25. Kapitel

»Nein«, sagte Harris. »Wenn man Erholung und Abwechslung sucht, gibt es nichts Besseres als eine Bootsfahrt.«

»Drei Mann in einem Boot«

Jerome K. Jerome


Zurück im Turm • Das Faß Sherry • In der Spülküche, der Küche, im Stall und noch mehr Probleme • Jane weiß von überhaupt nichts • Der Gefangene von Zelda • Eine Ohnmacht, doch diesmal nicht von Mrs. Mering • Terence und sein neues Verständnis für Poesie • Eine letzte Ohnmacht, die Mobiliar in Mitleidenschaft zieht • Eine noch größere Überraschung


Aller guten Dinge sind nicht immer drei. Das Netz schimmerte, und wieder wurde es stockfinster um uns herum. Das Dröhnen war verschwunden, doch es roch immer noch stark nach Rauch. Außerdem war es mindestens zwanzig Grad kälter. Ich löste einen Arm von Verity und fühlte vorsichtig seitwärts. Meine Hand traf auf Stein.

»Beweg dich nicht«, sagte ich. »Ich weiß, wo wir sind. Hier war ich schon mal. Es ist der Glockenturm der Kathedrale. Im Jahre 1395.«

»Blödsinn«, sagte Verity und schickte sich an, die Stufen hochzusteigen. »Es ist der Weinkeller von Merings.«

Sie öffnete die Tür, die zwei Stufen höher lag, einen Spalt, und Licht fiel herein, enthüllte eine hölzerne Treppe und Regale, gefüllt mit von Spinnweben bedeckten Flaschen.

»Es ist Tag«, flüsterte Verity. Sie öffnete die Tür etwas weiter und streckte den Kopf durch den Spalt, nach beiden Seiten Ausschau haltend. »Dieser Gang führt zur Küche. Hoffen wir mal, daß es immer noch der sechzehnte ist.«

»Hoffen wir mal, daß es immer noch 1888 ist«, sagte ich.

Sie spähte noch einmal hinaus. »Was sollen wir deiner Meinung nach tun? Zum Pavillon gehen, wo das Netz ist?«

Ich schüttelte den Kopf. »Keiner kann wissen, wo wir dann enden. Oder ob wir überhaupt von hier wegkommen.« Ich betrachtete ihr zerrissenes, rußgestreiftes Kleid. »Du mußt aus diesen Klamotten raus. Besonders aus dem Regenmantel aus dem Jahr 2057. Gib ihn mir.«

Sie wand sich heraus.

»Meinst du, du kannst dein Zimmer erreichen, ohne daß dich jemand sieht?«

Sie nickte. »Ich benutze die Hintertreppe.«

»Ich versuche, herauszufinden, welches Datum wir haben. Wir treffen uns in einer Viertelstunde in der Bibliothek, dann machen wir gemeinsam weiter.«

Verity gab mir den Regenmantel. »Und wenn wir bereits eine Woche fort waren? Oder einen Monat? Oder fünf Jahre?«

»Dann behaupten wir, wir seien auf der Anderen Seite gewesen«, sagte ich, aber sie lachte nicht, sondern fragte beklommen: »Und wenn Tossie und Terence bereits verheiratet sind?«

»Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte ich. »Hoffe ich jedenfalls.«

Sie lächelte mich an, eines jener herzbewegenden Lächeln, gegen die mich auch noch so viel Erholung nicht immun machen würde. »Danke, daß du mich gefunden hast«, sagte sie.

»Stets zu Diensten, Miss«, erwiderte ich. »Geh und zieh dir was Sauberes an.«

Sie nickte. »Warte hier nur ein paar Minuten, damit wir nicht zusammen gesehen werden.«

Sie öffnete die Tür und schlüpfte schnell hinaus, und mir fiel plötzlich ein, was ich ihr unbedingt hatte sagen wollen und weshalb ich den ganzen Weg ins vierzehnte Jahrhundert und zurück hinter mich gebracht hatte.

»Ich weiß jetzt übrigens, warum Tossies Tagebuch…«

Aber sie war bereits im Korridor verschwunden und dabei, die Treppe hinaufzusteigen.

Ich zog den Overall aus, der mein Jackett und meine Hosen ziemlich gut geschützt hatte, aber meine Hände — und wahrscheinlich auch mein Gesicht — waren verdreckt von Ruß und Staub. Ich wischte sie am Overall ab. Schade, daß es in Weinkellern keine Spiegel gab! Dann rollte ich den Overall mitsamt dem Regenmantel zusammen und stopfte das Bündel hinter ein Rotweinregal, bevor ich vorsichtig aus der Tür schaute und auf den Gang hinaustrat. Von den fünf Türen, die ich sah, führte eine ins Freie, aber welche? Die letzte Tür war grün gefriest, führte also in den Wohnbereich des Hauses. Ich öffnete die erste Tür.

Es war die Spülküche. Stapel schmutziger Teller, Berge von Töpfen, eine Reihe ungeputzter Schuhe, wie bei Aschenputtel. Daß die Schuhe dort standen, mußte eigentlich bedeuten, daß ich mich zeitlich irgendwo zwischen Schlafengehen und der Stunde, wo die Familie aufstand, befinden mußte, was insofern günstig war, als daß Verity auf ihrem Weg nach oben nicht zufällig mit jemand zusammentreffen würde, aber bei näherer Überlegung ergab der Gedanke keinen Sinn. In jener ersten Nacht im Hause der Merings, als ich Cyril heimlich in den Stall zurückbrachte, war ich beinahe auf Baine geprallt, der die polierten Schuhe vor die Türen gestellt hatte, und damals war es draußen noch dunkel gewesen. Und er hatte sie nicht eingesammelt, bevor nicht jedermann zu Bett gegangen war. Aber jetzt war es Morgen. Helles Sonnenlicht fiel durchs Fenster auf die Töpfe und Pfannen.

Nirgends sah ich eine Zeitung oder etwas, das mir Auskunft über das Datum hätte geben können. Einer der Töpfe hatte einen spiegelblanken Kupferboden, und ich betrachtete mich darin. Meine Wange zierte ein großer Fleck Ruß, ebenso meinen Schnurrbart. Ich zog mein Taschentuch heraus, spuckte drauf und rieb damit mein Gesicht ab, glättete mein Haar und ging auf den Korridor zurück. Wenn das die Spülküche ist, überlegte ich, muß die nächste Tür zur Küche führen und die Tür danach ins Freie.

Falsch. Es war die Küche, und Jane und die Köchin, die miteinander flüsternd in der Ecke standen, fuhren schuldbewußt auseinander. Die Köchin ging zu einem schwarzen Ungetüm von Ofen, wo sie heftig zu rühren begann, und Jane spießte eine Scheibe Brot auf die Toastgabel und hielt sie übers Feuer.

»Wo ist Baine?« fragte ich.

Jane machte einen Satz. Das Brot fiel von der Gabel und ins Feuer, wo es knisternd aufloderte.

»Was?« Sie hielt die Toastgabel wie ein Rapier hoch.

»Baine«, wiederholte ich. »Ich muß ihn sprechen. Ist er im Frühstückszimmer?«

»Nein«, entgegnete sie ängstlich. »Ich schwör’s bei der Heiligen Jungfrau, Sorrr, ich weiß nicht, wo er steckt. Er hat uns nichts gesagt. Die Herrin wird uns doch nicht entlassen, oder was meinen Sie?«

»Entlassen?« fragte ich verdutzt. »Warum? Haben Sie was angestellt?«

»Nein. Aber sie wird sagen, daß wir es gewußt haben müssen, bei dem ganzen Geschwätz im Dienstbotenraum und so.« Sie schwenkte die Gabel, wie um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Meiner Schwester Margaret ist es so gegangen, nachdem der junge Mr. Val mit Rose, dem Spülmädchen auf und davon ist. Mrs. Abbott schmiß alle raus.«

Ich nahm ihr die Toastgabel ab. »Worüber Bescheid gewußt haben?«

»Hätt’ ich im Traum nicht gedacht«, sagte die Köchin vom Ofen her. »Immer dieses feine Gehabe und die Dienstboten scheuchen. Da sieht man’s wieder.«

Das Gespräch führte irgendwie zu nichts, und mir wurde die Zeit knapp. Ich entschied mich zum Frontalangriff. »Wie spät ist es?« fragte ich.

Jane schaute wieder völlig verschreckt.

»Neun Uhr«, sagte die Köchin, indem sie eine Uhr zu Rate zog, die an ihrer Bluse befestigt war.

»Neun Uhr, und ich muß reingehen und es ihnen sagen!« Jane brach in Tränen aus. »Er sagte, ich solle stille damit sein, bis die Morgenpost käme, damit sie genügend Zeit hätten, und die Post kommt immer um neun.« Sie wischte sich die Augen mit dem Schürzenbändel und richtete sich auf, wie um sich zu wappnen. »Ich geh’ am besten hoch und seh’ nach.«

Ich wollte beinahe fragen: »Still womit sein?«, fürchtete aber, damit nur eine weitere Runde Tränen und unzusammenhängendes Gestammel zu erzeugen. Ganz davon abgesehen, was die Frage: »Welcher Tag ist heute?« nach sich ziehen mochte. »Sagen Sie Baine, er soll mir die Times von heute bringen. Ich bin der Bibliothek«, sagte ich und ging hinaus.

Wenigstens war es Sommer und, bei näherer Betrachtung, Juni. Die Rosen standen noch in voller Blüte, und die Peonien, vom Schicksal bestimmt, unzähligen Federhalterwischern als Vorlage zu dienen, kamen gerade erst heraus, genau wie Colonel Mering, der einen Sack zum Fischteich schleppte. So vergeßlich und mit seinem Goldfisch beschäftigt er wahrscheinlich auch war, ein Zusammentreffen mit ihm wünschte ich mir doch nicht, solange ich nicht wußte, wieviel Zeit verstrichen war. So schlich ich ums Haus zum Stall, um ihn durch das Seitentürchen zu durchqueren und so zu Veranda und dem Wohnzimmer zu gelangen. Ich schlüpfte hinein und fiel beinahe über Cyril. Er lag auf dem Berg Sackleinen, das Kinn auf den Pfoten.

»Du weißt nicht zufällig, wie spät es ist?« fragte ich. »Oder das Datum?«

Seine Reaktion war ein weiteres Anzeichen dafür, daß etwas nicht stimmte. Er stand nicht auf. Er hob nur den Kopf, blickte mich mit einer Miene wie der des Gefangenen von Zelda[78] an, und senkte ihn wieder.

»Cyril, was hast du? Stimmt was nicht?« Ich griff nach seinem Halsband. »Bist du krank?« Da sah ich die Kette.

»Gott im Himmel«, sagte ich. »Terence hat sie doch nicht etwa geheiratet?«

Cyril schaute mich weiter trostlos an. Ich löste die Kette. »Komm mit, Cyril«, sagte ich. »Wir werden die Sache klären.«

Er torkelte hoch und folgte mir gottergeben, als ich aus dem Stall und ums Haus herum zur Vordertür ging, um Terence zu finden. Schließlich entdeckte ich ihn unten am Anlegesteg der Merings, wo er im Boot hockte und aufs Wasser starrte, den Kopf beinahe so tief hängend wie Cyril, als er zurückgelassen worden war, um das Boot zu bewachen.

»Was machst du hier?«

Apathisch schaute er hoch. »›Ein Riß durchfuhr den Spiegel quer‹«, sagte er. »›Fort flog das Netz, trieb weit umher‹«, was die Sache auch nicht klarer machte.

»Cyril war im Stall angekettet«, sagte ich.

»Ich weiß.« Terence starrte weiter auf den Fluß. »Mrs. Mering erwischte mich, als ich ihn letzte Nacht in mein Zimmer schaffen wollte.«

Also war mindestens ein ganzer Tag und eine Nacht vergangen, und ich dachte mir besser rasch eine Erklärung für meine Abwesenheit aus, bevor mich Terence fragte, wo ich gewesen sei. Doch er fuhr nur fort, aufs Wasser zu starren. »Er hatte nämlich recht. Damit, wie es zuschlägt.«

»Wie was zuschlägt?«

»Das Schicksal«, sagte Terence bitter.

»Cyril war angekettet«, wiederholte ich.

»Daran wird er sich gewöhnen müssen.« Terences Stimme klang teilnahmslos. »Tossie duldet keine Tiere im Haus.«

»Tiere?« fragte ich. »Wir reden hier über Cyril. Und was ist mit Prinzessin Arjumand? Sie schläft im Bett.«

»Ich frage mich, wie sie an jenem Morgen erwachte, glücklich wie eine Lerche und keine Ahnung, daß ihr Schicksal bereits besiegelt war.«

»Wer? Prinzessin Arjumand?«

»Ich hätte nämlich keine Ahnung, auch nicht, als wir in den Bahnhof einfuhren. Professor Peddick erzählte von Alexander dem Großen und der Schlacht von Issus, irgendwas über den entscheidenden Moment, und trotzdem hatte ich keine Ahnung.«

»Du hast Professor Peddick doch nach Oxford zurückgebracht?« fragte ich, plötzlich besorgt. »Oder ist er irgendwo aus dem Zug geklettert, um nach Fischgründen zu suchen?«

»Nein«, erwiderte Terence. »Ich habe ihn in die Arme seiner Lieben abgeliefert. In die Arme seiner Lieben!« wiederholte er gequält. »Und eben noch rechtzeitig. Professor Overforce brachte gerade seine Grabrede vorbei.«

»Wie reagierte er?«

»Er fiel in Ohnmacht«, sagte Terence, »und als er wieder zu sich kam, warf er sich Professor Peddick zu Füßen, stammelte so etwas wie, daß er es sich nie verziehen hätte, wenn Professor Peddick ertrunken wäre, und daß er seinen Fehler einsähe, daß Professor Peddick recht damit habe, daß eine einzige gedankenlose Handlung den Lauf der Geschichte ändern könne und daß er, Professor Overforce, vorhabe, schnurstracks nach Hause zu gehen und Darwin zu verbieten, weiterhin von Bäumen herabzuspringen. Und gestern verkündete er, daß er seine Kandidatur für den Haviland-Lehrstuhl zugunsten Professor Peddicks zurückziehe.«

»Gestern?« fragte ich. »Wann hast du Professor Peddick nach Oxford gebracht? Vorgestern?«

»Gestern?« überlegte Terence. »Oder war es vor Äonen? Oder vor einem kurzen Moment? ›Und im Nu, in einem winz’gen Augenblick, sind wir nicht mehr die, die wir gewesen.‹[79] Da sitzt eine Person auf einer Insel, webt so vor sich hin und — bauz — im nächsten Moment weiß sie, daß… Ich habe die ganze Poesie vorher nicht richtig verstanden. Ich dachte immer, das wäre nur so dahingesagt.«

»Was?«

»Poesie. Das ganze Gerede, daß man aus Liebe sterben möchte. Und Spiegel, die zerspringen. Aber sie tun es wirklich. Quer rüber.« Bedrückt schüttelte er den Kopf. »Ich habe nie verstanden, warum sie nicht einfach nach Camelot ruderte und Lancelot sagte, daß sie ihn liebte.« Sein umflorter Blick richtete sich wieder aufs Wasser. »Na ja, jetzt weiß ich es. Er war bereits mit Guinevere verlobt.«

Nun, nicht richtig verlobt, da Guinevere bereits mit König Artur verheiratet war. Außerdem gab es Wichtigeres zu besprechen.

»Cyril ist zu sensibel. Er verkraftet das Anketten nicht«, sagte ich.

»Wir liegen alle, alle in Ketten. Gebunden, hilflos und tobend, in den diamantenen Ketten des Schicksals. Schicksal!« Seine Stimme war bitter. »Oh, elendes Schicksal, das uns zu spät zusammentreffen ließ! Ich dachte, sie sei eine von diesen schrecklich modernen Mädchen in Knickerbockers, ein Blaustrumpf halt. Er sagte mir, ich würde sie mögen. Mögen!«

»Maud!« Endlich dämmerte es mir. »Du hast Professor Peddicks Nichte Maud getroffen!«

»Da stand sie, auf dem Bahnsteig in Oxford. ›Liebt ich wohl je? Nein, schwör es ab, Gesicht! Du sahst bis jetzt noch wahre Schönheit nicht!‹«[80]

»Der Bahnsteig«, sagte ich nachdenklich. »Du hast sie auf dem Bahnsteig in Oxford getroffen. Das ist doch wunderbar!«

»Wunderbar!« fragte er erbittert. »›Zu spät begann ich dich zu lieben, o Schönheit, ewig alt und immer jung!‹[81] Ich bin mit Miss Mering verlobt.«

»Aber kannst du die Verlobung nicht lösen? Miss Mering wird dich bestimmt nicht heiraten wollen, wenn sie weiß, daß du Maud Peddick liebst.«

»Ich bin nicht frei, irgend jemanden anderen zu lieben. Ich habe meine Liebe an Miss Mering gebunden, als ich ihr mein Wort gab, und Miss Peddick wird eine Liebe ohne Ehre nicht wollen, eine Liebe, die ich bereits einer anderen versprochen habe. Oh, wenn ich doch bloß Miss Peddick an jenem Tag in Oxford getroffen hätte, wie anders wäre…«

»Mr. Henry, Sorrr!« Jane kam auf uns zugeeilt, das Häubchen verrutscht, daß sich ihre roten Haare lösten. »Haben Sie Colonel Mering gesehen?«

O nein, dachte ich. Verity ist auf ihrem Weg die Treppe hoch Mrs. Mering in die Arme gelaufen. »Was ist passiert?« fragte ich.

»Ich muß zuerst Colonel Mering finden«, sagte Jane. »Er hat gesagt, ich soll es dem Colonel zuerst geben, beim Frühstück, aber er war nicht dort, und die Post ist da und alles…«

»Ich sah den Colonel zum Fischteich gehen«, sagte ich. »Ihm was geben? Was ist geschehen?«

»O Sorrr, Mr. Henry. Sie beide gehen am besten ins Haus«, erwiderte Jane gequält. »Sie sind im Wohnzimmer.«

»Wer? Ist Verity da? Was ist geschehen?« fragte ich wieder, aber sie hatte bereits mit wehenden Röcken zu einem Spurt zum Fischteich angesetzt.

»Terence!« sagte ich eindringlich. »Welcher Tag ist heute?«

»Ist das noch wichtig?« fragte Terence. »›Morgen und morgen und dann wieder morgen, kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag, und alle unsre Gestern führten Narr’n den Pfad des stäub’gen Todes!‹[82] Narren!«

»Es ist wichtig!« Ich zerrte ihn auf die Füße hoch. »Das Datum, Menschenskind!«

»Montag«, antwortete er. »Der achtzehnte Juni.«

O Gott, wir waren drei Tage fort gewesen! Ich rannte zum Haus, Cyril mir dicht hinterdrein.

»›Der Fluch hat uns ereilt‹«, zitierte Terence, »›rief das Fräulein von Shalott.‹«

Ich hörte Mrs. Merings Stimme schon, bevor wir an der Eingangstür waren. »Dein Verhalten ist wirklich unentschuldbar, Verity. Ich hätte nie gedacht, daß die Tochter meiner Cousine so selbstsüchtig und gedankenlos handeln würde.«

Sie wußte, daß wir drei Tage fort gewesen waren und die arme Verity nicht! Ich schlitterte den Korridor entlang auf das Wohnzimmer zu, Cyril mir direkt auf den Fersen. Ich mußte Verity informieren, ehe sie den Mund aufmachte.

»Die ganze Krankenpflege mußte ich allein übernehmen!« sagte Mrs. Mering. »Ich bin vollkommen erschöpft. Drei Tage und Nächte in diesem Krankenzimmer und nicht eine einzige Minute zum Ausruhen.«

Meine Hand lag auf dem Türknauf, doch ich hielt inne. Drei Tage und drei Nächte in einem Krankenzimmer? Dann wußte sie vielleicht gar nichts, sondern schimpfte nur mit Verity, weil sie ihr nicht geholfen hatte? Doch wer war krank? Tossie? In jener Nacht, als wir von Coventry heimkamen, hatte sie bleich und fahl ausgesehen.

Ich preßte das Ohr an die Tür und horchte in der Hoffnung, daß das Lauschen diesmal ergebnisreicher sein würde als üblich.

»Du hättest wenigstens anbieten können, für ein paar Minuten bei dem Patienten zu bleiben«, sagte Mrs. Mering.

»Es tut mir so leid, Tante«, erwiderte Verity. »Ich dachte, Sie hätten Angst vor Infektionen.«

Warum bloß konnten die Leute nie sagen, über wen oder was sie sprachen und damit dem Lauscher eine Chance geben? Patient? Infektionen? Nicht sehr aufschlußreich.

»Außerdem dachte ich, er würde darauf bestehen, daß Sie, Tante Malvinia, und Tossie ihn pflegen«, sagte Verity.

Ihn? War Mr. C aufgetaucht und schlagartig erkrankt? Und hatte er sich sofort in seine Pflegerin Tossie verliebt?

»Ich würde Tossie nie im Traum erlauben, das Krankenzimmer zu betreten«, sagte Mrs. Mering. »Sie ist ein so zartes Mädchen.«

Ich sah, wie Terence am Ende des Korridors die Eingangstür öffnete. Es blieb mir nichts anderes übrig — ich mußte ins Wohnzimmer, ob mit oder ohne Informationen. Ich schaute auf Cyril hinunter. Mrs. Mering würde zweifelsohne wissen wollen, was er im Haus suchte. Unter den gegebenen Umständen gab das eine ganz willkommene Abwechslung.

»Tocelyn ist viel zu zart gebaut. Sie eignet sich nicht zur Krankenpflege«, sagte Mrs. Mering gerade. »Und der Anblick ihres armen kranken Vaters würde sie viel zu sehr aufregen.«

Ihres armen kranken Vaters! Also war Colonel Mering der Kranke. Wieso aber ging er dann zum Fischteich? Ich öffnete die Tür.

»Ich dachte, du würdest mehr Anteilnahme für deinen armen Onkel an den Tag legen«, sagte Mrs. Mering. »Ich bin fürchterlich enttäuscht von…«

»Guten Morgen«, sagte ich. Verity schaute mich dankbar an.

»Und wie geht’s Colonel Mering heute morgen?« fragte ich. »Besser, glaube ich. Ich sah ihn gerade draußen.«

»Draußen?« Mrs. Mering preßte die Hände an den Busen. »Er sollte doch auf keinen Fall aufstehen. Er wird sich den Tod holen. Mr. St. Trewes«, sagte sie zu Terence, der gerade hereingekommen war und wie ein armer Sünder neben der Tür stand. »Stimmt das? Ist mein Mann wirklich draußen? Sie müssen ihn sofort holen.«

Pflichtbewußt wandte sich Terence zum Gehen.

»Wo ist Tossie?« fragte Mrs. Mering verdrießlich. »Warum ist sie noch nicht heruntergekommen? Verity, sag Jane, sie soll Tossie holen.«

Terence erschien wieder, gefolgt von Jane und dem Colonel.

»Mesiel!« rief Mrs. Mering. »Was hat das zu bedeuten? Was wolltest du draußen? Du bist todkrank.«

»Mußte zum Fischteich«, sagte der Colonel und räusperte sich. »Nach dem Rechten sehen. Kann doch meine Goldfische nicht einfach unbeaufsichtigt dort draußen lassen, wo diese Katze überall herumlungert. Bin auf dem Rückweg von diesem närrischen Mädchen — kann mir den Namen nicht merken — das Stubenmädchen…«

»Colleen«, erwiderte Verity ohne nachzudenken.

»Jane.« Mrs. Mering warf ihr einen scharfen Blick zu.

»Sagte mir, ich solle auf der Stelle ins Haus kommen«, fuhr Colonel Mering fort. »Stellte sich fürchterlich an. Was soll das alles?«

Er wandte sich Jane zu, die schluckte, einen tiefen, schluchzenden Atemzug von sich gab und dann auf einem Silbertablett ein Briefkuvert präsentierte.

»Die Post, Sorrr«, sagte sie.

»Warum bringt Baine sie nicht?« wollte Mrs. Mering wissen. Sie nahm den Brief vom Präsentierteller. »Sicher von Madame Iritosky«, sagte sie und öffnete das Kuvert. »Die Erklärung, warum sie so plötzlich abreisen mußte.« Sie wandte sich an Jane. »Sagen Sie Baine, er soll zu uns kommen. Und Tossie, daß sie aufstehen soll. Sie wird diesen Brief hören wollen.«

»Ja, Ma’am.« Jane floh aus dem Zimmer.

»Ich hoffe nur, daß sie ihre Adresse beigelegt hat«, meinte Mrs. Mering und entfaltete mehrere dicht beschriebene Blätter, »damit ich ihr schreiben und unsere Erfahrung mit den Geistern in Coventry mitteilen kann.« Sie runzelte die Stirn. »Aber — das ist ja gar nicht von Madame…« Sie brach ab und las schweigend weiter.

»Von wem ist der Brief, meine Liebe?« fragte der Colonel.

»Oh«, sagte Mrs. Mering und wurde ohnmächtig.

Diesmal war es eine echte Ohnmacht. Mrs. Mering krachte auf die Anrichte, köpfte die eingetopfte Palme, zerbrach die Glaskuppel über dem Federarrangement und endete mit dem Kopf auf dem samtenen Fußschemel. Die Briefseiten flatterten um sie herum.

Terence und ich tauchten nach ihr. »Baine!« donnerte der Colonel, an der Klingelschnur reißend. »Baine!« Verity schob Mrs. Mering ein Kissen unter den Kopf und fächelte ihr mit dem Brief Luft zu.

»Baine!« brüllte der Colonel.

Jane erschien an der Tür, das Gesicht angsterfüllt.

»Sagen Sie Baine, er soll sofort kommen«, schrie der Colonel.

»Ich kann nicht, Sorrr.« Jane wrang ihre Schürze.

»Warum nicht?« blaffte er, und sie wich vor ihm zurück.

»Er ist fort, Sorrr.«

»Was meinen Sie damit — ›fort‹?« wollte Colonel Mering wissen. »Fort wohin?«

Sie verwurstelte ihre Schürze zu einem festen Knoten. »Der Brief«, sagte sie und wrang die Knotenenden.

»Was meinen Sie damit? Ist er zum Postamt? Nun, auf, holen Sie ihn!« Er scheuchte das Mädchen aus dem Zimmer. »Verdammte Madame Iritosky! Macht meine Frau verrückt, obwohl sie gar nicht hier ist! Verdammter spiritistischer Unfug!«

»Unsere Tochter«, sagte Mrs. Mering, deren Augenlider flatterten. Sie richtete den Blick auf den Brief, mit dem Verity fächelte. »Oh, der Brief! Der schicksalhafte Brief…« Und wieder war sie weg.

Jane kam mit dem Riechsalz ins Zimmer gerannt.

»Wo, zum Teufel, ist Baine?« polterte der Colonel. »Haben Sie ihn nicht geholt? Und holen Sie augenblicklich Tossie. Ihre Mutter braucht sie.«

Jane setzte sich auf den vergoldeten Stuhl, warf sich die Schürze über den Kopf und fing zu weinen an.

»Na, na«, brummte der Colonel, »was soll das? Stehen Sie auf, Mädchen.«

»Verity!« Kraftlos griff Mrs. Mering nach Veritys Arm. »Der Brief. Lies ihn vor. Ich kann es nicht…«

Folgsam hörte Verity mit dem Fächeln auf und hielt den Brief hoch. »›Liebster Papa, allerbeste Mami‹«, las sie mit einem Gesicht, als würdesie gleich ohnmächtig werden. Ich machte einen Schritt auf sie zu, aber sie wehrte mit einem wortlosen Kopfschütteln ab und las weiter. »›Liebster Papa, allerbeste Mami, wenn Ihr diesen Brief lest, bin ich bereits eine verheiratete Frau.‹«

»Verheiratet?« fragte Colonel Mering. »Was meint sie damit — verheiratet?«

»›… und ich werde glücklicher sein als ich jemals war oder erhofft hatte, zu werden.‹« Verity las weiter. »›Es tut mir furchtbar leid, Euch auf diese Weise verlassen zu müssen, besonders Papa, der so krank ist, aber ich befürchtete, daß Ihr, wenn Ihr von unserem Vorhaben erfahren hättet, mir verboten hättet zu heiraten, und ich weiß, daß Ihr, wenn Ihr Baine erst einmal so gut kennengelernt habt wie ich…‹« Verity versagte die Stimme. Als sie fortfuhr, war ihr Gesicht kreidebleich. »›… daß Ihr ihn dann nicht mehr als Dienstboten seht, sondern als den liebsten, besten und freundlichsten Mann auf der Welt und daß Ihr uns beiden vergeben werdet.‹«

»Baine?« fragte Colonel Mering verständnislos.

»Baine«, stöhnte Verity. Sie ließ den Brief sinken und schaute mich kopfschüttelnd und verzweifelt an. »Nein. Das kann sie doch nicht getan haben!«

»Sie ist mit dem Butler durchgebrannt?« fragte Terence.

»Oh, Mr. St. Trewes, Sie armer Junge!« Mrs. Mering verkrampfte die Hände überm Busen. »Sie müssen am Boden zerstört sein!«

Er sah nicht danach aus. Sein Blick war leer und hatte jenen unbestimmten Ausdruck, den Soldaten bekommen, wenn sie gerade ein Bein verloren haben oder gesagt worden war, daß sie nach Hause fahren können, und es noch nicht ganz begriffen haben.

»Baine?« Colonel Mering warf Jane einen finsteren Blick zu. »Wie konnte so was passieren?«

»Lies weiter, Verity«, sagte Mrs. Mering. »Wir müssen uns dem Schlimmsten stellen.«

»Dem Schlimmsten«, murmelte Verity und nahm den Brief. »›Ohne Zweifel seid Ihr neugierig zu erfahren, wie das alles so schnell gekommen ist.‹«

Neugierig war noch milde ausgedrückt.

»›Alles begann mit unserem Ausflug nach Coventry.‹« Verity versagte die Stimme, und Mrs. Mering entriß ihr ungeduldig den Brief. »›… unserem Ausflug nach Coventry‹«, las sie weiter, »›ein Ausflug, von dem ich jetzt weiß, daß die Geister uns geleitet haben, damit ich meine wahre Liebe finde.‹ Lady Godiva! Sie ist für das alles verantwortlich! ›Als wir dort waren, bewunderte ich eine Urne, die auf einem schmiedeeisernen Pfosten stand und die, wie ich jetzt weiß, eine grauenhafte Geschmacklosigkeit ist und jede Klarheit in Form und Gestaltung vermissen läßt, aber ich war nie richtig über künstlerische Feinheiten oder über Poesie und Literatur unterrichtet worden und deshalb nur ein unwissendes, verzogenes, gedankenloses Mädchen.

Ich fragte Baine, denn ich denke immer noch so an ihn, obwohl ich lernen muß, ihn William zu nennen, meinen geliebten Ehemann! Wie süß ist der Klang dieses kostbaren Wortes! Ich forderte ihn auf, in meinen Lobpreis dieser Urne einzustimmen, aber er tat es nicht. Nicht nur das — er nannte sie scheußlich und sagte mir, daß ich keinen Geschmack besäße, wenn mir so etwas gefiele.

Niemals zuvor hatte mir jemand widersprochen. Immer hatten mich alle in meinen Ansichten unterstützt und allem, was ich sagte zugestimmt, außer Cousine Verity, die mich ein paarmal verbesserte, aber ich dachte, sie sei einfach neidisch, weil sie unverheiratet und ohne Aussichten auf einen Ehemann ist. Ich versuchte, ihr zu helfen, indem ich vorschlug, ihr Haar vorteilhafter zu frisieren, aber mehr konnte ich für sie nicht tun, das arme Ding.‹«

»So was nennt man alle Brücken hinter sich abreißen«, murmelte ich.

»›Vielleicht fällt sie jetzt, wo ich verheiratet bin, Mr. Henry auf‹«, las Mrs. Mering. »›Ich wollte ihn für sie interessieren, aber ach je, er hatte ja nur Augen für mich. Sie würden ein gutes Paar abgeben, nicht klug und auch nicht gutaussehend, aber zusammen passend.‹«

»Alle Brücken«, murmelte ich.

»›Ich war es nicht gewohnt, daß mir jemand widersprach, und zuerst war ich wütend, aber als Du auf dem Heimweg in Ohnmacht fielst, liebe Mama, und ich Baine holen ging, da war er so stark und umsichtig und hilfreich, daß ich ihn mit anderen Augen ansah und mich Hals über Kopf in ihn verliebte, dort im Eisenbahnabteil.‹«

»Es ist meine Schuld«, flüsterte Verity. »Hätte ich nur nicht darauf bestanden, daß wir nach Coventry gehen…«

»›Aber ich war zu verbohrt, um meine Gefühle einzugestehen‹«, fuhr Mrs. Mering fort, »›und am nächsten Tag stellte ich ihn zur Rede und verlangte, daß er sich entschuldigte. Er weigerte sich, wir stritten uns, und er — warf mich in den Fluß! Und es war so romantisch, Mama! Wie bei Shakespeare, dessen Werke mich mein geliebter Gatte nun lesen läßt, angefangen mit Der Widerspenstigen Zähmung.‹« Mrs. Mering warf den Brief hin.

»Bücher lesen! Das ist der Grund für das Ganze! Mesiel, du hättest niemals einen Dienstboten einstellen sollen, der Bücher liest! Du bist schuld an allem! Immer dieses Lesen! Ruskin und Darwin und Trollope! Trollope! Was für ein Name für einen Schriftsteller! Und sein Name erst! Dienstboten sollten ehrliche englische Namen haben. ›Ich habe meinen Namen benutzt, als ich für Lord Dunsany arbeitete‹, sagte er. ›Nun, bei uns jedenfalls benutzen Sie ihn nicht‹, sagte ich. Was kann man von einem Mann schon erwarten, der sich zum Abendessen nicht umziehen will! Erliest nämlich auch. Schreckliche sozialistische Sachen, Bentham und Samuel Butler.«

»Wer?« fragte Colonel Mering verwirrt.

»Lord Dunsany. Gräßlicher Mensch, aber er hat einen Neffen, der halb Hertfordshire erbt, und Tossie hätte bei Hofe eingeführt werden können und jetzt… jetzt…«

Sie schwankte und Terence griff nach dem Riechsalz, aber sie wehrte es ärgerlich ab. »Mesiel! Sitz nicht so rum! Tu etwas! Es muß doch einen Weg geben, sie aufzuhalten, bevor es zu spät ist!«

»Es ist zu spät«, murmelte Verity.

»Vielleicht nicht. Vielleicht sind sie erst heute morgen fort«, sagte ich, sammelte die heruntergefallenen Blätter ein und überflog sie. Sie waren mit Tossies blumiger Handschrift, Dutzenden von Ausrufungszeichen und einigen großen Tintenklecksen bedeckt. Sie hätte auf dem Basar einen Federhalterwischer kaufen sollen, dachte ich unnötigerweise.

»›Es hat keinen Sinn, uns aufhalten zu wollen‹«, las ich. »›Wenn Ihr diesen Brief lest, sind wir bereits auf dem Standesamt in Surrey getraut worden und auf dem Weg zu unserem neuen Zuhause. Mein liebster Gatte — oh, dieses kostbarste aller Wörter! — meint, daß wir in einer Gesellschaft, die weniger in der archaischen alten Klassenstruktur befangen ist, besser zurechtkämen, und deshalb segeln wir nach Amerika, wo mein Gatte — ach, wieder dieses süße Wort! — vorhat, als Philosoph zu arbeiten. Prinzessin Arjumand begleitet uns, weil ich es nicht übers Herz bringe, mich von ihr zu trennen, und Papa würde sie sicher umbringen, wenn er die Sache mit dem Kalikogoldfisch herausfindet.‹«

»Mein doppelschwänziger perlmuttfarbener Ryunkin?« Colonel Mering fuhr aus dem Sessel hoch. »Was ist mit ihm?«

»›Sie hat ihn gefressen. Oh, lieber Papa, kannst Du Dich in Deinem Herzen überwinden und ihr vergeben und mir auch?‹«

»Wir müssen sie enterben«, sagte Mrs. Mering.

»Auf jeden Fall«, pflichtete ihr Gatte bei. »Dieser Ryunkin hat zweihundert Pfund gekostet!«

»Colleen!« sagte Mrs. Mering. »Ich meine, Jane! Hören Sie auf zu schniefen und holen Sie sofort meinen Sekretär. Ich werde Tocelyn auf der Stelle schreiben und ihr mitteilen, daß wir von diesem Tage an keine Tochter mehr haben.«

»Ja, Ma’am.« Jane putzte sich die Nase an der Schürze ab. Ich starrte ihr nach, als sie hinauseilte, dachte an Colleen-Jane und Mrs. Chattisbourne, die alle ihre Mädchen Gladys nannte, und versuchte mich zu erinnern, was Mrs. Mering über Baine gesagt hatte. ›Ich benutzte ihn, als ich für Lord Dunsany arbeitete.‹ Und was hatte Mrs. Chattisbourne an dem Tag gesagt, als wir die Sachen für den Basar abholten? ›Ich meine stets, daß es nicht der Name ist, der einen Butler ausmacht, sondern die Ausbildung.‹

Colleen-Jane kam schniefend mit dem Sekretär zurück.

»Tocelyns Name wird in diesem Hause nicht mehr ausgesprochen werden«, sagte Mrs. Mering und setzte sich an den Sekretär. »Ebensowenig wird er jemals wieder über meine Lippen kommen. Alle Briefe von ihr werden ungeöffnet zurückgesandt.« Sie griff nach Federhalter und Tinte.

»Woher sollen wir wissen, wohin wir den Brief schicken sollen, in dem steht, daß sie enterbt ist, wenn wir ihre Briefe nicht öffnen?« fragte Colonel Mering.

»Es ist aus, nicht wahr?« sagte Verity deprimiert zu mir. »Wir können nichts mehr tun.«

Ich hörte nicht zu, sondern sammelte die Seiten des Briefes ein, wandte sie um und suchte den Schluß.

»Von heute ab werde ich für immer Trauer tragen«, sagte Mrs. Mering. »Jane, gehen Sie hinauf und bügeln Sie mein schwarzes Wollkleid. Mesiel, wenn dich jemand fragt, mußt du antworten, unsere Tochter sei gestorben.«

Inzwischen hatte ich den Schluß des Briefes gefunden. Tossie hatte ihn unterschrieben. »›Eure reuevolle Tochter Tocelyn‹«, dann aber Tocelynund ihren neuen Namen hingeschrieben. »Hör mal«, sagte ich zu Verity und begann zu lesen.

»›Bitte, sagt Terence, daß ich weiß, daß er mich nie vergessen kann, aber es versuchen muß und uns unser Glück nicht neiden soll, denn Baine und ich sind vom Schicksal füreinander bestimmt.‹«

»Falls sie wirklich hingegangen ist und diesen Menschen geheiratet hat«, sagte Terence, dem es langsam dämmerte, »bin ich von meinem Versprechen entbunden.«

Ich ignorierte ihn. »›William, mein lieber Schatz, glaubt nicht ans Schicksal‹«, las ich unbeirrt weiter, »›und meint, daß wir Geschöpfe unseres freien Willens seien, aber er glaubt, daß Ehefrauen eigene Meinungen und Ideen haben sollten, und was könnte es anderes gewesen sein als Schicksal? Denn wenn Prinzessin Arjumand nicht verschwunden wäre, wären wir niemals nach Coventry gegangen…‹«

»Hör auf«, bat Verity. »Bitte, nicht weiter.«

»Du mußt auch den Schluß hören«, sagte ich. »›… nach Coventry gegangen. Und hätte ich die Urne nicht gesehen, wären wir niemals ein Paar geworden. Ich werde schreiben, sobald wir uns in Amerika häuslich niedergelassen haben. Eure reuevolle Tochter‹«, ich betonte jedes Wort,»›Mrs. William Patrick Callahan.‹«

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