hat recht«, sagte ein anderer.

»Ist mein Boot fertig?« fragte ich.

»Ja«, erwiderte einer der Wächter. Er öffnete die Innentür und dann das schwere Eisentor.

»Haltet ihn!« tönten die Stimmen. »Haltet ihn!«

»Man scheint einen Eindringling zu jagen«, sagte ich.

»An uns kommt der nicht vorbei«, sagte einer der Wächter.

»Brav, brav«, sagte ich.

»Ich wünsche dir alles Gute, Kapitän«, antwortete der Mann.

Ich nickte ihm zu und trat in den schmalen Hof vor Samos’ Haus und eilte die Treppe zum wartenden Langboot hinab.

»Zum Haus, Kapitän?« fragte Thurnock.

»Ja«, sagte ich.

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