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Kamose durchlebte quälende Wochen.

Seine Eltern brauchten ihn, und er brauchte die Nähe einer Unbekannten, die nichts von ihm wusste. Verfolgte er nicht ein Ideal, das er nie erreichen würde? Klammerte er sich nicht an einen Traum, der nie Wirklichkeit werden würde?

Kamose wandte das einzige Mittel an, das er kannte: arbeiten. Unter dem kritischen Auge des Geometers vervollkommnete er seine Fähigkeiten mit überraschender Geschwindigkeit. Bald bargen Stein und Holz keine Geheimnisse mehr für ihn. Aber der junge Mann blieb weiterhin scheu. Er arbeitete beharrlich, beeindruckte seine Kameraden und führte ausschließlich berufliche Gespräche mit dem Geometer.

Nachts ging er in dem Teil des Tempels spazieren, der Handwerkern seines Rangs zugänglich war. Er betrachtete die Außenseite der Steinmauer und versuchte, eine Unvollkommenheit oder einen Spalt zu finden. Aber sie war von hervorragenden Baumeistern errichtet worden, die beim Bau dieser unüberwindlichen Grenze zwischen der heiligen Welt des Tempels und der Welt der Menschen nicht den geringsten Fehler begangen hatten.

Seine Geduld und Wachsamkeit wurden jedoch belohnt.

Einen Monat nach der Feier des Rituals beobachtete Kamose bei Einbruch der Nacht eine Prozession von etwa zwanzig Hathor-Priesterinnen, die gerade den überdachten Tempel verließen. Ihr Dienst war vollbracht, und sie begaben sich in ihre Wohnstätten in Theben.

Unter ihnen war Nofret.

In ihrem Haar eine Lotosblüte.

Kamose wollte ihr nachstürzen, aber der Stock des Aufsehers versperrte ihm den Weg.

»Keinen Schritt weiter, mein Junge. Ich habe dich schon lange im Auge. Heute Abend versiehst du Bereitschaftsdienst in der Werkstatt. Ausgang verboten!«

Dem jungen Mann kochte das Blut in den Adern. Er verspürte das Bedürfnis, sich zu schlagen, den Aufseher zur Seite zu drängen.

Doch würde er so handeln, würde er aus der Zunft ausgeschlossen werden und niemals Zugang zum Tempel erhalten.

Kamose hatte keine Wahl. Er gehorchte.

Da er bereits über große Erfahrung verfügte, wurde er vom Geometer beauftragt, die ersten Schritte der neuen Lehrlinge zu beaufsichtigen. Diese Aufgabe war ihm zunächst langweilig erschienen, sie hielt aber eine wunderbare Überraschung für ihn bereit.

Als er in Gesellschaft eines vierzehnjährigen Jungen, dem er den Umgang mit dem Kupfermeißel beibrachte, zu Mittag aß, bot ihm dieser frische, süß schmeckende Zwiebeln an.

»Sie kommen vom Feld meiner Eltern. Ich habe sie selbst gepflanzt. Diesmal hat meine große Schwester sich geweigert, mir zu helfen. Seitdem sie in den Tempel aufgenommen wurde, ist sie so eingebildet!«

»Gehört sie zu den Hathor-Priesterinnen?«

»Nein«, antwortete der Lehrling. »Sie ist Flötenspielerin. Bei jeder Zeremonie wird sie einberufen.«

»Sie kennt sie also gut…«

»Ich hab keine Ahnung. Das sind Mädchensachen…«

»Wo wohnst du?«

»In einem Bauernhof am Ende des Viertels der Händler, in der Nähe des Tempels von Montu.«

Ungeduldig erwartete Kamose seinen freien Tag. Früh am Morgen verließ er sein Zimmer, durchquerte den Teil des Tempels, der den Handwerkern vorbehalten war, und begab sich in die Gassen des Händlerviertels von Theben.

Bauern und Bäuerinnen breiteten Matten auf dem Boden aus, auf die sie ihre Waren legten. Bald schon würden zahlreiche Kunden erscheinen. Aber der junge Mann beachtete das neben ihm ausgebreitete Obst und Gemüse nicht. Er ging raschen Schrittes weiter, da er es eilig hatte, zu dem Bauernhof zu kommen, in dem die Flötenspielerin lebte.

Es war nicht schwierig, ihn zu finden. Während die Bauern in den Speichern arbeiteten, aalte sich die junge Musikerin am Rand eines Beckens mit kühlem Wasser.

Sie hatte geschminkte Augen, eine von der Sonne gebräunte Haut und trug nur ein Karneolhalsband und einen Schmuckgürtel unterhalb des Nabels.

»Ich bin Handwerker im Tempel von Karnak«, erklärte Kamose. »Bist du Flötenspielerin bei den Hathor-Priesterinnen?«

Das junge Mädchen lächelte ihn an.

»Hast du mich gesucht?«

»Dein Bruder arbeitet mit mir. Er glaubt, du könntest mir helfen.«

»Aufweiche Weise?«

»Ich würde gerne eine junge Priesterin treffen, und zwar die, die zuletzt das Ritual der Braut des Nil vollzogen hat.«

Die Flötenspielerin schien enttäuscht. Sie wandte den Blick von Kamose ab und betrachtete die Wasserfläche, die sich im leichten Wind kräuselte.

»Warum interessierst du dich für sie?«

»Ein Familienproblem«, log der junge Mann. »Ich weiß, dass sie Nofret heißt. Aber mir scheint, sie ist die Tochter einer adligen Familie, und ich weiß nicht, wie ich in Kontakt zu ihr kommen kann, um ihr mein Gesuch vorzubringen.«

»Du hast nicht die geringste Chance«, offenbarte ihm die Flötenspielerin. »Nofret ist tatsächlich die Tochter von Adligen. Ihr Vater ist einer der wichtigsten Männer von Theben. Sie wurde vor kurzem in den geschlossenen Tempel aufgenommen. Sie hat eine Ausbildung als Schreiberin erhalten und praktiziert bereits die heiligen Wissenschaften. Du müsstest schon mindestens der Weise Imhotep sein, damit sie dich eines Blickes würdigt! Vergiss sie. Es gibt andere Mädchen, die dich für schön und gut gebaut halten werden.«

»Ich habe zu arbeiten. Danke für deine Hilfe.« Kamose ging wieder, und die junge Musikerin sah ihm nach. Sie bedauerte ihn. In die schöne Nofret verliebt zu sein würde ihm nur Leid und Enttäuschung bringen.


Der Geometermeister konnte stolz auf seine Schüler sein. Sie hatten die Gesetze, die er ihnen beigebracht hatte, verstanden und eingehalten. Die vom Hof in Auftrag gegebene Grabeinrichtung würde nicht den geringsten Makel aufweisen.

Mehrere junge Männer waren passable Handwerker. Manche hatten persönliches Talent. Der begabteste jedoch war und blieb Kamose.

Dieser wurde immer düsterer und verschlossener, und seine Kameraden machten sich allmählich Sorgen. Mehrfach hatte der Aufseher seinen Ausschluss gefordert. Er fürchtete, Kamose könne eines Tages einen schweren Fehler begehen, dessen Schmach auf die gesamte Zunft zurückfiele. Sollte sich Kamoses Charakter weiter verschlechtern, das wusste der Geometer, so müsste er Maßnahmen ergreifen, die er schon jetzt bedauerte. Aber sein Amt untersagte ihm, diesen oder jenen Schüler vorzuziehen.

Ein Vorfall brachte ihn auf eine Lösung. Als der Verwalter des königlichen Palastes das Mobiliar in Empfang nahm, bemerkte er einen Stuhl mit rechteckigem Rücken, dessen Eleganz ihn begeisterte. Entgegen der Sitte, nach der allein der Name des Meisters anerkannt wurde und nicht der seiner Schüler, erwähnte der Geometer Kamose als einen außergewöhnlichen Schüler. Der Verwalter, der die Strenge seines Gesprächspartners kannte, war über dieses Urteil sehr überrascht. Er merkte sich den Namen des jungen Mannes und nahm sich vor, im königlichen Palast über den Vorfall zu sprechen.

Der Meister rief Kamose zu sich. Dessen Sorgen belasteten ihn so, dass er mit siebzehn Jahren älter wirkte, als er war.

»Das Fest der Braut des Nil ist dir nicht bekommen, mein Junge. Ich habe den Eindruck, dass es nicht alle deine Wünsche befriedigt hat.«

Kamose schwieg.

»Der Aufseher beklagt sich über dich, Kamose. Er will, dass du gehst, und verfasst zu diesem Zweck einen Bericht nach dem anderen.«

»Was wirft man mir vor?«, fragte Kamose.

»Deinen unbeugsamen, verschlossenen Charakter. Deine Weigerung, Kontakt zu deinen Kameraden zu knüpfen. Deine verächtliche Haltung anderen gegenüber.«

»Ich verachte niemanden. Ich bin hier, um zu arbeiten und Euren Befehlen zu gehorchen.«

Der Geometer hatte keine Wahl mehr. Kamose war hart wie Granit. Er würde nicht aufblühen, bevor er nicht sein Ziel erreicht hatte. Er befand sich in einer Sackgasse und würde sich am Ende, wenn er jegliche Hoffnung verloren hatte, selbst zerstören. Es gab nur einen Weg – man musste sein Schicksal ändern, und folglich Risiken eingehen.

»Wenn meine Gegenwart Euch unangenehm ist und Euch schadet, dann gehe ich freiwillig«, verkündete der junge Mann nun.

»Ich werde mir von einem Aufseher nicht vorschreiben lassen, wie ich mich zu verhalten habe«, gab der Geometer barsch zurück. »Ist es noch immer dein Wunsch, in den geschlossenen Tempel zu gelangen?«

Kamoses Blick begann sich zu erhellen. Der Geometer erkannte darin eine wahnwitzige Hoffnung.

»Wenn du weiter mit mir arbeitest«, erklärte der Meister, »so wirst du viele Jahre brauchen, bis du eine Stelle mit großer Verantwortung übernehmen kannst. Du wirst durch ganz Ägypten reisen müssen, unsere Provinzen kennen lernen und alle Techniken lernen müssen. Erst dann wirst du vielleicht von jenen im geschlossenen Tempel berufen… Aber diese Geduld wirst du nicht haben.«

»Ich habe nicht das Recht, sie zu haben«, antwortete Kamose traurig.

»Somit bleibt nur ein einziger Weg«, schloss der Geometermeister. »Aber dafür brauche ich dein Einverständnis.«

Kamose hatte volles Vertrauen in den rechtschaffenen Mann, der ihm so viel beigebracht hatte. Und doch hatte er Angst.

»Wenn du deine Absicht nicht aufgibst, musst du Schreiber werden.«

Kamoses letzte Illusionen wurden zunichte gemacht.

»Ich kann mit meinen Händen arbeiten«, sagte er mit gebrochener Stimme, »aber ich kann weder lesen noch schreiben.«

»Das wirst du lernen. Da du es eilig hast, liegt hierin ein Risiko. Ich werde dich einem Mann übergeben, der zahlreiche Schreiber ausgebildet hat. Aber er ist unerbittlicher, als ich es jemals war.«

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