14

Der alte, weißgekleidete Magier saß in einem Arbeitszimmer, das dem von Raistlin im Turm von Palanthas sehr ähnlich war, außer daß die Bücher, die Par-Salians Regale füllten, in weißes Leder gebunden waren. Die silbernen Runen auf ihren Rücken und Deckeln schimmerten im Licht eines knisternden Feuers. Für jemanden, der eintrat, war der Raum heiß und stickig. Aber Par-Salian spürte die Kälte des Alters in seinen Knochen. Für ihn war das Zimmer recht behaglich.

Er saß an seinem Schreibtisch, seine Augen starrten in die Flammen. Er zuckte bei einem leisen Klopfen an seiner Tür leicht zusammen, dann seufzte er und rief leise: »Tritt ein.«

Ein junger, weißgekleideter Magier öffnete die Tür und verbeugte sich vor der schwarzgekleideten Magierin, die an ihm vorbeiging. Sie nahm die Huldigung wortlos hin, warf ihre Kapuze zurück und rauschte in Par-Salians Zimmer. Der weißgekleidete Magier schloß leise die Tür hinter ihr.

Ladonna hob die Hand und murmelte einige Worte. Verschiedene Gegenstände im Zimmer begannen in einem unheimlichen rötlichen Licht aufzuleuchten und ließen so erkennen, daß sie über magische Eigenschaften verfügten – unter anderem ein an der Wand lehnender Stab, ein Kristallprisma auf Par-Salians Schreibtisch, ein Armleuchter, ein riesiges Stundenglas und mehrere Ringe an den Fingern des alten Mannes. Dies schien Ladonna nicht zu beunruhigen, sie sah jeden Gegenstand einfach an und nickte. Als sie dann zufrieden war, nahm sie auf einem Stuhl neben seinem Schreibtisch Platz. Par-Salian betrachtete sie mit einem leichten Lächeln in seinem zerfurchten Gesicht.

»In den Ecken lauern keine Kreaturen aus dem Jenseits, Ladonna, das versichere ich dir«, sagte der alte Magier trocken. »Wenn ich dich von dieser Ebene verbannen wollte, hätte ich das schon vor langer Zeit tun können, meine Liebe.«

»Als wir jung waren?« Das eisengraue Haar Ladonnas, zu einem komplizierten Zopf geflochten, umrahmte ein Gesicht, dessen Schönheit durch die Linien des Alters noch betont wurde. »Das wäre in der Tat ein Wettkampf geworden, Großer.«

»Laß den Titel fallen, Ladonna«, sagte Par-Salian. »Dafür kennen wir uns schon zu lange.«

»Kennen uns lange und gut, Par-Salian«, sagte Ladonna mit einem Lächeln. »Recht gut«, murmelte sie, und ihre Augen wanderten zum Feuer.

»Würdest du zu unserer Jugend zurück wollen, Ladonna?« fragte Par-Salian.

Sie sah zu ihm auf und zuckte mit den Schultern: »Um Macht und Weisheit einzutauschen gegen was? Ich bin nicht gekommen, um alte Zeiten aufzufrischen, auch wenn sie noch so angenehm waren.« Sie räusperte sich, ihre Stimme wurde plötzlich streng und kalt. »Ich bin gekommen, um gegen diesen Wahnsinn Einspruch zu erheben.« Sie beugte sich vor, ihre dunklen Augen funkelten. »Selbst du kannst nicht so weichherzig oder so bescheuert sein, diesen dümmlichen Menschen zurück in die Zeit zu schicken, um Fistandantilus aufzuhalten. Denk an die Gefahr! Er könnte die Geschichte verändern! Wir könnten alle zu existieren aufhören!«

»Pah!« machte Par-Salian. »Die Zeit ist ein riesiger Strom, riesiger und breiter als jeder Fluß, den wir kennen. Wirf einen Kieselstein in das strömende Wasser – hört das Wasser plötzlich auf zu fließen? Beginnt es, rückwärts zu fließen? Natürlich nicht! Der Kieselstein bewirkt vielleicht ein paar Wellen auf der Oberfläche, aber dann versinkt er. Der Strom fließt weiter, so wie er es schon immer getan hat.«

»Was willst du damit sagen?« fragte Ladonna und musterte Par-Salian argwöhnisch.

»Daß Caramon und Crysania Kieselsteine sind, meine Liebe. Sie werden auf den Strom der Zeit keinen Einfluß nehmen. Sie sind Kieselsteine...«, wiederholte er.

»Dalamar sagt, wir würden Raistlin unterschätzen«, unterbrach ihn Ladonna. »Raistlin muß sich seines Erfolges recht sicher sein, sonst würde er dieses Risiko nicht auf sich nehmen. Er ist kein Narr, Par-Salian.«

»Er ist sich sicher, die nötige Magie zu erwerben. In dieser Hinsicht können wir ihn nicht aufhalten. Aber diese Magie ist ohne die Klerikerin bedeutungslos. Er braucht Crysania.« Der weißgekleidete Magier seufzte. »Und darum müssen wir sie zurück in die Zeit schicken.«

»Ich verstehe nicht...«

»Sie muß sterben, Ladonna!« knurrte Par-Salian. »Sie muß in eine Zeit zurückgeschickt werden, wenn alle Kleriker aus diesem Land verschwinden. Raistlin sagte, daß wir sie zurückschicken müssen. Wir hätten keine andere Wahl. Wie er selbst sagte – das ist der einzige Weg, seine Pläne zu durchkreuzen! Es ist seine größte Hoffnung und seine größte Angst. Er muß sie mit zum Tor nehmen, aber sie muß bereitwillig mitkommen! Darum plant er, ihren Glauben zu erschüttern, sie zu desillusionieren, aber nur soweit, daß sie mit ihm zusammenarbeitet.« Par-Salian winkte gereizt. »Wir verschwenden Zeit. Er bricht morgen früh auf. Wir müssen unverzüglich handeln.«

»Dann laß sie hier!« sagte Ladonna verächtlich. »Das ist doch wohl einfach genug.«

Par-Salian schüttelte den Kopf. »Er würde wegen ihr zurückkehren. Und – bis dahin wird er über die Magie verfügen. Er wird die Macht haben, das zu tun, wozu er sich entschließt.«

»Töte sie.«

»Das wurde versucht, und es mißlang. Außerdem, könntest selbst du mit deinen Künsten sie töten, solange sie unter Paladins Schutz steht?«

»Du willst sie also in ihren Tod schicken«, murmelte Ladonna, Par-Salian dabei erstaunt ansehend. »Deine weißen Roben werden mit Blut befleckt sein, alter Freund.«

Par-Salian legte die Hände auf den Tisch, sein Gesicht war vor Qual verzerrt. »Es macht mir keinen Spaß, verdammt! Aber verstehst du nicht die Position, in der ich mich befinde? Wer ist das Oberhaupt der Schwarzen Roben?«

»Ich«, erwiderte Ladonna.

»Wer ist das Oberhaupt, wenn er erfolgreich zurückkehrt?«

Ladonna runzelte die Stirn und antwortete nicht.

»Genau. Meine Tage sind gezählt, Ladonna. Ich weiß das. Oh«, er machte eine Handbewegung, »meine Kräfte sind immer noch groß. Vielleicht waren sie nie größer. Aber jeden Morgen, wenn ich wach werde, spüre ich Angst. Wird heute der Tag sein, an dem ich versage? Jedes Mal, wenn ich Mühe habe, mich an einen Zauberspruch zu erinnern, erbebe ich. Ich weiß, daß ich eines Tages nicht in der Lage sein werde, mich an die richtigen Worte zu erinnern.« Er schloß die Augen. »Ich bin müde, Ladonna, sehr müde. Ich möchte nichts lieber als in diesem Zimmer bleiben, in der Nähe des warmen Feuers, und in diesen Büchern das Wissen aufzeichnen, das ich im Laufe der Jahre erworben habe. Dennoch wage ich jetzt diesen Schritt nicht, denn ich weiß, wer meinen Platz einnehmen würde.« Der alte Magier seufzte. »Ich werde meinen Nachfolger aussuchen, Ladonna«, sagte er leise. »Ich will nicht, daß mir meine Position aus den Händen gerissen wird. Mein Einsatz in dieser Sache ist größer als eurer.«

»Vielleicht nicht«, sagte Ladonna, in die Flammen starrend. »Wenn er erfolgreich zurückkehrt, wird es keine Versammlung mehr geben. Wir werden alle seine Diener sein.« Ihre Hand ballte sich zur Faust. »Ich bin immer noch dagegen, Par-Salian! Die Gefahr ist zu groß! Laß sie hier bleiben, laß Raistlin lernen, was er von Fistandantilus lernen kann. Wir können mit ihm fertig werden, wenn er zurückkommt! Er ist natürlich mächtig, aber er wird Jahre brauchen, um die Künste zu beherrschen, die Fistandantilus kannte, bevor er starb. Wir können diese Zeit nutzen, um uns gegen ihn zu wappnen! Wir können...«

Im Schatten hinter Ladonna raschelte es. Sie zuckte zusammen und drehte sich um, ihre Hand schoß sofort zu einer verborgenen Tasche in ihren Roben.

»Immer langsam, Ladonna«, sagte eine milde Stimme. »Du brauchst deine Energien nicht für einen Abwehrzauber zu verschwenden. Ich bin keine Kreatur aus dem Jenseits, wie Par-Salian bereits festgestellt hat.« Die Gestalt trat in den Schein des Feuers, ihre roten Roben glänzten weich.

Ladonna setzte sich mit einem Seufzer zurück, aber in ihren Augen lag ein zorniges Funkeln, das einen Lehrling hätte zurückschrecken lassen. »Nein, Justarius«, sagte sie kühl, »du bist keine Kreatur aus dem Jenseits. Du hast es also geschafft, dich vor mir zu verbergen? Wie klug du geworden bist, Rote Robe.« Sie drehte sich in ihrem Stuhl um und musterte Par-Salian verächtlich. »Du wirst wirklich alt, mein Freund, falls du Hilfe nötig hast, um mit mir fertig zu werden.«

»Oh, ich bin sicher, Par-Salian ist genauso überrascht, mich hier zu sehen wie du, Ladonna«, erklärte Justarius. Er zog seine roten Roben um sich und ging langsam nach vorne, um sich auf einen Stuhl vor Par-Salians Schreibtisch zu setzen. Er hinkte, sein linker Fuß schleifte am Boden. Raistlin war nicht der einzige Magier, der bei den Prüfungen eine Verletzung davongetragen hatte. Justarius lächelte. »Obgleich der Große recht geschickt ist, seine Gefühle zu verbergen«, fuhr er fort.

»Ich war mir deiner bewußt«, entgegnete Par-Salian sanft. »Du solltest mich besser kennen, mein Freund.«

Justarius zuckte die Schultern. »Es spielt wirklich keine Rolle. Es interessierte mich zu hören, was du Ladonna sagen würdest...«

»Ich hätte dir das Gleiche gesagt.«

»Möglicherweise weniger, denn ich hätte nicht so argumentiert wie sie. Ich stimme mit dir überein, das habe ich von Anfang an. Denn wir beide kennen die Wahrheit, du und ich.«

»Welche Wahrheit?« wiederholte Ladonna. Ihr Blick ging von Justarius zu Par-Salian, ihre Augen waren vor Zorn aufgerissen.

»Du mußt es ihr zeigen«, sagte Justarius. »Sie wird sonst nicht zu überzeugen sein. Beweise ihr, wie groß die Gefahr ist.«

»Du wirst mir nichts zeigen!« sagte Ladonna mit bebender Stimme. »Ich würde nichts glauben, was ihr beide ausgeheckt habt...«

»Dann soll sie es selbst machen«, schlug Justarius schulterzuckend vor.

Par-Salian runzelte die Stirn, dann schob er mit finsterem Blick das Kristallprisma auf dem Schreibtisch in ihre Richtung. Er zeigte in eine Ecke. »Der Stab dort gehörte Fistandantilus, dem größten und mächtigsten Zauberer, der je gelebt hat. Sieh auf den Stab, Ladonna!«

Ladonna berührte zögernd das Prisma, ihr Blick ging argwöhnisch noch einmal von Par-Salian zu Justarius.

»Mach schon!« fuhr Par-Salian sie an. »Ich habe daran nicht herumgepfuscht.« Seine grauen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Du weißt, daß ich dich nicht anlügen kann, Ladonna.«

»Obgleich du andere anlügst«, sagte Justarius sanft.

Par-Salian warf dem rotgekleideten Magier einen wütenden Blick zu, gab aber keine Antwort.

Ladonna hob den Kristall mit plötzlicher Entschlossenheit in die Höhe. Sie führte ihn vor ihre Augen, sang Worte, die barsch klangen. Ein Regenbogen aus Licht strahlte von dem Prisma zu dem einfachen Holzstab hin, der in einer dunklen Ecke des Arbeitszimmers an der Wand lehnte. Der Regenbogen dehnte sich aus, als er aus dem Kristall hervorquoll, und verschmolz zu einem schimmernden Bild des Besitzers des Stabes.

Ladonna starrte das Bild lange Zeit an, dann ließ sie das Prisma sinken. Das Bild verschwand, das Regenbogenlicht erstarb. Ihr Gesicht war blaß.

»Nun, Ladonna«, fragte Par-Salian ruhig, »fahren wir fort?«

»Zeigt mir nun den Zeitreisezauber«, sagte sie.

Par-Salian machte eine ungeduldige Handbewegung. »Du weißt, daß das nicht möglich ist, Ladonna! Nur die Herren der Türme dürfen diesen Zauber kennen...«

»Du kannst die Zutaten und die Wörter vor meinem Blick verbergen, wenn du willst«, gab Ladonna kalt zurück, »aber ich verlange die erwarteten Ergebnisse zu sehen.« Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Verzeih mir, wenn ich dir nicht vertraue, alter Freund, so wie ich es früher getan hätte.«

Wütend erhob sich Par-Salian. Er griff unter seine Roben und holte einen silbernen Schlüssel hervor, den nur der Herr eines Turms benutzen durfte. Einst waren es fünf gewesen, jetzt waren es nur noch zwei. Als Par-Salian den Schlüssel von seiner Kette nahm und in eine mit Ornamenten geschnitzte Holzkommode steckte, die neben seinem Schreibtisch stand, fragten sich alle drei Magier stumm, ob Raistlin in diesem Augenblick das Gleiche mit dem Schlüssel tat, den er besaß, und vielleicht das gleiche, silbergebundene Zauberbuch hervorholte.

Par-Salian öffnete das Buch und murmelte die vorgeschriebenen Worte, die nur die Meister kennen. Wenn er das nicht getan hätte, wäre das Buch unter seiner Hand verschwunden. Als er die richtige Seite aufgeschlagen hatte, nahm er das Prisma, hielt es über die Seite und wiederholte die gleichen barschen, scharfen Worte, die Ladonna gesprochen hatte. Das Regenbogenlicht strömte vom Prisma auf die Seite und erleuchtete sie. Auf einen Befehl von Par-Salian strahlte das Licht auf die nackte Wand ihnen gegenüber.

»Sieh dort auf der Wand«, sagte Par-Salian, und sein Zorn war immer noch in seiner Stimme hörbar. »Lies die Beschreibung des Zaubers.«

Ladonna und Justarius drehten sich zur Wand, wo sie die Zauberbeschreibung lesen konnten.

»Die Fähigkeit, zurück in die Zeit zu reisen, haben Elfen, Menschen und Oger, da diese Rassen von den Göttern am Beginn der Zeit geschaffen wurden und somit in ihrem Fluß reisen. Der Zauber darf nicht von Zwergen, Gnomen und Kendern angewendet werden, da die Schöpfung dieser Rassen ein Unfall war, von den Göttern nicht vorhergesehen. (Hinweis auf Graustein von Gargath, siehe Anhang G.) Der Übertritt einer dieser Rassen in eine vergangene Zeit könnte ernsthafte Auswirkungen auf die Gegenwart haben, obgleich diese unbekannt sind.« (Als Anmerkung war in Par-Salians Handschrift bei den verbotenen Rassen das Wort »Drakonier« hinzugefügt.)

»Es gibt jedoch Gefahren, deren sich der Zauberer voll bewußt sein muß, bevor er den Zauber ausspricht. Wenn der Zauberer stirbt, während er sich zurück in der Zeit befindet, wird dies in der Zukunft nichts bewirken, denn es wird so sein, als ob der Zauberer in der Gegenwart gestorben wäre. Sein oder ihr Tod wird weder Auswirkungen auf die Vergangenheit oder Gegenwart noch auf die Zukunft haben, außer wie es sich normalerweise ausgewirkt hätte. Folglich verschwenden wir keine Macht auf irgendeine Art von Schutzzauber.

Der Zauberer wird nicht in der Lage sein, etwas zu verändern, das vorher geschehen ist. Das ist eine offensichtliche Vorsichtsmaßnahme. Somit ist dieser Zauber wirklich nur für Studienzwecke sinnvoll. Das war auch der Zweck, warum er entworfen wurde.« (In einer weiteren Anmerkung, dieses Mal in einer Handschrift, die viel älter als die Par-Salians war, war am Rande hinzugefügt: »Es ist nicht möglich, die Umwälzung zu verhüten. Das haben wir zu unserem großen Leid und unter schweren Opfern gelernt. Möge seine Seele bei Paladin ruhen.«)

»Das ist ihm also geschehen«, sagte Justarius. »Das war ein gut behütetes Geheimnis.«

»Sie waren Narren, es selbst zu versuchen«, sagte Par-Salian, »aber sie waren verzweifelt.«

»So wie wir«, fügte Ladonna bitter hinzu. »Nun, gibt es noch mehr zu lesen?«

»Ja, die nächste Seite«, erwiderte Par-Salian.

»Wenn der Zauberer nicht selbst reist, sondern einen anderen zurückschickt, sollte er oder sie den Reisenden mit einem Gerät ausrüsten, das nach Belieben aktiviert werden kann und so den Reisenden in seine eigene Zeit zurückbringt. Beschreibungen dieser Geräte und ihrer Herstellung sind auf der folgenden Seite zu finden...«

»Und so weiter«, sagte Par-Salian. Das Regenbogenlicht verschwand, wurde in der Hand des Magiers verschluckt, als Par-Salian seine Finger darüber legte. »Der Rest ist der Herstellung eines solchen Gerätes gewidmet. Ich habe ein uraltes. Ich werde es Caramon geben.«

Ladonna lächelte gequält, ihre Hände fuhren über ihre schwarzen Roben. Justarius schüttelte den Kopf. Par-Salian sank in seinen Stuhl zurück, sein Gesicht war kummervoll.

»Caramon wird es also allein benutzen«, sagte Justarius. »Ich verstehe, warum wir Crysania schicken, Par-Salian. Sie muß zurückgehen, um niemals zurückzukehren. Aber Caramon?«

»Caramon ist meine Erlösung«, sagte Par-Salian, ohne aufzusehen. Der alte Magier starrte auf seine Hände, die zitternd auf dem geöffneten Zauberbuch lagen. »Er begibt sich auf eine Reise, um eine Seele zu retten, wie ich ihm sagte. Aber es wird nicht die seines Bruders sein.« Er sah auf, seine Augen waren schmerzerfüllt. Sein Blick traf zuerst Justarius, dann Ladonna. Beide begegneten diesem Blick mit völligem Verstehen.

»Die Wahrheit könnte ihn zerstören«, sagte Justarius.

»Da ist wenig zum Zerstören, wenn du mich fragst«, bemerkte Ladonna kalt. Sie erhob sich. »Wenn du nur die Frau loswirst, kümmert es mich wenig, was du mit dem Mann machst, Par-Salian. Wenn du glaubst, es wird das Blut von deinen Roben waschen, dann hilf ihm auf alle Fälle.« Sie lächelte grimmig. »In gewissem Sinne finde ich das recht witzig. Vielleicht unterscheiden wir uns gar nicht mehr so sehr, mein Lieber?«

»Die Unterschiede sind da, Ladonna«, entgegnete Par-Salian und lächelte müde. »Es sind die scharfen, klaren Umrisse, die zu verschwimmen beginnen. Bedeutet das, daß die Schwarzen Roben meine Entscheidung akzeptieren?«

»Es scheint, wir haben keine Wahl«, sagte Ladonna. »Wenn du versagst...«

»Dann genieße meinen Niedergang«, sagte Par-Salian sarkastisch.

»Das werde ich«, antwortete die Frau, »um so mehr, als es wahrscheinlich das Letzte sein wird, was ich in diesem Leben genieße. Leb wohl, Par-Salian.«

»Leb wohl, Ladonna«, erwiderte er.

»Eine kluge Frau«, bemerkte Justarius, als sich die Tür hinter ihr schloß.

»Eine Rivalin, die deiner wert ist, mein Freund.« Par-Salian kehrte zu seinem Platz hinter dem Schreibtisch zurück. »Ich werde es mit Genuß beobachten, wie ihr beide um meine Stellung kämpft.«

»Ich hoffe aufrichtig, daß du die Gelegenheit dazu hast«, sagte Justarius. Seine Hand war an der Tür. »Wann willst du den Zauber ausführen?«

»Früh am Morgen«, antwortete Par-Salian mit schwerer Stimme. »Er nimmt tagelange Vorbereitungen in Anspruch. Ich habe bereits lange Stunden daran gearbeitet.«

»Wie sieht es mit Unterstützung aus?«

»Niemand, nicht einmal ein Lehrling. Ich werde zum Schluß erschöpft sein. Kümmere dich bitte um die Auflösung der Versammlung.«

»Gewiß. Und der Kender und die Gossenzwergin?«

»Bring die Gossenzwergin in ihre Heimat zurück. Was den Kender betrifft«, Par-Salian lächelte, »so kannst du ihn hinschicken, wohin er möchte – abgesehen von den Monden natürlich. Was Schätze angeht, bin ich mir sicher, daß er sich eine ausreichende Menge aneignet, bevor er aufbricht. Überprüfe unauffällig seine Beutel, aber wenn es nichts Wichtiges ist, laß ihn behalten, was er findet.«

Justarius nickte. »Und Dalamar?«

»Der Dunkelelf dürfte bereits aufgebrochen sein. Er wird seinen Meister nicht warten lassen wollen.« Par-Salians Finger trommelten auf den Schreibtisch, seine Stirn furchte sich. »Es ist ein seltsamer Charme, über den Raistlin verfügt! Ich spürte ihn auch und kann nicht verstehen...«

»Vielleicht kann ich es«, unterbrach ihn Justarius. »Wir wurden alle in unserem Leben einmal ausgelacht. Wir sind alle auf Geschwister eifersüchtig gewesen. Wir haben Schmerzen gespürt und gelitten, so wie er. Und wir haben uns alle nach der Macht gesehnt, um unsere Feinde zu zerschmettern! Wir bemitleiden ihn. Wir hassen ihn. Wir fürchten ihn – alles, weil ein wenig von ihm in jedem von uns steckt, obgleich wir uns das selbst nur in tiefer Nacht eingestehen.«

»Wenn wir uns das überhaupt eingestehen. Diese elende Klerikerin! Warum mußte sie darein verwickelt werden?« Par-Salian umklammerte seinen Kopf mit zitternden Händen.

»Leb wohl, mein Freund«, sagte Justarius. »Ich werde vor dem Laboratorium warten, falls du Hilfe brauchen solltest, wenn alles vorbei ist.«

»Ich danke dir«, flüsterte Par-Salian.

Justarius humpelte aus dem Arbeitszimmer. Er schloß jedoch die Tür zu hastig, so daß der Saum seiner roten Roben hängen blieb und er gezwungen war, die Tür wieder zu öffnen, um sich zu befreien. Als er sie erneut schloß, hörte er Par-Salian weinen.

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