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Kamose gab dem Geometer Meißel, Hammer und Dechsel zurück, die er benutzt hatte.

»Hier sind meine Werkzeuge«, sagte er. »Sie gehören mir nicht. Sie gehören der Zunft.«

»Behalte sie, du hast dich ihrer nicht unwürdig gezeigt. Du wagst nun das schwierigste aller Abenteuer. Deine Werkzeuge werden dir noch nützlich sein. Sie werden auf ewig deine Freunde bleiben.«

»Ich… Ich würde Euch gern…«

»Keine unnötigen Worte. Ich habe meine Pflicht getan. In dir brennt ein Feuer, Kamose. Du solltest lernen, es zu beherrschen. Meine Kenntnisse reichen nicht mehr aus, dir zu helfen. Werde Schreiber!«

Der Geometer umarmte seinen Schüler feierlich.

Mit einem Kalksteinplättchen versehen, auf das der Geometer ein paar Zeilen geschrieben hatte, wurde Kamose vom Aufseher in das Büro der Schreiber geführt. Dieses lag zwischen der äußeren Umfassungsmauer des Tempels von Amun-Re, dem König der Götter, und der Umfassungsmauer des geschlossenen Tempels.

Der Aufseher vertraute den jungen Mann einem Beamten an, der die auf den Kalkstein geschriebene Nachricht entzifferte.

»Du heißt Kamose und wirst empfohlen, um in die Schule des Alten einzutreten… Hat man dich informiert?«

»Anscheinend ist er ein strenger Mann.«

Der Beamte sah Kamose mitleidig an.

»Ich verstehe… Man hat dich offenbar wirklich nicht informiert. Bist du zu diesem Schritt gezwungen worden? Warum bleibst du nicht bei den Handwerkern?«

»Ich komme aus freiem Willen her und denke nicht daran, zurückzuschrecken.«

»Ganz wie du willst, junger Mann. Ich habe dich gewarnt.«

Der Beamte rief einen Schreiber herbei, der eine Kiste voller unbeschriebener Papyrusrollen trug. Er wies ihn an, Kamose zum Alten zu führen. Der Schreiber zuckte kurz zurück. Da er jedoch gewohnt war zu gehorchen, führte er den Befehl wortlos aus.

Kamose wagte nicht, ihm irgendeine Frage zu stellen. In dem Teil des Tempels, der den Handwerkern vorbehalten war, herrschte fröhliches Treiben, die Lehrlinge sangen bei der Arbeit, man hörte den Lärm der Werkzeuge. Hier dagegen herrschte Stille. Eine fast bedrückende Stille.

Kamose ging ein langes Stück die Umfassungsmauer des geschlossenen Tempels entlang. Er schritt durch mehrere schmale Türen, bog in dunkle Gänge ab, in die nur durch schmale, an der Decke angebrachte Öffnungen Licht drang.

Dann war er wie geblendet. Der Weg führte unter freiem Himmel, zwischen zwei Gebäuden hindurch und man sah in der Ferne das Ende eines Sees, in dem Priester ihre Waschungen vornahmen, Kamose wäre gerne stehen geblieben, aber der Schreiber schritt in gleichmäßigem Tempo voran, ohne sich umzudrehen.

Schließlich erblickte Kamose den Teil des Tempels, in dem sich die Wohnstätten und Büros der Schreiber befanden. Zahlreiche, sichtlich sehr beschäftigte junge Männer liefen dort umher. Unter freiem Himmel unterrichtete ein Meister eine Gruppe von etwa zehn Schülern, die eifrig auf Kalkplättchen schrieben. Kamose trug noch seine lederne Handwerkerschürze. Mit nacktem Oberkörper wirkte er wie ein junger Koloss in einer Welt von Intellektuellen, die feine Kleidungsstücke trugen und deren Schultern schmaler waren als seine. Er war das Objekt herablassender Blicke.

»Hier ist es«, erklärte der Schreiber, der ihn geführt hatte. »Tritt ein und warte!«

Kamose betrat ein niedriges, einstöckiges Gebäude. Das Erdgeschoss bestand aus einem großen Büro, an dessen Wänden Regale standen, die mit Papyrusrollen angefüllt waren.

Im hinteren Teil des Raumes saß mit verschränkten Beinen ein Greis. In der rechten Hand hielt er eine Schreibbinse, die er in regelmäßigen Abständen in einen mit schwarzer Tinte gefüllten Becher tauchte. Er schrieb in senkrechten Spalten Hieroglyphen auf einen elfenbeinfarbenen Papyrus.

Einige lange Minuten blieb Kamose stehen und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. So sehr er sich unter den Arbeitern wohlgefühlt hatte, so angespannt und unruhig war er in dieser neuen Welt, deren Regeln er nicht kannte.

»Meister, ich heiße Kamose«, sagte er schließlich, »und mich schickt der Geometermeister…«

»Ich weiß«, entgegnete der Alte. »Wenn du nichts Interessanteres zu berichten hast, dann kehre dahin zurück, wo du herkommst. Siehst du nicht, dass ich arbeite?«

Der Alte war wirklich sehr alt und sein Schädel völlig kahl. Sein von tiefen Falten durchzogenes Gesicht wirkte sehr streng. Die knotigen Finger hatten eine bemerkenswerte Beweglichkeit bewahrt. Der Bauch bildete Falten, die den Alten nicht im Geringsten daran hinderten, stundenlang in der traditionellen Haltung der Schreiber zu verharren.

Kamose war ebenso fasziniert wie verängstigt.

»Ich… Ich möchte den Beruf des Schreibers lernen«, stammelte er schwach.

»Den des Redners kannst du schon mal aufgeben. Warum willst du Schreiber werden?«

»Um… Um lesen und schreiben zu können.«

»Was hat das schon zu sagen! Es gibt da draußen gewiss hundert mittelmäßige Söhne von Adligen, denen das von mittelmäßigen Lehrern beigebracht wird. Für so etwas verschwende ich nicht meine Zeit.«

Kamose verlor den Boden unter den Füßen. Er musste ein Argument finden, um den abweisenden Greis zu überzeugen.

»Ich wollte immer Schreiber werden… Es heißt, das sei der herrlichste aller Berufe und würde…«

»Schluss mit dem Unsinn«, unterbrach ihn der Alte. »Mir graut vor Lügnern.«

Endlich hob der alte Schreiber den Blick zu Kamose. Er musterte ihn wie ein Jäger seine Beute.

»Genau wie ich mir dachte… Ein junger Bauer ohne Bildung, der sich für stärker hält als alle anderen, nur weil er mit drei Werkzeugen umgehen kann.«

»Ich habe mein Meisterstück abgeliefert«, wandte Kamose ein.

»Und dabei vergessen, dass eine Sphinx immer das Gesicht des Pharao trägt. In der Tat eine schöne Leistung!«

»Woher wisst Ihr…«

»Ich verlasse dieses Büro nie und weiß doch über alles Bescheid. Merk dir das. Wenn du versuchst, zu tricksen und dich zu verstellen, werfe ich dich auf der Stelle hinaus.«

Der Alte stieß eine Art missbilligendes Murren aus.

»Du willst nicht Schreiber werden, junger Kamose, du willst in den geschlossenen Tempel hineinkommen. Wahrscheinlich eine dumme Wette mit dir selbst. Und außerdem bist du wie alle Dummköpfe deines Alters bestimmt verliebt, was die Sache nicht besser macht.«

»Meine Gefühle…«

»Deine Gefühle existieren nicht mehr, sobald du dieses Büro betrittst. Es ist deine Entscheidung. Wenn du willst, dass ich einen Schreiber aus dir mache, so wirst du dich beugen müssen. Ich habe zu viele Schüler. Wäre der Geometermeister nicht schon lange mein Freund, so hätte ich auf sein Gesuch nicht einmal geantwortet. Dein Fall interessiert mich nicht. Er ist sicherlich kompliziert. Den Weg der Handwerker zu verlassen, um den der Schreiber einzuschlagen, erfordert außergewöhnliche Fähigkeiten. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass du über sie verfügst. Auf jeden Fall werde ich nicht lange brauchen, um es herauszufinden. Solltest du einer jener Streber sein, die man mir häufig schickt, so werde ich dich bald brechen wie dürres Holz.«

Während der Alte sprach, hatte er nicht aufgehört, mit sicherer Hand Hieroglyphen zu schreiben.

Die magischen Zeichen bildeten jetzt mehrere, vollkommen regelmäßige Spalten.

»Ich will Schreiber werden«, erklärte Kamose nachdrücklich.

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